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Reality Check

von

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A/N: Grusel. Eine Kategorie, in der ich noch nie geschrieben habe. Aber wenn Tesla zum Wettbewerb aufruft, kann ich nicht widerstehen. *lach* Diese Geschichte ist komplett auf meinem eigenen Mist gewachsen; allerdings vermute ich, dass ich da ziemlich durchs Thema des vorigen Wettbewerbs und durch die Filme 'Inception' und 'Black Swan' beeinflusst worden bin. Nun, wie auch immer, viel Spaß mit der Geschichte. Lasst mich doch bitte wissen, ob ich irgendwann nochmal Grusel versuchen oder das Gebiet lieber in großem Bogen umkreisen sollte. ^^ - Dime
 


 

Reality Check

by Dime
 

Plitsch.
 

Marion öffnete verschlafen die Augen. Was...?
 

Plitsch.
 

"Iiiih!" Irgendwas tropfte ihr mitten ins Gesicht. Eklig.

Marion setzte sich halb im Bett auf und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Dann sah sie sich genauer an, was da dranklebte. Die Flüssigkeit war rot.
 

Blutrot.
 

Alle Farbe wich mit einem Mal aus Marions Gesicht.
 

Plitsch.
 

Langsam, beinahe bewegungslos vor Angst wandte Marion ihre Augen zur Decke. Ein roter Fleck hatte sich auf den alten Dielenbrettern des Dachbodens über ihrem Zimmer gebildet, von dem sich eben ein neuer Tropfen löste und auf sie herabfiel.
 

Plitsch.
 

Marion wusste, was diesen Fleck verursacht hatte. Blut.

Sein Blut.
 

"NEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIII-"
 

---
 

Ein halbes Jahr zuvor
 

"Hi Marion!"

"Oh, hi Teresa. Was gibt’s?"

"Du... warum starrst du denn deine Hand so an?"

Marion riss sich von ihren faszinierenden Fingern los und schenkte ihrer Freundin ihre volle Aufmerksamkeit, während sie neben ihr her weiter Richtung Schule lief. "Ich übe luzides Träumen."
 

"Und dafür musst du deine Hand anstarren?" Sie klang äußerst skeptisch.

"Ja, das ist tatsächlich notwendig... Siehst du, es gibt mehrere Dinge, die das Unterbewusstsein nicht so genau hinbekommt – Details des Bodens unter deinen Füßen, die Zahlen auf einer Digitaluhr, oder eben die Anzahl der Finger an einer Hand. Daran erkennt man, dass man träumt."
 

Teresa war noch verwirrter als zuvor. "Glaubst du denn, dass du gerade träumst?"

Marion rollte mit den Augen. "Natürlich nicht. Aber man muss üben. Oder achtest du in deinen Träumen normalerweise auf deine Hände oder auf Digitalanzeigen?"

"Äh... nein?"

"Eben", sagte Marion, als wäre jetzt alles klar. War es aber nicht.
 

"Was hat das mit deinem Handanstarren zu tun?"

"Na ist doch logisch: Wenn ich im Alltag ständig auf solche Dinge achte, gewöhnt sich mein Unterbewusstsein daran und ich tue es irgendwann auch im Traum. Dann merke ich, dass die Details nicht stimmen, und erkenne daran, dass ich träume."
 

Jetzt verstand Teresa, was Marion da tat. Theoretisch. Praktisch fand sie das Ganze aber immer noch ziemlich absurd. "Du betreibst einen ganz schönen Aufwand, nur, um mal 'wach' träumen zu können", stellte sie fest.

