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Retinnio

Klingend
von

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Begleitung

„Nein, verdammt noch mal, ich brauche KEINE Eskorte!“

Ruhig zog Largo Lloyd an seiner Zigarre und wickelte sich den Mantel enger um den frierenden Körper. Draußen fiel Schnee in sanften Flocken gegen die leicht beschlagenen Fensterscheiben. Auf den Straßen stolzierte allerlei Leute in warmen Pelzmäntel umher.

Nicht gerade ein Spiegelbild der seinigen Erscheinung.

Mit einem Seufzer blickte Largo an seiner eigenen Kleidung herunter. Gerade auf seinem letzten Auftrag hatte ein Gaicchu ihn in einem Moment der Unvorsichtigkeit erwischt und in einen Schutthaufen geschmissen. Der Schotter hatte dem Stoff und Leder alles andere als gut getan und nun fuhr der kalte Wind durch alle möglichen Risse und Schnitte – kurz gesagt, er fror in dem nicht geheizten Wartezimmer erbärmlich.

Er war doch gerade erst von einem Auftrag zurückgekommen, und hatte gerade seine Siebensachen nach Hause geschleppt, da war er schon wieder einberufen worden.

Zurzeit war im Bienenstock absolute Hochsaison, da eine Grippeepidimie circa die Hälfte aller Bees schniefend und niesend in den Krankenflügel oder das eigene, warme Zuhause getrieben hatte. Unglücklicherweise hatte die Epidemie nicht annähernd so stark bei den Briefeschreibern eingeschlagen und somit wuchs der Berg der Arbeit, den die gesunden Bees abarbeiten durften, mit jedem neuen Krankheitsfall in die Höhe.

Normalerweise macht Largo eine derartige Belastung nichts aus, er war ja schließlich nicht zum Faulenzen Bee geworden. Aber wenn er vor dem Einberufen zum nächsten Auftrag nicht einmal genug Zeit hatte, sich einen neuen Wintermantel zu zulegen, trug das nicht unbedingt zur Steigerung seiner Laune bei.

„Trotzdem ist das Gebiet viel zu gefährlich-“ „Wollen Sie jetzt sagen, dass ich zu blöd bin, auf mich selbst aufzupassen?“

„Nun, so meinte ich das natürlich nicht...“ Ein ungläubiges Schnauben ertönte hinter der Tür.

Lloys grinste still in sich hinein. Er kannte den Verursacher des Schnaubers nur zu gut. Dr. Thunderland Jr., das junge Genie in der Forschungsabteilung mit einer merkwürdigen Vorliebe für das Sezieren von Tieren.. Ein Hobby, wegen dem fast die gesamte Belegschaft einen sehr weiten Bogen um ihn machte.

Der zuständige Auftragsvergeber schien auch nicht so angetan von dem jungen Doktor zu sein, wenn man nach seinem tiefen Seufzer ging.

„Dr. Thunderland, es wäre trotzdem besser, wenn Sie mit einer Begleitperson reisen würden.“

„Da die Hälfte der einen 'Belegschaft' krank ist, und die andere lieber freiwillig das gesamte Archiv der Lost Letters abbaut, als mit mir zu reisen, ist die Auswahl vermutlich wahnsinnig groß.“

„Wir glauben, es gebe da schon jemanden, mit dem eine Zusammenarbeit möglich wäre.“

„Natürlich.“ Der Sarkasmus troff nur so aus dem einen Wort und Largo hatte auf einmal einen ganz ganz bösen Verdacht, wer dieser jemand sein sollte.

„Mister Lloyd, wenn Sie bitte hereinkommen würden?“, rief die Stimme des Verwalters von innen.

Wider besseren Wissens, nämlich dass er vermutlich genau in die andere Richtung gehen sollte und sich endlich ein Stück warme Kleidung zulegte, stand Largo auf, schritt zur Tür und drehte den abgewetzten Messingknauf um.

