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Frances

von

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Der Abschiedsbrief

Zufrieden legte Frances ihre Schreibfeder zur Seite und nahm den Brief, den sie soeben fertig gestellt hatte, in die Hand, um ihn noch einmal durchzulesen.
 

„Verehrter Herr Vater,
 

wenn Ihr diesen Brief lest, werde ich mich mit aller Wahrscheinlichkeit bereits auf einem Schiff befinden, dessen Reiseziel sogar mir selbst zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekannt ist. Ich getraue es mir nicht auszumalen, wie groß Euer Groll auf mich nach meinem Verschwinden wohl sein wird. Dennoch kann ich nicht anders als diesen Schritt zu wagen und mich aus Eurer Obhut zu befreien.

Ich habe Euch nie den Sohn, den Ihr Euch so sehr gewünscht habt, ersetzen können und das habt Ihr mich auch stets spüren lassen, selbst wenn dies nicht in Eurer Absicht gelegen haben sollte.

Aus diesem Grunde denke ich, dass es für uns beide das Beste sein wird, wenn sich unsere Wege nun trennen.

Ich danke Euch von Herzen für alles, was Ihr für mich getan habt und werde Euch auf ewig in Erinnerung behalten.
 

Lebt wohl.

Frances“
 

Sie faltete das Papier sorgfältig zusammen und legte es gut sichtbar auf ihr Bett. Anschließend band sie ihr langes, dunkelblondes Haar zu einem Zopf zusammen und warf sich die alte, lederne Tasche, in der sie ihre wichtigsten Habseligkeiten verstaut hatte, über die Schultern. Nach einem letzten prüfenden Blick in den mannshohen, neben ihrem Bett befindlichen Spiegel, der ihr noch einmal versicherte, dass sie in ihrer von einem Diener erkauften Kleidung nicht mehr aussah wie die Tochter eines gut betuchten Kaufmannes, löschte sie die kleine Öllampe, die auf ihrem Schreibtisch stand und tauchte somit ihr Zimmer in völlige Dunkelheit.
 

Auf Zehenspitzen schlich sie durch das große Herrenhaus und achtete dabei penibel darauf, kein auch noch so kleines Geräusch zu verursachen, das ihre Flucht im letzten Augenblick doch noch hätte verhindern können. Mit Bedacht schlich sie die langen, dunklen Korridore entlang, lief leise die große Eichentreppe herunter, die in der mit Marmor gefliesten Eingangshalle mündete. Wenige Augenblicke später zog sie schließlich vorsichtig die große Eingangstür des Hauses hinter sich ins Schloss, lehnte sich mit dem Rücken an das schwere Holz und atmete tief durch.
 

Dann machte sie sich eiligen Schrittes auf den Weg zum nicht weit entfernten Hafen. Sie schaute nicht zurück – auch wenn ihr bewusst war, dass sie nie wieder an diesen Ort zurückkehren würde.

Orientierungslosigkeit

Die heiße Mittagssonne stand bereits hoch oben am Himmel als Frances sich mit schweren Gliedern an Deck quälte.
 

Der Kapitän des Schiffes, auf dem sie sich nun befand, war in der Nacht der einzige gewesen, der sich – gegen ein kleines Bestechungsgeld – bereit erklärt hatte, sie mitzunehmen. Dass die Reise lediglich zu der für ihren Geschmack nicht ausreichend weit entfernten Nachbarinsel St. Lucia gehen würde, hatte sie erst erfahren, nachdem der Dreimaster bereits abgelegt hatte. Um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hatte sie allerdings beschlossen, sich vorerst damit zufrieden zu geben und sich in einen versteckten Teil der unter Deck befindlichen Ladefläche zurückgezogen, um über ihre weiteren Pläne nachzudenken.
 

Ihre Flucht hatte sie bereits vor Wochen geplant und vorbereitet. Heimlich hatte sie nach und nach ihren Schmuck versetzt, um an genügend Geld für ihre Reise zu kommen. Zudem hatte sie sich zum einen verschiedene Kleidungsstücke ihrer Diener erkauft und zum anderen selbst ein paar Hemden, Hosen und Westen genäht. Ihr war bewusst, dass sie sich nicht als Kaufmannstochter, die sie nun einmal war, auf den Weg machen konnte, sondern sich verkleiden musste – am besten als Mann. Während ihrer seltenen Ausflüge in die Stadt hatte sie sich durch das aufmerksame und intensive Beobachten einfacher Männer auf dem Markt oder am Hafen weitestgehend selbst beigebracht, wie ein Mann zu gehen und zu reden. Zudem konnte sie sich nach zahlreichen Versuchen, ihre eigentlich recht üppigen Brüste erfolgreich abbinden und sie somit unter weiten Hemden und Westen buchstäblich unsichtbar machen. Nur sich ihre langen Haare abzuschneiden hatte sie nicht übers Herz gebracht. Stattdessen band sie sie zu einem Zopf zusammen und ließ diesen im Kragen ihres Hemdes verschwinden. Der Schein musste perfekt sein, denn sie war sich vollkommen gewahr, dass jeder noch so kleine Fehler verheerende Folgen haben können würde.
 

Frances’ Vorbereitung war somit also nahezu tadellos gewesen, doch darüber, was nach ihrer Flucht geschehen würde, hatte sie – wie sie in der Nacht unter Deck erschrocken feststellen musste – noch nicht nachgedacht. Sie wusste lediglich, dass sie weder zu Verwandten noch zu Freunden gehen konnte, da diese sie mit aller Wahrscheinlichkeit an ihren Vater verraten hätten. Folglich war sie von nun an auf sich allein gestellt, und diese Tatsache ließ sie sowohl vor Angst als auch vor enthusiastischer Aufregung erschaudern.
 

Gegen Morgengrauen war Frances schließlich auf den harten Holzplanken der Ladefläche über ihre Überlegungen eingeschlafen.
 

Nun, da sie an Deck stand und wohl beinahe jeder Muskel und jeder Knochen in ihrem Körper schmerzte, bekam sie unwillkürlich Sehnsucht nach dem weichen Bett, das in ihrem Zimmer im Hause ihres Vaters stand. Dieses Gefühl unterdrückte sie jedoch auf der Stelle wieder, da sie nicht gewillt war, auch nur einen Funken Heimweh aufkommen zu lassen. Sie war froh, endlich frei zu sein und nicht mehr unter der Fuchtel ihres Vaters zu stehen, der ihr ihr Leben lang jeden ihrer Schritte vorherbestimmt hatte.
 

Als er ihr dann schließlich vor wenigen Wochen eröffnet hatte, dass er sie nun bald verheiraten und mit ihrem doppelt so alten Bräutigam nach England schicken wollte, war dies schließlich der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Ihr erst 19 Jahre kurzes Leben hatte er durch seine Herrschsucht und seine Unzufriedenheit darüber, dass er keinen männlichen Erben hatte, beinahe unerträglich gemacht. Ihre Mutter war nur wenige Tage nach ihrer Geburt an Fieber gestorben, doch hatte er es durch seine große Liebe zu ihr nie übers Herz gebracht, sich eine neue Frau zu suchen. Die Frustration, die aus seinem Dilemma entstand, seiner verstorbenen Frau treu bleiben zu wollen, dadurch allerdings niemals einen männlichen Nachfolger haben zu können, war im Laufe der Jahre immer größer geworden und Frances war immer diejenige gewesen, die dies am deutlichsten zu spüren bekommen hatte. Niemals hatte sie das Gefühl gehabt, aufrichtig geliebt zu werden. Stattdessen spürte sie stets, dass ihr Vater es lediglich als seine Pflicht ansah, sie aufzuziehen und für sie zu sorgen. Die bevorstehende Zwangsheirat mit einem ihr unbekannten Mann, der sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht anders behandelt hätte als ihr Vater, war schließlich der Punkt gewesen, an dem sie endgültig beschlossen hatte, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und irgendwo, an einem möglichst weit entfernten Ort, etwas Neues zu beginnen.
 

„Hey, Bursche!“, wurden ihre Gedanken plötzlich durch eine brummige Stimme unterbrochen.

„Wenn du hier schon ungefragt mitsegelst, kannst du auch mit anpacken. Komm her und hilf mir, die Leinen festzumachen.“

Als Frances sich daraufhin umdrehte, schaute sie in das unfreundliche Gesicht eines untersetzten Seemannes mittleren Alters. Sie fühlte sich mit der ihr zugeteilten Aufgabe heillos überfordert, wagte es allerdings nicht zu widersprechen. Stumm folgte sie also dem Mann zur Reling und versuchte mehr schlecht als recht, nachzumachen, was er tat.

Als er allerdings bemerkte, wie ungeschickt sie sich anstellte, blaffte er: „Was soll das werden, Bursche?!“

Erschrocken fuhr sie daraufhin zusammen und suchte fieberhaft nach einer Ausrede. Schließlich meinte sie unsicher: „Ich... Ich bin Schustergeselle und habe noch nie auf einem Schiff...“

„Das interessiert mich nicht. Wenn du bei uns mitsegelst, hast du dich nützlich zu machen.“, unterbrach er sie barsch. „Komm her!“

Er packte sie grob am Oberarm und zog sie hinter sich her. Dann drückte er ihr einen Mopp und einen Holzeimer in die Hand.

„Wenn du schon zu unfähig bist, die Leinen festzumachen, dann schrubb wenigstens das Deck.“, wies er sie an und ließ sie mit einem hämischen Lachen stehen.
 

Diese Aufgabe gefiel Frances zwar besser, da sie für sie eindeutig einfacher zu bewerkstelligen war, doch wäre es ihr lieber gewesen, wenn der übelgelaunte Seemann ihr gezeigt hätte, wie und welche wichtigen Aufgaben an Deck zu verrichten waren. Irgendetwas sagte ihr, dass es für die Zukunft nützlich sein würde, wenn sie sich mit den Aufgaben, die auf einem Schiff zu tun waren, auskannte. Doch diesen leicht reizbaren Mann um Hilfe zu bitten, wagte sie sich nicht.
 

Das halbe Deck war bereits sauber, als endlich St. Lucia in Sicht kam und das Schiff bald darauf im Hafen anlegte. Mit ihrer Ledertasche um die Schultern bedankte Frances sich noch einmal kurz beim Kapitän dafür, dass er sie mitgenommen hatte und ging anschließend von Bord. Sie verließ den kleinen Hafen und überlegte dann, was sie nun tun sollte. Da ihr Magen sich durch lautes Knurren bemerkbar machte, entschloss sie sich, erst einmal ein Lokal aufzusuchen und sich eine anständige Mahlzeit zu gönnen.
 

Ihre Suche dauerte nicht lange und zu ihrem Glück waren nicht nur die Preise, sondern auch die Gäste des kleinen Wirtshauses, für das sie sich entschieden hatte, annehmbar. Während sie ihren gebratenen Fisch und ihr Brot aß, schaute sie sich ein wenig von ihrem Ecktisch aus um. Die Männer, die hier zu Gast waren, schienen respektierliche Seefahrer zu sein, die diesen Ort nutzten, um sich über ihre letzten Geschäfte auszutauschen oder neue Handelspartner zu finden.
 

Frances schien dies der perfekte Ort zu sein, um eine neue Reisemöglichkeit zu finden. Möglicherweise hatte sie Glück und sie traf einen wohlwollenden Schiffskapitän, der bereit war, einen unerfahrenen Schustergesellen mit an Bord zu nehmen und ihn zu einem Matrosen anzulernen. Ihre Hoffnung wurde jedoch mit jedem Mann, den sie ansprach, kleiner. Niemand wollte sich diese unnötige Bürde aufladen.
 

Erst als die Sonne schon beinahe untergegangen war, fand Frances schließlich doch noch jemanden, der bereit war, sich ihrer anzunehmen. Anthony Kingsley. Er war der Kapitän eines mit Gewürzen und Stoffen aus Europa beladenen Schiffes, das auf dem Weg zu den Bahamas war. Der hochgewachsene Mann war Mitte 30, gepflegt und machte einen vertrauenswürdigen Eindruck. Nachdem er Frances kurz gemustert hatte, erklärte er sich einverstanden, sie bei sich anheuern zu lassen. Sie war darüber so erfreut, dass sie nicht einmal Verdacht schöpfte, als sie erfuhr, dass ihr nächster Anlaufhafen Nassau war – eine bereits zweimal von der spanischen Armee zerstörte Piratenhochburg.

In Bedrängnis

Die Crew von Kingsleys Schiff nahm Frances leider nicht so bereitwillig auf wie ihr Captain. Die rund 60 Matrosen beäugten den Neuankömmling erst kritisch und gingen dann dazu über, sie schlicht und ergreifend zu ignorieren. Mit einer solch negativen Reaktion hatte Frances nicht gerechnet und bereute es schon fast, auf einem Schiff angeheuert zu haben, als Kingsley, dem das Verhalten seiner Männer nicht entgangen war, ein Machtwort sprach und ein paar von ihnen die Aufgabe erteilte, sich um Frances zu kümmern und ihr die Arbeiten an Bord zu zeigen.
 

Anfangs zog sie den Zorn der Matrosen, die sie widerwillig anlernen sollten, auf sich, da sie sich, aufgrund nicht nur mangelnder Erfahrung in solchen Dingen, sondern auch fehlender körperlicher Kraft zur Verrichtung eben jener, erwartungsgemäß ungeschickt anstellte. Am Ende war sie schließlich doch lediglich eine Kaufmannstochter, deren härteste Arbeit im Leben bisher darin bestanden hatte, mittelgroße Stapel von Büchern, die sie lesen wollte, von der Bibliothek ihres Vaters in ihr Zimmer und wieder zurück zu tragen.
 

Nichtsdestotrotz war sie äußerst lernwillig und wissbegierig. Sie wiederholte eine Arbeit so oft bis sie sie zufriedenstellend erledigen konnte. Dieser Eifer, der ihren Mangel an Kraft zumindest zum Teil kompensierte, brachte ihr bald gewissen Respekt unter den restlichen Crewmitgliedern ein, der dazu führte, dass sie, anstatt ignoriert, nun wenigstens geduldet wurde.
 

Nach mehr verlangte Frances auch nicht. Zu lange Gespräche und freundschaftliche Annäherung mit den Seemännern vermied sie, da ihr die Gefahr, als Schwindler entlarvt zu werden, zu groß erschien. Je näher sie einem Menschen kam, desto mehr musste sie – da ihr bewusst war, dass sie keine gute Lügnerin war – von sich preisgeben und dies war ihr zu riskant. So blieb sie also stets auf höflichem Abstand und hoffte, dass die wenigen Tage, die sie zur Überfahrt nach Nassau benötigten, möglichst schnell herumgingen.
 

Zum Verdruss der Mannschaft kamen sie am vierten Tag der Reise allerdings in einen Sturm und mussten für ein paar Stunden im Hafen einer kleinen Insel anlegen, um das Schiff mitsamt Ladung nicht zu gefährden.
 

Im Gegensatz zum Rest der Crew war Frances allerdings froh über diesen ungeplanten Zwischenstopp und den damit verbundenen Landgang, denn sie musste feststellen, dass die salzige Seeluft und das stets feuchte Klima unter Deck ihr nicht besonders gut taten. Ihre Haut war rau und aufgesprungen und ihre Haare fühlten sich nach so kurzer Zeit bereits leicht filzig an. Sie war also äußerst erfreut darüber, dass sie sich während des Aufenthalts auf der Insel in einem kleinen Gasthaus ein kurzes Bad genehmigen konnte. Es tat gut, für einmal die Bandagen um ihre Brust abzulegen und sich gründlich zu waschen. Sie hatte von der mangelnden Hygiene auf Schiffen gehört, doch dies am eigenen Leib zu erfahren, war noch einmal etwas ganz anderes.
 

Nachdem sie sich wieder angezogen hatte, machte sie sich auf den Weg zurück zum Schiff. Das Wetter hatte sich indes kaum gebessert. Der Sturm hatte sich zwar gelegt, doch fiel der Regen in solchen Massen vom Himmel herab, dass man das Gefühl bekommen konnte, man stünde unter einem Wasserfall.
 

Völlig durchnässt kam Frances wieder an Bord und wollte sich sogleich in ihre Schlafkoje zurückziehen, als sie hörte, wie der erste Maat des Schiffes die Mannschaft an Deck rief, um das Schiff ablegebereit zu machen.
 

„Wieso riskieren wir bei diesem Regen eine Weiterfahrt?“, wollte Frances von einem ihrer Mannschaftskameraden mit erhobener Stimme wissen, um gegen das laute Plätschern des Regens anzukommen.

„Der Sturm hat sich gelegt. Und ob das Wasser nun von oben oder unten kommt, macht keinen Unterschied.“, bekam sie zur Antwort.

Sie nickte daraufhin mit reichlich Unverständnis und machte sich anschließend mit gewissem Widerwillen daran, beim Segelsetzen zu helfen. Durch den starken Regen konnte sie kaum einen Meter weit sehen und so gestaltete sich die Arbeit äußerst schwierig.
 

