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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil 2

Zwischen Gott und Teufel
von

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Papiere machen Leute

Ich schwieg lange, ehe ich antwortete, denn auch wenn ich Nevar vertraute, so verspürte ich dennoch ein gewisses Unbehagen. Niemandem schenkte ich mehr Vertrauen als ihm, trotzdem wollte ich keinen weiteren Fehler begehen. Es könnte genauso gut sein, dass er mir nur alles vorspielte, um Domenico zu warnen, sollte ich erneut auf dumme Ideen kommen. Doch diesen Gedanken streifte ich dann einfach ab. Warum sollte er das tun? Es ergab wenig Sinn. Nachdenklich fuhr ich mit den Fingern über das Buch in meinen Händen und dachte an die Lektüre bezüglich der Samariter. Die letzten Seiten hatten gefehlt und der restliche Text war nichts weiter als eine große Ansammlung aneinander gereihte Vermutungen gewesen. Ich hatte nicht vor, meine ebenso viele Vermutungen aneinander zu reihen, so kam ich schließlich nie voran und so sah ich dann auf und musterte Nevar ernst.

Der Mann saß geduldig vor mir und ich sah an seinen Augen, dass er bereit war, mir zuzuhören und mich eventuell zu unterstützen. Also erklärte ich ihm:

„Ich will hier raus, Nevar. Raus aus der Deo Volente.“

Mein Gegenüber nickte. „Das Jahr ihr schnell vorbei, glaubt mir.“

„Nein.“, mit gesenktem Blick betrachtete ich wieder das Buch. Wie hatte der Mann sich gefühlt, der dieses Schreiben verfasst hatte? Laut dem, was ich überflog, diente auch er eine Zeit lang der Inquisition. Leise flüsterte ich: „Ich kann es nicht. Ich bewundere Euch, für das, was Ihr tut, Nevar. Ihr dient einer Sache, die Ihr abgrundtief hasst und ich dachte, ich könnte Euch folgen. Ich dachte es wirklich, ich wollte es von ganzem Herzen. In der Zeit, die ich bei Euch verbrachte, wurdet ihr...“, kurz zögerte ich. „...eine Art Vorbild für mich, auch wenn das etwas übertrieben klingt.“, kurz herrschte Schweigen. Nevar beugte sich zu mir, um Augenkontakt herzustellen und ernst forderte er mich mit einem Nicken auf, fortzufahren. Ich seufzte leicht. „Ich dachte, ich würde es schaffen, ein Jahr für Domenico zu arbeiten. Ich meine, ich bin dann frei oder nicht? Keine Verfolgung mehr, eine feste Arbeit, vielleicht ein Haus, vielleicht sogar ein Weib. Meine Melancholie war fast weg, ich hatte einen festen Platz im Leben, versteht Ihr?“, seufzend sah ich zum weißen Fenster. „Aber das ist nicht mein Platz. Ich fühle mich, wie in einem zweiten Kloster, nur anders und dieses Gefühl macht mich krank. Es fällt mir schwer, das zu erklären.“

„Ihr möchtet frei sein.“, stellte Nevar lächelnd fest.

Nickend fuhr ich fort: „Ich möchte wirklich nicht undankbar sein, Nevar, Ihr habt mir sehr geholfen. Ihr habt mir das Leben gerettet und ich schulde Euch viel, denn ohne Euch hätte ich gewiss aufgegeben. Verloren.“, dann erhob ich mich und ging langsam zum Tisch hinüber. Ich legte das Buch zurück und war für einen Moment erleichtert, dem Attentäter nicht entgegen sehen zu müssen. Mit dem Rücken zu ihm blieb ich stehen und legte die Hände auf die kalte Tischplatte. Es war ein angenehmes und sehr tröstendes Gefühl für mich. „Als ich damals das Kloster verließ, lag es nicht daran, wie ich sagte, dass man meinen Freund als Ketzer verbrannt hatte. Es war nur der Auslöser gewesen. In Wahrheit hatte ich es bereits Jahre zuvor nicht mehr ausgehalten. Ich war mein Leben lang ein Gefangener, so lange ich denken kann. Bei meinem Vater, im Heim, im Kloster, auf See, im Tollhaus, im schwarzen Kater, in Eurer Obhut und nun hier. Nur wenige, kurze Tage dazwischen war ich frei, wirklich frei. Das möchte ich nicht mehr. Ich möchte immer frei sein, jeder Zeit.“

