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Frances

von

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Freudenmädchen

Das Lokal war voll, laut und verraucht. Wo man auch hinschaute, sah man trinkende oder betrunkene Männer, die sangen, sich gegenseitig lautstark mit ihren Heldengeschichten zu überbieten versuchten oder dabei waren, mit einem der anwesenden Freudenmädchen ins Geschäft zu kommen.
 

Ian McNally saß in einer etwas abgeschiedeneren Ecke und beobachtete abwesend das bunte Treiben. Er war vor wenigen Stunden erst mit seiner Mannschaft von einer langen, anstrengenden Reise zurückgekehrt, die noch nicht einmal von Erfolg gekrönt gewesen war. Als Entschädigung hatte er seinen Männern den Abend zur ihrer freien Verfügung gestellt und sie nutzten diese Zeit auch in vollen Zügen. Er selbst war allerdings nicht in besonders ausgelassener Stimmung – nicht einmal der sonst so von ihm geliebte Rum wollte ihm recht schmecken.
 

Nachdem er sich das laute Durcheinander in dem Gasthaus noch ein paar Minuten angeschaut hatte, leerte er seinen noch halbvollen Krug in einem Zug und beschloss, zu seinem Schiff zurückzukehren und sich seinen wohlverdienten Schlaf zu holen. Er war gerade aufgestanden und wollte sich auf den Weg zum Ausgang machen, als er von jemandem von der Seite angerempelt wurde. Dieser jemand war – wie er feststellte – eine junge Frau, die ihm den Rücken zuwandte. Ihre langen dunkelblonden Locken flogen kokett durch die Luft, als sie sich schwungvoll zu ihm umdrehte.

„Verzeiht bitte.“, meinte sie mit süßlicher Stimme, während sie ihn mit ihren hellbraunen Augen musterte und sich spielerisch eine ihrer Locken um den Finger wickelte. „Wollt Ihr etwa schon gehen?“

Sein Blick wanderte einmal an ihr herauf und wieder hinab. Ihre Art und ihre durch ein zu eng geschnürtes Korsett herausfordernd betonten Brüste ließen keinen Zweifel daran, welchem Gewerbe sie angehörte.

„Schon. Allerdings wäre es mir eine Ehre, wenn Ihr mich begleiten würdet.“, entgegnete er mit einer angedeuteten Verbeugung und einem eindeutigen Grinsen, denn er fühlte sich plötzlich ganz und gar nicht mehr erschöpft. Das hübsche Gesicht und der mit ansehnlichen Kurven ausgestattete Körper des Mädchens weckten seine Lebensgeister und vor allem die Lust auf die Wärme einer Frau. Als sie sich mit einem gespielt verschämten Blick einverstanden zeigte, nahm er sie bei der Hand und bahnte sich für sie beide einen Weg durch die johlende Menge.
 

Kaum hatte er ihr den Rücken zugedreht, schnappte Frances nach Luft. Sie konnte nicht glauben, dass McNally tatsächlich auf diese billige Masche hereingefallen war. Wenn Ben ihr erzählt hatte, wie einfach Ian von hübschen Frauen zu beeinflussen war, hatte sie immer geglaubt, er würde übertreiben, doch offensichtlich entsprachen seine Geschichten der Wahrheit. Theoretisch erleichterte das ihren Plan zwar, doch die Schauspielerei fiel ihr dennoch alles andere als leicht. Zudem war es für sie eine mentale Meisterleistung, ihrer Empörung darüber keinen Ausdruck zu verleihen, dass McNally sich nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnerte. Ben hatte ihr das zwar prophezeit und sie dadurch erst auf die Idee für ihren Plan, doch es ärgerte sie trotzdem, dass sie offensichtlich so wenig Eindruck hinterlassen hatte.
 

Allerdings hatte sie im Moment andere und vor allem größere Probleme, auf die sie sich konzentrieren musste. Sie durfte auf keinen Fall aus ihrer Rolle als leichtes Mädchen herausfallen. Und auch wenn ihr Isabella oft genug erklärt und gezeigt hatte, wie sich Dirnen für gewöhnlich benahmen, fiel es ihr schwer, sich daran zu halten. Vor allem die offenherzige Kleidung und das übertriebene Makeup widersprachen ihrem Sinn für Anstand und Schönheit. Da dies allerdings der einfachste Weg war, um an McNally heranzukommen, arrangierte sie sich widerwillig damit.
 

