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Feigning Sane

Justified
von

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Die Telefone läuteten ununterbrochen und panische Stimmen durchzogen die Luft, während Raylan Sirenen in der Ferne vernehmen konnte. Von dem sonst eher entspannt angehauchtem Arbeitsklima des Lexington US Marshal Field Office war nichts mehr übrig – und wenn Raylan ehrlich sein sollte, so empfand er das als glatt ein wenig irritierend, als er im Eingang des Büros stehen blieb.

Die Glastür fiel hinter ihm zu, als er langsam in die Richtung seines Schreibtisches schlenderte. Dabei schob er seinen beigen Cowboyhut ein Stückchen nach hinten, um einen besseren Blick auf die umherlaufenden Leute zu haben, die Mehrzahl davon ihm unbekannt.

„Hab’ ich schon wieder den Geburtstag von irgendjemandem vergessen?“, fragte er, als er Tim erreichte. „Oder was geht hier vor?“

Sein Kollege saß an dem Schreibtisch, der sich direkt neben dem Raylans befand, und schenkte ihm einen ausdruckslosen Blick, den Telefonhörer ans Ohr gepresst. Er trug ein blaugraues Hemd, von dem er die Ärmel hochgeschoben hatte und seine dunkelblonden Haare waren nach hinten gegelt.

Kurzzeitig bedeckte der junge Mann den Lautsprecher mit der freien Hand und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Du meinst abgesehen von Grabschänderein auf allen Friedhöfen in der Umgebung?“ Zeitgleich begann Tim in dem kleinen Notizblock vor ihm auf dem Tisch zu blättern. „Dreizehn gemeldete Fälle von Körperverletzung, neun Todesfälle, einige Vermisstenanzeigen, Kannibalismus – die örtliche Polizei ist überfordert, weshalb wir mit eingeschaltet worden sind. Hast du nicht die ganzen Gläubigen mit ihren Schildchen auf der Straße gesehen? Sie munkeln, dass die Toten wieder auferstanden sind und jetzt ihre Rache an allen Sündern in Kentucky nehmen. Wenn du mich fragst, haben sie damit eine Weile zu tun.“ All das sagte Tim Gutterson mit der üblichen ausstrahlenden Gelassenheit und zuckte mit den Schultern. „Wenn Art davor mal so ausgesehen hat, als würde er einen Herzinfarkt bekommen, dann ist es diesmal wohl unvermeidlich.“ Tim nahm die Hand von dem Lautsprecher. „Ja, ich bin noch dran, M’am.“

„Meine Güte“, murmelte Raylan, als er sich von dem anderen Deputy Marshal abwandte. „Und es ist noch nicht mal zehn Uhr.“ Seine Aktentasche warf er nonchalant auf seinen Bürostuhl, bevor er zu Arts Büro herüberschlenderte und dort am Türrahmen lehnte.

Ähnlich wie sein Kollege war auch sein Chef am Telefon, sich mit den Fingern entnervt die Schläfen massierend. „Sie können mir glauben, dass meine Leute tun, was sie können. Das Zerteilen haben sie nur – verdammt noch mal – noch nicht gelernt.“ Mit diesen harschen Worten knallte der grauhaarige Chief Deputy den Hörer auf die Gabel und haute mit der flachen Hand auf die Tischplatte und die darauf verstreuten Akten.

„Schlechter Tag, huh?“, ließ Raylan verlauten, um Art über seine Anwesenheit zu informieren.

Sein Chef warf ihm einen finsteren Blick zu und rückte die blaue Krawatte zurecht, die sich mit dem rotkarierten Hemd biss. „Weißt du, Raylan...“, sagte er langsam und bedacht, doch Raylan kannte ihn lange genug, um die Wut dahinter zu erkennen. „Es gibt Tage, da sollte man sich schlaue Sprüche sparen. Und ich sag’ dir gleich, mein Lieber, dass heute einer davon ist.“ Damit erhob er sich mit einem Ächzen aus seinem Stuhl und umrundete den massiven Schreibtisch. Raylan hob entschuldigend die Hände, als Art sich an ihm vorbeischob und er ihm zurück zu Tims Platz zu folgen begann.

„Rachel habe ich bereits losgeschickt, da einige Idioten der Meinung gewesen waren, sich in einem Supermarkt zu verbarrikadieren“, erklärte Art und stemmte die Hände in die Hüften, während sein skeptischer Blick zwischen dem vor ihm sitzenden Tim und Raylan hin und her wanderte. Beinahe so, als müsste er sich seine nächsten Worte stark überlegen. „Raylan, du und Tim seht euch auf dem Friedhof um. Ich will ganz genau wissen, was da draußen vor sich geht. Auf die Medien ist da kein Verlass. Bei denen geht schon wieder die Welt unter – wie bereits letzten November. Oder war das Oktober?“

„Dezember. 21. Dezember, um genau zu sein“, warf Tim ein, der aufstand und seine dunkelblaue Jacke von der Stuhllehne nahm, um sie sich überzustreifen. Sein Marshalabzeichen trug er wie gewohnt an seinem Gürtel, ebenso wie die schwarze Glock.

