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Von gleicher Natur

von

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Angekommen

Schnaufend lag sie auf der Wiese und blickte in die sattgrüne Blattfülle über sich. Die Krone des alten Baums, den sie als "ihren Baum" auserkoren hatte, war gesund und dicht mit Blättern bewachsen. Im Herbst würde sie wohl einiges aufzusammeln haben, aber das störte sie nicht weiter. Im Frühling und im Sommer war sie dafür ja mit dieser Pracht gesegnet. Außerdem würde die Bewegung ihr gut tun. Bis auf das viele Spazierengehen und Gärtnern war sie nämlich absolut unsportlich. Sie setzte sich ruckartig auf und wackelte mit ihren Armen in der Luft, so dass die Haut ihrer Oberarme sich leicht mitbewegten. Sie war nicht sonderlich dick, ihre Mutter meinte sogar sie wäre viel zu dünn, aber das worauf es ankam war ja eigentlich, dass alles schön straff war, dachte sie und zupfte an ihrer Haut herum.

"Eeeeeh, Eli, hier ist ein riesiges Eichhörnchen drin!" rief Flämmchen über ihr. Sie schaute nach oben zu ihrem gerade fertiggestellten Baumhaus und konnte sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen. Es war jetzt einige Wochen her, dass sie das erste Mal hier gewesen war und geplant hatte sich hier häuslich niederzulassen und sie hatte viele Stunden damit verbracht Holzplatten und alles was sie brauchte zu kaufen, hierherzuschaffen und irgendiwe zusammenzudengeln. Genau genommen hatte sie es fast gar nicht geglaubt, dass sie es schaffen würde, aber wo der Wille ist, ist auch ein Weg. Und sie hatte beinahe das Ziel dieses Wegs erreicht.

"Eli! Es guckt mich komisch an! Eli, es kommt auf mich zu! ELI!" Flämmchens Stimme wurde immer lauter. Ein bisschen verwirrt war sie schon, Eichhörnchen stellten keine sonderliche Gefahr für Flämmchen dar, sie hatte eigentlich keinen Grund sich so aufzuregen, aber sicherheitshalber hüpfte sie zur Strickleiter und hangelte sich daran hinauf, durch die Öffnung, in die sie bald eine Tür einbauen würde und sah in einer Ecke das belustigende Schauspiel. Flämmchen hatte sich bibbernd zusammengekugelt und saß an die Wand gelehnt da, während das Eichhörnchen - ein sogar recht klein gewachsenes, feuerrotes - vorsichtig an ihr herumschnupperte.

"Hey ihr zwei!" sagte Eleonora etwas lauter als geplant, da sprang das Eichhörnchen auf, blickte sich kurz zu ihr um und raste dann in einem Höllentempo durch die Fensteröffnung nach draußen. Dort sprang es von Ast zu Ast und war innerhalb weniger Sekunden verschwunden.

Mit großen Augen rappelte sich Flämmchen auf und klopfte sich das Kleid aus.

"Das war mir jetzt ehrlich zu aufdringlich... Sonst hab ich ja kein Problem mit Tieren, die größer sind als ich... Naja, mit vielen davon jedenfalls... Aber das jetzt war mir zu viel!" quängelte sie.

"Kann ja mal vorkommen." Eli grinste und ging einen Schritt auf sie zu, um sie dann aufzuheben und mit nach unten zu nehmen. Das Holzbrett unter ihren Füßen knackte bedenklich laut, als sie drauftrat. Sie schaute herunter und ehe sie sichs versah gab es unter ihrem Gewicht nach und ihr ganzer Unterkörper baumelte aus dem nun entstandenen Loch heraus. Das alles war so schnell geschehen, dass sie gar nicht die Zeit gehabt hatte zu schreien oder anders zu reagieren. Sie stemmte ihre Ellenbogen auf die benachbarten Bretter und versuchte sich hochzuhieven, schaffte es aber nicht durch die enge Lücke. Flämmchen redete wie ein Wasserfall auf sie ein, sie bekam aber nicht mit, wovon sie eigentlich Sprach. Bis auf ein paar Ausrufe, wie "Oh, verdammt!" oder "Ach Du Schande!", die sie mitbekam war alles woran sie dachte, wie sie sich aus der Situation befreien konnte und wie sie solchen Geschehnissen in Zukunft vorbeugen konnte.

