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Reneé

von

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Königliche Führsprache

Athos träumte jetzt oft von Aramis. Was ihm gar nicht so unangenehm war, da er sonst von seinem Vater träumte und sein Träume zu Alpträumen wurden. Bevor er jedoch vor seinen König trat, schob er alle Gedanken an Aramis beiseite.

Im Vorraum zum Arbeitszimmer seiner Majestät warteten mehrere hochrangige Bittsteller und Botschafter. Es war Audienzzeit. Eine Möglichkeit seinem Souverän gegenüberzutreten, um mit genügend Schmeicheleien und Speichelfluss königliche Zuwendungen zu bekommen.

Die hochgestellten Besucher waren ihrem Rang gemäß platziert worden und so wartete Athos, seinem niederen Rang als Musketier entsprechend im Vorzimmer, des königlichen Vorzimmers. Deshalb reagierte er auch nicht gleich, als sein Name vorm Kammerdiener als einer der Ersten aufgerufen wurde. Plötzlich sah er sich mehrerer bestürzter Blicke ausgesetzt. Ob unbeabsichtigt oder als heimlichen Affront, hatte der Kammerdiener seiner Majestät nach Athos dem Musketier verlangt, nicht nach Leutnant d’Autevielle. Als er dem Mann folgte, folgten ihm wiederum scheele, messerscharfe Blicke. Es war zwar allgemein bekannt, dass sich der König als Hauptmann seiner eigenen Garde sah, aber hier wurde einem einfachen Musketier der Vortritt gewährt und nicht dem Kapitän.
 

Ludwig sah ihn mit königlichem Wohlwollen an. Sie waren alleine. Der König gewährte ihm das Privileg einer privaten Audienz. Von soviel königlicher Zuvorkommenheit schwirrten Athos die Sinne und er räusperte sich betreten.

„Drei Wochen sind vergangen seit wir Euch losgeschickt haben. Und wie es scheint, habt Ihr nicht nur die Revolte niedergeschlagen sondern auch zahme Kätzchen zurückgelassen, wo Euch fauchende Löwen gegenüberstanden.“ Athos schmunzelte verhalten. Das war ein bisschen sehr blumig gesprochen. Er hatte übersättigte fette Hauskater vorgefunden, die träge um ihre Milchschüssel schlichen.

„Sie haben einfach nicht so schnell mit uns gerechnet, Majestät!“, berichtete Athos, sparsam wie immer.

Die Augen des Königs glitzerten selbstgefällig. „Der Kardinal wollte nicht, dass ich Euch schicke, weil er vermutete, dass einer der Aufrührer Euer Vater ist.“ Dazu konnte Athos nichts sagen. Es war immerhin sein Vater.

„Wusstet Ihr es?“

„Ich hatte es geahnt, Eure Majestät.“

„Er ist Euer Vater!“

„Und ich bin Euer Musketier!“

Die Antwort erfreute den König. „Nun, ich wusste, dass ich mich auf Euch verlassen kann“, schloss Ludwig, sichtlich zufrieden. „Werden Sie nun treue Untertanen sein?“

„Das weiß ich nicht, Eure Majestät“, gestand Athos, „aber Charles d’Albert de Luynes wird über sie und ihre Loyalität wachen. Er ist nun alarmiert und weiß, wer alles bereit war gegen Euch zu rebellieren. Außerdem haben wir sie zu einer Abzahlung ihrer Schuld an Eure Majestät verpflichtet.“

„Und das soll sie bändigen?“

„Sie haben für ihren Aufstand Söldnertruppen angeworben und dafür hohe Geldsummen geliehen. Wir hatten Glück, dass ein Großteil der Truppen noch eingetroffen war. Obwohl es nicht zum Aufstand gekommen ist, werden sie ein Teil der versprochenen Löhne an die Söldner auszahlen müssen. Und um Euren Forderungen nachzukommen, müssen sie noch größere Summen leihen. Sie werden voll und ganz mit der Begleichung ihrer Schuld beschäftigt sein und damit, dass niemand sieht, wie arm sie wirklich sind.“

„Und meine Staatskasse freut sich“, äußerte der König zufrieden. „Gar nicht dumm. Wenn Ihr einen Wunsch habt, so äußert ihn.“

