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Atemzug

Grey Mr. Grey
von

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Man konnte mir einiges nachsagen: Dass ich ein Narr sei, der es nicht geschafft hatte, seinen Erfolg aufrecht zu erhalten und förmlich daran zerbrochen war. Dass ich ein Bastard sei, der von seinem Vater ebenso gehasst wurde, wie von seiner Hurenmutter. Man konnte mich einen drogensüchtigen Nichtsnutz nennen, der beinah alles Schlucken würde, nur um für einen winzigen Moment seine Vergangenheit zu verdrängen. Ja, man konnte mich sogar einen Trottel schimpfen, der es kaum schaffe, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der nicht einmal die leichtesten Aufgaben bewältigen könne, wie sich waschen, Essen kochen oder sich anziehen. Das alles konnte man mir nachsagen und ich würde nicht widersprechen. Aber eines konnte man ganz sicher nicht von mir behaupten: Dass ich ein Dummkopf sei, dessen Denken nicht mehr funktionierte.

Zunächst war mir der leicht ranzige Geruch aufgefallen, der mit einem erschreckend süßlichen Duft unter dem Türspalt hervorkroch und mir in die verschnupfte Nase stieg. Kurz darauf hatte ich die frischen Kratzer am Hausschloss bemerkt, die eindeutig von einem ungeschickt benutzten Dietrich stammten. Erst dann waren mir die vereinzelten roten Flecken am Türrahmen aufgefallen, die vom Regen verschont geblieben waren. In dem Moment, als ich erkannte, dass es sich hierbei um Blutspritzer handelte, schrillten in meinem Kopf alle Alarmglocken los.

Ich wusste, es war jemand im Haus gewesen. Ja, vermutlich war er sogar noch da und wartete auf mich. Vielleicht war es bloß eine extreme Vorsichtsmaßnahme, vielleicht wusste ich aber auch, dass ich in meinem derzeitigen Zustand kaum mit einer harmlosen Ratte fertig werden würde, geschweige denn mit einem geschulten Meuchelmörder, wie ich ihn im Hausinnern erwartete.

Manche würden meine Vermutung für irrwitzig halten, die ich anhand ein paar lächerlicher Hinweise gestellt hatte. Aber seit ich vor zwei Jahren meinen Job verloren hatte, hatten bereits drei freundliche Assassinen mein bescheidenes Eigenheim aufgesucht. Sie wurden vermutlich von einer der vielen Persönlichkeiten geschickt, denen ich einst das Geschäft und wahrscheinlich auch das Leben versaut hatte. Da war es kein Wunder, dass mir der ein oder andere an den Kragen wollte. Bislang hatte ich es aber immer geschafft, die Mörder zu überwältigen – nur war ich in diesen Momenten auch nie so zugedröhnt gewesen wie heute.

Deshalb hörte ich auf meinen Verstand, der mir sagte, dass es mein sicheres Ende sei, wenn ich jetzt auch nur einen Fuß in mein Haus setzen würde.

Und so drehte ich mich um und ging die Säufergasse entlang, die an die Gasse der Katzenaugen angrenzte, und suchte mir eine der zahllosen Schenken aus, die den Namen Betrunkener Kobold trug.

Ich stolperte hinein und pflanzte meinen Hintern auf eine Bank in der hintersten Ecke mit dem festen Vorsatz, den Meuchelmörder so lange warten zu lassen, bis dieser die Geduld verlor und sich aus meinem Häuschen verpisste.

Mit lallenden Worten bestellte ich mir Koboldpisse, wie ich das Gesöff gern nannte, das etwas wie Bier darstellen sollte. Die kleine Kobolddame ließ kurz ihre schwarzen, messerscharfen Zähne aufblitzen, um mir zu signalisieren, ich solle bloß keinen Ärger machen, brachte mir dann aber, wie gewünscht, die Koboldpisse.

Ich ließ den Blick durch die Schenke schweifen. Es waren kaum Besucher anwesend, nur die üblichen Säufer, die man schon von weitem an ihren rotleuchtenden Nasen erkannte. Deshalb hatten die flinken Kobolde nicht viel zu tun und mussten nur hin und wieder einen Schnaps einschenken. Der Betrunkene Kobold war eigentlich ein gut besuchter Laden, doch bei diesem Wetter war selbst hier nichts los. Es lag eine ungewöhnliche Stille in der Luft.

Ich legte meinen Kopf auf die Arme und schloss für einen Moment die müden Augen. Das leise Säuseln der Gäste klang wie ein Schlaflied in meinen Ohren.