Marion strahlte. "Aber das ist es sowas von wert! Ich hab's bis jetzt nur ein paar Mal geschafft, im Traum zu merken, dass ich wach bin, immer nur durch Zufall – aber es war jedes Mal wundervoll! Denk doch mal: Ich kann fliegen, Berge in großen Sprüngen hinunterrennen, ohne mir etwas zu brechen; ich bin ein Superheld auf geheimer Mission und niemand kann mich besiegen; ich kann Dinge tun, von denen andere nur träumen – aber meine Träume steuern nicht mich, sondern ich steure die Träume! Tun, was immer mir Spaß macht, und die ganze Welt verändern – einfach nur weil ich es kann, weil ich es will. Wer würde das nicht zumindest versuchen?"
 

"Ich weiß nicht... Ich spüre da kein so großes Bedürfnis."

"Ja, du. Aber du liest auch gerne die Nachrichten und findest Geschichte spannend." Marions Gesichtsausdruck sagte deutlich, wie wenig sie das nachvollziehen konnte. Dann wurde sie aber doch etwas ernsthafter. "Du lebst viel mehr im Hier und Jetzt und hast auch noch Freude daran. Ich dagegen... Ich mag die Welt so, wie sie ist, nicht sonderlich. Politik und so finde ich zum Kotzen."
 

Teresa rammte ihr spielerisch den Ellenbogen in die Seite. "Sei mal nicht so pessimistisch! Bei deiner Einstellung wird man ja geradezu depressiv."

"Die Welt macht mich traurig, nicht ich mich selbst", gab Marion kalt zurück.

Teresa zuckte die Achseln. Was sollte man dazu auch sagen?
 

Die beiden Mädchen erreichten die Schule fünf Minuten vor dem Klingeln. Eilig machten sie sich auf in den dritten Stock zur Mathestunde bei Frau Grober.

Mathe. Ugh.

Marion peilte Integralrechnung nicht, egal, wie oft es ihr vorgekaut wurde. Verstohlen schielte sie unter der Bank wieder auf ihre Hand, musterte dann aufmerksam den Boden. Alles sehr detailliert, leider. So leicht kam sie nicht vor der bösen Mathematik davon. Über sich selbst leicht schmunzelnd wandte Marion ihren Blick aus dem Fenster.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
 

Der Mann im dunklen Umhang da drüben sah fast genau so aus, wie die Gestalt, die sie letzte Nacht im Traum verfolgt hatte. Marion war Teresa gegenüber nicht ganz ehrlich gewesen, was ihre Motivation zum luziden Träumen anging. Klar, fliegen, zaubern und Superkräfte waren sicher eine feine Sache; aber mehr als alles Andere wollte Marion den Mann In Schwarz besiegen. Er tauchte seit einer Weile immer wieder in ihren Träumen auf und jedes Mal, wenn er erschien, wurde der Traum zum Alptraum. Ganz egal, was sie davor geträumt haben mochte. Oft erinnerte sich Marion hinterher auch gar nicht mehr, was das gewesen war.

Sie erinnerte sich nur an Ihn, wie er stumm dagestanden war und sie beobachtet hatte.
 

---
 

"Lasst uns spielen!"

Marion lachte und folgte den beiden kleinen Jungen zum Spielplatz. Sie setzte sich auf die eine Seite der Wippe, der Junge auf die andere. Sie merkte nicht, dass der andere Junge auf einmal verschwunden war.
 

Fröhlich wippte sie mit ihrem Gegenüber, die Wippe schlug immer weiter aus, bis Marion schließlich abhob und flog. Es war wunderschön, so über die Landschaft zu gleiten, die Wiesen und Felder unter sich vorbeiziehen zu sehen, und nur hin und wieder im Wipfel eines Baumes Halt zu machen. Gerade flog sie über einen Feldweg, auf dem in der Ferne ein Mensch spazierte. Marion näherte sich der Person, während am blauen Himmel langsam Wolken aufzogen.
 

Auf einmal wurden ihre Arme schwer, sie begann zu sinken. Beunruhigt kämpfte sie dagegen an, doch es wurde sehr schnell deutlich, dass sie nicht mehr viel länger würde fliegen können. Sie sah zum Boden, der langsam, aber unaufhaltsam näher kam.

