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Retinnio

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Heban

Es dunkelte bereits, als sie die Spitze der letzten Anhöhe erreichten. Vor ihnen lag ein Talkessel, beschränkt durch zahlreiche zerklüftete Felsen, geschärft durch den erbarmungslosen Wind, der in dieser Höhe gegen den Fels peitschte. Die Witterung hatte Löcher in das Gestein gefressen und von der gegenüberliegenden Gebirgsseite gähnten ihnen dunkle Höhlenöffnungen aus dem Weiß heraus entgegen. Ein kalter Schauer lief Largo über den Rücken als er daran dachte, was sich dort in der Schwärze alles verbergen könnte.

Und inmitten allem, umgeben von Schnee, nacktem Stein und immerwährender Kälte lag Heban.

Das Dorf war verhältnismäßig klein, selbst in den Maßstäben von Amberground, und schien nicht mehr Platz als für circa 100 Einwohner zu bieten. Aus der Ferne sah es nur aus wie eine Ansammlung wahllos hingeworfener, dunkel angemalter Miniaturhäuser.

Die Sonne stand bereits viel zu tief, als dass ihr Licht den Talboden noch hätte erreichen können, selbst wenn sie sich nicht hinter den grauen Schneewolken verstecken würde, die sich bereits drohend über ihren Köpfen zusammenballten, als ob sie nur darauf warteten, sie im ungünstigsten Augenblick mit ihrer weißen Fracht zu begießen. Die drei Wanderer waren der stillen Übereinkunft, dass sie nicht auf diesen Augenblick warten wollten.

Falls es einen Weg gab, der zu der Siedlung führte, so hatte der heftige Schneefall ihn unter sich begraben und so stapften sie aufs Geratewohl in einer hoffentlich geraden Linie auf Heban zu.

Je näher sie dem Dorf kamen, desto mulmiger wurde Largo.

Auf die Entfernung war es unmöglich gewesen zu sagen, ob das Dorf bewohnt war, doch auch als sie näher kamen, konnte Largo niemanden auf den Straßen entdecken. Und auch obwohl es in einem beunruhigend schnellen Tempo dunkel wurde, brannte in keinem der Häuser Licht.

Er tauschte einen besorgten Seitenblick mit Thunderland. Auch dem Doktor schien das Fehlen von Menschen aufgefallen zu sein und seine Hand ruhte bereits auf dem Halfter, in dem seine Pistole steckte.

„Ist es wirklich klug, eine solche Geisterstadt zu betreten?“, wisperte Thunderland.

„Meine Auswahl an besseren Alternativen beschränkt sich auf ganze null. Wenn dir also etwas besseres einfällt...“

Sie erreichten nun die ersten Häuser und Thunderland zog und entsicherte seine Pistole.

„Leider nein.“

Der Schnee knirschte beinahe ohrenbetäubend laut in der unnatürlichen Stille, als sie ins Innere des Dorfes vordrangen.

Largo blickte sich um. Die Häuser hier waren alle aus solidem Stein gebaut, kein Wunder bei den vorherrschenden Witterungen. Überall waren die Vorhänge zu gezogen, jede Art von Tor, Tür und Fenster verschlossen, kein Licht brannte irgendwo versteckt und keine Rauchfahne stieg aus einem der Schornsteine ein. Kein Mensch ließ sich blinken, nicht einmal das Geräusch irgendwelcher hier lebender Tiere war zu hören. Mehr als einmal fuhren sie herum, aufgeschreckt durch eine vermeintliche Bewegung in den Schatten oder ein Ton, der nicht ganz mit dem feinen Säuseln des Windes dissoziierte, um mit rasendem Herzschlag festzustellen, dass ihre durch das Adrenalin übersensiblen Sinne ihnen einen Streich gespielt hatten.

Sie erreichten den Mittelpunkt des Dorfes, ohne dass sie attackiert wurden.

„Da sich hier anscheinend niemand die Ehre nimmt, uns zu begrüßen, wollen wir mal sehen, ob diese Häuser wirklich so leer sind, wie sie aussehen?“, fragte Thunderland.

„Einverstanden. Nimm, welches immer dir gefällt, mein Lieber“, antwortete Largo.

„Zu gütig.“ Zielstrebenden Schrittes wandte sich Thunderland einem Haus zu ihrer Linken zu. Es unterschied sich praktisch so gut wie gar nicht von den anderen Häusern. Wie sie war es aus rotem Backstein gebaut und mit einer schmucklosen Holztür und mehreren Fenster ausgestattet.

