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Mick St. John's - Life before -

Moonlight
von

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09. September 1918 – Beginn [Prolog]

▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬Prolog▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬
 

Sein Blick ruhte starr auf der Sonne, die sich langsam dem Horizont näherte und die Stadt in ein angenehmes rot tauchte. Los Angeles war schon immer seine Heimat. Hier lebte er, liebte und genoss er einfach das, was er als zweites Leben ansah.

Der Vampir Mick St. John stand auf dem Dach seines Appartementhauses und betrachtete stumm und schweigend die Stadt, die von oben so friedlich aussah. Ein leises Seufzen, aus der Tiefe seiner Seele verließ seine Lippen. In der ferne hupten ein paar Autos und auch die ein oder andere Party konnte er von hier oben hören. Seine Sinne waren die eines Vampirs. Unglaublich geschärft und sensibel, sodass er manchmal selbst das Gras wachsen hören konnte. Locker verschränkte er die Arme vor seiner Brust und beobachtete die Sonne die ihm ein paar letzte Sonnenstrahlen schenkte. Ein leichtes, schmerzhaftes Kribbeln bildete sich sogleich auf der Haut des Vampirs, doch er ignorierte den Schmerz gekonnt. Er atmete die Nachtluft ein. Ganz leicht nur hob sich ein Mundwinkel an, als er eine Hand, wie einen Schirm über seine Augen hob und in die Sonne blinzelte. Bald begann sie. Die lang ersehnte Nacht. Jagdzeit für Monster. Was für ihn aber nichts anderes als Arbeit bedeutete. Immerhin musste irgendwer die ahnungslosen Menschen vor den Bestien beschützen, die hier in der Stadt lebten. Nicht alle Vampire waren so zivilisiert wie er. Es gab genügend, die Menschen nur als Beute sahen.

Mick wanderte langsam weiter Richtung Dachrand und sah das hohe Gebäude hinab, beobachtete hier und da einzelne Lichter von Autos. Immer mehr senkte sich die Dunkelheit über die Stadt, doch Los Angeles erstrahlte durch die vielen Häuser in einem angenehmen, aber künstlichen Licht.

Erneut atmete der Vampir tief durch und schloss seine blauen Augen einen Moment lang. Das hier war sein Leben und im Moment lief alles gut. Er hatte eine Heimat, Freunde, hatte sogar die Liebe gefunden. Aber sein Leben war nicht immer so. So viele Höhen und Tiefen hatte er ertragen müssen. Nicht nur in seinem Leben als Vampir. Die Briese eines frischen Windes kitzelte ihn an der Nase, wehte durch seine dunkelbraunen Locken, während Mick die Augen schloss und den Kopf in den Nacken legte.

Jede Geschichte hat einen Anfang.

Auch seine Geschichte. Sein Leben. Manch ein Philosoph sagte, dass der, der keine Vergangenheit hat, eine glückliche Zukunft haben kann. Doch das stimmte nicht, denn die Vergangenheit hat Mick St. John zu dem gemacht, was er heute war.

Um die Gegenwart zu verstehen, muss man in der Vergangenheit lesen.

Schweigend ließ er sich am Rand des Hochhauses nieder, die Füße ließ er baumeln. So wanderte sein Blick gen Himmel und er betrachtete den dunklen Himmel. Der Abendstern erstrahlte bereits und nach und nach erschienen auch die anderen Sterne am Firmament. Mick atmete tief durch.
 

Seine Geschichte begann vor vielen Jahrzehnten. Damals, als die Stadt noch eine andere war. Damals, als nichts und niemand in seinem Umfeld etwas von seinem Schicksal und Weg ahnte. Vampire waren Schreckensmärchen aus dem finsteren Mittelalter.

„Um mich zu verstehen, sollst du die ganze Geschichte erfahren... meine Geschichte.“, flüsterte er leise und warf einen Blick über seine Schulter.

„Das ist meine Geschichte und sie begann vor 89 Jahren, 7 Monaten, 4 Tagen und 8 Stunden...
 


 

▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬09. September 1918 – Beginn▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬
 

Es war ein wunderschöner Herbsttag, an dem Mary St. John – geborene Winchester – in den Wehen lag. Das erste Kind, der gut bürgerlichen Familie sollte nun endlich das Licht des Lebens erblicken und natürlich waren schon alle Bewohner des kleinen Hauses in heller Aufregung. Mary lebte gemeinsam mit ihrem Mann Michael St. John auf einer Farm, etwas außerhalb der Großstadt Los Angeles, gemeinsam mit seinen Geschwistern und seinen Eltern. Das Leben auf der Farm war anstrengend und schweißtreibend. Selbst sie als Frau musste auf dem Feld mithelfen, denn sie brauchten das Geld, das sie aus den Erträgen bekamen, um über die Runden zu kommen.

Immer mehr Farmer zog es in die Stadt und die Industrie nahm immer mehr zu. So war es schwer geworden für die Familie. Der erste Weltkrieg war überstanden, doch die Furcht vor der antikommunistischen Welle unter dem Eindruck der russischen Revolution nahm immer mehr zu. Es waren dunkle Wolken für die normalen Bewohner Amerikas, die einfach nur versuchten zu überleben. Doch heute war alles anders. Heute waren die dunklen Wolken wie verschwunden, denn der Familie St. John stand ein freudiges Ereignis bevor. Das erste Kind der Familie sollte das Licht der Welt erblicken!

Schon seit Jahren warteten Samuel und Claire St. John auf diesen Tag, an dem sie endlich zu Großeltern wurden. Voller Spannung saßen die drei Farmer – darunter auch der junge, werdende Vater – am Küchentisch und lauschten angespannt den Schreien der Frau, die gerade das Kind auf die Welt brachte.

Es war üblich ein Kind zu Hause zu bekommen und eigentlich auch nichts besonders. Michael saß aber wie auf glühenden Kohlen und betete wie so oft zu Gott, dass er ihm doch einen Jungen schenkte. Es war sein sehnlichster Wunsch einen Stammhalter für die Familie St. John in die Welt zu setzen.

Stille.

Die Farmer hielten die Luft an und starrten angestrengt auf die Tür hinter der sich die Szene der Geburt abspielte. Mit angespannten Mienen lauschten sie in die dumpfe Ruhe, die sich über sie legte. Michael hielt seinen Atem an, ehe ein dünner Schrei eines Säuglings durch die Wände drang. Er atmete durch, sprang auf, wodurch der Stuhl polternd nach hinten fiel und lief in Richtung Tür.

Die dunkelhäutige Hausangestellte öffnete ihm und trat hinaus.

„Es ist ein Junge, Sir.“, verkündete sie stolz.

Die Farmer lachten, jubelten und umarmten sich gegenseitig. Der raubeinige Michael unterdrückte eine kleine Freundenträne und schob sich an der Magd vorbei in das Innere des Wohnraums. Auf einem schlichten Bett lag sie. Seine Mary. Ihre braunen, langen Locken klebten teilweise nass an ihrer verschwitzen Schläfe. Ihre grünen Augen glitzerten vor Freude, genauso wie die tiefen, dunkelblauen von Michael. Langsam und ein wenig zittrig näherte er sich seiner Frau. Sein Blick ruhte auf dem kleinen Bündel, dass sie in ihren Armen hielt.

Noch ganz zerknittert war das Gesicht des Neugeborenen und es schien noch gar nicht recht zu wissen, was auf dieser Welt eigentlich los war, noch, was ihn erwartete.

„Das ist dein Sohn.“, stellte Mary mit einem sanften Lächeln fest.

Michael ließ sich neben ihr nieder und berührte die Wange des Jungen ganz vorsichtig, beinahe so, als könne er jeden Moment zerbrechen.

„Willkommen in der Welt .... Mick.“

Der Säugling gähnte und blinzelte in diese neue Welt hinaus, während seine Eltern ihn glückselig betrachteten.

09. & 10. September 1936 - Erster Kontakt

~ Erster Kontakt ~
 

09. September 1936
 

Heute war sein 18ter Geburtstag und er liebte es! Freiheit! Unabhängigkeit!! Mit dem quietschenden Blechfahrrad seiner Mutter raste der junge Mick St. John den Feldweg entlang. Bedauerlicherweise war es bereits 23 Uhr und das bedeutete, dass er viel zu spät nach Hause kam. Aber was sollte er machen?? Auf dem Land war es zumeist absolut langweilig, weshalb es ihn zu jeder Zeit in die nahegelegene Stadt zog. In dem großen Café  - Thelma Todd's Cafe - , das der angesagte Treffpunkt seiner Freunde war, hatte er seine neu gewonnene Unabhängigkeit gefeiert. Das weiße Gebäude mit den gebogenen Fensterrahmen und dem riesigen Tor als Eingang, war direkt am Bergrand erbaut und bot nicht nur für die Jugend von Los Angeles einen begehrten Treffpunkt, sondern auch ein paar Anhänger der Mafia oder anderes Gesindel verschlug es regelmäßig zu illegalen Pokerspielen hier her, aber ihm: MICK ST. JOHN war das absolut egal, denn er hatte keine Angst! Vor nichts und niemandem!! ... außer seiner Mutter. Mary St. John. Zeitweise verfolgte sie ihn mit dem Nudelholz, wenn er mal wieder etwas angestellt hatte. Dabei waren doch seine bisherigen Eskapaden in der Kategorie Jugendsünde zu verbuchen. Na gut, er hätte vielleicht nicht das Auto des Nachbars stehlen sollen um es gleich darauf gegen einen Baum zu setzen, oder unter den Strohballen im Hintergarten ein heimliches Lagerfeuer anzünden sollen, aber das konnte jedem passieren. Er war eben ein junger Mann, der das Leben genoss und sich so schnell von nichts und niemanden etwas vorschreiben ließ! So einfach war das!!

Er jagte den Feldweg entlang, warf kurze zeit später das klapprige Rad an den Rand der Veranda, bevor er die Holzstufen hinauf stolperte. Das hier war sein zu Hause. Eine kleine Farm, auf der er von Anfang an gelernt hatte, was harte Arbeit war. Als einziger Sohn von insgesamt 9 Kindern, die hier lebten, war er der heimliche Anführer. Er war der Hahn im Korb und bekam natürlich von seinem Vater genügend Aufmerksamkeit, wobei er sich gerade wünschte, diese mal nicht zu bekommen.

Munter pfeifend und noch sichtlich angeheitert von dem ganzen Whiskey, öffnete er die beiden Türen um den Vorraum des Farmhauses zu betreten. Mick erstarrte und schluckte schwer.

„Dad....“, murmelte er und blickte hastig betroffen zu Boden.

Vor ihm stand Michael St. John. Ein Fass von einem Mann! Groß, breite Schultern und gerade einen Blick im Gesicht, dem kein Mann gewachsen war.

„Wo warst du?“, knurrte der Farmer wütend und packte seinen Sohn am Kragen. Er schnupperte. „Bist du betrunken? Schon wieder?“

Schuldbewusst nickte Mick. Nun ja. Vielleicht hatte er nicht nur vor seiner Mutter Angst, sondern auch vor seinem Vater. Still standen sich die Beiden gegenüber, bevor Mick wieder Mut fasste und aufsah. „Ich geh schlafen, damit ich morgen auch bereit für die Arbeit bin.“, versuchte er sich mit einem munteren Lächeln, doch Michael durchkreuzte seinen Plan gekonnt.

„Falsch. Du gehst JETZT den Stall ausmisten!“

„Was? Jetzt? Es ist dunkel! Es ist Nacht?!“, protestierte Mick und wich bereits der erhobenen Hand seines Vaters aus. „Dann nimm dir eine Lampe mit.“, kommentierte er noch mit einem Schulterzucken, allerdings sorgte das nicht wirklich dafür, dass sein Sohn so begeistert war. Frustriert starrte er zu Boden.

„Aber ich bin 18!“, versuchte er sich noch zu verteidigen, bekam aber nur den üblichen Spruch zu hören: „Solange du unter meinem Dach wohnst, ist es mir vollkommen egal, wie alt du bist. Du machst das, was ich dir sage, hast du verstanden Mick!“

Der junge Mann seufzte genervt auf, machte auf der Schwelle kehrt um gleich wieder hinaus in den Stall der Kühe und der Schweine zu wandern. Dann schlief er eben dort. Im Heu konnte es mitunter sehr gemütlich sein! Er sprang die Stufen der Veranda nach unten, bedachte aber nicht, dass dort das Fahrrad lag und landete der Länge nach auf dem Boden. Fluchend rappelte er sich auf und strich sich über die Knie. Ein bisschen Blut klebte an den aufgeschürften Beinen, aber es war nicht weiter der Rede wert. Missmutig schlurfte der junge St. John in den großen Stall, ließ aber die Mistgabel unbeachtet liegen, sondern verzog sich über eine Leiter in den Heuschober, wo er sich in das duftende, getrocknete Gras kuschelte und kurz darauf einschlief. Das Donnerwetter von seinem Vater am nächsten Tag konnte er zwar schon hören, doch Mick wollte jetzt einfach nur seinen Rausch ausschlafen...
 


 

10. September 1936
 

Das Donnerwetter hatte natürlich nicht auf sich warten lassen, aber Mick war das mittlerweile gewohnt. Sein Vater brauchte nicht glauben, dass er ihn damit abschrecken konnte. Eher ganz im Gegenteil. Der junge Mann flüchtete wie jeden Abend von der Farm und fuhr mit dem Fahrrad in die Stadt. Das Knarren kündigte ihn schon über Meilen hinweg an, aber es war der einzige fahrbare Untersatz über den Mick verfügte und irgendwie musste er ja in die Stadt kommen. Außerdem blieb er so wenigstens fit!

Das Café empfing ihn bereits mit offenen Türen! Seine Freunde warteten auf ihn. Grinsend ließ er sich zu ihnen an den Tisch fallen, wobei sein Blick einen Moment durch den Raum wanderte.

“Was sind denn das für Leute?“, fragte er nach und nickte in Richtung eines voll besetzten Tisches mit Personen, die er hier noch nie zuvor gesehen hatte.

„Einwanderer oder so was. Sind wohl noch ganz neu in der Stadt. Ey, leg dich nicht mit ihnen an. Nicht das sie von der Mafia sind.“, lachte Matt auf. Der schmächtige Junge sah unsicher zu den Männern, die in feinste Kleidung gehüllt waren hinüber. Just in diesem Moment sah einer von ihnen über seine Schulter. Bedrohlich kühl leuchteten seine Augen und Mick beschlich das Gefühl, als ob ihn ein Raubtier betrachtete.

„Sie sehen gar nicht aus wie Mafiosi.“, flüsterte Mick zurück. Ein Schmunzeln umspielte die Züge des Mannes, der sich jetzt wieder umwandte. Hatte er Mick trotz der Distanz etwa verstanden? Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Ihm wurde abwechselnd heiß und wieder kalt, weshalb er sich etwas weiter in seinen Stuhl zurück sinken ließ und dankend das Glas Whiskey annahm. Unruhig glitt sein Blick wieder hinüber zu dem Mann mit dem kalten Blick und dem höhnischen Lächeln auf seinen Lippen. Er war durchschnittlich groß gewachsen, in etwa dreißig Jahre und seine kurzen, hellbraunen Haare hielt er glatt nach hinten gekämmt. Seine braunen Augen wanderten immer wieder durch das große Café und blieben letzenendlich immer wieder an einer Gruppe junger Frauen hängen. Lüstern stierte er zu ihnen hinüber, aber da war noch etwas ins einem Blick. War es Hunger?

Mick war sich nicht sicher, aber nach einem kleinen, weiteren Schluck von seinem Whiskey erhoben sich die Männer am anderen Tisch glücklicherweise. All ihre Gläser waren noch gefüllt, aber sie zahlten und wanderten in Richtung Tür.

“Josef, es geht um folgendes. Wenn wir uns nicht diskret verhalten, dann könnten wir damit einen Skandal provozieren.“, sprach ein gut gebräunter Mann, den schlaksigen, bedrohlichen an.

„Nun, dann wird es eben ein Skandal! Früher oder später muss die Börse zusammenbrechen, also bringt eure Gelder lieber rechtzeitig in Sicherheit, meine Herren.“, lachte er zufrieden auf und sah noch einmal zu Mick. Wieder wandte dieser hastig seinen Blick ab. Josef lachte kühl auf und verschwand mit den anderen Geschäftsmännern nach draußen.

„Unheimliche Gestalten... sind wir froh, dass die weg sind.“ Mick nickte leicht und sah zu Matt, der sich über seine Oberarme rieb, fast so, als sei ihm kalt.

„Glaubst du, die bleiben hier in der Stadt?“, fragte Antony nach, woraufhin Mick nur mit seinen Schultern zuckte. „Sie haben von der Börse geredet. Sicher irgendwelche Geschäftsleute, die sich nur hier her verirrt haben. Genießen wir doch lieber den Abend, anstatt uns damit auseinanderzusetzen, wer sie sind.“, schlug Mick mit einem Mal gut gelaunt und lächelnd vor.

„Ich hab eine bessere Idee!“, verkündete Antony.

Gespannt richteten sich die Blicke seiner Freunde auf ihn. „Es gibt einen neuen Club, ganz in der Nähe von der City Hall. Warum schauen wir uns das nicht mal näher an?“

Sofort machte sich Begeisterung in der Gruppe der jungen Männer breit und so verlegten sie ihren Aufenthaltsort in eine Jazz-Bar mitten in Los Angeles. Schon nach wenigen Stunden war Mick nicht mehr Herr seiner Sinne, aber daran war nicht der Alkohol Schuld. Sondern eine junge, hübsche Frau mit kurzen Haaren und einem überaus knappen Rock. Sie gehörte der Gemeinschaft der ‚Flapper’ an, das merkte er schon im allerersten Moment. Flapper  waren eine „Art“ junger Frauen, die kurze Röcke und kurzes Haar trugen, Jazz hörten und sich über die Regeln des „guten Benehmens“ selbstbewusst hinwegsetzten. Die Flapper galten in ihrer Zeit als keck und frech, weil sie sich schminkten, hochprozentigen Alkohol tranken und rauchten.

Vielleicht konnte Mick genau aus diesem Grund seine Augen nicht mehr von der jungen Frau nehmen, die sich als Jazz-Sängerin präsentierte und kurze Zeit später durch die Bar stöckelte und dabei ihre Hüften kreisen ließ. Sie hatte eine lange Zigarette in der Hand und sah sich interessiert im Raum um, bis ihr Blick auf Mick ruhen blieb. Faszination spiegelte sich in ihren tiefen, grünen Augen wieder und natürlich gelang es Mick ganz und gar nicht, seinen Blick von ihr zu nehmen.

Sogleich trank sie noch einen weitern Schluck hochprozentigen Alkohol, bevor sie auf Mick zukam. Sogleich fühlte der junge St. John die Unruhe in sich aufsteigen und auch seine Freunde starrten der Frau Mitte zwanzig entgegen. Sie zwinkerte und nickte in Richtung Tür, bevor sie auch schon an ihnen vorbei war.

„Sie will dich mit nehmen...“, zischte Anthony unruhig und knetete seine Hände nervös ineinander.

„Sieht ganz so aus.“ Mick starrte ihr nach, bevor er sich erhob.

„Du kannst das nicht machen!“, stieß Matt aus und versuchte ihn zurück zu halten.

„Ich bin kein Kind mehr, sondern ich bin ein Mann. Natürlich kann ich das machen!“ Unruhig und mit etwas schneller schlagendem Herz befeuchtete er seine Lippen, bevor er seine Freunde zurück ließ um der unbekannten Jazz-Sängerin nach draußen zu folgen.

Die kühle Nachtluft hieß ihn Willkommen und sogleich wanderte sein Blick unruhig umher. Schon entdeckte er sie! Gar nicht weit von ihm, wartete sie vor einer Seitenstraße und hob vielsagend ihre Augenbrauen. Provokant streichelte sie mit ihren Fingern über ihren Oberschenkel und schob ihren Rock einladend noch ein bisschen nach oben. Mick schluckte schwer. Seine Hände wurden ganz schwitzig und schon allein bei dem Gedanken, was gleich passierte, befiel ihn die Unruhe. Jegliche Zweifel warf er über Bord, als sie in der Gasse verschwand und er ihr schnellen Fußes folgte. Es war ein Spiel das sie mit ihn trieb und ihn immer weiter lockte, ihn hungriger und verlangender machte. Wie viele Straßen sie passierten konnte Mick nicht mehr sagen, doch auf einmal stand sie mit einem kecken Lächeln an eine Wand gelehnt vor ihm. Sie hob ihre Hand und winkte ihn zu sich, wobei sich die Sängerin auf die Unterlippe biss.

