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Deepening Friendships

Auf einem Ausflug der jungen Pros bilden und vertiefen sich Freundschaften [HikaAki]
von

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Hände

Hikaru saß wieder vor dem Goban gegenüber Touya und sie trugen einen hitzigen Kampf aus. Er sah Touyas schlanke Hand, die einen Zug vollführte, den er absolut erwartet hatte. Es war so typisch Touya, an dieser Stelle zu attackieren, wo sie bis eben noch am anderen Ende gekämpft hatten. Die Hand ruhte eine Sekunde über dem Goban und zog sich dann zurück. Hikaru fragte sich wieder, wann ihre Finger sich das letzte Mal berührt hatten. Ob seine gegen Touyas Finger wohl dick und fleischig aussahen? Er betrachtete kurz seine eigenen Finger, die geübt einen Stein griffen. Sie waren bei Weitem nicht so hell wie Touyas, aber auch nicht allzu dick.

Er antwortete auf den Zug und wusste, dass Touya auch seinen Zug vorhergesehen hatte. Es war einfach die beste Möglichkeit auf dem ganzen Goban und sie wussten es beide. Sie warfen sich einen kurzen Blick zu, in dem sie sich genau das sagten. Die beste Möglichkeit, das war der Weg zur Hand Gottes. Hikaru hielt verwundert inne. Sie hatten sich schon lange nicht mehr angesehen, oder? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, dass er Touyas hellgrüne Augen gesehen hatte. Er zuckte die Schultern und wartete den nächsten Zug der schlanken Finger ab.

Es schwebte etwas zwischen ihnen, etwas Unheilvolles, und sie wussten es beide. In einer Woche war es soweit: Sie spielten gegeneinander in der Kisei-Auswahl. Hikaru hatte sich dazu durchgerungen, teilzunehmen, weil er wusste, dass er mit seinem jetzigen Können noch keinen Titel erringen würde. Er wollte einfach nur gegen die starken Pros spielen. Natürlich nahm Touya auch teil und natürlich war es wahrscheinlich, dass sie gegeneinander spielten, aber Hikaru fühlte sich noch nicht bereit. Es würde ihre erste offizielle Partie seit dem Young Lions Tournament werden. Das war Jahre her.

Hikarus Augen ruhten auf Touyas Händen. Einen Tag lang war es normal gewesen, dass sie seine gehalten hatten. Hatte Touya das Verlangen plötzlich abgelegt? Es wirkte zumindest so, nie wieder griff er impulsiv nach Hikaru. Vielleicht hatte er sich auch einfach im Griff.

Hikaru dachte an seine erste offizielle Partie gegen Morishita-sensei und was dieser ihm gesagt hatte: erst im offiziellen Kampf gegeneinander zeigt der Gegner seine Krallen. Ob Touya anders spielen würde? Ob er ihm Krallen und Zähne zeigen würde, die Hikaru noch nicht kannte? Es war ein seltsamer Gedanke, denn Hikaru meinte, das Go des anderen in- und auswendig zu kennen, jeden Fortschritt live mitzuverfolgen. Was würde passieren, wenn sie sich vor Publikum duellierten, in dem Wissen, dem anderen den Weg zu einem Titel versperren zu können?

Ob Touya noch so über ihn dachte wie damals? Und wenn es so war, ob er sich zurückhalten würde, weil er Hikaru keine Steine in den Weg legen wollte? Hikaru schürzte nachdenklich die Lippen. Vermutlich waren Touyas Gefühle abgekühlt, denn sonst hätten sie sich längst wieder zufällig berührt. Gelegenheiten hatte es weiß Gott genug gegeben, und Touya hatte keine ergriffen. Hikaru erinnerte sich nicht mehr, wie die Haut des anderen sich anfühlte. War sie so kühl wie Touya selbst? War sie rau? Er wusste es nicht mehr, schließlich hatte es nur diesen einen Tag gegeben.

"Ich werde mich nicht zurückhalten."