Dennoch hatte das Schiff bald abgelegt und befand sich kurze Zeit später schon wieder auf offener See. Hier ließ der Regen denn auch endlich mehr und mehr nach und hörte in der Nacht schließlich ganz auf.
 

Um sich nicht mit ihrer triefend nassen Kleidung schlafen zu legen, beschloss Frances, sich noch eine Weile an Deck aufzuhalten und den leichten Westwind sich und ihre Sachen trocknen zu lassen. Sie stand an der Reling und genoss die sanfte Brise, die ihr über die Haut strich und schloss zufrieden die Augen. Da der Rest der Mannschaft bereits unter Deck schlief, herrschte eine friedliche Stille, die nur durch das leise Plätschern der See, die durch den Bug des Schiffes geteilt wurde, in kaum wahrnehmbaren Aufruhr geriet.
 

„Ganz allein hier um diese Zeit?“, riss eine Stimme sie aus ihren Gedanken. Erschrocken darüber, nicht allein zu sein, drehte sie sich ruckartig um und sah Captain Kingsley mit einer halbleeren Flasche Rum in der Hand auf sich zukommen.
 

Nervös wollte sie gerade zu einer Antwort ansetzen, als er meinte: „Kein Grund zur Beunruhigung, Schustergeselle Francis Graham. Hier, nimm einen Schluck.“ Kingsley hielt ihr die Flasche hin, woraufhin sie tat, wie ihr geheißen wurde. Sie mochte keinen Rum, doch sie wollte den Captain nicht verärgern. Außerdem reichte schon ein kleiner Schluck, um ihn zufriedenzustellen. Sie wollte nicht riskieren, betrunken zu werden, um in diesem Zustand womöglich Dinge auszuplaudern, die sie schwer bereuen würde. Es reichte schon, dass sie ihm bei ihrem Kennenlernen versehentlich ihren echten Namen genannt hatte. Sie hatte Glück, dass er den ihrem so ähnlichen Männernamen `Francis´ verstanden hatte. Solche Fehler durften ihr in Zukunft nicht mehr unterlaufen.
 

„Also, was machst du zu so später Stunde noch an Deck, Junge?“, hakte Kingsley noch einmal nach, wobei Frances erst jetzt bemerkte, dass er bereits lallte.

„Ich wollte meine Kleidung noch ein wenig trocknen lassen, bevor ich schlafen gehe...“, antwortete sie daraufhin wahrheitsgemäß und gab sich Mühe, ihre größer werdende Nervosität bestmöglich zu überspielen.

„Wenn das so ist, solltest du deine Sachen lieber ausziehen und an der Takelage aufhängen. Das würde beträchtlich schneller gehen.“, gab er daraufhin zurück und zupfte mit einer etwas unkoordinierten Geste an den oberen Knöpfen ihres Hemdes. Dabei lösten sich diese und gaben freie Sicht auf Frances’ bandagierten Busen. Eilig versuchte sie noch, sich zu bedecken, doch es war bereits zu spät.
 

Ungläubig starrte Kingsley sie an, bevor er nach ein paar Augenblicken mühsam herausbrachte: „Bursche... Du... Du bist ein Weib...!“

„Sir, ich...“, begann Frances verzweifelt, doch er schenkte ihr keinerlei Beachtung.

„Welch wunderbare Überraschung!“, rief er voll betrunkener Erregung aus. „Ich dachte mir bereits bei unserem Kennenlernen, was für ein außerordentlich hübscher Junge du bist... Dass du ein Weib bist, macht die Sache natürlich um einiges einfacher...“ Ein anzügliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wie dankbar bist du mir dafür, dass ich dich mitgenommen habe? ... Und noch viel wichtiger: Wie dankbar wärst du mir, wenn ich dein kleines Geheimnis der Crew vorenthalten würde?“ Während er sprach, machte er einen Schritt auf sie zu und klemmte sie zwischen sich und der Reling ein.
 

„Nein... Ich bitte Euch! Was habt Ihr vor...?“, wollte Frances voll aufsteigender Panik wissen, doch da hatte Kingsley sie schon an den Schultern gepackt und ihr das Hemd komplett aufgerissen. Als er mit der Hand ihren Hinterkopf packte, um sie näher an sich heranzuziehen, bemerkte er ihren im Hemdkragen versteckten Zopf. Frances konnte – starr vor Angst – nur dastehen und zusehen, wie er ihn mit der Vorfreude eines kleinen Kindes in den Augen langsam öffnete. Als er fertig war, wanderte sein Blick mehrmals an ihrem zitternden, halbentblößten Körper hinauf und wieder hinab. Ihm gefiel ganz offensichtlich, was er sah, denn sein schmutziges Grinsen wurde immer größer. Ihren ihn um Gnade anflehenden Blick ignorierte er in seinem Alkoholrausch geflissentlich. Viel zu lange schon hatte er keine Frau mehr berührt – noch dazu keine so junge und hübsche.
 

Als er sich ihr weiter nähern wollte, schaffte Frances es unter Aufbringung all ihrer Willenskraft, ihre Angst zu überwinden und zu einem Verteidigungsschlag auszuholen. Sie trat hart gegen sein Schienbein und stieß ihn von sich. Von dieser plötzlichen Attacke überrascht, stolperte er nach hinten und ging zu Boden. Diese Gelegenheit nutzend rannte Frances davon und in Richtung der Beiboote. Kingsley hatte sich jedoch schnell wieder gefangen und folgte ihr. Er lachte und in seinen vom Rum glasigen Augen war pure Freude zu sehen.

„Wir haben hier also eine kleine Wildkatze. Das gefällt mir...“, bemerkte er mit einem schmierigen Grinsen im Gesicht, während er sich langsam an Frances heranpirschte.
 

Diese war gerade dabei, mit ungeschickten Händen eines der Beiboote zu Wasser zu lassen. Doch sie hatte kaum zwei Handgriffe getan, als sie von Kingsley gepackt und an den Haaren zu ihm heran gezogen wurde. Er zog sie in seine Arme und ließ seine Hände gierig über ihren Körper wandern.

„Es hat keinen Sinn, sich zu wehren, Liebes. Auf Hilfe wirst du hier ohnehin nirgends hoffen können...“, konstatierte er und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Sie versuchte mit aller Kraft, sich aus seinem Griff zu befreien, doch sie war zu schwach.

„Du riechst nach Rosenblüten...“, stellte er unverfroren und mit vulgärem Unterton in der Stimme fest. „Hast du etwa ein Bad für mich genommen, während du vorhin an Land wa...?“ Er unterbrach sich abrupt, als er etwas aus dem Augenwinkel heraus bemerkt und seinen Blick an Frances vorbei auf die See hinter ihr richtete. Dort war in bedrohlicher Nähe ein Schiff zu sehen. Ein Schiff mit schwarzer Flagge.

Vom Regen in die Traufe

Mit vor Aufregung und Angst hämmerndem Herzen kauerte Frances hinter den Trümmern des Beibootes, das einer Kanonenkugel des Piratenschiffes zum Opfer gefallen war. Vor ihr tobte ein Kampf zwischen der Besatzung des Schiffes und den Piraten, die, kurz nachdem Kingsley sie bemerkt hatte, bereits das Feuer eröffnet hatten und anschließend innerhalb von wenigen Minuten an Bord gelangt waren.
 

Der Lärm, der von den über 100 kämpfenden Männern verursacht wurde, war ohrenbetäubend und trug alles andere als dazu bei, dass Frances sich beruhigen oder auch nur einen vernünftigen Gedanken fassen konnte. Ihre momentane Situation war ganz offensichtlich aussichtslos, denn entweder wurde sie hier im Kampf getötet, fiel Captain Kingsleys Lust zum Opfer oder wurde von den Piraten verschleppt.
 

Der einzige Weg, diesen alles andere als ansprechenden Schicksalen zu entkommen, war in ihren Augen, von Bord in die nachtkalte See zu springen und zu hoffen, dass sie Land erreichte, bevor sie vor Erschöpfung ertrank. Zwar erschien ihr diese Alternative auch nicht als die idealste, doch sie hatte offensichtlich keine andere Wahl, wenn ihr ihre Freiheit lieb war.
 

Kurz entschlossen lugte sie also aus ihrem Versteck hervor und wollte sich in einem unbeobachteten Moment zur Reling schleichen, als kurz bevor sie ihr Ziel erreichte ein älterer, untersetzter Pirat sie erblickte und sich sogleich ihrer annahm.
 

„Sieh an, wen haben wir denn da?“, kommentierte er mit einem höhnischen Lachen seinen Fang und packte Frances unsanft am Arm. „Ein Weib hätte ich an Bord dieses Kahns als Letztes erwartet. Der Captain wird erfreut sein.“
 

Mit diesen Worten warf der nicht besonders gepflegt aussehende Mann sie sich über die Schulter und brachte sie über eine Planke hinüber auf das Piratenschiff. Dass Frances dabei verzweifelt um sich schlug und mit aller Kraft versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, schien er nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen.
 

Somit fand sie sich denn auch wenige Augenblicke später im Quartier des Piratenschiffkapitäns wieder. Sie wurde auf dem Boden abgestellt, jedoch weiterhin grob am Arm festgehalten. „Captain? Ich habe hier etwas für Euch.“, verkündete der Pirat mit einem süffisanten Grinsen. Frances nutzte die Zeit bis zur Reaktion des Captains, um sich kurz umzusehen.
 

Der dunkle Raum war lediglich vom flackernden Licht ein paar weniger Kerzen erhellt. In der Mitte befand sich ein großer runder Schreibtisch, auf dem unzählige Seekarten und Messutensilien verstreut lagen. An den Wänden standen ohne erkennbares Muster verschiedengroße palisanderfarbene Schränke und Kisten. Zwischen ihnen lugten zusammengerollte Karten hervor. Außerdem waren vereinzelt Bilder aufgehängt, die jedoch nur ihrem Selbstzweck zu dienen schienen.
 

„Ich habe doch gesagt keine Gefangenen, Sully.“, antwortete eine strenge und etwas gelangweilt wirkende Stimme aus dem rechten Teil der Kajüte. Erst jetzt bemerkte Frances, dass sich dort, fast verborgen hinter einem Vorhang, im Halbdunkeln eine Koje befand, auf der ein Mann es sich bequem gemacht hatte.
 

Mühevoll erhob er sich und streckte sich ausgiebig, bevor er schließlich aufstand und auf sie zukam. Das warme Kerzenlicht umspielte sofort seine großgewachsene und schlanke Gestalt, als er aus dem Schatten des Behangs heraustrat. Er war lediglich in ein dunkelgrünes Hemd, dessen geöffnete Knöpfe seine bloße Brust offenbarten, und eine einfache wadenlange braune Leinenhose gekleidet. Um den Hals trug er eine lange Kette, an deren Ende ein glänzendes Medaillon baumelte. Das volle, dunkelbraune Haar fiel ihm knapp über die Augen und umspielte zerzaust seinen Kopf.
 

Frances war überrascht, wie jung er war, als sie in sein scharf geschnittenes Gesicht blickte. Er war sicher höchstens Ende 20. Aus seinen tiefbraunen Augen heraus musterte er sie. Sie entdeckte dabei eine tiefe Narbe, die sich von seiner linken Schläfe aus um sein Auge herum bis auf seine Wange zog.
 

„Wer ist das? Was soll ich mit ihr?“, wollte der Captain wissen, während er die Arme vor der Brust verschränkte. „Ich fand sie drüben auf Kingsleys Schiff, als sie gerade fliehen wollte, und dachte mir, dass Ihr sicher Euren Spaß mit ihr haben könntet.“, antwortete der Pirat, dessen Namen offensichtlich Sully war.
 

„Spaß?“, wiederholte der Captain und ließ argwöhnisch seinen Blick über Frances’ Körper wandern.
 

Nach einigen Momenten der Stille meinte er schließlich: „In der Tat. Lass sie hier und verschwinde.“

„Aye, Captain!“, antwortete Sully mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen und verließ anschließend die Kajüte.
 

Nachdem Frances nun mit dem Captain allein war, stieg ihre Angst erneut. Reflexartig zog sie ihre Schultern an und schlang sich ihre Arme um den Oberkörper, um so ihren durch ihr zerrissenes Hemd halbentblößten Busen zu bedecken.
 

Währenddessen schritt der Captain langsam und beinahe wie ein ausgehungerter Tiger um sie herum und begutachtete seine Beute von oben bis unten.
 

Mit jedem Augenblick, der so verstrich, schnürte es Frances mehr die Kehle zu. Sie fühlte sich so unwohl wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Der Gedanke daran, wie ein Stück Vieh gemustert zu werden, war unerträglich – ganz zu schweigen von den Dingen, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch auf sie zukommen würden.
 

Unwillkürlich drückte sie ihre Fingernägel vor Anspannung so tief in ihre Oberarme, dass es bald schmerzte. Sie wünschte sich fort von hier; weit weg an einen sicheren Ort. Für einen Moment flackerte das Bild ihres Zuhauses vor ihrem inneren Auge auf, doch diese Erinnerung wollte sie nicht zulassen. Sie hatte sich dafür entschieden, sich allein ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen und den Weg zu diesem Ziel würde sie mit all seinen Hindernissen und Widrigkeiten auch annehmen.
 

„Wie ist dein Name?“, wurden ihre Gedankengänge von der angenehm tiefen, etwas nasalen Stimme des Captains unterbrochen. Überrascht blickte sie auf und schaute ihn fragend an. „Dein Name!“, wiederholte er und sah sie mit erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ah... Ich... Mein Name ist... ist Frances...“, brachte sie mit brüchiger Stimme hervor und hatte dabei plötzlich das Gefühl, schon seit Jahren nicht mehr gesprochen zu haben.

„Frances...“, wiederholte er leise. Die Art, wie er ihren Namen aussprach, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

„Warst du ein blinder Passagier auf Kingsleys Schiff?“, wollte er unvermittelt wissen und musterte sie weiterhin sehr interessiert. „Der gute alte Anthony hat etwas gegen Frauen an Bord seines Schiffes, doch an Land ist er nicht gerade ein Kostverächter. Deine Kleidung lässt vermuten, dass du dich als Mann in seine Crew geschlichen hast, er dein kleines Geheimnis jedoch herausgefunden hat und hungrig geworden ist.“ Um seine Behauptung zu untermauern, fuhr er kurz mit der Spitze seines Zeigefingers über den oberen Rand ihrer Brustbandagen und berührte den zerrissenen Kragen ihres Hemdes.

„Dein relativ gefasstes Auftreten lässt mich allerdings annehmen, dass wir sozusagen gerade noch rechtzeitig gekommen sind und das Schlimmste verhindert haben. Liege ich richtig mit meinen Annahmen?“ Er sah sie erwartungsvoll an, doch ihr stand die Verblüffung ins Gesicht geschrieben und sie war zu keiner sinnvollen Antwort fähig.

„Das dachte ich mir.“, schlussfolgerte er aus ihrer Nicht-Antwort die Richtigkeit seiner Aussagen. „Du kannst froh sein, dass ich mit Kingsley noch eine Rechnung offen hatte. Er ist nicht gerade der Zuverlässigste und hat mich bei unserem letzten Treffen um ein paar wichtige Wertgegenstände gebracht, die ich bei aller Liebe nicht in seinem Besitz belassen konnte.“
 

Frances lauschte gespannt den Ausführungen des jungen Piratenkapitäns vor ihr und fühlte sich plötzlich hin- und hergerissen. Einerseits war sie froh, dass sie anscheinend einen intelligenten Menschen vor sich hatte, mit dem man offenbar auch reden konnte. Doch andererseits war dieser Mensch noch immer ein Pirat und somit moralisch höchstwahrscheinlich nicht minder verdorben als Kingsley es zu sein schien.
 

„Doch was soll ich jetzt mit dir anfangen?“, wollte er wissen und setzte einen gespielt fragenden Gesichtsausdruck auf. Frances alarmierten diese Worte und sie fand endlich ihre Sprache wieder: „Ich bitte Euch, schickt mich nicht zu diesem Scheusal Kingsley zurück!“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Bitte nehmt mich bis zur nächsten Insel mit. Ich werde Euch sicher nicht zur Last fallen und mich auch an Deck nützlich machen.“
 

Sie klammerte sich an ihre winzige Hoffnung, dass ihr Gegenüber so menschlich sein würde, ihr ihre Bitte zu erfüllen. Er schien auf den ersten Blick schließlich kein so übler Kerl und ziemlich vernünftig zu sein.
 

