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Vergiss-es-Rum

von

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White Nero-niichan

„Kommst du?“, hakte der Kleine nach und machte Anstalten, auf die Brüstung zu klettern. „Das machen wir besser anders rum. Ich springe runter und du springst hinterher, so dass ich dich auffangen kann“, bestimmte Sanji. Raion nickte und stellte sich brav wieder auf den Boden. Sanji sprang in einem Satz über das Geländer und landete elegant auf der Insel. „Bist du unten?“, wollte der Kleine wissen. „Ja, du kannst springen“, bestätigte der Koch. Ohne zu zögern schwang sich Klein-Sanji über die Brüstung und liess sich in Sanjis Arme fallen. „Das war cool!“, meinte er begeistert, als Sanji ihn auf den sandigen Untergrund stellte. Sanji lachte. Er mochte den Kleinen. Er schien keine Angst zu kennen und war schon in seinen jungen Jahren ein ziemlicher Dickschädel. Kaum hatte er sich eine Kippe angezündet, packte der Knirps seine Hand und rannte los. „Wir müssen uns verstecken. Wenn White-san herausfindet, dass wir auf der Insel sind, wird er stinkwütend und dann muss Nero-san darunter leiden“, meinte er und rannte auf die Palmen zu, die nicht weit von ihnen entfernt wuchsen.
 

„Dieser White scheint ein ziemlicher Tyrann zu sein“, stellte Sanji fest, als sie bei den Bäumen angekommen waren. „Er meint es nur gut, aber er ist stur. Seit der Metall-Mann Nero-san den Stein geschenkt hat, spinnt er total. Er ist völlig ausgeflippt, als Nero-san damit nachhause gekommen ist und hat von ihm verlangt, dass er den Stein zurückgibt. Als Nero-san sich geweigert hat, wollte er den Stein selber zurückbringen, also habe ich ihn versteckt“, erwiderte der Junge. „Verstehe. Darum ging es also bei dem Streit“, meinte Sanji und zog an seiner Zigarette. „Wieso gebt ihr den Stein nicht einfach zurück, wenn deshalb bei euch der Haussegen schief hängt?“, wollte er harmlos wissen und atmete den Rauch aus.
 

Raion blieb so abrupt stehen, dass Sanji um ein Haar mit ihm zusammengestossen wäre. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah den Grösseren böse an. „Willst du das etwa?“, fragte er, als wäre er aus allen Wolken gefallen. Seine Haare standen angriffslustig von seinem Kopf ab und er wirkte wie ein kleiner Löwe. Sanji war von dem plötzlichen Stimmungswechsel so überrumpelt, dass er zuerst keinen Ton hervor brachte, was Raion noch wütender machte. „Nero-san verteidigt den Stein für dich und du schlägst vor, ihn zurückzugeben?! Du solltest nicht immer auf White-san hören“, beschwerte er sich. Kopfschüttelnd drehte er sich um und stapfte verärgert weiter. Sanji war stehen geblieben und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war, doch es war zwecklos. Also rannte er dem Knirps hinterher und packte ihn an der Schulter, damit er stoppte. „Sorry Kleiner, aber ich habe keine Ahnung, wovon du redest“, erklärte er wahrheitsgetreu. Der kleine Koch musterte ihn eine Weile skeptisch, ehe er zum Schluss kam, dass Sanji die Wahrheit sagte. „Oh Mann“, seufzte er und klatschte sich die Hand gegen die Stirn. „Du erinnerst dich nicht an das letzte Mal, als du hier warst, hm?“, fragte er erkennend. „Nein. Warum, sollte ich?“, fragte Sanji verdutzt zurück. „Na schön, ich werde es dir erklären. Es dauert eh noch ne Weile, bis wir die Nachtseite erreichen. Hör zu“, wies ihn der Kleine an.
 