Hikaru sah verwundert auf, als Touya sprach, dann lächelte er. "Gut. Ich habe auch nicht vor, es dir leicht zu machen." Touya sah ihn aus halb geöffneten Augen an, es sah aus wie eine lauernde Raubkatze und Hikaru schauderte kurz.

Hikaru verlor. Es war kein schlechtes Spiel gewesen, eher das Gegenteil davon, aber er hatte zu viel nachgedacht, zu viel über diese Partie, die ihnen bevorstand und hatte zu sehr versucht, aus Touya schlau zu werden. Er hoffte, dass er bei ihrem offiziellen Spiel abschalten konnte und sich auf seine Go-Instinkte verlassen konnte.

Am folgenden Dienstag trafen sie sich noch einmal im Salon und spielten zwei halbherzige Partien, beide unentschieden. Sie hatten nicht einmal den Elan für eine hitzige Diskussion. Hikaru erklärte einen Zug, den er an Touyas Stelle besser gehalten hätte und zeigte auf die Stelle. Touya hob seine Hand und deutete auf die Stelle daneben, an der einer von Hikarus Steinen lag. Während er diesen Zug kommentierte, betrachtete Hikaru ihre Hände. Sie schwebten fünf Zentimeter voneinander entfernt in der Luft. Er fragte sich, ob Touya überlegte, ihn wie zufällig zu berühren. Langsam bewegte er sich in Richtung der Finger des anderen. Als sie sich fast berührten zog Touya seine Hand weg und sah ihn mit einem Stirnrunzeln an.

"Hast du mir gerade zugehört, Shindo?" Hikaru sah mit großen Augen auf und überlegte, ob es überhaupt noch glaubwürdig klingen würde, wenn er bejahen würde. Er überlegte so lange, bis seine Entscheidung auf Nein fiel und er einfach überhaupt nicht reagierte. Touya schüttelte den Kopf. "Shindo, mach dich doch nicht verrückt wegen dem Spiel. Es wird wie jedes andere. Du hast es schon einmal geschafft, mich zu schlagen, also werde ich mich hüten, dich zu unterschätzen. Du wirst doch dein Bestes geben?"

Hikaru nickte, während er sich fragte, ob Touya überhaupt noch manchmal an ihre Berührungen dachte, und er kam sich dumm vor, darüber nachzudenken. Offensichtlich bemühte Touya sich um eine freundschaftliche, platonische Beziehung und er musste ständig überlegen, ob der andere ihm immer noch die Kleidung vom Leib reißen wollte. Wie jämmerlich von ihm, nicht einfach darüber hinwegzukommen, dachte er.

Er verabschiedete sich von Touya und ging nach Hause, um so viel wie möglich zu schlafen. Am Mittwoch unterrichtete er eine alte Dame im Institut, deren Mann ein begeisterter Go-Spieler war und die es ihm zuliebe lernte. Es machte ihm Spaß, sich mit ihr über das Spiel zu unterhalten, ein bisschen erinnerte sie ihn an seine Mutter, auch wenn diese viele Jahre jünger war, so hatte sie ihn auch immer unterstützt in seiner Leidenschaft.

Schließlich war der Tag gekommen. Schneller, als Hikaru wollte. Er stand am Morgen vor seinem Kleiderschrank und überlegte, was er tragen sollte. Vermutlich würden sie viel Publikum haben, andererseits sahen die meisten sowieso nur seine Hand auf dem Bildschirm. Um Touya zu zeigen, wie ernst es ihm war, hätte er am liebsten seinen Anzug getragen, aber dieser war ihm ja mittlerweile zu klein. Seine Trikots und legeren Shirts kamen nicht infrage, also eines seiner wenigen Hemden. Er entschied sich schließlich für ein langärmeliges dunkelblaues Hemd und schwarze Hosen.

Seine Mutter begrüßte ihn mit Frühstück, das er nur ihr zuliebe aß.