Ihr Blick traf auf die einsame Gestalt auf der Straße, welche eben den Kopf hob und sie ansah.
 

Es war Er.
 

Marion kämpfte panisch um Höhe, doch Sein Blick schien sie zu bannen und sie wurde wie von einer Naturgewalt zu Boden gezogen. Wild schlug Marion um sich, versuchte Höhe zu gewinnen, doch es war alles vergebens: Stück für Stück wurde sie zu Ihm hingezogen.

Er erwartete sie. Sein Gesicht hatte weder Augen noch Mund, und doch wusste Marion, dass er verächtlich grinste, während er ihre vergeblichen Fluchtversuche beobachtete.
 

Es gab kein Entkommen.
 

---
 

Marion erwachte keuchend und schweißgebadet. Ihr Herz klopfte wie wild und ihre Hände zitterten.

Wieder einer dieser Träume.

Nervös sah sie sich um, schalt sich selbst einen Narren für ihre Angst und stieg aus dem Bett, um ins Bad zu verschwinden. Bei einer heißen Dusche erwachte sie langsam zum Leben und das Frühstück mit ihren Eltern schließlich brachte sie wieder ganz in die Normalität zurück. Dennoch hinterließen diese Träume immer den ganzen Tag einen Eindruck, der ihre Freude am Leben ein wenig trübte.
 

Es war aber auch wie verhext. Seit zwei Monaten schon übte sie das luzide Träumen, versuchte durch verschiedene Übungen abends vor dem Einschlafen und am Wochenende auch morgens nach dem Aufwachen, sich in den wachen Halbschlaf zu begeben. Doch meist klappte es gar nicht, und wenn es ihr doch gelang, 'vergaß' sie im Laufe des Traumes sehr bald wieder, dass es nur ein Traum war, und war erneut Freiwild für Ihn. Den Mann In Schwarz.
 

Marion verabschiedete sich von ihrem Vater, der eilig den Mantel überwarf und zum Auto hastete, und von ihrer Mutter, die in ihr Zimmer verschwand, um sich ebenfalls für die Arbeit fertig zu machen. Die Sechzehnjährige packte ihre Schultasche und verließ das große Einfamilienhaus, das sie mit ihren Eltern seit knapp vierzehn Jahren bewohnte.
 

Es war ein schönes Haus. Alt, aber solide, mit einem kühlen Keller, vor dem sie sich als Kind gefürchtet hatte, und einem eher warmen Dachboden, wo die Familie immer die Wäsche aufhängte und wo auch allerlei Geräte und andere derzeit unbenutzte Dinge lagerten: Winterstiefel und Skier, Taschentuch- und Klopapiervorräte, diverse Kisten mit Stofftieren, Bildern und anderen Überbleibseln aus Marions Kindertagen, und und und. Sogar eine Tischtennisplatte stand in dem weiten Raum.
 

Marion war gern auf dem Dachboden, allein oder mit Freundinnen, zum Tischtennisspielen oder einfach nur dasitzen und aus dem Dachfenster gucken. Die Welt sah anders aus als aus dem Fenster unten im ersten Stock, wo sie ihr Zimmer hatte.

Marion saß dann einfach da, sah den Wolken zu und träumte.
 

---
 

Der Mann In Schwarz kam langsam näher. Marion sah nervös auf ihre Finger, welche sich fest um den Griff der Axt spannten. An der linken Hand waren es fünf, nein, sechs, nein doch fünf... und an der rechten waren es...
 

So sehr sie den Mann In Schwarz auch fürchtete, Marion war doch irritiert genug von den wechselnden Fingern, um eine Hand von der Axt zu lösen und genauer zu betrachten.

Es war unmöglich, genau zu sagen, wie viele Finger sich an der Hand befanden.
 