„Nur einen, Eure Majestät!“

„Gnade für Euren Vater? Nun des lieben Frieden willen, gewähren wir sie ihm.“

„Er ist ein alter Mann, Majestät. Aber nein, ihn meinte ich nicht.“

Der König zog die Braue hoch. „Ach so?“

„Es gibt eine junge Frau, die ich in Sicherheit wissen will. Sie ist Witwe. Wenn Ihr die Königin bitten könntet, sie als eine ihrer Hofdamen aufzunehmen, wäre ich Euch unendlich dankbar. Sie gehört nicht dem Hochadel an, aber sie wäre mit ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz sicherlich ein Gewinn für den Hof.“

Der König horchte auf. „Wenn sie Witwe ist, jung und schön, dann wollt Ihr sie als Frau?“

„Nein“, sagte Athos und ein schmerzlicher Zug legte sich um seinen Mund. „Das war einmal, aber bestimmte Dinge sollte man ruhen lassen und nicht wieder anrühren!“

„Verstehe!“, sagte der König und beobachtete seinen Musketier genau. Ein wundervoller Gedanke kam ihm.

„Athos, wir finden es befreiend, einem Mann unser uneingeschränktes Vertrauen schenken zu können, der so loyal und treu zu seinem König steht.“ Athos neigte bescheiden den Kopf.

„Gerade in Zeiten, wo die eigenen Adligen gegen ihren Souverän rebellieren“, sagte der König bitter. „Und wir haben nicht vergessen, welche Rolle Ihr bei der Affäre mit dem Eisenmann gespielt habt. Wir wollen Euch danken, nur wir denken, dass unsere bisherigen Gaben nicht angemessen waren …“

„Aber …“, wandte Athos ein.

„Ja, ja!“ Der König wedelte seinen Einwand beiseite. „Betrachtet die Sache mit der jungen Frau als getan.“ Athos klappte seinen Mund wieder zu.

„Wir haben wir etwas für Euch gefunden, was unsere besondere Dankbarkeit auszudrücken vermag“, fuhr der König weiter fort. „Unser Geschenk gehört zu einen der schönsten Dinge, mein Freund, die Frankreich je hervorgebracht hat und wir hoffen, Ihr werdet uns die Freunde machen, es anzunehmen.“

Athos verneigte sich unbehaglich und sah seinen Souverän fragend an.

Ludwig lächelte geheimnisvoll. „Alles zu seiner Zeit, mein Freund, alles zu seiner Zeit.“

Athos spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte.
 

Als Athos das Büro seines Kapitäns betrat, war ihm als wäre er an einem falschen Ort gelandet. Der Raum sah aus wie immer. Der breite Schreibtisch thronte feudal vor den hohen Fenstern, durch welche die Strahlen der sinkenden Abendsonne schienen. Doch die Szenerie schien aus eine Tragödie zu sein, dessen Skript nur er nicht erhalten hatte. Dabei hatte jeder seinen richtigen Platz eingenommen. D’Treville saß hinter seinem Schreibtisch, Porthos und D’Artagnan standen respektvoll davor. Marice Floer der Sekretär des Kapitäns stand rufbereit an dessen Seite. Doch das Gesicht des Kapitäns war bekümmert und das Haar wesentlich ergrauter, als vor Athos Abschied. D’Artagnan und Porthos wandten sich ihm bei seinem Eintreten zu. Aus den kalkweißen Gesichtern seiner Freunde sprach Entsetzen und großer Kummer. Schweigend begrüßten sie ihn, eine fast anklagende Stille antwortete ihm. Athos erstarrte in seinen Bewegungen, noch immer die Hand am Türknauf. Ein Schluchzen entwich Porthos gewaltiger Brust, wie das dumpfe Donnern eines Gewitters. Der gesamte Oberkörper erbebte. Athos erbleichte. Ein Teil von ihm ahnte instinktiv, woher das Entsetzen seiner Freunde rührte. Kalter Schweiß brach aus und das Blut rauschte so laut in seinen Ohren, dass es ihm schwindelte und er die Antwort nicht verstehend konnte. Er las die Nachricht von D’Artagnans Lippen ab. Ein weiterer schrecklicher Moment verging, ein neues Donnerschluchzend entwich aus Porthos Brust und die rotgeränderten Augen des Kapitäns bohrten sich in sein Gehirn. Athos schüttelte den Kopf. Nein, schrie alles in ihm und er hatte das dringende Bedürfnis sich zu setzen, aber er war zur Salzsäule erstarrte. Athos hörte sich wie aus weiter Ferne fragen, ob sie sicher waren. Sein Kopf schmerzte von den harten Schlägen seines Herzens und dem Blutrauschen in seinen Ohren. Er fragte nicht, was passiert war? D’Artagnan nickte.

