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Schlag dem Drachen den Kopf ab!

Original-Speedwichteln für Andromeda
von

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4

 

 

Nur wenige Augenblicke, nachdem Rubio eingeschlafen war, erwachte Isidor. Sein Kopf fühlte sich so schwer an, als läge ein riesiger Felsblock auf ihm. Isidor rieb sich matt über die Augenlider und wartete, bis der Druck in seinem Kopf nachließ und er die Augen öffnen konnte, ohne dass sich alles um ihn herum drehte.

 

Langsam klärten sich die verschwommenen Bilder vor Isidors Augen und mit jedem Ding, das sich aus dem Zerrbild klarer hervorzuheben begann, kehrte auch der Teil seiner Erinnerung zurück, der ihn nie im Stich ließ.

 

Isidor wusste, dass das Zwitschern, das aus den Ästen der alten Bäume über ihnen erklang, Vögel waren, die die aufgehende Sonne begrüßten.

Er wusste auch, dass es die Luft war, die kristallklar in jeden Winkel der Erde fuhr und die Schwere der Nacht daraus vertrieb.

Die Wassertröpfchen, die im Sonnenlicht wie winzige Sterne glänzten, die in der Nacht vom Himmel gefallen waren, hießen Tau und die filigranen Fäden, auf denen sie aufgereiht saßen, nannte man Spinnennetze, die von...

Isidor musste sich anstrengen, um das Wort für das Tier zu finden, das zu den seidigen Netzen gehörte, die sich trotz ihrer Zartheit ohne zu zerreißen im Wind wiegten.

Spinne!

Einen Moment lang ärgerte sich Isidor darüber, dass ihm die Spinne nicht gleich eingefallen war, obwohl er das Wort für ihre Behausung gekannt hatte, das sie unermüdlich wob, ganz gleich, ob Sturm oder Regen drohte.

 

Isidor atmete einige Male tief ein und aus, weil er glaubte, dass ihm das beim Konzentrieren helfen könnte, und fuhr damit fort, seine Gedanken zu sortieren.

Es war Morgen.

Die Bäume warfen ihre Schatten über die duftende Wiese.

Am Himmel zogen orange leuchtende Wolken fedrige Fächer über das Blau.

Sein Name war Isidor und neben ihm lag

 

"Rubio."

 

"Wer denn sonst", antwortete der längliche Hügel neben Isidor, von dem kaum mehr als die Decke und ein paar dunkle Haarsträhnen zu erkennen war.

 

"Rubio", wiederholte Isidor noch einmal. Der Name verklang unbeantwortet. Sein Träger war bereits wieder eingeschlafen und Isidor war erneut mit seinen Gedanken alleine. Es bedrückte ihn nicht einmal mehr, dass er das war.

Dass er sich genauso klar an Rubio erinnerte wie an sich selbst, genügte ihm, um nicht um die Dinge zu trauern, die am Fuße des unüberwindbar tiefen Tals lagen, das zwischen Gestern und Heute klaffte. Dieser Riss in seiner Erinnerung mochte für ihn vielleicht nicht mehr zu bezwingen sein, doch wichtig war eigentlich nur das, was nie in den Schatten verschwand, welche die steilen Wände dieses Tals warfen.

Und Rubio war Isidors Netz, das über dem Tal gespannt war und auch im stärksten Sturm nicht riss. Es fing den Tau auf, welcher in der Nacht aus Isidors Gedächtnis tröpfelte und hielt die Erinnerungen fest, bis der Morgen erwachte. Die Meisten jedenfalls.

Die beiden Pferde, die unweit ihres Nachtlagers angebunden waren, zupften genüsslich die nassen Grashalme aus der Erde. Der Schimmel gehörte Rubio. Er hieß Ganser. Nur der Fuchs war neu für Isidor. Vermutlich gehörte das namenlose Pferd ihm, denn dass sie beide auf nur einem einzigen Pferd unterwegs gewesen waren, schien selbst Isidor nicht einleuchtend.

 

Unterwegs.

Der nächste Gedächtnisfetzen, der sich an die Oberfläche zu kämpfen versuchte.

 

Isidor bemühte sich, jede seiner Erinnerungen, die noch da waren, von allen Seiten zu betrachten. Um die erloschene Feuerstelle lag ihr Proviant. Sie waren also tatsächlich unterwegs gewesen, so viel schloss er aus dem, was er sehen konnte. Mehr fiel ihm nicht dazu ein, weder Zweck ihrer Reise, noch deren Ziel.

