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The Crystal Palace

von

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Kampfperformance

Der Tag war, nachdem die beiden Jungtrainerinnen zurück im Pokémoncenter waren, recht schnell auf den Abend zugegangen. Sie hatten sich am Nachmittag einen Film im Kino angesehen und noch ein wenig die Stadt besichtigt, wobei sie Pläne für die noch kommenden zwei Tage in Teak City schmiedeten. Morgen wollten sie den Weisen Aero im Glockenturm besuchen und ihm die Steintafel zeigen, die Aira ihnen geschenkt hatte. Womöglich wusste er, welches Ziel seine Schwester damit verfolgte – falls er ihnen denn helfen würde. Doch nun saßen Lyra und Cassandra in der Lobby des Pokémoncenters, hatten eine Kanne mit Kakao vor sich stehen und schenkten sich davon gerade jeweils eine Tasse ein.

„Ich bin irgendwie erschöpft, aber aufs Zimmer möchte ich noch nicht gehen.“ Cassie streckte sich und gähnte kurz, während sie einen Blick auf die Uhr warf. Es war kurz nach zwanzig Uhr und das leckere Abendessen lag ihr noch im Magen, was sie träge machte.

„Wir könnten noch einen kleinen Spaziergang um den Block machen“, schlug Lyra daraufhin vor. „Golbit und Felilou sind für die Bewegung sicherlich dankbar.“

„Gute Idee.“

Schnell tranken beide ihre Tasse mit Kakao aus, ließen die Kanne für später stehen und machten sich auf den Weg nach draußen, wobei sie schon einmal ihre Pokémon aus den Bällen entließen. Schnurrend streifte Felilou um die Beine seiner Trainerin; Golbit trottete hinter Cassie her.

Vor der Tür wehte ihnen ein kühler Frühjahrswind entgegen, aber als sie die Jacken bis oben zuzogen und die Enden ihrer Schals in den Kragen steckten, verging das Frösteln sehr schnell. Sie schwiegen eine Weile und schlenderten auf dem Bürgersteig auf eine nahegelegene Kreuzung zu, die die Straße weiter zum Stadtrand führte. Gerade wollten sie abbiegen, als sie von den Geräuschen kämpfender Pokémon abgelenkt wurden. Neugierig näherten die beiden Mädchen sich einem Spielplatz, auf dem zwei Trainer ihre Pokémon auf einer Wiese gegeneinander kämpfen ließen.

„Den kenne ich doch“, raunte Lyra, als sie den schwarzhaarigen Jungen entdeckte, der sie im Pokémoncenter in Mahagoni City angesprochen hatte. „Er wollte um den Orden in Mahagoni City kämpfen und dann Teak City besuchen.“

„Seltsame Reiseroute“, kommentierte Cassie lediglich und musterte das Luxtra des Jungen, das gerade mit Donnerzahn angegriffen hatte. „Aber wenn er meint.“

„Ich kann mich gar nicht daran erinnern, ob er mir seinen Namen gesagt hat“, murmelte Lyra, pausierte jedoch, als das Pokémon, gegen das Luxtra und der Schwarzhaarige kämpften, einen kritischen Treffer landete. „Hast du diese Performance gesehen?“ Vollkommen aus dem Häuschen trat Lyra näher an die beiden Trainer heran, dicht gefolgt von Cassie.

Der Schwarzhaarige blickte konzentriert zu seinem Luxtra, das im Begriff war gegen das Schillok eines Mädchens zu verlieren. In dem spärlichen Licht der Spielplatzbeleuchtung konnte man gar nicht erkennen, ob ihre gelockten Haare hellbraun oder dunkelblond waren. Jedenfalls wirkte sie ebenso konzentriert wie ihr Gegner.

„Schillok, setz Hydropumpe ein!“

Ihr Pokémon vollführte eine elegante Drehbewegung, wobei der mächtige Wasserstrahl aus Schilloks Mund geschossen kam. Kleine Schaumfäden überzogen die Wassermasse wie ein filigranes Netz und erinnerten an eine wunderschöne Marmorierung. Die Attacke traf Luxtra frontal, schleuderte es mehrere Meter durch die Luft und ließ es besiegt liegen.

