Zum Inhalt der Seite

Retinnio

Klingend
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Reise

Laut Thunderlands amateur-meteorolistischen Aussagen würde der Sturm bald abflauen, zumindest weit genug, als dass sie Chancen hatten, lebend Heban zu erreichen.

Nach Largos Zeitgefühl musste es mittlerweile bereits früher Nachmittag sein, obwohl es draußen noch genauso dunkel war wie zu ihrer Ankunftszeit.

Im angrenzenden Zimmer bewies Musica die Dünne der Hauswände – von seinem Geschnarche schien die ganze Wirtschaft zu wackeln.

Auch der Doktor schlief und somit blieb es an Lloyd hängen, auf das Haus aufzupassen. Beziehungsweise darauf, dass sie nicht von suspekten Mitbewohnern im Schlaf ermordet wurden.

In dem Moment, in dem Musica einigermaßen außerhalb des Lauschbereiches war, waren beide Beehive-Angestellten zu der einvernehmlichen Entscheidung gekommen, dass sie dem ungebetenen Gast vermutlich nicht mehr trauen konnten, als sie für eine dieser Konserven an Münzen auf den Tisch blättern würden – also gar nicht.

Musicas Geschichte wies mehr Löcher auf als ein Abtropfsieb. Schön und gut, der arme Kerl hatte jedes Recht, ihnen nicht gleich seine gesamte Lebensgeschichte vorzutragen, aber niemand der noch ganz bei Trost war und nur annähernd an seinem Leben hing, marschierte allein durch Yuusari, solange er kein Bee war. So etwas ließ sich einfach nur als reiner Selbstmord abstempeln.

Und dann war dort noch ihr mysteriöser Attackierer. Auch wenn Musica nach wie vor in Frage kam, glaubte Largo doch nicht wirklich daran. Was immer ihn da getroffen hatte, war um einiges massiver als der eher zierlich gebaute Musiker gewesen und bei weitem kräftiger und schneller gewesen. Ansonsten sah es mit potentiellen Verdächtigen in einem verlassenen Haus inmitten eines zugeschneiten Gebirgsmassives schlecht aus, aber das machte Musica nun nicht gerade zum Schuldigen. Im Zweifelsfalle für den Angeklagten.

Wieso war der Angreifer überhaupt wieder verschwunden? Largo hatte kopfüber im Schnee gelegen, wenn man ihm Schaden hatte zufügen wollen, dann war das ja praktisch die Silbertablett-Variante gewesen.

Andererseits war Thunderland nun exakt in diesem Moment auf der Bildfläche erschienen. Hatte der Unbekannte gedacht, Largo wäre allein gewesen? Und sich dann erschrocken, als ihm bewusst wurde, dass dem keineswegs der Fall gewesen war?

Es war zu dunkel gewesen, um für Largo irgendetwas zu sehen, und er war sich ziemlich sicher, dass der Angreifer ein Mensch gewesen war. Ein Gaichuu hätte eine viel brachialere Methode gewählt. Wenn man dann Stimmen vernahm, obwohl man annahm, dass das Opfer allein wäre... In der Dunkelheit konnte man sich nicht sicher sein, wie groß die zu erwartende gegnerische Unterstützung war, natürlich würde man eher auf Rückzug gehen.

Oder gerade dann das ganze beenden, wo man seinen Zug doch gerade erst gemacht hatte.

Unzufrieden rutsche Largo auf dem harten Holzstuhl herum. So sehr er das ganze auch drehte und wendete, er kam zu keiner genügend eindeutigen Entscheidung.

Ein leerstehendes, obwohl beleuchtet und geheiztes Wirtshaus, mysteriöse Attacken aus dem Nichts, ein nicht unbedingt koscherer Fremder.

Ihm waren schon einfachere Jobs zugeteilt worden.
 

Der Schneesturm lichtete sich rascher, als selbst Amateur-Meteorologe Thunderland es vermutet hatte. Keine fünf Minuten zuvor hatten die Fensterscheiben gewackelt vor der Unbarmherzigkeit des kalten Windes und nun lag vor ihnen, nachdem sie es geschafft hatten, sich aus dem zugeschneiten Wirtshaus auszugraben, eine fast schon beunruhigend stille winter-weihachtliche Schneelandschaft.

Largo fühlte sich nicht sehr wohl dabei, das Wirtshaus einfach so hinter sich zu lassen, ohne dass sie Antworten auf die vielen Fragen bekommen hatten.