„Vor ein paar Jahren bist du hier gelandet, weil du richtig Mist gebaut hast. Du hattest einen ähnlichen Stein geschenkt bekommen, wie Nero-san. Du hast dich wahnsinnig über das Geschenk gefreut, aber du warst zu schusselig, um richtig darauf aufzupassen. Derjenige, der ihn dir geschenkt hatte, hat ihn zurückgenommen, weil er dachte, du wüsstest das Geschenk nicht zu schätzen. Du bist völlig ausgetickt. Du wusstest es nämlich sehr wohl zu würdigen, aber wie gesagt, du warst eben zu schusselig und hast dich durch das Glitzern der Welt ablenken lassen. Du hast es ja nicht böse gemeint. So bist du eben. Alles was glänzt und glitzert bereitet dir Freude, aber mit deiner Begeisterung für das Funkeln und Glitzern hast du den Schenker verletzt, ohne es zu merken. Jedenfalls bist du hierhergekommen, um White Neros Hilfe zu fordern. Du hast dich in deiner ganzen Frustration vor ihm aufgebaut und verlangt: ‚Befrei mich davon‘.“ Sanji zog an seiner Kippe. Er kannte zwar die Worte, die der Kleine verwendete, doch er verstand nicht, was er ihm erzählte. „Warte mal. Wieso sprichst du jetzt von ‚White Nero‘ und nicht mehr von ‚White‘ und ‚Nero‘?“, Sanji hob fragend die Augenbraue und sah seinen kleinen Begleiter irritiert an. Raion war erneut stehen geblieben und blickte skeptisch hoch zu dem blonden Mann. „Was hast du seit deinem letzten Besuch bloss angestellt, dass du mich so dämliche Sachen fragst?“, erwiderte er entsetzt und schüttelte resigniert den Kopf. „White-san und Nero-san sind zwei Aspekte von White Nero. Dein Besuch von damals hat die beiden Prinzipien gegeneinander aufgebracht, so dass sich die zwei Seiten voneinander getrennt und verselbständigt haben.“ Sanjis Augen weiteten sich. Wie sollte er das denn angestellt haben? Doch er verkniff sich die Frage und hoffte, dass der Kleine von selber darauf zu sprechen käme.
 

Mittlerweile befanden sie sich tief im Wald. Die Luft war dunstig und der weiche Waldboden dämpfte ihre Schritte. Der kleine Koch ging voraus und der Grössere folgte ihm.
 

„Zurück zum Wesentlichen. White Nero fragte: ‚Wovon soll ich dich befreien?‘ Zur Antwort hast du dein Jackett zur Seite geschoben. Dein Hemd war blutgetränkt. Du hast es zerrissen und wir konnten die Dornen sehen, die sich in dein Fleisch gegraben hatten. Sie waren dafür verantwortlich, dass dein weisses Hemd triefend rot leuchtete. White Nero schloss die Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf. ‚Dabei kann ich dir nicht helfen. Das hast du dir selber angetan‘, sagte er. ‚Du spinnst ja!‘, hast du geschrien. ‚Du hasst dich selber, weil du dem Funkeln der Welt nicht widerstehen konntest und deshalb einen viel grösseren Schatz verloren hast‘, sagte White Nero traurig und berührte deine blutige Brust. ‚Aber das bringt dir nichts, das macht es nicht besser. Akzeptiere und lerne‘, hat er mit gesenktem Blick angefügt. Deine Augen wurden leer und ausdruckslos. Du bist auf den Boden gesunken und hast ins Nichts gestarrt. White Nero hat dir eine Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: ‚Bertrauere deinen Verlust und fange neu an.‘
 

Du bist stundenlang regungslos im warmen Gras gesessen. Auf nichts hast du reagiert, es war unheimlich. Nach einer gefühlten Ewigkeit bist du aufgestanden. Du bist vor White Nero getreten, die Augen schwarz und kalt. ‚Fühlst du dich besser?‘, fragte er gefasst. ‚Ja. Es geht viel besser. Ich weiss jetzt, wie ich in Zukunft damit umgehe. Schätze interessieren mich nicht. Ich werde mir nicht nochmal die Finger verbrennen‘, hast du verkündet und die Dornen verschwanden. Auch der scharlachrote, zerfetzte Stoff verschwand. An seiner Statt erschien ein schwarzes Kettenhemd. Blankes Entsetzen spiegelte sich in White Neros Gesicht. ‚Überdenke diese Entscheidung, mein Freund‘, warnte er. ‚Nein‘, war deine Antwort. Über uns manifestierten sich aus dem nichts kohlenschwarze Gewitterwolken, die unseren herrlichen Garten in Dunkelheit hüllten. Belendend weisse Blitze fuhren aus den Wolken hernieder und verwüsteten die Beete. Ein tosender Wind zerrte an den Baumkronen und Büschen. Das Unwetter zerstörte unser Paradies. White Nero sah entgeistert um sich. ‚SCHLUSS DAMIT!‘, befahl er und plötzlich war alles still. Die Blätter der Bäume erstarrten in der Luft gerade dort, wo der Wind sie hingetragen hatte. Die Äste der Trauerweiden standen windschief ab, die Regentropfen verharrten in ihrem Fall zur Erde. Ein viel zu helles Licht umhüllte White Nero, es knallte und mit einem Schlag war alles wieder wie zuvor. Fast, jedenfalls. Dein Kettenhemd war weg, deine Kleidung wieder sauber und gepflegt und White Nero hatte sich in White-san und Nero-san gespalten. Hatte White Nero einen weissen Anzug mit weissem Hemd, schwarzer Krawatte und schwarzen Schuhen getragen, so trugen seine einzelnen Aspekte nur noch eine der zwei Farben. Auch ihre Haare waren einfarbig: White-san hatte platinblondes und Nero-san pechschwarzes Haar.
 