"Okay, halt mal die Luft an jetzt. Es ist alles weniger schlimm als es scheint." sagte sie sowohl zu ihrer Freundin als auch zu sich selbst und sofort war es still im Raum. "Wie hoch ist das hier? Gar nicht so viel, oder? Das sollte ich doch hinkriegen, nicht wahr? Sag was!"

"Ja... Du würdest noch ca 2 Meter fallen... würde ich schätzen... Ich kann nicht so gut schätzen, guck mich an, ich bin 15 Zentimeter klein! Was weiß ich von Metern?!" Flämmchen wirkte leicht überfordert, aber auch Eli meinte, dass die Höhe für einen Fall aushaltbar war, wenn sie nicht zufällig unglaublich unpassend landen würde. Wenn doch unter ihr nur ein Busch gewesen wäre, das hätte die Landung deutlich angenehmer gemacht.

"Drück mir die Daumen, ich versuchs jetzt!" sagte Eli und ließ sich nach unten gleiten, die Finger noch fest an die noch feste Holzplatte geklammert. Sie öffnete die Augen, die sie vorher instinktiv fest zugekniffen hatte, und schaute zu Boden.

"Ach, das ist doch ein Scherz!" rief sie und ließ sich fallen. Flämmchen guckte mit ängstlichem Blick über die Kante zu ihr nach unten. "Bist Du noch heile?" fragte sie sorgenvoll.

"Ja klar, das waren nicht mal zwei Meter, Flämmchen! Du kannst echt nicht schätzen!" sagte sie, kicherte und dehnte ihre Muskeln dabei. Gebrochen war natürlich nichts, aber beim Fall hatte sie sich irgendetwas gezerrt und bestimmt ein paar Schrammen davongetragen.

Jetzt stand sie vor einem ungewollten, neuen Problem. Es war natürlich vollkommen idiotisch gewesen zu denken, dass sie alleine ein perfektes Baumhaus bauen könnte. Trotzdem hatte sie bis vorhin fest daran geglaubt, dass es trotz der architektonischen Mängel zumindest halten würde. Niedergeschlagen ließ sie sich auf die Luftwurzel, die sie immer als Sitzgelegenheit nutzte, sinken und starrte in die Gegend. Flämmchen kam vorsichtig die Strickleiter heruntergeklettert und lehnte sich dann, auf dem Boden sitzend, an ihr Bein. Eine Weile saßen sie so da, beide in ihre eigenen Gedanken versunken, als Eleonora das Schweigen brach. "Meinst Du es gibt eine Möglichkeit jemand anderen hierherzuführen und auch wieder nach Hause zu bringen? Also ein kurzer Ausflug sozusagen, ohne dass ihm etwas passiert?" fragte sie Flämmchen. "Hab ich auch grad überlegt." antwortete diese.

"Und, was meinst Du?"

"Also... Im Grunde genommen, denke ich zumindest, sollte das klappen. Wir beide sehen ja den Ausgang. Leute die hierherkommen können ja meistens einfach nur den Weg nicht mehr finden, weil sich die Sicht vor ihnen verschließt. Und wenn Du die Person an der Hand hälst und ihr den Weg zeigst..."

"Hört sich logisch an. Ich glaube das wird funktionieren. Wir sollten es Versuchen!"

Fest entschlossen raffte Eleonora sich auf und packte ihre Sachen zusammen. Das Werkzeug legte sie in eine verzierte Holzkiste, die sie neben ihrem Baum halbwegs wettergeschützt unter einen Busch gestellt hatte und machte sich dann, mit Flämmchen auf der Schulter, wieder auf den Weg nach Hause.

