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Falling

von

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Bist das wirklich du?

Wie lange sie bereits gelaufen war, konnte sie im Nachhinein nicht sagen, nur, dass es bereits dunkel und der Halbmond hoch am Himmel stand, als sie erschöpft innehielt.

Der Gedanke an Kyrie hatte ihr bislang Kraft gegeben, doch auch diese war inzwischen versiegt. Geblieben war nur der neue Schmerz über das Öffnen von Reibens Ruhestätte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mensch das tun würde. Dafür gab es keine Ursache.

Aber sie war sich auch sicher, dass es kein Werk von Bestien war. Zumindest würden sie nicht nur ein Grab ausheben und den sich darin befindenden Leichnam stehlen.

Es gab einfach keinen logischen Grund, warum jemand so etwas machen sollte, egal wie sehr Morte es drehte und wendete.

Also musste es einen andere Ursache geben, irgendeine, die auch Sinn machte, auch wenn sie es im Moment noch nicht sehen konnte. Fest stand nur, dass es etwas mit ihr zu tun haben musste.

Zumindest war dies eine für sie logische Schlussfolgerung. Warum sonst sollte ausgerechnet Reibens Grab geöffnet werden?

Aber was sollte jemand mit einem Skelett anfangen wollen?

Sie fand den Sinn dahinter einfach nicht.

Ein letztes Mal schüttelte sie den Kopf, um den Gedanken loszuwerden, dann lief sie weiter. Doch kaum hatte sie einen Schritt getan, erblickte sie etwas aus dem Augenwinkel, was sie noch einmal innehalten und herumdrehen ließ.

Aber das konnte doch nicht sein, oder?

Ihre Augen waren vor ungläubigem Erstaunen geweitet, während sie die Person vor sich betrachtete. Doch das spitz abstehende Haar und die ihr so vertrauten Gesichtszüge, die sanften braunen Augen, all das war für sie unverkennbar. Es konnte niemand anderes sein, es musste einfach er sein.

„Reiben...“

Ihre Stimme war nur ein leises Flüstern, dessen Existenz sie nicht einmal wahrnahm.

Er lächelte sanft. „Hallo, Morte. Lange nicht gesehen.“

Langsam schüttelte sie mit dem Kopf. „Aber das ist unmöglich.“

Sie hatte ihn selbst gesehen, als sein Sarg geschlossen worden war. Es war ganz eindeutig er gewesen, da war keinerlei Zweifel möglich. Der Schmerz über seinen Verlust griff auch in diesem Moment so stark nach ihrem Herzen wie am damaligen Tag. Es schien in ihrer Brust bersten zu wollen.

Er war tot gewesen, ganz sicher.

Aber doch stand er nun vor ihr. Angst, Verwirrung und Sehnsucht tobten in ihrem Inneren. Sie wollte sich in seine Arme werfen und alles vergessen, was seit seinem Tod geschehen war – aber andererseits war da dieses nagende Gefühl in ihr, das ihr zuflüsterte, dass etwas an dieser Szenerie nicht stimmen konnte, dass sie Angst haben sollte vor der Person vor ihr.

„Wer bist du?“, fragte sie leise.

So leise, dass sie die Worte selbst kaum hören konnte. Doch er verstand sie offenbar, denn er antwortete ihr bereitwillig: „Was für eine Frage. Reiben Asherah. Ich dachte, du würdest mich erkennen. Habe ich mich so sehr in meiner kleinen Schwester geirrt?“

„Aber das ist unmöglich“, wiederholte sie ihre Worte von vorhin. „Ich habe dich gesehen, ich habe dich beerdigt. Du müsstest tot sein.“

Reiben machte eine wegwerfende Handbewegung als könne er damit diesen Einwand beiseite wischen. „Dennoch stehe ich nun leibhaftig vor dir. Wie erklärst du dir das?“

Das frage ich mich auch.