Mit vor Überraschung erhobenen Augenbrauen schaute er sie einige Augenblicke nur schweigend an, bevor er schließlich ganz langsam auf sie zukam. Sein Gesichtsausdruck war plötzlich verschlossen und ließ keine Deutung zu. Ob dieser unerwarteten Reaktion wich Frances mit jedem Schritt, den er auf sie zu machte, weiter zurück bis sie schließlich mit dem Rücken gegen die hölzerne Kajütenwand stieß. Der Captain blieb jedoch erst stehen als ihre Körper sich bereits berührten und er sich vor ihr stehend zu ihr herunterbeugen konnte. Seine rechte Hand stützte er in Höhe ihres Kopfes an der Wand ab und seine linke in Höhe ihrer Taille. Seine Augen fixierten ihre, als sein Mund sich zu einem anzüglichen Lächeln formte und er meinte: „Und was wäre die Gegenleistung, die ich für eine solch großzügige Geste von einer so wunderschönen, jungen Frau erwarten dürfte?“

Ausgesetzt

Frances drehte ihren Kopf etwas zur Seite als sie den warmen Atem des Captains auf ihrem Gesicht spürte. Sie wusste nicht übermäßig viel von den Dingen, die zwischen Mann und Frau passierten, deswegen war sie sich nicht sicher, worauf er hinauswollte. Sein erwartungsvoller Blick und das anzügliche Lächeln, das sich auf seinen Lippen festgesetzt zu haben schien, ließen sie jedoch ahnen, dass es nichts Gutes war.
 

Als er ihr Zögern bemerkte, drängte er sich noch etwas näher an sie heran und legte seine Wange so an ihre, dass seine Lippen direkt neben ihrem Ohr weilten. „Ein wenig körperlichen Einsatz würde ich begrüßen...“, raunte er ihr zu und berührte mit der Spitze seiner Zunge ihr Ohrläppchen.
 

Frances zuckte daraufhin erschrocken zusammen und legte ihm abwehrend ihre Hände auf die unbedeckte Brust. „Ich... Wie ich bereits sagte, kann ich mich an Deck nützlich machen...“, stammelte sie aufgeregt, denn sie fühlte sich gerade alles andere als wohl in ihrer Haut. Ein unkontrollierbares Kribbeln hatte sich in ihrer Bauchgegend breit gemacht und schickte sich an, langsam in ihren Unterleib weiterzuwandern. Sie verstand ihren Körper nicht und war ganz und gar nicht damit einverstanden, wie er auf die Avancen des Captains reagierte.
 

„Für deine zarten Hände wäre die Arbeit an Deck viel zu beschwerlich...“, bemerkte er mit weicher Stimme und nahm eine ihrer Hände von seiner Brust, um sie zu seinen Lippen zu führen und einen leisen Kuss auf ihre Fingerspitzen zu hauchen. „Ich hatte da eher an etwas... Aufregenderes gedacht...“ Sein Blick haftete unbeirrbar an ihr, während er sprach und sich anschließend mit seinen Lippen wieder ihren Fingerspitzen widmete. Ihr Herzschlag erreichte dabei bald ein Tempo, von dem sie annahm, dass es nicht mehr gesund sein konnte.
 

„Captain!“ Mit diesem Ruf und einem unterstützenden Pochen an der Tür wurde ihre traute Zweisamkeit jedoch jäh zerstört. „Kingsleys Crew hat aufgegeben. Wir haben die Truhe wieder und können weitersegeln!“

Und tatsächlich war von dem lauten Kampfgeschrei, das bis vor wenige Minuten noch deutlich hörbar gewesen war, nichts mehr zu vernehmen.
 

Der Captain wendete sich daraufhin auf der Stelle von Frances ab. „Ich komme!“, rief er, bevor er sich noch einmal umwandte und sie ansah. Sie stand da wie ein in die Ecke getriebenes Reh; mit großen, sorgevollen Augen, unfähig, ihre Angst zu verstecken. Ein kaum merkliches Lächeln huschte ihm bei diesem Anblick über die Lippen.
 

„Ich werde an Deck gebraucht.“, teilte er ihr schließlich mit. „Du kannst dich in der Zeit ausruhen und mein Bett zum Schlafen benutzen. Wenn ich wiederkomme, klären wir alles Weitere.“ Damit drehte er sich um und wollte die Kajüte verlassen, als ihm Frances aus einem Impuls heraus hinterher rief: „Ihr wisst meinen Namen. Darf ich auch Euren erfahren?“ „Ian McNally.“, lautete seine knappe Antwort, für die er sich nicht einmal die Mühe machte, sich umzudrehen.
 

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, sank Frances kraftlos zu Boden. „Ian McNally...“, wisperte sie vor sich hin. Wer war dieser Mann? Sie hatte immer geglaubt, Piraten wären grobschlächtige, einfältige Kerle, doch er schien das genaue Gegenteil von dieser Vorstellung zu sein. Wie sollte sie ihn einschätzen? Was würde sie von ihm erwarten können?
 

Resigniert schloss Frances die Augen und seufzte. Sie hatte im Moment nicht die Nerven dafür, sich über derlei Dinge den Kopf zu zerbrechen. Sie fühlte sich plötzlich todmüde und bemerkte nun deutlich wie sehr die Aufregung der letzten Tage – und vor allem der letzten Stunden – an ihren Kräften gezehrt hatte.
 

Mühevoll schleppte sie sich also zum Bett des Captains und fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf, sobald ihr Kopf das Kissen berührt hatte.
 

****
 

Sie erwachte erst wieder, als sie spürte wie jemand sanft an ihrer Schulter rüttelte. Widerwillig öffnete sie daraufhin die Augen – und schaute direkt in Ians Gesicht. Erschrocken und plötzlich hellwach setzte sie sich auf und brauchte einen Moment, um zu realisieren, wo sie sich überhaupt befand. Als sie sich umsah, fiel ihr auf, dass es noch immer dunkel war. Sie fragte sich, wie lange sie wohl geschlafen hatte, denn ausgeruht fühlte sie sich noch lange nicht.
 

„Begleitest du mich nach draußen?“, wollte Ian wissen und hielt ihr seine Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Als sie sie annahm und sich daraufhin elegant aus dem Bett schwang, grinste er wissend. „Wie ich es mir dachte. Eine perfekt erzogene Lady. Du stammst aus sehr reichem Hause, habe ich Recht?“
 

Frances errötete daraufhin ertappt. Wochenlang hatte sie sich auf ihr neues Leben als Mann vorbereitet, doch kaum achtete sie nicht genau darauf, vergaß sie alles wieder. Das ärgerte sie, vor allem weil sie sich im Moment einem Menschen gegenüber sah, dessen Charakter sie kaum auch nur erahnen konnte.
 

Als sie schließlich aus der Kabine heraus auf das Deck traten, schaute Frances sich zuallererst um. Das Schiff schien etwas kleiner zu sein als Kingsleys, doch im Großen und Ganzen wirkte es für ihre ungeübten Augen sehr ähnlich. Es besaß drei hohe Masten mit riesigen weißen Segeln, die sich leicht durch den schwachen Westwind aufblähten. Das Deck war – wie Frances fand – für ein Piratenschiff überraschend leer und sauber. Nur vereinzelt standen gut zusammengezurrte Kisten, Fässer und Kanonen in den Ecken, an der Reling und unter den beiden breiten Holztreppen, die hinauf zum Achterdeck und zum Steuerrad führten.
 

Sie gingen zur Reling, wo Frances sich erst einmal ausgiebig streckte, da sie wie so oft in letzter Zeit das Gefühl hatte, jeder Muskel in ihrem Körper wäre verspannt oder verzogen. Ian beobachtete sie dabei äußerst aufmerksam, wobei sein Blick hauptsächlich lüstern an ihren bandagierten Brüsten hing. Als Frances dies bemerkte, reagierte sie umgehend, indem sie schnell die beiden Seiten ihres zerrissenen Hemdes nahm und sich damit bedeckte.
 

Enttäuscht wendetet er sich daraufhin von ihr ab und richtete seinen Blick auf den tiefschwarzen Horizont.
 

„Äh... Hat dieses Schiff denn auch einen Namen?“, wollte Frances nach einer Weile wissen, da sie die Stille, die zwischen sie getreten war, als äußerst unangenehm empfand. „Crying Mary.“, antwortete Ian allerdings nur gelangweilt und erstickte damit jedes aufkommende Gespräch im Keim.
 

Frances entging der plötzliche Verlust seines Interesses natürlich nicht und sie fragte sich, ob dies wohl ein geeigneter Zeitpunkt war, um sich nach seinem seltsamen Verhalten früher am Abend zu erkundigen.
 

„Captain McNally? Gibt es... Gibt es einen Grund, warum Ihr vorhin nicht... nunja... nicht das mit mir getan habt, was Piraten sonst mit erbeuteten Frauen tun?“, wollte sie mit etwas zittriger Stimme wissen und erlangte damit sofort wieder seine Aufmerksamkeit. Sein Kopf schnellte zu ihr herum und auf seinen Lippen erschien das für ihn anscheinend so typische Lächeln.

„Von was für Dingen sprichst du?“, erkundigte er sich unschuldig mit einer Gegenfrage, was Frances ins Stocken brachte.

„Ich... Ich weiß nicht genau... Ich habe darüber nur in Büchern gelesen und...“

„Und was?“, hakte er nach und man sah ihm den frivolen Spaß, den er gerade hatte, überdeutlich an.
 

Er machte einen Schritt auf die neben ihm stehende Frances zu, packte sie an den Hüften und hievte sie mit einem Ruck auf die Reling. Ein erschrockener Laut entwich ihr dabei und sie hielt sich Halt suchend an seinen Schultern fest. Ihre Unsicherheit ausnutzend schob er ihre Beine auseinander und drängte sich dazwischen. Seine Hände schob er anschließend langsam um ihre Taille und zog ihren Körper näher zu sich heran.
 

„Ich werde dir verraten, warum ich nicht das mit dir getan habe, was Piraten sonst mit erbeuteten Frauen tun.“, verkündete er großzügig, indem er ihre Formulierung wiederholte und schaute dabei in ihre vor Schreck und Ratlosigkeit geweiteten hellbraunen Augen. „Weil du keine Herausforderung bist, Liebes. Du bist ängstlich, du hast ganz offensichtlich nicht die geringste Ahnung von den Dingen, die zwischen Mann und Frau geschehen und wenn ich dich zwingen würde, würdest du dich mit großer Wahrscheinlichkeit ohne Gegenwehr in dein Schicksal ergeben. Mit solchen Frauen kann ich nichts anfangen und ich will ihre Unerfahrenheit auch nicht ausnutzen. Ich hätte keinen Spaß dabei – und nur darum geht es doch: um Spaß.“
 

Frances wusste nicht, ob sie seine Worte als Kompliment oder Schlag vor den Kopf auffassen sollte. Doch noch bevor sie sich ernsthaft darüber Gedanken machen konnte, spürte sie, wie sie plötzlich nach hinten geschubst wurde und im nächsten Moment ins eiskalte Meerwasser eintauchte. Strampelnd kämpfte sie sich zurück an die Oberfläche und schnappte dort angekommen schwer nach Luft. Hustend blickte sie nach oben zur nun mehrere Meter über ihr befindlichen Reling.
 

„Ich hoffe, du kannst schwimmen.“, meinte Ian zuckersüß und winkte ihr zu. Frances war derweil vollkommen überfordert. Überfordert mit der Situation, mit dem Wasser und mit Ians unerklärlichem Verhalten.

„Was um Himmels Willen soll das?!“, rief sie ihm wütend entgegen, während sie versuchte, nicht unterzugehen.

„Ich kann dich an Bord meines Schiffes nicht gebrauchen.“, antwortete er sachlich. „Du wolltest bis zur nächsten Insel mitgenommen werden und dort ist sie.“ Er deutete auf den Horizont hinter ihr. „Bis dorthin kannst du schwimmen und dann sehen, wie du weiterkommst. Ein schönes Leben wünsche ich dir noch.“
 

Unbändige Wut stieg plötzlich in Frances auf. Sie schlug mit den Fäusten auf die Wasseroberfläche, doch das brachte erwartungsgemäß nichts.

„Wir werden uns wiedersehen und dann werdet Ihr dieses schändliche Verhalten ganz furchtbar bereuen!“, wetterte sie, doch er entgegnete nur kühl: „Ich sehne diesen Tag jetzt schon herbei, Liebes.“ Damit drehte er sich um und verschwand aus Frances’ Sichtfeld.

Isabella

Die warme Gischt umspülte Frances’ Körper und holte sie nach und nach aus ihrer Bewusstlosigkeit zurück. Mühsam öffnete sie die Augen und stellte fest, dass sie bäuchlings im Sand lag. Die heiße Karibiksonne schien unbeeindruckt vom strahlend blauen Himmel auf sie herab, während sie sich unter einiger Anstrengung auf den Rücken drehte. Sie schloss die Augen wieder und atmete schwer. In ihrem Kopf dröhnte es, jeder Muskel ihres Körpers schmerzte und ihre Haut brannte.
 

Mühevoll richtete sie sich auf und starrte auf den türkisfarbenen Ozean, der sich scheinbar unendlich groß vor ihr erstreckte. Nirgendwo war ein Schiff zu sehen und so begriff sie langsam, dass Captain McNally tatsächlich keinen Scherz gemacht und sie eiskalt ausgesetzt hatte. Frances spürte, wie erneut unbändige Wut in ihr aufstieg. Sie wollte ihren Ärger herausschreien, doch ihrer staubtrockenen Kehle entwich lediglich ein heiseres Krächzen. Dieser Umstand machte ihr bewusst, dass sie aus der prallen Sonne heraus und sich schnellstmöglich etwas zu trinken suchen musste.
 

Sie drehte sich also um, um aufzustehen, hielt jedoch überrascht in ihrer Bewegung inne, als sie sah, dass nur wenige Meter entfernt von ihr eine junge Frau im Sand saß und sie beobachtete. Frances bemerkte sofort, dass sie außerordentlich hübsch war. Ihre ausladenden Kieferknochen gaben ihrem Gesicht ein markantes Aussehen, während ihre vollen Lippen und ihre großen, fast schwarzen Augen eine sinnliche Wirkung hatten, die durch ihre locker hochgesteckten schwarzen Locken noch unterstützt wurde. Ihre mokkafarbene Haut hob sich deutlich vom weißen Sand ab.
 

Die beiden Frauen starrten sich einige Augenblicke schweigend an bis die Fremde etwas auf einer Sprache sagte, die Frances zwar als Spanisch identifizieren jedoch nicht verstehen konnte. Ratlos schüttelte sie also mit dem Kopf.

„Wie ist dein Name?“, wiederholte die Frau nun verständlich, aber mit starkem spanischem Akzent, während sie Frances mit hochgezogener Augenbraue musterte. Als sie als Antwort nur ein weiteres Krächzen bekam, warf sie Frances einen Lederbeutel mit Wasser zu und forderte sie auf, davon zu trinken. Ohne Zögern leerte Frances gierig den Beutel und gab ihn anschließend dankend zurück.
 

„Also, wie ist dein Name?“, wiederholte die Fremde ihre Frage erneut.

„Äh... Frances Graham. Ich... ich wurde letzte Nacht von einem Piratenschiff über Bord geworfen und...“, wollte Frances erklären, doch sie wurde jäh unterbrochen.

„McNally! Nicht schon wieder! Dieser Mistkerl kann es einfach nicht lassen!“, brauste die junge Frau auf. Ein paar spanische Schimpfwörter folgten, bevor sie an Frances gerichtet fortfuhr: „Dieser undankbare Sohn einer stinkenden Bilgratte lädt bei mir ständig seine unerwünschte Fracht ab und lässt es mich dann ausbaden.“ Erneut eine Tirade spanischer Schimpfwörter. „Mein Name ist Isabella. Du musst endlich aus der Sonne raus. Komm mit.“ Damit griff sie nach Frances’ Hand, half ihr auf und zog sie hinter sich her vom Strand weg hinein in den dahinter liegenden Palmenwald.
 

****
 

Als Frances wieder zu sich kam, fand sie sich auf einer Bambuspritsche liegend in einer abgedunkelten Hütte wieder. Über die unbekannte Umgebung erschrocken, setzte sie sich ruckartig auf, sank aber sofort wieder zurück, als ihr ob der plötzlichen Bewegung ein heftiger Schmerz durch den Kopf pochte und ihr schwarz vor Augen wurde.
 

„Bist du wieder wach?“, hörte sie Isabella mit ihrem prägnanten spanischen Akzent fragen. „... Was... ist passiert?“, wollte Frances wissen, während Isabella sich neben die Pritsche auf einen Schemel setzte und ihr einen Becher mit Wasser reichte. „Hier, trink das. Auf dem Weg hierher bist du ohnmächtig geworden. Wenn du nicht so leicht wärst, hätte ich dich liegen lassen.“ Frances nickte daraufhin ob dieser unerwarteten Offenheit nur irritiert und trank von ihrem Wasser.

„Und wie geht es dir jetzt? Hast du Hunger?“, erkundigte sich Isabella, woraufhin Frances versicherte, dass es ihr besser ging und sie tatsächlich etwas zu essen vertragen konnte.

„Dann komm.“, forderte Isabella sie auf, ging zur Tür und bedeutete Frances mit einem Kopfnicken, ihr zu folgen.
 

