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Zwischenwelten

-Sidestory X ~ Veleno-
von

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Beginn: 11.02.2011

Ende: 06.02.2012
 

Kapitel 15
 

Kein Zweifel – es war der Geruch von Blut. Blut, das einmal mein eigenes gewesen war. Und das bedeutete...

Ich hastete die Stufen hinauf und riss die Tür zu dem Zimmer auf, aus dem der Geruch strömte.

Sie saßen auf dem Boden. Kauerten beieinander und sahen zu mir auf wie zwei Kinder, die man bei etwas Verbotenem ertappt hatte. Nur ein einziger Blick und ich wusste was sie getan hatten – und wessen Idee es gewesen war.

Zorn stieg in mir auf. Eine heftige, nie gekannte Wut, bereit dazu, jedes logische Denken auszulöschen. Es kostete mich erhebliche Mühe, sie zu beherrschen. Nicht zuzulassen, dass ich etwas tat, das ich bereits einmal getan hatte und bis heute bitter bereute, auch wenn Anoha es mir verziehen hatte.

„Anoha möchte etwas mit dir besprechen“, sagte ich an Hazel gewandt, der sich daraufhin hastig das Blut von den Lippen wischte.

Ich sah die Angst in seinen Augen, doch im Augenblick war ich nicht fähig ihm Mut zuzusprechen. Zumal ich nicht sicher sein konnte, wie Anoha auf die Nachricht reagieren würde, dass sein Diener das Blut eines anderen Vampirs getrunken hatte.

„Wir gehen“, sagte ich zu Noël, „Verabschiedet euch.“

Dann verließ ich das Zimmer, ohne ihm die Gelegenheit zu einer Erwiderung oder Erklärung zu geben.

Wie betäubt schritt ich die Stufen wieder hinab.

„Miguel!“, hörte ich die besorgte Stimme meines Freundes, antwortete jedoch nicht. Ihm war die Befürchtung anzuhören, ich könne etwas Unvernünftiges tun und sie schien – zumindest für den Moment – größer als seine Empörung über das Verhalten seines Untergebenen.

Doch ich war im Augenblick nicht in der Verfassung mit ihm darüber zu sprechen. Ich warf mir meinen Mantel über und trat hinaus in die kühle Morgenluft.

Ich stand noch nah genug bei der Tür um zu hören, dass Anoha etwas sagte, ob zu Hazel oder Noël wusste ich nicht, und wenig später erschien der junge Erschaffene in der Tür.

Das Unbehagen, das er empfand als er zu mir in die Kutsche stieg, war nicht zu übersehen. Ich konnte es körperlich fühlen, tat diesmal jedoch nichts, um es zu beenden. Während unserer Rückreise sah ich stur aus dem Fenster und sprach kein einziges Wort mit ihm. Ich weigerte mich strikt, irgendeinen Gedanken zuzulassen und konzentrierte mich einzig auf die Landschaft, die an uns vorbeizog. Andernfalls, so fürchtete ich, würde genau das geschehen, wovor mein Freund mich gewarnt hatte.
 

Als wir ein paar Stunden später im Haus eintrafen, kündigten bereits die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den neuen Tag an.

Noël folgte mir, ohne, dass ich ihn dazu hätte auffordern müssen. Wohl wissend, dass er dieses Mal nicht so ohne Weiteres davonkommen würde.

Ich ging in die Bibliothek, den Ort, der am ehesten Ruhe versprach und auf dessen positive Wirkung ich hoffte, und warf mich in einen der großen Lehnsessel. Ich versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren und als ich bemerkte, dass meine Finger den Stoff der Polster zu zerreißen drohten, faltete ich die Hände ineinander und schloss die Augen.

Ich hätte schlafen sollen, doch daran war gar nicht zu denken. Ich hätte es tun sollen, das wusste ich. Darüber schlafen, mich beruhigen und unter dem sanften Licht des Mondes noch einmal alles überdenken.

Doch im Augenblick war mir eher danach, Noël eine kräftige Ohrfeige zu verpassen. Und allein die Tatsache, dass ich es in Erwägung zog, beunruhigte mich zutiefst. Die Intensität, mit der die Wut in meinem Inneren brannte und die mir vollkommen fremd war, machte mir Angst.

Ich musste ihn fortschicken – unbedingt.

Ich würde mit ihm reden, wie ich es Anoha versprochen hatte, aber nicht jetzt. Denn was auch immer ich in diesem Moment sagen oder tun würde, es würde mehr Schaden anrichten als es Nutzen brachte. Vielleicht mehr Schaden, als ich wieder gut machen konnte.