Noch kurz zögerte er, doch schon war er bei ihr. Mick stemmte seine Hände in die Seiten der Wand, bevor seine Lippen schon die ihrigen suchten. Angeheizt von der Jagd, schmiegte er sich an die Frau und vergaß vollkommen die Welt um sich herum. Kichernd ließ sie ihren Atem über seinen Hals wandern, wobei er ihren Rock noch weiter nach oben schob und von Sekunde zu Sekunde unruhiger wurde.

Doch auf einmal entwich ein Laut des Schmerzes seine Lippen. Ihre rasiermesserscharfen Zähne bohrten sich in seinen Hals. Mick wurde sekundenlang schwarz vor Augen. Er taumelte zurück und landete auf dem Boden. Widerstand war zwecklos, denn er bekam die Frau nicht von sich runter. Sie hatte sich in seinem Hals verbissen und saugte sein Blut. Mick schrie erneut auf, doch niemand konnte ihn hören. Mit der Hand tastete er über den dreckigen Boden und fand schließlich irgendein Rohr.

Mit letzter Kraft schlug er es gegen den Kopf der Frau, die taumelte und zurück stolperte. Panisch rappelte sich Mick auf und lief los! Ohne zurückzuschauen!! Seine Gedanken waren nur noch auf Flucht gepolt!

Der Geschmack von Blut bildete sich in seinem gesamten Mund aus, als er die Seitenstraße entlang taumelte, auf seine Knie fiel und benommen weiter krabbelte. Nur mit Mühen schaffte er es wieder auf seine Füße zurück und schluckte schwer. Um ihn herum türmten sich gigantische Nebelschwaden auf – die Bewusstlosigkeit streckte ihre Fänger nach dem jungen St. John aus -  und seine Knie drohten erneut nachzugeben, als er aus der Seitenstraße purzelte und ein paar Momente regungslos liegen blieb. Ein paar betrunkene Passanten trieben sich um diese Uhrzeit vor der neu gebauten ‚Los Angeles City Hall’ herum, doch die nahmen keinerlei Notiz von ihm. Mick rieb sich mit der Hand über den Hals, wischte die klebrige Flüssigkeit davon und roch wieder diesen metallenen Duft. Er versuchte aufzustehen, doch in seinen Ohren rauschte es. Er atmete tief durch, schaffte es auf seine Füße zu kommen und rannte weiter den Gehweg entlang. Blut und Dreck klebte an seinen Knien, als er über eine Mülltonne stolperte und erneut der Länge nach auf dem Boden landete.

Auf einmal packte ihn irgendwas am Kragen. „Nein!“, schrie Mick panisch auf und starrte auf einmal in das Gesicht seines Vaters.

„Mick? Bist du betrunken...?“

„Nein ... ja... nein! Da war was...“

Eine schallende Ohrfeige ließ den jungen Mann nach hinten taumeln, bevor sich die große Hand seines Vaters erbarmungslos an seinen Nacken legte und er ihn mitzerrte. Egal wie groß die Schmerzen waren, die der raubeinige Mann ihm gerade zufügte. Mick war froh von dieser Seitenstraße weg zu kommen. Noch einmal warf er einen Blick zurück und sah dort wieder die Frau stehen. Schwarze kurze Haare wehten im leichten, aufkommenden Wind und ihre weißen Fangzähne glitzerten im Mondlicht. Er blinzelte einmal und schon war sie verschwunden.

31. Dezember 1939 – Silvester

31. Dezember 1939 – Silvester
 

Mick seufzte auf und betrat mit scheuen Schritten die lange, dunkle Gasse, die gerade vor ihm lag. Über drei Jahre war der Überfall auf ihn her und noch immer waren deutlich die dünnen Narben an seiner Halsvene zu erkennen. Sogar Zeitungsartikel hatten von ihm berichtet. ‚Vampirattacke schockt LA!’. Sein Vater hatte sich in Grund und Boden geschämt, denn es war allseits bekannt, dass der Mythos eines lebenden Untoten, der sich vom Blut ernährte, nur eine Geschichte – primär die von Bram Stoker - war um Kinder zu gruseln. Graf Dracula.

Seit jenem Abend hatte Mick schwer mit seinem sonst so makellosen Ruf zu kämpfen. Er galt nicht länger als Schürzenjäger, sondern als ein junger Mann, der sich auf einen ‚Dracula’ einließ und die Konsequenzen dafür nicht tragen konnte. Er galt als unnormal, als nicht richtig im Kopf, so wie wohl jeder Homosexueller in den 40er Jahren verurteilt wurde. Dabei war er nicht mal vom anderen Ufer, wie man so schön sagte! Nur seine Freunde glaubten seiner Geschichte, der Frau, die sich in seinem hals verbissen hatte. Nicht zuletzt, weil sie besagte Frau gesehen hatten.

Anfänglich hatte Mick keinerlei Probleme mit all den Geschichten, die über ihn erzählt wurden, doch er sah die Enttäuschung in den Augen seiner Mutter und vor allem in denen von seinem Vater. Mick seufzte auf und schob sein Fahrrad weiter. Im Korb lagen einige frische Lebensmittel, die er nach Hause bringen sollte. Es dämmerte und ein paar einsame Schneeflocken bahnten sich ihren Weg auf die Erde, als er sich auf sein Klapperrad schwang und des Weges fuhr. Immer weiter ließ er die Häuser hinter sich, bis er schließlich an einem kleinen Waldstück entlang fuhr. Mick begann ein leises Lied zu pfeifen und ignorierte das Knacken der Äste, den Wind, der durch die unbelaubten Äste pustete und die unheimlichen Geräusche der Tiere. Er schluckte, als er gar nicht weit von sich ein paar glühende Augen in der Dunkelheit wahr nehmen konnte. Sofort trat er schneller in die Pedale. Seine Mutter wartete auf die Einkäufe und auch wenn er sich gerade sehr an das Märchen ‚Rotkäppchen’ erinnert fühlte, beschleunigte er sein Tempo. Wenn der böse Wolf ihn fressen wollte, dann musste er auch dementsprechend schnell sein. Ihm fröstelte und der Schnee knirschte unter dem Reifen seines Fahrrads.

Endlich.

Er konnte die Lichter der Farm erkennen, die ihm wärmend entgegen leuchteten. Mick trat ein paar letzte Male in die Pedale, bis er zu Hause ankam. Müde und ausgelaugt, stellte er sein Fahrrad im Schuppen ab und begrüßte den alten Hirtenhund. Es war schon spät an diesem herrlichen Abend. In der Stadt begann sicher schon die ein oder andere Vor-Silvester-Feier, aber er konnte sich dort nicht blicken lassen. Selbst wenn er in seinem Freundeskreis willkommen war, gab es heute jemand anderes, dem seine alleinige Aufmerksamkeit galt.

Schon als er das kühle Farmhaus betrat und Richtung Wohnküche wanderte – einer der wenigen beheizten Räume – breitete sich ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend aus. Ihm wurde trotz der Wärme ganz kalt, denn die Stimmung in seinem zu Hause war gedrückt.

„Ich bin wieder da...“, murmelte er und bekam nur ein mattes Lächeln von seiner Mutter geschenkt, die in der alten Küche einen großen Topf Grießbrei zubereitete. Mick erwiderte ihr Lächeln flüchtig und sah zu seinen zahlreichen Cousins, seiner kleinen Schwester und den anderen Verwandten, die hier versammelt beisammen saßen und auf den kleinen schwarz-weiß Fernseher starrten. Hin und wieder verschwand das Bild oder der Ton, aber es war neben dem leisen Werkeln seiner Mutter, das einzige Geräusch das die Wohnküche erfüllte. Mick lehnte sich an die Eckbank, die schon vollbesetzt war und beobachtete ebenso den Bericht.

„Was ist los?“, fragte Mick leise und runzelte bei den zahlreichen Bildern leicht seine Stirn, wobei sich eine erste kleine Falte über seinen Augenbrauen bildete. Auf seinen Wangen zeichnete sich der erste Flaum eines Bartes ab und auch sonst sah der junge St. John von Tag zu Tag erwachsener aus.

Lucy – seine kleine Schwester – atmete tief durch. „Der Krieg nimmt immer größere Dimensionen an... mittlerweile ziehen immer mehr Nationen in den Krieg. Hoffentlich wirst du nicht auch bald eingezogen.“

Mick seufzte tonlos und betrachtete die Bilder von Tod und Verderben, der dank der Deutschen in die Welt gebracht worden war. Ein zweiter Weltkrieg – war laut manch einem Prediger – unausweichlich. Er knirschte mit seinen Zähnen und schnappte sich die Zeitung.

„Schläft Dad?“, wollte er wissen und schlurfte auf ein Hinterzimmer zu. Seine Schwester schüttelte lediglich den Kopf.

Der junge St. John öffnete leise die Tür zum zweiten Raum und sah sogleich seinen Vater. Zögernd näherte er sich dem Bett des Mannes, der dem Tod näher war, als dem Leben. Die Ärzte wussten nicht was ihm fehlten und hatten der Familie keinerlei weitere Hoffnungen gemacht. So war Michael zum Sterben nach Hause gekommen und fristete dort die letzten Stunden, die ihm das Leben geschenkt hatte. Mit schweren Muskel und Rückenschmerzen war er nicht mehr fähig sich zu rühren und war auf die dauernde Behandlung seiner Familie angewiesen. Seine Hände, Füße und auch sein Gesicht wiesen erhebliche Schwellungen auf. Jegliche Farbe war aus dem Gesicht des sonst so lebensfrohen Mannes gewichen. Er sehnte sich nach dem Tod, nach der Erlösung, denn seine Qualen waren kaum nicht zu ertragen und ebenso erging es Mick immer dann, wenn er seinen Vater erblickte. Seinen eigenen Vater so leiden zu sehen, versetzte ihm immer wieder einen Stich im Herzen. Doch er gab sich einen Ruck und trat so an das Bett seines Vaters, den er so schwer enttäuscht hatte.

„Ich bin zurück, Vater...“, sagte er leise.

Michael mühte sich ab und vollbrachte es schließlich seine Augen zu öffnen. Er atmete tief durch. Matt und kaum mehr Farbe war in seinen Augen zu lesen und doch fühlte Mick, wie der Blick des sterbenden Mannes auf ihm ruhte. Vorsichtig und auch ein wenig scheu setzte er sich zu ihm ans Bett und schlug die Zeitung auf. „Ich lese dir ein bisschen was vor.“ Michael gab nur ein Brummen von sich, denn zu mehr war er kaum in der Lage. „In ein paar Stunden ist schließlich Silvester. Das neue Jahr...“ Ein furchtbares Jahr, dass ihm bevor stand, denn das sein Vater starb, war bereits gewiss.

„22. Dezember Auf dem Bahnhof in Genthin fordert die Kollision zweier D-Züge kurz nach Mitternacht 196 Menschenleben. Am selben Abend stoßen auf der Bodenseegürtelbahn von Lindau nach Radolfzell zwischen Markdorf und Kluftern zwei weitere Züge zusammen, was 101 Tote fordert. Damit ist dieser Tag der schlimmste der deutschen Eisenbahngeschichte. 26. Dezember Erdbeben der Stärke 7.8 in Erzincan, Türkei ca. 30.000 Tote“, las er etwas aus der Zeitung vor und stoppte, als sein Vater tief durchatmete.

„Soll ich nicht weiter lesen?“

Ganz leicht nur schüttelte Michael seinen Kopf und nickte dann ein bisschen, bevor er wieder unverständliche Worte brummte. Mick warf die Zeitung beiseite und beugte sich zu ihm hinab. „Ich versteh dich nicht...“, murmelte er und drehte seinem Vater das Ohr zu um vielleicht etwas zu hören, von dem was er ihm mitteilen wollte.

„Ich ... ....“

Mick rutschte noch ein bisschen näher an ihn heran und hörte dann das leise Nuscheln von Michael. „... bin ... ... stolz ... ... auf .... auf .... dich .........“

Der junge St. John blinzelte und lächelte. „Ja, ich weiß, dass du stolz auf mich bist, denn das sagen Eltern ja immer ... aber ...“ Er drehte sich wieder um und erstarrte augenblicklich als er in die leeren Augen seines Vaters blickte. Unwillkürlich begann er am ganzen Leib zu zittern, als er langsam eine Hand ausstreckte und sie auf die Brust von Michael legte. Nichts. Keine Rührung. Kein Herzschlag. Micks Augen füllten sich mit Tränen, als er zitternd Luft holte und regungslos am Bett seines Vaters saß.
 

Draußen ertönten die leisen Geräusche des Feuerwerks aus der nahe gelegenen Stadt und vermischten sich mit den Jubelrufen seiner Familie. Seine Schwester öffnete die Tür.

„Kommst du? Wir wollen ....“

Sie schwieg augenblicklich, taumelte zurück und fiel auf die Knie. Augenblicklich herrschte Stille in der Wohnstube. Fahrig und schwerfällig erhob sich Mick. Die Zeitung rutschte von seinem Schoss und landete mit einem leisen Klatschen auf dem Boden. Seine Schritte waren schwerfällig, während die Welt um ihn herum verschwand. Dumpf und kaum noch etwas sehend, wanderte er an seiner Familie vorbei. Seine Mutter weinte und saß ebenso auf dem Boden wie seine Schwester. Sie wurde getröstet von seiner Tante oder seinem Onkel. Es war ihm egal. Ohne sich die Jacke überzuziehen trat er hinaus auf die Veranda, ließ seinen Blick über die Felder schweifen, die von einer dünnen Schicht Schnee überzogen wurden. Er fiel beinahe die Stufen nach unten, als er den Weg entlang wanderte. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen und seine Zähne klapperten. Die Kälte kroch unter seine Kleidung, schlüpfte in ihn hinein und umfasste sein Herz, das zu Eis erstarrte.

Mick blieb stehen. Wie lange er regungslos nur einige Meter von der Farm entfernt stand konnte wohl niemand sagen, denn die Zeit schien still zu stehen. Der Schmerz über den Verlust eines Verwandten war unsagbar mächtig. Die unendliche Leere machte sich in Mick breit, als er nach hinten kippte und auf dem Rücken im Schnee liegen blieb. Er sah in die Luft, in die Schwärze des Himmels, die nur hier und da von ein paar Schneeflocken durchbrochen wurde. Immer mehr der zarten Flocken ließen sich auf seinem Gesicht nieder und durchnässten seine Kleider. Er hatte das Gefühl zu schweben und war in diesen Sekunden gar nicht mehr wirklich auf der Erde.

Mick beobachtete die glitzernden Flocken, als sich die Stille über das Land legte. Das Feuerwerk von LA war erloschen und so konnte er nur noch den Wind hören, der mit den Bäumen des Waldes spielte.

‚Ich bin stolz auf dich...’ Das waren die letzten Worte von Michael St. John, dem Mann, der ihm seine Werte beibrachte, der ihm zeigte, was es bedeutete zu lieben, zu kämpfen, zu beten und zu hoffen! Michael hatte ihn zu dem gemacht, der er jetzt war und auch wenn er seinem Vater so manchen Kummer beschert hat, so war seine letzte Botschaft unmissverständlich: Er war stolz auf seinen einzigen Sohn.

Micks Lippen umspielten ein kleines Lächeln, als ein paar letzte Tränen über die Schläfen nach unten liefen. Er setzte sich auf, schluckte und straffte seine Schultern. Mühsam rappelte er sich auf die Beine. Die Kälte bemerkte er gar nicht und so schritt er zurück zum Farmhaus um seiner Mutter beizustehen ...

03. März 1940 – Musik im Herzen

03. März 1940 – Musik im Herzen
 

„22. Ich werde dieses Jahr schon 22!“, stöhnte Mick auf und rieb sich über seine Stirn.

Einer seiner beiden engsten Freunde sah fragend zu ihm hinüber. „Du tust ja gerade so, als wäre das schrecklich alt.“

Die Beiden saßen gemeinsam in einer kleinen Bar am Stadtrand von Los Angeles. Seit mehreren Wochen hatten sie sich kaum noch gesehen, denn seit dem Tod von Micks Vater hatte dieser alle Hände voll zu tun.

„Nein, das ist nicht alt, aber ... du verstehst das nicht.“, brummte der junge St. John vor sich hin.

„Dann erklär es mir doch.“, bat Matt.

Mick seufzte auf. „Ich fühle mich so alt!“ Er zog eine deutliche Grimasse und kippte sein kleines Gläschen Schnaps auf einem Zug in die Kehle. Brennend bahnte sich das Gesöff den Weg nach unten und ließ Mick einmal frösteln, bevor ihm ganz warm wurde.

„Ach, das vergeht schon wieder.“, meinte Matt und drehte sich auf seinem Barhocker um. Lässig lehnte er sich gegen den Tresen und ließ seinen Blick demonstrativ über die Besucher der Bar gleiten. Hier und da konnte er sogar das ein oder andere weibliche Geschöpf ausmachen, dass sogar sein Interesse weckte. Mick kratzte sich am Hinterkopf. „Ich wüsste nicht, wie sich das so einfach ändern lässt.“

„Kennst du das nicht?“, fragte Matt nach und hob seine Schultern. „Das Gefühl, dass etwas schreckliches passieren wird.“

„Doch schon aber ...?!“

„Was macht man in solchen Situationen?“ Der schlaksige junge Mann sah wieder zu seinem besten Freund hinüber. Mick zuckte fragend mit seinen Schultern, weshalb Matt weiter sprach: „Warte und er zieht vorüber. Und du mein Freund solltest dich jetzt einfach in Geduld üben. Früher oder später wird alles leichter und dann fühlst du dich auch wieder jünger.“ Matt lachte ein bisschen und orderte eine weitere Runde Schnaps. Mick lehnte ab. „Ich muss noch fahren...“, erklärte er kurz.

“Stimmt ja. Du bist ja jetzt im Besitz eines Automobils.“

„Nicht nur das. Ich habe jetzt auch eine Verantwortung meiner Mutter und meiner Schwester gegenüber. Ich darf meinen Vater nicht enttäuschen.“ Mick seufzte auf und strich sich über sein Kinn. Noch immer war ihm der Anblick seines verstorbenen Vaters allgegenwärtig.

Matt lehnte sich schweigend zurück und nippte etwas an seinem Schnaps. „Mick, du arbeitest dich noch zu Tode. Das hat dein Vater auch so gehalten…“

Die Entrüstung war deutlich in Micks Blick abzulesen. Er starrte seinen besten Freund an, bevor er mit den Zähnen knirschte und drohend die Hand hob. „Wage es nie wieder, so etwas zu sagen.“

„Aber es stimmt!“, stieß Matthew aus und stellte das Glas geräuschvoll ab. „Die Farm ist nicht alles im Leben!! Du beginnst noch vor Sonnenaufgang zu arbeiten und hörst erst nach Einbruch der Nacht auf!“

„Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Die Farm genauso wie meine Onkel im Stich lassen? Glaubst du wirklich, dass das eine Alternative ist?? Hmm? Ich kann nicht einfach so das Erbe meines Vaters beiseite schmeißen und das Leben in der Stadt vorziehen!“, fuhr Mick ihn wütend an.

Die Situation war heikel, in der er sich befand. Vor wenigen Tagen hatten fast alle seine Verwandte die Farm aufgegeben und wurden dem Beispiel von so vielen anderen gefolgt, indem sie ein Leben in der Stadt vorzogen. In den großen Fabriken wurden Arbeiter gesucht oder auch Näherinnen in den ein oder anderen kleinen Betrieb. Nur seine Mutter, seine Schwester und er waren als einzige übrig um die Farm am Leben zu halten! Seit so vielen Jahrzehnten lag sie immer im Besitz eines St. Johns! Das sollte sich jetzt nicht ändern!