Probeweise drückte der Leichendoktor die Klinke herunter. Ein metallisches Klicken verriet ihnen, dass die Tür verschlossen war – wie angenommen.

Vorsichtig klopfte Thunderland gegen das Holz, er sachte, dann immer lauter. Als nach einer zähflüssig verronnen Minute niemand öffnete, machte er einen Schritt zurück und trat kräftig gegen die Tür.

Drei Tritte waren nötig, dann flog die Tür aus den Angeln.

Largo zog eine Augenbraue hoch. „Ich hoffe ausnahmsweise einmal, der Besitzer des Hauses ist wirklich nicht anwesend, ansonsten ist er sicherlich nicht sehr erfreut darüber, dass du seine Tür zerstört hast.“

„Es war eine langweilig ordinäre Holztür, die schlecht schloss. An seiner Stelle hätte ich mir sowieso eine andere angeschafft.“

„Hoffen wir mal, dass er im Fall der Fälle deine Meinung teilt“, entgegnete der Bee ironisch.

Thunderland hatte derweil aus ihrem Gepäck eine Sturmlaterne zu Tage gefördert und diese entzündet. Pistole in der einen, Laterne in der anderen Hand schritt er über die Leiche der bedauernswerten Holztür hinweg in die unbekannten Gefilde des Hauses. Largo und Musica folgten ihm mit ebenfalls gezogenen Waffen.

Das Innere des Hauses sah sehr normal aus. Sie standen in einem kleinen Flur, von dem aus eine Treppe in das nächste Stockwerk führte und zwei nur angelehnte Türen abzweigten. Thunderland stupste die Tür an, die ihm am nächsten war und mit einem feinen Quietschen schwang sie nach innen auf. Hinter ihr lag eine kleine Küche, ordentlich aufgeräumt und vom Aussehen jeder anderen, stinknormalen Küche ähnelnd. Zudem sehr frei von irgendwelchen Menschen.

Das selbe Spiel ergab sich auch bei der anderen Tür, hinter der eine Stube lag.

Der Gang die Treppe hinauf brachte lediglich die Kenntnis, dass das Haus auch über ein Einzelschlafzimmer und eine Toilette verfügte.

Alles war in ordentlichem Zustand, als ob der Hausbewohner nur einmal eben nach draußen zum frische Luft schnappen gegangen war.

Leicht entmutigt ob der gefundenen Resultate kehrten sie in den Flur zurück.

„Ich nehme mal an, dass ich für euch mitspreche, wenn ich sage, dass mir dieses Dorf überhaupt nicht gefällt und dass es mir vermutlich noch weniger gefallen wird, wenn es erst einmal richtig dunkel ist“, flüsterte Thunderland.

„Und was schlägt der Doktor vor sollen wir nun machen? In ein geräumigeres Haus einbrechen und dann dort nächtigen?“

„Nein!“

Erschrocken fuhren die beiden Männer zu Musica herum, der sich, anscheinend selber etwas erschrocken von seinem Ausbruch, die Hände vor den Mund hielt.

„Spinnst du? Doch nicht so laut!“, zischte Thunderland ihn an.

„Tut mir leid“, murmelte der Musiker etwas beschämt. „Ich halte es aber nicht für eine gute Idee, in einem Geisterdorf zu übernachten.“

„Ich stimme zwar zu, aber die Alternative wäre inmitten des aufkommenden Schneesturms zu erfrieren“, beschwichtigte Largo die beiden.

„Könnten wir nicht in einer der Höhlen Unterschlupf finden?“, schlug Musica vor.

„Höhlen?“ Thunderland zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Ich glaube kaum, dass diese Höhlen groß genug sind, um uns genügend Schutz zu bieten. Von der Anhöhe aus sahen sie mir mehr wie Felslöcher aus. Und selbst wenn es eine der passenden Maße geben würde, es würde ewig dauern, bis wir eine gefunden haben und bis dahin ist es längst dunkel.“

„Aber-“

„Nichts aber. Wir haben keine Wahl, ganz einfach.“

Offensichtlich unwohl mit dem Entschluss senkte Musica den Kopf.

In dem Moment echote ein ohrenbetäubendes, sich sehr unmenschlich anhörendes Brüllen über das Tal.



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