„Aber wie?“ brach es endlich aus ihm hervor.

„Ein Überfall der spanischen Armee als sie auf dem Rückweg waren.“

„Das bedeutet doch nicht, dass Aramis tot ist. Er könnte gefangen genommen worden sein. Ihm könnte die Flucht geglückt sein. Niemand kann wissen, ob er noch lebt“, äußerte er verzweifelt. „Wie könnt ihr schon um ihn trauern?“

Doch D‘ Artagnan schüttelte traurig den Kopf und Porthos schluchzte laut auf.

„Ein Verstärkungstrupp, der ihnen entgegen geschickt worden ist, hat die Leichen gesehen. Sie sind mitten auf einem offenen Feld angegriffen worden, ohne Pferde, ohne Waffen. Es gab keine Möglichkeit zu entkommen, für keinen von ihnen. Unser Trupp ist den Spaniern gefolgt und hat sie eingeholt. Die Spanier hatten keine Gefangenen gemacht.“, erklärte der junge Musketier tonlos. „So hat es der Bote berichtet. Und sie haben sich für die Toten gerächt.“

Athos Blick irrte umher. „Haben sie Aramis Leiche gesehen?“, fragte er drängend. „Jeder kennt doch Aramis, den Musketier.“

D’Artagnan klang plötzlich müde. „Sie wussten doch gar nicht, dass sie nach Aramis suchen sollten. Für sie war es nur der Trupp der verletzten Soldaten aus dem Feldzug. Sie haben die Leichen gesehen und sind dann den Spaniern gefolgt. Aramis trug nicht seine Musketieruniform.“

„Dann haben sie ihn nicht gesehen.“

„Athos, hör auf“, fuhr Porthos dröhnen dazwischen und zog sich laut schniefend den Schnodder hoch. „Er hätte doch mit dem verletzen Bein nicht einmal davon laufen können.“ Die nächste mächtige Welle aus Schluchzern und Rotz landete in dem Stoff seines Ärmels.
 

Athos Hand hielt ihm am Türrahmen aufrecht, sonst wäre er gefallen. Das Rauschen in seinem Kopf machte ihn schwindlig. „Aber wie konnte das geschehen?“

Der Kapitän hob den Blick und starrte ihn wild an. Die Stimme mit der er sprach, war so trocken wie Wüstensand und verursachte eine Gänsehaut. „Aus Nachlässigkeit und Überschätzung.“ Er spie die Worte auf den Tisch. „Sie haben eine Gruppe verletzter Soldaten kampfunfähig, mit einer Handvoll Infanteristen, unter der Führung eines Idioten durch ein feindliches Gebiet geschickt. Und das ist der Preis dafür. Wir waren alle zu beschäftigt mit den Nachrichten von dem Aufständen der Provenceadligen und den Einfällen der Spanier. Als dann Ruhe einkehrte und mir bewusst wurde, wie nachlässig wir gehandelt hatten, habe ich seine Majestät davon überzeugt, ihnen eine stärkere Schutzeskorte zu schicken, aber es war zu spät dafür.“ Seine Faust donnerte auf den Schreibtisch.

Diese verfluchten Spanier.“

Athos konnte und wollte noch immer nicht glauben, was er gehört hatte.

„Aber ich komme gerade vom König. Er hat den Überfall mit keinem Wort erwähnt.“

„Er weiß es noch nicht. Wir haben es gerade erst erfahren.“

Es klopfte diskret und ein königlicher Page trat ein, mit der Forderung der Kapitän solle sofort zum König kommen. D’Treville Miene glättete sich und wurde steinern. Er erhob sich schwerfällig und sah seine Musketiere an.

„Ich gebe Euch frei. Geht in eine Taverne und ertränkt Euren Kummer. Erhebt das Glas auf Aramis. Einer der tapfersten und besten Musketiere musste auf unverzeihlich sinnlose Weise sterben, weil unser Generalissimus sich nicht um den gemeinen Soldaten schert und die Gemeinheit unseres Feindes unterschätzt wurde. Es tut mir leid, zu beschäftigt gewesen zu sein, um das Unglück vorherzusehen. Jetzt ist es leider zu spät für Aramis. Ich muss nun zum König. Er wird sicherlich betrübt sein, von dem Tod einer seiner Musketiere erfahren zu haben.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und folgte dem Pagen zu den königlichen Gemächern.
 