„Genau das solltest du machen Mick. Sieh es doch ein. Die Farm ist nicht mehr zu retten und wir alle sind dem Untergang geweiht!“ Er nickte in Richtung des kleinen Fernsehers der Bar, der wieder so schreckliche Bilder zeigte. Mick war aufgesprungen. Polternd fiel der Barhocker um.

Er packte seinen Freund am Kragen und funkelte ihn wütend an. „Ich werde die Farm nicht aufgeben, hast du verstanden? Mein Vater hat mir beigebracht, dass man nur mit harter Arbeit zum Ziel kommt und auch wenn ich mich dabei zu Tode schuften werde, so habe ich wenigstens den Menschen ein gutes Leben ermöglicht, die ich liebe!“

Matts Hände umschlossen ebenso den Kragen seines Freundes. „Sicher? Glaubst du nicht, dass deine Mutter auch eine Anstellung hier in der Stadt finden könnte? Ganz zu schweigen von deiner Schwester! Du weißt wie schlau sie ist. Wenn du die Farm verkaufst, kannst du ihr die Chance geben etwas aus ihrem Potential zu machen! Sei nicht so naiv Mick und mach endlich die Augen auf. Eure Farm war schon vor der Krankheit deines Vaters nicht mehr zu retten.“

Mick stieß Matt beiseite und verpasste ihm einen Kinnhacken, der seinen besten Freund zurück taumeln ließ!

„Du irrst dich!“, knurrte der junge St. John, als der Wirt eine Hand auf seine Schulter legte. „Ich brauch hier keine Verrückten, Bürschchen. Wenn du dich austoben willst, geh zur Armee!“, knurrte er und deutete in Richtung Tür.

Matthew rieb sich über sein Kinn und beobachtete Mick, der herumwirbelte und erhobenen Hauptes aus dem Raum stolzierte.

Die kühle Nachtluft von Los Angeles schlug ihm entgegen. Sogleich schlug er seinen Kragen hoch und verschloss seinen langen Mantel, der aber schon in die Jahre gekommen war. Er hatte kaum Geld für Lebensmittel, also warum sollte er sich frische Kleidung kaufen. Mick holte Luft und sah in den Himmel. Wäre sein Vater hier, wüsste er, was zu tun war. Er betrachtete den klaren Sternenhimmel und hatte für den Bruchteil von wenigen Sekunden das Gefühl, als wäre sein Vater ganz dicht bei ihm

„Du weißt, dass ich Recht hab…“

Die Tür der Bar hatte sich geöffnet und fiel nun hinter Matt ins Schloss.

„Ich kann nicht einfach so mein zu Hause aufgeben.“, flüsterte Mick und ließ seine Augen zu fallen.

„Dein zu Hause ist dort, wo auch immer Menschen sind, die du liebst und denen du vertraust. Du willst doch nicht, dass deine Mutter und deine Schwester irgendwann auf der Straße sitzen. Verkauf die Farm. Ermögliche deiner Schwester als eine der wenigen Frauen zu studieren und gib deiner Mutter die Gelegenheit wieder frei zu sein. Es gibt hier eine Familie, die noch nach einer Hausangestellten suchen. Sie könnte dort wohnen…“, schlug Matt vor und legte eine Hand auf sein pochendes Kinn.

Mick senkte sein Haupt und sah auf den Boden. „Dann studiert meine Schwester vermutlich weit weg von hier und meine Mutter ist auch wo anders … aber was ist dann mit mir?“, fragte er ehrlich nach.

„Du kannst vorerst zu mir ziehen. Ich hab eine hübsche Wohnung mitten in Los Angeles gefunden. Du kannst von dort aus über die ganze Stadt blicken. Außerdem brauch ich noch jemanden in meiner Band…“, schlug Matt vor. Er wollte nicht weiter dabei zusehen, wie Mick sein Leben verschwendete.

Der junge Mann hob seine Schultern. „Ich denk drüber nach…“, murmelte er und schritt auch schon los.

„Entschuldige…“, fügte Mick dann noch hinzu.