Nevar lehnte sich wieder zurück und einige Zeit hörte ich nur, wie er den Stuhl vor sich zurecht schob und die Stiefel darauf lehnte. Nachdenklich wollte er wissen: „Und Ihr meint, nach diesem Jahr könnt Ihr es nicht sein?“

„Doch, das glaube ich schon. Ich traue Euch, Nevar, nur Euch. Und wenn Ihr sagt, Domenico lässt mich gehen, wenn das Jahr vorüber ist, dann ist dem so. Aber bis dahin kann ich nicht warten.“, seufzend starrte ich erneut auf das Buch. Mir fiel auf, dass das es mich wie magisch anzog und ich legte jenes von Colm darüber, in der Hoffnung, diese Magie ginge verloren. „Dies ist Eure Geschichte, Nevar. Nicht meine. Ich kann Euch auf diesem Weg, in diesem Kampf, nicht begleiten. Ich möchte es nicht.“, zögernd drehte ich mich zu ihm. „Es tut mir leid, aber ich möchte mich in diese Sache nicht einmischen. Weder für die Seite der Samariter, noch für die Seite der Inquisition. Es ist Unrecht, was Eurem Volk passiert ist und es ist gewiss etwas, was unterbunden werden muss. Aber nicht von mir, nicht jetzt. Erst muss ich meinen eigenen Platz finden. Ich teile viele katholische Ansichten und andere nicht. Ich muss herausfinden, wer ich bin. Woran ich glaube. Versteht Ihr?“

Der Attentäter schmunzelte nur und ich beneidete ihn um die Stärke, die er besaß. An seiner Stelle wäre ich enttäuscht gewesen oder gar frustriert, aber Nevar sah mir ruhig entgegen, als wäre nichts. Er hatte Recht, er stand über den Dingen, in jeder Hinsicht. „Ich habe und hätte niemals verlangt, dass Ihr mich in dieser Sache begleitet. Ihr habt derzeit kein Leben, welches Ihr dafür riskieren könntet und ich weiß, dass so ein Leben zu bekommen euer einziger Wunsch ist.“

„Also versteht Ihr es?“, fragte ich hoffnungsvoll.

„Natürlich.“, mein Gegenüber zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme. „Asahacia geht Euch doch nicht das Geringste an, Falcon, die Samariter genauso wenig. Hättet Ihr unter Domenicos Befehl einen der Samariter gestellt, dann wäre das so gewesen und ich hätte Euch keinerlei Vorwurf deswegen gemacht. Ihr und ich, wir sind zwei Menschen, zwei Leben und zwei Geschichten. Ich habe die meine, Ihr die Eure. Macht Euch kein schlechtes Gewissen, dass Ihr den Samaritern nicht helfen wollt. Ihr schuldet mir nichts und ihnen noch weniger.“

Schweigend starrte ich auf meine Stiefel, leicht an den Tisch gelehnt. Meinte er das ernst? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und fürchtete, er könnte mich für feige halten. Nevar lachte: „Aber Ihr lenkt uns vom Thema ab, Falcon. Ich wollte wissen, was Ihr vorhabt und statt es auszusprechen, redet Ihr drum herum. Ihr wollt also gehen? Die Deo Volente verlassen?“

Schritte hallten durch die Gänge und unterbrachen mich, ehe ich etwas sagen konnte. Wir schwiegen beide und sahen aufmerksam zum Flur, bereit, zu reagieren, wer auch immer da kam. Nevar rührte sich nicht und blieb sitzen, wobei es wohl angebrachter gewesen wäre, sich zum Putzeimer zu stellen oder wenigstens die Bücher zurück zu legen.

Langsam ging die Tür auf.

