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Träume erzählen die besten Geschichten

von

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Am Fluss des Lebens

Ich öffnete meine Augen.

Was ich sah, verwirrte mich zutiefst. Eben war ich noch zuhause? Doch wo war ich jetzt?

Ich griff zu meinem linken Ohr; es fühlte sich taub an und zwar nicht nur, weil ich nichts hören konnte.

Ach. Jetzt erinnerte ich mich.

Ich war gestorben.
 

Doch dieser Ort schien mir keineswegs der Himmel zu sein. Wo waren die Wolken?

Doch, es gab sie: oben, als Hochnebel, über dem bräunlichen Fluss, auf dessen ich mit einem Floß schwamm.

Auch schien die Theorie des ewigen Nichts falsch zu sein. Die Wissenschaft lehrte uns, dass wir aus Sternenstaub bestanden und in unsere Einzelteile zerlegt wurden, wenn wir starben.

Doch wieso konnte ich dann denken?

Ich sah mich um: da waren noch andere Flöße, Boote und sogar kleine Schiffe. Sie alle trieben langsam in eine Richtung. Doch auch auf der Seite gab es Behausungen und andere Menschen, die sich um Lagerfeuer versammelt hielten. Ich war also nicht alleine.

Es änderte aber nichts an der Tatsache, dass ich gestorben war... wie das passierte, wusste ich nicht mehr.

Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein älterer Herr neben mir. Er hatte eine Halbglatze, war in einem recht schicken Smoking gekleidet und hatte stets die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Fast wirkte er wie ein Butler. Aber nur fast.

Er hieß mich willkommen, am „Fluss des Lebens“ und erklärte mir, dass alle Seelen eines Tages hier entlang treiben. Mehr dazu, oder wie es nun weiterging, sagte er mir nicht.

Allerdings konnte ich erahnen, dass weil ich hier neu war, eine Art Probezeit überstehen musste. Vermutlich gab es sie, um aus der Reihe fallende, üble Menschen rechtzeitig zu entlarven.
 

Es verging einige Zeit auf meinem Floß. Tag und Nacht gab es nicht; auch erlitt ich keinen Hunger. Nur ein wenig einsam fühlte ich mich...

Ein graues Ruderboot trieb herbei, als ein junger Bursche zu mir rüberblickte. In seinen Augen konnte ich erkennen, dass er genauso ein Neuling wie ich war.

So erklärte ich ihm, warum er hier war und dass es so eine Art Aufpasser gab.

Er bot mir lächelnd seine Hand an, um auf sein Boot hinüber zu steigen. Es war besser, seine Zeit gemeinsam zu verbringen, als alleine.

Doch gerade, als ich einen Fuß in sein Boot setzte, tauchte aus dem braunen, dunklen Wasser eine unheimliche Gestalt auf: der Tod.

Er war längst nicht so, wie ihn alle beschrieben. Es fing sich schon dabei an, dass der Tod weiblich war!

Doch das änderte nichts an ihrem furchteinflößendem Anblick: völlig in schwarz gekleidet, eine weite Kapuze auf dem Kopf. Ihr Gesicht überraschend jung und ihre Gestalt etwas kleiner als meine. Ihre Haut so schwarz wie Ruß, sogar ihre Lippen. Doch dass man etwas Falsch gemacht hatte, konnte man erst erkennen, wenn sie mit ihren dunkelroten Augen zu einem auf starrte.

Ich schluckte tiefst eingeschüchtert. War sie hier, um mich zu holen? Nein; es war die erste Verwarnung.

Brav nahm ich den Fuß vom grauen Boot meines neugewonnenen Freundes und setzte mich zurück auf mein Floß. Ehe ich mich versah, war der Tod auch schon verschwunden.

Nannte ich den Butler von vorhin einen Aufpasser? Ich hatte mich geirrt, das war mir nun klar.
 

Nach einem „Tag“ war die Probezeit vorbei. Ich war nicht mehr alleine und durfte innerhalb und etwas außerhalb des Flusses gehen, wo immer ich auch wollte.

Ich lernte die anderen Seelen etwas besser kennen und erkannte, dass jeder hier in dem alter existierte, in dem er gestorben war.

Auch den Butler und den Tod sah ich öfters – nicht, weil ich etwas angestellt hatte, sondern weil sie wann immer sie gebraucht wurden, bei der entsprechenden Seele auftauchten. Es war ihr Job. Sie schmissen hier den Laden. Wer allerdings von den beiden der Boss war, wusste ich nicht so genau. Ich tippte auf den weiblichen Tod, da sie doch die Macht hatte, eine Seele endgültig zu vernichten.

Ich blickte mich erstaunt um, als mein rechtes noch funktionierendes Ohr ein Bellen vernahm. Das Bellen eines Hundes.

Tatsächlich sprang ein Hund über die Flöße und Boote – mir war gar nicht bewusst, dass auch Tiere hier landeten. Er war relativ groß und hatte mittellanges Haar. Die Ohren waren Aufgerichtet wie bei einem Schäfer, die Fellfarbe wechselte zwischen schwarz, braun, gelb und weiß. Stets war er am Hecheln; wohl hatte er Stress. Suchte er jemanden?

