Meine Freunde
7. Ruffy Meine Freunde
Unwirklich ist es hier.
Wenn Nami in der Vergangenheit eine Insel als solch einen Ort bezeichnete, wusste ich nie so recht etwas damit anzufangen. Entweder ist etwas Realität oder Phantasie, aber unwirklich? Nun würde ich sagen, ich habe die Bedeutung dieses Wortes endlich verstanden.
Unwirklich, ja das trifft es.
Unsere Schifffahrt endete im Nirgendwo an einer Felswand. Die Gesteinsbrocken ragten über uns in den blauen Himmel, so hoch, dass es fast so wirkte, als würde ihr Ende sich bedrohlich über uns beugen, um uns lebendig zu begraben. Klein und nichtig kam ich mir vor. Nicht gegenüber der Marine, nur diese Felsen stellten bis jetzt alles dagewesene in den Schatten.
Pechschwarz waren sie, bewachsen mit Moosen und Algen. Glitschig schimmerte der Seetang, faulig roch das Wasser um uns herum, doch es war immer noch besser als weiter auf diesem Schiff zu bleiben.
Einer der Mitgefangenen hatte gleich zu Beginn der Reise sowohl die Essens- als auch die Wasseraufnahme verweigert und so bedurfte es kaum einer Woche, bis der eh schon kränkliche alte Mann eines Morgens nicht mehr aufwachen wollte. Dennoch wirkte sein Gesichtsausdruck seltsam friedlich. Ich hoffe, er ist jetzt an einem besseren Ort.
Er war nicht der erste Tote den ich gesehen habe, vermutlich wird er auch nicht der letzte gewesen sein. Aber das war ja auch nicht das Problem.
Ich wusste nicht, dass eine Leiche nach so kurzer Zeit Fliegen anlocken würde. Es war widerlich! Wie sie über seinen leblosen Körper krabbelten, ihre Eier ablegten aus denen eklige kleine Maden schlüpften, die zu noch mehr ekligen Fliegen wurden. Dazu dieser Gestank! Aber keiner der Besatzung dachte auch nur im Entferntesten daran den leblosen Körper zu entfernen. Wollte man uns damit etwa Angst einjagen? Uns zeigen, wer auf diesem Schiff die Macht hatte über Leben und Tod zu entscheiden?
Das funktioniert bei mir nicht. Es sind ja auch nicht die Toten vor denen man sich fürchten muss, es sind die Lebenden.
Als wir endlich das Schiff verlassen durften, wir an Land dieser Insel gingen, da wurde mir plötzlich mit Schrecken bewusst, dass dieser alte Mann erst der Anfang einer langen Leidensgeschichte vieler sein würde. Uns eingeschlossen.
Als ich mich damals als kleiner Junge entschied Piratenkönig und somit ein Gesetzloser zu werden, wusste ich nicht um die Grausamkeiten dieser Welt. D.h. ich wusste schon, dass Helden in Kriegen starben, sich für ihre Freunde opferten, aber mir war die emotionale Tragweite nicht bewusst.
Als ich älter wurde, lernte was Schmerz und Trauer bedeuten, da fasste ich den Entschluss, dass keiner meiner Freunde das durchmachen sollte, ich sie davor beschützen würde. Ich bin schließlich der Captain.
Ich war immer stolz auf meine Fähigkeiten als Kämpfer, trainierte hart um meinen Umgang mit den Teufelskräften zu verbessern, ja zu perfektionieren, doch diese Halskrause aus Seestein raubt mir all meine Kraft. Ich fühle mich wie ein hilfloses Baby!
Und das schlimmste ist, dass ich es nun bin der beschützt werden muss. Dass gerade die mich beschützen, die ich doch eigentlich schützen wollte.
Ich weiß, dass meine beiden Freunde dies gerne für mich tun, doch ist es nicht meine Aufgabe für sie zu sorgen? Aber sie werden einen Teufel tun mich auch mal bei diesen Kämpfen antreten zu lassen. Im Grunde meines Herzen bin ich mir auch im Klaren darüber, dass es keinen Sinn ergibt wenn ich antrete, aber mein Ego verlangt es.