„Ich bin es nur.“, kündigte sich Francesco an, noch ehe wir ihn sehen konnten. Ruhig kam er näher und lugte irgendwann hinter dem Regal hervor. „Herr Domenico verlässt nun sein Zimmer. Es dauert nicht lange, er trifft nur einen Vertreter der Handelsgesellschaft in der Vorhalle. Ich schließe ab und bitte sprecht nicht zu laut. Ich bekomme Probleme, wenn eine seiner Begleitpersonen euch zwei hier findet.“

„In Ordnung.“, brummte Nevar nur desinteressiert.

Francesco nickte und wollte hinaus, kam dann aber erneut in unser Sichtfeld und bat ihn leise: „Ach und Meister Nevar: Ihr seid nun bereits seit vier Stunden hier. Ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr wenigstens endlich anfangen würdet, auch wenn es mühselig ist.“, dann verbeugte Francesco sich leicht, ging wieder und die Tür fiel ins Schloss. Wir lauschten, wie er den Schlüssel mehrmals herum drehte und seine Schritte dann wieder verhallten.

Mies gelaunt schnaubte Nevar: „Bete lieber für ein Wunder, das ist effektiver.“

„Gehört er-...?“, ich rückte etwas mehr auf den Tisch hinauf. „Na ja, gehört Francesco-…?“

„Zu den Samaritern?“, mein Gegenüber wiegte den Kopf und wandte sich wieder mir zu. „Halb, halb. Er ist ein sehr guter Freund und lässt mir ab und an Informationen zukommen, mehr aber nicht. Sagen wir, er ist für freie Meinung, er unterstützt die Samariter aber nicht ganz und gar. Er ist gegen Gewalt, daran liegt es. Meist weiß er nicht, wem er die Informationen gibt oder von wem sie kommen. So ist es am besten, versteht Ihr? Es ist sicherer für ihn.“

„Ich verstehe.“, ich stützte meine Hände auf den Tisch und lehnte mich etwas zurück. „Nun, was ich vorhabe, wolltet Ihr wissen. Eigentlich nichts Konkretes. Ich habe vor, abzuhauen. Ich dachte, dass ich vielleicht ein bisschen spionieren könnte, während Domenico denkt, ich tue, was er verlangt. Und wenn ich genug weiß, kaufe ich mich damit frei.“

„Das funktioniert so nicht.“, Nevar schüttelte entschieden den Kopf. „Auf keinen Fall. Wenn Ihr etwas herausfindet, was andere Spione noch nicht herausgefunden haben, wird Domenico Euch erst recht nicht gehen lassen. Ihr wärt somit einer seiner besten Informanten. Er wäre dumm, würde er es tun.“

„Aber ich weiß nicht, was ich sonst machen soll.“, gab ich leise zu. „Wenn ich nichts tue, muss ich nun noch ein ganzes Jahr mitspielen und ich möchte nicht weiter sein Handlanger sein. Ich sehe es nicht ein, noch weitere Monate Schläge einstecken zu müssen, das mit Morgan und Stewart hat mir wirklich gereicht. Ich habe jetzt noch Albträume davon.“

Nevar nickte, dann setzte er die Füße zurück auf den Boden und lehnte die Ellenbogen nachdenklich auf die Knie. „Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr so früh aufgebt. Wenn ich ehrlich bin, wusste ich, dass Ihr gehen werdet. Aber so früh hatte ich es wahrlich nicht erwartet. Meine Hoffnung war, Ihr haltet das Jahr durch und bekommt ein neues Leben.“

„Ich dachte auch, ich halte länger durch, aber das mit diesem Stewart war einfach zu viel, schätze ich.“

Es wurde dunkler im Raum, da eine Wolke sich vor die Sonne schob und das Licht im Raum etwas dämpfte, fast, als würde sie mein Gesagtes untermalen wollen. Für einige Momente sagte niemand mehr was und jeder dachte nach. Es beruhigte mich, dass Nevar weder enttäuscht, noch verletzt war. Im Gegenteil, er machte sich nun sogar Gedanken, wie er mir helfen könnte. Dafür war ich dankbar.