Nachdem sie das Gasthaus schließlich verlassen hatten und im Freien standen, sog Frances die im Gegensatz zum stickig-warmen Lokal angenehm frische Nachtluft ein. Es war schon weit nach Mitternacht und die Straßen des kleinen Ortes an der Nordküste Dominicas waren wie leer gefegt. Außer dem gedämpften Lärm, der aus dem Gasthaus drang, herrschte Stille.

„Die Luft hier draußen ist doch viel angenehmer als...“, meinte Frances, weiter kam sie allerdings nicht. Ian hatte sie an den Schultern genommen und gegen die efeubewachsene Mauer des Wirtshauses gedrückt. Noch bevor sie protestieren konnte, spürte sie auch schon seinen Mund auf ihrem. Er verschwendete keine Zeit und schob mit sanftem Druck seiner Zunge ihre Lippen auseinander. Frances unterdrückte mühevoll ihren ersten Impuls der Gegenwehr und erwiderte widerstrebend den ungestümen Kuss. Allerdings leerte sich ihr Kopf plötzlich mit jeder Sekunde mehr und sie begann unwillkürlich zu mögen, was Ian tat. Trotz seiner stürmischen und ungeduldigen Art lag doch eine gewisse Zärtlichkeit in seinen Berührungen. Als Ian allerdings nach ihren Brüsten griff, keuchte sie erschrocken auf und legte ihm abwehrend die Hände auf die Brust.
 

„Du bist noch nicht lange in diesem Geschäft, nicht wahr?“, erkundigte er sich mit einem vielsagenden Blick und einem leisen Lächeln auf den Lippen. Wortlos stimmte sie mit einem schnellen Nicken zu, da ihr keine bessere Antwort einfiel. Sie hatte allerdings auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn so schnell waren seine Hände auch schon wieder um ihre Hüften und seine Lippen an ihrem Hals. Er drängte sie fest mit seinem Körper gegen die Wand und begann, sich an den Schnüren ihres Korsetts zu schaffen zu machen. Da das allerdings ihrem Plan zuwiderlief, stoppte sie ihn.
 

„Ihr seid so ungeduldig. Wollen wir nicht lieber irgendwo hingehen, wo wir ungestörter sind?“, fragte sie ihn und setzte einen möglichst verführerischen Blick auf. „Ich hörte, dass Ihr Captain eines eigenen Schiffes seid... Das finde ich ungeheuer aufregend.“, erklärte sie und ließ dabei langsam ihre Hände von seinem Hals über sein Schlüsselbein hinab zu seiner Brust wandern. Dass sein Hemd beinahe bis zum Bauch aufgeknöpft war, erleichterte ihr den Weg.
 

Ian hielt inne, musterte sie und schien kurz nachzudenken, erklärte sich dann jedoch zu Frances‘ Erleichterung mit ihrem Vorschlag einverstanden. Er nahm erneut ihre Hand und machte sich großen Schrittes auf den Weg zum Schiff. Frances konnte mit seinem Tempo kaum mithalten, so eilig schien er es zu haben. Zudem lag das Gasthaus recht weit drinnen in der kleinen Stadt und der Weg zum Hafen war dementsprechend lang. Nach beinahe zehnminütigem Fußmarsch über unebenen Pflasterstein endlich angekommen, hatte Frances Seitenstechen und stemmte sich die Arme in die Hüften, um besser Luft zu bekommen.
 

„Das ist meine `Crying Mary´.“, hörte sie plötzlich Ian ganz dicht neben ihrem Ohr flüstern. Sein unerwartet heißer Atem schickte einen prickelnden Schauer ihren Rücken herunter, während er seine Arme von hinten um ihre Mitte und seinen Kopf auf ihre Schulter legte. Frances wäre beinahe ein `Ich weiß.´ entwichen, doch sie konnte sich im letzten Moment noch auf die Zunge beißen. Während Ian sich damit beschäftigte, ihren Nacken zu küssen, ärgerte Frances sich darüber, dass das Schiff direkt im Hafen angelegt hatte und nicht ein wenig weiter weg vom Land vor Anker gegangen war. Auf diese Weise war die Gefahr größer, erwischt zu werden. Doch nun war es ohnehin zu spät. Sie war schon viel zu weit gekommen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen.
 