"Ich spiele heute gegen Touya", sprudelte es während des Essens aus ihm heraus. Seine Mutter sah ihn überrascht an und erwiderte: "Ich weiß. Heute ist Donnerstag. Du spielst jeden Donnerstag gegen Touya-kun." So viel wusste sie? Hatte er das überhaupt einmal erwähnt?

Hikaru schüttelte den Kopf. "Nein, Ma, es ist ein gewertetes Spiel in einem Titel-Turnier. Wenn Touya gewinnt, komme ich nicht in die nächste Runde und anders herum."

"Was ist, wenn es ein Unentschieden wird?"

Er schüttelte wieder den Kopf. "Das geht nicht, weil..." Er überlegte, ob er ihr das System mit den sechseinhalb Punkten Komi erläutern sollte. "Es gibt immer einen klaren Gewinner. Auge um Auge."

"Willst du Touya-kun danach zum Abendessen mitbringen?"

"Wenn ich ihn besiege schon", grinste Hikaru frech und beendete sein Frühstück. Dann ging er los. Etwas zu früh, aber das konnte nicht schaden. Im Institut traf er Waya und Isumi, die zusammenstanden und eine ältere Partie diskutierten.

"Shindo!" winkte Waya ihm zu und musterte ihn verwundert. "So herausgeputzt heute?"

Hikaru nickte ernst. "Touya wird heute verlieren. Es würde ihn ärgern, wenn ich nicht angemessen gekleidet bin für seine Niederlage." Waya und Isumi sahen sich verwundert an. Woher kam dieses geballte Selbstbewusstsein so plötzlich? Hikaru ging in das Zimmer, in dem seine Partie stattfinden würde. Mittlerweile war er schon oft hier gewesen, aber nie mit so einer vibrierenden Tatkraft wie heute. Touya saß bereits vor dem Goban und sah ihm ernst entgegen. Sie nickten sich zu und Hikaru setzte sich vor ihn.

Ihre Partie begann zu der veranschlagten Zeit. Sie hatten zweieinhalb Stunden Zeit. Hikaru sog die Luft tief ein, bevor er seinen ersten Zug setzte. Die ersten zehn Steine lagen schneller als der protokollierende Insei sie im Kifu vermerken konnte, von da an brauchten sie immer länger. Hikaru dachte eine halbe Stunde nach über eine Antwort auf einen Stein Touyas. Er sah Touyas Schatten in jedem Zug, den die schlanke Hand des Jungen setzte, er erkannte auch sich selbst darin, denn ihre Taktiken waren ineinander verwoben wie zwei Efeuranken, die sich jetzt über das Goban schlängelten.

Touya zeigte keine neuen Krallen. Er offenbarte alte, die Hikaru nur allzu gut kannte, die aber dadurch nicht weniger wirkungsvoll waren. Doch auch Hikaru fletschte mittels seiner Steine die Zähne, zeigte Drohgebärden, wie er sie von Touya gelernt hatte, während er resolut seine Gebiete verteidigte. Nach einer Stunde begann er, zu schwitzen. Seine Hände und Stirn wurden feucht und er konnte den Blick nicht vom Goban lösen. Zu spannend, zu nervenaufreibend war ihr Hin und Her. Bisher nahmen sie sich nicht viel. Sie balgten etwas herum wie junge Katzen, die noch lernen mussten, wo ihre Krallen am meisten wehtaten. Doch ihr Go wuchs während der Partie auf, schlug zu, wenn die Kehle in Sichtweite kam, verpasste dem anderen tiefe Fleischwunden.

Nach zwei Stunden schwitzte auch Touya. Hikaru bemerkte es irgendwann, als Touya zum wiederholten Male vor seinem Zug zu dem kleinen Handtuch an der Seite griff. Sie sahen sich kurz an und Hikaru sah sofort weg. Er wollte Touya nicht ansehen, solange er ihn auf dem Goban bekämpfte.

