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Angel of Ashes

Wenn Engel die Welt beherrschen
von

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Blut und Tränen

Wenn die Psyche sich auf den Körper auswirken konnte, so hatte Sem soeben eine Tortur erlebt, wie nie zuvor in seinem Leben.

Auch wenn der Wind ihm während seines Fluges die heiße Haut abkühlte, so wirkte sich dies kaum auf sein Innerstes aus. Er konnte wieder durchatmen, weil sein Herz ihn nicht mehr zu ersticken drohte, aber er spürte sie als stünde sie neben ihm. Sheena war verwirrt, verletzlich und erregt. Und er wusste, dass sie ihn nicht verstand. Er konnte es ja auch nicht.

Ihre Verachtung war wie tausende Peitschenhiebe gewesen und seine Haut prickelte noch vom Nachhall dieses Gefühls. Doch viel grausamer waren die Erinnerungen. Zu fühlen, was sie gefühlt hatte, damals.

Sem schüttelte den Kopf, streckte sich und erhöhte das Tempo. Er musste den Kopf frei bekommen. Sofort.

Er würde sie nie wieder berühren, das wusste er und dass sie ihm zeigte, was ihm entging machte es wirklich nicht leichter.

„Ist das eine Prüfung?“, fragte er leise, in dem Wissen, dass Gott ihn hörte.

„Ein Test? Nur was ist das gewünschte Ergebnis? Ich benehme mich wie ein schwacher, unkontrollierter Mensch.“

Der Gedanke daran verursachte ihm Übelkeit. Er dachte auf eine Art und Weise an Sheena, wie es ein Engel nie tun würde. War er dazu verdammt, zu enden wie die Verräter seiner Rasse? Verstoßen, weil er den Verstand verlor?

Er wusste, dass er nur so enden konnte, denn solange er in ihrem Kopf war, war er all ihren Emotionen ausgeliefert und erfuhr Dinge, die sonst jedem Engel für die Ewigkeit vorenthalten blieb. Selbst den Besten unter ihnen. Und ein Privileg war dies nicht.

Plötzlich legte sich ein Schatten über ihn und verdeckte die Sonne. Sem musste nicht aufschauen um zu wissen, dass er in Gefahr war. Er schloss kurz die Augen und verwünschte den Umstand, der dazu geführt hatte, dass er seine Feinde nicht gehört hatte.

Dann schoss er in die Lüfte, bereit sich bis zum Ende zu wehren.
 

„Die Speisekammer ist immer reichlich gefüllt, auch wenn keiner so wirklich weiß, wie sie das machen.“

Rosa öffnete eine dunkle Holztür, die in den Felsen eingelassen war und gewährte Sheena Einblick in einem der größten und trotzdem zum Bersten gefüllten Vorratsräume, die sie je gesehen hatte.

„Damit kann man tausende von Menschen ernähren!“, stieß Sheena hervor und bestaunte die Massen an Nahrungsmitteln, in deren Art es keine Grenzen gab. Sie konnte selbst exotisches Obst, aber auch ganze Rinderhälften erkennen. Sie ging einen Schritt in die Kammer.

„Es ist zwar kühl hier, aber trotzdem müsste euch mindestens die Hälfte verfaulen. Soviel könnt ihr doch gar nicht verzehren.“ Sheena wandte sich zu Rosa um, die kurz vor der Entbindung stand und doch strahlte, wie ein seltener Pfirsich. Wovon es hier ganze Tonnen gab.

„Es verdirbt nicht. Das ist auch so ein Trick.“ Sie zuckte mit den Schultern und ging zurück in die Küche, die Sheena sofort gefallen hatte. Sie war regelrecht sprachlos von dem halboffenen Raum, dessen Südseite ein zehn Meter breites und fünf Meter hohes, unverglastes Fenster besaß. Alles war aus sandfarbenen Kalkstein geschaffen, auch die Küchenzeile mit Feuerstellen, Arbeitsplatten regalähnlichen Fächern. Der Küche war freundlich und hell und auf seine Art aus einer anderen Welt. Sheena war fasziniert.

Sie lehnte sich aus dem Fenster und konnte über den sandigen Hof der Burg blicken, in dem gerade einige Kinder Ball spielten und wenige Mütter ihnen zu jubelten.

„Grotesk.“, murmelte sie und hob die Augen zum Himmel.

Sem war vor fast einer Stunde fort geflogen und Rosa hatte Sheena erst vor wenigen Minuten an genau dem Ort vorgefunden, an dem der Engel sie stehen gelassen hatte. Gedankenversunken auf den Stufen und sie hatte sich der jungen Frau angenommen.

Auch jetzt riss Rosa sie wieder aus ihrer Trance: „Du weißt jetzt, wer dein Auserwählter ist?“

Sie lehnte sich etwas ungeschickt gegen die Wand und beobachtete Sheena. Daher blieb ihr nicht verborgen, dass die junge Frau sofort mit sich rang.