In Marions Hirn ging die metaphorische Glühbirne an und auf einmal stand sie gerader da, selbstbewusster. Das hier war ein Traum. Ein Blick auf den detaillosen Boden bestätigte es. Sie hatte nichts zu fürchten, denn selbst wenn Er sie holen kam, würde sie sehr bald in ihrem Bett aufwachen. Er konnte ihr nichts mehr tun.
 

Oder?
 

Mit leicht zitternden Händen hob sie die Axt. Der Mann In Schwarz kam unbeirrt näher.

Marion schlug zu.
 

---
 

Auch aus diesem Traum erwachte Marion verschwitzt, doch hielt das Zittern sich heute in Grenzen. Ha, sie hatte es ihm gezeigt! Ihr Gespenst aus Kindertagen war endlich besiegt und sie musste nie wieder Angst vor ihm hab-

Er stand an ihrem Bett.

Mit großen Augen sah Marion zu der gesichtslosen Gestalt auf, welche sich über sie beugte und -
 

---
 

"AAAAAH!"
 

Marion saß kerzengerade im Bett. Panisch sah sie sich nach allen Seiten um. Es war kein schwarzer Mann zu sehen, und doch...
 

Ihr Blick heftete sich auf den Wecker auf ihrem Nachttisch. Digitaluhr. Die leuchtenden Striche zeigten 6:30 Uhr. Stabil. Das hier war kein Traum. Es war die Realität. Und so wenig Marion diese auch mochte, sie hatte einen unschlagbaren Vorteil: Hier gab es keinen Mann In Schwarz.

Laut seufzend zwang Marion sich zur Ruhe. Langsam rief sie sich noch einmal ihren Traum in Erinnerung. Sie verstand nicht, was passiert war. War sie nicht eben noch so überzeugt gewesen, dass sie wach war? Doch dann war Er an ihrem Bett gestanden, und sie war noch einmal aufgewacht.
 

Ein Traum in einem Traum. Wie unfair! Aber wer sagt, dass das Leben gerecht ist?

Mit ziemlich mieser Laune machte Marion sich wieder einmal auf in einen neuen Tag.
 

---
 

Morgen war der Abschlussball des Tanzkurses. Marion war mit Teresa in der Stadt unterwegs, um auf den letzten Drücker noch nach neuen Tanzschuhen zu suchen, die besser zu ihrem Kleid passten.
 

"Was hältst du von denen?", fragte Teresa mit Schalk in der Stimme.

"Iiih, Pink! Du hast ja einen an der Klatsche!"

"Und die hier?"

"Babyblau?? Du bist mir ja echt eine große Hilfe!"

Beide lachten.
 

"Hey, immerhin ist es nicht schwarz", meinte Teresa grinsend. Sie hatte Marions Abneigung gegenüber dunkler Kleidung noch nie verstanden und würde es vermutlich auch nie. Marion sprach nie über ihre Träume.
 

Mit niemandem.
 

Daher verstand Teresa auch nicht, warum Marion sich auf einmal versteifte und sich hinter dem Schuhregal versteckte. Sie hatte den Mann im dunklen Umhang nicht bemerkt, der eben den Laden betreten hatte. Marion dagegen war sich jeder seiner Bewegungen bewusst, konnte ihn selbst durch das Regal hindurch spüren, wie er sich ihr näherte...
 

"Das Leben ist kein Rotweingelage und kein Frauenschreien", flüsterte eine Stimme ganz nah an ihrem Ohr.
 

Marion machte keuchend einen Satz zurück und war sich ganz sicher, dass sie gleich ihrem Alptraum ins Angesicht blicken würde. Doch da war... nichts. Kein Mann In Schwarz. Keine dunklen Wolken. Kein böser Schatten.

"Was...?"
 

Teresa lugte um das Ende des Regals herum. "Marion? Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst so blass aus."

"Es geht schon, mir war nur eben kurz schwindelig", wiegelte Marion ab. Nur eben kurz? Ha!, schrie derweil ihr Unterbewusstsein. Ihr war speiübel und der Raum schien zu schwanken, wann immer sie ihre Hand von dem Regal nahm, an das sie sich stützte. Der Boden war ganz verschwommen...