„Ach schwamm drüber. Ich hab schon oft einen Kinnhacken bekommen… du solltest wirklich noch lernen, fester zuzuschlagen.“, lachte Matthew und sah dem jungen Mann nach. Mick hatte seine Schultern angezogen und starrte auf den Boden, während er in die Nacht schritt und seine Gedanken weit schweifen ließ. Er wusste nicht mehr ein, noch aus.
 

~~~
 

10. April 1940
 

Mick gab seiner Schwester noch einen letzten Kuss auf die Wange. So stieg sie in das Taxi, dass sie Richtung Flughafen davon brachte. Wenig später verabschiedete er sich von seiner Mutter, die ebenso in ein Automobil stieg. Sie zog in die Stadt zu einer Familie um sich dort um den Haushalt zu kümmern.

Der junge St. John winkte ihr so lange, bis das Auto aus seinem Blickfeld verschwunden war. Erst dann wandte er sich um und sah zum Farmgebäude, das gerade von dem neuen Besitzer begutachtet wurde. Ein reicher Mann, der auf diesen Grund eine neue Fabrik bauen wollte. Mick rieb seine Handflächen ineinander und ließ seinen Blick über sein zu Hause gleiten. Die Felder müssten zu dieser Jahreszeit neu bestellt werden, das Haus vertrug einige Renovierungen, wie in jedem Jahr. Sein Blick ruhte auf den Stufen, die die Veranda nach oben führten. Wie oft hatte er sein Klapperfahrrad dort liegen lassen? Und wie oft war sein Vater am nächsten Tag darüber gestolpert? Er schmunzelte und betrachtete die Hollywoodschaukel, auf der er die ein oder andere Nacht verbracht hatte. Am nächsten Tag hatte sich Michael immer im Sonnenlicht vor ihm aufgebaut und zog ihn anschließend an den Ohren ins Haus.

Mick schritt die teilweise morschen Stufen nach oben und strich über das Holz der Tür. Einige Messerkerben von einer Schnitzerei waren darin zu sehen. Einer seiner Aktivitäten, als er klein war und den Umgang mit dem Messer erlernt hatte. Der junge St. John strich über das Holz, bevor er sich mit einem Seufzen abwandte und die Tür nun endgültig ins Schloss zog. So viele Erinnerungen wurden in diesem Haus verschlossen und schon bald nur noch in seinen Gedanken existieren.

Ein trauriges Seufzen verließ seine Lippen. Seine Hände wanderten in seinen Nackenbereich und so ließ er noch ein letztes Mal seinen Blick schweifen. Das hier war sein zu Hause.

Je kaputter die Welt draußen, desto heiler muss sie zu Hause sein. Mick konnte auf eine glückliche Kindheit und Jugendzeit zurück blicken, doch nun war es an der Zeit, dass er der kaputten und dunklen Welt begegnete. Er schulterte seinen Rucksack und schwang sich auf das Motorrad, das er vor kurzem gegen das Automobil seines Vaters tauschte. Ein letzter Blick über die Schulter und schon startete er den knatternden Motor um das Stückchen Land zu verlassen.
 

Wenig später parkte er auch schon vor einem mehrstöckigen Gebäude, indem Matt ganz oben auf ihn wartete. Die Aussicht der großen Wohnung war gigantisch! Die ganze Stadt ließ sich von hier aus überblicken.

„Erklär mir bitte, woher du so eine Wohnung hast.“, fragte Mick skeptisch nach und warf seinen Rucksack in eine Ecke. Die Wohnung war zweistöckig, verfügte über großzügige Balkone und Dingen, von denen so einfache Jungs wie Mick und Matt sonst nur träumten.

„Ich sagte doch: Ich mache Musik.“

„Du bist aber nicht erfolgreich, Matt. Also woher hast du das Geld?“, fragte Mick nach und runzelte seine Stirn. Die Skepsis stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben und noch wagte er sich gar nicht Recht in die Wohnung.

„Ein kleiner Nebenverdienst. Nicht weiter der Rede wert.“, winkte Matt schnell ab und deutete nach draußen. „Toll oder?“

Mick seufzte. „Lenk jetzt nicht ab. Was ist das für ein Nebenverdienst?“, hackte er nach und trat mit scheuen Schritten in die geräumige, moderne Wohnung. Sein Freund schwieg. „Matty, in was bist du da rein geraten?“ Die Skepsis verschwand aus seinem Gesicht und machte der Sorge um seinen besten Freund Platz.

„Mick. Es ist nicht weiter relevant. Es bringt die nötigen Aufträge und auch das Geld, das wir Beide dringend brauchen werden... du kannst doch noch Gitarre spielen und singen oder?“, lenkte Matthew dann ab und wollte auch nicht weiter über das Thema reden, auch wenn Mick ein bisschen mulmig zu Mute war.

„Kann ich ... aber für was?“

„Wir haben morgen einen Auftritt. Nur leise Hintergrundmusik. Gehen wir ...“

„Wohin?“, fragte Mick nach.

„Zu den anderen Jungs der Band. Immerhin müssen wir üben.!“

Mick seufzte auf. Das war es also. Sein neues Leben. Bestehend aus einem großen Geheimnis um seinen besten Freund und einem Job als Musiker. Einmal mehr wünschte er sich seinen Vater zurück...

Damals war das Leben einfach besser.

06. - 08. Dezember 1941 - ein Datum, das in Verrufenheit fortleben wird

06. Dezember 1941
 

Mick seufzte auf und sah in den kleinen Fernseher, der die Bilder des immer noch andauernden Krieges zeigte. Tief versenkte er seine Hände in den Jackentaschen und spürte darin den Brief. Ein schreiben der US Army. Er sollte sich zur Wehrpflicht melden. Noch immer hatte er es nicht über sich gebracht dies seiner Mutter zu gestehen. Stattdessen hoffte er, dass der Krieg über Nacht ein Ende fand.

„Mr. St. John?“, fragte eine junge Frau nach. Sie hatte lange, dunkle Haare, die sie zu einem strengen Zopf zusammentrug. Ihre Kleidung war durchgehend weiß. Sie trug eine Schürze und eine weiße Haube. Der rote Lippenstift war an ihr das auffälligste.

„Ja?“

„Er ist jetzt wach. Sie können zu ihm.“, erklärte die Krankenschwester. Wieder atmete Mick einmal tief durch. Natürlich war er dementsprechend erleichtert, aber noch immer war die Sorge in ihm vorhanden. „Danke...“, raunte Mick und ging sofort mit schnellen Schritten hinüber zum Krankenzimmer. Es war ein großes Zimmer, in dem nicht nur verletzte und kranke Soldaten lagen. Sondern auch vereinzelt solche Personen wie Matt. Ein ganz gewöhnlicher Mann, der mit dem Krieg nichts am Hut hatte. Aber ein anderes Zimmer hatte es nicht gegeben. Mick trat an sein Bett heran. Leichenblass war das Gesicht von Matt. Unter seinen Augen zeichneten sich tiefe Ringe ab und er war kaum noch fähig zu atmen. Mick setzte sich zu ihm und legte seinen Kopf zur Seite.

„Ich schau mir jetzt seit fast zwei Jahren an, wie du dich langsam kaputt machst. Was ist es? Drogen?“, fragte er mürrisch nach.

Matt holte zitternd Luft und schüttelte seinen Kopf.

„Die Ärzte sagten, dass du eine Anämie hast. Eine Blutarmut Matt. Und jetzt halt mich nicht weiter zum Narren, sondern sag mir, was los ist ... sonst kann ich dir nicht helfen.“, bat Mick ihn innständig.

„Mick ... ich brauche keine Hilfe...“, flüsterte Matt mit schwerem Atem und schloss seine Augen kurz.

„Das sieht aber ganz anders aus. Das jetzt das fünfte Mal in den letzten sechs Monaten, dass ich dich aus dem Krankenhaus abholen muss!“, fuhr Mick ihn etwas wütender an. Natürlich machte er sich Sorgen um seinen besten Freund, aber inzwischen war er einfach nur genervt. Er hielt sich geradeso mit seinen Jobs über Wasser und die ständigen Krankenhausrechnungen waren zusätzlich noch belastend. Doch Matt schwieg und stellte sich schlafend.

Mick blieb – obwohl er genau wusste, dass Matt nicht schlief – an seiner Seite sitzen und fand auch irgendwann sehr spät in dieser Nacht seinen wohlverdienten Schlaf, genauso wie die anderen Männer hier in diesem stickigen Zimmer.
 

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07. Dezember 1941 – ein Datum, das in Verrufenheit fortleben wird
 

Antony stürzte in das Krankenzimmer.

„Schhh!“, zischte die Krankenschwester wütend, doch er kümmerte sich nicht darum, sondern schaltete das Licht ein. Sofort beschwerten sich einige der Patienten und auch Mick blinzelte in das plötzliche Licht. Er hatte die Nacht am Bett von Matt verbracht, der jetzt verwirrt zu Antony sah.

„Ihr müsst aufwachen!“, schrie der Mann einmal laut und stellte den Fernsehapparat ein.

„Was ist los?“, fragte Mick nach, als Tony die Krankenschwester, die ihn daran hindern wollte, nach hinten stieß.

„Die USA wurden angegriffen!“

Sofort waren alle hellwach. Ganz gleich ob krank oder verletzt, die Männer saßen kerzengerade in ihren Betten. Tony musste gar nicht den richtigen Fernsehsender suchen, denn auf jedem lief das selbe Programm:

„ Der japanische Angriff begann gegen 06:00 Uhr. Vermutet wird, dass rund 180 Maschinen von Flugzeugträgern aus starteten und Richtung Hawaii flogen. Um 07:55 Uhr unserer Zeit erreichten die Japaner Ford Island und das Bombardement begann. Japanische Bomber und Jäger griffen den Hafen, der nahe der hawaiianischen Hauptstadt Honolulu liegt, mit Bomben und Torpedos an. Viele US-Flugzeuge konnten gar nicht in die Luft steigen, um Pearl Harbor zu verteidigen...“, las der Nachrichtensprecher die katastrophalen Worte vor. Mick schluckte schwer, als sie die verheerenden Bilder dieser Attacke zeigte. Tiefe Falten zeichneten sich auf seiner Stirn ab, als er mit zitternden Knien aufstand. Die Fäuste geballt hörte er den blanken Ausruf des Entsetzens der Männer hier im Zimmer. Die Krankenschwester war heulend zu Boden gesunken, ihre Hände auf dem Mund liegend.

Mick warf einen Blick auf die Uhr. „Vor einer Stunde erst?“, fragte er nach und rieb sich einmal über seine Augen. Die Müdigkeit war wie weggeblasen. Nur noch der Schrecken, die Angst und die Trauer saß ihm im Nacken. Er knirschte mit seinen Zähnen und schüttelte seinen Kopf, ehe er wieder auf den Bildschirm sah.

Antony ließ sich auf die andere Seite von Matthews Bett sinken. Der Kranke war noch blasser und starrte mit verklärten Ausdruck auf den Bildschirm. Wieder wurde die Meldung wiederholt. Mick fühlte sich wie gelähmt. Was bedeutete das jetzt für die USA? Ein Eintritt in den zweiten Weltkrieg? Musste er zur Armee?

Der Nachrichtensprecher stoppte die Wiederholung seiner Worte, als ihm ein weiterer Zettel zugeschoben wurde.

„Oh mein Gott. Mich erreicht gerade eine neue Information.“ Er schwieg und in diesem Moment starrte wohl jeder Amerikaner auf den kleinen Bildschirm des Fernsehers. „Vor 10 Minuten traf eine weitere Angriffswelle auf Pearl Harbor. Uns liegen ferner keine weiteren Informationen vor... wir halten Sie auf dem Laufenden.“

Mick ließ sich zurück sinken und blieb regungslos sitzen. Seine Hände wanderten fahrig über seine Haare und er musste einmal schwer aufseufzen Ein kalter Schauer jagte über seinen Rücken. Unfähig etwas zu sagen, oder sich zu rühren, starrte er auf den Bildschirm.

Matt hatte sich mühsam aufgesetzt und wandte sich an Mick. „Es ist nichts schlimmes, was ich mache...“, stieß er mit einem Mal heißer aus.

Mick sah ihn fragend an. „Jetzt? Du willst jetzt darüber reden? Siehst du nicht, was da gerade passiert?“, gab Mick ihm zu verstehen, dass das kein besonders günstiger Zeitpunkt war.

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“, gab Matthew mit einem Schulterzucken zurück.

Die Augen des jungen St. John hefteten sich auf seinen guten Freund, der leise weitersprach. „Das ist für einen guten Zweck. Ich spende Blut ... viel Blut, denn das wird doch jetzt so dringend gebraucht... um Kranke zu behandeln.“

Mick merkte augenblicklich, dass eine Lüge die Lippen von Matthew verließ, aber was hatte es für einen Sinn noch weiter nachzubohren? Der junge Mann weigerte sich darüber zu sprechen und drum nickte er, bevor er wieder zum Fernseher blickte. „Damit machst du was Gutes...“, stellte er aber noch überaus platt fest.

Matt ließ sich in seine Kissen zurück sinken und seufzte einmal auf.

 

Mehrere Stunden waren mittlerweile vergangen und die Trauer um den Verlust von so vielen Seelen hatte sich bereits bei vielen in blanken Hass auf die Japaner verwandelt. Ein junger Mann betrat das Krankenhauszimmer und sofort hellte sich Micks Gesicht ein bisschen auf.

„Hey ... Ray.“, lächelte er flüchtig.

Ray Folder war einer seiner engsten Freunde. Ebenso wie Antony und Matthew. Die vier kannten sich schon ihr ganzes Leben lang.  

„Hey. Ich war bei Lailas Eltern, als ich die Informationen erhielt. Der Überfall auf Pearl Harbor. Wer hätte mit so einer niederträchtigen Tat von Seiten der Japaner gerechnet.“, sprach er mit seiner tiefen Stimme. Laila war seit wenigen Wochen mit Ray verheiratet und seit jenem Tag bekamen die Freund ihn kaum noch zu Gesicht.

„Weiß man schon was Neues?“, fragte er nach und nickte auf den Fernseher.

„Bisher noch nicht. Nur das der zweite Angriff mehrere Stunden gedauert hat. Die Zerstörer Cassin und Downes wurden vernichtet und auch Schlachtschiffe wie die Nevada und die Arizona.“, antwortete Mick mit trauriger Miene.

So viele hatten heute ihren Tod gefunden.

„Entschuldigt mich...“, murmelte Mick und erhob sich von seinem Platz. Ihm fehlte die Luft zu atmen und er wollte nur noch raus hier! Deshalb ließ er seine drei Freunde jetzt auch sitzen und lief stattdessen  die Stufen des Krankenhauses nach oben. Dort fand er schnell einen Ort, an dem er durchatmen konnte. Lange alleine blieb er aber nicht.

„Weißt du schon was du tun wirst?“, fragte Ray und trat in die klare Nachtluft hinaus.

Mick stand auf dem Dach des Krankenhauses und überblickte die Stadt, die von Tag zu Tag größer wurde. Er seufzte auf und sah zu seinem besten Freund, der sich ihm jetzt näherte.

„Nein. Keine Ahnung. Und du?“, wollte er sogleich wissen und sah ihn fragend an. Ray hatte den selben Brief erhalten wie er. Den Einberufungsbefehl, der jetzt, nach dem folgenschweren Angriff auf Pearl Harbor nicht mehr zu ignorieren war.

Rey zuckte mit seinen Schultern und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. „Ich werde mein Vaterland und meine Familie schützen... ich kann mich dem nicht weiter erwähren.“, erklärte er ruhig.

„Du weißt, dass ich das nicht kann. Ich kann nicht einfach so Menschen töten.“, murmelte Mick und atmete noch einmal die etwas kühle Luft ein.

„Dann ist doch der Fall ganz einfach... du verbringst doch die letzten Monate sowieso immer wieder im Krankenhaus und hilfst den zahlreichen Verletzten ehrenamtlich.“

„Worauf willst du hinaus?“, fragte Mick und zog eine Augenbraue nach oben.

„Darauf, dass du ein hervorragender Sanitäter wärst. Glaub mir eines. Ich kannte deinen alten Herren gut genug um zu wissen, dass er stolz auf dich wäre, wenn du in den Krieg gehst um dein Land zu verteidigen und gleichzeitig den Menschen hilfst.“, erklärte ihm Ray und klopfte Mick auf die Schulter. Mick wirkte noch nicht ganz überzeugt. „Komm schon. Du kannst mich da nicht alleine lassen. Wir haben uns schon als Kinder versprochen alles gemeinsam zu machen. Also komm schon ... wir bleiben zusammen und werden diesen Krieg schon überlegen.“, lachte Ray und hob seine Hand.

Mick lächelte etwas und schlug bei Ray ein, bevor er noch einmal auf die zahlreichen Lichter der Stadt blickte. „In Ordnung ... ich komme mit.“

Er war schon viel in seinem Leben. Sohn. Bruder. Farmer. Musiker. Und jetzt wohl auch noch Soldat. So sollte der Überfall auf Pearl Harbor sein gesamtes Leben erneut verändern.
 

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08. Dezember 1941
 

Schweigen war in das Krankenzimmer eingekehrt, als Ray das Radio endlich dazu bewegen konnte zu empfangen. Präsident Franklin D. Roosevelt sprach zur Bevölkerung. Mick lauschte wie gebannt den Worten des Präsidenten.
 

„Yesterday, December 7, 1941—a date which will live in infamy—the United States of America was suddenly and deliberately attacked by naval and air forces of the Empire of Japan.

The United States was at peace with that nation, and, at the solicitation of Japan, was still in conversation with its government and its emperor looking toward the maintenance of peace in the Pacific. Indeed, one hour after Japanese air squadrons had commenced bombing in the American island of Oahu, the Japanese ambassador to the United States and his colleague delivered to our secretary of state a formal reply to a recent American message. While this reply stated that it seemed useless to continue the existing diplomatic negotiations, it contained no threat or hint of war or armed attack.

It will be recorded that the distance of Hawaii from Japan makes it obvious that the attack was deliberately planned many days or even weeks ago. During the intervening time the Japanese government has deliberately sought to deceive the United States by false statements and expressions of hope for continued peace.

The attack yesterday on the Hawaiian Islands has caused severe damage to American naval and military forces. I regret to tell you that very many American lives have been lost. In addition, American ships have been reported torpedoed on the high seas between San Francisco and Honolulu.

Yesterday the Japanese government also launched as attack against Malaya.

Last night Japanese forces attacked Hong Kong.

Last night Japanese forces attacked Guam.

Last night Japanese forces attacked the Philippine Islands.

Last night Japanese forces attacked Wake Island.

And this morning the Japanese attacked Midway Island.

Japan has, therefore, undertaken a surprise offensive extending throughout the Pacific area. The facts of yesterday and today speak for themselves. The people of the United States have already formed their opinions and well understand the implications to the very life and safety of our nation.

As commander in chief of the Army and Navy I have directed that all measures be taken for our defense. But always will our whole nation remember the character of the onslaught against us. . .
 

Mick schloss seine Augen und seufzte tonlos auf, während so viele andere jubelten. Er befeuchtete seine Lippen und zog ein kleines Schächtelchen aus seiner Manteltasche. Es war das letzte Geschenk, das Michael St. John ihm gemacht hatte und bisher war Mick nicht dazu in der Lage es zu öffnen. Vorsichtig und auch ein bisschen scheu hob er den Deckel an und betrachtete den Inhalt zögerlich. Ein Ring lag darin. Mit dem Familienzeichen. Mick seufzte noch einmal auf und steckte sich den Ring an seinen Zeigefinger, als ihm ein Zettelchen ins Auge fiel.

‚Damit du nie vergisst, dass du ein St. John bist ...’, stand darauf mit sehr krakeligen Buchstaben geschrieben. Eine der letzten Taten seines Vaters.

Mick betrachtete den Ring. Garantiert würde er nie vergessen, wer er wirklich war!
 

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Jaaaa, Roosevelts Ansprache musste einfach sein... sie gehört eben zu jenem Angriff dazu...

Ich für meinen Teil muss mich jetzt mit irgendwas schönem Ablenken, denn die ganzen Bilder von Pearl Harbor sind so unglaublich ... traurig.
 

An all die verstorbenen Seelen da draußen: RIP

12. August 1942 – Soldatenjungs

12. August 1942 – Soldatenjungs
 

- Nach dem Angriff Japans auf die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 und der am 11. Dezember erfolgten Kriegserklärung Deutschlands befand sich das Land auch offiziell im Kriegszustand mit den Achsenmächten. Trotz des japanischen Angriffs einigten sich die Regierungen der USA und Großbritanniens auf den Grundsatz „Germany first“, die Niederringung Deutschlands als vordringliches Kriegsziel.-
 

Mick seufzte an jenem Morgen auf. Ihm tat jeder einzelne Knochen im Leib weh und langsam wünschte er sich nur die Erlösung, auch wenn diese momentan nur den Krieg bedeutete. Er lag auf einem harten Brett, das ihm als Bett verkauft wurde. In dem großen Raum lagen mehrere dutzend Soldaten, schliefen und schnarchten. Sie trugen sogar ihre Armeestiefel. Unter ihren Kissen lagen Waffen und so war der Schlaf nicht wirklich eine Erholung. Seit Pearl Harbor waren alle angespannt und stets auf der Hut. Mick drehte sich auf dem Bett um und richtete sich augenblicklich auf.

Er konnte nicht mehr schlafen, weshalb er seine Beine aus dem Stockbett schwang und nur ein paar Augenblicke später auf dem Boden landete. Mick steckte seine Schusswaffe weg und warf einen Blick in das untere Stockbett. Ray schlief tief und fest. Beneidenswert.

Der junge St. John streckte sich ausgiebig und schlich auf Zehenspitzen aus dem großen Schlafraum. Hier und da begegnete ihm ein anderer Soldat, ehe er in die kühle Nachtluft hinaus trat. Das Ausbildungslager war besonders groß. Mehrere Gebäude, ein Flugplatz und spezielle Trainingsorte. Für Mick in den letzten Wochen ein zu Hause. Er rieb sich seine Augen, als er in die Kühle Nachtluft hinaus trat.