Sie konnte es sich nicht erklären, es war einfach unmöglich und diese Erkenntnis verstärkte ihre Angst um ein Vielfaches. Nein, sie konnte nicht glauben, dass die Person vor ihr wirklich ihr geliebter Bruder war.

Sie streckte die Hand aus und strich vorsichtig über seine schwarze Kleidung, die aus einem ihr unbekannten Material bestand und schließlich über seine Haut. Die Kälte eben dieser ließ sie frösteln – allerdings befanden sie sich auf dem Frühlingskontinent, wo die Nächte reichlich kalt werden konnten. Seine Kleidung bot ihm mit Sicherheit nicht unbedingt ausreichend Schutz davor.

Der Ring an seiner Hand zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Es war das erste Mal, dass sie einen solchen sah, nicht nur an seiner Hand, sondern überhaupt. Genau wie das Symbol, das sich nicht nur auf diesem Schmuckstück, sondern auch auf seiner Kleidung wiederfand. Es war ihr gänzlich fremd.

„Was ist das?“, fragte sie, während sie darauf deutete.

Es wunderte sie selbst ein wenig, wie sie in diesem Moment die Nerven aufbringen konnte, diese Frage so klar und nüchtern zu stellen – oder sich überhaupt darüber Gedanken zu machen.

Allerdings war das auch der einzig klare Gedanke, den sie fassen konnte.

„Oh, nichts Wichtiges“, wehrte er ab.

Ihr Misstrauen schwand allerdings nicht, es verstärkte sich sogar noch einmal. Immer mehr schwand dafür die Sicherheit, dass es ihr Bruder sein könnte.

Wer immer diese Person war, er war nicht Reiben.

Mit dieser Erkenntnis beseelt wollte sie ihre Waffe ziehen und ihn angreifen, dafür, dass er es gewagt hatte, sich als ihr Bruder auszugeben. Doch er sah immer noch wie er aus und er klang auch genauso. Sie konnte nicht ihre Waffe gegen ihn erheben.

„Wer immer du bist,“, warnte sie eindringlich, „ich gebe dir nur diese eine Gelegenheit, dich endlich zu erkennen zu geben.“

Ihre Worte entlockte ihm nur ein Lächeln. „Ich habe dir bereits gesagt, wer ich bin. Glaubst du mir etwa nicht?“

Sie schüttelte mit dem Kopf und fasste den Griff ihrer Waffe. Sie müsste sie nur noch aus den Bandagen wickeln und dann könnte sie ihn angreifen. Aber sie zögerte immer noch.

Auch wenn er nicht Reiben war, er sah aus wie er und das genügte, um in ihrem Inneren Skrupel entstehen zu lassen.

Seine Stimmung schwang urplötzlich um. Sein sanftes Lächeln erlosch und machte einem verärgerten Gesichtsausdruck Platz. Es kam Morte vor, als hätte er seine Taktik geändert – was auch immer er damit bezwecken wollte.

„Morte!“

Sie zuckte zusammen, als seine Stimme schneidend kalt wurde. Das einzelne Wort klang wie ein Peitschenhieb und Morte fühlte sich, als wäre sie davon getroffen worden.

„Meine Geduld ist langsam am Ende! Ich habe nicht ewig Zeit, um mich um dich zu kümmern!“

Sie hatte bereits einigen Gefahren ins Auge gesehen, aber niemals war die Angst in ihrem Inneren stärker gewesen. Noch niemals hatte ihr kleiner Bruder so mit ihr geredet. Schlagartig fühlte sie sich in ihre Zeit als Kind zurückversetzt, nur dass sie diesmal etwas Schlimmes getan hatte und dafür nun Ärger bekam.

Das hinterhältige Lächeln auf seinem Gesicht sorgte auch nicht dafür, dass ihre Furcht abnahm.

„Endlich.“

Sie verstand nicht, weswegen er das sagte oder warum er plötzlich seine Hand nach ihr ausstreckte.

Morte konnte diese nur anstarren – als plötzlich ein Schuss die eingetretene Stille zerriss.