Drei Stunden waren um und Hikaru wusste, dass kein Zug mehr möglich war, der das Ergebnis beeinflussen würde. Touya musste es auch wissen. Er war nicht die Art Go-Spieler, die Partien in die Länge zog, nur um des Spielens willen. Sie konnten nicht erwarten, dass der andere einen Fehler machte, denn das würde keiner von ihnen.

"Ich gebe auf."

Hikaru ballte die Fäuste und sah weiter auf das Goban. Er sah Touyas Hände, verschwitzt, auch zu Fäusten geballt, auf seinen Oberschenkeln. Er dachte, dass er gern Touyas Hände auf seinen Schultern spüren würde. Oder die Hand in seiner, einfach um zu wissen, wie sie sich jetzt anfühlte, nach ihrer ersten echten Partie. Ob sie eiskalt war oder glühte?

Die Offiziellen standen auf und verließen den Raum, um die Presse zu informieren und die Kifu zu kopieren. Touya und er blieben alleine, sie starrten beide auf das Brett und bewunderten die Partie. Keiner sagte etwas. Nach einer halben Stunde hob Touya den Blick.

"Danke für dieses Spiel."

"Hmm..."

Sie maßen sich mit Blicken. Irgendwann verzogen sich Touyas Lippen zu einem leichten Lächeln. "Herzlichen Glückwunsch, Shindo." Er hob die Hand und Hikaru fragte sich, ob sich ihre Finger gleich berühren würden, doch Touya stützte sich nur am Goban ab, um aufzustehen. "Ich bin sicher, die anderen wollen dir auch gratulieren."

Hikaru folgte ihm nach draußen. Waya und Isumi warteten schon. Sie nickten Touya zu und kamen dann auf Hikaru zu, um ihm auf die Schulter zu klopfen. "Das war wirklich interessant. Viel besser kann das Titelmatch auch nicht werden." Hikaru ließ sich beglückwünschen und fühlte sich siegestrunken und wie in Watte verpackt. Er sah, dass Touya ein paar Worte mit einem Reporter wechselte und dachte sich, dass er das vermutlich im nächsten Weekly Go lesen konnte. Andere Pros kamen und gratulierten ihm, sogar Ochi war an diesem Tag im Institut gewesen.

"Touya!" rief er zwischendrin, als er sah, dass der andere zum Ausgang ging. Der dunkelgrüne Schopf drehte sich zu ihm. "Lass uns zusammen zur Bahn gehen!" Touya nickte und wartete geduldig darauf, dass Hikaru die anderen Pros abwimmelte, die ihm ein letztes anerkennendes Schulterklopfen oder nette Worte mit auf den Weg gaben. Schließlich griff Hikaru seinen Rucksack und kam zu Touya gelaufen. "Wollen wir ins Aquarium?" fragte Hikaru. Touya runzelte die Stirn und sah ihn an, als ob er etwas nicht verstanden hatte. Schließlich zuckte er die Schultern, genug Zustimmung für Hikaru, also ging er vor.

Obwohl sie nebeneinander liefen schien Touya darauf zu achten, dass sie sich nicht berührten. Hikaru fragte sich, ob er das machte, damit sein Rivale sich nicht unwohl fühlte, oder weil er kein Verlangen mehr danach hatte, ihn überhaupt zu berühren.

Hikaru kaufte sich ein Ticket und sie gingen schweigend hinein. Auch die blauschwarzen Gänge passierten sie die ersten Minuten ohne ein Wort. Es war fast schon bemerkenswert, wie Touya jegliche Berührungen zwischen ihnen verhinderte. Hikaru dachte an den Tag, an dem sie hier gewesen waren, an dem Touya hier seine Hand gehalten hatte, viel zu oft und viel zu lange, und ob es seltsam sein würde, wenn er es wieder tat.

"Es war das zweite Mal", sagte Touya schließlich.

"Hmm", machte Hikaru. Das zweite Mal, dass er gegen Touya gewonnen hatte. "Ich schätze, ich kann mir endlich wieder die Haare bleichen." Touya warf einen Blick auf Hikarus Pony und musste etwas lächeln, als er nickte. "Bist du mir böse?" fragte Hikaru schließlich. Er war stehengeblieben und sah Touya an, auf dessen Haaren und Gesicht wieder ein blauer Schimmer lag.

