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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Misstrauen

Ich ging in meine Hängematte, nachdem ich meine Arbeit beendet hatte, aber diese Nacht fand ich keinen Schlaf. Die schnarchenden Männer um mich herum, die rutschenden Kanonen ein Deck über mir, die Mäuse, welche überall herum huschten, die Wellen… Einfach alles hielt mich wach und erschien mir unheimlich nervenaufreibend. Ich dachte an Black, an seine Worte, an seine Art und an das, was mir bevorstand.

Ich sortierte alles in meinem Kopf, warf es hin und her und hatte dennoch einfach nicht das Gefühl, dass ich vorankäme. Allem Anschein nach hatte Black mehrere Freunde an Bord und mit großer Sicherheit hatten diese mich im Auge, also konnte ich unmöglich zum Kapitän gehen und ihm von der Drohung des Seebären erzählen. Selbst wenn er dagegen vorgehen würde, mit Sicherheit würde ich es früher oder später bereuen.

Davon abgesehen wollte ich Blacks Auftritt mir gegenüber nicht melden, auch wenn es ganz sicher meine Pflicht als treuer Matrose war. Es stimmte, was Black gesagt hatte. Er war für mich da gewesen, immer, die ganze Zeit. Sogar, als die gesamte Mannschaft mir den Rücken zukehrte und ich Ziel ihrer Angriffe wurde.

Als zweites hatte ich die Idee an Land zu gehen, heimlich, irgendwie, notfalls mit einem Fass als Boot. Aber mir kamen Blacks Worte ins Ohr, dass die Insel unbewohnt sei. Es musste einen Grund geben, dass dort niemand lebte. Vielleicht herrschte dort eine Krankheit, Ödland, oder es gab wilde Tiere? Vielleicht kannibalische Wilde? Ich hatte bereits viel über solch gottlose Völker gehört, die über treue Christen herfielen und sie fraßen, um ihre Kraft und Stärke zu bekommen. Ich musste schmunzeln: Weder war ich stark und kräftig, noch war ich ein voller und ganzer Christ. Eigentlich konnte mir also gar nichts passieren.

Dennoch verwarf ich die Idee.

Die letzte Lösung, die somit ausblieb war jene:

Ich tue, was Black verlangt. Hole ihm diesen seltsamen Schlüssel aus der Kajüte des Käpt’ns, darf dann mit an Land und wenn wir wieder ablegen, wird niemand mehr mich attackieren und ich kann in Frieden vor mich hin träumen.

Aber diese Tatsache, dass, wenn ich gehorche, mich die Matrosen in ihren Reihen aufnehmen würden, weckte noch mehr Misstrauen gegenüber dem Seebären. Wenn er dafür sorgen kann, dass sie mich in Ruhe lassen, wieso hat er es nicht schon viel früher getan?

Oder waren etwa alle an diesem Vorhaben beteiligt?

Was überhaupt für ein Schlüssel? Was hatte Black damit vor? Und wie wollte er mich an Land bekommen, wenn ich ihn hätte?

All diese Gedankengänge und Fragen hielten mich wach, bis ich kaum noch Kraft hatte und nur halb abdriftete. Als es dann Sonnenaufgang war und man mich grob weckte stand ich nur mürrisch auf und mit starken Kopfschmerzen. Die Sonne schmerzte mich in den Augen und die lauten Stimmen der etlichen Männer machten mich aggressiv. Ich wollte an Land, das wurde mir von Minute zu Minute klarer. Allem Anschein nach war ich für die Seefahrt nicht geschaffen. Es war einfach zu anstrengend und laut, zu eng, zu stickig und vor allem zu unbequem. Als ich die Kombüse betrat, um das Frühstück vorzubereiten, war Black wie immer schon da. Er hatte den Zwieback auf der Ablage verteilt, damit man es hinaus tragen konnte. Die Küche war blitzblank vom gestrigen Abend, dennoch erkannte man, dass er bei der Arbeit war. Überall lagen Messer, Löffel, im Topf kochte Wasser und der Ofen war angeheizt. An diesem Morgen trat ich nur zögernd ein, fast, als würde ich schleichen. Dennoch bemerkte er mich.