Als Frances nach draußen trat, bemerkte sie, dass die Sonne bereits hinter den hohen Wipfeln der umliegenden Bäume verschwunden war und nur noch wenige goldene Lichtstrahlen ihren Weg durch das dichte Blattwerk fanden.

„Komm, hier entlang.“, forderte Isabella und betrat den breiten Weg, der zwischen den Bäumen hindurch von der Hütte weg führte.
 

Als die beiden Frauen nach einem kurzen Fußmarsch ihr Ziel erreichten, staunte Frances ob des Anblicks, der sich ihr bot, nicht schlecht. Sie befanden sich am Rande einer großen Lichtung, auf der gut zwanzig Holzhütten standen und eine Art kleines Dorf bildeten. Sie waren kreisförmig in mehreren Reihen aufgebaut und bildeten in der Mitte so etwas wie einen Dorfplatz.
 

Isabella schenkte Frances’ Verwunderung jedoch keine Beachtung und lief weiter bis sie endlich bei einer der Hütten zum Stehen kam und eintrat. Mechanisch folgte Frances ihr und setzte sich auf eine am Boden liegende Decke, die Isabella ihr als Sitzplatz anbot. Kaum hatte sie Platz genommen, stand auch schon ein Teller mit Brot und gebratenem Fleisch vor ihr. Ungläubig starrte sie das köstlich duftende Essen an, das ihr mit ihrem knurrenden Magen wie ein wahres Festmahl vorkam.

„Na los, iss schon. Es ist zwar schon kalt, da das die Reste meines Mittagessens sind, doch...“ Isabella sprach nicht weiter, sondern lachte auf, als sie sah, dass Frances sich bereits gierig über das Essen hermachte und ihr schon gar nicht mehr zuhörte. Während sie Brot und Fleisch in großen Stücken hinunterschlang, schaute Frances sich in der kleinen Hütte um. Sie war mit einem Bett, mehreren Schränken, einem Tisch ohne Stühle und einem Steinofen mehr als vollgestellt, wirkte aber dennoch sehr gemütlich.
 

„Also, Liebes, jetzt erzähl: Was in Teufels Namen hast du auf McNallys Schiff zu suchen gehabt?“, forderte Isabella schließlich zu wissen, woraufhin Frances ihren mittlerweile leeren Teller zur Seite stellte und ihre Geschichte erzählte.
 

****
 

„Liebes. Bist du noch bei Sinnen?“, erkundigte sich Isabella voller Sorge, nachdem Frances geendet hatte. „Hast du allen Ernstes geglaubt, dass du mit deinem kleinen hübschen Plan durchkommen würdest? Du kannst froh sein, dass es so lange gut gegangen ist und du noch am Leben bist.“

„Wa...? Wieso...?“, wandte Frances irritiert ein, doch Isabella unterbrach sie mit einer ausladenden Geste.

„Ich will dir nicht deine Illusionen nehmen, Liebes, aber als Frau hast du in dieser Welt nichts zu melden, wenn du nicht gerade eine Waffe hast und sie auf die Weichteile eines Mannes richtest. Außerdem bist du viel zu vertrauensselig. Ich meine, du hast nicht einmal daran gedacht, dass ich dir etwas Böses wollen könnte, nicht wahr? Seit wir uns begegnet sind, hatte ich mindestens zehn Gelegenheiten, dich zu töten.“
 

Frances riss ob dieser Feststellung entsetzt die Augen auf, kam jedoch nicht dazu, etwas zu erwidern, da Isabella unbeirrt fortfuhr: „Und das meinte McNally wohl damit, dass du keine Herausforderung bist. Du bist so einfach zu täuschen und...“

„Das gibt ihm jedoch längst nicht das Recht, mich über Bord zu werfen!“, brauste Frances plötzlich auf. „Ich gebe zu, dass ich möglicherweise zu blauäugig war, doch deswegen mein Leben auf Messers Schneide zu legen, ist unverzeihlich und wenn ich diesen Menschen jemals wieder sehen sollte, wird er sein Verhalten bitter bereuen!“
 

Isabellas Blick wurde bei Frances’ entschiedenen Worten plötzlich nachdenklich. „Bist du dir sicher?“, hakte sie nach und musterte sie aufmerksam. „Natürlich! Ich werde ihm nie verzeihen können, dass er mich so schändlich und mit solcher Arroganz behandelt hat.“, erwiderte Frances bestimmt. Ein verschwörerisches Lächeln erschien daraufhin auf Isabellas hübschen Lippen. „Wenn das so ist, gibt es da jemanden, den ich dir vorstellen möchte...“

Lebenserfahrung I

Um Frances von ihrem räuberhaften Aussehen mit den zerrissenen, schmutzigen Kleidern und dem krausen Haar zu befreien und aus ihr wieder einen annehmbaren Menschen zu machen, führte Isabella sie zu einer kleinen Quelle in der Nähe des Dorfes, in der sie sich waschen konnte, und gab ihr anschließend frische Kleidung. Frances hatte schließlich ihr weniges Hab und Gut bei ihrem Fluchtversuch auf Kingsleys Schiff zurücklassen müssen.
 

Nachdem sie nun gekleidet war in eine dunkelbraune Leinenhose mit breitem Gürtel und ein weißes Hemd, das durch ein leichtes darüber getragenes dunkelblaues Korsett am Körper gehalten wurde, machte sie sich mit Isabella zusammen auf den Weg zu der geheimnisvollen Person, die ihr vorgestellt werden sollte. Dazu verließen sie das Dorf und folgten einem kleinen Trampelpfad in den Wald hinein. Nach einem kurzen Fußmarsch befanden sie sich wieder am Strand, wo ihnen die gerade untergehende Sonne einen prachtvollen Anblick bot. Der Himmel und die See strahlten in allen möglichen Blau- und Violett-, Gelb- und Orangetönen um die Wette. Die tief stehende Sonne tauchte den Strand dabei noch in ein angenehmes, goldfarbenes Licht.
 

Während Frances ehrfurchtsvoll die sich ihr bietende Schönheit der Natur betrachtete, ließ sich Isabella nicht im Geringsten davon beeindrucken. Zielstrebig ging sie auf zwei am Rande des Waldes stehende Palmen zu, zwischen denen ein Mann in einer Hängematte lag und schlief. Lautstark machte Isabella sich auf Spanisch bemerkbar, bevor sie den Schlafenden unsanft an der Schulter rüttelte und ihn damit weckte. Mühsam richtete er sich auf und sah den Störenfried missmutig an. Sie ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und redete in sich schon beinahe vor Schnelligkeit überschlagendem Spanisch auf ihn ein. Eher uninteressiert streckte der junge Mann sich und fuhr sich mit der Hand durch sein fast schulterlanges dunkelblondes Haar, bevor er es im Nacken mit einem dünnen Band zu einem Zopf zusammenband. Anschließend schwang er sich aus der Hängematte und zog sich ein weißes Hemd, das neben ihm an einem Ast gehangen hatte, über seinen freien Oberkörper.
 

Frances fiel es dabei schwer, ihren Blick von ihm abzuwenden. Nicht nur war sein Körper gut gebaut, auch sein Gesicht war mit den schmalen Lippen, der geraden Nase, den hohen Wangenknochen und den klaren blauen Augen ausgesprochen attraktiv. Ein Dreitagebart ließ ihn zusätzlich noch ein wenig verwegen wirken. Frances beobachtete aufmerksam wie der junge Mann, den sie nur wenige Jahre älter als sie selbst schätzte, der immer noch redenden Isabella gelangweilt zuhörte, als er plötzlich seinen Blick auf sie richtete. Ihr Herz machte dabei vor Überraschung einen kurzen Hüpfer und sie konnte nicht verhindern, dass sie errötete.

Mit einer Mischung aus Interesse und Geringschätzigkeit musterte er sie, bevor er sie völlig akzentfrei fragte: „Wie alt bist du?“

„19“, antwortete sie hastig, erreichte damit bei ihm jedoch nur, dass er abschätzig eine Augenbraue hob und an Isabella gerichtet sagte: „Olvídalo!“ Diese schaute ihn daraufhin entsetzt an, bevor sie erneut begann, auf Spanisch auf ihn einzureden.
 

Ratlos stand Frances daneben und kam sich reichlich überflüssig vor. Sie wusste, dass die beiden sich über sie unterhielten, da sie ab und an ihren Namen hörte, doch ansonsten verstand sie nicht ein Wort. Sie musste zugeben, dass sie sich gewissermaßen übergangen fühlte, da die beiden es offensichtlich nicht für nötig hielten, sie in ihre Diskussion mit einzubeziehen. Diese Situation erinnerte sie nur allzu deutlich an ihren Vater. Ihm war sie es auch nie Wert gewesen, sie in seine Entscheidungen über ihr Leben miteinzubeziehen. Das altbekannte, ihr stets verhasst gewesene Gefühl der Machtlosigkeit umklammerte langsam ihr Herz und ließ ihre Hände zittern.
 

Sie schloss die Augen, atmete tief durch und rief sich innerlich zur Ordnung. Wenn sie endlich ihre Vergangenheit hinter sich lassen wollte, musste sie unbedingt beginnen an ihrem Verhalten zu arbeiten. Sie musste lernen, sich durchzusetzen und deutlich zu sagen, was sie wollte. Nur so würde sich etwas ändern.
 

Von dieser erneuten Erkenntnis bestärkt, atmete Frances zur Beruhigung ihres heftig klopfenden Herzens noch einmal tief ein, ballte ihre zittrigen Hände zu Fäusten und meinte mit erhobener Stimme: „Verzeihung bitte, könntet ihr mich bitte darüber in Kenntnis setzen, um welches Thema sich eure Unterhaltung gerade dreht?“
 

Zwei überraschte Augenpaare richteten sich daraufhin unvermittelt auf sie. Der junge Mann fing plötzlich an zu lachen, wurde aber auf der Stelle von Isabella durch einen Ellenbogenstoß in die Seite ruhig gestellt.

„Verzeihung. Das hier ist Ben.“, meinte sie entschuldigend. „Er kann hervorragend mit Pistole und Degen umgehen und wäre daher ein ausgezeichneter Lehrer für dich, doch dieser elende Sturkopf sträubt sich wie ein alter Esel.“

„Allerdings.“, bestätigte Ben nachdrücklich. „Und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich genug davon habe, ständig für deinen persönlichen Rachefeldzug gegen McNally missbraucht zu werden.“

Frances schaltete schnell. „Nein, Ihr irrt Euch. Dieser Rachefeldzug, wie Ihr ihn nennt, geht nicht von Isabella, sondern von mir aus. Captain McNally hat mich mit seinem rüpelhaften Verhalten in eine äußerst prekäre Situation gebracht und deshalb...“ Sie stockte, als sie bemerkte, dass Ben sich unter großer Anstrengung das Lachen verkneifen musste.

„Darf ich erfahren, was Ihr daran so komisch findet?“, verlangte Frances verärgert zu wissen. „Nun, ich weiß nicht, wen du hier mit deiner piekfeinen Ausdrucksweise beeindrucken willst, doch ich würde dir raten, sie dir ganz schnell abzugewöhnen, wenn du außerhalb deines ach-so-gut behüteten Elternhauses überleben und nicht sofort als Adelsflittchen enttarnt werden willst.“
 

Von seiner Ehrlichkeit vor den Kopf gestoßen, errötete Frances und senkte ihren Blick. Ben schüttelte verständnislos den Kopf, als er ihre Reaktion sah.

„Und genau deswegen werde ich mich hüten, dir irgendetwas beizubringen. Das wäre vergeudete Zeit. Anstatt mir die Stirn zu bieten und deine Meinung zu vertreten, wirst du rot und schweigst. Bei McNally würde das mit Sicherheit nicht anders ablaufen...“

„Das ist nicht wahr!“, fuhr Frances ihm aufgebracht dazwischen. „Bei ihm liegt die Sache ganz anders. Ich...“

„Wenn das so ist, wünsche ich dir viel Glück. Aber auf meine Hilfe brauchst du nicht zählen.“
 

Mit diesen Worten wandte Ben sich um und ging. Isabella rief ihm noch auf Spanisch etwas nach, doch darauf reagierte er nicht mehr.

„Männer!“, wütete sie. „Sie sind doch alle gleich! Aber wir werden das auch irgendwie ohne ihn...“

„Nein.“, unterbrach Frances sie nachdenklich. „Er... Er hat Recht. Ich habe nie gelernt, mich durchzusetzen. Daran... muss ich arbeiten. Ich werde ihm beweisen, dass es keine Zeitverschwendung ist, mir etwas beizubringen.“

Ein Lächeln formte sich auf Isabellas schönen Lippen. „Wenn das so ist, werde ich dir natürlich dabei helfen...“
 

****
 

Während Frances später am Abend neben Isabella in deren Hütte lag und den gleichmäßigen Atemzügen ihrer schlafenden Gefährtin lauschte, dachte sie über all die Dinge nach, die ihr seit ihrer Flucht vor ihrem Vater geschehen waren. Im Vergleich zu ihrem bisherigen Leben war all das so aufregend und anders, dass sie bereute, diesen Schritt nicht schon eher gewagt zu haben. Natürlich war ihr bewusst, wie gefährlich ihr neues Leben war, doch durch Isabella fühlte sie sich nun ein kleines Stück sicherer. Diese junge Spanierin wirkte so resolut und clever, dass Frances sicher war, in Zukunft noch viel von ihr lernen zu können. Dass sie trotzdem stets auf der Hut sein musste, hatte sie mittlerweile dank den anfangs so vertrauenswürdig scheinenden Herren Kingsley und McNally allerdings gelernt.
 

Beim Gedanken an diese beiden Männer kam ihr plötzlich Ben wieder in den Sinn. Sie konnte nicht verleugnen, dass er ihr gefiel und dass ihr auf gewisse Weise auch wichtig war, was er von ihr dachte. Sie wollte ihm – und auch allen anderen, die an ihr zweifelten – beweisen, dass sie nicht das verwöhnte, reiche Mädchen ohne eigenen Willen war, für das sie offensichtlich gehalten wurde. Aus diesem Grund fasste sie nach zwei unruhigen Tagen mit Isabellas Hilfe schließlich auch den Entschluss, ihm ihre Beharrlichkeit und Ausdauer zu demonstrieren. Dazu suchte sie ihn in der folgenden Zeit in jeder freien Minute auf, um ihn davon zu überzeugen, sich ihrer anzunehmen.
 

Anfangs versuchte Ben noch, sie abzuwimmeln und davonzujagen, doch als diese Maßnahmen keine Wirkung zeigten, ging er dazu über, Frances schlicht und ergreifend zu ignorieren. Sie kam sich albern und töricht vor, wenn sie in seinem Beisein lange Monologe über alles führte, was ihr gerade einfiel, doch sie konnte nicht einfach damit aufhören, wenn sie ihn ernsthaft von ihrer Hartnäckigkeit überzeugen wollte.
 

Isabella machte ihr dabei immer wieder Mut und entpuppte sich als verlässliche Unterstützung. Sie half Frances dabei, sich eine der leer stehenden Hütten im Dorf einzurichten und zeigte ihr alles, was sie brauchte, um sich auf der recht überschaubaren Insel zurechtzufinden und sich einzuleben. Frances erfuhr dabei, dass dieser Ort als Versteck und Zwischenlager für Ausreißer und Leute diente, die eine Pause von der Welt brauchten oder schlicht und einfach nicht gefunden werden wollten. Fragen wurden keine gestellt. Zudem blieb selten jemand länger als ein paar Wochen. Isabella und Ben waren die einzigen, die ständig im Dorf lebten.
 

Durch all diese neuen Eindrücke bemerkte Frances kaum, wie schnell die Zeit verging. Im Handumdrehen waren zwei Wochen vergangen. Mit Ben hatte sie zu ihrem Bedauern keine Fortschritte machen können, doch dafür hatte sie sich schnell an das einfache Leben im Dorf gewöhnt und hatte bereits einen relativ geregelten Tagesablauf. Nach dem Frühstück holte sie jeden Tag gemeinsam mit Isabella frisches Wasser aus der dorfnahen Quelle und machte sich anschließend auf den Weg zu ihrem täglichen Besuch bei Ben. Mittlerweile hatte sie über ihn erfahren, dass sein vollständiger Name Benjamin Carlisle war und dass er ursprünglich aus Brighton in Südengland stammte. Sie mochte seinen Dialekt, auch wenn es äußerst selten war, dass sie ihn zu hören bekam, da er es ja bevorzugte, sie weitestgehend zu ignorieren.
 

Als Frances wie jeden Tag auf seine Hütte zuging, konnte sie schon von Weitem sehen, dass er anscheinend auf sie wartete. Er saß auf einer kleinen Holzbank neben der Tür und beobachtete, wie sein neuerlicher Schatten näher kam. Kaum war sie in Hörweite sprach er endlich – wenn auch reichlich grimmig – die Worte, auf die Frances kaum noch zu hoffen gewagt hatte: „Du hast gewonnen. Ich werde dich unterrichten.“

Lebenserfahrung II

Anm.: Ich möchte hier kurz erwähnen, dass ich die bisherigen Kapitel ein bisschen überarbeitet habe. Es sind keine besonders großen Veränderungen - ich habe nur ein paar Formulierungen verbessert und hier und da ein paar Details hinzugefügt. Noch mal lesen ist also nicht zwingend notwendig, wenn ihr nicht wollt.