»Iiich habbe doch gar niiichts getrrrrunken!«, hörte ich eine zeternde Frauenstimme irgendwo am Rande meines Bewusstseins. »Iiich bezaaahle das niiicht!«

Langsam abdriftend in einen Traum, bot sich mir das Bild eines runzligen Weibes, das die Schankwirtin sternhagenvoll ansah und ihr versichern wollte, es habe keinen Alkohol zu sich genommen. Ich konnte die fettigen Haare der Frau riechen, die strähnig in ihrem faltenüberzogenen Gesicht klebten. Meine Augen waren geschlossen und doch hatte ich das Gefühl, wirklich zu sehen, wie sie mit der Wirtin stritt. Plötzlich drehte sie sich zu mir, kam auf mich zu, packte mich am Kragen und flüsterte mir mit weit aufgerissenen Augen zwei glasklare Worte ins Ohr: »Rette mich!«

Ich schrak auf. Verwirrt sah ich mich um, doch da war weder die faltige Frau, noch die Wirtin. Das Traumpulver hatte mir bloß seltsame Bilder in den Kopf gesetzt.

Ich schüttelte mich. Die nasse Kleidung ließ mich frösteln.

»Guten Morgen, Mr. Grey«, sagte ein bleichgesichtiger Mann, der mir plötzlich gegenüber saß und mich aus zwei mausgrauen Augen heraus ansah. Sein weißes schulterlanges Haar hatte er zu einem Zopf nach hinten gebunden. Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er sich zu mir vorbeugte und erklärte: »Ihr steht auf der schwarzen Liste der Assassinen, Mr. Grey. Jemand hat das Verlangen, Euch tot zu sehen. Außerdem wird auf Euren Kopf ein schönes Sümmchen ausgesetzt werden.« Er sprach leise und ruhig, beinah schon beruhigend.

Ich schluckte schwer und klimperte mit den Augen, in der Hoffnung, dass es sich bei dem Bleichgesichtigen ebenfalls um eine Sinnestäuschung handelte. Doch er löste sich nicht in Luft auf, sondern blieb weiterhin vor mir sitzen und durchbohrte mich mit seinem stählernen Blick.

»Wenn Ihr Euch bewegt, töte ich Euch. Wenn Ihr schreit, töte ich Euch. Und wenn Ihr versucht zu fliehen, töte ich Euch ebenfalls. Also macht keinen Aufstand und hört einfach nur zu, verstanden?«

Ich nickte langsam, weniger, um dem Mann vor mir zuzustimmen, sondern eher, um mir selbst zu sagen, dass es sich wohl nicht um eine Sinnestäuschung handelte. Reflexartig waren all meine Muskeln angespannt, um mein Leben, wenn nötig, so gut es ging zu verteidigen. Dennoch war mir klar, dass ich gegen den ausgebildeten Meuchelmörder vor mir, der er ohne Zweifel war, nicht die geringste Chance hatte.

»Gut«, stellte das Bleichgesicht zufrieden fest, der mein Nicken offensichtlich falsch gedeutet hatte. »Ich beobachte Euch schon eine ganze Weile, Mr. Grey, und ich sage Euch offen und ehrlich: Ja, ich will Euch töten. 20.000 Scolt sind schließlich nicht gerade wenig und da werden sich sicherlich noch einige andere finden, die damit etwas anfangen können. Ihr habt also spätestens heute Nachmittag eine ganze Horde am Arsch kleben – entschuldigt meine Ausdrucksweise –, die nur auf den richtigen Zeitpunkt wartet, um Euch das Licht auszublasen.«

Während er sprach, sah er mir fest in die Augen, sodass ich gezwungen war, seinen Blick zu erwidern. Ich hatte kein Stumpfhirn vor mir sitzen, das war mir von Anfang an klar. Ihm wäre es sofort aufgefallen, wenn ich auch nur mit dem Arm gezuckt hätte.

»Der Auftrag steht seit zwei Tagen und glaubt mir, Mr. Grey, da will Euch jemand ein für alle Mal loswerden.« Er schwieg einen Moment und gab mir Zeit, das Gesagte zu verdauen. Dann fuhr er fort: »Jeder weiß von Eurem Problem das auf gewissen Substanzen beruht, was Euch zu einer leichten Beute macht. Und Ihr, Mr. Grey, wisst auch, dass Ihr eine leichte Beute seid.«

Ich zuckte instinktiv zusammen, als der Bleichling seine spitzen Eckzähne beim Lächeln entblößte. Seine Erscheinung war mir ganz und gar unheimlich. Ich konnte förmlich spüren, dass Vampirblut durch seine Adern floss. Eine natürliche Abneigung gegen alles Fremde stellte sich bei mir ein. Nein, ich mochte diesen Kerl nicht.