Athos saß alleine in einer Taverne. Er war in einer Gemütslage, wo er keine direkte Gesellschaft ertrug. Aber auch keine Einsamkeit. Er fühlte wie die Kälte und Leere durch seine Adern kroch, obwohl der scharfe Rum in seinem Magen brannte. Er hielt seine Wut über die Spanier und seine eigene Sorglosigkeit nur mit Mühe zurück.

Warum fühlte er sich nur so leer und ausgebrannt? Er hatte doch erst vor drei Wochen Aramis verabschiedet. Eine Zeit die wie eine Ewigkeit zurückzuliegen schien. Ein Teil von ihm hatte noch immer nicht realisiert, dass Aramis tot war und nie wieder zurückkehren würde. Wenn er sich erlaubte darüber nachzudenken, glaubte er in einen Abgrund zu fallen.

Doch das Verhältnis von Kapitän und Aramis brachte ihn ins Grübeln. Natürlich war der Kapitän erbost und erschüttert darüber, dass einer seiner Musketiere gestorben war. Zumal Aramis Tot vollkommen sinnlos war. Aber er hatte gewusst, dass Aramis eine Frau war und Athos hätte seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass Kapitän D’Treville nicht der Mann war, der eine Frau unter seinen Musketieren duldete. Der Kapitän war streng, aber gerecht und durch und durch Soldat. Das Soldatenleben schloss gemeinhin Frauen aus, außer sie dienten als Randakteure. Was für ein Verhältnis hatten Aramis und der Kapitän zueinander gehabt? Ein amouröses, schloss Athos aus, auch wenn er dafür keine Hand mehr ins Feuer legen würde. Für das Chor schien Aramis für D’Treville nur ein weiterer Musketier und Soldat zu sein. Er hatte sie weder geschont, noch bevorzugt, aber auch nicht abgewertet. Als Aramis zu einem Elitemusketier aufgrund ihrer Leistungen aufgestiegen war, hatte er ihr denselben Respekt entgegengebracht, wie Athos und Porthos.

Plötzlich dachte er wieder an Aramis. An gemeinsame Augenblicke, an die Nacht vor der Schlacht und ihre Verletzlichkeit, als sie ihn in seinem Zelt besuchen kam und es schnürte ihm die Kehle zu. Alles hatte sich in jener Nacht zwischen ihnen geändert, jetzt da er wusste, was sie wirklich war und er verfluchte sich selbst, dass er hatte gehen müssen. Er wollte die Geheimnisse ihrer verborgenen Weiblichkeit ergründen, bis es nichts mehr zu finden gab. Doch Aramis war von ihnen gegangen und mit ihr ihre Geheimnisse.

Athos ließ den Kopf tief in den Rumbecher sinken und die junge Schrankmagd seufzte vor Mitleid auf, als sie den gramgebeugten Mann sah. Bei jeder Bestellung strich sie an ihm vorbei und fuhr ihm mitfühlend über die Schulter. Athos von der aufdringlichen Nähe der Frau angewidert, leerte in einem Zug seinen Becher und wollte sich gerade erheben, als sein Blick in die hintere Ecke des Schankraums fiel. Er stutze und stand so schnell auf, dass er den Becher umstieß und dieser polternd zu Boden ging. Er schwankte. Der Schankraum drehte sich und Athos musste heftig blinzeln, gegen den Aufruhr in seinen Magen. Die Schankmagd eilte herbei und umfasste seine Hüfte. Unwirsch schüttelte er sie ab und die junge Frau stürzte zu Boden. Seine alkoholgeschwächten Glieder hatten zu stark zugestoßen. Beleidigt und verärgert sah sie zu ihm auf. Plötzlich war es still in dem vorher so stimmengewaltigen Raum. Die Stimmung schlug in Gewaltbereitschaft und Streitlust um, doch Athos Gehirn war zu abgelenkt und neblig, um es zu registrieren. Er lief schwankend wie auf Schiffsplanken auf den hinteren Teil des Schankraums zu. Die Schankmagd saß noch immer zeternd auf dem Boden. Hinten angekommen, ließ Athos seine Hand schwer auf die Schultern eines der Gäste fallen. Der blonde Mann drehte sich um und etwas fiel in Athos zusammen. Es war nicht Aramis. Er nuschelte eine Entschuldigen, doch das Gesicht seines Gegenübers drückte nur gewaltigen Ärger aus, der bald darauf folgte. Irgendwo im Nebel seines Gehirns schrillten Alarmglocken, aber irgendwie fand er den Griff seines Degens nicht. Dann schlug sein Kontrahent zu.
 