An dieser Stelle auch mal ein ganz, ganz großes Dankeschön für die lieben Kommentare von euch. Ich freue mich sehr, wenn die Geschichte gut ankommt und euch gefällt.
 


 

„Also. Was genau soll ich dir beibringen?“, wollte Benjamin wissen und ließ sich lässig auf den Stamm einer umgestürzten Palme fallen. Er war mit Frances etwas tiefer in den Wald hinein zu einer kleinen Lichtung gegangen, die er ihr als seinen Übungsplatz vorstellte.
 

„Alles!“, erwiderte Frances voll enthusiastischer Begeisterung, auch wenn sie bemerkt hatte, dass Ben noch immer skeptisch klang. „Bringt mir bitte alles bei, was ich brauche, um es Ian McNally angemessen heimzuzahlen!“
 

„Und mit `heimzahlen´ meinst du `töten´?“
 

„Wa...? Um Himmels Willen, nein!“, antwortete Frances entsetzt. Ben konnte anhand ihrer Reaktion deutlich sehen, dass ihr diese Option offensichtlich tatsächlich noch nicht in den Sinn gekommen war.

„Nein, ich will...“ Sie legte eine kurze Denkpause ein. „Ich will ihn in eine ebenso erniedrige Lage bringen, wie die, in die er mich gebracht hat. `Auge um Auge´ heißt es doch, nicht wahr?“
 

„Ich verstehe.“, meinte Ben und nickte nachdenklich. „Bloß lass dir gesagt sein, dass es alles andere als einfach ist, Ian McNally hereinzulegen. Wobei ich allerdings sagen muss, dass du durchaus erfolgversprechende Voraussetzungen besitzt...“ Als er Frances’ fragenden Blick sah, fügte er hinzu: „Dein hübsches Gesicht und die da...“ Er deutete auf ihre Brüste. „... werden dir von großem Nutzen sein. Ian hatte schon immer eine Schwäche für schöne Frauen. Das musst du nur geschickt einzusetzen wissen...“
 

Frances errötete heftig bei Bens Worten. So offen auf ihren Busen angesprochen zu werden, hatte für sie beinahe schon etwas Skandalöses an sich. Sie zwang sich allerdings, ihre Scham herunterzuschlucken, da sie sah, wie Ben sich ob ihrer Reaktion ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
 

„Wie du deine Gott gegebenen `weiblichen Waffen´ am besten einsetzt, solltest du dir allerdings lieber von Isabella erklären lassen.“, riet er ihr augenzwinkernd. „Ich bleibe bei Pistole und Degen.“
 

Frances nickte und schaffte es nur unter größter mentaler Anstrengung, ihren Blick nicht zu senken. Sie hatte mittlerweile begriffen, wie unterwürfig diese Geste wirken konnte, also musste sie daran arbeiten, sie sich abzugewöhnen.
 

„Also, lass uns anfangen!“, verkündete Ben schließlich nun doch voller Tatendrang und stand auf. „Ich nehme nicht an, dass du in deinem Leben bisher viel schwere Arbeit verrichten musstest, von daher fehlen dir Kraft und Ausdauer. Du brauchst jedoch beides, denn selbst mit der besten Technik kommst du nicht weit, wenn dir die Kraft zum Schlagen fehlt.“

Das leuchtete Frances ein, also nickte sie.

„Ich erwarte von dir jederzeit volle Einsatzbereitschaft.“, fuhr Ben mit strengem Tonfall fort. „Ich will, dass du ausnahmslos alle meine Anweisungen ohne Klagen befolgst und tust, was ich dir sage. Ich werde streng sein, doch geschieht alles im Sinne des Unterrichts und zu deinem Besten. Ich setze mein Vertrauen in dich, also enttäusch mich bitte nicht.“
 

Bens rigorose Worte ließen Frances’ Selbstvertrauen plötzlich schrumpfen. Sie war sich mit einem Mal gar nicht mehr so sicher, ob sie seinen hohen Anforderungen gewachsen sein würde. Ben schien ihr ihre Zweifel anzusehen, denn er meinte: „Du hast mir mit deiner Hartnäckigkeit in den letzten zwei Wochen gezeigt, dass du mehr Willenskraft und Entschlossenheit besitzt, als ich dir zugetraut hätte. Behalte dein Ziel immer vor Augen und du wirst die nötige Disziplin von ganz allein aufbringen.“
 

Frances lächelte ihn etwas verhalten an, da sie ihm dankbar für seine aufmunternd gemeinten Worte war. Ihre Selbstsicherheit blieb nichtsdestotrotz vorerst etwas angekratzt.
 

Ben begann den Unterricht schließlich damit, Frances’ Ausdauer und Kraft zu verbessern. Dazu ließ er sie am Tag mehrmals hintereinander volle Wassereimer von der Quelle zum Dorf und wieder zurück tragen. Jeden dritten Tag erhöhte er dabei die Wassermenge im Eimer und jeden sechsten Tag die Anzahl der Wege. Ebenso machte er es mit der Ausdauerübung. Frances musste mehrere Runden um das Dorf laufen. Die Runden wurden mit jedem sechsten Tag erweitert, sodass sie schließlich nach einigen Wochen um die gesamte Insel herumlief.
 

Parallel zu diesen Übungen, die Ben als `Aufwärmung´ bezeichnete, brachte er Frances bei, mit Degen, Messer und Pistole umzugehen. Zu seiner Überraschung erwies sie sich dabei als eifrige Schülerin, die es verstand, Handgriffe und Bewegungen, die ihr nur wenige Male gezeigt wurden, schnell und angemessen nachzuahmen. Frances brachte dafür all ihre körperliche und mentale Kraft auf. Bens Unterricht war um Einiges härter und anstrengender als sie angenommen hatte und so stand sie oft genug kurz davor, vor Erschöpfung und Entkräftung alles hinzuwerfen. Am Ende schaffte sie es allerdings doch immer wieder, sich zu motivieren und durchzuhalten. Vor allem als nach einigen Tagen schließlich die ersten Erfolge begannen, sich abzuzeichnen, fiel es ihr etwas leichter, ihren zehrenden Muskelkater, ihre Schlappheit und ihre Müdigkeit zu ignorieren und sie als nötiges und vorübergehendes Übel zu akzeptieren.
 

Von ihrer unerwarteten Zähigkeit und ihrem Durchhaltevermögen beeindruckt, begann der anfangs noch verschlossene Benjamin schließlich langsam aufzutauen und Frances näher an sich heranzulassen. Er redete mehr und begann, von sich zu erzählen. So erfuhr Frances auch, dass er für einige Zeit in der Royal Navy gedient, nach verschiedenen Zwistigkeiten mit Vorgesetzten und Kameraden dann allerdings unehrenhaft seinen Dienst quittiert hatte. Um sich anschließend durchzuschlagen, hatte er auf verschiedenen zwielichtigen Schiffen anheuern müssen und war dabei auch McNally begegnet. Die zwei jungen Männer verstanden sich recht gut, doch als Ian das Schiff wechselte, verloren sie sich aus den Augen. Erst als Ben einige Monate später auf der Insel landete und Isabella kennenlernte, hörte er wieder von ihm und erfuhr, dass er mittlerweile Pirat und Kapitän eines eigenen Schiffes geworden war.

Als Frances sich danach erkundigte, woher Isabella Ian denn kannte, lachte Ben nur laut auf und erklärte ihr, dass sie Isabella zu diesem Thema besser selbst befragen sollte, da er sich in diese Angelegenheit nur ungern einmischen wollte. Dieses Vorhaben vergaß sie allerdings immer wieder, da ihre Gedanken zunehmend ihren Fokus verloren und immer wieder zu Benjamin abdrifteten.
 

Anfangs fiel es ihr nicht einmal richtig auf, doch sie ertappte sich bald immer öfter dabei, wie sie ihm verstohlene Blicke zuwarf und wie ihr Herz höher schlug, wenn er sie anlächelte oder sie lobte. Sie nahm seine Berührungen immer bewusster wahr und konnte sich dabei kaum noch auf das konzentrieren, was er sagte. Wenn er hinter ihr stand und ihre Arme mit seinen Händen führte, um ihr zu demonstrieren, wie sie den Degen richtig halten musste, war er ihr oft so nahe, dass sie seinen festen Oberkörper an ihrem Rücken und seinen warmen Atem an ihrem Ohr spüren konnte, wenn er sprach. Je klarer sie all das wahrnahm, desto unruhiger wurde sie. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, wenn sie ihn nur sah, ihre Knie wurden zu Butter, wenn er sie berührte.
 

Als die Tage verstrichen, die Wochen zu Monaten wurden, fragte Frances sich immer öfter, was Ben von ihr dachte und ob er ihre Nähe ebenso sehr schätzte wie sie die seine. Sie versuchte, anhand seines Verhaltens Antworten auf ihre Fragen zu finden, doch es gelang ihr nicht. Wenn sie nicht gerade unaufmerksam oder unkonzentriert war, war Ben stets – wenn auch auf etwas distanzierte Weise – freundlich zu ihr. Zu Isabella war er ruppiger, doch hatte Frances das Gefühl, dass die beiden sich nichtsdestotrotz viel näher standen, als sie zugaben. Sie beneidete ihre Freundin um dieses gute Verhältnis, traute sich allerdings nicht, einen der beiden darauf anzusprechen. Stattdessen brütete sie weiter über ihren Gefühlen und wusste nicht, was sie mit ihnen anfangen sollte. Sie war vollkommen unerfahren in diesen Dingen und es fiel ihr schwer, in dieser Situation zu entscheiden, was das Richtige war.
 

Nachdem Frances und Ben eines späten Abends am Strand im Schein eines großen Lagerfeuers eine ihrer Degenübungen beendet hatten, setzten sie sich gemeinsam in den weichen, bereits von der nächtlichen Meeresluft abgekühlten Sand. Beide schwiegen für eine Weile, starrten auf die samtblaue See hinaus und lauschten dem leisen Rauschen der Wellen, die sich am Strand brachen.
 

Frances fühlte sich in Bens Nähe unendlich wohl. Sie fragte sich, ob dies wohl der geeignete Augenblick war, ihm von ihren Gefühlen zu erzählen, doch noch bevor sie sich darüber im Klaren war, ergriff Ben auch schon das Wort.
 

„Kann ich dich etwas fragen?“, wollte er wissen und drehte seinen Kopf soweit zu ihr herum, dass sein Blick mühelos auf ihrem Gesicht ruhen konnte. Vor plötzlicher Aufregung brachte sie als Antwort nur ein kurzes Nicken zustande.

„Wieso willst du dich so unbedingt an Ian rächen?“
 

Frances überraschte diese Frage und sie verstand nicht genau, worauf Ben hinauswollte, denn er wusste schließlich, was McNally ihr angetan hatte.
 

„Ich meine, ich kenne den Auslöser.“, fügte er hinzu, als ob er ahnte, was sie dachte. „Aber ich würde gern wissen, warum du dich ausgerechnet an ihm so festgebissen hast. Dieser Kapitän des Schiffes, auf dem du vorher gewesen bist – Kingsley war sein Name, richtig? – hat sich dir gegenüber schließlich ebenso schändlich verhalten. Dennoch willst du nur an McNally Rache nehmen – Warum?“
 

Frances spürte, wie sein Blick ruhig und wartend auf ihr lag, auch wenn sie seine Gesichtszüge nur erahnen konnte, da das Lagerfeuer nur wenige Schritte hinter ihm brannte und sein Gesicht dadurch im dunklen Halbschatten lag.
 

„Ich... Ich habe darüber bisher ehrlich gesagt noch gar nicht nachgedacht...“, setzte sie nach ein paar Augenblicken vorsichtig zu einer Antwort an. Nachdenklich zog sie die Beine an ihren Körper, schlang ihre Arme darum und richtete ihren Blick in den sternenbesetzten Nachthimmel. „In jener Nacht fühlte ich mich von McNally so gedemütigt, dass alles andere in den Hintergrund trat. Selbst Kingsleys scheußliche Absichten verblassten dagegen...“ Sie legte eine kurze Pause ein. „Wenn ich so darüber nachdenke... Vielleicht will ich es McNally heimzahlen stellvertretend für alle Männer, die mich in meinem Leben schlecht behandelt haben. Ich glaube, wenn ich das geschafft habe, kann ich ohne Ballast aus der Vergangenheit endlich nach vorn blicken...“
 

Stille trat zwischen sie. Nur das Rauschen der Wellen und das Knacken des Lagerfeuers waren zu hören.
 

„Ich verstehe.“, gab Ben schließlich nach einer Weile zurück. „Dann ist es wohl an der Zeit, dass du dich auf den Weg machst. Mit der heutigen Übung hast du mir erneut gezeigt, dass du jetzt in der Lage bist, dich in einem Kampf angemessen zu verteidigen. Isabella und ich haben dir alles gezeigt, was wir können, um dich zu unterstützen und vorzubereiten. Der Rest liegt bei dir.“
 

Frances nickte still, da sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte. Sie fühlte sich entgegen ihrer Erwartung ganz ruhig. Lag es an der friedlichen Atmosphäre oder an dem warmen, vertrauensvollen Blick, den Benjamin ihr schenkte?
 

„Wirst du zurückkommen, wenn du Erfolg hattest?“, fragte Ben ganz unvermittelt, während er seinen Blick von ihr abwendete und ihn Richtung Meer lenkte.

Darüber hatte Frances noch nicht nachgedacht, doch erschien es ihr als einzig logische Option.

„Ganz sicher!“, antwortete sie also enthusiastisch und hatte plötzlich das Verlangen, Ben ihre Gefühle zu beichten. „Ben, ich möchte dir etwas sagen. Ich...“ Doch er legte ihr sanft die Hand über den Mund, bevor sie weitersprechen konnte.

„Was immer du auch sagen willst... Sag es erst, wenn du wieder da bist.“, meinte er leise und schenkte ihr ein Lächeln, das ihr fast das Herz aus der Brust springen ließ. Sie nickte zögerlich und ließ sich von ihm an seine Seite ziehen. Mit klopfendem Herzen legte sie ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Sein Duft, seine Wärme und sein Arm, der so liebevoll und beschützend um ihre Schultern gelegt war, waren in diesem Moment, das Einzige, was für sie zählte.

Freudenmädchen

Das Lokal war voll, laut und verraucht. Wo man auch hinschaute, sah man trinkende oder betrunkene Männer, die sangen, sich gegenseitig lautstark mit ihren Heldengeschichten zu überbieten versuchten oder dabei waren, mit einem der anwesenden Freudenmädchen ins Geschäft zu kommen.
 

Ian McNally saß in einer etwas abgeschiedeneren Ecke und beobachtete abwesend das bunte Treiben. Er war vor wenigen Stunden erst mit seiner Mannschaft von einer langen, anstrengenden Reise zurückgekehrt, die noch nicht einmal von Erfolg gekrönt gewesen war. Als Entschädigung hatte er seinen Männern den Abend zur ihrer freien Verfügung gestellt und sie nutzten diese Zeit auch in vollen Zügen. Er selbst war allerdings nicht in besonders ausgelassener Stimmung – nicht einmal der sonst so von ihm geliebte Rum wollte ihm recht schmecken.
 

Nachdem er sich das laute Durcheinander in dem Gasthaus noch ein paar Minuten angeschaut hatte, leerte er seinen noch halbvollen Krug in einem Zug und beschloss, zu seinem Schiff zurückzukehren und sich seinen wohlverdienten Schlaf zu holen. Er war gerade aufgestanden und wollte sich auf den Weg zum Ausgang machen, als er von jemandem von der Seite angerempelt wurde. Dieser jemand war – wie er feststellte – eine junge Frau, die ihm den Rücken zuwandte. Ihre langen dunkelblonden Locken flogen kokett durch die Luft, als sie sich schwungvoll zu ihm umdrehte.

„Verzeiht bitte.“, meinte sie mit süßlicher Stimme, während sie ihn mit ihren hellbraunen Augen musterte und sich spielerisch eine ihrer Locken um den Finger wickelte. „Wollt Ihr etwa schon gehen?“

Sein Blick wanderte einmal an ihr herauf und wieder hinab. Ihre Art und ihre durch ein zu eng geschnürtes Korsett herausfordernd betonten Brüste ließen keinen Zweifel daran, welchem Gewerbe sie angehörte.