„Nun, Falcon. Entweder, Ihr spielt mit oder Ihr geht mit Gewalt vor.“

„Ich werde ihn nicht umbringen.“

Überrascht sah mein Gegenüber auf und grinste. „Aber Ihr habt es in Betracht gezogen.“, stellte er fest.

Unsicher blickte ich ihm entgegen, leicht beschämt. „Habt Ihr sonst keine Idee?“

Diese Frage brachte ihn leicht zum Lachen. „Ihr seid doch derjenige, der immer so viel fragt und denkt.“

„Ja, das kann sein, aber ich grübele Tag und Nacht. Ich habe mir vorgestellt, wie ich ihn töten könnte und mit den Papieren verschwinden, aber was, wenn ich dann als Falcon O'Connor gesucht werde? Ich bin auf ihn angewiesen, weil mein altes Leben nicht mehr lebbar ist. Diese Unterlagen sind meine einzige Chance, bis ich die Absolution habe. Ich kann nur als Sullivan O'Neil weiter machen, aber dafür brauche ich seine verfluchte Unterschrift.“, entnervt stand ich auf und begann im Raum umher zu laufen, wie so viele Male zuvor in meinem Zimmer. „Ich brauche seine Unterschrift auf der Absolution und er wäre schön blöd, wenn er die Papiere dafür fertig aufgesetzt in seinem Zimmer hätte. Also wie komme ich da ran, Nevar? Wie komme ich an die verfluchten Unterlagen?“

„Francesco schreibt sie für Domenico.“, erklärte er mir ruhig und sah mir beim Herumlaufen zu. „Er schreibt sie für ihn, im Beisein von Domenico und dem Betroffenen. Das Blatt, das er Euch zeigte, hat er mit Sicherheit längst verbrannt, ihr werdet es also nirgendwo finden. Doch ich bezweifle ehrlich gesagt, dass Francesco Euch ein solches Pergament aushändigen würde. Nicht einmal für mich würde er solch eine Straftat begehen.“

„Dann muss ich ihn erpressen oder bestechen oder ähnliches.“, dachte ich laut.

Nevar lachte trocken: „Erpressen? Bestechen? Francesco? Das könnt Ihr vergessen.“

„Dann muss ich es fälschen!“

„Falcon, es ist sinnlos.“, auch er erhob sich nun und kam mir entgegen, um mich aufzuhalten. Seufzend blieb ich vor ihm stehen und ließ mir seine Hände auf die Schultern legen. „Ihr werdet so einfach nicht an solche Papiere kommen. Davon abgesehen reicht eine einfache Absolution nicht. Ihr braucht zusätzlich ein Schuldbekenntnis, sowie den Nachweis, dass Ihr Eure Schuld in Form von Buße beglichen habt. Dafür ja dieses Jahr Arbeit. Ihr braucht drei Blätter, wenn Ihr mit einem rein gewaschenen Namen weiter leben wollt und diese zu bekommen ist nicht leicht.“

Niedergeschlagen sah ich den silbernen Vogel seines Umhangs an. „Das ist nicht gerecht. Wieso muss ich von einer Sache in die nächste rennen?“

„Falcon, hört auf damit.“, Nevars Griff wurde fester. „Ihr habt verdammt viel hinter Euch gelassen, dies hier schafft Ihr nun auch.“, dann ließ er mich los und verschränkte wieder die Arme. „Denkt Ihr nicht, wenn es so einfach wäre, hätte ich Euch die Sache mit Domenico erspart? Es war nicht meine Absicht, Euch das Leben zu erschweren, sondern Euch zu helfen. Ihr seid ein Flüchtling der Inquisition gewesen, genauso wie ich. Ich wollte Euch helfen, deswegen wart Ihr bei mir und deswegen seid Ihr nun bei Domenico.“

„Ein Flüchtling-...?“, unsicher sah ich ihn an. „Ihr seid ein Flüchtling? So, wie ich?“

Nevar seufzte leicht. „Darum geht es jetzt nicht, Falcon. Es geht um Folgendes:

Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren und nachzudenken, ehe man etwas tut. Besonders für Menschen wie uns. Menschen wie Ihr und ich, erinnert Ihr Euch?“