„Kommt.“, meinte sie also mit einem verspielten Lächeln, befreite sich aus Ians Umarmung und nahm ihn mit beiden Händen am Handgelenk, um ihn über eine Planke vom Bootssteg hinauf an Bord zu ziehen. Um Ian zu schmeicheln und ihn noch ein wenig williger zu machen, tat sie an Deck so, als bewundere sie das große Schiff und wäre tief beeindruckt von dessen Mächtigkeit. Ihre Lobpreisungen zeigten denn auch umgehend Wirkung, denn Ian ließ sich nicht lange bitten und zog sie mit sich in seine Kajüte. Der Raum sah noch genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Nur ein paar mehr zusammengerollte Karten und Pläne schienen überall herumzuliegen. Allerdings kam Frances nicht dazu, sich ausgiebiger umzusehen, denn bevor sie es sich versah, hatte Ian sie auch schon an den Hüften gepackt und auf den schweren, runden Schreibtisch in der Mitte der Kajüte gehievt. Sie jauchzte überrascht auf, fing sich jedoch sofort wieder und legte ihrem vermeintlichen Freier einladend die Arme um den Hals.
 

„Ist Euch dieser Ort nun ungestört genug?“, erkundigte er sich und zog sie ein Stück näher an sich heran, sodass ihre Nasenspitzen sich berührten. Sie widerstand dem Impuls, ihn von sich zu stoßen und schenkte ihm als Antwort lediglich ein vielsagendes Lächeln. Ausgehend von seinem bisherigen Verhalten, hatte sie angenommen, dass er sich sofort wieder über sie hermachen würde, doch stattdessen blieb er ruhig stehen und schaute ihr unverwandt in die Augen. Ihren Körper hielt er dabei sanft an seinen gedrückt und streichelte mit seinen Fingerspitzen über ihren Rücken.
 

Je länger sie so dastanden, desto unangenehmer wurde es für Frances. Die Art, wie er sie berührte und wie seine dunklen Augen sich an ihre geheftet hatten, wühlte sie innerlich auf. Sie wollte weg von ihm und gleichzeitig noch fester in den Arm genommen werden. Diese Art von körperlicher Nähe war ihr fremd und sowohl ihr Körper als auch ihr Verstand wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten. Als Ian dann auch noch mit unerwarteter Zärtlichkeit begann, sie erneut zu küssen, fühlte sie sich vollends überfordert. Sie hatte schließlich nach wie vor keine praktische Erfahrung in diesen Dingen. Durch Isabella war sie zwar nicht mehr ganz so ahnungslos wie zuvor, doch solche Berührungen und verworrenen Emotionen am eigenen Leib zu erfahren, war doch noch einmal etwas vollkommen anderes, als nur Geschichten darüber zu hören.
 

Beinahe wie von selbst begann sie, den langsamen, gefühlvollen Kuss zu erwidern – um Ian keinen Verdacht schöpfen zu lassen, redete sie sich ein. Ihr heftig pochendes Herz und ihr leichtes Zittern entgingen ihm dabei jedoch nicht.
 

„Nicht so aufgeregt.“, wisperte er. „Ich werde dafür sorgen, dass es uns beiden gefällt...“ Damit entledigte er sich seines Hemdes und stand nun mit bloßem Oberkörper vor ihr. Er machte einen Schritt auf sie zu, legte seine Hände auf ihre Knie und schob sie auseinander, indem er mit den Fingern ihre Oberschenkel hinaufglitt. Der Rock, den sie trug, war durch seine vielen Lagen zu dick, als dass er ihre Haut hätte berühren können, doch nichtsdestotrotz brannte sie, als ob sie nackt gewesen wäre. Als er sich über sie beugte, um sie erneut zu küssen, legte sie ihre Arme um seine Mitte.
 

Im nächsten Moment hielt er ruckartig inne, schaute überrascht an sich herab und ihr dann ins Gesicht.
 

„Noch eine Bewegung und Ihr könnt Euch von Eurer Männlichkeit verabschieden...“, zischte Frances und übte zur Verdeutlichung ihrer Worte mit dem gerade von ihm gestohlenen Dolch etwas Druck auf seinen Schritt aus. Ian keuchte daraufhin erschrocken auf und wich zurück.
 

Noch immer mit rasendem Herzen fühlte Frances sich gleich etwas besser, als sich der Abstand zwischen ihr und ihm wieder vergrößerte. „Ich rate Euch, ruhig zu bleiben.“, warnte sie ihn und griff an seinen Gürtel, um ihm seine Pistole abzunehmen und sie gleich darauf auf ihn zu richten.
 

„Es wäre auch zu schön gewesen, wenn der heutige Abend keine bösen Überraschungen bereitgehalten hätte...“, stellte Ian fest und hob die Hände als Zeichen dafür, dass er keinen Widerstand leistete.