Stationiert in der Nähe von New York fühlte er sich einmal mehr entwurzelt. Mick zog ein zerknittertes, altes Foto heraus. Seufzend berührte er die Gesichter seiner Eltern und seiner kleinen Schwester. Sie fehlten ihm alle so schrecklich. Seine Ausbildung schritt von Tag zu Tag weiter voran. Bald war er Soldat und Sanitäter. Brummend steckte er sich eine selbstgedrehte Zigarette an und wanderte durch die kühle Luft.

Immer wieder begegneten ihm Soldaten die für den Patroillendienst eingeteilt waren, vereinzelt sogar betrunkene Soldaten, die den Weg zurück zum Stützpunkt wankten. Er hatte lange schon keinen Freigang mehr gehabt. Hier war das immer so eine Formalität. Ein Soldat durfte sich niemals unangemeldet vom Stützpunkt entfernen. Um erst eine solche Erlaubnis zu bekommen brauchte es viele Gänge zum Leiter der Einheit.

„Hier steckst du...“, gähnte Ray und trat an ihn heran. Mick war am Ende des Lagers zum Stehen gekommen und betrachtete den unglaublichen Vollmond. Seine Silhouette erstrahlte förmlich im Licht des großen runden Mondes, der in dieser Sternklaren Nacht auf sie herab schien.

„Hab ich dich geweckt?“, fragte Mick irritiert nach und warf einen Blick über seine Schulter.

„Nein.“

„Wirklich?“

„Vielleicht ein bisschen, aber das ist nicht weiter der Rede wert. Was machst du hier?“, fragte Ray nach und streckte sich einmal ausgiebig.

„Nachdenken...“, seufzte Mick.

„Über was?“, wollte Ray genauer wissen. Als Mick ihm eine Antwort schuldig blieb sprach Ray weiter: „Du denkst in letzter Zeit ziemlich oft nach. So warst du früher nicht Mick. Du hast gesungen und gelacht und dich nicht von dem Schrecken der Welt unterkriegen lassen, aber jetzt bist du auf einmal so gehemmt und grübelst die ganze Zeit nur. Sieh dir doch nur mal deine Stirn an. Du bist noch so jung und bekommst die ersten Falten.“, tadelte sein bester Freund.

Mick strich sich sogleich über seine Stirn, als wollte er die Falten weg bügeln. „Das Leben hat sich verändert.“

„Und deshalb vergisst du, wer du warst?“, hackte Ray nach und warf einen Blick auf den Ring, den Mick immer am Finger trag, auch wenn der Truppenleiter wenig erfreut über diesen Schmuck war. „Ist es wegen deinem Vater?“

„Ja....“, antwortete Mick ohne Umschweife. „Er hätte das hier nicht für mich gewollt. Er hätte nichts von all dem gewollt. Es war ein Fehler die Farm aufzugeben, meine Schwester und Mutter weg zu schicken. Ich bin alleine in dieser fremden Welt.“

„Bist du nicht.“, sagte Ray und klopfte ihm auf die Schulter.

“Du weißt was ich meine... sieh mich doch an. Ich habe niemanden. Wenn ich nach Hause komme wartet allenfalls Matthew auf mich, der derzeit Blutdealer spielt.“, meinte Mick.

„Nun. Wir wissen noch nicht mal wann und ob wir wieder nach Hause kommen werden und wenn wir dann erstmal heim kommen, dann wirst du sehr schnell eine Frau finden. Du bist doch ein hübscher Kerl. Das sollte doch kein Problem sein.“, scherzte Ray um die angespannte Situation etwas aufzuheitern.

Auf einmal legte Ray verheißungsvoll einen Finger auf seinen Mund. „Schh, verpfeif mich nicht beim Truppenleiter...“ Mit einem kleinen Zwinkern zog er einen Flachmann aus seiner Hosentasche. „Auch ein Schluck?“

Mick grinste breit und nahm mit einem dankbaren Nicken das starke Gesöff an.

„Du bist also eifersüchtig auf mich und Laila...“, stellte Ray mit einem Mal fest.

„Jaha... nicht jeder angelt sich so eine Frau.“, erwiderte Mick und reichte den Flachmann an Ray zurück.

„Nun ja, ich hatte eigentlich nur Glück. Sie ist Flugzeugtechnikerin. Wer hätte gedacht, dass sie sich auf so einen ungebildeten Trottel wie mich einlässt.“, raunte Ray und trank einen weiteren Schluck. Das brennende Getränk bahnte sich den Weg nach unten. Ihn schüttelte es einmal.

„Stimmt. Aber hey, ich gönn euch das Glück. Nur zeigt es mir eben immer wieder, was ich noch nicht in meinem Leben erreicht habe.“, erklärte Mick und nahm den Flachmann noch einmal in die Hände.

„Du willst also jetzt schon sesshaft werden? Heiraten und Kinder bekommen, anstatt die Welt zu erforschen, die dir quasi offen steht?“, fragte Ray ehrlich nach und konnte sich dabei ein kleines Stirnrunzeln nicht verkneifen.

„Ja. Ich hätte gerne viele Kinder, die durch den Garten toben. Meine Frau kocht für mich, wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme. Klingt nach einem überaus perfekten Leben, wenn du mich fragst.“, lachte Mick auf.

„Bedauerlicherweise steht uns da der Krieg ein bisschen im Weg.“, murmelte Ray und rieb sich den Nacken. „So schnell lassen sich deine Träume nicht realisieren, außer wir beide marschieren alleine nach Deutschland und Japan und erledigen das alles eigenhändig, damit der sinnlose Krieg endlich aufhört.“

Mick lachte auf. „Wenn es nur so einfach wäre! Hättest du das gedacht?“

„Dass wir irgendwann einen Weltkrieg erleben und unser Vaterland verteidigen müssen? Nein. Das hab ich mir nie erträumen lassen. Ich weiß noch, wie wir als Kinder immer nur ein Problem hatten...“

Mick lachte wieder. „Die Birnen aus Nachbarsgarten klauen ohne dabei erwischt zu werden...“, seufzte er auf.

„Damals war das Leben noch einfach, aber ich bin zuversichtlich, dass es das auch wieder werden kann. Irgendwann in der Zukunft, wenn wir beide alt und grau sind, werden wir zusammen sitzen, einen Whiskey trinken und unsere Enkelkinder beim Spielen im Vorgarten beobachten, während zwei von ihnen Birnen aus Nachbarsgarten stibitzen und nichts von Krieg und Sorgen ahnen.“

Mick schloss seine Augen bei den Worten seines besten Freundes und stellte sich diese Szene gerade bildlich vor. „Ich freu mich schon jetzt darauf... aber sei dir sicher, dass ich mehrere Kinder in die Welt setzen werde, als du.“

„Tzzz... dazu fehlt dir noch die Frau!“, raunte Ray und schlug Mick auf die Schulter.

„Die perfekte Frau find ich schon noch und so lange kann ich ja üben.“, lachte Mick auf und boxte ihm an die Seite.

Die beiden Männer begannen etwas miteinander zu rangeln, ehe die Sirene verriet, dass es Zeit zum Aufstehen war: Ab an die Arbeit! Die Ausbildung rief! Frohen Mutes und mit einem glücklichen Gedanken an die Zukunft machte sich Mick auf den Weg in das Lazarett um weitere Behandlungsmethoden zu erlernen...
 

Wenige Monate später war die Grundausbildung überstanden und den beiden Freunden stand der erste Einsatz in Deutschland bevor. Dieser sollte allerdings nur ein paar Tage dauern, ehe sie noch einmal in die Heimat durften, doch schon im Spätsommer 1944 wartete der zweite Einsatz... ein Einsatz, der das Leben von Beiden erheblich verändern sollte.

Spätsommer 1944 (Teil 1)

Spätsommer 1944 (Teil 1)
 

Ein Eiswagen fuhr vorbei, aber dafür hatten die beiden Männer, die das Haus verließen kein Interesse. Sie trugen ihre Uniform und einen Tragesack über den Schultern. Der Krieg erwartete Mick St. John. Ray warf noch einen kleinen Blick über seine Schultern. Er würde wohl sein Haus für sehr lange Zeit nicht mehr sehen. Der Entschluss in den Krieg zu gehen, war keineswegs einfach, aber ihm war wohl keine andere Wahl geblieben. Wenigstens hatte Rey seinen besten Freund an seiner Seite: Mick.

Dieser wurde noch einmal von der bezaubernden Laila aufgehalten, die in der Tür stand und ihren Ehemann gerade verabschiedet hatte. Das kleine Häuschen stand im Vorort von Los Angeles und war immer mal wieder das zu Hause von Mick. Auch schon in seiner Kindheit und Jugend hatte es ihn oft zu den liebevollen Eltern von Ray gezogen. Hier war er fern ab von der harten Arbeit auf der Farm. Es war sein zweites zu Hause. Er war hier quasi mit aufgewachsen. Vor kurzem hatte er die Farm verloren und jetzt war er im Begriff sein zweites zu Hause aufzugeben. Aber es war unabdingbar. Der Taxifahrer öffnete ihm die Tür, doch er drehte sich noch einmal zu Laila um.

„Mick? Behalte ihn im Auge, du weißt doch, dass er über seine Schnürsenkel stolpert.“, rief die Brünette Mick und Ray hinterher.

„Und wenn schon. Dann bin ich da und heb ihn auf.“, verkündete Mick mit einem Schulterzucken und einem charmanten, etwas schelmischen Lächeln.

Laila sah bezaubernd aus. Sie stand auf der Veranda. Ihr schwarzes Kleid, mit dem langen weißen und roten Randstreifen schmeichelte ihrer Figur fabelhaft. Die langen, dunkelbraunen Haare wehten etwas im aufkommenden Wind und ihre Lippen sahen wie immer verlockend aus. Leider hatte Ray damals ihr Herz im Sturm erobert. Mick schmunzelte, als sie die Veranda hinunterlief um ihren geliebten Ehemann noch einmal aufzuhalten. Sie fiel ihn in dem Arm und gab ihm noch einen innigen Kuss.

Natürlich freute sich Mick für seinen besten Freund, aber ein wenig neidisch war er schon. Vielleicht weil er sich einfach nur nach einem Gegenpart für sich selber sehnte.

„Pass auf dich auf, Ray. Ich liebe dich.“, flüsterte sie ihm zu und streichelte durch seine Haare.

„Ich bin bald wieder zu Hause. Verlass dich drauf...“, raunte Ray ihr sanft zu und berührte noch einmal zärtlich ihre Wange.

Mick hatte seinen Blick abgewandt und wartete nur noch darauf, dass Ray ins Taxi stieg. Dann schenkte er Laila noch ein flüchtiges Lächeln und schon saß auch er in dem Automobil, dass sie zum Flughafen bringen sollte.

„Weißt du schon, wo wir stationiert werden?“, fragte Ray nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens nach.

Das Taxi hatte vor dem Flughafen geparkt und die beiden Soldaten reihten sich hinter so vielen anderen ein. Mick schüttelte leicht seinen Kopf.

„Nur das wir nach Europa müssen. Manche munkeln, dass wir direkt gegen die Deutschen kämpfen werden.“, antwortete er ihm leise.

„Hmm. Die Japaner werden mir lieber!“, knurrte Ray, als er von Mick angestupst wurde.

„Matthew und Antony.“, sagte er und deutete auf die beiden jungen Männer, die hinter dem Absperrband standen und ihren beiden Freunden noch einmal zuwinkten. Hier trennten sich die Wege der Vier. So viel hatten sie gemeinsam durchgemacht, aber dieses Kapitel in Micks Buch, ging er alleine oder wohl eher nur mit Ray.

„Weißt du wer wir sind?“, fragte Ray auf einmal nach, als er seinen beiden Freunden winkte, die zu ihnen hinüber blickten.

„Ich bin sicher, du wirst mich jeden Moment aufklären.“, stellte Mick trocken fest.

„Richtig ... wir sind die vier Musketiere.“

Mick hob eine Augenbraue. „Waren es laut Alexandre Dumas nicht nur drei?“

„Ja, ursprünglich, aber du vergisst d’Artagnan. Zusammen waren sie zu viert und wenn du mich fragst, dann sind wir genau das.“, nickte Ray entschieden.

„Wie kommst du darauf?“

„Ganz gleich wie weit die Vier auch voneinander getrennt sind und welche Gefahren ihnen bevorstehen, sie halten immer zusammen und sind im Herzen miteinander verbunden. Auch wenn wir nicht wissen, was uns bevorsteht, wissen wir doch, dass Matthew und Antony immer an unserer Seite sind und uns dementsprechend unterstützen werden. Ich bin mir sicher, dass wir einander eines Tages wieder begegnen und zusammen reden und lachen werden. Wiedervereint, wie die Musketiere es auch sein sollten.“, sprach der Soldat mit stolz geschwollener Brust.

Mick lächelte Matt. „Einer für alle ...“

„... und alle für einen!“, stieß Ray begeistert aus und legte seinen Arm um Micks Schulter um ihn weiter zu schieben. „Wir sollten die Anderen nicht unnötig lange warten lassen. Immerhin müssen wir ein paar Deutschen ordentlich in den Hintern treten.“

„Du vielleicht. Ich bin nicht dafür da um irgendwem in den Hintern zu treten, sondern um mich deinen Wehwehchen anzunehmen, mein Freund.“

Ray schnalzte mit seiner Zunge und stiefelte gut gelaunt weiter. Das Lächeln auf seinem Gesicht und der Scherz der über seine Lippen kam war doch nur Fassade, denn in Wirklichkeit hatte er schreckliche Angst vor diesem Einsatz. Irgendein Gefühl sagte ihm, dass es eine Reise ohne Wiederkehr war.
 

Mick nahm in dem Flugzeug platz und seufzte noch einmal auf, bevor er sich etwas zurücklehnte und den Gurt etwas enger zog. Er mochte Fliegen nicht sonderlich. Er war lieber auf dem Boden. Darum schloss er jetzt auch seine Augen und versuchte an etwas Schönes zu denken. Leider hielt Ray nicht sonderlich viel von diesem Plan.

„Laila und ich. Wir wollen ein Baby, sobald ich wieder zurück bin.“, plauderte er munter und sah aus dem Fenster. Der Boden entfernte sich immer weiter von ihnen, während die Maschine etwas ruckelte.

„Oh wow... dich als Vater kann ich mir noch nicht wirklich vorstellen.“, raunte Mick und grinste breit.

„Hey!“, protestierte Ray und verpasste ihm einen kleinen Stoß. „Wie ist das jetzt bei dir? Wolltest du dir nicht auch endlich eine Frau suchen und Kinder in die Welt setzen.“

„Hmm, ich beschäftige mich im Moment noch lieber damit ein wenig zu üben.“, grinste Mick breit. „Du ahnst ja gar nicht, wie die Frauen sind, wenn sie die Hundemarke sehen... so führsorglich und liebevoll zu einem Soldaten.“

Ray schmunzelte. „Und was machen sie, wenn sie erfahren, dass du nur ein Sanitäter bist, der sich immer hinter den richtigen Soldaten versteckt?“, provozierte er etwas.

Doch davon ließ sich der junge St. John nicht ablenken. Dazu war er gerade viel zu angespannt und nervös. Seine Hände krallten sich förmlich in den Sitz, als die Maschine die Lüfte erklomm.

„Ich verstecke mich gar nicht hinter euch. Was würdest du nur ohne mich machen...“, murmelte Mick und lehnte seinen Kopf gegen die Kopfleiste. „Immerhin muss ich mich doch um dich kümmern, wenn du mal wieder über deine eigenen Füße stolperst.“ Mick knirschte mit seinen Zähnen und ließ seinen Blick aus dem Fenster gleiten.

Beide schwiegen mit einem Mal. Los Angeles wurde immer kleiner und verschwand schließlich ganz unter den Wolken.

Mick atmete tief durch und knetete seine Hände nervös ineinander.

„Hast du deine Mutter noch einmal gesehen?“, fragte Ray leise nach.

Sogleich schüttelte der junge St. John seinen Kopf. „Ich hab ihr und Lucy geschrieben. Aber ich habe Beide seit Jahren nicht mehr gesehen.“, atmete Mick schwer ein und wieder aus.

„Weißt du, wie es ihnen geht?“

„Ja... Lucy hat ihr Studium beendet und arbeitet jetzt als Journalistin für die Chicago Times. Die erste Frau, die richtig als Reporterin tätig ist. Sie hat es nicht leicht, aber Luu hat schon als Kind bewiesen, dass sie Ellebogen hat und sich gegen mich durchsetzen kann. Und meine Mum arbeitet noch immer in einem guten Haus. Die Familie ist vor kurzen an die Ostküste gezogen und hat sie natürlich mitgenommen. Sie fühlt sich dort sehr wohl und ist glücklich... mehr will ich nicht. Mir reicht zu wissen, dass es den Beiden gut geht.“, erklärte Mick und zeigte ein kleines Lächeln. Immer wenn er von seiner Familie erzählte wirkte er so glücklich. Jeder Groll oder negativen Gedanken verschwand aus seinem Gesicht.

„Sobald wir wieder zurück sind musst du sie besuchen Mick! Versprich mir das...“, sagte Ray und legte seine Stirn kurz in Falten.

Mick nickte. „In Ordnung... ich wollte sowieso schon mal an die Ostküste und auch Chicago unsicher machen.“, verkündete Mick und lehnte sich mit einem Lächeln auf den Lippen zurück. Er schloss seine Augen.

„Ich bin schon gespannt, wo wir genau stationiert werden...“

Ray seufzte auf. „Hoffentlich irgendwo wo es warm ist ... und wo es was gutes zum Essen gibt.“, murmelte Ray und ließ nun ebenfalls seine Augen zufallen.

Auf dem Flug war die letzte Chance zu entspannen, denn sobald sie gelandet waren, würden sie sich mitten im Kriegsgebiet befinden... Mick schauderte allein bei dem Gedanken. Blieb zu hoffen, dass ihr Einsatz schnell durchgeführt werden konnte.

Spätsommer 1944 (Teil 2)

Spätsommer 1944 (Teil 2)
 

Das rote Kreuz prangte auf seinem Arm und zeigte deutlich, dass es sich bei ihm um einen Sanitäter handelte. Sicher. Mick wusste, wie er mit der Waffe umgehen musste, aber ihm war das Leben eines Menschen wichtiger! Jedes Lebewesen war etwas ganz wertvolles, pflegte auch schon sein Vater zu sagen und genau daran hielt sich Mick auch immer.

Gemeinsam mit ihrer siebenköpfigen Truppe saßen die beiden Freunde Ray und Mick in einem Wald in Italien und aßen undefinierbare Lebensmittel aus einer Blechschüssel. Sicher irgendein alter Linseneintopf, denn genauso schmeckte das Zeug!

„Verdammt. Dagegen ist unsere Truppenverpflegung Gormetkost.“, murrte Mick und aß einen weiteren Bissen. Wenigstens machte das Zeug satt. Der Rest der Truppe stimmte mit einem ‚Ja’ zu, aber Ray musste natürlich noch einen draufsetzen. „Reich doch Beschwerde ein.“

Mick lachte auf, als sein bester Freund ohne Umschweife weiter sprach. „Oh warte Mal, wir sind mitten im nichts und kämpfen gegen die Deutschen!“, lachte Ray und kaute auf der ekligen, zähen Pampe herum. Mick spuckte zum wiederholten Mal einen harten Kern oder ähnliches aus.

„Das ist doch kein Nichts. Das ist ein Wald! In Italien!“, erwiderte Mick und lauschte einen Moment den zahlreichen Vogelgeräuschen in diesem kleinen Wäldchen, in dem sie sich befanden. Von weit her ertönten leise Motorengeräusche eines Flugzeugs.

Mit einem Mal schloss Mick seine Augen: „Was würde ich jetzt nicht alles für einen von Lailas Sonntagsbraten geben.“, seufzte Mick mit einem Mal auf und lehnte sich gegen den umgestürzten Holzstamm.

Ray schmunzelte. „Mmmh. Ich meine sie hat nicht nur Lena Turners Beine und das Lachen der Garbo! Sie kocht den Braten so gut, dass selbst ein Rabbi in Versuchung gerät!“ Wieder lachten alle auf und stellten sich gerade nicht nur den Braten vor. Just in diesem Moment durchschnitt ein Knall die Stille. Blut spritze und traf Micks Wange.

Ralph, der rechts von ihm saß sank zur Seite. Eine Kugel hatte seinen Hals durchbohrt. Mick sprang sofort auf.

„Runter!“, schrie Ray auf und sprang hinter dem Baustamm, während sich Mick an die Wundversorgung machte und dabei ein offenes Schussfeld abgab.

Auf einmal rannte Ray mit gezogener Waffe los.

„Nein Ray, bleib stehen!“, schrie Mick, doch da hörte er auch schon die Schüsse.

Abgefeuert von Ray. Dieser sah zu Mick und hob noch kurz seine Schultern an. Ein Deutscher weniger auf Gottes schöner Erde.

„Sichert die Umgebung!“, befahl Rey schroff und lief zu Mick zurück.

„Kannst du ihm helfen?“, war seine Frage, als er bei Mick ankam.

„Ich versuch es...“, murmelte er und streute ein Pulver auf die Wunde, versuchte sie mittels seiner Hände zu verschließen, aber es gelang ihm nicht wirklich. Die rote Flüssigkeit ran zwischen seinen Fingern hindurch und benetzte seine Kleidung.

„Schhh...“, kam von Mike, der einen Finger auf seine Lippen legte. „... hört ihr das? Das klingt ganz nach einem Helikopter.“

Die Männer schwiegen. Nur noch das leise atmen und das Geräusch der Vögel war zu hören. Doch da war noch etwas. Mick presste angespannt die Lippen aufeinander, als er deutlich die Laute des Helikopters ausmachen konnte. Verkrampft versuchte er die Blutung von Ralph zu stillen, während er sich umsah. Immer lauter wurden die Geräusche. Micks Blick wanderte hinab zu Ralph. Er lag mit starrem Ausdruck in den Augen auf den Boden. Jegliche Regung war verschwunden, das Leben war ausgehaucht. Resigniert zog Mick seine Hände beiseite und hob seinen Blick. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und fast hatte er die Sorge, dass jemand das hören könnte, doch dann verschwand der Helikopter. Die Truppe atmete auf.

„Was ist mit Ralphi?“, fragte Ray auf.

Mick schüttelte seinen Kopf und wischte sich das Blut von Ralph von seiner Wange. „Wir müssen ihn zurück zum Lager bringen.“, meinte Mick.

„Nein! Wir vergraben ihn hier. Wir können nicht riskieren mit einer Leiche aufgehalten zu werden.“, schnitt Ray ihm das Wort ab.

„Moment! Was ist mit dem Leitsatz, ‚Wir lassen niemanden zurück’?!“, fragte Mick aufgebracht.

Sein bester Freund schüttelte den Kopf. „Der Satz bezieht sich auf verwundete oder in Gefangenschaft geraten Männer.“, erwiderte Ray.

Beide Freunde sahen sich sekundenlang an. Eine Falte hatte sich auf Micks Zügen gebildet. Die Wut und Entrüstung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Das kann doch nicht dein ernst sein ... was sollen wir seiner Familie sagen?“, fragte Mick und sah von einem seiner Truppenmitglieder zum anderen. Alle hielten ihren Blick gesenkt.

„St. John: Ich bin Ihr Vorgesetzter“, fuhr Ray ihn scharf an.

Mick knirschte mit seinen Zähnen. „Jawohl ... SIR!“, knurrte er und beugte sich wieder zu Ralph hinab. Er hatte eine richtige Bestattung verdient! Mit zitternden Fingern schnitt er ihm die Hundemarke vom Hals und machte sich dann daran ihn provisorisch zu begraben. Zwei der Truppenkameraden halfen. Danach schritt Ray auch schon los. „Bewegung!“, fuhr er seine Truppe scharf an. Der junge St. John würdigte ihn keines Blickes, sondern sah einfach nur enttäuscht über das Verhalten seines besten Freundes zu Boden.