Die Tür schwand nach innen auf und offenbarte einen kleinen Raum mit einem passenden kleinen Fenster, durch das die letzten paar Wintersonnenstrahlen versuchten, wenigstens etwas Licht hinein zu tragen.

Zu seinem Enttäuschen stellte Largo fest, dass es in diesem Raum genauso kalt war wie im Wartezimmer.

Das Zimmer selber wurde von einem sperrigen, großen Schreibtisch beherrscht, hinter dem ein kleiner, sehr nervös aussehender Mann mit einer blankpolierten Halbglatze aus grauen Stoppelhaaren saß.

Vor dem Schreibtisch hatte der berühmt-berüchtigte Dr. Thunderland einen der beiden verfügbaren Stühle belegt. Die Hände in den Schoß gelegt und das linke Bein überschlagen begrüßte er Largo nur mit einem leichten Nicken und wandte sich dann wieder dem Verwalter zu, den Largo nun als einen gewissen Herrn Moritz erkannte.

Dieser räusperte sich. „Herr Lloyd, wenn Sie sich setzen möchten...?“ Er deutete etwas unsicher auf den freien Stuhl.

„Danke, ich stehe lieber.“

„Ja, ja, natürlich.“ Herr Moritz förderte ein leicht angegrautes Stück Tuch aus seiner ebenfalls angegrauten Jacke zutage und tupfte sich damit die Stirn, auf welcher trotz der Temperaturen unter Null einige Schweißtropfen standen.

„Nun, Herr Lloyd, zusätzlich zu ihrem Auftrag gibt es hier ein kleines Problem, bei dem wir ihre Hilfe als Bee gebrauchen könnten. Es geht um Doktor Thunderland, welcher für eine seiner Forschungsreisen eine Eskorte braucht-“

„-da der werte Doktor Thunderland nicht auf sich selbst aufpassen kann“, äffte die Person in Frage den Verwalter nach.

„Wie dem auch sei, da wir zurzeit knapp an Bees sind, haben wir Ihnen einen Auftrag zugeteilt, der genau zum Zielgebiet von Herrn Thunderland führt. Alle weiteren Informationen befinden sich hier in dieser Akte.“ Er drückte Lloyd eine Kartonmappe in die Hand, aus der bereits einige Zettel herausquollen.

„Wenn Sie mich dann entschuldigen würden, ich muss mich leider verabschieden, schönen Tag noch, die Herren. Dr. Thunderland kann ihnen alles weitere erklären, Mr. Lloyd.“ Schneller, als er es von dem kleinen Mann erwartet hätte, hatte sich dieser seine Tasche geschnappt und war aus der Tür entflohen. Vor allem schnell genug um jedweden Widersprüchen Thunderlands oder Lloyds zu entkommen.

„Da hatte es jemand aber eilig“, bemerkte Dr. Thunderland amüsiert.

Largo blätterte derweil die Akte durch. „Heban?“, murmelte er mehr zu sich als zu jemandem anderen, als er den Namen des Zielortes las. Thunderland antwortete ihm trotzdem.

„Ganz schön seltener Ort für Brieflieferungen. Und verdammt kalt dort zu dieser Jahreszeit – schon mal über eine neue Jacke nachgedacht?“

„Bin ich noch nicht zu gekommen.“ Stirnrunzelnd betrachtete er die Karte. Heban lag inmitten eines Gebirgsmassiv und galt als einer der wenigen Orte, die trotz der durch die Höhenlage bedingten unwirtlichen Bedingungen trotzdem existierten. Für einen Bee waren solche Dörfer nicht unbedingt das beliebteste Ausflugsziel, denn sie bedeuteten Fußmärsche durch die Wildnis, da es dort so gut wie gar keine Infrastruktur gab.

Die Briefe lagen direkt in der Akte bei. Insgesamt drei Stück, alle ordentlich frankiert und mit mehr oder weniger krakeligen Adressen versehen.