Touya drehte sich zu ihm und sah ihn fragend an. "Shindo, wieso sollte ich dir wegen Go böse sein? Genau das war es, worauf ich jahrelang gewartet habe, dass endlich jemand zu mir aufschließt, nein, dass du es bist, der zu mir aufschließt. Nichts versetzt mich in mehr Euphorie, glaub mir-"

"Und warum nimmst du dann nicht meine Hand?!" Es war raus, bevor Hikaru darüber nachdenken konnte. Verdammt, er hatte sich seit Tagen darüber den Kopf zerbrochen, wieso hatte er es nicht einfach ignoriert? Touyas Gesichtsausdruck war dagegen all das wert. So überrascht hatte Hikaru ihn noch nie gesehen, sogar der offene Mund fehlte nicht. "Nein, so habe ich das nicht-"

"Willst du, dass ich deine Hand nehme?"

"Nein, ich... ich habe mich nur erinnert, und... und, ähm, mich gewundert. Vergiss es einfach, es kam falsch rüber." Doch Touya dachte nicht daran, stattdessen kam er auf Hikaru zu. Er stellte sich so nah zu ihm, dass ihre Gesichter sich fast berührten. Als Touya sprach, strich sein Atem über Hikarus Wangen.

"Hör auf, mir immer wieder andere Signale zu geben, Shindo. Sag mir einfach, was ich denken soll."

"Wie soll ich dir das sagen, wenn ich es selbst nicht weiß?!"

Touyas Augen waren so nah, dass Hikaru die leichten braunen Sprinkel darin sah, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten. Sie sahen sich wieder viel zu lange an, keiner wusste, was er dem anderen sagen sollte oder was er selbst hören wollte. Schließlich strich Touya mit dem Daumen über Hikarus Handrücken. Er nahm beide Hände in seine und verschränkte ihre Finger miteinander.

"Ist es okay, wenn ich das tue? Ist es das, was du wolltest? Oder wirst du mich wieder von dir weisen, kaum dass ich dir den Rücken zuwende?"

"Ich weiß nicht", flüsterte Hikaru heiser. Touyas Hand fühlte sich weich an, er spürte die Hornhaut an Mittel- und Zeigefinger. Er fuhr die Hand entlang und fühlte das Handgelenk, das in den schmalen Arm mündete. Touyas Finger glitten seinen Arm nach oben, am Hals entlang und landeten in Hikarus Haaren, in die sie sich schmerzhaft krallten. Hikaru zuckte zusammen, doch Touya ließ nicht locker. Sein Rücken bog sich etwas und er lehnte die Stirn an Hikarus Oberkörper. Es sah nach einem inneren Zwiespalt aus, der ihn zu zerreißen drohte.

"Touya", flüsterte Hikaru. "Touya, hör auf. Es ist in Ordnung, okay? Du hast mich nicht verloren, ich bin noch hier." Er wusste, dass er es nicht nur zu Touya sagte, sondern auch zu sich selbst und zu Sai. Sai, den er auch nicht verloren hatte, der auf eine bestimmte Art immer noch bei ihm war.

"Versprich es mir."

"Ich verspreche dir, dass ich morgen auch noch hier sein werde. Und übermorgen. Schließlich kann ich mir doch nicht erlauben, unsere nächsten Partien zu versäumen, wo ich jetzt schon eine Gewinnstrecke begonnen habe." Touya lachte tonlos.

~x~

Gemeinsam fuhren sie zu Hikaru - schließlich hatte seine Mutter für Touya mitgekocht. Sie erzählten ihr etwas von der Partie und sie hörte ihnen geduldig zu. Danach gingen sie nach oben, Hikaru schlug den Weg zum Bad ein und bedeutete Touya, ihm zu folgen. Der andere stand unschlüssig im Flur und war nicht sicher, was er davon halten sollte. Mit dem Blick auf die Treppe folgte er Hikaru. Dieser hielt ihm eine Packung vor die Nase und Touya atmete auf, als er sah, was es war: Bleichmittel.