„Das habt Ihr allein Euch selbst zu verdanken.“, feuerte Frances zurück, während sie die schweren Eisenhandschellen holte, die an einer der Kajütenwände an einem Nagel hingen, und ihn anschließend damit ankettete. Außerdem band sie ihn mit einem groben Seil, das sie ebenfalls in der Kajüte fand, auf einem Stuhl fest. „Ihr solltet Euch das nächste Mal besser zweimal überlegen, wie ihr mit jungen Frauen umspringt.“

Als sie seinen fragenden Gesichtsausdruck sah, kochte Wut in ihr hoch.

„Ich kann es nicht glauben, dass Ihr mich tatsächlich vergessen habt! Ist es für Euch denn so normal, Frauen auf offener See über Bord zu werfen?!“, schimpfte sie und gestikulierte wild mit der Pistole umher.

Ian schien ein paar Augenblicke intensiv nachzudenken, während er sie von oben bis unten musterte.

„Ve... Fe... Ah! `Frances´, habe ich Recht?!“, rief er und sah aus, als ob er gerade ein äußerst schwieriges Rätsel gelöst hätte.

„Diese Erkenntnis kommt nun allerdings etwas zu spät.“, konterte sie schnippisch.

„Ich habe es doch gewusst.“, konstatierte er, ohne auf ihre Bemerkung zu achten. „Ich habe gewusst, dass aus dir mehr herauszuholen ist. Isabella hat in der Tat hervorragende Arbeit geleistet.“

Verärgert über diese Aussage entgegnete sie: „Denkt bloß nicht, dass Ihr die Macht hättet, meinen Charakter zu verändern! Ich habe Euch damals schon gesagt, dass Ihr Euer Verhalten bereuen werdet. Es ist Eure eigene Schuld, wenn Ihr meinen Worten keinen Glauben geschenkt und mich nicht ernst genommen habt.“

Er wollte gerade etwas erwidern, doch sie unterbrach ihn: „Doch das liegt nun in der Vergangenheit. Mir stellt sich im Moment eher die Frage, was ich nun mit Euch anstellen soll...“ Ihre Überlegenheit auskostend lief sie langsam um ihn herum.

„Nun, du könntest mir die Eisen wieder abnehmen und wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben, als du dich als rachesuchende Furie entpuppt hast. Du kannst mich dabei natürlich auch angebunden lassen. Das überlasse ich ganz deinen Vorlieben.“, entgegnete er frech, woraufhin er sich jedoch nur eine schallende Ohrfeige einhandelte.

„Wagt es nicht, in solch einem respektlosen Ton mit mir zu sprechen. Ich werde mich von Euch nicht noch einmal so verwerflich behandeln lassen. Es hat über acht Monate gedauert, Euch wieder gegenüber zu treten und Ihr könnt mir glauben, dass sich in dieser Zeit genug Unmut in mir angestaut hat...“
 

Er begriff, dass es klüger war, daraufhin den Mund zu halten und einfach nur still dazusitzen, während Frances ihn voller Wut in den Augen musterte. Sein dunkelbraunes Haar war etwas länger als bei ihrer ersten Begegnung und es schien ihr, als ob er weniger schmal, dafür aber etwas muskulöser geworden war. Sein verschmitztes Lächeln und die auffällige Narbe, die sich von seiner linken Schläfe um sein Auge herum bis auf seine Wange zog, waren allerdings noch dieselben. Er ließ ihre forschenden Blicke stumm über sich ergehen und wartete darauf, was als nächstes kommen würde. Zu ihrer beider Überraschung war das ein lautes Klopfen an der hölzernen Kabinentür.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kia1301
2012-02-20T11:11:59+00:00 20.02.2012 12:11
Ui, ich hätte nicht gedacht das alles so einwandfrei verläuft. =D Wenn jetzt irgendjemand Ian hilft, dann war der Plan hinne, manno. D: Aber trotzdem hat sich Frances ganz schön verändert. *~*

*freudig weiterles* *__*
Von:  sunny12
2011-09-12T21:32:27+00:00 12.09.2011 23:32
Hey!
Ein sehr schönes Kapitel :)
Frances hat sich ja einen wirklich genialen Plan ausgedacht, der ja auch sehr gut funktioniert hat. Zumindest bis jetzt, wie es aussieht...
Ich bin ja mal gespannt, wer die Zweisamkeit der beiden jetzt stört.
Aber es hat mir alles sehr gut gefallen und ich bin schon sehr gespannt, wie sich die Story jetzt noch weiter entwickelt.
Freu mich schon auf das nächste Kapitel
lg sunny12


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