„Du weißt, dass ich keine andere Wahl habe. Ich muss zum Besten der Einheit handeln...“, sagte Ray mit einem Mal.

Mick hob seinen Blick. Stechend blaue Augen sahen Ray entgegen. „... und darüber hinaus vergisst du, dass wir alles Menschen sind. Ralph hat eine Familie, die niemals sein Grab besuchen kann. Niemand konnte sich von ihm verabschieden, weil wir ihn hier wie ein Tier zurück lassen. Es stimmt. Der Krieg verändert Menschen, nur hätte ich nie gedacht, dass er deine Prinzipien so schnell verändert.“, sprach Mick und schüttelte energisch seinen Kopf. Er klammerte sich an die Waffe, die er mit sich trug und wanderte durch den Graben.

„Mick...“, murmelte Ray, doch sein Freund schüttelte energisch den Kopf.

„Ich will überhaupt nichts mehr hören. Sir.“, kam kühl über die Lippen von Mick, der mit gesenktem Blick voran schritt.

Sie waren hier mitten in Italien und hatten das erste Stück ihrer eigenen Menschlichkeit begraben.
 

Die Sonne versank hinterm Horizont und hüllte den italienischen Wald in tiefe Dunkelheit. Hier und da leuchteten die Augen einer Eule. Die Soldaten hatten es nicht gewagt ein Feuer zu machen. Mick lauschte dem leisen Rascheln der Blätter und den Lauten der Tiere. Er lag auf dem Boden und immer wenn er sich etwas bewegte knackte ein kleiner Ast unter seinem Leib. Ihm fröstelte etwas, weshalb er seine Jacke etwas enger um sich zog.

Ein paar Stiefel wanderte über den trockenen Waldboden, weshalb Mick blinzelte. Ray ließ sich neben ihm auf den Boden fallen, weshalb sich Mick sogleich schlafend stellte. Er wollte im Moment nicht mit ihm sprechen, denn dazu saß die Entrüstung zu tief.

„Ich weiß, dass du nicht schläfst, Mick...“, murmelte Ray. „In Ordnung, ich hab verstanden, dass du nicht mit mir reden willst, aber das hat mich ja noch nie daran gehindert mit dir zu reden. Ich weiß, dass du es nicht verstehen kannst, wieso ich mich heute so verhalten habe, aber ich muss an euch alle denken. Wäre ich alleine, hätte ich Ralph da nicht liegen lassen, aber ich kann doch nicht die ganze Truppe der Gefahr aussetzen.“, erklärte Ray und lauschte in die Stille. Mick weigerte sich zu reagieren, denn für ihn war das alles ein schrecklicher Fehler.

Demonstrativ drehte er sich zur anderen Seite. Ray seufzte auf.

„Irgendwann wirst du es verstehen, St. John...“, raunte Ray auf und erhob sich dann wieder. Er steckte sich eine Zigarette an und pustete den Rauch in die Luft.

„Was wäre...“, sprach Mick auf einmal. Rays Blick richtete sich sofort wieder auf ihn. „... wenn ich das gewesen wäre? Hättest du mich auch einfach dort zurückgelassen, sodass mich irgendwann die Tiere auffressen?“

Ray befeuchtete seine Lippen und atmete tief durch. Mick lachte kühl und entrüstet auf. „Du hättest mich dort zurück gelassen...“, stellte er nüchtern fest und schüttelte leicht seinen Kopf.

„Mick!“, stieß Ray aus.

„Nein! Ich will nichts mehr hören Ray. Ich werde das niemals für gut heißen. Wenn du so handeln willst, dann ... ist das deine Sache, aber verlange nicht, dass ich dich verstehen muss!“, betonte Mick nochmal ausdrücklich.

Ray schwieg.

Eine schmale Kluft war zwischen ihm und seinem besten Freund entstanden. Schweigend blieb er neben ihm sitzen und versuchte wenigstens ein bisschen Schlaf in dieser Nacht zu finden. Am nächsten Tag wartete schließlich ein langer Marsch auf sie.

Spätsommer 1944 (Teil 3)

Spätsommer 1944 (Teil 3)
 

Wie lange sie schon marschierten konnte Mick gar nicht mehr sagen. Ihm war absolut heiß und so seufzte er einmal auf. Seine Finger wanderten über seinen Nacken. Die Haare unter seinem Armeehelm klebten an seinem Kopf und der Schweiß ran über sein Gesicht nach unten. Er fühlte sich wie in einem Backofen! Von Schritt zu schritt wurde ihm heißer, aber er trieb sich weiter. Ein kleiner Schluck aus der Feldflasche brachte auch nicht viel Abkühlung, denn das Wasser darin schien förmlich zu kochen. Sehnsuchtsvoll warf er einen Blick in Richtung des Geländewagens, der neben ihm her rollte. Was gäbe er nicht alles dafür, sich jetzt einfach auf die Ladefläche sinken zu lassen um ein bisschen Entspannung zu finden.

Er ließ seinen Nacken knacken und schleppte sich weiter durch die sengende Hitze, die auf sie knallte. Der Schatten, den die Bäume spendeten konnte ihm nicht helfen. Mick wurde das Gefühl nicht los innerlich zu verbrennen! Einfach zu ersticken, weshalb er jetzt auch den Kragen seines Oberteils etwas lockerte. Ein kleines Aufseufzen verließ seine Lippen und kurz warf er einen Blick zurück zu Ray. Der junge Mann schleppte sich den Weg entlang. Knallrot im Gesicht hatte ihn die Sonne mittlerweile deutlich gezeichnet. Micks Lippen kräuselten sich, doch schon im nächsten Moment sah er wieder nach vorne. Noch immer herrschte zwischen den besten Freunden eisige Stille, bis sich Ray wieder Mick näherte.

„Du redest nicht mehr mit mir?“, fragte er nach.

„Sieht so aus...“, gab Mick zurück und zupfte ein Stofftaschentuch aus seiner Tasche um sich den Schweiß von seinem Nacken zu wischen.

„Komm schon Mick. Jetzt spiel nicht das eingeschnappte Kind.“, zischte Ray und legte ihm bittend eine Hand auf die Schulter, die Mick gekonnt abwimmelte.

„Ich bin nicht dazu bereit meine Menschlichkeit aufzugeben, ganz gleich was passiert und du bist zu weit gegangen.“, murmelte der junge St. John eindringlich bevor er weiter schritt.

Ray blieb ein paar Augenblicke regungslos stehen, bevor er los lief. An Mick vorbei um wieder seinen Platz an der Truppenspitze einzunehmen.

Ein zweiter Truck mit aufgesetztem Maschinengewehr traf bei einer Weggabelung auf die Truppe. Micks Blick wanderte zu diesem hinüber und wie so oft beneidete er den Soldat am Maschinengewehr und den hinterm Steuer. Sie mussten nicht durch diese Hitze wandern. Mick rieb sich seine Stirn und ließ den Blick erneut schweifen. Seine Wangen waren vor Hitze gerötet und der Staub klebte an seiner Haut. Mit nassen Händen zog er seine Zigarettenpackung aus der Tasche. Er hatte fast keinen Tabak mehr. Leise fluchend drehte er sich noch eine Zigarette und steckte sie sich sogleich ein. Das Nikotin, das seine Lungen durchwanderte erfüllte ihn mit einem kleinen zufriedenen Seufzen. Es lenkte ab von der sengenden Hitze und gab ihm wieder ein bisschen mehr Kraft um voran zu schreiten. Kein Lüftchen wehte. Die heiße Luft war förmlich zum zerschneiden, aber sein Truppenleiter hatte natürlich kein Erbarmen mit den müden Soldaten! Die Wut auf Ray wuchs noch ein kleines Stückchen an, als er sie voran trieb.

„Los Leute, noch weiter bis zur nächsten Lichtung!“, rief Ray deutlich blieb aber nur Sekunden später stehen. Mick pustete erneut ein bisschen Zigarettenrauch aus, als er es auch hören konnte. Leise Geräusche von einem Schusswechsel drangen an ihre Ohren. Mick sah auf und ließ seinen Blick schweifen.

„Woher kommt das?“, fragte Ray nach und drehte sich einmal im Kreis, lauschte in die Geräusche des Waldes, die immer wieder von den Tönen der Gewehre durchschnitten wurde.

Sofort entsicherten die Soldaten angespannt und besorgt ihre Waffen. „Das ist die Straße nach Florenz...“, antwortete Mick leise und sah sich um. Beinahe war es so, als ob jegliche Geräusche in der Umgebung verstummten. Jedes Lebewesen hielt gespannt den Atem an und sah mit Schrecken dem entgegen, was auf sie zukam.

Der junge St. John schluckte schwer, als der Soldat am Maschinengewehr auf dem Truck winkte und einen Befehl in die Truppe ruf. „Okay, rücken wir vor!! Vorwärts!!“ Mit deutlich angespannter Miene sah Mick in den Wald hinein und näherte sich dem Wegrand. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er fühlte sich so gelähmt. Die Angst breitete sich binnen Sekunden in seinem gesamten Körper aus, aber er zwang sich dazu weiter zu gehen.

Mick erstarrte.

Etwas in der Luft surrte und wurde schnell lauter. Er presste seine Zähne aufeinander, als nur noch ein „IN DECKUNG!“, geschrien wurde! Und schon schlug die erste Bombe ein. Die Soldaten gingen panisch und hektisch in Deckung, suchten Schutz am Wegrand, doch immer mehr Geschosse prasselten auf sie ein. Eine Hand auf seinen Helm gelegt sprang er hinter einem kleinen Fels in Deckung. Micks Puls hatte sich beschleunigt. Er gestattete der Angst für ein paar Sekunden seine Gedanken einzunehmen. Leicht schlossen sich seine Augen, bevor er tief ein und wieder aus atmete. Er öffnete seine Augen, sah sich um und erblickte Ray auf der anderen Seite des Weges. Deckungslos!!

„Ray! Du musst weg da!!“, schrie Mick schier verzweifelt.

Jeglicher Groll war wie vergessen. Nur noch die Sorge um seinen besten Freund dominierte seine Gedanken! Ray und ein anderer Soldat – Tommy Winchester – rappelten sich auf und versuchten den Weg zu überqueren.

„Komm rüber zu uns!!“, rief Mick schier verzweifelt und winkte ihn hektisch zu sich.

Eine weitere Bombe traf auf den Boden. Tommy und Ray flogen ein paar Meter durch die Luft und blieben benommen liegen. Mick kannte kein Halten mehr! Ohne auf seine Deckung zu achten sprang er auf und rannte auch schon in die Richtung seines besten Freundes, der zitternd und mit einer klaffenden Wunde im Bauchbereich auf dem Boden lag.

„Tommy, bist du verletzt?“, schrie ein anderer Soldat und beugte sich über den leblosen Körper seines Freundes. Die Rufe der Soldaten waren überall. Angstschreie, Rufe voller Schmerzen, doch all das zählte für Mick gerade nicht. Stattdessen war er vor Ray auf die Knie gefallen und versuchte seine Wunde zu versorgen.

„Ray! Ray!! RAY!! Alles in Ordnung??“

“Meine Beine fühlen sich komisch an … sind sie noch da…?”, stieß Ray heißer aus und sah mit starren Augen zu Mick nach oben. In seinen grau-blauen Augen spiegelte sich deutlich die Angst wieder. Mick zog eine Packung Verbandsmaterial aus seiner Tasche und begutachtete die Wunde, in der einige Bombensplitter steckten.

„Ja natürlich. Zwei schnelle Beine und trotzdem musst ich zu dir rüber rennen...“, murmelte Mick und versuchte ihm wenigstens provisorisch zu helfen. „.... du bleibst doch bei mir Ray? Oder?“

Ray holte tief Luft und zitterte dabei am ganzen Leib. „Kümmer dich um Laila, okay?“, stieß er heißer aus.

Mick hob seinen Blick und sah sich ein paar Sekunden prüfend um. „Halt bloß den Mund!“, weigerte er sich die Worte seines Freundes anzunehmen. „Du kümmerst dich schon selbst um sie!“

Ray schüttelte leicht seinen Kopf. „Sag ihr, dass ich sie liebe... Sags ihr...“, bat Ray und ließ seinen Blick auf Mick verweilen, der noch immer panisch damit beschäftigt war seine Wunde zu versorgen.

Mick stutzte und sah ihn an. Schwer schluckend nickte er schließlich. „Ich sage es ihr, Ray. Ich sags ihr...“, flüsterte er und strich seinem besten Freund apathisch über die Wange. Der Ausdruck in Ray’s Augen wurde starr. „Ray?“, fragte Mick nach, als da wieder dieses ohrenbetäubende Pfeifen war, das sich ihm rasant näherte. Er riss seinen Blick von Ray los und starrte in die Luft. Mick atmete einmal tief durch, legte eine Hand auf seinen Helm und versuchte sich noch irgendwie zu schützen, doch es war zu spät. Die Bombe schlug auf die Erde. Die Welt um Mick herum wurde in die Dunkelheit getaucht...

Spätsommer 1944 (Teil 4)

Spätsommer 1944 (Teil 4)
 

Alles um Mick herum war dunkel. Keine Geräusche waren zu hören. Weder Farbe noch Licht existierten hier. Weitab von Raum und Zeit. War er Tod? Mit Sicherheit! Doch wo blieben die Engel, von denen immer erzählt wurde? War er dazu verdammt auf ewig alleine in der Finsternis zu sein? Er fühlte sich nicht dazu im Stande sich zu Bewegen und so versank er weiter in der Dunkelheit, bis eine sanfte Stimme an sein Ohr drang. Das musste dann wohl ein Engel sein... wo aber war der Engel? Er konnte niemand entdecken, nur hin und wieder eine Berührung fühlen.

Langsam lichtete sich der dunkle Nebel, in dem er sich befand und gewährte ihm einen Blick auf das bildhübsche Gesicht des Engels. Ihre dunkelgrünen Augen betrachteten ihn besorgt und schienen ihm bis in die Seele zu blicken. Mit einem kleinen Stirnrunzeln berührte sie ihn erneut und ihm fielen die Augen wieder zu.

Ein furchtbar drückender Schmerz machte sich in ihm breit und brachte Mick dazu einmal laut aufzuschreien. Er kämpfte, versuchte sich zu verteidigen, aber war nicht im Stande sich zu bewegen. War das hier der Himmel? Wohl doch eher die Hölle, die ihn auf ewig dazu verdammte in Qualen zu existieren!

Wieder verschwand der Nebel und diesmal hörte er so viele andere Schreie. Eine unglaubliche Hitze machte sich in ihm breit. Er war erschöpft und hatte Schmerzen.

„Bin... ich ... bin ... ich ...“, murmelte er vor sich hin und fühlte auf einmal etwas kühles, das sich auf seine Stirn legte. „... in der... der ... Hölle...?“, brachte er hervor und blinzelte etwas.

Da war es wieder, dieses engelgleiche Gesicht. „Noch nicht... halten sie noch ein bisschen durch.“, murmelte sie ihm zu. Ein kleiner Stich an seinem Arm und schon sank er zurück in das Reich der Finsternis!

Wie lange er hier lag, war unmöglich zu sagen. Immer wieder wandelte er zwischen tiefer Bewusstlosigkeit und schmerzhaftem Bewusstsein.

Mick befand sich in einem kleinen Zelt, das einer Truppe als Lazarett diente. Vor zwei Wochen hatten Soldaten ihn gefunden. Schwer verletzt und als einziger Überlebender. Seit dem kämpfte er mit dem Tod. So auch an jenem wohl letzten schönen Sommertag in Italien.
 

Die Lazarettschwester reichte ihm einen Becher Wasser. Kraftlos streckte Mick seine Hände aus. Mit einem sanften Lächeln half die Schwester ihm dabei den Becher zu seinen Lippen zu führen . Das kühle nass wanderte seine Kehle nach unten und sofort wurde er gieriger. Mit einem Zug leerte er den Becher und sah bittend zur Lazarettschwester, die den Becher noch einmal füllte.

„Langsam, Captain St. John. Sie dürfen nichts überstürzen.“, flüsterte sie leise.

Ihre Stimme hatte einen angenehmen, warmen Ton, weshalb er einmal tief ein und ausatmete, bevor er sie betrachtete.

„Wo...?“, formten seine Lippen eine leise Frage. Das Sprechen tat ebenso weh wie das Atmen. Langsam ließ er seinen Blick an sich hinab gleiten. Er trug nur eine schlichte Leinenhose, aber überall am ganzen Körper zierten ihn Verbände.

„Sie sind im britischen Lager in der Nähe von Florenz. Wir haben Sie vor zwei Wochen schwer verletzt gefunden.“, sagte sie ruhig und fühlte seine heiße Stirn. Mick schob ihre Hand beiseite und ließ sich wieder ins Bett zurück sinken.

„... meine ...“, murmelte er und versuchte weiter zu sprechen, doch die Krankenschwester legte sanft, aber bestimmt ihren Finger auf seine Lippen.

„Sie müssen sich ausruhen. Sie sind sehr schwer verletzt. Es ist ein Wunder, dass Sie überlebt haben, also versuchen Sie ein bisschen zu schlafen um ihre Kraft zu sammeln.“, sprach die junge Frau. Sie kam aus London und war wohl das schönste Wesen, das er je gesehen hatte. Er schluckte schwer und hustete, als sich eine Hand über seine Augen legte. „Schh.“, flüsterte sie nochmal. „Schlafen Sie...“

Auch wenn Mick ihr gerne widersprochen hätte, war er nicht im Stande dazu. Viel zu erschöpft und geschwächt war er im Moment. Er hatte überlebt, aber was war mit Ray? Noch immer sah er die Miene seines besten Freundes vor sich, der gerade dabei war zu sterben. Mick atmete tief ein und wieder aus. Er schaffte es nicht wach zu bleiben, sondern sank in einen tiefen, traumlosen Schlaf zurück.

Erst Stunden später erwachte er wieder. Das Lazarett war fast leer und von draußen drangen laute Stimmen an sein Ohr. Mick spannte seine Muskeln an und setzte sich mühsam auf.

„Tzz...“, ertönte ein Laut und sofort blickte er in das Gesicht der Lazarettschwester.

„Ich bin auch ganz brav.“, schwor er ihr und erhob sich dann.

Noch ganz zittrig und weich waren seine Beine, als er zum Zeltausgang wanderte und die Plane ein bisschen beiseite schob. Die ganze Truppe stand versammelt auf dem Zeltplatz und lauschte einer Rede. Scheinbar der Truppenkommandeur. Mick nahm nur Wortfetzen wahr, weshalb er ein paar Schritte näher heran trat.

„................Macht euch bereit Männer. Wir brechen  morgen früh Richtung Ardennenwald auf.“, rief der Truppenleiter in die Menge hinein.

Mick zog mit einem schweren Atmen die Decke enger um sich herum. Nach wie vor stand er unbewegt am Zelteingang und sah hinüber zu dem Commander, der ihn auch entdeckte. Erhobenen Hauptes schritt der Brite auf ihn zu.

„Ah, unser Dornröschen ist auf gewacht.“, sprach er. Der britische Akzent war unverkennbar.

„Sir...“ Mick reagierte schwerfällig und salutierte vor ihm. Immerhin waren die Briten Verbündete der Amerikaner. „... ich hab Ihnen wohl mein Leben zu verdanken. Gab es noch Überlebende?“  

Der hochgewachsene Truppenleiter schüttelte seinen Kopf. „Nicht das wir wüssten. Theoretisch hätten nicht mal Sie das Bombardement überleben dürfen. Offensichtlich hat ein Schutzengel sie begleitet.“, grinste er flüchtig.

Micks Blick ruhte einen Moment auf der Mark des Briten, denn nicht nur die beiden Armee-Anhänger baumelten an der Kette, sondern auch ein goldenes Kreuz.

„Scheint fast so.“, murmelte Mick und grinste bitter.

„Mein Beileid.“, sagte der Commander mit einem Mal. „Ich weiß wie es ist Freunde zu verlieren. Wir werden im Ardennenwald auf amerikanische Truppen treffen. Wenn es Ihr Wunsch ist, können Sie uns begleiten, Captain ...?“ Interessiert hob er eine Augenbraue in die Höhe und sah abwartend zu Mick hinüber.

„... St. John. Mick St. John und ich bin kein Soldat. Ich bin Sanitäter.“, sagte Mick entschieden und zwang sich zu einem bitteren Lächeln. „Es wäre mir eine Ehre Sie zu begleiten. Commander...?“ Ein breites Grinsen schlich sich auf die Züge des Amerikaners, denn genau wie der Truppenleiter vor wenigen Augenblicken, wartete jetzt auch Mick auf eine Vorstellung.

„Simones. George Simones.“, antwortete er und klopfte ihm noch einmal auf die Schulter. „Versuchen Sie noch ein paar Stunden zu schlafen. Der Marsch wird anstrengend.“

George nickte Mick noch einmal zu, bevor er sich abwandte, um die Abbauarbeiten zu beaufsichtigen. Mick seufzte auf und ließ seinen Blick in Richtung Himmel wandern.

„Weshalb die Ardennen?“, fragte er Sarah – die Lazarettschwester – als er sich auf sein Lager sinken ließ.

„Am 10. Mai 1940 begann in den Ardennen eine Offensive des Deutschen Reiches gegen Frankreich. Die deutsche Wehrmacht vernichtete am 12. Mai die Artillerie-Stellung an der Maas. Iser unvorhergesehene Angriff war ausschlaggebend für den darauf folgenden Einmarsch der Truppen in Frankreich und läutete die Niederlage Frankreichs, Belgiens und der Niederlande ein.“, erzählte sie ein bisschen und betrachtete Mick. Er erholte sich erstaunlich schnell. Ein sehr beeindruckender Mann mit wunderhübschen Augen.

„Das beantwortet meine Frage nicht direkt.“, flüsterte Mick ihr zu und neigte sich mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen zu ihr.

Sie hob ihre Schultern. „Ich bin hier lediglich die Lazarettschwester. Sie glauben doch wohl nicht, dass mir irgendwelche Schlachtpläne offen gelegt werden...“, raunte sie ihm zu und näherte sich seinem Gesicht ganz unweigerlich noch ein kleines bisschen näher.

„Oh... verstehe. Zu schade aber auch.“

Sarah zog ihre Augenbrauen nach oben und zwinkerte ihm noch einmal zu. Ehe Mick ihr einen kleinen Kuss stehlen konnte richtete sie sich wieder ganz auf. „Bleiben Sie ja brav. Immerhin wollen Sie doch jemanden, der sich um Sie kümmert.“, grinste sie breit und strich ihm einmal durch die Haare. „Jetzt ruhen Sie sich aus, St. John. Morgen marschieren wird bereits los.“

Mick zog die Decke hinauf bis zu seiner Nasenspitze und seufzte einmal sehr schwer auf.
 

Früh am nächsten Morgen wurde auch das letzte Zelt abgebaut. Mick hatte Glück. Die Führsorge von Commander Simones war unglaublich. Der Amerikaner durfte in einen der Trucks mitfahren und musste nicht eingepfercht in den Lastwagen hocken, wie die meisten Soldaten. Er atmete tief durch und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen. Das wunderhübsche Italien hatte seinen Reiz verloren. Mick nahm nur die Trockenheit um sich herum wahr. Nach einer Weile fielen ihm erneut die Augen zu. Noch war er vollkommen geschwächt.

Das, was er bislang erlebt hatte, war jedoch nicht zu vergleichen mit dem, was im Ardennenwald auf ihn wartete...

20. Januar 1945 - Battle of the bulge

