Er kniete vor seiner Majestät nieder. Ich stand so wie die anderen Bürger der Stadt hinter den Gardisten, versuchte mich so weit wie möglich nach vorne zu drücken und einen Blick auf den großen Kriegshelden zu werfen. Lord Therenas, der Hüter, war alt geworden. Die silbernen Harre ruhten, zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden, auf seiner Plattenrüstung. Den Flügelhelm hatte er unter seinen rechten Arm geklemmt und das Langschwert lag zu seiner Linken auf dem purpurnen Teppich. Als er den Segen und den Dank unseres König empfangen hatte, sich erhob und sich der Bevölkerung zuwandte brach Jubel aus. Die einfache Stadtbevölkerung rings um mich feierte den großen Helden Therenas. Der Adel, welcher sich über uns auf den Balustraden befand, bekundete mit vornehmen Klatschen seine Anerkennung. Wirkliche Freude schien der Krieger aber nicht zu empfinden. Er war noch nie jemand gewesen, der sich in der Anerkennung und dem Lob anderer badete. Er war ein einfacher, ein schlichter Soldat. Ein Mann des Volkes. Daran hatte auch seine Erhebung in den Adelsstand und die Ernennung zum General anscheinend nur wenig geändert. Therenas's blaue Augen blickten vollkommen ausdruckslos über die Gesichter seiner Bewunderer. Über unsere Gesichter. Mit langsamen Schritten bewegte er sich auf die Pforte des Thronsaales zu. Vor den Toren warteten noch mehr Menschen aus dem gemeinen Volk um wenigstens einen kurzen Blick auf einen der bedeutendsten Männer unseres Reiches zu werfen. Jener Mann, der als Niemand geboren, als Schmiedelehrling aufgewachsen und innerhalb von 30 weiteren Jahren zum Helden des Königreiches aufgestiegen war. Seine Verdienste waren zahlreich und es würde zu lange dauern sie alle aufzuzählen. Die Menschen vor der Burg bejubelten ihn und warfen ihm Blumen zu, doch er reagierte nicht. Es schien für ihn ohne jede Bedeutung zu sein, das ihm die Menschen dafür dankten, dass er sie und das Reich beschützte. Dies war seine Aufgabe als Soldat und General des Königreichs. Jedes andere Verhalten würde dem Kodex der Ritter widersprechen und dies käme für einen so stolzen und auf seine Ehre achtenden Krieger wie Lord Therenas niemals in Frage. Ein Mann, der sich immer für die Schwächsten einsetzte und bereit war sein Leben zu opfern um andere zu schützen. Er hatte sich charakterlich kein bisschen verändert, seitdem unsere Wege auseinander gegangen waren. Er stieg einfach nur auf seinen Rappen und ließ das Pferd lostraben. Seine engsten Vertrauten begleiteten ihn bei dem Siegeszug durch die Stadt, winkten der Bevölkerung zu und wechselten einige kurze Worte mit Lord Therenas. Dann verschwand der General vollkommen aus meinem Gesichtsfeld.
Ich drängte nach draußen, duckte mich in eine Seitengasse und war für die Augen der Wachen und Bürger der Stadt nicht mehr zu sehen. Ein idealer Zeitpunkt. Ich nutzte meine Magie um mit der Umgebung zu verschmelzen. Ich benutzte einen Chamäleon-Zauber, so nennen ihn die Magier und Gelehrten. Dadurch war ich so gut wie unsichtbar. Ich kannte die Route des Siegeszuges, nahm einige Abkürzungen und lief schon wenige Minuten später unbemerkt neben Lord Therenas her. Lediglich die Pferde mit ihren feineren Sinnen bemerkten meine Anwesenheit und scheuten. Ihre Reiter störte dies allerdings nicht weiter. Sie ignorierten es einfach. Dadurch erfuhr ich, wann die Festlichkeiten im Thronsaal enden würden und wo sich das Gemach des Lord´s im Schloss befand. Damit hatte ich alle Informationen, die ich brauchte. Ich begab mich eiligst wieder in den Schatten der Gassen, denn ich hatte meine magischen Kräfte fast vollkommen ausgeschöpft. Geschützt vor neugierigen Blicken ließ ich den Zauber schließlich fallen. Ich blieb noch eine Weile im Schutz der Häuser stehen, ehe ich mich so unauffällig wie möglich wieder in Bewegung setzte. Auf dem Weg nach Hause wurde ich von zwei Hofmagiern des Königs verfolgt. Vielleicht spürten sie bereits zu diesem Zeitpunkt etwas. In den engen Gassen des Armenviertels konnte ich sie jedoch abhängen und in meinen Unterschlupf abtauchen. Dort bereitete ich mich schließlich auf die Nacht vor.