Verschwommen. War das hier ein Traum?
 

Hoffnungsvoll schaute Marion auf ihre Finger, doch aufgrund des Schwindels konnte sie einfach nicht mit Sicherheit sagen, ob das jetzt an jeder Hand fünf Finger waren oder nicht.
 

Hilflos.

Sie hasste das Gefühl.
 

"Du, ich... ich glaube, ich gehe jetzt besser nach Hause", sagte sie vage in Teresas Richtung, ehe sie den Laden verließ und ohne sich noch einmal umzusehen heimwärts torkelte. Irgendwann ließ der Schwindel ein wenig nach und nur die nackte Angst blieb zurück.
 

Sie rannte.
 

---
 

Marion fühlte sich mies. Sie hatte ihre beste Freundin einfach so stehen gelassen, und warum? Nur wegen ihrer bescheuerten Fantasie, die mal wieder mit ihr durchgegangen war! Warum machte sie so etwas nur? Sie verstand sich selbst nicht mehr.

Ihre Eltern hatten auch schon öfter darüber geklagt, dass Marion in letzter Zeit so bedrückt wirkte, aber mit ihnen darüber reden wollte sie partout nicht.
 

Wer mich liebt, verletzt sich selbst, dachte Marion düster. Sie war ein schlechter Mensch, der seinen Freunden und seiner Familie nicht gerecht werden konnte. Sie war verabscheuungswürdig, das war sie!
 

Mit wütenden Tränen in den Augen wickelte sie sich an diesem Abend in ihre Decke und quälte sich mit destruktiven Gedanken. Es war gerade erst neun Uhr, sie hörte ihren Vater noch oben auf dem Dachboden rumoren, doch sie wollte einfach nur noch einschlafen und ihre Schuld vergessen.
 

---
 

Am nächsten Tag entschuldigte Marion sich demütigst bei Teresa und ihre Freundschaft blieb erhalten. Marion ging mit einem relativ guten Gefühl nach Hause. Das Leben war ja doch nicht so übel. Ihre gute Laune brachte sie auch dazu, dass sie sich nicht beschwerte, als ihre Mutter sie in den Keller schickte, um Saft raufzuholen.
 

Obwohl sie den Keller eigentlich immer noch nicht mochte und mied, wo sie nur konnte.

Heute schien er besonders düster. Das Licht flackerte, als wolle die Glühbirne gleich den Geist aufgeben, und in den Ecken tanzten die Schatten.

Marion griff rasch zwei Flaschen Orangensaft und wandte sich der Kellertreppe zu.
 

Da erlosch das Licht.
 

Marion erstarrte. Sie konnte nicht schreien, sondern lediglich stumm abwarten, was geschah. Ein Flüstern wie von schleifendem Stoff erklang und in ihrem Kopf entstand das Bild eines langen Mantels, der über den Boden streifte.
 

Marions Starre löste sich mit einem Mal. Sie ließ die Flaschen klirrend zu Boden fallen und rannte zur Treppe, überzeugt, dass der Mann In Schwarz sie einholen würde, bevor sie noch zwei Schritte getan hatte. Erstaunt, dass es nicht geschehen war, doch immer noch in Panik, sprintete Marion die Kellertreppe hinauf. Sie rannte an ihrer überraschten Mutter vorbei und hoch in ihr Zimmer.

Auf dem Bett angekommen zog sie sich die Decke über den Kopf.
 

Doch halt.

Er war schon einmal neben ihrem Bett gestanden.
 

Sie war auch hier nicht sicher vor ihm. Sie war nirgends sicher vor ihm!

Außer in wachen Träumen.

Der leise Funke Hoffnung veranlasste Marion, ihren Kopf unter der Decke hervorzustrecken und auf ihren Wecker zu sehen.

Die Zahlen flimmerten und ergaben keinen Sinn.
 

Ein Traum!
 