‚Verbrecher, die niemals Verbrecher sein wollten.’, wiederholte ich seinen Satz im Kopf, etwas benommen nickend. ‚Gesuchte und Abtrünnige.’ Ich wusste nicht ganz, worauf er hinaus wollte und starrte ihm unsicher entgegen. Nevar fuhr bereits fort:

„Es ist wichtig, dass Ihr jeden Schritt drei, bis vier mal durchdenkt, Falcon. Ihr könnt jederzeit zu mir kommen, aber macht Euch eines bewusst: Ihr habt Probleme, ja, aber ein Problem zu bewältigen, dem man nicht gewachsen ist, bringt neue Probleme mit sich. Was, wenn ihr mich nicht angesprochen hättet? Weiß der Teufel, was nun passiert wäre. Ihr müsst mit Kopf vorgehen, nicht mit Gefühl.“

„Instinkte sind für Reaktionen in Notlagen und sollten dennoch stets vom Hirn geleitet werden.“

Das brachte ihn leicht zum grinsen. „Richtig und Ihr müsst nun darauf achten, dass Ihr dies auch einhaltet. Ich weiß, dass der Freiheitsdrang gerade enorm ist, aber eine Woche zu warten und dafür alles zu planen ist besser, als Hals über Kopf in die nächste Schlinge zu rennen.“

Wir hörten Schritte. Francesco war gerade dabei, zurück zur Bibliothek zu kommen, um uns heraus zu lassen. Lächelnd sah ich erst zur Tür, dann Nevar an und nickte. „Ich danke Euch. Ich werde mir etwas überlegen und Euch dann erneut aufsuchen. Ich fürchte, ohne Euch hätte ich sein Arbeitszimmer gestürmt oder wäre davon gerannt.“

„Und nicht sehr weit gekommen, nehme ich an.“, er klopfte mir noch einmal auf die Schulter, dann ging er an mir vorbei Richtung Tür. „Ich gehe jetzt spazieren. Wenn Ihr mich sucht, wendet Euch an Francesco.“

„Spazieren?“, leises Rasseln drang durch die Tür, während der gemeinte Gottesdiener den richtigen Schlüssel suchte und Nevar drehte sich zu mir. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und grinste mir leicht schelmisch entgegen. Für einen kurzen Moment erinnerte er an einen misserzogenen, kleinen Jungen, der sich einen Streich ausgedacht hatte.

„Spazieren. Ich habe lang genug hier unten Buße getan, zwischen all dem Staub und den unerträglichen Kerzerswerken. Ich habe schon richtig Kopfschmerzen von der vielen Blasphemie in der Luft.“

„Aber Ihr dürft die Deo Volente nicht verlassen.“, flüsterte ich ernst. Die Tür ging auf und ich griff bewusst beide auf dem Tisch liegende Bücher. Innerlich grinste ich, als mir bewusst wurde, dass das Werk Colms nun mir gehören könnte, wenn ich dreist genug war.

Nevar winkte gelangweilt ab. „Tue ich doch. Die Deo Volente hat einen Garten und der gehört für den restlichen Tag mir. Überarbeitet Euch nicht.“, dann drehte er ab.

Francesco kam lächelnd herein, die Güte in Person und wollte ihn gerade erneut begrüßen, da wandte sich Nevar ein weiteres Mal an mich. „Ach, eines noch: Ihr sollt Euch doch eine Unterkunft besorgen, so wie neue Arbeit, habe ich Recht?“, ich nickte nur und schob die Bücher schnell unter meinen Umhang, unsicher, ob Francesco sie sehen durfte. Nevar bemerkte es und grinste. „Nun, dann wendet Euch, ehe Ihr alles abgrast, an das katholische Gebäude nicht weit vom Fünf-Sterne-Platz. Es heißt Unter Marias Obhut und ist ein altes Arbeitshaus, in dem ich selbst eine Zeit lang lebte. Sie nehmen nur Obdachlose auf, aber wenn Ihr sagt, dass Ihr von Raphael kommt, helfen Sie Euch sicherlich. Es ist zwar lange her, aber viel wird sich nicht geändert haben und es ist dort auf jeden Fall besser, als auf ein Feld geprügelt zu werden oder im Tretrad einer Mühle zu schuften bis zur Ohnmacht.“, anschließend winkte er ab und ging wortlos hinaus.