Es gab nicht viele Geheimnisse, die Musketiere betreffend, die nicht den Weg zu D’Trevilles Ohren fanden. Und Gnade dem, der ihm eines davon verschwieg. Der strenge Kapitän war zumeist gnädiger gestimmt, wenn eine Verfehlung vom Verursacher selbst überbracht wurde. Das Gnadenbrot des Kapitäns war meist trocken und karg, doch es war besser, als die Strafe die unweigerlich folgte, wenn jemand versuchte seinen Frevel zu verschweigen. Der Vorfall in der Taverne hatte Athos bestimmt auf seinen Weg zum Kapitän überholt und war längst vor ihm eingetroffen, doch deshalb wollte Athos nicht zu ihm.

Der Kapitän sah verwundert auf, als sein Diener Athos hereinführte. Der Kapitän schien sich gefangen zu haben. Er wirkte eher nachdenklich. Er saß in einem hohen Armstuhl vor dem Kamin und starrte in dessen tanzende Flammen. Athos setzte sich, ohne eine Aufforderung abzuwarten dem Kapitän gegenüber. D’Treville ließ fragend den Blick über Athos zerschundenes Antlitz gleiten.

„Was ist das?“

„Das ist unwichtig!“, beschied Athos knapp. Zum ersten Mal war Athos seinem Kapitän gegenüber respektlos.

Der Kapitän hob eine Braue. „Du siehst schrecklich aus!“

„Ich fühle mich auch schrecklich. Wie kommt es, dass Ihr wisst, dass Aramis eine Frau ist und sie dennoch bei den Musketieren ist?“

Der Kapitän blinzelte erstaunt, dann zogen sich seine breiten Brauen böse zusammen.

„Athos“, sprach er grollend, „Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht!“

Doch Athos bohrte seinen Blick unmissverständlich in die finsteren Augen des Kapitäns. „Doch, dass tut es, mehr als Ihr denkt.“

„Wie meinst du das?“

„Auch das ist unwichtig, aber ich muss es wissen, Kapitän, um es verstehen zu können. Habt Ihr es erst erfahren, als Aramis schon längst Musketier war oder wusstet Ihr es vorher?“

Der Kapitän starrte ihn eine Weile finster und mit sich ringend an, dann seufzte er und lehnte sich zurück. Sein Blick bekam einen nüchternen Ausdruck. Auch Athos ließ sich gegen die Lehne sinken. Die Hände lagen locker auf den Armlehnen, doch der Blick blieb fordernd.
 

„Es ist keine schöne Geschichte und ich hatte Aramis versprochen, nie über sie zu reden.“ Der Kapitän rieb sich nachdenklich das Kinn, was wie das Schniegeln von Sandpapier klang. „Nun, vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass jemand anderes ihre Geschichte kennt. Sie ist letztendlich ohne ihren wahren Namen und als Mann gestorben.“

Athos wartete geduldig, bis der Kapitän soweit seine Gedanken geordnet hatte, dass er sie aussprechen konnte.

„Aramis Vater und ich, wir waren auf derselben Offiziersakademie. André war ein hoffnungsloser Romantiker und unverzeihlicher Narr, wenn es um die Menschen ging.“

Der Kapitän lächelte freundlos und sagte zynisch. „Und in mir sah er seinen besten Freund, das war sein erster Fehler und ich weiß bis heute nicht, wie er zu der Annahme kam, denn ich war ein fürchterlicher Freund. Aber ich war sein Trauzeuge bei seiner Hochzeit und ich wurde der Pate seiner Tochter und das war sein wohl größter Fehler.“

„Aramis?“, fragte Athos.

„Aramis“, bestätigte, der Kapitän, „Oder Renée, wie ihr wirklicher Name ist.“

Als Athos Aramis wirklich Namen hörte, begann sein Herz schneller zu schlagen, ohne dass er sagen konnte, warum.