„Aye, Morgen, Son.“, brummte er mir entgegen. Ich nickte nur und trat näher.

„Black, ich muss mit Euch reden.“, er grinste und drehte sich herum. Für einen kurzen Augenblick war ich unsicher, ob ich unsere Unterhaltung vielleicht geträumt hatte. Er stand da, freundlich, wie eh und je. Die Liebe in Person, könnte man sagen.

„Was kann der alte Black für ihn tun, Junge?“

Ich suchte nach den richtigen Worten. Auf keinen Fall wollte ich ihn beleidigen, oder wütend machen. Vor allem wollte ich nicht so wirken, als hätte ich vor, ihn zu verraten. Einige Sekunden schwieg ich, dann wiegte ich den Kopf und murmelte leise: „Nun, es geht um gestern Abend…“

„Aye…“, er brummte und fuhr mit seiner Arbeit fort. Von hinten sah Black gewaltig aus, stellte ich fest, aber vielleicht wirke es nur so durch die besonderen Umstände. Sein Rücken war breit, sein Hut gab ihm eine gewisse Größe und der Mantel tat den Rest dazu. Ich blieb bewusst auf der anderen Seite des Ofens stehen. Meine Gedanken kreisten darum, dass ein Küchenunfall nur normal wäre und gewiss würde keiner um mich trauern. Wenn er sich meiner entledigen wollte, wäre die Kombüse also der geeignete Platz dazu.

Auf keinen Fall wollte ich ihm zu nahe kommen. Als er ein wenig näher rückte, um an eines der Regale zu kommen rückte ich seitwärts etwas weg. Es erinnerte an ein schlechtes Fange-Spiel, wie ich es als Kind oft spielte. Aber selbst wenn Black mitbekam, was ich trieb, so ließ er sich nichts anmerken. Geduldig wartete er, dass ich mich ihm gegenüber öffnete, hantierte herum und klapperte mal hier und mal da.

„Nun…“, begann ich zögernd und spielte mit einem Zwiebackstück herum. „Es ist wegen diesem Schlüssel… Ich würde gerne wissen, was genau ich da tue.“, ich sah ihn zögernd an.

Der Smutje brummte abermals und begann einiges an Gemüse zu schneiden. Etwas, was ich an Black bewunderte. Denn bis heute habe ich niemanden gesehen, der so schnell und so gekonnt Gemüse schneiden konnte. Das Messer donnerte hintereinander weg auf das Brett, dass es wie ein Hammer wirkte.

„Er, Son, leiht sich einen Schlüssel, für eine Kiste, mehr nicht. Und ohne Frage, wir bringen ihn zurück.“, er grinste mich an. „Wir sind ja keine Verbrecher, aye?“, dann fuhr er fort.

Ich war nicht überzeugt.

„Aber, wenn wir ihn nur leihen, Black, Sir, wieso fragen wir den Käpt’n nicht einfach danach?“

Er schnitt weiter, dann schob er die etlichen Stücken in einen Topf, stellte ihn auf den Ofen und drehte sich zu mir. Black verschränkte die Arme und grinste mir entgegen. Seine Augen waren gerötet vom Rauch und sein Gesicht schweißgebadet durch die Hitze des Ofens.

„Hat er Angst?“, fragte er dann. Leicht spöttisch, wie ich fand.

Beleidigt entgegnete ich: „Nein, natürlich nicht! Ich würde nur gern wissen, was hier gespielt wird. Es ist nichts Böses, Black, aber ich bin sehr unbeliebt an Bord. Und gewiss würden mich gern so einige am Mast baumeln sehen, weiß der heilige Vater, wieso. Und wenn es auch nur ansatzweise etwas gibt, was man mir anhängen könnte, dann-…“

„Ich verstehe seine Bedenken.“, unterbrach er mich unheimlich freundschaftlich, wie sonst auch und nahm seinen Hut ab. Black wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. „Aber ihm wird nichts geschehen, mein Wort darauf. Weder durch den Käpt’n, noch durch die Mannschaft.“

„Also ist die ganze Mannschaft darin verwickelt?“

„Namen sind einerlei, mein Freund.“

„Also?“

„Also was, Son?“

„Was ist das für ein Schlüssel und wieso soll ausgerechnet ich ihn besorgen?“

„Son, würde der alte Black ihn jemals um etwas bitten, was ihm schaden könnte?“

„Sprecht, oder ich gehe und melde es dem Käpt’n!“, fuhr ich ihn wütend an.