Langsam schälte sich Marion aus ihrer Decke. Ein Traum also. Das bedeutete, sie konnte gewinnen. Sie durfte nur nicht vergessen, dass sie träumte. Doch was konnte sie konkret tun?

Ein Bild von einer Axt kristallisierte sich aus ihren Gedanken heraus.
 

Stimmt. Sie hatte ihn schon einmal mit der Axt besiegt. Auf dem Dachboden lag eine Axt, sie musste sie nur holen, dann wäre sie sicher. Marion verließ ihr Zimmer und begann, die Treppe hinaufzusteigen. Von unten rief ihre Mutter irgendwas von Stromausfall, doch das ging Marion im Moment nichts an. Sie hatte eine Mission zu erfüllen. Sie musste den Mann In Schwarz besiegen.
 

Unheimlich war es trotzdem.
 

Bei jedem Knarren der Stufen zuckte Marion zusammen, jeder Schatten schien sie zu bedrohen oder zu verhöhnen. Doch es gelang ihr, sich ausreichend zusammenzureißen, um den Weg zum Dachboden zurückzulegen und wie in Trance nach der Axt zu greifen. Sie war so auf ihre Aufgabe konzentriert, dass sie die Gestalt erst im letzten Moment bemerkte, welche sich ihr von hinten genähert hatte.
 

Panisch drehte sie sich um, hob die Axt und schlug zu.
 

---
 

Fünf Finger.

An jeder Hand.

Wie konnte sie die richtige Anzahl Finger haben? Wie konnte der Boden so viele Details haben, von kleinsten Staubflocken hin zu der Maserung der Dielenbretter?

Wie konnte das hier kein Traum sein, wenn ihr Vater vor ihr am Boden lag, mit der Axt in der Brust?
 

---
 

Du legst dich jetzt schlafen. Das hier ist wieder nur ein Traum in einem Traum. Du wirst aufwachen und alles war nur ein Traum. Alles halb so wild, nichts passiert.

Immer wieder sagte Marion sich in Gedanken diese Worte, wiederholte sie wie ein Mantra, wie eine Lebenslinie. Auf der Treppe begegnete sie wieder ihrer Mutter.
 

"Schatz, der Strom ist ausgefallen und lässt sich am Sicherungskasten auch nicht wieder anstellen. Ich gehe eben zu Nachbars und frage, ob es bei ihnen genauso aussieht. Und wenn ich schon dort bin, werde ich auch grade..."
 

Marion bekam nichts davon mit. Sie nickte vage und tappte weiter auf ihr Zimmer zu. Dort legte sie sich aufs Bett und wartete auf den Schlaf, der irgendwann auch tatsächlich kam.

Ein warmer Tropfen auf ihrer Nasenspitze weckte sie.
 

---
 

"-EIIIIIIIIIIIIIIIIIIN!!!!"
 

Marion sah kreidebleich zu dem Blutfleck auf, der sich an ihrer Decke gebildet hatte.

Sein Blut.
 

Das Blut ihres Vaters, den sie ermordet hatte.
 

Marions gehetzte Augen suchten ihren Wecker, doch der flimmerte nur nutzlos.

Flimmerte.

Ein Traum, das hier ist ein Traum. Ich muss aufwachen -
 

---
 

Und das Wunder geschah.

Marion wachte auf.

Unglaubliche Erleichterung machte sich in ihr breit. Sie wollte die ganze Welt umarmen, wollte ihren Vater küssen und an sich drücken, und -
 

Plitsch.
 

~ Ende ~
 

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A/N: Was in dieser Geschichte *nicht* von mir kam, waren die Zitate von Oswald Henke (Seelenfütterungs-Album), welche laut Wettbewerbsbedingungen verwendet werden mussten (gar nicht so einfach!):
 

- Lasst uns Spielen!

- Weil ich es kann, weil ich es will.

- Wer sagt, dass das Leben gerecht ist?