Wenn ihr Bruder Etienne das nächste Mal zu Hause wäre, würde sie ihm die Situation schildern und ihn um Hilfe bitten. Er studierte zwar nicht Architektur, kannte sich aber aufgrund diverser Nebenjobs gut mit handwerklichen Dingen aus. Er würde ihr sicher helfen können.
 

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Er hatte einen langen Weg hinter sich und war erschöpft. Irgendwo musste er sich für die Nacht niederlassen können, doch seit ein paar Kilometern war alles um ihn herum nur Wald. Er bevorzugte eher andere Gebiete, feuchtere Gebiete, und nicht eine Aneinanderreihung von ungemütlichen Bäumen. Hoffnungsvoll setzte er seinen Weg fort und bald vernahm er ein leises Rauschen und Plätschern, das ganz bestimmt nur von einer Wasserquelle in der Nähe kommen konnte. Er durchquerte die riesenhafte Wildnis um ihn herum, die Blätter der Büsche raschelten, als er sie streifte, und endlich hatte er sein Ziel vor Augen.

Der Anblick, der sich ihm nun bot war wildromantisch. Ein recht großer Teich, ein See vielleicht sogar. Auf der einen Seite befand sich ein Steg, der schon vom weiten aussah, als würde er selbst sein geringes Gewicht nicht tragen können, auf der anderen Seite - dem Steg fast gegenüber - eine plätschernde, kleine Quelle, deren Wasser sprudelnd, wie ein Wasserfall, über halb bemooste Steine nach unten in den Teich floss. Umringt war dieser von allerlei Pflanzen und Gewächs, deren Namen und Bezeichnungen er nicht kannte. Eigentlich war es ihm auch egal, hauptsache das Grünzeug sah hübsch aus, war ungiftig und bot ihm Sichtschutz vor möglichen Feinden.

Er atmete tief ein, dann sprang er mit einem Satz durch das hohe Grün ins erfrischende Nass.

Unter Wasser tauchte er blindlings herum und genoss die kühlen, ihn streifenden Wogen.

Als er wieder auftauchte hatte er beschlossen, dass dieser Ort nicht nur ein Zwischenstopp sein würde. Er würde hier länger verweilen. Vielleicht den ganzen Sommer. Vielleicht würde er hier sogar Überwintern. Langsam ließ er sich treiben, sein dicker, runder Bauch schwomm über der Oberfläche und wurde von der warmen, gleißenden Sonne beschienen.

Sonnenbrand.

Was war das für ein Gedanke gewesen? Das Wort war plötzlich in seinem Kopf aufgetaucht, er kannte es irgendwoher, konnte es aber nicht recht zuordnen. Die Bedeutung war kurz da gewesen, ihm dann aber wieder entglitten. Grübelnd tauchte er erneut unter, im nächsten Moment hatte er seine Überlegungen aber wieder vergessen als er über sich auf der glitzernden Oberfläche einen Wasserläufer vernahm. Ohne nachzudenken schoss er nach oben und schnappte mit seinem Maul nach dem Insekt. Jetzt erst, nachdem er den Wasserläufer verspeist hatte, spürte er, dass er wirklich großen Hunger hatte. Ob er wollte oder nicht, er musste sich aufraffen und noch etwas weiterjagen.
 

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Etienne vergrub das Gesicht in den Händen.

"Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass Du ein Baumhaus in einer Parallelwelt hast?" fragte er langsam, als würde er mit jemandem reden, der schwer von Begriff war.

"Hab ich doch gesagt." Eleonora war leicht genervt, ihr Bruder fragte das jetzt zum dritten Mal.