Art runzelte die Stirn. „Wie auch immer. Kommt einfach mit etwas Handfestem wieder, damit wir diesem Unsinn ein Ende setzen und nachher in Ruhe unser Lunch machen können.“ Er warf seinen Deputys einen vielsagenden Blick zu, bevor er in sein Büro zurückkehrte und dort die Tür mit einem Krachen hinter sich ins Schloss warf. Für einen Moment verstummte daraufhin selbst das Stimmengewirr der restlichen Anwesenden.

Raylan deutete mit dem Daumen über seine Schulter zurück, als er mit Tim die Glastüren ansteuerte, die sie zu den Fahrstühlen brachte. „Wer sind all die Leute?“

Abermals zuckten Tims Schultern in einer wegwerfenden Bewegung. „Journalisten, Zivilisten... Ganz ehrlich, irgendwann habe ich den Überblick verloren.“
 


 

Auf den Straßen von Lexington herrschte Chaos. Raylan hatte bereits bei seiner Hinfahrt zum Büro einen Unterschied festgestellt, doch da hatte seine Aufmerksamkeit viel eher seinem Kaffeebecher gegolten. Abgesehen davon, wusste er aus eigener Erfahrung, dass Lexington und seine Umgebung grundsätzlich aus bizarren Gestalten bestand, die in neunundneunzig Prozent der Fälle irgendwelchen Dreck am Stecken hatten. Da sah Raylan selten zweimal aus dem Fenster, wenn einer von ihnen mit einem Pappschild vor seinem Wagen herumtänzelte, auf dem irgendetwas mit Jesus hingekritzelt worden war. Nein, dagegen war er inzwischen mehr als nur immun.

Erst jetzt sah er sich genauer um, als sie an der roten Ampel zum Stehen kamen. Die Straßen waren mit Autos verstopft, viele davon mit überquälendem Dach oder Kofferraum. Allgemein lag das Geräusch von Autohupen in der Luft, während Menschen mit gehetzten Schritten über die Bürgersteige marschierten, während wieder andere sie skeptisch dabei beobachteten. Es war nicht schwer, die von dieser Katastrophe - oder wie man es auch nennen wollte – Überzeugten von den nicht Überzeugten zu unterscheiden.

„Wahrscheinlich ist das alles nur ein schlechter Halloweenscherz“, entrann es Raylan, als die Ampel auf Grün schaltete und er den Wagen anfuhr.

Neben ihm auf dem Beifahrersitz ließ Tim das Fenster herunter und hob eine Augenbraue. „Wir haben April.“

Diesmal war es an Raylan mit den Schultern zu zucken. „Dann eben ein Aprilscherz.“ Zeitgleich bog er auf eine Seitenstraße ab, die weniger bevölkert war.

Der Friedhof befand sich am Stadtrand und somit nur wenige Minuten entfernt. Im Gegensatz zum Herz von Lexington war es hier ruhiger, fast schon verlassen.

Raylan parkte den Wagen und schaltete den Motor aus, während beide Männer auf die mit Grabsteinen gesäumte Wiese hinausblickten, die sich vor ihnen unter der Morgensonne erstreckte. Es wirkte friedlich – wäre da nicht überall die aufgewühlte Erde gewesen, die bereits aus der Entfernung sichtbar war.

„Da scheint sich jemand ordentlich Mühe gegeben zu haben“, sagte Tim, als sie gemeinsam durch das Tor im Zaun traten und zwischen den Löchern im Boden hindurchschlenderten. Sie beide hatten eine Hand in der Nähe ihrer Pistolen, die noch immer in den Halterungen an ihren Hüften steckten. Vor einer Stelle des aufgerissenen Bodens blieben sie stehen.

„Vielleicht Boyd“, erwiderte Raylan und mit der freien Hand glättete er sein offenes Jackett, welches sich unter der leichten Brise bewegte.

Tims Fuß schob die aufgewühlte Erde hin und her, ehe er den Blick umherwandern ließ. „Ich dachte, ihr habt zusammen in der Mine gearbeitet und keine Gräber ausgebuddelt.“

„Tja... manche Leute können eben immer tiefer sinken.“ Wirklich vorstellen, dass Boyd Crowder dafür verantwortlich war, konnte Raylan es sich jedoch beim besten Willen nicht. Sicherlich hatte dieser in der Vergangenheit kein Problem damit gehabt, sich dreckig zu machen, doch Grabräuberei brachte nicht den nötigen Profit.

Raylans Augen richteten sich wieder auf das Loch vor seinen Füßen. Es war nicht mit einem Spaten gegraben worden, dafür war es zu unsauber und in sich eingefallen. In die Hocke gehend besah er sich die Fingerspuren, die sich durch die Erde zogen. Wenn Raylan viel Fantasie aufbrachte, wirkte es so, als habe sich jemand versucht festzuhalten oder gar herauszuziehen.

„Raylan“, holte Tims Stimme ihn in das Hier und Jetzt zurück. Als er zu diesem aufsah, deutete Tim mit einem Kopfnicken hinter sich, die Finger etwas fester um den Griff der Glock geschlossen.