»Was soll das werden? Wollt Ihr mir die Kehle aufschlitzen?«, fragte ich, innerlich gegen den angeborenen Fluchtinstinkt ankämpfend.

»Nein«, flüsterte er und beugte sich noch etwas näher zu mir, »nicht heute. Ich wollte Euch lediglich Bericht erstatten und davon in Kenntnis setzen, dass Ihr Vorsicht walten lassen solltet. Was Ihr mit dieser Information anfangt, das ist Eure Sache.« Dann stand er auf, zog seinen imaginären Hut vor mir und verließ den Betrunkenen Kobold mit einem freundlichen: »Auf Wiedersehen, Mr. Grey.«

Überrumpelt und verwirrt saß ich da und trank den letzten Schluck Koboldpisse.

Was war das gerade für ein Auftritt?

Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, warum der Meuchelmörder hier hereinspaziert war, sich zu mir gesetzt hatte und mir, anstatt mich zu erdolchen, eine Warnung hatte zukommen lassen. War es überhaupt eine Warnung? Oder eher eine Drohung?

Und vor allem: was sollte dieses »Außerdem wird auf Euren Kopf ein schönes Sümmchen ausgesetzt werden« bedeuten? Dass dieser Satz im Futur gehalten war, war mir nicht entgangen. Doch was sollte er bedeuten? Hatte ich etwas verbrochen, das ein Kopfgeld rechtfertigen würde?

Plötzlich packte mich das beklemmende Gefühl, das man hat, wenn man feststellt, dass man ganz allein auf dieser Welt ist. Ich dachte an den süßlichen Geruch an meiner Haustür und es fiel mir wie Schuppen von den Augen.

Wie konnte ich nur so blind sein?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2015-01-28T16:51:01+00:00 28.01.2015 17:51
Hey :)

Endlich komme ich dazu, weiter zu lesen!
Ich finde deine Geschichte wirklich interessant. Ich mag deinen Schreibstil und den Einsatz von Adjektiven, bspw. wie hier:
Zunächst war mir der leicht ranzige Geruch aufgefallen, der mit einem erschreckend süßlichen Duft unter dem Türspalt hervorkroch und mir in die verschnupfte Nase stieg.

Es lässt sich die Szene wirklich gut vorstellen und macht es alles sehr lebendig. Das find ich wahnsinnig toll!
Ich mag die Gedanken des Protagonisten, denn sie sind nachvollziehbar - nur, dass ich kaum einen geschulten Massenmörder erwarte, wenn so ungeschickt und offensichtlich draußen Spuren hinterlassen wurden (die nicht nur zum Täter führen könnten, sondern eben das Opfer, wie hier, vorher warnen). Und wahnwitzig würd ich es auch nicht nenne, wenn man BLUT findet und an einen Mörder denkt bzw. Vorsichtig ist. Eher bescheuert, wenn man es nicht täte!

Hm, die nachfolgende Szene wirkt mehr Fragen auf, als sie beantwortet: Warum wird das Kopfgeld ausgesetzt werden?
Warum hat er den Auftrag erst seit zwei Tagen und noch nicht erledigt bzw. kommt jetzt erst, um ihn zu drohen/warnen? Was hat er erkannt`? Ich hab nur noch mehr Fragen....?!
Aber die Spannung hast du zumindest super aufgebaut, ich möchte wissen, wie es weitergeht. Wirklich faszinierend!

Das einzige, was mich gestört hat, dass er "denkt", dass der Satz im "Futur" gehalten ist. Ich hätte es schöner gefunden, wenn er einfach Zukunft gesagt hätte, weil ich einfach darüber stolperte und es komisch klingt, dass er dieses Wort benutzt. Aber das ist natürlich Geschmackssache ;)

~Kommentarfieber~
Von:  w-shine
2013-01-19T11:51:48+00:00 19.01.2013 12:51
Hallo!
Dann bin ich jetzt auch mal dazu gekommen, weiter zu lesen und ich muss sagen, dass mir das Kapitel gut gefallen hat. Es werden zwar noch mehr Fragen aufgeworfen (wer ist der Bleichgesichtige, was ist sein Plan, wer will Grey tot sehen etc.), aber das macht Lust auf mehr. Also bitte weiterschreiben und nicht die Lust verlieren ;)
Einzig und allein die Tatsache, dass er tatsächlich noch am Leben ist, wirkt das etwas merkwürdig und auch der stümperhafte Versuch in seine Wohnung einzubrechen. Aber vielleicht erfahre wir ja auch dazu noch mehr und auch das ist nur Teil ein großen Verschwörung. Who knows?
Mir gefällt's und ich hoffe, dass du bald noch ein paar mehr Kommentare bekommst :)

LG Shine


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