„Ich beantwortete kaum Andrés Briefe und noch weniger kam ich zu Besuch“, fuhr der Kapitän förmlich und schnörkellos fort. „Vielmehr war ich damit beschäftigt Soldat zu sein. André lebte indes glücklich mit Frau und Kind auf seinem Schloss, bis ein Unfall ihn tötete. Seine Frau, die ihn über alles geliebt hatte, raffte wenig später eine Krankheit dahin. Auszehrung nannten sie es, vor Kummer zerfressen. Ich wusste von all dem nichts, bis ich einen Brief von dem Anwalt der Familie erhielt, der mich aufforderte zu ihm zu kommen.“ Er lächelte schmallippig. „Was war ich damals wütend, einfach dorthin diktiert zu werden. Der Brief des Advokaten passte so gar nicht in meine Pläne. Das Treffen war in seinem Büro und nicht im Schloss der Familie. Als ich ankam, saß vor dem Büro Andrés Tochter, ein kleines Mädchen, ganz alleine, mit einer riesigen Puppe im Arm. Heute würde ich sagen, wo war die Amme, die Kinderfrau. Doch damals hat mich das nicht interessiert. Im Büro erwarteten mich der Anwalt der Familie und die Tante des Mädchens mit ihrem Mann.“ D’Treville kräuselte verächtlich die Lippen. „Die Frau war lang und knöchern und hatte einen bösen bissigen Gesichtsausdruck, wie eine Hyäne. Er war ein fetter Kaufmann, mit gierigem Blick. Sie hatte wohl unter ihren Stand heiraten müssen. Der Anwalt teilte mir mit, dass ich als Pate zum Vormund von Andrés Tochter bestimmt wurde.“

Was jetzt kam, fiel dem Kapitän schwer zu gestehen. Die Stimme des Kapitäns war rau, als er sein Verhalten von damals zu entschuldigen versuchte. „Ich war nur wütend, schrecklich wütend. Was sollte ich, ein lediger Soldat mit einem achtjährigen Mädchen anfangen? Wie konnte man das von mir verlangen? Was hatte ich groß mit André zu tun, außer mit ihrem die Ausbildungszeit geteilt zu haben? Warum sollte ausgerechnet ich mich um ein Kind kümmern, wo noch nicht einmal die eigene Mutter Verantwortungsbewusst war, bei ihr zu bleiben und lieber ihrem Mann in den Tot folgte.“ Der Kapitän verlor sich einen Moment in Selbstmitleid.

„Weitere Angehörige gab es nicht, nur die Schwester der Mutter mit ihrem Mann. Als der Anwalt sagte, dass das Pärchen das Mädchen in ihre Obhut nehmen würde, bin ich den Handel eingegangen und habe die Verantwortung abgeschoben.“ Der Kapitän seufzte. „Ich wusste, dass es ihr bei den beiden schlecht ergehen würde. Man sah es ihnen an den käsigen Gesichtern an und doch verspürte ich nur Erleichterung, dass Mädel samt Puppe los zu sein. Renée sollte ihr Erbe bei Volljährigkeit erhalten oder es würde bei Heirat auf ihren Mann übergeben. Bis dahin würde es vom Anwalt verwaltet werden und ihr Onkel und ihre Tante eine monatliche Zuwendung erhalten, für ihre Ausgaben. Damit erschien mir das Vermögen des Mädchens sicher vor den gierigen Fingern ihrer Verwandten.“ Das Feuer knisterte im Kamin und Athos hatte den Atem angehalten. „Als ich aus dem Büro herauskam, war ich einfach nur froh wieder zu meinem Regiment zurückkehren zu können. Andrés Tochter sah mich wieder mit diesen großen Augen an, so einsam und verlassen. Vor diesen Augen bin ich bin regelrecht geflohen.“

D’Trevilles zog seine Unterlippe ein und zutschte nachdenklich an ihr. Er schwieg und sah seine Hände an.

„Kapitän“, erinnerte ihn Athos sanft.

„Natürlich sehe ich in Aramis nicht mehr das kleine Mädchen von damals, die Tochter von André. Für mich ist sie Aramis, der Musketier. Jahre später besuchte ich sie, um mein eigenes Gewissen zu beruhigen.“ Er lachte sarkastisch. „Natürlich ging es ihr nicht gut, das tat es all die Jahre seit dem Tot ihrer Eltern nicht. Onkel und Tante nutzten das Geld für Renée für sich und behandelten sie lieblos und kalt. Doch ich sagte mir, dass Mädel ist nun zwölf Jahre alt, bald heiratet sie und kann fort von den beiden.“

„Vier Jahre später stand sie plötzlich vor mir“, erzählte der Kapitän ruhig. „Geschunden und fürchterlich zugerichtet. Sie erzählte mir, dass sie verlobt gewesen war, aber ihr Verlobter umgebracht wurde. Wieder völlig allein, hätte ihr gieriger Onkel versucht sie mit seinem Freund zu verheiraten, um an ihr Erbe heranzukommen. Als sie sich weigerte, taten beide Männer ihr Gewalt an, um sie zu brechen, da ist sie davongelaufen.“ Dabei sah er Athos prüfend an. Athos Lippen wurden schmal und der Musketier ballte die Hände zu Fäusten. Wut kroch in ihm hoch.