„Schon. Allerdings wäre es mir eine Ehre, wenn Ihr mich begleiten würdet.“, entgegnete er mit einer angedeuteten Verbeugung und einem eindeutigen Grinsen, denn er fühlte sich plötzlich ganz und gar nicht mehr erschöpft. Das hübsche Gesicht und der mit ansehnlichen Kurven ausgestattete Körper des Mädchens weckten seine Lebensgeister und vor allem die Lust auf die Wärme einer Frau. Als sie sich mit einem gespielt verschämten Blick einverstanden zeigte, nahm er sie bei der Hand und bahnte sich für sie beide einen Weg durch die johlende Menge.
 

Kaum hatte er ihr den Rücken zugedreht, schnappte Frances nach Luft. Sie konnte nicht glauben, dass McNally tatsächlich auf diese billige Masche hereingefallen war. Wenn Ben ihr erzählt hatte, wie einfach Ian von hübschen Frauen zu beeinflussen war, hatte sie immer geglaubt, er würde übertreiben, doch offensichtlich entsprachen seine Geschichten der Wahrheit. Theoretisch erleichterte das ihren Plan zwar, doch die Schauspielerei fiel ihr dennoch alles andere als leicht. Zudem war es für sie eine mentale Meisterleistung, ihrer Empörung darüber keinen Ausdruck zu verleihen, dass McNally sich nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnerte. Ben hatte ihr das zwar prophezeit und sie dadurch erst auf die Idee für ihren Plan, doch es ärgerte sie trotzdem, dass sie offensichtlich so wenig Eindruck hinterlassen hatte.
 

Allerdings hatte sie im Moment andere und vor allem größere Probleme, auf die sie sich konzentrieren musste. Sie durfte auf keinen Fall aus ihrer Rolle als leichtes Mädchen herausfallen. Und auch wenn ihr Isabella oft genug erklärt und gezeigt hatte, wie sich Dirnen für gewöhnlich benahmen, fiel es ihr schwer, sich daran zu halten. Vor allem die offenherzige Kleidung und das übertriebene Makeup widersprachen ihrem Sinn für Anstand und Schönheit. Da dies allerdings der einfachste Weg war, um an McNally heranzukommen, arrangierte sie sich widerwillig damit.
 

Nachdem sie das Gasthaus schließlich verlassen hatten und im Freien standen, sog Frances die im Gegensatz zum stickig-warmen Lokal angenehm frische Nachtluft ein. Es war schon weit nach Mitternacht und die Straßen des kleinen Ortes an der Nordküste Dominicas waren wie leer gefegt. Außer dem gedämpften Lärm, der aus dem Gasthaus drang, herrschte Stille.

„Die Luft hier draußen ist doch viel angenehmer als...“, meinte Frances, weiter kam sie allerdings nicht. Ian hatte sie an den Schultern genommen und gegen die efeubewachsene Mauer des Wirtshauses gedrückt. Noch bevor sie protestieren konnte, spürte sie auch schon seinen Mund auf ihrem. Er verschwendete keine Zeit und schob mit sanftem Druck seiner Zunge ihre Lippen auseinander. Frances unterdrückte mühevoll ihren ersten Impuls der Gegenwehr und erwiderte widerstrebend den ungestümen Kuss. Allerdings leerte sich ihr Kopf plötzlich mit jeder Sekunde mehr und sie begann unwillkürlich zu mögen, was Ian tat. Trotz seiner stürmischen und ungeduldigen Art lag doch eine gewisse Zärtlichkeit in seinen Berührungen. Als Ian allerdings nach ihren Brüsten griff, keuchte sie erschrocken auf und legte ihm abwehrend die Hände auf die Brust.
 

„Du bist noch nicht lange in diesem Geschäft, nicht wahr?“, erkundigte er sich mit einem vielsagenden Blick und einem leisen Lächeln auf den Lippen. Wortlos stimmte sie mit einem schnellen Nicken zu, da ihr keine bessere Antwort einfiel. Sie hatte allerdings auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn so schnell waren seine Hände auch schon wieder um ihre Hüften und seine Lippen an ihrem Hals. Er drängte sie fest mit seinem Körper gegen die Wand und begann, sich an den Schnüren ihres Korsetts zu schaffen zu machen. Da das allerdings ihrem Plan zuwiderlief, stoppte sie ihn.
 

„Ihr seid so ungeduldig. Wollen wir nicht lieber irgendwo hingehen, wo wir ungestörter sind?“, fragte sie ihn und setzte einen möglichst verführerischen Blick auf. „Ich hörte, dass Ihr Captain eines eigenen Schiffes seid... Das finde ich ungeheuer aufregend.“, erklärte sie und ließ dabei langsam ihre Hände von seinem Hals über sein Schlüsselbein hinab zu seiner Brust wandern. Dass sein Hemd beinahe bis zum Bauch aufgeknöpft war, erleichterte ihr den Weg.
 

Ian hielt inne, musterte sie und schien kurz nachzudenken, erklärte sich dann jedoch zu Frances‘ Erleichterung mit ihrem Vorschlag einverstanden. Er nahm erneut ihre Hand und machte sich großen Schrittes auf den Weg zum Schiff. Frances konnte mit seinem Tempo kaum mithalten, so eilig schien er es zu haben. Zudem lag das Gasthaus recht weit drinnen in der kleinen Stadt und der Weg zum Hafen war dementsprechend lang. Nach beinahe zehnminütigem Fußmarsch über unebenen Pflasterstein endlich angekommen, hatte Frances Seitenstechen und stemmte sich die Arme in die Hüften, um besser Luft zu bekommen.
 

„Das ist meine `Crying Mary´.“, hörte sie plötzlich Ian ganz dicht neben ihrem Ohr flüstern. Sein unerwartet heißer Atem schickte einen prickelnden Schauer ihren Rücken herunter, während er seine Arme von hinten um ihre Mitte und seinen Kopf auf ihre Schulter legte. Frances wäre beinahe ein `Ich weiß.´ entwichen, doch sie konnte sich im letzten Moment noch auf die Zunge beißen. Während Ian sich damit beschäftigte, ihren Nacken zu küssen, ärgerte Frances sich darüber, dass das Schiff direkt im Hafen angelegt hatte und nicht ein wenig weiter weg vom Land vor Anker gegangen war. Auf diese Weise war die Gefahr größer, erwischt zu werden. Doch nun war es ohnehin zu spät. Sie war schon viel zu weit gekommen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen.
 

„Kommt.“, meinte sie also mit einem verspielten Lächeln, befreite sich aus Ians Umarmung und nahm ihn mit beiden Händen am Handgelenk, um ihn über eine Planke vom Bootssteg hinauf an Bord zu ziehen. Um Ian zu schmeicheln und ihn noch ein wenig williger zu machen, tat sie an Deck so, als bewundere sie das große Schiff und wäre tief beeindruckt von dessen Mächtigkeit. Ihre Lobpreisungen zeigten denn auch umgehend Wirkung, denn Ian ließ sich nicht lange bitten und zog sie mit sich in seine Kajüte. Der Raum sah noch genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Nur ein paar mehr zusammengerollte Karten und Pläne schienen überall herumzuliegen. Allerdings kam Frances nicht dazu, sich ausgiebiger umzusehen, denn bevor sie es sich versah, hatte Ian sie auch schon an den Hüften gepackt und auf den schweren, runden Schreibtisch in der Mitte der Kajüte gehievt. Sie jauchzte überrascht auf, fing sich jedoch sofort wieder und legte ihrem vermeintlichen Freier einladend die Arme um den Hals.
 

„Ist Euch dieser Ort nun ungestört genug?“, erkundigte er sich und zog sie ein Stück näher an sich heran, sodass ihre Nasenspitzen sich berührten. Sie widerstand dem Impuls, ihn von sich zu stoßen und schenkte ihm als Antwort lediglich ein vielsagendes Lächeln. Ausgehend von seinem bisherigen Verhalten, hatte sie angenommen, dass er sich sofort wieder über sie hermachen würde, doch stattdessen blieb er ruhig stehen und schaute ihr unverwandt in die Augen. Ihren Körper hielt er dabei sanft an seinen gedrückt und streichelte mit seinen Fingerspitzen über ihren Rücken.
 

Je länger sie so dastanden, desto unangenehmer wurde es für Frances. Die Art, wie er sie berührte und wie seine dunklen Augen sich an ihre geheftet hatten, wühlte sie innerlich auf. Sie wollte weg von ihm und gleichzeitig noch fester in den Arm genommen werden. Diese Art von körperlicher Nähe war ihr fremd und sowohl ihr Körper als auch ihr Verstand wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten. Als Ian dann auch noch mit unerwarteter Zärtlichkeit begann, sie erneut zu küssen, fühlte sie sich vollends überfordert. Sie hatte schließlich nach wie vor keine praktische Erfahrung in diesen Dingen. Durch Isabella war sie zwar nicht mehr ganz so ahnungslos wie zuvor, doch solche Berührungen und verworrenen Emotionen am eigenen Leib zu erfahren, war doch noch einmal etwas vollkommen anderes, als nur Geschichten darüber zu hören.
 

Beinahe wie von selbst begann sie, den langsamen, gefühlvollen Kuss zu erwidern – um Ian keinen Verdacht schöpfen zu lassen, redete sie sich ein. Ihr heftig pochendes Herz und ihr leichtes Zittern entgingen ihm dabei jedoch nicht.
 

„Nicht so aufgeregt.“, wisperte er. „Ich werde dafür sorgen, dass es uns beiden gefällt...“ Damit entledigte er sich seines Hemdes und stand nun mit bloßem Oberkörper vor ihr. Er machte einen Schritt auf sie zu, legte seine Hände auf ihre Knie und schob sie auseinander, indem er mit den Fingern ihre Oberschenkel hinaufglitt. Der Rock, den sie trug, war durch seine vielen Lagen zu dick, als dass er ihre Haut hätte berühren können, doch nichtsdestotrotz brannte sie, als ob sie nackt gewesen wäre. Als er sich über sie beugte, um sie erneut zu küssen, legte sie ihre Arme um seine Mitte.
 

Im nächsten Moment hielt er ruckartig inne, schaute überrascht an sich herab und ihr dann ins Gesicht.
 

„Noch eine Bewegung und Ihr könnt Euch von Eurer Männlichkeit verabschieden...“, zischte Frances und übte zur Verdeutlichung ihrer Worte mit dem gerade von ihm gestohlenen Dolch etwas Druck auf seinen Schritt aus. Ian keuchte daraufhin erschrocken auf und wich zurück.
 

Noch immer mit rasendem Herzen fühlte Frances sich gleich etwas besser, als sich der Abstand zwischen ihr und ihm wieder vergrößerte. „Ich rate Euch, ruhig zu bleiben.“, warnte sie ihn und griff an seinen Gürtel, um ihm seine Pistole abzunehmen und sie gleich darauf auf ihn zu richten.
 

„Es wäre auch zu schön gewesen, wenn der heutige Abend keine bösen Überraschungen bereitgehalten hätte...“, stellte Ian fest und hob die Hände als Zeichen dafür, dass er keinen Widerstand leistete.

„Das habt Ihr allein Euch selbst zu verdanken.“, feuerte Frances zurück, während sie die schweren Eisenhandschellen holte, die an einer der Kajütenwände an einem Nagel hingen, und ihn anschließend damit ankettete. Außerdem band sie ihn mit einem groben Seil, das sie ebenfalls in der Kajüte fand, auf einem Stuhl fest. „Ihr solltet Euch das nächste Mal besser zweimal überlegen, wie ihr mit jungen Frauen umspringt.“

Als sie seinen fragenden Gesichtsausdruck sah, kochte Wut in ihr hoch.

„Ich kann es nicht glauben, dass Ihr mich tatsächlich vergessen habt! Ist es für Euch denn so normal, Frauen auf offener See über Bord zu werfen?!“, schimpfte sie und gestikulierte wild mit der Pistole umher.

Ian schien ein paar Augenblicke intensiv nachzudenken, während er sie von oben bis unten musterte.

„Ve... Fe... Ah! `Frances´, habe ich Recht?!“, rief er und sah aus, als ob er gerade ein äußerst schwieriges Rätsel gelöst hätte.

„Diese Erkenntnis kommt nun allerdings etwas zu spät.“, konterte sie schnippisch.

„Ich habe es doch gewusst.“, konstatierte er, ohne auf ihre Bemerkung zu achten. „Ich habe gewusst, dass aus dir mehr herauszuholen ist. Isabella hat in der Tat hervorragende Arbeit geleistet.“

Verärgert über diese Aussage entgegnete sie: „Denkt bloß nicht, dass Ihr die Macht hättet, meinen Charakter zu verändern! Ich habe Euch damals schon gesagt, dass Ihr Euer Verhalten bereuen werdet. Es ist Eure eigene Schuld, wenn Ihr meinen Worten keinen Glauben geschenkt und mich nicht ernst genommen habt.“

Er wollte gerade etwas erwidern, doch sie unterbrach ihn: „Doch das liegt nun in der Vergangenheit. Mir stellt sich im Moment eher die Frage, was ich nun mit Euch anstellen soll...“ Ihre Überlegenheit auskostend lief sie langsam um ihn herum.

„Nun, du könntest mir die Eisen wieder abnehmen und wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben, als du dich als rachesuchende Furie entpuppt hast. Du kannst mich dabei natürlich auch angebunden lassen. Das überlasse ich ganz deinen Vorlieben.“, entgegnete er frech, woraufhin er sich jedoch nur eine schallende Ohrfeige einhandelte.

„Wagt es nicht, in solch einem respektlosen Ton mit mir zu sprechen. Ich werde mich von Euch nicht noch einmal so verwerflich behandeln lassen. Es hat über acht Monate gedauert, Euch wieder gegenüber zu treten und Ihr könnt mir glauben, dass sich in dieser Zeit genug Unmut in mir angestaut hat...“
 

Er begriff, dass es klüger war, daraufhin den Mund zu halten und einfach nur still dazusitzen, während Frances ihn voller Wut in den Augen musterte. Sein dunkelbraunes Haar war etwas länger als bei ihrer ersten Begegnung und es schien ihr, als ob er weniger schmal, dafür aber etwas muskulöser geworden war. Sein verschmitztes Lächeln und die auffällige Narbe, die sich von seiner linken Schläfe um sein Auge herum bis auf seine Wange zog, waren allerdings noch dieselben. Er ließ ihre forschenden Blicke stumm über sich ergehen und wartete darauf, was als nächstes kommen würde. Zu ihrer beider Überraschung war das ein lautes Klopfen an der hölzernen Kabinentür.

Auf die offene See hinaus

„Captain, seid Ihr da?!“
 

Frances fuhr herum und starrte mit aufgerissenen Augen auf die Kajütentür. Sie war sich sicher gewesen, allein mit McNally auf dem Schiff zu sein. Dass dies nun nicht der Fall war, brachte sie aus dem Konzept. Ihr Puls beschleunigte sich. Was sollte sie jetzt tun? Beinahe hilfesuchend wandte sie ihren Blick zu McNally. Er saß allerdings nur teilnahmslos da und schien gespannt darauf zu warten, was sie als nächstes tat. Ihm war anzusehen, dass die Situation ihn amüsierte.

„Wagt es nicht, ihm zu antworten!“, zischte sie und richtete erneut seine Pistole auf ihn.

„Wenn ich nicht antworte, wird Sully reinkommen und nachsehen, ob alles in Ordnung ist“, gab er unbeeindruckt zurück.

Frances knirschte verärgert mit den Zähnen. „Dann schickt ihn weg!“

Er räusperte sich kurz und rief: „Ich habe gerade Damenbesuch, Sully. Sag den Männern, sie sollen sich hinlegen, wenn sie wieder da sind. Wir werden morgen früh ablegen.“

„Aye, Captain!“, tönte es von draußen. Sich entfernende Schritte waren zu hören.
 

„Und was nun?“, erkundigte sich McNally und blickte Frances seelenruhig ins Gesicht. Dass er nicht im Geringsten beunruhigt zu sein schien, machte sie wütend und nervös zugleich. Wie konnte es ihn kalt lassen, gefesselt auf einem Stuhl zu sitzen und mit einer Pistole bedroht zu werden? Machte sie einen so ungefährlichen Eindruck auf ihn? In der Vorstellung, die sie in den letzten Monaten immer und immer wieder durchgespielt hatte, war alles ganz anders verlaufen. Dabei war sie sich sicher gewesen, charakterlich und körperlich stark genug geworden zu sein, um es mit McNally aufnehmen zu können. Wie sie sich nun eingestehen musste, war sie wohl zu blauäugig an die Sache herangegangen.
 

Als sie das leichte Lächeln bemerkte, das McNallys Mundwinkel umspielte, platzte ihr der Kragen. Sie warf in einer schnellen Bewegung die Pistole auf den Tisch, griff den Dolch und drückte ihn an Ians Kehle. Reflexartig zog er das Kinn nach oben. Sein Lächeln verschwand.
 