Dunkle Wolken verdeckten die Sterne, welche den Himmel bevölkerten, und verschlangen das wenige Licht, das sie spendeten. Auch die abnehmende Mondsichel wurde von den Gewitterwolken verdeckt, welche sich unheilverkündend auf die Königsstadt zubewegten. Für meine Unternehmung war es also die ideale Nacht. Dank meines Chamäleon-Zaubers bemerkte keine der Wachen mein Eindringen in den Palast und die Hofmagier waren durch den kleinen Höllenhund beschäftigt, den ich als Ablenkung beschworen und in der Stadt hatte wüten lassen. Ich schlich durch die nur von wenigen Fackeln beleuchteten Gänge. Als ich Schritte auf mich zukommen hörte presste ich mich an die kalte Steinwand. Meine magischen Kräften waren noch nicht wieder voll regeneriert, außerdem wusste ich, dass ich sie noch mindestens einmal in dieser Nacht benötigen würde. Also musste ich anders vorgehen als geplant. Der Wachsoldat kam um die Ecke. Noch ehe er reagieren konnte drückte ich ihm eine Hand auf den Mund und schnitt ihm mit meinem Kurzschwert die Kehle durch. Seine Gegenwehr erstarb schnell. Ich warf den leblosen Körper aus dem nächsten Fenster, hinab in den Burggraben. Dort würde sicherlich niemand die Leiche finden. Nun musste ich allerdings schnell handeln. Ich schlich mich weiter durch die düsteren Gänge, ich wusste genau wo ich hin wollte. Glücklicherweise wurde ich nicht noch einmal gestört. Vor seinem Schlafgemach hielt ich kurz inne. Ich drückte mein Ohr an die hölzerne Tür. Aus dem inneren ertönte ein leichtes Schnarchen. Perfekt! Ich flüsterte einige Worte in der arkanen Sprache um das Schloss zu öffnen. Die Verriegelung signalisierte mir mit einem leisen Klicken, dass sie nun offen war. Die Tür gab einen protestierenden Laut von sich, als ich sie vorsichtig aufdrückte. Lord Therenas wurde jedoch nicht wach. Ich ging auf sein Bett zu, legte den kalten Stahl des Kurzschwertes an seine Kehle und zögerte einen Augenblick. Ich zögerte einen tapferen und stolzen Krieger in aller Heimlichkeit zu beseitigen, ihn zu töten ohne ihm die Chance zu geben sich zu wehren. Ich konnte es mir allerdings nicht erlauben ein Risiko einzugehen, in einem fairen Kampf wäre ich Lord Therenas sicherlich unterlegen gewesen. Ich machte einen sauberen Schnitt und löschte somit seine Lebensflamme. Ich vermute, dass er seinen Tod noch nicht einmal bemerkte. Danach verschwand ich auf dem selben Weg wieder, den ich hinein genommen hatte. Nachdem die Tat bemerkt wurde sandte der König sein Hofmagier aus um den Täter, mich, zu finden. Sie wirkten vermutlich Spürzauber, Magie welche in der Lage ist, die Aura einer Person wahrzunehmen und nachzuverfolgen. Bei meinem Rückzug hatte ich vergessen sämtliche Aura- und Magierückstände zu beseitigen. Ein verheerender Fehler und der Grund warum ich jetzt hier bin...
„Ihr Fürsten und Fürstinnen, Generäle, Offiziere und Bürger. Ihr alle habt vernommen was der Angeklagte gesagt hat. Lord Therenas, unser Kriegsheld, Fürst von Burg Ihran, General der achten Legion und Diener seiner Majestät König Reson´s, wurde von diesem Mann feige gemeuchelt. Die Anklage lautet Mord an Lord Therenas und einem Gardisten des Königs sowie Hochverrat. Hinzu kommen jene Schäden, welche von der Kreatur angerichtet wurden, welche der Angeklagte herbeigerufen hatte.“
Der Sprecher auf dem Schafott machte eine theatralische Pause um die Spannung bei der einfachen Bevölkerung noch weiter anzufachen.
„Das Urteil lautet Tod!“
Die Menge brach in tosendem Jubel aus. Der Sprecher musste die nächsten Worte brüllen, damit sie jeder vernehmen konnte.
„Aufgrund der Schwere des Vergehens wird dem Todgeweihten das Recht auf einen letzten Wunsch nicht gewehrt. Henker, vollstreckt nun das Urteil.“
Als das Richtbeil den Kopf vom Rest des Körpers trennte war nicht nur das einfache Volk höchst erfreut. Auch König Reson schmunzelte, jedoch sehr verhalten.
„Nun da er tot ist und die Menschen ihr Opfer erhalten haben wird niemand mehr der Sache nachgehen euer Majestät.“
„Das möchte ich doch hoffen. Es wäre nicht gut wenn dem Pöbel zu Ohren kommt, dass Lord Therenas in Wirklichkeit durch Gift umgekommen ist und sein Hals erst später diese ungesunde Schnittwunde erhalten hat.“
„Ich werde sicherheitshalber ein Königsbegräbnis vorschlagen, aufgrund seiner Verdienste scheint dies auch plausibel zu sein. Aus seiner Asche wird niemand mehr etwas über seinen Tod herausfinden können.“
König Reson nickte langsam.
„Es ist wirklich eine Schande das wir ihn beseitigen mussten, er hat stets tapfer gekämpft und meinem Vater und mir loyal gedient aber sein Einfluss ist in den letzten Jahren gefährlich angewachsen. Eure Magier haben bei diesem armen Tölpel übrigens gute Arbeit geleistet, Magister.“
„Ich bitte euch euer Majestät. Die Erinnerungen eines einfachen Mannes zu manipulieren ist keine Herausforderung für die Hofmagier, eure Hofmagier, euer Majestät. Den Höllenhund zu beschwören und später wieder zu beseitigen war schon wesentlich schwieriger. Ich verstehe nur noch nicht ganz, warum dies nötig war.“
„Ganz einfach. Der einfache Pöbel ist schnell zufrieden zu stellen aber die höheren Mitglieder der Armee und die Fürsten würden sich sicherlich Fragen, wie jemand mit Hilfe von Magie in das Schloss eindringen konnte ohne dass ihn die Hofmagier bemerkten.“
„Und wenn er ohne Magie eingedrungen wäre, würde die Frage aufkommen warum er den Wachen nicht aufgefallen ist. Ihr habt wirklich an alles Gedacht euer Majestät.“
„Und weil ich stets alles kalkuliere bin ich auch der Herrscher dieses Reiches. Nun gut. Dann beenden wir hiermit das Thema Lord Therenas. Möge unser Held in Frieden ruhen.“