20. Januar 1945  - Battle of the bulge
 

Es war der schlimmste Winter, seit Menschen gedenken. Für Mick bedeutete das die wohl mitunter schwerste Zeit seines Lebens. Seit er wieder bei den amerikanischen Truppen war, träumte er nicht nur Nacht für Nacht von einer besonderen Frau, nein, er musste sich auch mit dem Tod prügeln.

Erneut.

Mick hatte ein kleines Buch aus seiner Tasche gezogen und begann mit zitternden Fingern ein paar Buchstaben zu schreiben. Sein Bleistift war mittlerweile so klein, dass er wohl nicht mehr lange halten würde, aber er brauchte Ablenkung. Er wollte aufschreiben, was ihm passiert war um nicht eines Tages alles zu vergessen: „Am 07. Januar bewegten wir uns im Schutz des Artilleriefeuers nach vorne, als wir von hinten beschossen wurden. Eine Einheit aus unserem Battalion war vom Weg abgewichen und es hatte sich Konfession breit gemacht. Sie hielten uns für Deutsche und begannen uns zu beschießen. Nachdem das geklärt war, griffen wir in den Wäldern an, dann kamen wir auf ein Feld. Auf der anderen Seite stand ein Panzer, der uns unter Beschuss nahm. Wir zogen uns zurück. Immer mehr Soldaten fielen, immer mehr Freunde verlor ich. In meiner Kompanie waren ca. 200 Leute... am Abend waren nur noch 64 übrig. Da begann er. Der Anfang vom Ende.“ Mick seufzte auf. Es war bitterkalt.

„Schreibst du schon wieder?“, fragte Thomas, ein Freund von Mick.

„Ja. Irgendwas muss ich machen, seit ... uns die Deutschen quasi überrannt haben.“, antwortete Mick und kauerte sich etwas zusammen.

„Verstehe...“, murmelte Thomas und lauschte in die Stille der kalten Nacht. Von weit her konnten sie Gewehrfeuer vernehmen.

Man konnte dem Feind und dem Wetter zum Opfer fallen. Beide zusammen waren eine ziemlich tödliche Kombination. Wenn man getroffen wurde, konnte man in einen Schockzustand verfallen. Bevor man gefunden wurde, war man erfroren.

Mittlerweile hörte es gar nicht mehr auf zu schneien und der verdammte, dichte Nebel behinderte die Sicht, sodass keiner wagte eine Granate zu werfen. In der Nacht war es so leise. Die Bäume ragten mächtig in die Luft und der Schnee war so kalt. Nichts und niemand hatte Mitleid, aber doch war er hier. Mick wurde das Gefühl nicht los, dass sich die ganze Welt gegen ihn verschworen hatte. Ein kalter Wind pfiff heran und brachte ihn zum zittern.

Mick schloss seine Augen und lehnte sich an seinen Kameraden, dessen Zähne laut klapperten. Das hier war sie also. Die blutigste Schlacht im zweiten Weltkrieg. Wenn man vor Kälte zittert, war das Schlafen unmöglich.

Seit der Nachricht, dass es einen Durchbruch der Deutschen in den Ardennen gegeben hatte, hatte er die Hoffnung verloren, jemals wieder nach Hause zu dürfen. Es hieß erneut in eine Schlacht zu ziehen, diesmal aber ohne die Chance auf eine Wiederkehr. Seit nun mehr 3 Wochen war er hier, verarzte tag täglich verletzte Amerikaner und Engländer, erschoss Deutsche, oder wurde fast bewusstlos vor Kälte, die ihn mehr und mehr lähmte.

„Ich spüre meine Beine nicht mehr...“, nuschelte Billie Edwards. Der Kleine war gerade mal 19 Jahre und der jüngste Soldat in den Reihen der Amerikaner. Mick schluckte und warf einen Blick auf ihn herab. Billie – der stets nur ‚der Kleine’ genannt wurde, hatte sich an ihn geschmiegt. Schon seit Tagen hatte er nicht mehr geschlafen, hatte sich bereits mit seinem Schicksal abgefunden.

„Dann beweg deine Füße etwas, das vergeht gleich wieder.“, meinte der Sanitäter und strich sich einmal durch die Haare, die unter seinem Helm schon ganz steif gefroren waren.

Zwei Männer liefen gebückt an ihnen vorbei. Commander Simoens und General McQueen. Der britische und der amerikanische Truppenleiter. Mick sah beiden nach und warf dann wieder einen Blick zu Billie. „Hey, wir haben Weihnachten verpasst... das werden wir sicher nachholen, wenn wir hier erst Mal raus sind. Wer weiß, vielleicht holen wir es einfach nach, wenn wir wieder zu Hause sind.“, versuchte Mick das Thema auf etwas erfreuliches zu lenken.

„Dann schmücke ich einen gigantischen Baum...“, lächelte einer der Fünf, die hier draußen in der Kälte saßen. Sein Name war Charlie.

„Und morgen früh öffnen wir die Geschenke...“, murmelte Tony, der auf Micks anderen Seite hockte.

„... trinken Glühwein und Eierpunsch.“, flüsterte Charlie.

„.... essen fantastischen Braten“, grinste Billie mit geschlossenen Augen. Schon alleine bei dem Gedanken lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

„Und wir liegen vor dem Kamin.“, seufzte Thomas auf.

Zu sechst saßen sie mitten im Ardennengraben – hatten sich eine Stellung ausgegraben - und warteten darauf, dass die Deutschen sich endlich geschlagen gaben. Inzwischen wusste er eines mit Sicherheit: Das Leben war grausam! Wofür lohnte es sich noch zu leben, wenn sie doch nur sinnlos ihre Zeit hier fristeten und weder ein noch aus wussten. Der Reihe nach fielen die Soldaten wie die Fliegen.

Billie zitterte erneut sehr stark auf, weshalb Mick einmal blinzelte. Er ließ seinen Blick über das ‚Küken’ gleiten, als sein Blick an dessen Schuhen hängen blieb. „Hast du Löcher in deinen Schuhen??“, stieß er aus und sofort verschwand die Müdigkeit aus seinem Körper.

„Ja...“, nuschelte Billie.

Auch die anderen setzten sich jetzt auf. „Der Marsch hier her war heiß... ich habe nicht mit Schnee gerechnet...“, gestand Billie leise. Mick rutschte nach vorne und betrachtete die Schuhe skeptisch. „Beweg deine Füße! Schlag sie aneinander!“, forderte er dann auf.

„Ich kann nicht.“, antwortete Billie.

Mick knirschte mit seinen Zähnen und tauschte einen Blick mit Charlie. „Was ist los?“, fragte Billie leise, als Mick ihm einen Schuh auszog. Der Sanitäter knirschte mit seinen Zähnen und betrachtete den blau-schwarzen Fuß. Er hatte ein Taschenmesser aus seiner Tasche gezogen und stach ihm in die Fußsohle, in die Zehen und in den Knöchel. Der Fuß war angeschwollen und verriet eindeutig, dass nichts mehr zu retten war. Keinerlei Reaktion von Billie. Thomas und Charlie hatten sich aufgesetzt und auch Tony war ein bisschen näher heran gerutscht.

Die Männer tauschten einen kurzen Blick miteinander. Tony wickelte seinen Schal vom Hals. „Halt still Kleiner.“

“Warte! Was ist los...???“, schrie er noch leise auf, ehe Tony ihm den Fuß abschnürte. Ein paar Tränen glitzerten im Gesicht von Billie.  

„Dir muss der Fuß abgenommen werden, damit sich die Erfrierung nicht weiter ausbreitet.“, erklärte Mick leise und seufzte einmal schwer auf.

Billie musste Evakuiert werden! „Bringt ihn in das Krankenhaus nach England und versucht, dass er unterwegs so wenig Blut wie möglich verliert.“, wies Mick zwei seiner Kameraden an. So hoben Tony und Charlie ihn hoch und begaben sich auf den Rückweg zu den Zeltlagern. Mick und Thomas machten sich auf den Weg zu einer weiteren Stellung. Keiner von Beiden sagte etwas.

In den frühen Morgenstunden gruben sie sich eine weitere Stellung aus. Ein wenig Schlaf hatten sie sich verdient.

Mick legte sich mit angezogenen Knien auf die Seite. Thomas direkt neben ihn. Seine Knie berührten seinen Bauch und sein Kopf lag in der Nähe von Micks. So lagen sie in Embryohaltung zusammen und versuchten sich gegenseitig etwas zu wärmen.

„Glaubst du, wir kommen hier lebend raus...?“, fragte Thomas leise nach.

Mick atmete tief durch. „Ich hoffe es... aber ich glaube nicht.“, antworte er ihm leise.

„Wartet jemand auf dich?“

„Ich glaube nicht...“, schüttelte Mick seinen Kopf. Er zitterte wieder am ganzen Leib und wünschte sich nichts sehnlicher als ein kleines Lagerfeuer, an dem er sich wärmen konnte. Oder auch ein bisschen Essen. Schlaf. Ganz einfache Dinge, die ihm wie ein ungewöhnlicher Luxus vorkamen. Das Sterben schien so leicht. Leichter als das Leben. Mick war absolut deprimiert und so betäubt vor Erschöpfung.

„Wir müssen uns selbst verletzten.“, sagte Thomas mit einem Mal. „Dann kommen wir hier raus.“

„Red nicht so...“, murmelte Mick. Ihm war zum Weinen zu Mute, doch Thomas drehte weiter durch. Verständlich. Das hier war alles so schrecklich frustrierend!

„Hmm...“, nuschelte Thomas und atmete einmal tief durch, bevor seine Augen zufielen. Vielleicht hatte er die Chance auf zwei oder drei Stunden Schlaf.

Mick lag noch lange wach. Dachte an seine Familie, seine Freunde und vor allem an seinen verstorbenen Vater. Ob er ihn schon bald wieder sah? Er konnte es nicht sagen, aber er hoffte es, denn das spendete wenigstens ein bisschen Trost.
 

Am nächsten Tag war die Ardennenoffensive vorbei. Ganz plötzlich und unscheinbar. Die amerikanischen Truppen erreichten wieder ihre Stellungen, die sie vor der Offensive eingenommen hatten. Thomas war in jeder letzten Nacht gestorben, weshalb Mick alleine das Ende der Schlacht miterlebte. Es gab keine Zeremonie um das Ende der Schlacht zu feiern. Nicht mal eine Schlagzeile in den Zeitungen. Die Amerikaner marschierten einfach weiter.

Nicht aber Mick.

Sein Krieg war zu Ende.

Er durfte nach Hause.

Auf dem Schlachtfeld hatte er einen Teil seiner Seele verloren. Sein unbeschwertes Wesen von früher war gestorben. Einfach verschwunden. Stattdessen saß er grübelnd und mit ein paar Sorgenfalten auf der Stirn im Flugzeug, dass ihn nach Hause bringen sollte. Mick starrte nach draußen und sah wieder die unzähligen Gesichter vor sich. Männer die er verloren hatte. Freunde, die er niemals wieder sehen konnte. Die hübsche Lazarrettschwester. Alles Vergangenheit. Er dachte nur noch an die Schlacht in den Ardennen. An die Verzweiflung, die er in diesen Tagen und Wochen gespürt hatte. Hoffentlich war es möglich, dass er sein Leben wieder weiterleben konnte.

Glücklich und unbeschwert. Aber diese Zeit würde ihn wohl von jetzt an immer begleiten. Das Leben hatte mit einem Mal eine größere Bedeutung, denn Mick wusste jetzt, wie leicht es einfach beendet werden konnte. Mick schloss seine Augen und schlief ....
 

» Jede Kanone, die gebaut wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel gelassen wird, jede abgefeuerte Rakete bedeutet letztlich einen Diebstahl an denen, die hungern und nichts zu essen bekommen, denen, die frieren und keine Kleidung haben. Eine Welt unter Waffen verpulvert nicht nur Geld allein. Sie verpulvert auch den Schweiß ihrer Arbeiter, den Geist ihrer Wissenschaftler und die Hoffnung ihrer Kinder.
 

Dwight D. Eisenhower «

 

12. Februar 1945 – Heimkehr

12. Februar 1945 – Heimkehr
 

Den Sandsack lässig über seine Schulter gelegt verließ er erneut ein Flugzeug. Nach mehreren Zwischenstopps und einem zehntägigen Aufenthalt in New York hieß es endlich wieder Los Angeles in Sicht! Er war zu Hause!!

Schon als er die ersten paar Schritte tat bildete sich ein breites Lächeln auf seinen Zügen. Die Erleichterung machte sich in ihm breit und nun gelang es Mick das trübe und furchtbare Kapitel des Krieges hinter sich zu schließen. Ein leises Liedchen summend schlenderte er mit so vielen anderen Seelen einen langen Gang entlang. Hier und da wurden die Soldaten bereits von ihren Angehörigen in die Arme geschlossen.

Ein kleines, blondes Mädchen wackelte mit ihrem Windelpo in Richtung ihres Vaters. Mick lächelte ihm zu und nickte. „Pass auf dich und deine Familie auf, Thomas.“, raunte Mick seinem Kamerad zu, als dieser in die Hocke ging. Seine Arme weit ausgebreitet wartete er auf das blonde Mädchen, das aussah wie ein Engelchen.

„Du auch auf dich, Mick. Ich bin sicher wir werden uns eines Tages wieder über den Weg laufen.“

Mick lachte noch und lauschte ein paar Sekunden der Herzzerreisenden Szene. Die Kleine hatte ihre viel zu kurzen Arme um den Hals ihres Vaters gelegt. Eine Träne kullerte über ihre Wange, als sie ein paar Worte ausstieß. „Mein Daddy... mein Daddy! Ich hab dich vermisst...“ Thomas drückte sein Kind an sich. „Du hast mir auch schrecklich gefehlt.“, flüsterte er ihr zu, woraufhin sie etwas kicherte.

Mick setzte unbeirrt seinen Weg fort und ließ immer mehr Kameraden hinter sich. Los Angeles rief, aber dann entdeckte er ein braunes Pappschild, dass in die Höhe gehalten wurde. „ST. JOHN – MICKEY!“, prangte in großen Lettern darauf. Leicht schüttelte der Soldat seinen Kopf. Es gab nur eine einzige Person auf dieser Welt, die ihn so nannte! Matthew!!

Jetzt kannte er kein Halten mehr, sondern rannte los und da erblickte er sie auch schon: Matthew und Antony!! Es war jetzt fast ein Jahr her, dass er sie zuletzt gesehen hatte. Er strahlte. Er war glücklich, als er die beiden Männer in seine Arme schloss.

„Ich hab doch gesagt ich komm zurück!“, stieß er freudig auf.

Ein undefinierbares Gefühl der absoluten Freude machte sich in ihm breit und mehr und mehr rückten seine Sorgen und die schlimmen Bilder in Vergessenheit. Matthew heulte! Antony verkniff sich mühsam die Tränen, hielt sich aber noch immer suchend nach Halt an seinem besten Freund fest. Lachend standen die Drei mitten in der Halle des großen Flughafens. Ganz gleich wie weit sie auch in den letzten Monaten voneinander entfernt waren, im Herzen waren sie sich stets nahe!

Mick holte tief Luft. Ein wenig Schweiß glitzerte auf seiner Stirn und hier und da ran ihm eine Träne über seine Wagen. „Ich habe all die Zeit nicht geheult und jetzt schafft es tatsächlich ihr Beiden mich dazu zu bewegen!“, seufzte er auf und rieb sich etwas über die Wangen, die sich daraufhin etwas rot färbten. Erneut lachte Antony auf. „Geschieht dir auch ganz Recht, nachdem du uns so lange alleine gelassen hast!“, rief er ihm zu.

Matthew – der in den letzten Monaten eindeutig etwas pummliger geworden war – hob Micks Tasche auf und legte seinen Arm um die Schultern seines Freundes.

„Tut gut, dich wieder zu sehen Mick.“, gestand er ihm.

„Ja! Ich bin froh euch wieder zu sehen!“, rief Mick und legte seinen anderen Arm um Antony. Einen links, einen rechts. So marschierte er los.

Nun konnte es beginnen.

Das gute Leben.
 

Später am Abend saßen die Männer in ihrer alten Bar, spielten Karten und lachten. Kein Gedanke wurde an den Krieg verschwendet, stattdessen plauderten Antony und Matt freudig darüber, was sich hier alles ereignet hatte. Tony war mittlerweile verheiratet und auch Matt hatte die Frau seines Lebens gefunden. Es kam Mick vor, als wäre er eine Ewigkeit nicht mehr zu Hause gewesen. Erst jetzt lernte er den herben Geschmack des Bieres schätzen, amüsierte sich über die Betrunkenen und sah der ein oder anderen schönen Lady hinterher. Wenn das der Sinn des Lebens war, dann hatte er nichts dagegen, wie er mit einem tiefen Seufzen feststellte. Ein weiterer Zug aus seinem Bier und ein kleiner Scherz von Matthew brachte ihn erneut zum Auflachen. Allerdings gab es da etwas, das ihm auf der Seele lag und von Sekunde zu Sekunde anschwoll. Das Gefühl ließ sich nicht länger ignorieren. Mick nickte und strich sich unbewusst über seine Hundemarke. Gedankenverloren starrte er in die Luft, bist Matt ihn anstupste.

„Ich muss zu Laila... und mit ihr über Ray sprechen.“, murmelte er und klopfte seinen beiden Freunden auf die Schultern. „Ich kann das nicht länger vor mir her schieben.“

Für ein paar Augenblicke kehrte Stille ein und die drei Männer sahen auf den freien Platz am Tisch, bis Matthew nickte. „Sie wohnt noch im alten Haus.“

„Verstehe.“, murmelte Mick und presste seine Lippen aufeinander. Schon als er sich erhob machten sich leise Zweifel in ihm breit. Er kratzte sich am Nacken, legte seine Stirn in Falten und gab sich einen letzten Ruck.

„Hey Mick“, rief Antony.

Der gerufene Soldat machte im Türrahmen halt und drehte sich zu seinem Freund herum. Antonys grüne Augen leuchteten geradezu vor Freude.

„Was ist?“

„Bleib nicht wieder so lange weg. Du hast uns gefehlt.“

Augenblicklich grinste Mick breit. Endlich hatte er die grausame Zeit im Krieg überstanden. Er war wieder zu Hause, bei seinen Freunden und vielleicht hatte er sogar sehr bald die Möglichkeit seine Mutter und seine Schwester wieder zu sehen. Sein Herz sprang geradezu vor Freude.

„Keine Sorge. Ich bin bald zurück.“, rief er über seine Schulter hinweg, bevor er in die angenehm warme Nachtluft hinaus verschwand.

Der Frühling hielt dieses Jahr ein bisschen zu früh Einzug und so war es bereits jetzt angenehm warm in Los Angeles. Nach seinem schrecklichen Winter im Ardennenwald kam ihm das sehr gelegen. Nach langem Überlegen fuhr Mick zuerst nach Hause. Er brachte es nicht sofort zu Stande zu Laila zu fahren, weshalb er sich zuerst umzog und erst nach dem ersten Morgengrauen zu ihr aufbrach. Er lächelte erfreut, aber noch unsicher, wobei er sich ans Lenkrad klammerte und den Dingen mit mulmigem Gefühl entgegen sah.
 

Noch einmal prüfte er den Sitz seiner Uniform im Rückspiegel des Wagens und atmete tief ein und wieder aus. Jeder Marsch im Krieg war wie vergessen, denn das hier war der schwerste Gang seines Lebens. Dabei musste er nur die Straße überqueren, die Stufen der Veranda nach oben schreiten und an die Tür klopfen. Mick atmete einmal tief ein und wieder aus, bevor er zittrig seine Hand anhob.

Laila wusste schon seit Monaten, dass Ray nicht mehr am Leben war. Ihm schnürte es die Luft zum Atem ab, wenn er auch nur daran dachte! Der Tod seines besten Freundes und der vorangegangene Streit wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen, ebenso die zahlreichen, bewegenden Momente während des Krieges. Mick seufzte schwer auf, bevor er die Autotür öffnete und seine Uniform erneut glatt strich. Erst jetzt schaffte er es seine Füße zu heben und Schritt für Schritt auf das Haus seines besten Freundes zuzutun. Seine Füße fühlten sich an wie Blei, als er die Stufen nach oben schritt und mit eindeutig zitternden Händen vor der Haustür von Laila stehen blieb. Es kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit, seit er zuletzt hier war. Das weiße Holz war blasser geworden und wies hier und da kleine Risse auf, aber noch immer versprühte das Haus diesen unergründlichen Charme, weshalb er ein kleines Lächeln zeigte. Erneut holte Mick tief Luft und hob zitternd seine Hand. Nur zweimal klopfte er gegen das Holz und hielt im selben Augenblick die Luft an. Mit angespannter Miene lauschte er und versuchte die Schritte von Laila zu erahnen. Und schließlich hörte er sie. Tippelnde, aber hastige Schritte, die sich der Tür näherten. Zögerlich öffnete sie die Tür – vermutlich hatte sie ihn durch den Türspion bereits gesehen.

„Mick…“, flüsterte sie und betrachtete ihn mit großen Augen, bevor sie schluckte und ihre Augenlider zufallen ließ. „… du bist also am Leben.“

St. John nickte und öffnete seine Arme ein bisschen. Sogleich schloss Laila ihre dünnen Ärmchen um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. Mit seiner Rückkehr hatte sie nicht gerechnet und so durchströmte sie ein warmes Gefühl der Freude. Ihm entwich ein beruhigtes Aufatmen. Seit Monaten schon hatte er sich nicht mehr so geborgen gefühlt und für einen Moment war es so, als ob er endlich zu Hause angekommen war.

Mai - Juni 1945 – Neubeginn

Mai - Juni 1945 – Neubeginn
 

Mick hob seine Hände in die Luft und betrachtete das bunte Konfetti, das überall verteilt war. Es war der 08. Mai 1945. Der Krieg in Europa war vorbei. Es gab überall Paraden, kleine Picknicks und die Leute erfreuten sich einfach nur ihres Lebens. Er war einer von ihnen. Glücklich und ausgelassen wie schon lange nicht mehr verschwanden seine trüben Gedanken vollkommen. Er folgte dem Umzug und spähte immer wieder hinüber zu Laila, die genauso losgelöst und glücklich wirkte. Natürlich war da immer wieder dieser leicht trübe Schimmer in ihren Augen, der Glanz, der Tränen verriet, wenn sie an Ray dachte, aber sie schaffte es weiter zu machen.

Mick tat ihr gut. Gemeinsam hatten sie drei schwere Monate der Trauer hinter sich und konnte zusammen nach vorne blicken. Die Freundschaft zwischen ihnen war stärker den je.

„Ich hab noch Arbeit für dich.“, grinste Laila breit, als sie auf dem Rückweg zu ihrem Haus waren.

„Mir war doch gleich klar, dass du mich nicht zur Parade eingeladen hast, um mit mir zu feiern.“

„Was soll ich sagen: Ich bin nur eine Frau.“, sagte sie und hob ihre Schultern dabei an. Laila zwinkerte ihm einmal zu.

So betraten sie das Haus und Laila verteilte munter ein paar Aufgaben.

Irgendwann an diesem Tag fand sich Mick im Garten wieder. Die Ärmel nach hinten gekrempelt und eine Zigarette zwischen den Lippen sägte er ein Stück Holz in die richtige Größe.

„Mick... mach mal Pause.“, rief Laila mit einem Mal von der Veranda aus.