Raylan richtete sich auf, ehe er herumfuhr und sein Blick an dem Mann hängen blieb, der zwischen den Büschen hervortrat. Er trug eine stellenweise kaputte Latzhose, die mit Dreck besudelt war, doch er war zu weit weg, um mehr erkennen zu können.

„Der erste Tatverdächtige...“, entwich es Raylan mit gehobenen Mundwinkeln und er setzte sich in Bewegung, um sich dem Fremden anzunähern. „Und Art hat sich schon um sein Mittagessen Sorgen gemacht.“

„Bist du sicher, dass er in die Kategorie eines Tatverdächtigen fällt?“ Obwohl Tims Stimme noch immer gelassen klang, meinte Raylan einen ernsteren Unterton heraushören zu können, weshalb er seinem Kollegen einen Seitenblick schenkte.

„Für mich sieht der Kerl eher wie eines der Opfer aus“, fuhr Tim fort, als ihr Gegenüber mit schleifenden, abgehackten Bewegungen auf sie zukam. Auch die röchelnde Atmung war auf dem ruhigen Friedhof hörbar. Sie hörte sich an wie der erste Wagen, den sich Raylan damals hatte leisten können. Wie alt war er da gewesen? Siebzehn? Natürlich hatte er das Geld mit einigen Nebenjobs erarbeiten müssen, weil Arlo mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war. Aber wann war sein Vater mal nicht in irgendwelche kleinen Kriminaltaten verwickelt gewesen? Das war etwas, was sich bis zu seinem Ableben nicht geändert hatte.

Der Anblick, der sich ihnen bot, als der Fremde näher kam, verdrängte jedoch den Gedanken an seinen alten Herren. Raylan formte die Augen zu Schlitzen, obwohl der Cowboyhut auf seinem Kopf ihn vor der Sonne schützte. „Was zum...“, begann er, brach jedoch ab, als er in seinem Schritt innehielt.

Tim tat es ihm gleich. Sein Blick war ebenfalls weiterhin auf den auf sie zuhinkenden Mann gerichtet und eine tiefe Falte grub sich zwischen seine Augenbrauen.

Die Haut des Mannes war teilweise abgefressen, Fetzen hingen herunter, einer davon von seiner Wange und somit unter einem seiner milchigen Augen. Sein schwarzes Haar war stumpf und herausgefallen, so dass sein Schädel an mehreren Stellen sichtbar war.

„Das ist nah genug, Mister“, warnte Raylan, doch sein Gegenüber schien sich daran nicht zu stören. Stattdessen setzte er seinen Weg fort, setzte einen wackligen Fuß vor den anderen, wankend und strauchelnd, die Arme nach Tim und ihm ausstreckend. Er röchelte und keuchte als wäre er am Ersticken.

Fünf Meter wurden zu vier, zu drei – und Raylan zog mit gewohnter Schnelligkeit seine Pistole hervor.

Der Schuss hallte über den verlassenen Friedhof, scheuchte einige Vögel aus den Bäumen auf, doch der Mann stolperte nur einen Schritt rückwärts, bevor er sich weiter annährte. Anstatt abermals auf das Bein des Mannes zu zielen, hinterließ die nächste Kugel ein rundes Loch auf seiner Stirn. Er klappte in sich zusammen, Blut und Gehirnmasse über den Rasen verstreut.

Eine unangenehme Stille folgte, als Raylan die Hand mit der Waffe sinken ließ. „Was ist gerade passiert?“, platzte es schließlich aus ihm heraus und er sah irritiert zu Tim herüber.

„Du hast mal wieder jemanden erschossen“, beantwortete dieser überflüssigerweise. Dabei vermochte Raylan nicht zu sagen, ob er es als beunruhigend oder nicht empfand, dass sein Gegenüber noch immer einen passiven Ausdruck auf dem Gesicht trug. Konnte diesen Mann überhaupt etwas aus der Ruhe bringen? Oder trieben sie das einem im Militär gleich vollkommen aus? Manchmal kam es Raylan so vor. Zwar verlor er selten die Nerven, doch Tim hatte er bisher nicht ein einziges Mal auch nur überrascht erlebt.

„Und diesmal scheint es sogar gerechtfertigt zu sein“, fügte Tim derweil hinzu, als würde er sich für den bürokratischen Papierkram interessieren, der hierauf folgen würde.

Doch Raylan trat nur näher an den Toten heran und musterte ihn. Wie frisch von ihnen gegangen wirkte er nicht, viel eher so, als sei er schon ein paar Jährchen tot.

„Wieder auferstandene Tote?“, fragte Raylan.

Tim sah auf. „Oder ein ziemlich gut ausgearbeiteter Aprilscherz. Lass uns ihn ins Auto laden. Art wird ihn sehen wollen.“

„Du meinst wohl in den Kofferraum“, antwortete Raylan, während er darüber nachdachte, was aus dem eigentlichen Protokoll geworden war und – noch wichtiger – warum sie ausgerechnet seinen Wagen genommen hatten.



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