Ja, es war ein Rüde. Das konnte ich klar erkennen. Ehe ich ihn berühren konnte, als er über mein Floß sprang, war er auch schon weg: er kratzte gegen eine Glastür eines rotweißen Schiffes, welches zum bersten vollgefüllt mit Menschen war. Dahinter konnte man einen zweiten Hund erkennen.

Kannten sie sich? War sie seine Partnerin?

Mir schossen vor Mitleid fast schon die Tränen in die Augen: es wirkte, als ob der Rüde gerade erst am Fluss des Lebens ankam und nun nach seiner Partnerin gesucht hatte. Gerade als ich mich erhob, um gegen die Glastür zu klopfen, damit dem Hund die Tür geöffnet wurde, öffnete bereits jemand innerhalb des Schiffes die Tür. Der Hund sprang hinein und die Tür schloss sich wieder.

Kein wunder, dass der Butler und der Tod so gut aufpassten: die Seelen sollten ihre Fahrt möglichst in Frieden antreten. Und wenn ein fauler Wurm in diesem Schiff wäre, der dem Hund nicht die Türe geöffnet hätte, würde der Hund niemals mit seiner Partnerin vereint werden.
 

Es verging noch mehr Zeit am Fluss des Lebens. Gemeinsam mit meinem neugewonnenen Freund ging ich den linken Rand entlang. Wir unterhielten uns und beobachteten die Menschen, die etwas schneller als wir das Wasser entlang fuhren.

Auch sahen wir ab und zu, wie die Aufpasser hier und da einmal bei den Leuten auftauchten und danach wieder verschwanden.

Mein Freund und ich blieben abrupt stehen, als der Butler bei uns auftauchte. Er fragte, wie es uns ginge und ob wir uns schon an die Umstände gewöhnt hätten.

Wir bejahten beides, doch wurde in mir auch eine Bitte laut. Der Butler meinte, er sei eine Art Bote und könne keine Wünsche erfüllen. Auch erklärte er mir, als ich ihn nach dem Tod fragte, dass sie weit aus weniger gefährlich und einschüchtern sei, als ich annahm. Sie sei nur im geringem Teil zum Leben nehmen da; vielmehr solle ich sie fragen, sollte mir ein Wunsch am Herzen liegen.

So blickte ich auf die andere Seite des Flusses, an dem der Tod gerade stand. Ich überwand meine Angst und sagte meinem Freund, dass er hier auf mich warten solle. Kurzerhand sprang ich über die Boote, bis hin zum Tod.

Immer noch fand sie ich höchst unheimlich. Ohne einem lächeln starrte sie mich wieder mit ihren dunkelroten Augen an. Ich faltete höflich meine Hände und machte mich sogar etwas kleiner als sie war, um respektvoll meinen Wunsch zu äußern.

Alles was sie tat, war nach einer kurzen Pause zu nicken. Ich fühlte mich dabei sehr erleichtert und wusste nun, dass der Tod weit aus weniger Schlimm war, als ich annahm.

Was das für ein Wunsch war, weiß ich nicht mehr.

Ich weiß nur, dass er mir unbemerkt in Erfüllung ging.
 

Ein paar Stunden später lernte ich, was passiert, wenn einer nach langer Zeit seines Aufenthaltes am Fluss aus der Reihe tanzte. Ich meinte damit so wirklich. Zum Beispiel, in dem er eine andere Seele ins dunkle Wasser stieß.

Nein, ich war nicht der üble Mensch. Vielmehr ein Vollarsch, der mir schon vor einiger Zeit ins Auge sprang.

Kurzum: der Tod fing den flüchtenden ein und tauchte mit ihm auf der Seite des Flusses auf. Dort wartete bereits der Butler, dessen Zweitaufgabe mir erst jetzt bewusst wurde. Der zu bestrafende wurde an einen Stuhl gefesselt, ehe der Butler begann, seine Schädeldecke aufzuschneiden...

Nun, um diese Stelle zu zensieren, einfache zwei Worte: zerstörtes Gehirn.

Erst, als dem Kriminellen die Persönlichkeit genommen wahr, nahm ihn der Tod mit in das schwarze Wasser. Ich weiß nicht genau, welchen Grund die Prozedur hatte, doch war ich nun noch viel mehr bestärkt darin, auf dem rechten Weg zu bleiben und anderen zu helfen.
 

Was am Ende meiner Reise auf dem Fluss des Lebens lag, fand ich nie heraus. Ich wusste, dass die Reise noch lange nicht vorbei war. Höchstwahrscheinlich hätte ich noch eine ganze Nacht träumen müssen, um das Ende zu sehen.

Jedoch war ich zeitgleich sehr froh darüber, dass mein Wecker mich in mein Bett zurückholte. Ich war noch am Leben und der Tag fing noch immer dort an, wo der letzte Endete.

Was hinter dem Tod lag konnte ich nach wie vor nicht sagen. Vielleicht träumte ich das auch nur, um den Tod meiner letztlich verstorbenen Ratte zu verarbeiten. Immerhin war ich nun Untertags allein in meiner Wohnung.

Doch der Traum machte mir wieder einmal klar, dass man das Leben genießen sollte, solange einem die Zeit noch davon lief.



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