„Sie haben ihr Gewalt angetan?“, wiederholte er mit brüchiger Stimme.

„Ja, sie sah fürchterlich aus. Selbst ich konnte nicht mehr leugnen, dass ich zu lange die Augen verschlossen hatte.“

Die Erinnerung an ein anderes junges Mädchen holte Athos ein. Und wie D’Treville, hatte auch Athos die Augen verschlossen und war mit seinen gekränkten Gefühlen davongerannt. Damals hatte er ihr die Schuld gegeben und nichts hätte falscher liegen können. Er hatte gewusste, wie sein Vater war, doch so war es leichter gewesen, weggehen zu können. Er wünschte nur, sie hätte auch den Mut besessen, zu fliehen.

„Und was wollte Aramis von Euch?“, fragte er heiser.

„Die Einlösung meiner Schuld. Sie verlangte nicht viel, nur das ich sie bei den Musketieren aufnehme und über sie Stillschweigen bewahre. Sollte herauskommen, dass sie in Wahrheit eine Frau ist, hätte ich geleugnet, es gewusst zu haben.“

„Warum wollte sie das?“

Der Kapitän zuckte die Schultern. „Um nicht mehr hilflos zu sein, um den Tot ihres Verlobten zu rächen, dass sagte sie mir jedenfalls. Und so wurde sie mein Musketier und ich habe es nie bereut.“ Er sah Athos eindringlich an. „Ich bin Soldat, Athos, durch und durch. Verantwortung übernehme ich für andere Soldaten, für meinen König und für meine Männer, für sie bin ich bereit zu sterben. Was sollte ich mit einem achtjährigen Mädchen anfangen, aber Aramis als einer meiner Musketiere, dass ist etwas völlig anderes.“

Athos nickte nachdenklich und erhob sich. „Ich danke, Euch Kapitän, dass ihr mir ihre Geschichte erzählt habt.“

Der Kapitän legte den Kopf schief. „Als Aramis mir damals erklärte, was sie von mir verlangte, hielt ich das Mädchen für verrückt. Ich habe mit Weibern wenig am Hut, aber mittlerweile musste selbst ein alter sturer Soldat wie ich lernen, dass auch Frauen ein gewisses Recht auf Rache haben.

Der stille Musketier nickte. „Guten Nacht, Kapitän!“ sagte Athos sanft.

„Guten Nacht, Athos!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Kira_Lira
2012-04-09T07:09:42+00:00 09.04.2012 09:09
Hello! I hope this good! ^ _____ ^, as well as we hear from you soon, I hope soon to update your fic, thanks for sharing ^ _____ ^.
Von:  Tach
2012-01-10T20:14:15+00:00 10.01.2012 21:14
Puh, habs gestern schon gelesen und mich tierisch gefreut. Aber die Kapitel sind immer viel zu schnell vorbei!! :)

Alles in allem kann ich mich meinen Vorrednern nur anschließen, du lässt einen wirklich fragend zurück. Das ist technisch natürlich super, aber aaaaaaaargh. Weißte, wie ich mein? Ich freu mich jedenfalls aufs nächste Kapitel mit hoffentlich vielen beantworteten Fragen.
Besonders mochte ich übrigens die Aussprache zwischen Treville und Athos.
Von:  blubbie
2012-01-09T22:35:23+00:00 09.01.2012 23:35
Gesundes Neues!! Ok, es ist schon wieder ein paar Tage alt...ich geh wohl doch besser zum neuen Kapitel über (über das ich mich sehr gefreut habe)