Francesco sah ihm mindestens genauso verunsichert nach, wie ich, dann strahlte er mir entgegen und verkündete: „Meister Domenico ist wieder oben, Ihr könnt nun raus.“, doch seine Freude verschwand, als er den Eimer samt Besen sah. Schwer seufzend raffte der Diener seine Ärmel hoch, griff den Holzstiel und tränkte den Lappen im kalten Wasser.

Eine leichte Verbeugung meinerseits und schnell ging ich Nevar hinterher und Richtung Ausgang. Der Mann bemerkte es nicht. Er begann zu wischen und murmelte leise: „Ihr habt Euch nicht verändert, Nevar, es ist wirklich nicht zu fassen.“

In meinem Kopf ratterte es. Eigentlich war ich zu Nevar gegangen, in der Hoffnung, dass er mir Informationen geben konnte, damit ich die Samariter fand und nun war er selbst einer. Ich stand am gleichen Punkt, wie zu Anfang, nur wusste ich nun wesentlich mehr und gleichzeitig viel zu viel. Er meinte zwar, es wären zwei Wege und es wäre in Ordnung, würde ich ihn verraten, aber nur weil es für ihn in Ordnung war, musste für mich nicht das gleiche gelten.

Trübsinnig trat ich auf die Straße und erkundigte mich eher müde bei einer alten Dame nach dem Fünf-Sterne-Platz und während ich halbherzig ihrer ellenlangen Beschreibung lauschte, stellte ich für mich fest, dass ich warten musste. Ich musste warten, bis ich die Gelegenheit hatte. Nur was für eine Gelegenheit, das war eine andere Frage.

Nachdem die alte Frau fertig war und so viele Anhaltspunkte genannt hatte, dass ich sie kaum noch beibehalten konnte, fiel ihr ein besserer und viel einfacherer Weg ein und sofort ging eine weitere Beschreibung los. Leicht gequält und aus Höflichkeit hörte ich mir auch diese an und nach einigen Minuten kam ich nicht mehr zurecht. Ich nickte immerzu und bejahte, doch Bescheid wissen tat ich nicht und dann kamen ihr spontan zwei weitere, bessere und wesentlich leichtere Wege. Als das Ende dessen näher rückte, begann ich mich zu bedanken und vorwärts zu laufen und nach einigen Schritten dann gab sie endlich Ruhe und wünschte mir viel Erfolg beim Suchen. Ich schaffte es nicht, einen schweren Seufzer zu unterdrückten und schlurfte weiter.

Ich konnte nicht einfach fliehen, denn dann war ich weiterhin der gesuchte Verbrecher Sullivan O'Neil. Ich konnte nicht als Falcon O'Connor fliehen, denn dann würde Domenico verraten, wer ich wirklich war. Ich konnte ihn nicht töten, denn ohne ihn hatte ich keine Papiere. Und ich konnte nicht ein ganzes Jahr unter seinem Befehl leben, das ertrug ich einfach nicht.

Wie sehr ich es bereute, losgegangen zu sein und wie sehr ich es hasste, diese Reise begonnen zu haben. Hätte ich das Kloster bloß nie verlassen, wäre ich doch kein Mörder geworden, hätte Black nie kennen gelernt und wäre ich doch bloß nicht mit all diesen Dingen in Kontakt geraten. Doch bei der Vorstellung, was dann aus mir geworden wäre, grauste es mir.

Ich wäre ein Mönch, noch immer, für die restliche Zeit meines Lebens. Irgendwann dann hätte ich angefangen, Kinder in Gottes Lehre zu unterrichten, sie geschlagen und zurecht geprügelt, ganz im Sinne der Inquisition. Ich hätte meinen besten Freund verraten und viele weitere, hätte alles aufgegeben, keine Träume gehabt.

Ich wäre ein Mann wie Domenico gewesen.

Nein..., dachte ich immer und immer wieder. Nein, alles ist besser, als das. Alles!



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