„Ich kann es gern noch einmal wiederholen: Hört auf, mich zu unterschätzen. Das hier ist kein Spaß“, warnte sie ihn mit bedrohlich gesenkter Stimme. Zur Verdeutlichung ihrer Worte drückte sie die flache Seite der Dolchklinge noch etwas fester gegen seinen Hals. Ihre unbändige Wut auf ihn stärkte ihr Selbstvertrauen und ihre Entschlossenheit. „Das hier wird kein gutes Ende nehmen, wenn Ihr nicht beginnt, mich ernst zu nehmen.“
 

Sie ging um ihn herum, löste das Seil, mit dem sie ihn an den Stuhl gefesselt hatte, und forderte ihn mit einem Stoß in den Rücken auf aufzustehen. McNally gehorchte ihr und ließ sich zur Tür führen. Dort angekommen, bohrte sie ihm den Lauf ihrer wieder aufgenommenen Pistole ins Rückgrat.

„Ihr werdet draußen ganz genau das tun, was ich von Euch verlange. Verstanden?“, flüsterte sie ihm drohend ins Ohr und stellte fest, dass sich davon Gänsehaut auf seinen Armen bildete. Da er jedoch einwilligend nickte, ignorierte sie es und trat vor, um die Tür zu öffnen.

Sie hatte kaum einen Schritt nach draußen getan, als sich plötzlich zwei kräftige Hände um ihre Oberarme schlossen und sie unbarmherzig festhielten. Vor Schreck und Schmerz ließ sie ihre Waffe fallen.

„Was soll das hier werden, Mädchen?“, erkundigte sich ihr Angreifer mit kalter Stimme.

„Nur eine kleine Racheaktion, Sully. Nichts weiter“, wiegelte McNally ab. „Kein Grund zur Aufregung.“

„Also seid Ihr nicht verletzt, Captain?“ Sully musterte den nackten Oberkörper seines Kapitäns. McNally schüttelte den Kopf und rieb sich den Nacken.

„Was soll ich mit ihr machen?“

„Bring sie erst einmal unter Deck. Alles weitere klären wir morgen nach dem Ablegen“, antwortete McNally, hob seine Pistole auf, drehte sich nach einem kurzen Blick auf Frances um und verschwand in seine Kabine.
 

„Du hast gehört, was der Captain gesagt hat. Komm!“, kommandierte Sully und verstärkte seinen Griff um Frances‘ Oberarme noch einmal, als sie sich in Bewegung setzten. Frances biss sich auf die Unterlippe, um ein schmerzhaftes Aufstöhnen zu unterdrücken. Sie wollte sich wehren, doch da sie sich noch allzu gut an ihre letzte Begegnung mit dem bärigen Piraten erinnern konnte, wusste sie, dass es keinen Sinn gehabt hätte. Sie ergab sich vorerst in ihr Schicksal und ließ sich in eine kleine Zelle unter Deck sperren.
 

Als Sully sie im Schein einer kleinen Ölfunzel allein gelassen hatte, sank Frances zu Boden und schlang sich die Arme um ihren Oberkörper. Sie kämpfte gegen das Zittern an, das plötzlich ihren ganzen Körper schüttelte. Sie durfte jetzt nicht aufgeben. Es musste einen Weg aus diesem Schlamassel geben – auch wenn ihr im Moment keiner einfiel. Ihr Racheplan war vorerst fehlgeschlagen, doch sie musste zugeben, dass das gerade ihr kleinstes Problem war. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was McNally mit ihr vorhatte. Er machte nach wie vor nicht den Eindruck, besonders blutrünstig zu sein, doch darauf konnte und durfte sie sich nicht verlassen. Sie musste von diesem Schiff herunter, doch wie sollte sie das anstellen? Sie war in einer eisenvergitterten Zelle im dritten Unterdeck eines Piratenschiffes eingesperrt. Es bestand keine Hoffnung darauf, dass sie unbemerkt hätte fliehen können.
 

Frances schloss die Augen und atmete tief durch. Sie musste sich beruhigen. So aufgewühlt, wie sie war, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Wenn ihr Verstand ihre Angst besiegt hatte, würde ihr einfallen, wie sie sich befreien konnte – da war sie sich sicher.
 

„Wach auf, Mädchen!“

Frances schlug die Augen auf und starrte in das Gesicht eines jungen Mannes, der sie aufmerksam musterte. Sein kurzes Haars stand vor Dreck und er trug schmutzige Lumpen, doch seine schlanke Statur und sein wacher Blick verrieten, dass er kaum älter war als sie selbst.

Sie rieb sich die Augen und realisierte, dass sie wohl eingeschlafen sein musste. Ihr Rücken knackte unangenehm als sie sich in eine aufrechte Position brachte.

„Komm raus. Ich soll dich an Deck bringen“, meinte er und sperrte die Tür ihrer Zelle auf. Sie stand auf, trat einen Schritt nach vorn und dachte kurz daran, ihn zu überfallen, doch in diesem Moment schlossen sich auch schon schwere Eisen um ihre Handgelenke.

„Anweisung vom Captain“, erklärte er kurz angebunden als er ihren verständnislosen Blick bemerkte.
 

Die Sonne strahlte ihnen entgegen, als sie an Deck traten. Unangenehm geblendet, kniff Frances die Augen zusammen.
 

Mit einem Ruck zog der Junge sie zu sich und befestigte ihre Handschellen am mittleren der drei Schiffsmäste. Frances stolperte über den Saum ihres Rockes und fiel zu Boden. Als sie ein Fluchen unterdrückend ihren Blick hob, bemerkte sie die neugierigen Blicken der Piraten, die an Deck ihrer Arbeit nachgingen. Ein unangenehmer Schauer lief ihr über den Rücken.
 

„Männer, an die Arbeit. Tut nicht so, als hättet ihr noch nie eine Frau gesehen“, wurden sie von McNally, der gerade aus seiner Kajüte trat, zur Ordnung gerufen. Sie gehorchten ihrem Captain auf der Stelle und widmeten sich wieder ihren Aufgaben.

„Eine angenehme Nacht gehabt, Miss Graham?“, wandte Ian sich an Frances und kam auf sie zu. Sie war einen Moment überrascht darüber, dass er sich noch an ihren Nachnamen erinnerte, doch diesen Gedanken schob sie schnell beiseite.

„Ich habe schon besser genächtigt“, gab sie betont überheblich zurück.

Er hockte sich vor sie und grinste. „Hättest du mein Angebot angenommen, hättest du eine sehr erfüllte Nacht in meinem Bett verbringen können.“

Frances errötete unwillkürlich und wandte sich ärgerlich von ihm ab. Dabei fiel ihr Blick aufs Meer und sie musste voller Entsetzen feststellen, dass sie sich nicht nur nicht mehr im Hafen befanden, sondern dass Dominica nur noch ein kleiner Fleck am Horizont war.

„Wir haben abgelegt?“, rief sie haltlos aus.

„Natürlich. Wir haben nur einen kleinen Zwischenstopp eingelegt, um unsere Vorräte aufzufüllen und unsere menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen“, entgegnete er und griff nach einer ihrer Locken, um sie sich um den Finger zu wickeln.

„Lasst das!“, fuhr sie ihn an und schlug impulsiv seine Hand weg. „Was habt Ihr mit mir vor?“

„Das werde ich mir noch überlegen. Zuerst einmal werde ich dich hier aber ein Weilchen angekettet lassen, damit du darüber nachdenken kannst, was du das nächste Mal besser machen solltest, wenn du versuchst, mich hereinzulegen.“ Er zwinkerte ihr zu und stand auf. „Bring ihr etwas zu essen und mach dich dann wieder an deine Arbeit, Eric“, wandte er sich beim Gehen an den Jungen in den dreckigen Lumpen, der die ganze Zeit schweigend neben ihnen gestanden hatte. Dieser nickte kurz und verschwand unter Deck, um kurz darauf mit einem halben Laib Brot und einer Flasche Wasser wiederzukommen.
 

Doch auch wenn Frances‘ Magen unangenehm knurrte, verweigerte sie ihr Essen. Sie wollte lieber sterben, als irgendetwas anzunehmen, das McNally ihr gab. Je länger sie jedoch angekettet in der prallen Sonne saß, desto verlockender wurden Brot und Wasser. Schleppend langsam vergingen die Stunden und sie spürte, wie ihr zunehmend schwindeliger und unwohler wurde. Als ihr Hunger schließlich ihren Stolz besiegte, war es schon zu spät. Der Boden unter ihr drehte sich und Dunkelheit umfasste sie.
 

Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich auf einer kleinen Pritsche wieder. Noch etwas benommen richtete sie sich auf. Sie befand sich in einer dunklen Kammer, deren spärliche Einrichtung aus einem Tisch und einer offenen Vitrine voller Schachteln und Fläschchen bestand. Eine kleine Kerze spendete ein wenig Licht. Neben ihrer Pritsche auf einem Stuhl saß Eric. Seine vor dem Bauch verschränkten Arme, das auf der Brust ruhende Kinn und sein gleichmäßiger Atem verrieten, dass er schlief.
 

Lautlos ließ Frances sich von ihrem Lager gleiten und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Sie lugte mit pochendem Herzen hinaus und stellte fest, dass es bereits Nacht geworden war. Der leuchtende Vollmond am sternenklaren Himmel sorgte jedoch für ausreichend Licht.
 

Frances schaute sich um, versicherte sich, dass niemand an Deck war und schlüpfte durch den Türspalt. Wachsam tastete sie sich an der Wand entlang und stieg eine der beiden schweren Treppen zum Achterdeck hinauf. Von oben konnte sie sich mit einem Blick über das gesamte Schiff noch einmal versichern, dass sie wirklich allein war. Zu ihrer Überraschung war selbst hoch oben im Krähennest niemand zu sehen. Die Stille und das bläuliche Mondlicht ließen die Crying Mary wie ein Geisterschiff wirken. Frances fröstelte bei diesem Gedanken und strich sich wärmend über die Oberarme.
 

Als sie zur Reling ging, hörte sie eine nur allzu bekannte Stimme hinter sich spotten. „Unterschreib mir doch bevor du springst bitte, dass es dieses Mal deine eigene Entscheidung war. Nur für den Fall...“

Mit gemischten Gefühlen drehte sie sich um und sah McNally lässig am Steuerrad lehnen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete Frances mit einem leisen Lächeln auf den Lippen.

„Wenn ich springen sollte, werdet Ihr mich mit Sicherheit niemals wiedersehen“, entgegnete sie gleichgültig.

„Aber du wirst nicht springen, nicht wahr?“ Er stieß sich vom Steuerrad ab und kam auf sie zu.

Sie atmete tief durch. „Was wollt ihr von mir?“

„Ich genieße nur die angenehme Nachtluft an Deck meines Schiffes.“ Er stellte sich neben sie an die Reling und schaute ihr unverwandt in die Augen. Frances hielt seinem Blick stand. „Und was tust du hier, wenn du nicht vorhast zu springen?“

„Ich versuche, mir über meine derzeitige Situation klar zu werden. Sie ist leider denkbar ungünstig.“

McNally lachte leise auf. „Wie ich sehe, hast du die Zeit am Mast tatsächlich zum Nachdenken genutzt. Sehr gut.“ Er machte eine kurze Pause. „Nun ... Da ich annehme, dass du intelligent genug bist, dich nicht mit dem Captain eines vollbesetzten Piratenschiffes anzulegen, besteht kein Grund dazu, dich weiterhin einzusperren oder anzuketten. Ich erlaube dir, dich frei auf dem Schiff zu bewegen.“

Ungläubig lauschte Frances McNallys Worten. „Seid Ihr nicht etwas leichtsinnig, jemandem, der Euch vor kurzer Zeit noch hätte töten können, völlige Bewegungsfreiheit auf Eurem Schiff zu gestatten?“ Ihre Augen saugten sich an seinem Gesicht fest.

McNally kam näher, legte seinen Kopf leicht schräg und lächelte. „Wir wissen beide, dass du mich nicht getötet hättest.“

Frances schluckte und wich ein wenig zurück. Woher nahm dieser Mann nur seine unendliche Gelassenheit und Selbstsicherheit? Auch wenn sie ihn für sein Verhalten verabscheute, faszinierten diese Eigenschaften sie auf seltsame Weise.

„Du kannst weiterhin im Krankenzimmer schlafen. Schick Eric raus, wenn seine Anwesenheit dir unangenehm ist.“ Damit stieß er sich von der Reling ab und machte eine elegante Verbeugung. Mit den Worten „Gute Nacht, Milady“, nahm er ihre Hand und hauchte einen sanften Kuss darauf. Ein selbstsicheres Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich umdrehte und das Achterdeck verließ. Frances blieb mit einem unangenehmen Gefühl im Bauch und einem großen Fragezeichen im Gesicht zurück.
 

Wie McNally es versprochen hatte durfte Frances sich ab dem nächsten Tag frei auf der Crying Mary bewegen. Sie spürte zwar stets die wachsamen Blicke Sullys im Rücken, doch daran störte sie sich wenig. Sie hatte nicht vor, eine Meuterei anzuzetteln oder einen Anschlag auf McNally zu verüben. Stattdessen mied sie den Captain tunlichst. Es war ihr nicht geheuer, solche Nettigkeit von ihm zu empfangen. Er musste irgendetwas planen, da war sie sich sicher.
 

Sie versuchte unauffällig, ein paar Informationen aus Eric herauszubekommen, aber der junge Mann war nicht gerade auskunftsfreudig. Allerdings hielt das Frances nicht davon ab, sich trotzdem mit ihm zu unterhalten. Er war der Einzige an Bord des Schiffes in ihrem Alter und sie mochte seine stille und ernste Art. Er reagierte zwar selten auf die Dinge, die sie ihm erzählte, doch beschwerte er sich auch nicht darüber, dass sie ihm kaum von der Seite wich und ihm bei all seinen Arbeiten zusah. Sie hatte sogar das Gefühl, dass er manche Aufgaben extra langsam erledigte, damit sie besser sehen konnte, wie man sie ausführte.
 

Wenn sie ihre Zeit nicht gerade bei Eric verbrachte, grübelte sie über mögliche Fluchtmöglichkeiten nach. Etwas Hilfreiches mochte ihr jedoch partout nicht einfallen. Sie schöpfte Hoffnung, als sie nach drei Tagen auf See endlich Land am Horizont erblickte. Freudig erregt stand sie an der Reling und schaute zu, wie die Insel immer näher kam. Die Umrisse wurden deutlicher und bald konnte man den Hafen, die Stadt dahinter und auch ein stattliches Herrenhaus auf einer Anhöhe erkennen. Frances blieb fast das Herz stehen, als sie erkannte, dass es sich dabei um das Haus ihres Vaters handelte.

Tauschgeschäfte

Unfähig sich zu bewegen starrte Frances auf ihr Elternhaus. Ihre Hände umklammerten die Reling. Ihr Kopf war leer und gleichzeitig voller durcheinander wirbelnder Gedanken. Sie wollte zu McNally und ihn dazu bewegen, sofort umzukehren, doch ihr wurde bewusst, dass sie damit preisgegeben hätte, dass sie gewisse Geheimnisse hatte. Sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich einredete, dass sie die Insel vielleicht gar nicht ansteuerten. Vielleicht segelten sie auch einfach vorbei ohne im Hafen anzulegen. Und selbst wenn sie dort doch einen Zwischenhalt einlegten, bedeutete das noch lange nicht, dass sie mit von Bord musste. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Wenn niemand bemerkte, dass sie etwas mit diesem Ort zu tun hatte, würde schon nichts passieren.
 

Um sich abzulenken, half sie Eric dabei, ein paar Taue festzuzurren. Immer wieder huschte ihr Blick dabei unruhig zur Insel. Ihre Hoffnung auf eine problemlose Vorüberfahrt schwand, als sie feststellte, dass sie direkt auf den Hafen zusteuerten.
 

Nachdem sie an einem der Kais angelegt hatten, kam McNally auf Frances zu.
 

„Würdest du mir die Ehre erweisen, mich an Land zu begleiten? Wir haben ein wichtiges Geschäft abzuschließen und es würde mich freuen, wenn du uns dort mit deiner Anwesenheit beehren würdest.“
 

Frances musterte den Captain misstrauisch. „Ich weiß nicht, welch großes Geschäft Ihr auf dieser winzigen Fischerinsel abzuschließen erhofft, aber ich würde lieber an Bord bleiben, Captain McNally“, antwortete sie mit betont förmlicher Gleichgültigkeit.
 

„Du bist ganz blass. Nach so vielen Tagen auf See brauchst du einen Landgang. Gib dir einen Ruck und begleite mich“, beharrte er und hielt ihr galant seinen Arm hin. Frances wollte erneut ablehnen, doch als plötzlich Sully hinter McNally auftauchte und ihr einen drohenden Blick zuwarf, hakte sie sich widerwillig ein.
 

Als sie von Bord und die Hafenpromenade entlanggingen, hielt sie ihren Blick gesenkt und hoffte inständig, dass niemand sie erkannte. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade tat. Sie wollte zurück auf die Crying Mary und möglichst schnell möglichst viele Seemeilen zwischen sich und diese Insel bringen.
 