Sogleich warf der angesprochene, junge Mann einen Blick über seine Schulter und grinste sie kurz an. Wie so oft sah Laila einfach nur bezaubernd aus. Sie trug ein rotes Kleid, mit weißem Blumenmuster, das ihrer Figur hervorragend schmeichelte. Ihre vollen roten Lippen sahen buchstäblich zum anbeißen aus, während der leichte Wind ihre dunkelbraunen Haare im Wind auf und ab wippen ließ. „.. sonst reparierst du da etwas, das noch gar nicht kaputt ist.“, fügte sie kichernd hinzu.

Er nahm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie aus. Die Säge legte er beiseite. Kurz klopfte er sich seine Hände an seiner Hose ab und schlenderte mit Unschuldsmiene zu ihr nach oben. Sie reichte ihm ein Glas selbstgemachte Zitronenlimonade.

Er trank einen Schluck und atmete zufrieden ein und wieder aus. Die Sonne strahlte auf die beiden hinab, als er ein bisschen zu plaudern begann. „Ich brauche immer etwas zu tun...“

“Das Gefühl kenn ich. Es klappt, bis ich nachts die Augen zu machen.“, seufzte Laila.

Mick wich ihrem Blick aus. Noch immer fehlte ihr Ray. Ihm ebenso. Er war sein bester Freund und der Streit war nach wie vor allgegenwärtig.

„Unglaublich, dass eine Frau, die drei Jahre lang Flugzeuge gebaut hat, keine Sicherungen austauschen kann.“, lenkte Mick das Thema auf etwas unverfängliches und scherzte dabei ein bisschen. Laila lachte auf.

„Nicht, das ich es nicht könnte... Ray hat sich früher nur immer um alles gekümmert.“, erzählte sie ihm und lehnte sich dabei an den Balken der Veranda.

Mick verweilte am Handlauf und trank einen weiteren Schluck, als er zu Boden sah und leise ein paar Worte murmelte. „Er wollte, dass ich mich um dich kümmere.“

„Das tust du Mick. Das tust du...“, flüsterte Laila ihm zu und trat zu ihm hinüber. Sanft drückten sich ihre Lippen gegen seine Wange. Augenblicklich huschte der Blick aus seinen wachen, blauen Augen zu ihr hinüber. Er blinzelte ein paar Mal und versank in diesen wunderschönen, braunen Augen, die so viel Geborgenheit und Wärme ausstrahlten. Ein warmer Schauer durchzog seinen Rücken, während er sie betrachtete. Sein Herz schlug ein paar Takte schneller.

Er stellte das Glas beiseite. Die Falte auf seiner Stirn verschwand und er schluckte einmal, als er sich langsam zu ihr hinüber neigte. Ebenso kam ihm Laila etwas entgegen. Sie ließ ihre Augen zufallen. Ihre Lippen strichen flüchtig über die seinigen. Er schluckte, doch dann gab er sich diesem elektrisierenden Gefühl hin. Es war Jahre her, dass er eine Frau geküsst hatte und sich so unglaublich gefühlt hatte. Seine Augen fielen wie hypnotisiert zu und erneut küsste er diese vollen Lippen.

Der zweite Kuss löste ein verlangendes Kribbeln aus und wurde noch eine Spur intensiver. Lailas Glas fiel klirrend zu Boden, doch die Beiden kümmerten sich nicht mehr darum. Sie schlang ihre Arme um Micks Schultern und zog ihn ein Stück weit mit sich in Richtung Hauseingang. Micks Herz schlug schnell und das Verlangen in ihm brannte wie Feuer.

Es war ihm egal, dass jemand zu Besuch kommen konnte, egal, dass sie die Frau von seinem verstorbenen besten Freund war. Mick wollte nur noch eines. Laila fühlen und sich dieser ungewohnten Leidenschaft hingeben. Sie seufzte ergebend gegen seine Lippen und spürte bereits die Hauswand in ihrem Rücken, als Mick sie auf das kleine Tischchen auf der Veranda hob. Noch ein letztes Mal zögerte er, doch als sie neckisch in seine Unterlippe biss, war es um seinen Verstand geschehen. Er strich ihren Rock nach oben und zog sie im selten Atemzug wieder enger an sich heran.

So gaben sie sich der Leidenschaft hin.

Es war der Anfang einer unglaublichen Zeit für Mick.
 

Ein Neubeginn den er wagte und zugleich die wohl bis dato schönste Zeit seines Lebens. Er hatte Laila, die ihn immer wieder mit einem Lächeln weckte, einen Job in einer großen Fabrik und er machte wieder Musik. Ja, Mick St. Johns Leben war endlich auf der Sonnenseite angekommen. Wie schnell sich manche Dinge änderten, war ihm an dem Morgen nicht klar. Eigentlich wollte er nur schnell frisches Brot holen und verließ das Haus von Laila kurz. Mit einem kleinen Kuss auf ihre Wange und schon war er verschwunden. Wie hätte er auch ahnen sollen, dass das der Abschiedskuss war?

Er bog mit einem kleinen Liedchen auf den Lippen in die Seitenstraße ein und schlenderte weiter zurück zum Haus. Die Tüte mit Brot fest in seinen Händen.

Doch mit einem Mal erstarrte Mick. Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht und er war nicht mehr dazu in der Lage sich zu bewegen. Da stand sie. Laila. Die wohl schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Sie hatte ihm die Liebe gezeigt und jetzt zerbrach sie sein Herz in tausend winzige Einzelteile. In ihrem Arm lag ein Mann und auch wenn Mick noch mehrere Meter vom Haus entfernt war, erkannte er deutlich die Person: Ray. Sein totgeglaubter Kamerad und Freud. Ein dicker Kloß breitete sich in seinem Hals aus und schnürte ihm die Luft zum Atmen ab. Ray war am Leben und er hatte ihn hintergangen. Mick rutschte die Tüte aus den Händen. Der Leib Brot rutschte aus der Tüte und rollte ein Stück die Straße entlang.

Mick sah beschürzt zu Boden, als er ein stechendes Gefühl wahr nahm. Langsam sah er auf. Noch immer hielt Laila Ray in ihrem Arm, doch sie hatte ihre Augen geöffnet und guckte über die Schulter ihres Mannes hinweg zu Mick hinüber.

Dieser brach ein. Er schaffte es nicht ihrem Blick stand zu halten und so drehte er sich um und rannte los. In die nächste Seitenstraße und dann immer weiter. Was brachte es noch bei Laila zu bleiben? Sie war die Frau von Ray und Ray sein bester Freund. Und was war er? Der Mann der sie beide betrogen hatte.

Mick lief so lange, bis ihm die Luft versagte. Schwer atmend fiel er auf die Knie. Seine Hände landeten im Dreck und so kniff er die Augen fest zusammen. Es war ihm nicht mehr möglich klar zu denken, weshalb er regungslos auf der Wiese liegen blieb.

Wie lange, das wusste er nicht, aber irgendwann fanden ihn Matt und Antony und brachten ihn von hier fort... die gute Zeit war vorbei.

Mick hatte erneut alles verloren, was ihm am Herzen lag und so machte sich in ihm eine schmerzende Leere breit.
 

„Du kannst nicht weglaufen Mick!!“, rief Matt und rannte seinem besten Freund nach. Dieser hatte seinen Sandsack gepackt und über die Schultern gelaufen.

„Was soll ich sonst machen? Ich habe meinen besten Freund dem Schicksal überlassen und ihm anschließend seine Frau geklaut. Ich muss hier weg, Matthew!!“, wehrte sich Mick energisch.

Seine Augen waren rot unterlaufen. So wandte er sich ab und schritt die Straße entlang. Wohin ihn sein Weg führen sollte und ob er jemals wieder zurück nach Hause kommen würde, konnte er jetzt noch nicht sagen.

01. Mai 1952 – Verführung

01. Mai 1952 – Verführung
 

Erst seit wenigen Wochen war Mick wieder in Los Angeles. Lange Zeit hatte es ihn nach Chicago gezogen, doch auch dort konnte er dem Schmerz nicht entfliehen. So zog es ihn wieder nach Hause und abermals wurde er von Matthew und Antony willkommen geheißen.

Mit Musik im Herzen machten sie sich auf Jobsuche. Die Zeiten des Krieges lagen lange zurück und an Laila erinnerte er sich nur noch wie durch eine dichte Nebelschwade. Auch Matt und Tony wusste nichts mehr von Ray und Laila. Das alles war Vergangenheit und jetzt konnte für den mittlerweile 34 jährigen Mick ein neues Leben beginnen. Er war es Leid sich Regeln unterzuordnen. Stattdessen lebte er so, wie es ihn in den Kram passte, auch wenn er damit gesellschaftlich oft aneckte.

Am heutigen Abend hatten die Freunde einen kleinen, überaus lukrativen Auftritt. Mick ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass sich sein gesamtes Leben ab sofort veränderte.
 

Sie trugen lässige Hawaiihemden und fühlten sich wohl wie die tollsten Männer, die es derzeit in dieser Stadt gab und doch waren sie auf dieser Party nur das Equipment. Micks Blick wanderte neugierig umher. Noch nie zuvor hatte er so eine feine Veranstaltung von innen gesehen. Angefangen vom Pool im Garten, gefolgt von den großen Fensterscheiben, an denen statt Vorhängen viele Perlenketten hingen und wohl von unglaublichen Wert war. Die Ladys trugen prachtvolle Cocktailkleider und die Männer einen Anzug. Sehr steif die ganze Veranstaltung, aber sie brachte den Männern genügend Lohn ein. Hinter ihm an der Wand hing eine riesige, afrikanische Maske, doch er konzentrierte sich auf sein Gitarrespiel, bis seine Aufmerksamkeit auf eine Frau im roten, engen Kleid, das im Mondlicht schimmerte, fiel. Ihre Silhouette war unglaublich. Bezaubernd. Ihre dunkelbraunen Haare wellten sich leicht und fielen anmutig über ihre nackten Schultern. Sie stand vor einer der zahlreichen Gartenfackeln und entzündete eine Wunderkerze. Etwas gelangweilt wanderte sie weiter, spielte mit den Perlenketten und ließ ihren Blick schweifen.

Matt räusperte sich. Nicht nur Mick fühlte sich angezogen von der elfengleichen Schönheit der Frau, sondern auch einer seiner besten Freunde. Mit halb offenem Mund starrte er zu ihr.

„Die hat doch was oder?“, fragte er mit einem Mal.

„Jaha, die würde ich sicher nicht von der Bettkante stoßen.“, erwiderte Mick und befeuchtete seine Lippen. Ein kleines Lächeln umspielte seine Züge. Wie gebannt starrte er zu ihr hinüber, so absolut begeistert war er gerade.

Langsam wanderte die Frau an ihnen vorbei und wippte etwas zum Takt der Musik.

„Was würde ich dafür geben, mit so einer nach Hause zu gehen.“, seufzte Matt.

Ein leises Auflachen ertönte vom Dritten im Bunde: Antony: „Vergiss es. Die gibt doch an einem Tag mehr aus, als du in einem Jahr verdienst.“

Genau in diesem Moment sah die Schönheit über ihre Schultern. Direkt in Micks Augen. Ihre Blicke begegneten einander. Micks Herzschlag beschleunigte sich, als sich die Mundwinkel der Frau hoben und sie ihre strahlend weißen Zähne zeigte. Es war das Lächeln eines Engels und genau so grinste er jetzt auch breit. Noch nie zuvor hatte er ein so wunderhübsches weibliches Wesen gesehen. Selbst Laila, seiner erste und bis dato einzige Liebe, stellte sie problemlos in den Schatten.

„Jetzt glotz sie nicht so an, das gehört sich nicht.“, lachte Matthew. „Außerdem beginnst du gleich zu sabbern.“

Mick schüttelte seinen Kopf. „Sie erinnert mich an irgendwen... ich weiß nur nicht mehr an wen.“

Für ein paar Sekunden blitzte ein Bild in seinem Inneren auf. Er runzelte nachdenklich die Stirn. Wer war sie? Wo hatte er sie schon mal gesehen? Es musste auf jeden Fall Jahre her sein. Mick schüttelte seinen Kopf und versuchte sich wieder auf das Gitarrespiel zu konzentrieren. Gar nicht so einfach, denn immer wieder fühlte er sich magisch von diesen Lippen angezogen. Er wandte seinen Blick ab und schnalzte kurz mit der Zunge.
 

Mick sah sich wieder um und wie ein Magnet, der von einem anderen angezogen wurde, sah er hinüber zu der jungen Frau, die sich auf einen Sessel positioniert hatte und zu ihm hinüber sah. Schließlich nickte sie ihm zu. Er stand am silbernen Mikrofon und folgte schließlich ihrem Winken, auch wenn er zuvor einmal schlucken musste.

„Könnt ihr nicht etwas spielen, was die trüben Tassen hier in Stimmung bringt?“, fragte sie nach, als er vor ihr zum Stehen kam.

Mick versenkte seine Hände in der Hosentasche. „Zum Beispiel?“, fragte er mit einem kleinen Schmunzeln nach und beugte sich etwas zu ihr hinunter. Allein der Klang ihrer Stimme bescherte ihm eine angenehme Gänsehaut und er wollte sich gar nicht ausmalen, was darüber hinaus mit ihm geschehen konnte.

„Ich weiß nicht, so was wie Little Billy John, oder etwas das einfach mehr Rhythmus hat.“, schlug sie munter vor und befeuchtete ihre Lippen erneut auf diese erotische Art und Weise.

„Meine Güte, ich weiß nicht, ob die Menschen hier so viel mit dieser Teufelsmusik anfangen können.“, stellte Mick mit einer nach oben gezogenen Augenbraue fest.

„Und genau deshalb sollen Sie sie spielen.“, ertönten die melodischen Worte der Brünette.

Sie erhob sich und das rote Kleid rutschte wieder über ihre langen Beine. Micks blaue Augen beobachteten jede einzelnen Bewegung der bezaubernden Frau. „Wie wärs mit ‚Good rock it tonight’?”, fragte er nach.

Sie nickte leicht.

„Unter einer Bedingung.“, forderte Mick eine Spur mutiger und provozierender.

„Mein Name ist Coraline.“, sagte sie hastig, woraufhin er seine Augenbrauen nach oben zog.

„Ich hab noch nicht gesagt, was die Bedingung ist.“, raunte sie und näherte sich dem jungen Mann langsam. Die Art wie sie sich bewegte zeigte deutlich, dass sie genau wusste, was sie wollte.

Schon als ihre Lippen seine Wange berührten war es vorbei mit Micks rationalem Verstand. „Die Bedingung ist immer die Gleiche.“, raunte sie ihm zu und tänzelte davon. Ihr Hüftschwung hatte etwas magisches. Breit grinsend sah er ihr nach und strich sich über seinen Nacken.

„Wir spielen was anderes.“, rief er der Band zu, die ihn natürlich genau beobachtet hatten.

„Und was?“, fragten die Jungs irritiert nach.

„Good rock it tonight.“, antwortete Mick und begann ohne Umschweife zu spielen.

Immer wieder huschte Coraline an ihm vorüber und jedes Mal zog sie ihn aufs Neue in ihren Bann. Der Abend verstrich in seinen Augen eine Spur zu schnell. Aber jede schöne Zeit ging einmal vorüber und so blieb ihm auch nichts mehr anderes übrig, als zusammen mit den Jungs die Instrumente abzubauen.
 

Auf einmal glitt sein Blick den Weg des Schwimmingpools entlang und er erblickte das wohl anmutigste Paar Füße in dieser Welt. In ihrer Hand trug Coraline eine Champagnerflasche und so schritt sie auf ihn zu. Mick schluckte und schaffte es schließlich ihr wieder in die Augen zu sehen.

Matt und Tony trugen gerade eine Kiste weg. „Lust nass zu werden?“, fragte sie nach.

Kurz warf Mick einen Blick über seine Schulter, bevor er Coraline in Richtung des Pools folgte. „Sie kennen noch nicht einmal meinen Namen.“, sprach er mit einem breiten Grinsen.

Sie strahlte ihn wieder an und ihre vollen Lippen hatten im Mondschein einen angenehmen Glanz. „Sollte ich das?“

„Hmm, sie sollten mich bei einem richtigen Auftritt sehen.“, sagte Mick.

„Das war doch ein richtiger Auftritt, oder etwa nicht?“, gab Coraline zurück und kehrte ihm den Rücken zu. „Helfen Sie mir mal?“ Sie deutete auf den Reisverschluss ihres Kleides.

Noch einmal sah Mick ob einer seiner Freunde zurückkehrte, doch er konnte niemanden erblicken. Er schluckte und schob dann etwas nervös ihre Haare beiseite. Nur ganz langsam zog er den Reisverschluss ihres Kleides nach unten und stellte dabei schwer schluckend fest, dass sie überhaupt nichts drunter trug. Nur ein kleines Tattoo konnte er auf ihren Rücken erblicken. Er ließ das Kleid von ihrer Hüfte rutschen und betrachtete ihre hübsche Kehrseite. Er rieb sich durch die Haare und atmete einmal tief durch. Gar nicht so einfach bei ihrem perfekten Körper. Sie sprang mit einem leisen Platschen in das Wasser. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sie zu beobachten, denn er war unfähig sich von ihrem Anblick zu lösen. Noch einmal schluckte er, bevor er langsam in Richtung Pool schritt und dabei zuerst seine Schuhe auszog. Kurz darauf rutschte sein Hawaii-Hemd von seinen überaus muskulösen Schultern. Dieses bekam ein paar Sekunden später von seiner Hose Gesellschaft. Coraline erwartete ihn bereits mit einem überaus breiten und anzüglichen Lächeln.

Das Wasser war angenehm warm für diese frühe Jahreszeit, aber vielleicht lag das auch einfach an der Frau, die vor ihm trieb. Im schwachen Mondschein sah ihr Antlitz noch eine Spur faszinierender aus und erneut musste er schlucken.

Doch dann kehrte die alte Selbstsicherheit zurück und sogleich packte er sie sanft. Coraline entwich ein kleiner Schreckenslaut und schon schlangen sich ihre Arme um seinen Hals.

„Ich glaube, ich sollte doch Ihren Namen wissen.“, säuselte sie ihm ins Ohr und knabberte sanft an seinem Hals herum. Mick durchfuhr ein Schauer.

„... Mick...“, stieß er hervor.

Er war wie Wachs in ihren Händen. So trafen sich ihre Lippen zu einem ersten, heißen Kuss und das obwohl jederzeit jemand der Band zurückkehren konnte. Mick verlor jegliches Gefühl von Raum und Zeit. Er wollte nur noch ... sie!
 

Mick ahnte nicht, dass das alles der Anfang vom Ende für sein menschliches Leben war ....
 

~*~

Die Fanfiction wird vorzeitig beendet.

Ich musste mich schon die letzten Kapitel zum schreiben zwingen und das nimmt mir allgemein die Lust am schreiben.

Drum brech ich an dieser Stelle ab, zumal sowieso klar ist, wie es weiter geht.

Die Verwandlung kam ja auch in der Serie vor.



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Kommentare zu dieser Fanfic (14)
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Von:  Luna-Noir
2012-04-10T19:51:04+00:00 10.04.2012 21:51
Ah ja, wer kennt die Szene nicht, Anfang vom Ende trifft es da wohl ganz gut, obwohl ich es recht putzig fand wie er erst etwas schüchtern was *__*

Von:  Luna-Noir
2012-04-10T19:42:14+00:00 10.04.2012 21:42
13
Gleich auf der Veranda… das is mal ne Vorstellung in der Zeit XD
In die Lage möchte ich nicht kommen, ist sicher ein Schlag, Freude und Abscheu vor sich selbst vereint. Ich wär wohl auch lieber weg gelaufen…

Von:  Luna-Noir
2012-04-10T19:33:39+00:00 10.04.2012 21:33
Oh du wirst das doch nicht aus dem einen Video entliehen haben bei dem ich so geheult habe. So schöne wiederhabszenen und ich hab hier gesessen und geflennt. Und dazu noch die Musik … ich könnt schon wieder flennen …
Und das find ich auch immer traurig, muss als Freund auch unglaublich schwer sein, dann noc von dem Mann zu erzählen und auch seine letzten Worte zu überbringen. Ach man das is ganz schon depri hier gerade :(

Von:  Luna-Noir
2012-04-10T19:19:30+00:00 10.04.2012 21:19
Was soll ich jetzt dazu sagen, das ist ohne Worte. Und es wird damals wohl vielen die dort waren so gegangen sein. Es ist einfach unverständlich wie weit man es als Industrienation kommen lassen kann, dass man zulässt, Menschen derart unwürdig dahin siechen und sterben zu lassen, aus reinem Größenwahn…
Verständlich, dass danach nichts mehr kindliches übrig ist, er hat zu viel gesehen und zu viel erlebt als das die glücklichen Tage noch so präsent sein können. Das ist wirklich ein schönes und zu gleich so erschreckendes, deprimierendes Kapitel…

Von:  Luna-Noir
2012-04-10T19:04:59+00:00 10.04.2012 21:04
Bahnt sich etwa in diesen Kriegswirren und dem Verlust des Freundes auch noch eine kleine Romanze an. Und das wo er sich mal besser auf seine Genesung konzentrieren sollte.
Ich bin begeistert wie du das alles schön erklärst. Hast sicher ne Menge zu recherchiert, Hut ab :)

Von:  Luna-Noir
2012-04-10T18:53:53+00:00 10.04.2012 20:53
Muahh, jetzt hats doch beide erwischt. Auch wenn wir alle wissen, dass Mick überlebt, bei Ray, weiß ichs jetzt gar nich so wie ich das einzuschätzen habe, naaaa, schau mer mal ^^

Von:  Luna-Noir
2012-04-10T18:46:14+00:00 10.04.2012 20:46
Ich mag mir nicht vorstellen wie es ist einen Kameraden, oder vielleicht auch Freund zu begraben :(
Oh nö, dass solche Erfahrungen Menschen derart verändern ist schade, und das es evtl. Beziehungen zwischen Personen verändert noch viel mehr…

Von:  Luna-Noir
2012-04-10T18:30:34+00:00 10.04.2012 20:30
das sind wirklich Dinge die mag sich keiner vorstellen, fast so als würde man auf die Schlachtbank geführt und müsste sich jetzt noch anstellen und warten. Diese Unwissenheit zuvor ist wohl das schlimmste. Die beiden sind wirklich nicht zu beneiden.
Von:  Luna-Noir
2012-04-10T18:18:31+00:00 10.04.2012 20:18
Ach nein wie Süß machen die aus dem Kinder kriegen einen Wettkampf, na ja, sie müssen sie ja auch nich austragen XD

Von:  Luna-Noir
2012-04-10T18:09:37+00:00 10.04.2012 20:09
Jaja, Blutarmut, wers glaubt … na jetzt komm wir dem doch auf die Spur, mit ziemlicher Sicherheit hat das was mit irgendwelchen Vampiren zu tun, die nicht genug bekommen können ;)
Und dann raus reden… aber ehrlich ich mag mir nicht vorstellen wie das ist so was zu erfahren und in der Angst zu leben, dass der Krieg in das eigene Land kommen könnte, davor schauderts mich heftig.
Als Soldat, he? Hm, Uniformen haben was für sich, ob ich Soldat im Krieg dazu zählen würde, na ja, ich glaube eher nicht, aber er tut mir leid, will nich, muss aber…
Die Rede reinzubringen hat was :) Und ja, das ist wirklich hart wenn man da Aufnahmen von sieht, hoffen wir alle, dass wir so was nicht noch einmal sehen müssen…



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