Müde rieb er sich die Schläfen. Der Weg über das Gebirge würde anstrengend werden, dank der Schneestürme die dort um diese Jahreszeit tobten.

„Habt ihr schon eine Kutsche gemietet?“

„Alles schon erledigt. Bringt uns aber nur bis zu einer Raststelle ungefähr 15 Kilometer vor Heban. Der Rest wird ein Gewaltmarsch.“

Der Bee nickte abwesend und fischte in seinem zerschlissenen Mantel nach der Zigarettenschachtel plus dazugehörigem Feuerzeug, während er die Mappe weiter durchblätterte.

Als er endlich gefunden hatte, was er gesucht hatte, legte er den Papierkram beiseite und steckte sich die Zigarette in den einen Mundwinkel.

„Stört's dich?“, fragte er Thunderland, mehr aus Höflichkeit als aus wirklichem Interesse. Er würde sich den Glimmstängel sowieso anzünden. Das hatte er jetzt dringend nötig.

Der grinste ihn an. „Kommt drauf an... wenn du mir auch eine gibst, dann nicht.“

Largo überlegte kurz, schmiss ihm dann aber trotzdem eine mit einem gemurmelten 'Schnorrer' zu.

Mit einem Knipsen sprang das Feuerzeug an und Largo zündete sich und Thunderland die Zigarette an.

„Denkst du nicht, dass ein rauchender Arzt nicht unbedingt das beste Vorbild abgibt?“, fragte er leicht amüsiert.

Besagter Arzt schnaubte nur kurz. „Nach dem Gespräch mit dem lieben Herren Verwalter war das schwer überfällig. Auch wenn ich ansonsten eher wenig rauche. Es ist ein unpraktisches Laster.“

„Wie du meinst. Und was ist jetzt mit dieser Forschungsreise von der Herr Moritz geredet hat?“

Dr. Thunderland zuckte nonchalant mit den Schultern.

„Einige Todesfälle durch Erkrankungen. Nach den Informationen, die mir bisher zugekommen sind, scheint es sich um eine mutierte Form von Parainfluenzaviren zu handeln.“

Largo blickte ihn stumm an.

Thunderland seufzte. „Viren, die unter anderem für Erkältungen verantwortlich sind. Sie führen normalerweise zu geringen Schwellungen im Halsbereich durch Reizung, was wiederum zu Heiserkeit und Schleimbildung führt. Eigentlich sehr harmlos und nichts, woran man sterben würde.“

Er nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette.

„Die lieben mutierten Verwandten sind dagegen nicht so nett. Anstatt im Hals, lagern sie sich in der Lunge an und sorgen dafür, dass die Lungenbläschen nicht mehr richtig funktionieren, indem sie sie nach und nach durch Ablagerungen zu stopfen. Die Erkrankten sterben also an Ersticken.“

„Handelst du dann im Auftrag der Hauptstadt, oder über wen geht das?“

„Hauptstadt, wer denn sonst?“

„Es ist unüblich für die Leute dort, Sorge in dem zu nehmen, was in den Ringen passiert.“

Thunderland lachte bitter. „Da hast du wohl recht. Aber der letzte Todesfall war keinen Kilometer von der nördlichen Brücke entfernt.“

„Angst vor einer Epidemie also?“

Thunderland nickte. „Das dortige Gebiet ist zum Glück nicht so stark besiedelt und Erkrankte werden unter Quarantäne gehalten. Die Viren selber sind durch die Luft übertragbar, wenn wir dort ankommen, heißt es also Mundschutz anlegen. Und wo wir gerade bei Accessoires sind: Wolltest du dir nicht eine Jacke kaufen?“

Largo gab ein zustimmendes Geräusch von sich und blickte beiläufig auf die Uhr. Schon drei durch. Da sie vermutlich am nächsten Tag bereits früh aufbrechen mussten, würde nicht unbedingt viel Zeit zum Kraft holen bleiben.

„Dann solltest du dich aber beeilen, die Kutsche fährt in zwei Stunden.“

„WAS?!“



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