Reiben schrie auf und wich zurück. Er hielt sich die verletzte Hand aus der eine schwarze, zähe Flüssigkeit tropfte. Sein suchender Blick ging in die Richtung, aus welcher der Schuss gekommen war. Morte sah ebenfalls zur Seite, aber so richtig glauben konnte sie nicht, was sie da sah. „Lia... und Naja...“

Sie konnte sich keinen Grund vorstellen, warum das beste Duo des ehemaligen Welterrettungskomitee sie retten sollte, aber offensichtlich war es gerade geschehen. Zumindest wenn Morte das fremdartige Verhalten von Reiben richtig interpretierte.

Ihr Bruder fluchte laut, was ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn lenkte. Ungläubig beobachtete sie, wie die Wunde an seiner Hand verheilte, als wäre nie eine dagewesen.

Sie wich zurück.

Das ist nicht Reiben! Ich hatte recht!

Er knurrte. „Ihr schon wieder. Wie konntet ihr so schnell hierher kommen?“

Naja hob belehrend seinen Zeigefinger und wedelte mit diesem vor seinem Gesicht herum. „Unterschätze uns nicht. Wir können mehr, als du ahnst.“

Dennoch griff er nicht nach seinen Waffen, sondern stemmte seine Hände in seine Hüften. Lia dagegen zielte weiter mit ihren Revolvern auf Reiben. Ihr Blick verriet Konzentration – und dass sie bei der kleinsten Bewegung schießen würde. Ihm war das offensichtlich ebenfalls bewusst, denn er zuckte nicht einmal mit einer Wimper, während er sie ansah.

Mortes Blick huschte zwischen Reiben und den beiden Neuankömmlingen hin und her. Die Zeit schien stillzustehen, die Aufregung nahm ihr fast den Atem.

„Gut, so scheine ich nicht weiterzukommen...“

Reibens nachdenkliche Stimme durchbrach die eingetretene Stille. Morte sah sofort wieder zu ihm hinüber. Er wirkte gelassen und keineswegs so angespannt wie kurz zuvor. Schließlich lächelte er sogar, doch es war eines der hinterhältigen von zuvor. „Aber ich habe bereits einen neuen Plan.“

Ein heftiger Sprung, dann befand er sich plötzlich mehrere Meter in der Luft – und keine Sekunde später, war er auch schon fort.

Verwirrt sah Morte sich um, drehte sich sogar einmal um die eigene Achse, aber von Reiben war nicht einmal mehr eine kleine Spur zu entdecken, als ob sein Erscheinen eben nur ein Trugbild gewesen wäre. Hätte es das schwarze Blut auf dem Boden nicht gegeben, hätte Morte dies sogar geglaubt, wenn auch nur, um sich selbst zu schützen.

„Wir sind gerade rechtzeitig gekommen“, sagte Naja, was ihre Aufmerksamkeit auf ihn lenkte.

Sie wollte etwas sagen, doch ihr blieben die Worte im Hals stecken. Reiben, der ihr etwas antun wollte; Naja und Lia, die zu ihrer Hilfe gekommen waren; all das verwirrte sie und nahm ihr die Kraft, etwas zu sagen.

Lia sah sie wütend an. „Du könntest dich wenigstens bedanken.“

Naja hob seine Hand, um seine Begleiterin zu beruhigen. „Ganz ruhig. Morte wird gerade nicht wissen, was sie sagen soll. Sie muss verwirrt sein. Aber wir sollten nicht zu lange hier bleiben.“

„W-was geht hier vor?“, brachte Morte stammelnd hervor. „Was ist da gerade passiert?“

Naja und Lia sahen sich an, nach kurzer Zeit nickten sie beide und blickten wieder zu Morte.

„Ich denke, wir haben nicht sonderlich viel Zeit, die wir hier vergeuden könnten“, meinte der wortgewandte Brillenträger. „Ich bin mir sicher, dass dieser Mann nun hinter Kyrie her ist.“

„W-warum?“, fragte Morte.