"Aber, angenommen der Unsinn ist wahr, woher weiß ich dann, dass ich tatsächlich zurückkomme? Du hörtest Dich nicht hundertprozentig überzeugt an. Ist Dir klar, was Du damit anrichten würdest?" fragte er, nicht tadelnd oder aufgebracht, sondern gelassen und rein aus Vergnügen sie zu triezen.

"Ja, doch, ich bin überzeugt, dass Du zurückkannst. Außerdem bist Du mein Bruder und warum sollte ich durchgehen können und Du nicht. Wir haben die gleichen Gene. Kommst Du nun mit und hilfst mir?" Etienne schwieg. "Bitte?" bohrte Eleonora nach, aber er schwieg weiter und starrte sie nur mit einem undefinierbaren Blick an. "Etienne?" sie legte ihren Kopf schief und guckte so lieb sie nur konnte. Seine Augenbrauen zogen sich grimmig zusammen, dann schnaufte er, stützte die Hände auf den Tisch und stand auf. "Na gut, zeig mir mal diese magischen Bäume, dann überleg ichs mir vor Ort." Eli kreischte auf und fiel ihrem Bruder um den Hals: "Oh, danke, danke, danke! Du bist toll! Ich wusste, dass ich auf Dich zählen kann!"

Vorsorglich hatte sie schon am Morgen ausreichend Butterbrote und Proviant verpackt, so dass sie sofort aufbrechen konnten. Ihrer Großmutter und Mutter hatte sie schon vor einer Weile von ihren Erlebnissen erzählt. Zwar glaubten auch diese beiden ihr nicht, aber zumindest wussten sie immer grob wohin Eli verschwand. Solang sie ihr Handy immer dabei und auch angeschaltet hatte, waren sie zufrieden. Sie hatte nie darauf geachtet ob sie in der anderen Welt Empfang hatte, aber die beiden hätten sich sicher schon längst beschwert, wenn ihnen je etwas anderes aufgefallen wäre. Jetzt, wo auch noch ihr Bruder sie begleitete, hatten sie noch weniger Einwände gegen den Ausflug.

Als Etienne leicht widerstrebend die Treppe heruntergeschlufft kam stand Eleonora schon aufgeregt hin- und herwackelnd an der Eingangstür. Flämmchen guckte aus dem einen Spalt weit geöffneten Rucksack heraus und winkte ihm freudig zu. Hoffentlich würde alles ohne Probleme so funktionieren, wie sie es sich ausgerechnet hatten.
 

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"Du hast gar nichts dazu gesagt, dass sie ihn jetzt auch noch mit in die andere Welt nimmt." sagte Alwine sanft zu ihrer Tochter. "Bist Du sicher, dass wir dem ganzen nicht Einhalt gebieten sollten?"

"Das wird schon funktionieren. Eli ist so glücklich seitdem sie diesen Ort entdeckt hat. Und ich weiß noch, wie es mir damals ging. Solange sie sich nur in einem bestimmten Umkreis bewegt, sollte es keine Probleme geben. Und ich bin sicher, dass sie sofort zu uns kommen würde, wenn etwas wäre." entgegnete Cecilia.

"Und was ist mit Darragh?" fragte Alwine vorsichtig.

Cecilia drehte den Kopf weg und atmete tief und langsam ein.

"Ich wollte keine alten Wunden aufreißen, Schatz, aber Dir ist der Gedanke doch sicher auch schon gekommen, nicht wahr?"

"Ja, natürlich. Es fällt mir nur immer noch schwer über ihn nachzudenken." sagte Cecilia. Sie verschränkte die Arme auf dem Tisch und legte ihren Kopf darauf. "Ich hoffe nur sie kommt nicht auf die Idee nachzufragen, wieso sie und Etienne wohl als einzige den Eingang wiederfinden können. Dann haben wir ein Problem..."

Alwine streckte ihren Rücken, ihre Knochen knackten dabei laut, und ließ sich dann seufzend in ihren Sessel an der großen Fensterfront zurücksinken.

