Die Künstlerin
Sie konnte es noch immer nicht ganz begreifen, aber das machte nichts. Die Tatsache, dass sie an ihrem Untergang nicht mehr viel rütteln konnte, dass ihr gesamtes Lebenswerk nun endgültig zerstört war, ließ ihr keinen anderen Schritt als den, den sie zu gehen beschlossen hatte. Bis zum bitteren Ende. Ihr gesamtes Leben hatte sie auf diese Ausstellung hingearbeitet, schon mit zwölf hatte sie gewusst dass sie einmal in ihrem Leben so weit kommen wollte. Ein einziges Mal in den alten Lagerhallen ihre Werke präsentieren zu dürfen, das war alles was sie je gewollt hatte. Und nichts hatte sie davon abhalten können, für diesen Traum zu leben, ihre Eltern nicht, ihre Schwester nicht. Ihre regelrechte Besessenheit hatte sogar drei ihrer Freunde letzten Endes in die Flucht geschlagen. Um genau zu sein alle Freunde, die sie jemals gehabt hatte, aber sie hatte nicht aufgegeben. Und nun, nach der Erfüllung ihres Wunsches, konnte sie ihren Triumph über alle anderen, die an ihr gezweifelt hatten, nicht mehr genießen. Alles war zusammengebrochen, in nicht einmal einer Stunde.
Explosion einer Gasleitung hatte es geheißen. Zwei Passanten waren leicht von umherfliegenden Gegenständen verletzt worden, sonst war kein Personenschaden entstanden.
Dass ihre Werke, ihr gesamtes Leben in dem darauf folgenden Großbrand ausgelöscht worden waren, erwähnte der Zeitungsartikel mit keinem Wort.
Bedächtig ließ sie das Badewasser in die Wanne laufen und überprüfte das Arrangement, das sie aufgestellt hatte, nochmals. In einer halben Stunde musste sie damit rechnen, dass Leonard kam. Er hatte den Schlüssel und obwohl er erst in einer Stunde kommen sollte, kannte sie ihn gut genug um diese Prognose treffen zu können. Lieber zu früh als zu spät, das war das Motto, dem er sein Leben gewidmet hatte.
Rings um die Wanne lagen rote und weiße Rosen, ergänzt durch einen vollen Strauß zu ihren Füßen. Die Vase, eine Sonderanfertigung, war geschmückt mit Saphiren und ihrem eingravierten Porträt. Es war perfekt angeordnet, jede Blume steckte genau an ihrem Platz.
Sie kontrollierte, ob das Wasser heiß genug war und dampfte, dann gab sie eine große Menge Badezusatz hinein und beobachtete, wie sich große Schaumtürme bildeten.
Auch die Kamera stand bereit. Es würde eine perfekte Überraschung werden, das wusste sie, genau wie sie wusste dass auch der Rest dieser Szenerie perfekt war. Ein weiterer Blick auf die Einstellungen, dann knöpfte sie behutsam ihre Bluse auf. Leicht fiel der Stoff zu Boden, nahezu lautlos, gefolgt von ihrer Unterwäsche. Eine Hose trug sie nicht.
Das Schwierigste an ihrem Unterfangen war, die Rosenblüten auf dem Wannenrand nicht zu berühren, doch auch das gelang ihr. Das Wasser verbrühte ihr die Haut, doch es war ihr egal, sie glitt hinein als wäre nichts.
Gespannt verfolgte sie den Zeiger der Uhr über der Tür, sah zu wie der Sekundenzeiger Stück für Stück weiterwanderte. Als er die richtige Position innehatte, nahm sie das Messer an ihrer Seite, fuhr mit aller Kraft die sie aufbringen konnte über ihr Handgelenk und sah ihrem Blut fasziniert dabei zu, wie es in die Wanne floss und den Schaum rot färbte. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich von dem Anblick losreißen, legte die verletzte Hand unter die Wasseroberfläche, lehnte sich so grazil wie sie noch konnte zur Kamera hin und fühlte, wie ihr langsam kalt wurde.
Das Letzte, was sie wahrnahm, war das mehrmalige Klicken der Kamera, das begleitet wurde von einem leisen, verlöschenden Triumph. Selbst im Tod würde sie für ihre Kunst leben.
Eine Kunst, die niemand mehr verleugnen konnte.
Niemals.