Sowie sich White-san und Nero-san in die Augen sahen, begannen sie zu streiten. ‚Wieso hast du dich von mir getrennt?!‘, brüllte White-san. ‚Hast du nicht gesehen, dass es ihm mit seiner Entscheidung viel besser ging?‘, fragte er wütend und zündete sich eine Zigarette an. ‚Vielleicht ging es ihm in diesem Moment besser, aber auf lange Sicht wäre das keine Lösung gewesen‘, antwortete Nero-san leise. Du hast dir irritiert die Stirn gerieben und die beiden verständnislos angesehen. Du sahst dich fragend um und entdecktest mich. ‚He Kleiner, worum streiten die sich denn?‘, fragtest du mich. Ich zuckte mit den Achseln. ‚Wo ist White Nero?‘, fragte ich zurück. Du wusstest es nicht. Woher auch? ‚Komm, wir suchen ihn. Ist er dein Papa?‘, wolltest du wissen und reichtest mir die Hand. ‚Mein grosser Bruder und mein Lehrer!‘, erklärte ich stolz. ‚Ich hätte auch gerne einen grossen Bruder gehabt‘, sagtest du und lachtest“, beendete der Knirps seine Erzählung.
 

„Wieso hat sich White Nero in White und Nero gespalten?“, fragte Sanji und runzelte die Stirn. „Weil er so verhindern konnte, dass du dein Herz verschliesst. Aber auch das ist keine Lösung für die Ewigkeit. Mit der Zeit wird es dir schaden, dass White-san und Nero-san getrennte Wege zu gehen suchen. Momentan leben sie noch eng zusammen, aber ihre Streitereien werden immer schlimmer. Wenn sich einer der beiden dazu entschliesst, unser Zuhause zu verlassen, bedeutet das dein Ende. Der eine wird ohne den anderen den Garten nicht mehr pflegen, er wird veröden. Der eine wird mich ohne den anderen nicht mehr wecken, ich werde für immer schlafen“, antwortete Raion. „Und ich werde sterben“, sagte Sanji nachdenklich. „Willst du das damit sagen?“, hakte er nach. Der Kleine lächelte. „Jeder stirbt, Sanji. Wenn Körper, Geist und Seele nicht im Einklang sind, wiegt die Last der irdischen Existenz zu schwer und das System muss sich auflösen, um von vorne zu beginnen.“
 

Sanji sollte sterben, wenn White und Nero sich nicht wieder vereinigten? Das konnte er nicht so recht glauben. Es ging ihm gut und wenn etwas nicht in Ordnung mit ihm wäre, würde er es bemerken. Er konnte sich an all das, was ihm Raion erzählt hatte, nicht erinnern, doch fühlte sich die Geschichte vertraut an. Hier war es wirklich schräg, dachte er und gähnte. „Wie ging die Geschichte weiter?“, fragte er trotzdem. „Das ist keine Geschichte, es ist deine Vergangenheit“, widersprach der Angeredete unbekümmert. „Na schön, was ist passiert, nachdem sich White Nero gespalten hat?“, verbesserte er sich. „Du bist bei der Suche nach ihm in den All Blue gefallen und verschwunden“, meinte Raion achselzuckend. Er blieb stehen. „Da vorne ist sie. Die Nachseite. Siehst du das orange Licht?“, fragte er und zeigte in Richtung Waldrand. Sanji bemerkte erst jetzt, dass es im Wald um ihn herum zapfenduster geworden war und er kaum noch den Weg unter seinen Füssen erkennen konnte. Er sah in die Richtung, in die der Kleine zeigte. Tatsächlich, er sah es. Und er wusste genau, was den orangen Schein erzeugte: Ein Feuer.



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