„Junge, ruhig. Wer wird sich denn gleich so aufregen?“, er kam zu mir, aber ich wich zurück, bis wir die Plätze getauscht hatten. Dann blieb er stehen, mit dem Rücken zur Tür. „Solch Misstrauen?“, fragte er verwirrt. „Aber wieso? Niemals würde der alte Black ihm Salz ins Wasser tun, mein Wort darauf!“

Ich sah ihn ernst an und legte meine Hände auf den Rand des Ofens – weit genug entfernt von der Hitze. „Black, sprecht mit mir. Ich werde helfen, wo ich kann. Ich verdanke Euch viel, aber sprecht endlich!“

„Son, er brauch nicht misstrauisch sein. Niemals würde der alte Black ihm etwas tun!“, und erneut wollte er zu mir, hinkte und hüpfte mit Hilfe der Schlaufen, bis wir erneut getauscht hatten. Nun wurde er etwas hitziger. „Son, Junge, Misstrauen ist hier Fehl am Platz! Den alten Black hier herum hüpfen zu lassen, wo ich so ein armer Krüppel bin!“, und tatsächlich sah er plötzlich fürchterlich erschöpft und alt aus. Aber ich ließ mich nicht beirren. So sehr, wie er auch nur ein Bein hatte, so sehr war er auch ein guter Schauspieler.

„Ich fordere abermals, dass Ihr mit mir sprecht.“, sagte ich kühl, als hätte ich sein Gejammer nicht gehört.

Black klemmte sich die Krücke unter die Achsel und wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn. Dann schob er das Tuch wieder in seinen Mantel zurück und stöhnte gequält. „Nun genug mit dem Spiel hier, ich bin zu alt für solcherlei Getue! Son, mein Junge, lass uns zu dem Tisch gehen und beisammen sitzen, wie in alten Zeiten.“, aber ich ging nicht darauf ein und sah ihn nur finster an. Er wollte zur mir, ein drittes Mal drehten wir unsere Runde und abermals stand er mit dem Rücken zur Treppe hin. Mit jeder Sekunde die verstrich wurde ich nervöser und ich warf einen unsicheren Blick zur Tür. Zwischen mir und ihr standen nun er und der Ofen. „Son.“, fuhr er nach etwa zwei Minuten fort und nun war er gar nicht mehr so freundlich. Auf seiner Stirn war eine tiefe Falte und seine Augen funkelten bedrohlich. Wie, um zu zeigen, wie gefährlich Black ist, begann der Gemüsetopf vor uns zu kochen und zu zischen. „Der alte Black will mit ihm reden, in Ruhe, wie erwachsene Männer, aye? Setzen wir uns an den Tisch.“

„Nein.“, sagte ich kühl und sah ihm direkt in die Augen. Ich festigte meine Haltung etwas. „Ihr kommt mir nicht zu nahe, Black, ehe ich nicht bescheid weiß. Wieso setzen? Hier am Ofen ist es doch schön warm.“

„Er hat Pfiff, was hat der alte Black gesagt? Das hat der alte Black gesagt! Und mal wieder hatte er Recht.“, der Seemann hinkte ein wenig rückwärts und setzte sich stöhnend auf die Holztreppe. Nun war ich gefangen. Er hatte mich eingekesselt und ich war dumm darauf rein gefallen und hatte mich auch noch gerissen dabei gefühlt! „Aye, dann eben so…“, begann er dann und streckte sein Bein aus. Er lehnte seine Krücke gegen die Schulter und legte den Hut neben sich auf die Stufe. „Glaube mir Junge, ich drohe ihm nicht gern… Aber es ist besser für ihn, wenn er tut, was man will.“