Athos bekommt ein Geschenk vom König? Etwas sehr Schönes? Ich wette, dass es eine Frau ist. Und vermutlich wird genau zu dem Zeitpunkt, wo er sich verloben soll, Aramis wieder auftauchen. Du weißt schon, der Haken mti dem perfekten timing. Aramis Tod trifft ihn natürlich, aber ich glaube so richitg daran glauben tut er noch nicht. Was natürlich eine psychologisch gesheen normale Reaktion ist, wenn man bedenkt, dass noch keine 24 Stunden vergangen sind, seit er davon erfahren hat....
Aber so interessant es war Aramis Geschichte zu lesen, bin ich viel mehr darauf gespannt, wie es Aramis auf ihrer Flucht ergeht. Wie das Ganze verläuft, wenn unser lieber Doktor herausfindet, dass sie eine Frau ist (das wird er! Darauf verwette ich meinen Floorballschläger!) und welche Unannehmlichkeiten sie noch begegnen werden auf dem Weg nach Hause. Zum Beispiel ein Treffen mit den fiesen Verwandten von Aramis....das wäre bestimmt unanagenehm *shudder* Und natürlich...letztendlich... wie sie sich denn dann endlich weidertreffen. Auf Athos Verlobungsparty? Auf irgendeinem Schlachtfeld? Im Verlies ihrer Verwandten, die sie aufgegriffen haben? Oder ( und dazu hat mich Kajuschka inspiriert) Aramis steht auf einmal vor seiner Haustür, weil ihre drei Kumpane ihre Wohnung aufgelöst haben...Todesfall und so. Meinst Du das würde Athos umhauen. Also so richig wörtlich gesehen, wenn Aramsi auf einmal vor ihm steht? Da ich Komödien recht gerne schaue, stelle ich mir auch vor wie sie in ihren eigenen Trauerdienst reinplatzt...ähem...eher nicht.
Ist denn nun Rochefort tot? Treville hat nichts von Überlebenden gesagt oder?

LG, Romy
Von:  Kajuschka
2012-01-07T18:32:43+00:00 07.01.2012 19:32
Es bleibt spannend!
Offensichtlich trifft es die Musketiere und insbesondere Athos ganz schön hart, von Aramis tot zu erfahren. Was bin ich froh, als Leser, schon zu wissen, dass sie noch lebt!
Die Szene, in der Athos mit dem Kapitän spricht ist sehr gut beschrieben. Ich kann mir gut vorstellen, wie Aramis als Kind gelitten haben muss. Aber damit sind für Athos sicher noch nicht alle ihre Geheimnisse ergründet oder? ;)
Mich würde die Andeutung des Königs interessieren. Was er als "Geschenk" an Athos hat? Doch nicht etwa eine hochadelige Braut oder ein tolles Amt?
Ich kann auch citosol zustimmen, dass es spannend wird zu erfahren, was Athos mit dem Wissen um Aramis Vergangenheit macht. Außerdem frage ich mich gerade, ob Aramis noch eine Wohnung hat und die jemand nun ausräumen müsste...und ich frage mich auch, ob Athos, Portos und D'Artagnan dann quasi zur Tagesordnung übergehen oder ob sich für die drei alles ändert.
Ich hoffe auch, im nächsten Kapitel gibt es mehr zu Aramis Flucht. Mich würde auch brennend interessieren, ob ihr guter Doktor herausfindet, dass Aramis eine Frau ist und wie der dann damit umgeht. *höhö*
Jetzt freue ich mich schon auf das nächste Kapitel!
Von:  Kira_Lira
2012-01-07T08:36:17+00:00 07.01.2012 09:36
Hello! ^____^ I hope you are well, Happy New Year!, what better way to start a chapter excellent, I was expecting this, Athos returned from his mission with the hope of meeting Aramis, but are failing to learn that the lost forever, is incredulous to find an indication of error, but the captain and his friends leave no doubt, to ease his pain goes to the tavern, he still does not know what I felt for her, but her great pain does not leave doubt, was so taken that he did not know what he did and ended up in the office of captain, a very angry Athos calls him the captain, as it was possible that there was one woman among the Musketeers?, are made of words, lets see Athos Aramis captain who was only a friend and comrade in arms, the captain decides cotarle thinks for a moment the whole sad story of Aramis, Athos feels weird when you hear his real name, when you finish listening to this more than annoying Athos to know what she suffered, but thank you for telling the captain his story, which will happen now, Athos believes her dead, the mandate to bring an ex-girlfriend to court, she was not interested because I had to Aramis but now, trying to forget to focus on that woman?, Aramis got away with the doctor, she is still hurt, can not walk the doctor is the only one who can help rehabilitate!, but they must be kept hidden?, the doctor has to be happy Aramis for solo, you just have to know it's a woman, and will want to stay hidden with her, which is what happens now, do not delay in updating, please compartit ^____^.


Von:  citosol
2012-01-06T23:02:10+00:00 07.01.2012 00:02
hi! Welcome back and Happy New Year!! :)
I'm glad you're still writing this wonderful story!
Athos. Finally we see him around here. But now he thinks Aramis' dead, while she's not! How are you going to make them meet each other?
And now that Athos knows Aramis' past, how is he going to use it? I cannot wait for the moment they will meet again, but I don't forget she's with the doctor and Rochefort...what they're doing?

I really hope you'll update this story very soon, because it's exciting!
thanks again and see ya! :)


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