„Gut gemacht, Schillok.“ Lächelnd trat das Mädchen auf ihr Pokémon zu, lobte es und gab ihm ein kleines Leckerli. „Du hast gut gekämpft.“

Der Junge schnaubte ein wenig enttäuscht und zog sein Elektropokémon zurück. „Du bist wirklich stark, dass du trotz Typennachteil gewonnen hast.“

„Man sollte einen Trainer und sein Pokémon nicht nach der äußeren Erscheinung beurteilen“, erwiderte sie mit einem schmalen Grinsen und zog ihr Pokémon ebenfalls zurück. Erst dann bemerkte sie ihre beiden Zuschauerinnen und kam lächelnd auf sie zu. „Hat euch der Kampf gefallen?“

„Er war spitze, leider haben wir nicht alles mitbekommen.“ Mit leuchtenden Augen blickte Lyra zwischen den beiden Trainern hin und her. „Schilloks Attacke war vollkommen graziös, wie hast du ihm das beigebracht?“

„Ich bin Koordinatorin. Es gehört viel Übung dazu und man muss auf alle Details achten.“

„Unterschätze niemals die Stärke eines Koordinators“, warf der Schwarzhaarige lachend dazwischen und bedankt sich bei der Dunkelblonden für den Kampf, die sich verabschiedete und dann ging. „Und dich kenne ich doch auch, wenn ich mich nicht irre?“

„Ja, wir sind uns schon einmal begegnet. Das ist übrigens Cassandra White, wir sind zusammen unterwegs.“

„Freut mich, ich bin Leo Galloway.“ Er nickte ihnen zu, doch da keiner der drei besonders gut im Smalltalk zu sein schien, verabschiedeten sie sich kurzerhand voneinander und gingen wieder getrennte Wege.

„Ich hätte auch gerne so ein starkes Pokémon“, flüsterte Lyra schließlich auf dem Rückweg zum Pokémoncenter und warf Felilou einen sehnsüchtigen Blick zu. Im nächsten Moment fing die Dunkelrosahaarige sich jedoch wieder, räusperte sich und lächelte. „Aber was soll’s. Konzentrieren wir uns jetzt erst einmal darauf, dass wir morgen den Glockenturm besichtigen.“

Cassie erwiderte darauf nichts, sondern musterte ihre beste Freundin mit einem neugierigen Glanz in den Augen. Es war ihr allerdings deutlich anzusehen, was sie von Lyras Aussage hielt, denn wenn es nach ihr ging, würden sie sich einfach ihre Pokémon schnappen und Hals über Kopf ein Leben als Ausreißer führen. „Ja, der Glockenturm“, ging sie auf Lyras Themenwechsel ein. „Wird bestimmt interessant.“
 

Am nächsten Morgen mussten sie überrascht feststellen, dass das Pokémoncenter fast ausgebucht war und die Kantine beim Frühstück dementsprechend voll. Schwester Joy erklärte ihnen, dass im Tanztheater eine große Vorführung stattfand, die bereits seit Wochen ausverkauft war. Außerdem fand am kommenden Wochenende ein Wettbewerb in Teak City statt – Lyra und Cassie bedauerten, dass sie dann schon wieder abgereist sein würden.

Mit ihren voll beladenen Tabletts kämpften sie sich durch die Kantine, bis sie Leo Galloway und das Mädchen vom Vorabend an einem Vierertisch sitzen sahen. Kurzerhand steuerten sie auf die beiden zu, wünschten ihnen einen guten Morgen und fragten, ob sie sich dazu setzen konnten.

„Natürlich, setzt euch“, sprach die Dunkelblonde mit einem einladenden Lächeln und räumte ihre Tasche von einem der beiden freien Plätze. „Vor Wettbewerben staut es sich immer etwas in Pokémoncentern, daran gewöhnt man sich.“

Lyra schenkte ihr einen dankbaren Blick und widmete sich vorerst ihrem Müsli. „Du bist also Koordinatorin, ja? Nimmst du am Wettbewerb teil?“

„Eher nicht.“ Die Fremde zuckte mit den Schultern. „Ich habe die Wettbewerbe aufgegeben, nachdem ich am Großen Festival von Kanto teilgenommen habe. Meine Mutter ist eine berühmte Koordinatorin in ihrer Heimatregion Finera, aber ich habe nach meiner einjährigen Reise durch Kanto irgendwie die Lust daran verloren und reise jetzt einfach so durch Johto.“

„Finera“, wiederholte Cassie murmelnd. „Das liegt doch nördlich von Kanto, nicht wahr?“

„Es ist jedenfalls ein ganzes Stück von hier – zu weit für einfach mal so“, meinte das Mädchen lachend und band sich die Locken zu einem Pferdeschwanz. „Ach ja, ich heiße Grace Light. Leo kennt ihr ja schon.“

„Reist ihr zusammen?“, erkundigte sich Lyra kauend, was ihr im nächsten Moment etwas unhöflich vorkam, daher vermied sie es für den Rest des Gesprächs.

Leo und Grace warfen sich einen kurzen Blick zu und schüttelten dann synchron mit dem Kopf. „Nein, wir laufen uns nur hin und wieder über den Weg und kämpfen dann gegeneinander. Allerdings warte ich noch auf den Tag, an dem ich Grace besiegen kann.“

„Du Pappnase.“ Grace stupste ihn mit dem Ellbogen an. „Du hast mich doch schon oft genug besiegt.“

„Du liegst mit zwei Siegen in Führung“, sagte Leo sofort und in seinen bernsteinfarbenen Augen blitzte erneut der Kampfwille auf. Dann wandte er sich an Lyra und Cassandra. „Grace ist eine wirklich gute Trainerin, ihr Schillok und mein Luxtra sind in etwa gleich stark, aber ihr Arkani macht mein Walraisa platt, deshalb kämpfen wir nur noch eins gegen eins.“

Grace nahm das Lob mit Wohlwollen auf und schluckte derweil den letzten Bissen ihres Brötchens herunter. „Was ist mit euch beiden? Seid ihr in der Stadt, um den Phantomorden zu erkämpfen?“

Beide Mädchen senkten den Blick und schwiegen einige Sekunden, bis Cassandra zuerst das Wort ergriff. „Nein, aber wir wären gerne Trainerinnen. Wir leben im Waisenhaus von Ebenholz City und unsere Waisenhausleiterin verbietet uns ein Trainerdasein, obwohl wir jeder ein eigenes Pokémon besitzen. Lyra hat ein Felilou und ich ein Golbit.“

„Das klingt aber nicht nett.“

„So ist das auch nicht ganz richtig“, mischte Lyra sich ein und warf Cassie einen leicht verärgerten Blick zu. Es stieß ihr wirklich sauer auf, dass Cassie nur die Tatsachen erwähnte, die ihrer Weltsicht in den Kram passten. „Eigentlich sollten wir gar keine Pokémon haben, aber Josephine, unsere Leiterin, hat eine große Ausnahme für uns gemacht, weil die Umstände es so ergeben haben. Wir werden noch heute und morgen hier in Teak City sein und dann ins Waisenhaus zurückkehren, so wie wir es Josephine versprochen haben.“

Cassie funkelte sie wütend an. Für einen Augenblick fühlte sich die Luft schwer an, dann stand Cassandra wortlos auf und drehte den anderen drei den Rücken zu. „Ich gehe mir ein wenig die Beine vertreten.“

Lyra erwiderte nichts darauf, sondern ließ Cassie ziehen. Allerdings war ihr nun selbst der Appetit vergangen, woraufhin sie sich bei Grace und Leo entschuldigte und ebenfalls aufstand. Zügig brachte sie ihr Tablett weg und kehrte ins Doppelzimmer von Cassie und sich zurück, doch als sie dort ankam, war ihre Freundin bereits verschwunden. Lyra fluchte leise, gab sich aber keine Schuld an Cassies schlechter Laune. Stattdessen entließ sie brummend Felilou aus dem Pokéball und machte sich gemeinsam mit ihrem treuen Pokémonfreund auf den Weg nach draußen.

„Lou?“ Felilou turnte elegant vor ihr herum und blieb hin und wieder stehen, um auf Lyra zu warten.

„Cassie verhält sich unmöglich; sie weiß doch, dass wir zurückkehren werden.“ Allmählich wurde Lyra wirklich wütend. Natürlich wäre sie auch am liebsten eine Trainerin, aber es ging nun einmal nicht und das hatte sie akzeptiert. Sie erinnerte sich daran, dass ihre Eltern immer verantwortungsbewusste Menschen gewesen waren, die mit Sicherheit nicht gewollt hätten, dass ihre einzige Tochter den Flausen in ihrem Kopf nachgab. Ein wenig kindliche Naivität war nichts Falsches, aber Lyra war sich dennoch deutlich darüber im Klaren, dass das Waisenhaus bis zum Ende ihrer Schulbildung ihr Zuhause sein würde. Sie war dankbar für diese Chance und die Geborgenheit, die das Sankt Josephines ihr gab – und Cassie sollte das auch sein.

Ihre Beine trugen sie wie ferngesteuert in den nördlichen Teil der Stadt, wo der Glockenturm vor dem Hintergrund des Waldes in die Luft ragte. Einig hundert Meter links davon stand der abgebrannte Bronzeturm, von dem nur noch eine Ruine übrig geblieben war. Lyra seufzte, als sie die imposante Schönheit des Gebäudes in sich aufnahm, doch ihre Wahrnehmung wurde durch einen weißen Haarschopf unterbrochen, den sie am Eingangsbereich des Glockenturms sah.

Cassie war auch hier und sie war ohne Lyra gegangen.

Erneut brandete Wut in der Fünzehnjährigen auf. Sie zog Felilou in den Pokéball und schlich sich hinter Büschen an, bis Cassie und der Weise, mit dem sie sich unterhielt, in Hörweite waren. Lyras Gesicht nahm immer steifere Züge an, als sie hörte, dass Cassandra dem Weisen von der Steinplatte erzählte und sie ihm wohl scheinbar auch zeigte. Sie verlangte eine Audienz bei Aero, die ihr gewährt wurde.

„Miststück“, entfuhr es Lyra und sie biss sich im nächsten Moment sofort auf die Zunge. So hatte sie das nicht gemeint, aber dass Cassie so wankelmütig war und einfach ihre Abmachung ignorierte, behagte ihr überhaupt nicht. Es fühlte sich sogar beinahe wie Verrat an. Lyra machte kehrt und ließ den Glockenturm hinter sich, stattdessen lief sie in das Randgebiet des Waldes hinein, um sich abzureagieren.

Nachdem sie Felilou wieder entlassen hatte, spielte sie ein wenig mit ihrem Unlichtpokémon und fasste einen Entschluss, den sie mit Sicherheit am Abend bereuen würde, aber im Moment hatte sie einfach nur das Bedürfnis, dass sie Cassie den Wind aus den Segeln nahm. Wenn Cassie ihre Einzelgänger-Nummer wollte, dann sollte sie sie auch bekommen. Mit entschlossenem Blick rief Lyra Felilou zu sich und lief gemeinsam mit ihrem Pokémon tiefer in den Wald hinein. Sie war keine Freundin zweiter Wahl und mit Sicherheit würde sie auch keine Trainerin zweiter Klasse sein, nur weil Madame Cassandra wieder eine ihrer Phasen hatte.

„Komm mit, Felilou.“

Das Katzenpokémon schenkte ihr einen aufmerksamen Blick, als wüsste es bereits, was Lyra sagen wollte. Mit kätzischer Vorfreude lief es einige Meter voraus.

Es gab da nämlich ein kleines Geheimnis, das Lyra stets für sich bewahrt hatte und von dem nicht einmal ihre beste Freundin Cassandra etwas wusste. Lyra war im Besitz eines Pokéballs, der einst ihrer Mutter gehört hatte und den sie stets als eine Art Talisman bei sich getragen hatte. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte Lyra ihn bekommen und ebenfalls als Talisman aufbewahrt.

„Wir fangen uns jetzt ein neues Teammitglied.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  yazumi-chan
2014-11-22T22:52:42+00:00 22.11.2014 23:52
Oh dear. Ich hatte für einen Moment Angst, dass Lyra aus Wut ihren Teil der Steintafel tief im Wald vergräbt oder sowas, aber ein neues Pokémon fangen unterstütze ich! Und Cassy hat mal wieder ihre Tage xD
Antwort von:  Kalliope
23.11.2014 01:10
Neue Pokémon sind immer gut xD
Von:  fahnm
2011-11-03T19:14:30+00:00 03.11.2011 20:14
Klasse Kapi^^
Von: abgemeldet
2011-11-03T17:57:24+00:00 03.11.2011 18:57
OoO
Grace Light~ Woher kennen wir den Namen nur? *zur Finera-ff schiel* :D
Cassie kann es einfach nicht akzeptieren und dann geht sie auch noch allein in den Turm! Lyra tut quasi genau dasselbe, nur dass sie sich ein zweites Pokémon fängt...
x_x ich hoffe, sie vertragen sich wieder qq
Von:  Yurippe
2011-11-03T16:54:49+00:00 03.11.2011 17:54
Na, wer rebelliert jetzt?

Ich kann Lyra verstehen; Cassandra geht mir durchaus auch manchmal auf die Nerven. Es ist sicher schwer gewesen, vor Leo und Grace (<3) zuzugeben, dass sie keine "richtigen" Trainer waren und zurück ins Waisenhaus mussten, aber Cassie hat sich nicht richtig verhalten.

Ich bin sehr gespannt darauf, wie es jetzt weitergeht, und hoffe, dass die beiden doch noch den Wettbewerb oder wenigstens das andere Spektakel miterleben werden.


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