„Was wer will?“, fragte ich schroff und sah düster auf ihn herunter, noch immer hinter dem Ofen. „Wenn Ihr sagt, Ihr wollt das nicht, dann seid gewiss nicht Ihr es, der diese Pläne schmiedet. Nicht wahr?“

„Er hat Pfiff.“, merkte er wieder einmal an und begann zu grinsen. Ich sah Blacks Goldzahn kurz aufblitzen. Doch so schnell, wie sein Grinsen erschienen war, so schnell wich dieses wieder seiner ernsten Miene. Es war ein Hin und Her, wie ein Theaterstück. Und ich wusste, dieses Stück würde er so lange aufführen, bis ich aufgab, oder durch drehte. „Er sollte seine Nase jedoch nicht in Dinge stecken, die ihn nichts angehen – vorerst. Wenn er uns den Schlüssel besorgt, wird er schon noch früh genug alles erfahren.“

Gereizt sah ich ihn an und seufzte. „Eine Art Mutprobe etwa?“

Er wiegte den Kopf. „Nein… So würde ich es nicht bezeichnen. Aber sicher ist es etwas Gutes, wenn die Männer sehen, wie mutig er ist, aye und mit Sicherheit bringt es ihm einigen Respekt.“

Am liebsten Hätte ich gefragt „Welche Männer?“, aber er würde ohnehin ausweichen. Stattdessen seufzte ich und bat ihn gezwungen höflich:

„Könnt Ihr mir wenigstens sagen, wie ich mit dem Schlüssel an Land kommen soll…?“

Black musste unwillkürlich grinsen, als er merkte, dass ich scheinbar tat, was er verlangte. Dennoch rührte ich mich nicht annähernd. Er lehnte sich etwas zurück, so dass er mit dem Rücken an der Treppe war und machte es sich gemütlicher.

„Aye… Ich erkläre es ihm.

Mannschaft und Käpt’n gehen an Land und er, Son, bleibt an Bord, Wache. Er geht in die Kajüte, besorgt den Schlüssel aus dem Schreibtisch, gibt uns ein Zeichen – wie, erkläre ich ihm später – und dann holt einer der Männer ihn ab mit der Jolle.“

„Und wenn er mich erwischt?“, fragte ich Black und sah ihn ernst an. „Wenn der Käpt’n das raus bekommt, bin ich tot, Black!“

„Er wird es nicht raus bekommen, dafür sorge ich, mein Wort darauf.“

Stille. Ich hatte aufgegeben. Ihn weiter zu befragen brachte nichts, das hatte ich eingesehen. Wir sahen uns an. Black wartend, freundlich, geduldig und ich ihn düster und mies gelaunt. Mir passte die Sache ganz und gar nicht. Vielleicht wollte man mich auch endlich loswerden?

Aber so schätzte ich Black nicht ein. Ich hoffte, dass ich wenigstens ihm vertrauen konnte. Mehr als mich darauf verlassen, dass er Recht hatte und mir nichts geschehen würde konnte ich nicht.

An sich war es zwar riskant und für mich ohne Sinn, aber er hatte Recht. Wenn ich mitspielen würde, würden die Matrosen mich mit Sicherheit respektieren. Wenn ich jedoch nicht mit machte... Vielleicht würden sie sogar versuchen, mich umzubringen.

Abgesehen davon erwachte tief in mir die Neugierde. Was war das für ein Schlüssel, wofür brauchten sie ihn? Nach einiger Zeit stand Black schwerfällig auf, nahm seinen Hut und wies mich an, auf das Gemüse aufzupassen. Wie sonst auch war er völlig normal und hinkte schwerfällig an Deck. Ich sah ihm zu. Erst verschwand sein Kopf, dann sein Holzbein.

Wieso hatte er eigentlich nur ein Bein?

Durch seinen Käpt’n, hatte er damals in der Kneipe vom Wirt namens Charly gesagt. Meinte er Wilkinson? Hatte er durch Kapitän Wilkinson sein Bein verloren?

Wenn ja, wie würde es mir ergehen, wenn er mich erwischte…?



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