Zorro würde mich k.o. schlagen, sollte ich es wagen allein einen Schritt aus unserer Zelle zu wagen. Dieser…!
Fairer weise muss ich zugeben, ich würde an seiner Stelle genauso handeln. Er kennt mich eben am besten, weiß wie ich ticke und was mir wichtig ist. Und er weiß, dass Sanji mit der ganzen Situation nicht zurechtkommt.
Mein Smutje hat Schuldgefühle, wer kann es ihm verdenken, doch gerade diese hindern ihn am logischen Denken. Zwar versucht er sein bestes, allerdings sieht man ihm an, womit seine Gedanken in Wirklichkeit beschäftigt sind. Er ist kein guter Schauspieler.
So ruht die Verantwortung für uns allein auf Zorro’s Schultern. Stumm hat er diese Aufgabe angenommen, erfüllt seine Pflicht, wie ich es selbst kaum besser tun könnte. Wie gesagt, er kennt mich und ist ein loyaler Freund.
Und ich kenne ihn. Ich weiß, dass sein Innerstes nicht so ruhig ist wie er nach außen vorgibt. In seinen Augen sehe ich unterdrückte Wut flackern, die hungrige Bestie, die auf einen Fehler ihres Gegners lauert. Auch ich trage diese Wut in mir.
Und da ist noch etwas anderes. Etwas, womit er selbst nicht gerechnet zu haben scheint, wenn er nachts schweißgebadet aufwacht. In diesem Moment kann ich seine Sorge um Robin erkennen, seine Sehnsucht nach ihr.
Nicht dass er dies je offen zugeben würde, doch ich spüre, dass er die Frau an seiner Seite braucht, so wie Sanji seine Nami. Na ja, vielleicht ein bisschen anders. Fest steht, dass ich noch viel Zeit haben werde dies herauszufinden.
„Bewegt euch!“ „Wird’s bald?!“
Unruhe breitet sich in unserem Zellentrakt aus, denn jeder Gefangene ist darum bemüht möglichst schnell den Befehlen der Gefängniswärter Folge zu leisten. Missachtung wird hart bestraft, das weiß jeder einzelne hier.
Erst vor ein paar Tagen haben sie einen Gefangenen zu Tode geprügelt, mitten im Flur, damit jeder es sehen konnte. Und das nur, weil er nach Essen gebettelt hatte und nicht gleich nach der ersten Ermahnung damit aufhörte.
Dabei haben wir alle Hunger, denn seit vier Tagen haben wir Pech bei den Kämpfen.
Das Gefängnis ist in vier Zellenblöcke unterteilt, in deren Mitte sich der kleine Hof befindet. Hier finden die Kämpfe statt, denn dieser Bereich ist aus jeder Zelle einsehbar. An manchen Abenden, wenn die Wärter gnädig sind, oder besser gesagt sie unsere Zellen nach illegalen Besitztümern durchsuchen, haben wir so etwas wie Freigang und dürfen uns frei auf diesem Platz bewegen. Dies sind die wenigen lichten Momente in unserem Alltag, so dass wir versuchen sie so gut es geht zu genießen.
Es ist ein bitterer Genuss.
„In einer Reihe aufstellen und dann los!“ lautet der nächste Befehl.
Jeder weiß, was gleich wieder kommen wird.
Wie uns befohlen stellen wir uns auf, einer hinter dem anderen, ehe wir aus dem Gebäude geführt werden. Raus aus dem Hof, raus aus dem Gefängnis, raus in die Wildnis. Der Weg hinunter zum Fluss ist übersät mit spitzen kleinen Kieselsteinen und während ich bei unseren ersten Märschen mir die nackten Füße wund lief, spüre ich inzwischen fast nichts mehr davon.
Man stumpft ab, wird taub und blind seiner Umwelt gegenüber, man funktioniert einfach nur noch. Das klingt hart, aber es ist wichtig um hier zu überleben.