Und vielleicht wäre es mir gelungen, den besänftigenden Worten meines Verstandes zu folgen, wenn ich nicht den Fehler begangen hätte, Noël anzusehen.

„Du“, sagte ich nur mühsam beherrscht, „Wofür hältst du mich eigentlich?“

Offenbar hatte er etwas anderes erwartet, denn er sah mich irritiert an.

„Wofür?!“

Meine Stimme hallte wie Donner durch den Raum. Ich erkannte sie kaum wieder. Ich erkannte mich kaum wieder. Wenn ich jetzt in den Spiegel sah, was würde ich sehen? Stattdessen beobachtete ich Noël, der unter dem Klang meiner Stimme zusammenzuckte und den Blick senkte.

Herrgott noch mal, konnte sich dieser Mann nicht an die einfachsten Regeln halten?! Dass man einem Meister antwortete, wenn man etwas gefragt wurde. Dass man Vampiren, die einen höheren Rang einnahmen als man selbst, mit Respekt und Höflichkeit zu begegnen hatte. Und dass Erschaffene, die unter dem Schutz eines Meisters standen, nie und unter gar keinen Umständen ohne entsprechende Erlaubnis Blut austauschen durften!

Wie in Gottes Namen sollte ich ihn beschützen, wenn er nicht fähig war, sich an die einfachsten Grundregeln zu halten?! Wenn er auf diese Weise seine Sicherheit immer und immer wieder leichtfertig aufs Spiel setzte?

Meister Urag hatte ihn dafür gezüchtigt. Hatte er daraus denn gar nichts gelernt?

Es musste doch auch in der Welt aus der er stammte solche Regeln geben! Dass man einem Gott diente. Dass man in der Kirche zu schweigen hatte. Dass man demütig das Haupt vor dem Herrscher des Landes senkte.

Regeln die, wie unsinnig sie auch erscheinen mochten, einzuhalten waren! Natürlich führte nicht jede Zuwiderhandlung zum Tod, aber das änderte doch nichts daran, dass sie zu befolgen waren!

Es waren doch nur ganz einfache Grundregeln! Jeder kannte sie! Jeder hatte sich daran zu halten! Nicht nur er, nicht nur ich, jeder! Aber er noch mehr als andere, weil er kein geborener Vampir war. Bei ihm gab es keine Entschuldigung. Jede einzelne seiner Handlungen würde mit Argusaugen überwacht, daran konnte auch ich nichts ändern!

Im Grunde machte ich mich schon lächerlich, indem ich ihn gewähren ließ. Anoha war jung und lebhaft genug, um darüber hinwegzusehen. Die Mehrzahl der Adligen war es nicht. Sie würden kurzen Prozess mit ihm machen. Und da Noël nicht mein Gefolgsmann, sondern nur ein Gast in meinem Hause war, würde es ihnen leicht fallen, denn sie mussten mich nicht einmal um Erlaubnis fragen.

Und hatte er nur ein einziges Mal darüber nachgedacht, was dieses Verhalten – jenseits aller Konventionen – für seine Lebensspanne bedeuten konnte? Was mein Blut mit seinem Körper und mehr noch seinem Verstand anrichten konnte?!

Wütend schlug ich mit der Hand auf die Armlehne des Sessels.

Gefolgsmann oder nicht, er schuldete mir eine Erklärung. Warum also schwieg er jetzt?

Bei Gott, ich hasste es! Hasste es, dass er mir nicht ins Gesicht sah. Dass er nicht mit mir sprach. Dass er mich nur in meinem Haus aufsuchte, wenn er hungrig war. Dass er nur hierher kam um mein Blut zu trinken und ich ansonsten Luft für ihn war. Dass er das Einzige, das uns verband, so leichtfertig weggab.

Ja, ich hasste es. Nie zuvor war mir dies so bewusst geworden wie in dieser Nacht. Und allein den Gedanken daran zuzulassen, kam mir wie eine Befreiung vor.

Aber ich konnte es ihm nicht sagen. Nicht jetzt, da ich so voller Wut und meine Worte so völlig aus dem Zusammenhang gerissen waren. Wenn ich es ihm jetzt sagte, hatte er nicht einmal die Chance es zu verstehen.

Frustriert ballte ich die Hände zu Fäusten und schloss die Augen. Das Gespräch mit Anoha hatte mich dazu bewogen einzusehen, dass ich unbedingt mit Noël sprechen musste. Dass ich aufhören musste, diese Unterredung und die daran geknüpfte Entscheidung vor mir herzuschieben.