"Hilf mir hiermit", beorderte Hikaru ihn. Er drückte Touya die Tube in die Hand und wusch sich dann mit wenigen Handgriffen den Pony, von dem mittlerweile fast zwei Zentimeter in seiner Naturhaarfarbe nachgewachsen waren. Touya las die Gebrauchsanleitung, während Hikaru am Wasserhahn beschäftigt war.

"Mach das lieber selbst", sagte Touya skeptisch.

"Ich kann das nicht allein. Sonst macht meine Mutter das immer." Touya warf ihm einen Blick zu, der fast etwas herablassend war. "Hey, schau mich nicht so an! Jetzt zier dich nicht so, raufgepinselt damit und fertig." Hikaru verdrehte die Augen und war tatsächlich kurz davor, dem anderen die Packung abzunehmen. Die Erinnerung an seinen einzigen Selbstversuch allerdings hielt ihn davon ab. Danach hatte er zwei Wochen ein Basecap getragen, weil er verschiedene andere Strähnen und Flecken erwischt hatte und ein wenig Ähnlichkeit mit einer orangefarbenen Milchkuh gehabt hatte.

Touya seufzte schließlich und zog einen der Plastikhandschuhe über, die der Packung beilagen. Ungeschickt trug er das Mittel auf Hikarus schwarzen Ansatz auf. "Ist das nicht schädlich oder so?"

Hikaru zuckte nur die Schultern. "Gefällt es dir nicht?"

"Weiß nicht. Ich kenne dich nur so."

Schließlich musste das Mittel einwirken. Sie saßen nebeneinander auf dem Rand der Badewanne und redeten über ihre Partie.

"Dieser Zug auf 8-12, der war nicht von schlechten Eltern. Danach war die Partie eigentlich entschieden", erinnerte Touya sich. Er dachte daran, wie überrascht er bei dieser Antwort auf seinen vorigen Zug gewesen war, weil er sie nicht vorhergesehen hatte.

"Ich denke, mit 6-11 hättest du noch intervenieren können", meinte Hikaru. Er musste allerdings zugeben, dass der erwähnte Zug fast ein Geniestreich von ihm gewesen war. Er hatte ihn plötzlich erkannt und ausprobieren müssen. Er erinnerte sich an Asumis Worte zu Zügen, die man nicht erwartet hatte, die aber nichtsdestotrotz absolut einfach und natürlich waren. Wie Touya und er, das war damals der Zusammenhang gewesen. Und jetzt, wo sie in Eintracht nebeneinander saßen und zwanglos plauderten, erkannte er, wie recht sie gehabt hatte. Wie einfach und natürlich ihre Beziehung war, als hatte sie schon immer sein sollen.

"Ich hätte nicht erwartet, dass du gewinnst", gab Touya nach kurzem Überlegen zu.

Hikaru schüttelte den Kopf. "Ich auch nicht. Ich war überhaupt nicht nervös. Komisch, oder?"

"Wir haben schon so oft gegeneinander gespielt, irgendwann musste es ja zu etwas gut sein."

Touya nahm ungeschickt Hikarus Hand und betrachtete sie gegen seine eigene. Hikarus Finger waren etwas dunkler, Touyas wirkten bedenklich blass dagegen. Sie waren nicht so schmal wie Touyas, aber trotzdem wohlgeformt und gerade, an ihrer beider Hände waren die Nägel von Mittel- und Zeigefinger abgenutzt, eine Berufskrankheit, dachte Hikaru bei sich.

Touya sah in Gedanken auf ihre verschränkten Hände und Hikaru fragte sich, was dem anderen durch den Kopf ging. Vermutlich Go. Oder er fragte sich, wie es innerhalb weniger Tage dazu gekommen war, dass sie nun so hier saßen.