"Naja, Problem würde ich es nicht unbedingt nennen. Du hast dann nur sehr, sehr viel zu erzählen und sie wird nicht aufhören weiter nachzubohren, bis sie absolut alles weiß."

Cecilia stöhnte auf und verdrehte die Augen. "Und wir wissen ja, wie gut sie das kann, nicht wahr? Das hat sie von Dir!"

"Tu nicht so, als wärst Du nicht genauso gewesen. Denk nur darüber nach wieso es Dich damals dorthin gezogen hat." liebevoll lächelte sie ihre Tochter an, doch in ihren Augen glitzerte es schelmisch. "Familienerbe!"

"Ich mache uns mal einen Kaffee!" Cecilia stand auf, lief in die Küche und hantierte dort geräuschvoll mit Geschirr und Kaffemaschine.

Alwine überlegte, ob sie das Thema vielleicht lieber nicht hätte ansprechen sollen. Sie wusste nur zu gut über die Gefühle ihrer Tochter bescheid und hatte sie nicht verletzen wollen. Andererseits hatten sie beide nur das beste für Eleonora im Sinn, also müssten sie sich so früh wie möglich eine Art Halbwahrheit zurechtlegen. Aber das würde sich schwieriger gestalten als sie sich wünschte.

Bei Eleonoras Nachfrageverhalten dürften sie keinen einzigen Fehler machen. Intelligente Kinder waren toll, aber in diesem speziellen Fall doch etwas anstrengend.

Sie dachte gerade darüber nach, wie sie das Thema erneut ansprechen sollte, als Cecilia mit dem Kaffee wiederkam.

"Ich weiß wie wir's machen, Ma." sagte sie.

"So? Schieß los!" sie war gespannt, ob der Kaffeeduft wohl ideenanregender war als der der Duftkerzen auf dem Wohnzimmertisch.

"Ganz einfach, wir sagen ihr die Wahrheit."

"Alles?"

"Absolut alles."

"Und wenn sie auf die Idee kommt ihn zu suchen?"

"Das darf sie gerne tun, wenn sie volljährig ist. Vorher nicht. Sie wird auf uns hören, bei wichtigen Dingen macht sie das immer."

"Du hast großes Vertrauen in sie..."

"Sie ist meine Tochter." Cecilia grinste ihre Mutter an. "Du kennst das doch."

"Und womit willst Du anfangen? Es war einmal Deine Mutter, ein paar Jahre älter als Du...?"

Cecilia lachte und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. Kaffe belebte ihre Sinne so gut wie nichts anderes. Einige Augenblicke starrte sie gedankenversunken aus dem Fenster, dann sagte sie leise: "Wo die Liebe hinfällt.."
 

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"Heilige Scheiße!" entfuhr es Etienne. Er hielt noch immer Eleonoras Hand, jetzt allerdings etwas fester als zuvor. Sie zog ihn entschlossen den Weg entlang, er wäre mit Sicherheit sonst alle paar Meter stehengeblieben und hätte vor Staunen über die vielen unbekannten Dinge bei jedem Stop geflucht.

"Was... wie... sag mal..." stammelte er vor sich hin und starrte mit aufgerissenen Augen und geöffnetem Mund in alle Richtungen der sich um sie erstreckenden Natur. Wie sie ihn so betrachtete, fand sie, dass er keinerlei Ähnlichkeit mit ihr oder dem Rest der Familie hatte. Ein bisschen dümmlich wäre eine wirklich harmlose Beschreibung für seinen Gesichtsausdruck gewesen.

"Ich würd' an Deiner Stelle den Mund schließen, nachher verschluckst Du eine Elfe oder sowas!" während sie das sagte breitete sich ein spöttisches Grinsen in ihrem Gesicht aus.

Kein bisschen verändert blickte er nun sie an: " Elfen? Ist das Dein Ernst? Hier gibts Elfen? Ich werd wahnsinnig!" Nun lächelte auch er, allerdings nicht spöttisch, sondern leicht verklärt.