Das Gepäck auf den Rücken gespannt, stapften sie durch die jungfräuliche Schneefläche.

Thunderlands verständliches Umkehrschlussargument, welches besagte, dass sollte der Schneesturm derart rasch aufhören, er auch genauso schnell wieder losbrechen konnte, trieb sie zur Eile an.

Trotz allem konnte Largo nicht umhin, die malerische Aussicht zu bewundern.

Schneewehen türmten sich am Wegesrand auf, verdeckten die vorher nackten Felsen und verzogen ihre Formen zu elegant geschwungenen Kurven. Schroffe Felskanten wurden weich und graue Trostlosigkeit mit einem Schleier von Reinheit verdeckt.

Die vereinzelten Lichtstrahlen der unnatürlichen Sonne bahnten sich hier und da mühsam ihren Weg durch die Wolkenschichten und ließen das Weiß strahlend aufleuchten.

Vereinzelt klirrten Eiszapfen im leichten Wind wie Markisen an den Rändern der sich wie Wellen auftürmenden Schneeberge, geformt in die kuriosesten Figuren.

Ein Blick zurück zeigte eine prächtige Panoramalandschaft auf die Berge ringsherum, an denen sich Wolkenfetzen wie Ertrinkende in der Brandung klammerten.

Den Rand des Gebirgsmassives säumten weißbedeckte Baumwipfel, die auf die Entfernung nur als dunkel-hell gemusterte Spitzen auffielen.

So schön das alles auch war, Largo fluchte trotzdem ungehalten, als er zum vierten Mal tiefer in der tückischen, Löcher verbergenden Schneedecke einsank, als ihm lieb war.

Die dicke Schicht ließ sie nur mühsam vorankommen und machte aus einem Kilometern gefühlte zehn. Sie kamen nur sehr mühselig voran, und schon bald schwitzten alle drei trotz Temperaturen weit unter null Grad in ihren dicken Mänteln.

'Kaum zu glauben, dass wir gestern noch mit der Kutsche den Weg entlang fahren konnten', dachte Largo. Von zwei hatte sich die Schneeschicht auf circa 30 Zentimeter hochgemausert, höher als für jede Kutsche befahrbar wäre. Und wenn es nach Largo ging, höher als für Menschen begehbar war.

Seine Wadenmuskeln waren auf jeden Fall nicht begeistert.

Er war sich ziemlich sicher, dass er sich nicht mit Bergen und Kälte jeglicher Art anfreunden konnte.

Es war erst früher nachmittag, aber bereits jetzt kratzte der untere Rand der Sonne am Horizont und überzog Himmel und Berge mit einem warmen, rötlichen Glanz.

Sie hatten einen Felsvorsprung gefunden, der halb durch einen Vorhang aus Schnee und Eis bedeckt wurde und somit eine Art Schneehöhle bildete. Dort legten sie von dem anstrengenden Marsch Rast ein und widmeten sich ihrem bereits leicht verspäteten Mittagsessen, welches – zu Lloyd und Thunderlands Leidwesen beziehungsweise Musicas Freude – aus der Dosensuppe bestand. Um genau zu sein, Kartoffelsuppe, wie der Aufkleber behauptete.

„Wie weit sind wir noch Heban entfernt?“, fragte Musica, während er sein Besteck wieder in seinem Rucksack verstaute.

„Ungefähr zwei Meilen“, sagte Thunderland und schob die nun leere Dose von sich.

Lloyd beäugte derweil argwöhnisch den Inhalt der seinigen und überlegte ernsthaft, ob die schlammgelbe Masse sich soeben ohne sein Zutun bewegt hatte.

In der Tat liefen immer wieder kleine Wellen vom Rand zum Zentrum in kleiner werdenden Kreisen. Zuerst hatte erwägt, ob es vielleicht an seinen zitternden Händen lag, die obwohl sie in Handschuhen steckten sich anfühlten wie durchgefroren. Als er die Dose dann aber vorsichtig auf den Boden setzte und die merkwürdigen Bewegungen an der Suppenoberfläche nicht aufhörten, wurde ihm das ganze doch etwas suspekt.

Die Wellen wurden stärker und kamen in immer kürzeren Abständen, je länger er wartete.

„Largo, was machst du dort?“, hörte er Thunderland fragen.

Da dämmerte es ihm: Nicht die Suppe, die Erde selber bewegte sich!

Über ihm ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen und ein riesiger Stachel bohrte sich durch die Decke in den Raum, in dem sie saßen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück