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Geschwister für die Blader

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Streitpunkt

Geschwister für die Blader

2.Kapitel: Streitpunkt
 

Das Gesicht des Mädchens hatte sich inzwischen ein wenig aufgehellt. Joanny blickte erwartungsvoll und unsicher zugleich ihren Bruder an, fast so, als erfüllte sich gerade ihr sehnlichster Wunsch. Für einen kurzen Augenblick fragte sich Johnny, ob er lachen oder weinen sollte. Das war alles ein schlechter Scherz, oder? Er hatte mit großer Sicherheit keine vor langer Zeit verschollene, jüngere Schwester, davon wüsste er. Wer auch immer sich diesen Witz ausgedacht hatte, hatte einen sehr schlechten Humor.

Doch wie sollte er reagieren? Er wollte sich nicht in aller Öffentlichkeit blamieren, indem er eine Szene machte, auf der anderen Seite konnte er diese abstrusen Behauptungen kaum auf sich sitzen lassen. Alles abzustreiten war vermutlich die sinnvollste Methode, denn wenn er mitspielte, konnte er schon tausende von Fernsehzuschauern lachen hören. Dass hier eine versteckte Kamera im Spiel war, dessen war er sich inzwischen absolut sicher.

„Es tut mir Leid, Sie müssen sich irren. Ich habe keine vor langer Zeit verschollene, jüngere Schwester. Und wenn sie mich hier verarschen wollen, dann bitte ich Sie, augenblicklich davon abzusehen, da das nur unnötig meine Zeit verschwendet“, er musterte das Mädchen, das ihm gegenüber saß und ihn nun skeptisch mit verschränkten Armen anblickte und wandte sich dann wieder mit einem erzwungenen Lächeln an Madison.

Dieser blinzelte ihn nur verwirrt an, ehe er freundlich und beschwichtigend meinte: „Ich verstehe, dass diese Situation für Sie ungewohnt ist. Es erwartet auch niemand von Ihnen, dass Sie sich sofort damit abfinden und-“

„Wenn es sich wirklich hierbei um meine Schwester handeln würde, warum haben Sie sich dann an mich gewendet? Warum nicht an meine Eltern? Oder meinen Bruder? Wäre es nicht sinnvoller, meine ganze Familie an so einem wichtigen Ereignis teilhaben zu lassen? Es tut mir Leid, dieses Szenario hier ist schlicht und ergreifend nicht logisch. Es ist höchstens ein schlecht durchkonzipierter PR-Gag.“

Ihm wurde relativ schnell klar, dass er Madison nicht so einfach knacken konnte. Der BBA-Angestellte spielte seine Rolle zu gut und auch jetzt blickte er ihn nur verständnisvoll an. Also musste er diese Schmierenkomödie wohl an anderer Stelle aufbrechen: bei seiner Schwester. Er drehte sich zu ihr herum und bemerkte, dass ihr Gesichtsausdruck eigenartig verklemmt und betroffen wirkte. „Mädchen, wie heißt du wirklich?“

„Joanne!“, fuhr sie ihn ungehalten an und kniff die Augen zusammen, „Mein Name ist Joanne!“ Sie sprang von ihrem Platz auf und knallte ihre Hände auf den Tisch. „Und tut nicht so, als wäre ich nicht da, während ihr über mich sprecht!“ Verwirrt blickte Johnny ihr hinterher, als sie – nach einem zornigen Blick auf ihn und nachdem sie ihm ihren Mittelfinger entgegengestreckt hatte – mit schnellen Schritten vom Tisch wegstapfte.

„Sie müssen verstehen“, meinte Madison und Johnny sah ihn fragend an, war er noch ein wenig durcheinander von der heftigen Reaktion des Mädchens, „dass diese Situation auch für Ihre Schwester nicht unbedingt einfach ist. Sie hat fast ihr ganzes Leben ohne Familie in einem Waisenhaus in England verbracht. Ich weiß nicht, ob Sie sich an die Entführung Ihrer Schwester erinnern. Sie waren damals noch klein, drei Jahre alt, Ihre Schwester gerade erst geboren. Es ging damals durch alle Medien. Die Entführer nahmen zwar das Lösegeld, gaben die Geisel jedoch niemals zurück. Als Frau Dickenson über Sie recherchiert hat, ist sie auf diesen fehlenden Teil Ihres Lebens gestoßen und sie hat alles Mögliche getan, um Ihnen Ihre Schwester wiederzugeben. Vergessen Sie bitte nie, dass Sie in all dieser Zeit noch Ihre Familie hatten – Joanne hatte niemanden. Dass Sie ihr dann so feindselig gegenüber stehen, macht ihr die Sache nicht leichter, hatte sie sich doch von ihrer Familie recht viel versprochen.“

Johnny hob skeptisch eine Augenbraue und wollte gerade den Mund öffnen, um einen Protest einzuwerfen, als Madison ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen brachte. „Entschuldigen Sie mich für einen Moment...“, er griff an seinen Gürtel, an dem ein kleines Sprechgerät angebracht war. „Joanne McGregor wird vermisst. Sie ist eben abgehauen“, sprach er in den Apparat hinein und prompt kam die Antwort: „Schon wieder?!“ Für einen kurzen Augenblick bildete sich ein breites Grinsen auf Johnnys Gesicht, ehe er sich bemühte, wieder seine abweisende Haltung anzunehmen. „Wenn jemand Sie sieht, bitte zum Treffpunkt im Café zurückbringen. Danke.“ Madison befestigte den Gegenstand wieder an seinem alten Platz, ehe er sein Gegenüber neugierig anblickte. „Sie wollten etwas sagen?!“

Der Schotte schüttelte nur den Kopf. „Wissen Sie, ich glaube Ihnen kein Wort.“

„Das müssen Sie auch nicht“, meinte Madison und lächelte ihn an, „Glauben Sie den Tatsachen. Glauben Sie Ihrer Schwester. Geben Sie Ihr eine Chance und lernen Sie sie erst einmal kennen, bevor Sie sie von sich stoßen und es später vielleicht bereuen...“

Johnny besah ihn mit einem skeptischen Blick, schwieg jedoch. Er hatte inzwischen eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, den Versuch zu unternehmen, Frau Dickensons Leute mit Vernunft und Logik davon zu überzeugen, zuzugeben, dass das Ganze nur ein übler Schwindel war. Aber wie lange würde dieser Betrug schon dauern? Wenn er Glück hatte, wäre er die ganze Geschichte am Abend los und er würde nie wieder etwas von diesen schauerlichen Ereignissen hören.

„Lassen Sie mich gefälligst los!“, die bekannte Stimme riss Johnny aus seinen Gedanken und er wandte sich zu der Quelle des Lärmes um – ebenso wie einige andere Besucher des Cafés. Joanny riss sich gerade mit gereiztem Blick von einem der BBA-Angestellten los, der Madison kurz zunickte. Als sich der schwarzhaarige, hochgewachsene Mann wegdrehte und wieder ging, streckte ihm das Mädchen die Zunge heraus und verschränkte dann die Arme vor der Brust.

„Ich denke es wird Zeit, dass Sie beide sich wieder gemeinsam am Treffpunkt einfinden“, Johnny fuhr zu Madison herum, der auf seine Uhr blickte und sich von seinem Sitzplatz erhob, „Dort wird Frau Dickenson Sie auch in alles Weitere einweisen und Ihnen die Pläne für die nächsten Tage verraten.“

„Nächsten Ta-...? Moment! Was soll das heißen?!“

„Sie kommen noch zu spät, beeilen Sie sich besser“, mit diesen Worten ließ er Johnny und Joanny alleine zurück. Mit düsterer Miene blickte der Schotte ihm hinterher und in Gedanken ging er alle Möglichkeiten durch, die er hatte. Entweder er tat, was man ihm vorgeschlagen hatte, oder er verschwand einfach. Wenn er blieb, dann würde er das Mädchen, dass sich als seine Schwester ausgab, noch eine ganze Weile an der Backe haben, auf der anderen Seite würde sie ihm vermutlich auch folgen, wenn er jetzt gleich das Gebäude verließ. Andererseits interessierte es ihn, welche düsteren Geheimnisse wohl seinen Teamkollegen offenbart wurden. Innerlich grinste er, als er darüber nachdachte, ob Enrico wohl eine seiner unzähligen Freundinnen auflauerte und ihm erzählte, dass sie schwanger von ihm sei. Das wäre lustig. „Und was machen wir jetzt?“

In all seinen Gedanken hatte er sein Problem ganz vergessen gehabt. Er drehte sich um und sah sich seiner trotzig dreinblickenden Schwester gegenüber. Allem Anschein nach war sie mit der Situation auch nicht sonderlich zufrieden. „Ich werde jetzt zurück zum Treffpunkt gehen“, meinte Johnny mit einigem an Nachdruck, „Was du machst, ist dir überlassen. Hör zu, Mädchen: Wie viel Geld du auch immer dafür bezahlt bekommst, dich als meine lange verschollene Schwester auszugeben, es ist wirklich nicht witzig und du solltest einfach damit aufhören und am besten jetzt gleich von hier verschwinden. Meinetwegen gebe ich dir auch das Doppelte der Summe. Geh zu deinen Eltern oder sonst wem, aber lass mich in Ruhe.“

Sein Gegenüber starrte ihn fassungslos an, ehe sie es fertig brachte den Mund zu öffnen. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und wirkte diesmal wirklich wütend und verletzt. „Du bist so ein verdammtes Arschloch!“, sie machte auf dem Absatz kehrt und wollte erneut weglaufen, als einer der BBA-Angestellten, der etwas weiter entfernt stand, ein paar Schritte auf sie zu ging. Vermutlich, um sie gegebenenfalls wieder zurück zu bringen. Sie verharrte in ihrer Position und presste beide Lippen aufeinander, so als wüsste sie nicht sicher, was sie tun sollte.

Allem Anschein nach nahmen es die mutmaßlichen Geldgeber ziemlich genau damit, dass sie bei ihm blieb. Anders konnte er sich das Verhalten nicht erklären. Johnny seufzte gequält auf und entschied sich dazu, dass es wohl das Beste wäre, einfach zum Treffpunkt zu gehen - ob mit oder ohne seine Schwester, das war ihm inzwischen so ziemlich egal. Zumindest hätten er und seine Teamkollegen ein bisschen was zum Lachen, wenn er ihnen ihre Geschichte erzählte. „Zum Treffpunkt geht’s da lang“, meinte er genervt, nickte mit einer knappen Kopfbewegung nach rechts, steckte seine Hände in die Hosentaschen und setzte sich in Bewegung. Obwohl es ihn wirklich unheimlich interessierte, wie das Mädchen wohl reagieren würde, gab er sich größte Mühe, das zu verbergen. Es wäre ja noch schöner, wenn sie das Gefühl bekam, dass er Interesse für sie hegte.

„Das weiß ich selbst!“, murrte sie und eilte ihm hinterher. Johnny wusste, dass der Weg einige Minuten in Anspruch nehmen würde und obgleich er die Zeit durch einen schnellen Schritt hätte verkürzen können, beeilte er sich nicht. Das Mädchen betrachtete bewundernd die Umgebung des Flughafens und Johnny verdrehte ungläubig die Augen. „Warst du noch nie auf einem Flughafen?!“, murrte er skeptisch.

„Nur in London, als ich hergebracht wurde“, kam sofort die Antwort und er spürte einen misstrauischen Blick auf sich ruhen, „Warst du denn schon mal auf einem so großen Flughafen?“ Augenblicklich blieb Johnny stehen und wandte sich zu dem Mädchen um, blickte sie argwöhnisch an und stemmte die Hände in seine Seiten. „Soll das ein Witz sein? Was soll diese dämliche Frage?“ Die eben noch entspannte Miene Joannes verdüsterte sich augenblicklich und in ihren Augen konnte er einen stillen Vorwurf erkennen. Sie zog einen Schmollmund, als sie die Arme vor der Brust verschränkte und im störrischen Tonfall meinte: „Woher soll ich-“ „Du wirst doch wohl schon einmal von mir gehört haben!“

Joanne blickte ihn ratlos an und blinzelte verwirrt, so als wüsste sie nicht genau, worauf er in dem Moment konkret hinaus wollte. „Jonathan McGregor. Der Jonathan McGregor. Klingelt da bei dir vielleicht etwas?!“ Sie schüttelte nur unsicher den Kopf, wusste nicht genau, was in diesem Augenblick von ihr erwartet wurde. Aufgebracht stöhnte Johnny auf. „Berühmte Familie? Reich? Schottischer Beyblade-Champion?“ All das schien ihr nichts zu sagen, als er jedoch die letzten Worte aussprach, glänzten ihre Augen, „Du bladest?“ „Oh mein Gott, ich geb’s auf!“, rief Johnny verzweifelt aus und fasste sich mit den Händen an den Kopf, „Du kannst mir nicht weiß machen, dass du noch nie irgendetwas über mich gehört hast!“

Ein hilfloser, jedoch gekränkter, Blick traf ihn und Johnny fuhr sich durch die Haare und schloss seine Augen. „In Ordnung“, murmelte er, ehe er es noch einmal nachdrücklicher wiederholte, „In Ordnung.“ Ohne ein weiteres Wort setzte er seinen Weg fort, während er deutlich den gereizten Gesichtsausdruck des Mädchens in seinem Rücken spürte.

Als sie letzten Endes wieder am Raum ankamen, in dem die erste Veranstaltung stattgefunden hatte, stieß Johnny mit düsterer Mine die Tür auf, nur um im nächsten Moment fassungslos an seinem Platz zu verharren. Zwar waren immer noch nicht alle Beyblader wieder zurück in den Räumlichkeiten, doch die Zahl der Anwesenden hatte sich deutlich vermehrt, denn jeder hatte allem Anschein nach eine gegengeschlechtliche – sich im Alter jedoch unterscheidende – Kopie von sich selbst bei sich und unterhielt sich angeregt mit ihr oder mit den Teamkollegen oder deren mutmaßlichen Geschwistern. Johnny wusste für einen kurzen Augenblick nicht, was ihn mehr schockieren sollte: Dass jeder seinen persönlichen Klon hatte, oder dass keiner auch nur daran dachte, die Situation zu hinterfragen. Nahm denn keiner davon Notiz, dass hier irgendetwas nicht stimmen konnte?

„Ah, na wenn das nicht Johnny ist...“, die vertraute Stimme mit dem italienischen Akzent ließ den Angesprochenen herumfahren und sein Team fixieren. Er war sich unsicher, ob er zu ihnen gehen sollte. Ob er das wirklich wollte. Auch seine Teamkollegen hatten ein Pendant zu sich bei sich stehen und wirkten gut gelaunt. Johnny konnte ihre Freude nicht teilen. „Wer ist das?“, die zögerliche Frage Joannes riss ihn aus seinen Gedanken und er seufzte gequält auf. Was blieb ihm schon groß übrig? „Komm mit“, murrte er, „Ich stelle dir mein Team vor.“

Ohne auf eine Reaktion zu warten, schob er sich an ein paar Bladern vorbei, ehe er bei Enrico und den anderen zum Stehen kam. Joanny folgte nur Augenblicke später, wirkte jedoch sehr verunsichert und nervös. Während Oliver das Mädchen neugierig musterte, spiegelte sich in Enricos Augen eher ein sexuelles Interesse an ihr. Robert hingegen warf ihr nur einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder seiner kleinen Schwester zuwandte. Sie war noch relativ jung, vielleicht sechs, sieben Jahre alt, und Robert hatte sie auf seinen Arm gehoben. Ihre Haare waren im gleichen Violett gehalten, wie die ihres Bruders, waren jedoch ein wenig länger und zu zwei Zöpfen gebunden, die mit Hilfe zweier großer, gelber Schleifen zusammengehalten wurden. Ihre Augen waren kindlich-groß und hatten ebenfalls die gleiche Färbung wie Roberts. Sie trug ein süßes, grünes Latz-Kleidchen, darunter ein weißes T-Shirt, weiße Kniestrümpfe und schwarze Lackschuhe.

Noch bevor Johnny sich weiter mit ihr beschäftigen konnte, hatten sich zwei Brüste in seine Sicht geschoben. Er blickte auf und konnte ohne größere Schwierigkeiten Enricos Schwester identifizieren. Ihre leicht lockigen Haare waren blond, gingen ihr bis knapp über die Schulter und schienen sehr gepflegt und aufwendig frisiert zu sein. Die blauen Augen wurden durch das Make-Up in ihrem Gesicht sehr betont und ihre roten Lippen umrahmten ihre strahlend weißen Zähne. Ihre Kleidung war modisch, sowohl vom Schnitt her, als auch von den Farben. Das goldschimmernde Top war schulterfrei und lief zum Bauchnabel hin spitz zu. Sie trug passend dazu einen knappen, jedoch luftigen, grünen Rock. Ihre Beine waren lang und führten zu ihren High Heels, die sich farblich exakt an das Oberteil hielten. Vom Alter her war sie vermutlich etwas jünger als er selbst. Was ihre Art und Weise anging, so wirkte sie sehr aufdringlich und blickte Johnny flirtend an. „Hey, ich bin Enrica. Hast du heute Abend schon etwas vor?“ Der Schotte starrte sie mit offenem Mund verstört an, wandte sich sofort ab und wieder dem Rest des Teams zu, während Enricos Schwester damit begann, ihre Reize spielen zu lassen, um sich weiter an ihn heran zu machen. Verzweifelt versuchte er das zu ignorieren.

Olivers Schwester erschien in seinem Blickfeld. Sie war vermutlich an die zwölf Jahre alt und wie er bereits zuvor beobachtet hatte, waren auch hier die Haar- und die Augenfarbe mit ihrem Bruder geradezu identisch. Ihr Haarschnitt glich dem von Oliver, nur dass sie ihre schulterlangen Haare nicht offen trug, sondern zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden. Sie trug – im Gegensatz zu manch anderem anwesenden Mädchen – nur leichtes Makeup, das sie ein bisschen wie eine Puppe wirken ließ. Das Auftreten, das sie an den Tag legte, wirkte eher zurückhaltend und schüchtern, und ihr sommerliches, rotes Kleid, über dem sie ein blaues Jäckchen trug, unterstrich dieses Charakterbild. Ihre Schuhe waren flache, weiße Lackschuhe.

Sein Blick fiel auf Joanny, die sich gerade mit Oliver, Enrico und deren Geschwistern unterhielt. Sie lächelte ihm kurz schüchtern zu, als sie das bemerkte, doch der junge Schotte wandte sich ohne eine Reaktion zu zeigen von ihr ab. Es fiel Johnny sehr schwer, mit der Situation zurechtzukommen und sie zu akzeptieren. Was auch immer hier geschah, es war mit Vernunft nicht zu erklären – und allem Anschein nach war er der Einzige, dem das auffiel! Was war nur los?

Nun, Robert war wohl einer der wenigen Anwesenden in diesem Raum, der für gewöhnlich seine Bedenken teilen müsste. Doch er schien es nicht zu tun. Johnny riss sich zusammen und ging zu seinem Teamcaptain, um ihn mit einem skeptischen Blick zu mustern, der diesem nicht entging. „Kann ich kurz mit dir sprechen? Unter vier Augen?“ Robert sah ihn kurz fragend an, setzte seine Schwester auf den Boden und bat Oliver, für einen kurzen Augenblick auf sie aufzupassen, ehe er dem düster dreinblickenden Johnny aus dem Raum und auf die Männertoilette folgte.

Der Raum war nicht der größte, doch er bot genügend Platz, um zu reden, ohne im Weg zu stehen. Die Einrichtung war schlicht gehalten und neben drei Waschbecken gab es vier Pissoirs und vier Toilettenkabinen. Die Leute, die im Raum waren, ignorierte der Schotte geflissentlich. Kaum war die Tür zugefallen, brach es aus Johnny heraus: „Robert, was hältst du von der ganzen Sache?!“ Der Angesprochene blinzelte verwirrt und runzelte die Stirn. „Tut mir Leid, ich weiß nicht ganz, worauf du hinaus willst...“

Johnny seufzte ergeben. „Hör zu. Irgendetwas stimmt hier doch nicht, das muss dir doch auch aufgefallen sein! Nicht nur die Tatsache, dass plötzlich jeder einzelne von uns ein langverschollenes Familienmitglied haben soll. Nein! Die schauen dann auch noch alle aus, als wären sie Klone von uns, nur mit anderem Geschlecht. Und die Namen! Es kann doch wirklich nicht sein, dass die auch noch fast genauso heißen wie wir. Bitte Robert, dir muss es doch auch komisch vorkommen!“, er war aufgebracht und gereizt, als er sprach. Es traf ihn tief, dass er der einzige zu sein schien, der Zweifel an dem ganzen Szenario hegte. Sein Freund zögerte für einen kurzen Augenblick. „Ich verstehe, dass für dich die Situation ungewohnt ist und-“

„Robert! Denk doch bitte nach! Wenn es wirklich so wäre, dann hätte man nicht uns, sondern unsere Familien kontaktiert und-“, er unterbrach sich, als er den düsteren Blick von Robert bemerkte. Innerlich seufzte er verzweifelt auf, hatte er unbeabsichtigt exakt den wunden Punkt getroffen. Robert hatte keine Familie mehr. Plötzlich ergab sein Verhalten einen Sinn und Johnny wurde klar, warum er sich so gegen alle Logik sträubte. „Jonathan, deine Skepsis in allen Ehren, aber akzeptiere doch einfach die Sachlage!“, Robert wandte sich um, um das Zimmer zu verlassen.

Ich soll die Sachlage akzeptieren? Robert, bitte, das meinst du doch nicht ernst“, im Gegensatz zum bisherigen Gespräch war Johnny diesmal nicht wütend, sondern sehr ernst, als er sprach. Robert verharrte in seiner Position. „Derjenige von uns, der durch sein Wunschdenken geblendet ist, bist ja wohl du!“

Es war das erste Mal, dass er Robert wirklich zornig erlebte, umso erschrockener war der Schotte. „Was weißt du denn schon, Jonathan? Meine Mutter war im neunten Monat schwanger, als das Flugzeug abgestürzt ist! Roberta kann meine Schwester sein. Schau dir die Fakten doch an! Du siehst die Ähnlichkeit, sie hat das richtige Alter! Und – bei Gott – es ist einfach nur logisch, dass sie gerettet werden konnte. Warum sollte ich das in Frage stellen? Sie hat ihr ganzes Leben bisher alleine in einer Pflegefamilie in Amerika verbracht, warum sollte ich ihr jetzt nicht der Bruder sein, der ich ihr bisher nicht sein konnte?!“

Johnny wusste nicht, was er sagen sollte und er schüttelte einfach nur den Kopf. Konnte das wirklich sein? Die Wahrscheinlichkeit, dass das Mädchen Roberts Schwester war, lief gegen null. Robert war von seinem Wunsch besessen, Johnny wollte nicht wissen, was geschehen würde, wenn sich das Ganze als ein schlechter Scherz der Medien oder der BBA herausstellte. Charakterlich war Robert nicht unbedingt zerbrechlich, aber es würde ihn mit Sicherheit zutiefst verletzen. Auf der anderen Seite war es für ihn mit Sicherheit ein leichtes, die aktuelle Situation als Realität anzuerkennen. „Robert, du musst doch auch sehen, dass das alles einfach nur eine große Lüge ist!“ „Ist es das? Warum sträubst du dich so sehr dagegen es zu glauben?!“ „Und warum sträubst du dich so sehr dagegen, deinen Verstand zu gebrauchen und das Ganze zu hinterfragen?!“

Es gab viele Dinge, mit denen Johnny in diesem Augenblick gerechnet hatte, aber sicher nicht damit, dass Robert handgreiflich wurde und ihn grob nach hinten schubste. Er keuchte erschrocken auf und schaffte es gerade noch, sich mit seinen Händen abzustützen, um nicht mit dem Kopf aufzuschlagen. Dennoch stürzte er hart und er starrte von seiner Position am Boden mit wütender Miene zu Robert auf. „Sag mal, spinnst du?!“, fuhr er ihn an. Für einen kurzen Augenblick schien Robert unentschlossen zu sein. Allem Anschein nach bereute er seine Tat zutiefst und wollte sich entschuldigen. Dann jedoch verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck erneut und er wirkte ernst und verschlossen. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Herrentoilette. Johnny starrte ihm sprachlos hinterher.
 

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