Versunken in ihre Fluchtgedanken bemerkte sie erst viel zu spät, in welche Richtung sie unterwegs waren. Erst als sie einen Kiesweg betraten, schaute sie nach oben und stellte voller Entsetzen fest, dass sie auf dem Weg zum Anwesen ihres Vaters waren.
 

„Was ... was genau tun wir hier?“ Ihre Stimme klang dünn und ihre Knie begannen zu zittern.
 

„Wie ich bereits sagte, habe ich hier ein wichtiges Geschäft abzuschließen“, erwiderte McNally und schenkte ihr ein spitzbübisches Lächeln. Erst jetzt fiel es Frances wie Schuppen von den Augen.
 

„Schmutziger Pirat! Ihr wollt mich bei meinem Vater abliefern!“, rief sie voller Wut aus und riss sich von seinem Arm los.
 

„Kein Grund, ausfallend zu werden, Miss Graham. Dein Vater hat ein hübsches Kopfgeld auf dich ausgesetzt und wie dumm wäre es von mir, es nicht einzufordern, wenn das Schicksal dich so großzügig in meine Arme zurücktreibt?“
 

Frances schnaubte voller Verachtung und ballte die Hände zu Fäusten. Sie drehte sich um und wollte davonlaufen, doch sie wurde von Sully und einem weiteren Piraten, der sie begleitete, festgehalten. Mit Händen und Füßen wehrte sie sich, versuchte verzweifelt, sich aus den eisernen Griffen der kräftigen Männer zu befreien, aber es war zwecklos. Ohne Erbarmen zogen sie sie hinter sich her den Weg entlang zum Eingang des prächtigen Herrenhauses.
 

„McNally, lasst mich gehen! Ihr wisst nicht, was Ihr mir damit antut!“, flehte sie und versuchte weiter, sich loszumachen. Der Captain ignorierte sie allerdings und so musste sie hilflos mit ansehen, wie er seelenruhig den massiven löwenkopfförmigen Türklopfer betätigte. In ihrer Verzweiflung wusste sie sich nicht anders zu helfen, als McNally wüste Beschimpfungen an den Kopf zu werfen. Sie war so voller Wut und Angst, dass sie das Gefühl hatte, gleich ohnmächtig zu werden.
 

Als die Tür nach einigen Augenblicken von einem Bediensteten geöffnet wurde, verstummte sie jedoch auf der Stelle. Sie hatte nicht vor, sich vor ihrem Vater oder irgendjemand anderem in diesem Haus die Blöße zu geben und zu offenbaren, wie hilflos sie gerade war.
 

Da der Bedienstete Frances sofort erkannte, ließ er sie – skeptischen Blickes – samt der Piraten eintreten und bat sie, einen Moment in der Eingangshalle zu warten bis er den Hausherren geholt hatte. McNally hob anerkennend die Augenbrauen als er sich in der hohen Halle umsah.
 

„Kein Wunder, dass dein Vater so einen hohen Finderlohn auf dich ausgesetzt hat. Er kann es sich ganz offensichtlich leisten“, stellte er fest und schritt ein wenig umher.
 

„Ihr habt ja keine Ahnung!“, fuhr Frances ihn mit gesenkter Stimme an. „Reichtum ist bei Weitem nicht alles, was es im Leben anzustreben gilt.“
 

„Ich weiß. Es ...“ Er unterbrach sich als hinter ihm Schritte ertönten. Frances‘ Vater, Matthew Graham, schritt erhaben die große Eichentreppe hinab und blieb wenige Fuß vor den Piraten stehen. Der bereits ergraute Mann war um die Fünfzig und unter seiner kostbaren Kleidung verbarg sich ein kleiner Bauchansatz, doch tat das seiner achtunggebietenden Ausstrahlung keinen Abbruch. Abschätzig musterte er die Männer bis sein Blick an seiner Tochter hängenblieb. Seine grauen Augen verengten sich zu Schlitzen, als er das freizügige Dirnenkleid bemerkte, das sie noch immer trug.
 

„Sehe ich das richtig, dass du mein Haus verlassen hast, um eine kleine Piratenhure zu werden?“, erkundigte er sich mit eiskalter Stimme. Da Frances stur auf den Boden starrte und nicht vorhatte, ihrem Vater zu antworten, ergriff McNally das Wort.
 

„Falls dieser Umstand Einfluss auf das Kopfgeld haben sollte, kann ich Euch versichern, dass Eure Tochter von niemandem auf meinem Schiff unsittlich berührt wurde“, erklärte er sachlich, doch Frances hörte deutlich den leicht ironischen Unterton aus seiner Stimme heraus.
 

Matthews verächtlicher Blick fixierte McNally. „Keine Sorge, Ihr werdet Euer Geld bekommen.“
 

Der Bedienstete kam daraufhin mit einem gut gefüllten Lederbeutel aus einem Nebenzimmer. Er übergab ihn McNally und geleitete ihn und seine Männer anschließend zur Tür. Bevor er das Haus verließ, drehte McNally sich noch einmal um und deutete eine Verbeugung an. „Es war mir eine Ehre, mit Ihnen Geschäfte zu machen.“ Er lächelte als sein Blick Frances noch einmal streifte. Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
 

Kaum waren sie allein, verpasste Matthew seiner Tochter eine schallende Ohrfeige. Frances taumelte nach hinten und bekam gerade noch das Geländer der Eichentreppe zu fassen, bevor sie zu Boden stürzte. Tränen der Überraschung und des Schmerzes stiegen ihr in die Augen.
 

„Du missratenes Gör!“, herrschte er sie mit donnernder Stimme an. „Dein ganzes Leben lang habe ich mich um dich gekümmert und das ist der Dank?! Besudelst mit deinem unerhörten Verhalten meinen guten Namen und stellst mich vor aller Augen bloß!“
 

Frances schluchzte leise, doch Matthew ließ sich nicht beirren.
 

„Sieh dich doch nur einmal an. Kaum ein Jahr warst du nicht unter meiner Obhut und schon bist du zu einer kleinen Hure verkommen. Glaub nicht, dass ich dir das durchgehen lasse! Morgen Vormittag geht ein Schiff nach London und ich versichere dir, dass du dich bei dessen Abfahrt an Deck befinden wirst!“
 

Frances‘ Magen krampfte sich zusammen. Sie wollte nichts lieber, als ihrem Vater die Stirn zu bieten, sich ihm entgegenzustellen und sich ihm gegenüber zu behaupten. Doch ihr Körper fühlte sich plötzlich vollkommen taub an. Ihr war, als wäre sie eine Außenstehende, die unbeteiligt die Szenerie beobachtete. Zu unwirklich war es, dass nun genau das eintrat, vor dem sie vor Monaten davongelaufen war.
 

Zu kraftlos zur Gegenwehr ließ sie sich auf ihr Zimmer bringen und dort einschließen. Mit leerem Blick saß sie auf ihrem Bett und starrte an die Wand. Hatte das Schicksal wirklich diesen Weg für sie vorgesehen? Wenn das der Fall war, hatte es überhaupt einen Sinn, sich dagegen zu wehren? Aller Kampfgeist war plötzlich aus ihr gewichen und hatte nur noch eine hohle Hülle übrig gelassen.
 

Der Rest des Tages verging, ohne dass Frances sich vom Fleck bewegte. Als am Abend ein Zimmermädchen nach ihr sah und ihr Abendessen brachte, rührte sie nichts davon an. In der Nacht schlief sie nicht und am nächsten Morgen ließ sie sich waschen und ankleiden, ohne auf ihre Umgebung zu reagieren.
 

„Ich hätte mit einem erneuten Fluchtversuch gerechnet, doch vielleicht bist du ja doch zur Besinnung gekommen und hast erkannt, was das Richtige für dich ist“, waren die Worte, mit denen ihr Vater sie begrüßte, als sie vom Zimmermädchen die Treppe hinuntergeführt wurde. Frances antwortete mit einer angedeuteten Verbeugung, doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Matthew nickte und musterte seine Tochter zufrieden. Mit hübsch frisierten Haaren und ihrem mintgrünen Kleid sah sie wieder ihrem Stand entsprechend aus und er musste sich zumindest ihres Äußeren wegen nicht schämen.
 

Gemeinsam fuhren sie mit einer Kutsche zum Hafen, wo ein Handelsschiff vor Anker lag, das einem guten Freund von Matthew gehörte und Frances als Transportmittel dienen sollte.
 

„In London wird sich deine Großtante Beth um dich kümmern“, verkündete Matthew, als sie aus der Kutsche gestiegen waren. „Sie wird dir das Verhalten beibringen, das ich anscheinend nicht in der Lage war, dir anzuerziehen. Benimm dich und mach mir nicht noch mehr Schande. Beth wird mich regelmäßig über deine Entwicklung informieren und wenn wir beide der Meinung sind, dir genug Anstand beigebracht zu haben, wird sie dir in der Londoner Gesellschaft einen passenden Ehemann suchen. Den letzten Bewerber hast du ja dank deines unerhörten Verhaltens verprellt und vertrieben.“
 

Frances hörte sich wortlos die Belehrungen ihres Vaters an. Sie wollte nur noch weg von diesem Mann, der ihr ein selbstbestimmtes Leben versagte, und fühlte beinahe Erleichterung darüber, nach London gebracht zu werden.
 

Mit einem Knicks und den Worten „Auf Wiedersehen, Vater“ verabschiedete sie sich von Matthew und ging, gefolgt von ihrer Zofe, über eine Planke an Bord des großen Schiffes. Als es bald darauf ablegte, drehte sie sich nicht noch einmal um. Sie wusste ohnehin, dass ihr Vater schon längst nicht mehr da war.
 

Der Kapitän des Schiffes führte Frances in ihre Kabine und ließ sie dann allein. Ihr in großen Koffern verstautes Gepäck stand ordentlich gestapelt neben ihrem Bett und nahm einen großen Teil des kleinen Raumes ein. Um sich zu beschäftigen, setzte sich Frances auf die schmale Koje, nahm ein Buch zur Hand und begann zu lesen. Sie überflog Seite für Seite, doch den Inhalt erfasste sie nicht. Ihr Gehirn weigerte sich zu verarbeiten, was ihre Augen aufnahmen.
 

Nur wenn Frances an Deck stand und der Fahrtwind an ihrem Haar zerrte, fühlte sie sich besser. Tagsüber beobachtete sie die Seemänner bei ihrer Arbeit und nachts betrachtete sie die Sterne. Wenn Himmel und Ozean sich in einem tiefen Schwarzblau vereinigten, hatte sie das Gefühl, ihr Schicksal zumindest für eine kurze Zeit vergessen zu können.
 

Als sie zur Morgendämmerung ihres fünften Reisetages auf dem Weg von ihrer nächtlichen Zerstreuung zurück in ihre Kajüte war, wurde das Schiff von einem starken Donnern erschüttert. Frances brauchte keine Sekunde, um zu begreifen, dass es ein Kanonenschuss war. Mit rasendem Herzen rannte sie zurück an Deck und erblickte sofort den großen Dreimaster, der kaum mehr eine halbe Meile von ihnen entfernt war. Während das Deck sich um sie herum langsam mit aufgeregt schreienden und durcheinander rennenden Männern füllte, bemerkte Frances, dass ihr das näher kommende Schiff eigenartig bekannt vorkam. Doch erst als sie die schwarze Flagge entdeckte, fiel es ihr ein: Die Crying Mary! Sie riss vor Erstaunen die Augen auf und konnte es nicht glauben. Wie versteinert stand sie da und bemerkte kaum, wie sie herumgeschubst und angebrüllt wurde, sie solle sich unter Deck scheren.
 

Erst als die ersten Enterhacken über die Reling geworfen wurden, konnte sie sich zusammenreißen und war wild entschlossen, den Piraten die Stirn zu bieten. Sie rannte in die Waffenkammer, schnappte sich einen Säbel und stürmte zurück an Deck. Ein kräftiger Adrenalinschub gab ihr den Mut, sich mitten ins Kampfgetümmel zu stürzen und Seite an Seite mit der Mannschaft das Schiff zu verteidigen. Die Piraten waren jedoch zahlen- und waffenmäßig so überlegen, dass es wie schon damals beim Angriff auf Anthony Kingsleys Schiff nicht lange dauerte und Ian McNallys Crew hatte das Schiff geentert. Die ehrlichen Seemänner ergaben sich einer nach dem anderen, doch bevor Frances an der Reihe war, kämpfte sie sich tapfer durch das Gemenge, ignorierte ihre schmerzenden Stich- und Schnittverletzungen und bahnte sich ihren Weg zu Sully, den sie entdeckt hatte, alsbald er an Bord gekommen war. Als er sie erblickte, hob er erstaunt die Augenbrauen und ließ sein Schwert ein wenig sinken. Frances nutzte seine Überraschung, baute sich so gut es vor diesem Riesen eben ging auf und verlangte mit fester Stimme: „Ich will, dass du mich sofort zu McNally bringst!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (19)
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Von:  Black
2012-12-01T21:40:57+00:00 01.12.2012 22:40
waaa, echt schöne geschichte!! gefällt mir :P
hoffe es geht noch weiter ^^

LG Black
Von:  Hamsta-chan
2012-07-02T14:20:13+00:00 02.07.2012 16:20
wow die geschichte gefällt mir richtig gut ^^ hoffe es geht bald weiter ^^

LG Hamsta-chan
Von:  Kia1301
2012-06-04T07:05:20+00:00 04.06.2012 09:05
Oh Gott, es geht weiter! *__*
Es war ja so klar, Ian hat sie eiskalt wieder ihrem Vater überlassen. >__<
Ihr Vater ist auch ein mieser Kerl, da hab ich echt Hoffnung gehabt, dass etwas passiert, während sie auf dem Schiff nach London fährt. Da kommt ein Piratenüberfall gerade richtig, besonders wenn es sich dabei um ein gewisses Schiff handelt. :P
Wie immer machst du's richtig spannend!
Los Frances, mach ihn fertig!~
Von:  Kia1301
2012-02-20T11:25:08+00:00 20.02.2012 12:25
Ow. >___< Hoffentlich schleppt er sie nicht zu ihrem Vater, ich kann mir ganz gut vorstellen, dass er richtig gut Geld dafür kriegen könnte. >___<
Was für ein Ende, ich bin richtig gespannt auf's nächste Kapitel. O_O
Von:  Kia1301
2012-02-20T11:11:59+00:00 20.02.2012 12:11
Ui, ich hätte nicht gedacht das alles so einwandfrei verläuft. =D Wenn jetzt irgendjemand Ian hilft, dann war der Plan hinne, manno. D: Aber trotzdem hat sich Frances ganz schön verändert. *~*

*freudig weiterles* *__*
Von:  Kia1301
2012-02-20T10:56:18+00:00 20.02.2012 11:56
Echt ein schönes Kapitel, die Atmosphäre am Ende war so ruhig und friedlich. *-* Ben und Frances sind so goldig zusammen. q.q

Btw. ich freu mich schon richtig auf Ian, er ist so... genial. D: Los Ian lauf, France wird kommen mit ihrer Rache! <3
Von:  Kia1301
2012-02-20T10:42:44+00:00 20.02.2012 11:42
Yaaaay, Frances setzt sich durch! >////<
Ich frage mich, ob sie beim nächsten Treffen mit Ian eine komplett neue Person ist. :O
*weiterles* >////<
Von:  Kia1301
2012-02-20T10:20:59+00:00 20.02.2012 11:20
Woah, ich bin richtig froh diese Fanfic gefunden zu haben, bis jetzt ist sie richtig, richtig toll. *___*
Der Schreibstil... >////<
Und die Story an sich, das Thema gefällt mir so gut. >.<
Von:  sunny12
2011-12-30T17:26:07+00:00 30.12.2011 18:26
Hey!
Wieder ein sehr schönes Kapitel.
Frances' Plan machte ja zu Anfang wirklich den Eindruck, als wenn er funktionieren würde. Schade nur, dass er zum Schluss doch schiefgegangen ist... Aber mal sehen, was sie jetzt aus der Situation macht.
Ich frage mich ja, ob es Zufall ist, dass das Schiff in die Richtung ihrer Heimat segelt oder ob McNally einen bestimmten Plan verfolgt. Naja, ich werde mich mal überraschen lassen ;)
Dann bin ich mal gespannt, wie es jetzt weitergeht. Freu mich schon auf das nächste Kapitel,
lg und einen guten Rutsch ins neue Jahr,
sunny12
Von:  sunny12
2011-09-12T21:32:27+00:00 12.09.2011 23:32
Hey!
Ein sehr schönes Kapitel :)
Frances hat sich ja einen wirklich genialen Plan ausgedacht, der ja auch sehr gut funktioniert hat. Zumindest bis jetzt, wie es aussieht...
Ich bin ja mal gespannt, wer die Zweisamkeit der beiden jetzt stört.
Aber es hat mir alles sehr gut gefallen und ich bin schon sehr gespannt, wie sich die Story jetzt noch weiter entwickelt.
Freu mich schon auf das nächste Kapitel
lg sunny12


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