 

Ein Eisenring zog sich um Isidors Magen. Ihm wurde bang und er rückte näher zu dem atmenden Deckenhügel hin. Isidor schob seine Hand unter die Decke und tastete nach Rubios Hand, die auf dessen Bauch ruhte und die kalten, haltsuchenden Finger seines Gefährten umfasste und beruhigend drückte, als sie ihn zitternd erreichten.

 

"Du wolltest einen Drachen suchen", flüsterte Rubio im Halbschlaf.

 

Isidor meinte einen Moment, sich an einen Drachen zu erinnern, war sich aber nicht sicher. Er wandte sich Rubio zu, der mit geschlossenen Augen da lag.

"Haben wir ihn gefunden?"

 

"Wen?"

 

"Den Drachen", erinnerte Isidor den jungen Mann neben sich an ihr Gesprächsthema.

 

"Nein – aber heute werden wir ihn bestimmt finden..." Rubio gähnte und schlief prompt wieder ein.

 

Langsam schwand die Angst, die Isidor so plötzlich überfallen hatte. Eine Weile noch sah er dem schlummernden Rubio zu, dann lehnte er seine Stirn gegen Rubios Schulter, die sich mit jedem Ein- und Ausatmen leicht hob und senkte, und schloss die Augen, ohne aber selbst wieder einzuschlafen. Er wollte nur hier liegen und das einzige Vertraute, das ihm geblieben war, so tief wie möglich in sein Unterbewusstsein einbrennen lassen; der sanfte Ledergeruch, der von Rubios Wams ausging, die samtige Oberfläche des Kleidungsstücks, die glatten Knöpfe aus schimmernd poliertem Horn. Aber vor allem Rubios Hand, die selbst im Schlaf Isidors Hand umschloss und beruhigend drückte, wie sie es schon so oft getan hatte – die wollte er als letztes vergessen, wenn es irgendwann einmal so weit sein sollte.

 

 

Seufzend ließ sich Rubio neben Isidor im Gras vor der Feuerstelle nieder. Er streckte die Arme über seinen Kopf und versuchte, die letzte Müdigkeit daraus zu vertreiben. Er hätte gut und gerne noch länger schlafen können, doch irgendwann hatte ihn Isidor mit seinem Gerede darüber, endlich weiter zu reiten, so sehr genervt, dass Rubio, der eigentlich noch hundemüde war, aufgestanden war.

 

"Hier."

 

"Ich habe keinen Hunger", lehnte Rubio das Essen matt ab, das ihm Isidor anbot. Natürlich war er hungrig, doch die schlaflose Nacht steckte ihm noch immer in den Knochen und er war einfach nur zu erschöpft, um zu essen.

 

Unbeeindruckt aß Isidor sein Frühstück und bemühte sich, sich nichts von dem anmerken zu lassen, was ihn seit dem Aufwachen heute morgen so beunruhigte. Er wollte endlich wissen, wohin ihre Reise führte, die er – neben sicher tausend anderen Dingen - völlig vergessen hatte.

"Ist es noch weit entfernt?"

 

Rubio hob den Kopf und sah Isidor einen Augenblick lang irritiert an, bis er begriff, dass dieser von ihrer Reise sprach.

"Oh", Rubio kämpfte mit der Antwort. Wut kroch in ihm hoch. Er dachte an den mit Geldstücken gefüllten Lederbeutel und daran, dass er sich hatte bezahlen lassen, Isidor von nun an für den Rest ihres Lebens tagtäglich aufs Neue anzulügen.

"Ungefähr so weit wie gestern", fügte Rubio schließlich hinzu. Er schämte sich, dass er Isidor belog, obwohl er die Wahrheit sagte, denn ihr Weg führte sie wieder zurück in ihre Stadt, wo sie gestern erst aufgebrochen waren.

 

"Die Stadt wird dir gefallen", fuhr Rubio fort und gab sich Mühe, fröhlich zu klingen. "Sie liegt direkt am Hafen."

 

"Du hörst dich an, als wärst du schon mal dort gewesen."

 

Bei Isidors Worten durchfuhr Rubio ein eiskalter Schauer, der sein Herz einen Moment lang aussetzen ließ. Rubio musste sich selbst dazu zwingen, die Blicke erneut zu heben und seinen Gefährten anzusehen.



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