Und so sieht man gleich am Gang wer neu ist und wer nicht. Wer stumm über den Weg schreitet spürt den Schmerz nicht mehr und wer tänzelnd versucht jeder Unebenheit auszuweichen, ist noch nicht lange genug hier um zu wissen, dass dieser Schmerz nicht der schlimmste ist.
Mein Blick richtet sich nach vorn, sehe Sanji’s Rücken, dessen Schulterblätter sich stark hervorheben. Ich habe den Eindruck, jede Woche ein bisschen mehr. Es wird Zeit, dass wir wieder mehr zu essen bekommen.
„Halt!“ brüllt einer der Soldaten. Er macht gerne einen auf wichtig, solange keiner der Offiziere anwesend ist. Ein widerlicher Typ.
„Ihr kennt das Spielchen! Ausziehen und Klamotten in den großen Container! Danach stellt ihr euch wieder in einer Reihe auf! Na, los!!“
Es ist so erniedrigend! Erwachsene Männer die sich nackt ausziehen müssen, damit andere Männer sie anstarren können. Wie pervers!
Dabei habe ich noch Glück, im Gegensatz zu meinen Freunden. Dieser wichtigtuerische Marinetyp hat ein paar von uns auf dem Kieker, darunter auch Sanji. Zwar zählt er nicht zu seinen Lieblingsopfern, doch hin und wieder darf sich mein Smutje anzügliche Bemerkungen über sein Aussehen anhören. Ich kann mich sogar daran erinnern, dass er ihm einmal an den Hintern gefasst hat. Da blieb mir das Herz stehen und meine Angst um meinen Freund stieg rapide!
Aber Sorgen bereitet mir auch Zorro. Zwar scheint sich keiner der hier anwesenden Soldaten für seinen Hintern zu interessieren, dafür aber jemand anderes für ihn ganz allein.
Vor einigen Tagen tauchte Marineleutnant Tashigi hier auf, Sonderauftrag von Captain Smoker, so die vielsagenden Gerüchte. Man würde uns verhören und in die Mangel nehmen, hieß es.
Doch das einzige was ich sehe, ist, dass ihre ganze Aufmerksamkeit Zorro allein gehört. Egal wo, ob beim Freigang im Hof, bei den Kämpfen, ja, selbst hier am Fluss, ihr Augenmerk ist stets auf den Mann mit der langen Narbe quer über der Brust gerichtet. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie uns anderen überhaupt wahrgenommen hat. Vielleicht als kleine Randnotiz?
„Streckt die Hände nach vorn!“ dröhnt es nahe meinem Ohr, was mich wieder aus meinen Gedanken reißt.
Folgsam komme ich dem Befehl nach und bin froh, dass Zorro vor mir in der Reihe steht. Denn nun werden wir an den Händen mit einer langen Gliederkette verbunden, die ganze Horde aus Block drei, und anschließend durch den Fluss gehetzt. Aber da ich noch immer nicht schwimmen kann, meinen Teufelskräften sei Dank, bin ich auf Hilfe angewiesen, um nicht unterzugehen. Aber auf meinen Lieblingsschwertkämpfer kann ich mich verlassen!
„Los, mein Seepferdchen!“ raune ich ihm zu, kaum dass uns das Wasser bis zu den Hüften reicht und springe auf seinen Rücken.
„Klappe, du Idiot!“ raunzt er mich an, schwimmt aber brav weiter, soweit das geht.
Die Kette ist nicht lang genug, um jedem den Freiraum zu gewähren, den er benötigt. Folglich wird gezogen und gezerrt, hin und wieder taucht jemand unfreiwillig unter oder wird einfach mitgeschleift.
Ich bin froh, dass ich nicht allein hier sein muss, andernfalls stünden meine Überlebenschancen schlecht. Doch gerade in solch einem Moment zeigt sich, dass es nichts wichtigeres gibt als gute Freunde zu haben, die für einander da sind.