Wütend stampfte Lia mit dem Fuß auf, ihr Gesicht war vor Zorn völlig rot geworden. „Stell nicht immer so dumme Fragen! Wir müssen uns beeilen, um Kyrie zu helfen!“

Damit fuhr sie herum und rannte bereits wieder in die Richtung davon, aus der sie gekommen war.

Naja sah ihr schmunzelnd hinterher. „Ihr Eifer, wenn es um diesen Jungen geht, ist bewundernswert.“

„Was geht hier vor?“, wiederholte Morte ihre Frage, diesmal ein wenig gefasster.

Er sah sie wieder an und wurde sofort ernst. „Ich erkläre es dir unterwegs. Es ist ein bisschen kompliziert und wir sollten uns wirklich beeilen.“

Sie wollte widersprechen, darauf bestehen, dass er ihr sofort Auskunft erteilte, doch dann erschien ihr wieder Kyrie vor ihrem inneren Auge und verdrängte alle anderen Gedanken. Sie nickte hastig und folgte Lia mit großen Schritten.

Die neue Angst um ihren Freund verlieh ihr abermals Kraft, beflügelte sie förmlich und ließ sie jegliche Erschöpfung vergessen.

Es ging um Kyries Leben – und sie würde dieses retten, koste es, was es wolle.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Justy
2010-01-18T17:26:03+00:00 18.01.2010 18:26
Ich hoffe Naja erklärt im nächsten Kapitel was das ganze zu bedeuten hat. Ich bin nämlich ziemlich neugierig darauf.
Schönes Kapitel, jedenfalls <3

Fehler habe ich aber leider auch wieder gefunden, aber es sind wieder nur Wortwiederholungen oder kleinere Dinge die mich persönlich ein wenig stören und nicht unbedingt berichtig werden müssen.

> Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mensch das tun würde.

Ab diesen Satz auf an, lies die folgenden weiter. Dann siehts du das dieses "tun würde" ganze dreimal aufeinander folgt. Habe gerade keinen Verbesserungsvorschlag parat, aber das sollte man vielleicht nochmal ändern.


> Ein letztes Mal schüttelte sie den Kopf, um den Gedanken abzuschütteln

Der Satz ist nicht falsch, nur klingt er etwas merkwürdig, finde ich. Besser würde "loszuwerden" oder so passen, da du dieses schütteln, schon kurz vorher hast, auch wenns nicht direkt das gleiche Wort ist.


> Die Kälte eben dieser ließ sie frösteln – allerdings befanden sie sich auf dem Frühlingskontinenten, wo die Nächte reichlich kalt werden konnten

Das kommt mir bekannt vor, ich persönlich würde eher "Frühlingskontinent" bevorzugen.


> Sie verstand nicht, weswegen er das sagte oder warum er plötzlich seine Hand nach ihr ausstreckte.

Ab diesen Satz, beim darauf folgenden Text, steht dreimal das Wort Hand. Dort würde ich mich nach einer Alternative für umgucken.


> Ein heftiger Sprung, dann befand er sich plötzlich mehrere Meter in der Luft – und dann war er auch schon fort.

Zweimal dann, für mich ein dann zu viel in diesen Satz.
"und keine Sekunde später, war er auch schon fort" könnte man als Alternative nehmen.


> ...als ob sein Erscheinen eben nur ein Trugbild gewesen wäre. Wenn das schwarze Blut auf dem Boden nicht gewesen wäre, hätte Morte das sogar geglaubt und wenn es nur gewesen wäre, um sich selbst zu schützen.

Durch das sich wiederholende "gewesen wäre" klingt der Abschnitt etwas merkwürdig.


> Die neue Angst um ihren Freund verlieh ihr neue Kraft

So das ist auch das letzte was mir Aufgefallen ist. Klingt nicht so gut, wenn da zweimal "neue" steht.

Es gab noch 1-2 Stellen mehr in der FF wo ich Wortwiederholungen gefunden habe, aber die haben mich nicht direkt gestört beim lesen, also habe ich sie nicht mit erwähnt.




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