„Wieso ist das alles so schwierig für mich?“, sie blickte Rosa lange in die Augen. „Weshalb bin ich die Einzige, die sich nicht mit ihrem Schicksal abfinden kann?“

Rosa empfand Mitleid mit Sheena, deren Mauer aus Wut und Verachtung zunehmend bröckelte und eine verängstigte Frau hinterließ, der man den Sinn ihres Daseins geraubt hatte. Rosa hatte bisher keine Menschen gekannt, der Sheena auch nur ansatzweise ähnelte. Nach all den Jahren der Angst und Entbehrungen, waren alle Menschen gleich, egal wo Rosa gewesen war.

Abgestumpft, leere Hüllen ohne Sinn und Zweck. Erst durch die Engel hatten einige Frauen wieder zu sich selbst zurück gefunden. Sie legte Sheena eine Hand an die Wange.

„Du bist nicht die Einzige. Das weißt du, nicht wahr?“

Sheena presste die Lippen aufeinander.

„Er ist einer von ihnen!“, sagte sie abfällig.

„Und er ist trotzdem anders!“

Überrascht starrte Sheena sie an und Rosa kicherte.

„Ich lebe lange genug in dieser Burg. So etwas kann einem nicht verborgen bleiben.“ Sie fuhr sich über ihren geschwollenen Leib, doch dies so gedankenverloren als wäre es eine unbedachte Geste.

„Michael sagte mir, dass er deine Gedanken hören und fühlen kann. Stimmt das?“

„Ich glaube schon, wobei sich das noch harmlos anhört. Er war heute außer sich, weil er sich nicht abschotten kann. Alles was ich denke und fühle, nimmt er mit. Ob er will oder nicht.“ Sie stemmte aufgebracht die Hände in die Hüfte.

„Aber das ist doch nicht mein Problem, oder? Ich meine…ich habe es mir doch nicht ausgesucht. Ich wollte nicht hier sein!“

„Nein, das hast du uns mehr als deutlich gemacht, Sheena. Aber ich befürchte, dass er all dies auch nicht wollte. Er wollte dich nicht zwingen und dir kein Leid zufügen. Du solltest ihm es wirklich etwas leichter machen.“

Was dachte diese Person, wer sie war? Sheena spürte, dass sie langsam sauer wurde. Sie hatte Rosa immer ein wenig mehr auf ihrer Seite gesehen. Die Hochschwangere setzte an, den Raum zu verlassen.

„Wieso verteidigst du ihn? Er ist nie nett, zu niemanden.“, rief Sheena ihr hinterher. Rosa blieb kurz stehen und sah sich um.

„Weil er uns Menschen am ähnlichsten ist.“

In dem Moment explodierte der Schmerz in Sheenas ganzem Körper und mit einem entsetzlichen Schrei ging sie in die Knie. Ihr Körper schien sich auflösen und bersten zu wollen. Das Kind in ihr trat wild und panisch um sich und dieselbe Angst griff nach ihrem Herzen.

Durch den Schleier vor ihren Augen, erkannte Sheena Rosa, die kreidebleich neben ihr kniete und irgendetwas sagte, doch sie verstand sie nicht. Es rauscht in ihren Ohren, als wenn ein Flugzeug neben ihr starten würde. Doch Flugzeuge gab es seit Ewigkeiten nicht mehr.

Weinend ließ sie sich auf die Seite fallen. Sie konnte die Schmerzen nicht mehr aushalten. Etwas zerfetzte sie von innen, nach außen. Wollte sie töten.

Weitere Gestalten beugten sich über sie. Zwischen ihren Beinen wurde es feucht und warm. Der Schmerz steigerte sich ins Unermessliche.

„Das Kind…es stirbt!“, wisperte sie. Dankbar rutschte ihr Bewusstsein ins Nichts.
 

Die heiße Sonne brannte auf ihn nieder und peinigte sein wundes Fleisch. Er erkannte Geier am Horizont, doch sie wagten sich noch nicht an ihn heran, zu mächtig war seine Aura.

Nur noch wenige Minuten, dann würde auch das vorbei sein. Sem schloss die Augen und wünschte sich diesen Moment herbei. Er vertraute seinem Herrn. Er würde ihn zu sich holen, ihm verzeihen, obwohl er versagt hatte.

Die Gefallenen hatten ihn nur am Leben gelassen, damit er qualvoll zugrunde ging. Er selber hatte drei Verrätern das Leben genommen. Einst Brüder, hatten sie sich gegenseitig Stück für Stück auseinandergerissen.

Sem‘s Flügel waren gebrochen und schwer verbrannt und sandten ihm grauenvolle Stromstöße durch den Körper, während er den Rest des Körpers nicht mehr definieren konnte. Er war vollkommen bewegungsunfähig.

Mit Wehmut dachte er an Sheena und das Kind. Er sah sie vor sich. Erinnerte sich an ihren störrischen, wütenden Gesichtsausdruck. Sie war so schön und stark. Und so unglaublich unnachgiebig.

Aus einem vollkommen irrationalen Grund sehnte er sich jetzt nach ihnen und sein Herz tat ihm weh.



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