Und ich hätte es getan, wenn Noël dieses Vorhaben nicht mit einer einzigen großen Dummheit zunichte gemacht hätte.

Dabei hätte er mich nur fragen müssen! Glaubte er denn ernsthaft ich verstünde nicht, was ihn dazu bewogen hatte? Nicht einmal mich darum zu bitten hätte ich von ihm verlangt! Das Einzige, das er hätte tun müssen, war, mich und Anoha um Erlaubnis zu fragen!

Doch er hatte es nicht getan. Hatte nicht getan, was er unbedingt hätte tun müssen und sei es nur der Form halber! Aber nun war es zu spät.

Er hatte sich darauf verlassen, dass ich ihm verzeihen würde. Dass ich freundlich und verständnisvoll über sein Verhalten hinwegsehen würde – genau so, wie ich es bisher getan hatte.

Und das machte mich wütend. Ich war nachsichtig mit ihm gewesen. Immer und immer wieder.

Dass er es genutzt, um nicht zu sagen ausgenutzt hatte, war eine Sache, aber dass er es nun auch noch gegen mich verwendete, das ging zu weit. Er war zu weit gegangen und an der Art wie er vor mir stand, den Kopf gesenkt, erkannte ich, dass auch er es wusste.

Und dass er ausgerechnet in einem Moment wie diesem nicht zu streiten bereit war, machte mich rasend.

„Deine letzte Mahlzeit ist noch keine 24 Stunden her“, stellte ich wütend fest und hielt unerbittlich meinen Blick auf ihn gerichtet. „Nachdem du deinen Freund mit Blut versorgt hast, dürftest du hungrig sein. Ich nehme an du erwartest jetzt von mir, dass ich dir erneut mein Blut zu trinken gebe.“

Meine Stimme klang kühl und distanziert, als wolle sie die Flammen der Wut niederkämpfen, die in meinem Inneren loderten. Ich musterte ihn und ließ ihn spüren, wie eingehend ich es tat.

Ja, ich konnte es sehen. Sehen, dass er hungrig war. Die flüchtigen Blicke, die er mir wieder und wieder zuwarf, ohne dass sie ihm selbst bewusst waren. Die kaum wahrnehmbare Unruhe, die ihn erfasst hatte. Wie er es vermied mich anzusehen, weil er befürchten musste, dass ich es sofort bemerkte. Und doch wagte er nicht, es auszusprechen.

„Also“, begann ich erneut, „ich frage dich noch einmal. Wofür hältst du mich?“

Eine Weile herrschte Schweigen, war im Raum einzig das Ticken der großen Standuhr zu vernehmen. Es schien eine kleine Ewigkeit zu dauern, doch schließlich hob Noël den Kopf und sah mir in die Augen.

„Für meinen Meister.“

Ich war sicher ich wäre aufgesprungen, wenn ich nicht das Gefühl gehabt hätte, als hätte er mir eine Nadel von der Größe einer Degenklinge in die Brust gerammt. Entgeistert starrte ich ihn an. Und in diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr ich in Wahrheit darauf gehofft hatte, eines Nachts diese Worte von ihm zu hören.

Dass er sie jetzt aussprach, während er mich mit ruhigen, beinahe ausdruckslosen Augen ansah, dass er sie sagte, nur um zu bekommen was er wollte, das war mehr als ich ertragen konnte. Dass er diese Worte, diesen Wunsch gegen mich verwendete, damit ich ihm verzieh und stillschweigend mein Blut gab – das war selbst für mich zu viel.

Ich musste gehen – auf der Stelle. Wenn ich ihn auch nur einen Moment länger in meiner Gegenwart duldete, dann...

„So?“, erwiderte ich kühl und erhob mich. „Nun, in diesem Fall ist es die Entscheidung deines Meisters, dass du heute Nacht hungrig bleibst.“

Mit diesen Worten ging ich an ihm vorbei und verließ den Raum.

Und diesmal folgte Noël mir nicht.
 

Kapitel 15 - Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-02-22T17:29:31+00:00 22.02.2012 18:29
ahh wie spannend wieder! damit hatte ich nicht gerechnet *~*
aber ich war sehr erfreut von der Arbeit zu kommen und zu sehen das es ein neues Kapitel gibt :D
yeah~
da kriegt man gleich gute Laune^^
schreib schnell weiter *~*
Von: abgemeldet
2012-02-22T12:25:05+00:00 22.02.2012 13:25
v_v
Der Untergebene hat sich den Meister gesucht ._.
und der ist überfordert ._.
aber wenn der Meister Noel nicht behält wäre ich traurig Q_Q
:D


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