- Wer mich liebt, verletzt sich selbst .

- Die Welt macht mich traurig, nicht ich mich selbst.

- Das Leben ist kein Rotweingelage und kein Frauenschreien.
 

Hoffe, was ich draus gemacht habe, hat gefallen! ^^

- Dime



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Miezel
2011-06-02T09:10:18+00:00 02.06.2011 11:10
Wahhhh, *gleich mal Finger abzähl und Fußboden anstarr* das ist ja fies. Also fliegen kann ich in meinen Träumen auch. Aber meistens komm ich dann an eine Mauer und in der ist eine Tür und in der ein winziges Schlüsselloch und da muß ich hoch, so a la Kamel durchs Nadelöhr... aber immer noch besser als ne Axtattacke. Hat mir seeeeehr gefallen. Hast du übrigens mal nachgesehen was Flugträume bedeuten?*kicher* Guck lieber nicht nach *fg*

LG Mau
Von:  me-luna
2011-05-19T16:39:37+00:00 19.05.2011 18:39
Arhhh, das war aber auch eine gemeine Geschichte. Liest sich ein bisschen wie eine Karussellfahrt, die erst gemächlich beginnt und dann immer verrückter wird. Am Ende bleibt dein Leser atemlos und mit einem Schock zurück. Sehr gut an den atmosphärischen Schraube gedreht. Die Zitate sind klasse eingebaut und ich frage mich gerade, ob du den Film "Black Swan" gesehen hast? Wie für viele Horrorgeschichten typisch, erfährt man auch hier leider nichts Genaueres über den "schwarzen Mann." Seine Existenz und die zunehmende Macht über Marion ist der Fantasie überlassen und ich möchte hier auch gar keine kruden Vermutungen über den Zusammenhang schwarzer Mann und Dad anstellen.
Sehr gut geschrieben und würde mich freuen, noch mehr auf diesem Gebiet- und auch generell- von dir zu Lesen. Viel Glück bei deinem Wettbewerb.
P.S. Kann man Träume wirklich beeinflussen, sobald man sie als einen Traum realisiert hat?
Von:  Tesla
2011-05-14T08:17:45+00:00 14.05.2011 10:17
Also doch das war gruselig. Wirklich schön ich bin froh das ich das tagsübergelesen habe, mein Herz klopft gnaz ordentlich. Aber ich kenn das. Ich hab mir auch beigebracht wach zuträumen um gegen meine alpträume anzukommen, was ich grade echt gruslig finde weil du das sehr gut beschrieben hast. Also ich noch kleiner war hatte ich dadurch auch schwireigkeiten realität und truam zu unterscheiden, weil mein unterbewusstsein schnell dazugelernt hat. ich hab es übrigens nciht an Details wie Boden oder Fingern festgemacht sondern an Büchern. Wenn cih ein boch oder schild lesen konnte war ich wach, dachte ich bis mir vor ein paar jahren im Traum aufgefallen ist das ich auch im traum jetzt lesen kann. Das unterbewusstsein ist ein arschloch. Naja das wird sich wohl deine Protagonistin auch gedacht haben... also wirklich klase geschrieben. Erstmal durchatmen muss.
Von: Futuhiro
2011-05-12T19:58:27+00:00 12.05.2011 21:58
Hey, da ist ja noch ein Wettbewerbs-Beitrag on.
Okay, ich habe verloren ... ^^
Du hast die Zitate sinnvoller eingebunden als ich, wie ich finde. Und die Story ist wirklich klasse. Du solltest bei Grusel bleiben, das liegt dir.
Das einzige, was mich jetzt noch brennend interessiert hätte, ist die Frage, wer denn nun der Mann im schwarzen Mantel war, von dem sie immer geträumt hat. Das ist ein so vielversprechender Chara, den hätte man mehr ausbauen sollen. Andererseits, vielleicht ist er auch gerade deswegen so interessant, WEIL man so wenig über ihn erfährt.


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