"Was wäre, wenn du verloren hättest? Wäre das gleiche passiert?"

Hikaru überlegte kurz. "Vermutlich nicht. Dann wäre ich niedergeschlagen nach Hause geschlichen."

"Dann habe ich ja Glück gehabt", lächelte Touya.

Hikaru grinste. "Warte erst ab, was bei deinen nächsten offiziellen Niederlagen passiert."

Touya schürzte wieder die Lippen. "Ich möchte es ja nicht herausfordern, auch wenn ich gespannt bin."

Hikaru stand auf und seine Hand war wieder frei. Er wusch sich das Bleichmittel aus den Haaren und betrachtete den Ansatz kritisch im Spiegel. "Naja... dir fehlt eindeutig Übung. Nächstes Mal sieht es hoffentlich besser aus." Touya lächelte bei der unterschwelligen Bedeutung dieser Worte.

~x~

Er traf sich am nächsten Tag mit Asumi. Sie wollte einen Kimono kaufen und nahm ihn als Berater mit. Sie dachte, wie gut es war, einen schwulen Freund zu haben, auch wenn Hikaru das sicher nicht gern hören würde. Sie trafen sich beim Go-Institut, weil sie an diesem Tag ein Spiel gehabt hatte. Als sie ihn herannahen sah, breitete sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht aus.

"War es ein Unentschieden?"

"Was?" fragte Hikaru verwirrt, als er sie erreichte.

"Deine Haare. Offensichtlich hast du weder gewonnen noch verloren. Schließlich ist irgendwie nur die Hälfte gebleicht."

Hikaru verzog den Mund und schüttelte gleichzeitig den Kopf. "Ich habe gewonnen." Genau genommen hatte sie das schon gewusst, Waya hatte es ihr am Telefon erzählt und von der Partie geschwärmt. "Ich habe Touya gezwungen, es zu machen."

Sie verbarg ihre Verwunderung hinter einem neuen Grinsen. "Er scheint ein schlechter Verlierer zu sein. Und seine Rache war grausam." Sie lachten, als sie sich zum Gehen wandten. Sie hatte genaue Vorstellungen, wohin sie wollte und leitete den Weg. Insgeheim fragte Asumi sich, wie die beiden von einer so intensiven Partie, wenn man Wayas Bericht Glauben schenken konnte, zum Haare färben gekommen waren. Sie zumindest war nach einer Niederlage immer ein bisschen sauer auf ihren Gegner, mehr natürlich auf sich selbst.

Hikaru war ein miserabler Einkaufsberater. Nicht nur, dass er wenig Gefühl dafür hatte, welche Farben allgemein zusammenpassten oder speziell zu ihr passten. Auch wenn sie ihm verschiedene Modelle zeigte, wusste er nicht viel zu sagen, außer dass sie darin wunderschön war. Kompliment schön und gut, aber bei der Entscheidung half er ihr wirklich nicht.

Es dauerte fast drei Stunden, bis sie schließlich einen Kimono fand, der ihr selbst gefiel. Sie schickte Waya ein Bild davon und er segnete ihn ab. Hikaru lud sie als Entschuldigung für seine Nutzlosigkeit zu Ramen ein, dort verquatschten sie sich und blieben fast zwei Stunden.

Auf dem Weg zur Bahn traute sie sich schließlich, ihn auf Touya anzusprechen.

"Sag mal, was ist jetzt mit dir und Touya? Ihr habt euch ja offensichtlich vertragen, aber du kannst mir nicht erzählen, dass da nicht mehr passiert ist."

Hikaru blickte starr auf den Boden, er wurde leicht rot, aber Asumi merkte es nicht. "Wie kommst du darauf?" Das war gut, etwas Zeit erkaufen, während er sich überlegte, was er ihr erzählen konnte. Andererseits, bisher hatte er ihr alles ohne Umschweife erzählt, warum sollte er das ändern?

"Mal ganz abgesehen davon, dass du absolut strahlst - was schon eine Weile nicht mehr der Fall war - hast du vorhin die ganze Zeit auf dein Handy gesehen."