Früher, als sie noch kleiner gewesen waren, hatte er ihr immer Geschichten von Elfen und Feen und allerlei magischen Dingen erzählt und vorgelesen. Er hatte als Teenager sogar mal eine richtig heftige mythische Phase gehabt, wo er sich zu jedem passenden Datum einer entsprechenden Gruppe angeschlossen hatte, die dann gemeinsam heidnische Feste zelebriert hatten. Ihr Grinsen wurde breiter, als sie sich an den einen Tag erinnerte, an dem er mit angebrannter Kleidung zurückgekommen war, weil er zu nah an einem der Feuer getanzt hatte. Böse Wunden hatte er nicht davongetragen, nur ganz leichte Verbrennungen, die schnell geheilt waren. Nach diesem Vorfall ebbte seine übersprudelnde Begeisterung Stück für Stück ab. Die entscheidendende Ursache, weshalb er sich dann seinen Unternehmungen komplett abwand, war wohl aber eine gewisse, selbst ernannte Hexe gewesen, die ein paar zu viele Herzen, neben seinem eigenen, erobert hatte. Viel wusste sie aber nicht darüber, er hatte nie mehr erzählen wollen.

"Ist das da etwa ein PILZ?" rief er erstaunt aus und ließ sie so aus ihren Gedanken hochschrecken.

"Ja, aber lass den mal lieber in Ruhe!" antwortete Flämmchen für sie, bevor er sich in die Richtung des monströsen Gewächses begeben konnte. Sie musste sich selber immer zusammenreißen, nicht wieder hinzugehen, weil er einfach so ungewöhnlich schön aussah. Aber nach Flämmchens Geschichte über die fiesen Folgen, die eine Berührung nach sich ziehen würde, unterdrückte sie das Verlangen ihn näher zu betrachten jedes Mal erfolgreich.

Während sie weiterliefen erzählte Flämmchen auch ihm alles, was sie über den Pilz wusste, umschrieb die Auswirkungen aber noch ein bisschen bildhafter. Nur für den Fall.
 

Auf der Lichtung angekommen ließ er endlich ihre Hand los. Hier könnte er sich problemlos frei bewegen. Keine gefährlichen Gewächse weit und breit - das hatte sie alles schon ausgekundschaftet.

Er tigerte umher, umrundete den Baum, stakste durch die Büsche und schaute sich alles ganz genau an. Eleonora setzte sich ein Stück entfernt von dem momentan noch unsicheren Baumhaus in die Wiese und packte ihren Rucksack aus. Früher oder später würde auch ihr Bruder hunger bekommen und dann konnte er sich einfach das nehmen was er wollte ohne sie fragen zu müssen oder den Rucksack ungestüm zu durchwühlen.

"Der Hammer! Du hast ja sogar einen Schwimmteich!" rief er aus einiger Entfernung, so dass sie ihn nur schwer verstehen konnte. Sie verdrehte die Augen und lief in Richtung Wasser, er könnte ja gerne noch öfter hierherkommen um die Gegend zu erkunden oder im Teich zu schwimmen, aber jetzt wollte sie nur wissen ob er ihr mit dem Baumhaus helfen könnte.

"Etienne, hast Du Dir das Baumhaus denn schon angesehen?" fragte sie, als sie ein Stück hinter ihm stehen geblieben war. Ohne Mückenschutz wollte sie sich dem kleinen See nicht so sehr nähern. Es war Sommer, da wimmelte es auf der Wasseroberfläche nur so vor Getier.

"Hm? Ja, von unten und von weiter weg. Sieht eigentlich schon echt gut aus, hast Dich sicher wieder wie wild eingelesen und alles ordentlich durchrecherchiert, nicht wahr? Guck mal, was fürn' fetter Frosch ist denn das?" er lief ein Stück weiter, hockte sich an den Rand, nah ans Schilf und streckte die Hand aus.