"Das war nur wegen der Uhrzeit", verteidigte er sich, musste aber zugeben, dass er zumindest eine Nachricht von Touya erwartet aber nicht bekommen hatte. "Ist ja gut... Ein bisschen hast du ja Recht."

"Seid ihr zusammen?"

"WAS?! Gott, nein! Überhaupt nicht." Hikaru schaute sie verblüfft an.

"Wirklich nicht? Was denn dann?"

Hikaru überlegte eine Weile. Es hatte sich nicht viel geändert. Touya durfte jetzt seine Hand nehmen, ohne dass er Reißaus nehmen würde, aber mehr auch nicht. Mehr Körperkontakt oder gar Küsse waren nicht drin. Touya versuchte es auch gar nicht. Hikaru wusste nicht, ob es je soweit kommen würde, oder ob das einfach ihre Art von Beziehung neben dem Go war. "Irgendetwas, was nicht so... schwul ist", sagte er schließlich, schaudernd bei dem Wort. Asumi verdrehte die Augen bei seinen offensichtlichen Vorurteilen, erwiderte aber nichts. Vermutlich brauchte er einfach Zeit, um das zu akzeptieren, dachte sie sich. "Wir sind kein Paar, aber was wir im Go haben überträgt sich langsam auf uns selbst."

Also doch ein Paar, dachte Asumi. Sie sagte nichts mehr dazu - Hikaru würde schon noch früh genug erkennen, was er mit Touya hatte. Sie konnte es ja selbst nicht ganz in Worte fassen, was die beiden vermutlich verband, aber es war definitiv etwas Beneidenswertes. Touya hatte, seit er zwölf war, darauf gewartet, dass Hikaru zu ihm aufschloss. Jetzt, vier Jahre später, hatte er es geschafft. Wie Touya sich wohl fühlen musste? Ekstatisch war wahrscheinlich noch untertrieben.

Nach den zwei Stunden verabschiedeten sie sich in unterschiedliche Richtungen. Hikaru schlug den Weg nach Hause ein und Asumi beschloss, noch bei Waya reinzuschneien. Auf dem Weg von der Bahn zu seinem Haus rief Hikaru Touya an.

"Was ist los?" meldete sich der andere ohne Umschweife.

"Wie, was ist los? Du hast dich den ganzen Tag nicht gemeldet. Ich dachte, wir könnten wenigstens noch eine Partie spielen!"

"Tut mir leid, Shindo, aber Ashiwara-san ist hier und wir beginnen gleich unser Spiel. Wir sehen uns doch sowieso Dienstag."

"Hm..." machte Hikaru. Touya wollte ihn also gar nicht vorher sehen? Nicht, dass er dem anderen deswegen hinterherlaufen würde. Anscheinend hatte er doch nicht allzu viel in ihren Fortschritt interpretiert, und Hikaru beschloss, dass er das gleiche tun sollte. "Wie lange sind deine Eltern noch weg?"

"Diese Woche kommen sie kurz nach Hause, aber dann fahren sie für zwei Monate nach Europa."

"Europa ist ganz schön weit weg", gab Hikaru zu bedenken.

"Du musst dir keine Sorgen um mich machen." Man hörte Touya lächeln und es steckte Hikaru an.

"Gut, in Ordnung, bis Dienstag."

Er legte auf und dachte eine Weile nach. Touyas Geburtstag war in einem Monat, am vierzehnten Dezember. Und er würde ganz alleine sein. Dem musste auf jeden Fall Abhilfe geschaffen werden, und er hatte auch schon eine Idee, wie.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Collectress
2010-09-07T14:20:45+00:00 07.09.2010 16:20
Toll!
Ich finde gut, dass Hikaru auch mal gewinnt....
Ich hatte ehrlich erwartete, dass er es nicht tut...
Und wie du Spannung aufgebaut hast...hat mir echt gut gefallen.
Mach weiter so!


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