Wieder verdrehte sie die Augen. Er war sieben Jahre älter als sie, trotzdem verhielt sie sich oft erwachsener als er. Kaum ergab sich die Möglichkeit mutierte er zum zu großen Spielkind.

"Etienne, ich bin echt ungeduldig grade, kannst Du nicht eben noch das Baumhaus angucken und mir zumindest nur sagen ob Du was machen kannst oder nicht? Danach kannst Du ja wieder hier her kommen und Dich von mir aus in den Teich werfen, aber -"

"Au!" rief er, mehr überrascht als wirklich schmerzerfüllt. "Der hat nach mit geschnappt! Seit wann können denn Frösche beißen?" Seine Hand durch die Luft wedelnd kam er endlich auf sie zu, blickte noch ein Mal grimmig über die Schulter, zu der Stelle, wo der Frosch gerade noch gesessen hatte, und ging dann an seiner Schwester vorbei, zurück zur Lichtung. "Komm, wir gucken uns jetzt mal Dein Brettergewirr an!" grinste er.
 

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Er fühlte sich, als würde er gleich platzen. Nachdem er angefangen hatte weiter nach Nahrung zu suchen hatte er mehr und mehr gefunden und mehr und mehr gegessen. Es war, als hätte er sich in Rage gefuttert. Noch eine Larve und noch eine Fliege und dann noch dies und das... Er konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, was er alles in sich hineingestopft hatte.

Mit noch runderem Bauch als gewöhnlich ließ er sich zum Ufer treiben und rollte sich dort in den feuchten Schlamm. Ein kleiner Mittagsschlaf würde ihm jetzt gut tun, dachte er und streckte die Froschschenkel aus, die länger waren, als man vermuten würde, wenn man ihn irgendwo hocken sah.

Der Schlamm war herrlich angewärmt durch die darauf scheinende Sonne, das Leben konnte so schön sein!

Plötzlich breitete sich ein Schatten über ihm aus und eine dröhnende Stimme rief etwas. Panisch blickte er auf und sah einen riesengroßen, dunkelhaarigen Menschen nicht weit von sich entfernt hocken. Er starrte ihn an und grinste blöd. Er wäre gerne davongehüpft, aber irgendwie war sein Körper in Schockstarre geraten, also blieb er weiter auf der Stelle hocken, an der er gerade noch gelegen hatte.

Eine hellere Stimme rief etwas zurück, er konnte nicht richtig verstehen, was sie sagte. Eigentlich dachte er auch gar nicht wirklich darüber nach, seine volle Aufmerksamkeit war auf den Riesen vor sich gerichtet, der plötzlich die Hand nach ihm ausstreckte.

Das hättest Du wohl gerne! Dachte etwas in seinem Kopf und ehe er sich versah schnappte er so fest er konnte mit seinem Maul nach den Fingern, die ihn berühren wollten. Was hätte er jetzt um Reißzähne gegeben, aber er hatte nunmal nur Gaumenplatten. Er steckte so viel Kraft wie er aufbringen konnte in sein zuschnappendes Maul, der Mensch würde schon sehen was er davon hatte, ihn in seiner Mittagsruhe zu stören!

Das Gesicht des Riesen verzog sich zu einer schmerzverzerrten Grimasse und er wedelte wimmernd mit der verletzten Hand. Er hatte ihm wohl heftig weh getan. Voller Genugtuung, dass er seinen Gegner in die Luft geschlagen hatte, schaute er ihn noch ein Mal an und hüpfte dann zurück ins kalte Nass, verborgen in den Wasserpflanzen, wo ihm kein weiterer Riese nochmal zu nahe kommen konnte.

Man sollte Frösche wirklich nicht unterschätzen, dachte er, als er durchs Wasser glitt.

Trotzdem verstand er immer noch nicht so ganz wo diese ganzen, komplizierten Gedanken herkamen.



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