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Kein Lügner

... und kein ehrlicher Mensch. (TR/HP)
von

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Der Mann neben dem Müll

Es war eine Neumondnacht. Straßenlaternen beleuchteten den langen Weg eines jungen Mannes. Es war eine nebelige Nacht. Im erleuchteten Nebel, in der alles verschwommen und mystisch wirkte, in der die Dunkelheit noch erdrückender schien, vollkommen erfüllt von stummen Stimmen, die den Unheil in die Köpfe der Menschen säuseln und ihre Vorstellungskraft so weit antreiben, bis in den Wahnsinn- und der junge Mann trat in die Dunkelheit ein. Es war kalt. Sein Weg war noch weit, sein Haus noch nicht in Sicht. Er nieste.
 

„Verdammte Kälte...“, murmelte der junge Mann und rieb sich die Nase. Er sah sich um. Keiner war mehr draußen um diese späte Zeit. „Hat fast das Flair eines Horrorfilmes. Ein bisschen unheimliche Musik und ein Kameraschwenk auf die Schatten der Bäume und Häuser... Vielleicht sollte ich Regisseur werden.“

Er lief unbesorgt weiter und sah sich die Einfamilienhäuser an, die allesamt identisch waren mit nur kleinen ornamentischen Ausnahmen, wie die Bepflanzung der kleinen Gärten vor jedem Haus. Sie standen in Reih und Glied. Natürlich konnte er sie nicht wirklich sehen, aber er wusste, dass es so war, denn er musste oft diesen Weg gehen. Er schnaubte verächtlich und verließ den Gehweg der Straße, welche den Namen ‚Ligusterweg‘ trug, bei einer Abbiegung. Ein paar Straßen weiter und er bog ein weiteres mal ab. Die Straße, die etwas in die Kurve ging, hieß ‚Godrics-Löwen-Weg‘. Diese Straße sah ärmlicher aus, als die vorherige mit ihren perfekten Häuserreihen. Einfamilienhäuser gab es keine, nur Blockhäuser. Er lief mit sicheren Schritten weiter und blieb neben einer kaputten Straßenlaterne stehen. Sein Blick heftete sich auf etwas, das hinter der Mülltonne neben der Tür des Hauses Nummer 7 hervorlugte. Es waren die Umrisse menschlicher Beine.

Der junge Mann biss sich auf die Lippen und rührte sich nicht. Das linke Bein hinter der Mülltonne zuckte. Zögernd ging er einen Schritt auf die Mülltonne zu, kniete sich hin und räusperte sich vernehmlich.
 

„Ich will nicht unhöflich sein“, fing er an. Seine Stimme war klar und deutlich, wenn sie auch einem Flüstern glich. „Wenn Sie-“ Er unterbrach sich und fragte: „Sind Sie wach?“
 

Ein leises Murren war zu hören und die abgetragenen Schuhe vor ihm bewegten sich ein paar Millimeter auf dem Asphaltweg mit einem schabenden Geräusch. Ein schweres Ein- und Ausatmen war nun zu hören und er sah den Kopf und die Schultern des Fremden, der sich vorgebeugt hatte. Sein Erscheinen war die eines heruntergekommenen Säufers. Der Fremde wandte seinen Blick zu ihm und runzelte die Stirn.
 

„Hast du was gesagt“, grummelte der Fremde. Es war keine Frage, sondern eher ein Vorwurf. „Ich habe so gut geschlafen.“
 

„Neben der Mülltonne?“, fragte der junge Mann, seine Augenbrauen verschwanden unter den schwarzen wirren Haaren, die in seinem Gesicht hingen.
 

„Was dagegen?“, blaffte der Fremde.
 

„Es könnte plötzlich anfangen zu regnen“, sagte der junge Mann. ‚Sie geben kein schönes Bild ab, könnten Sie sich woanders verziehen?‘, wollte er noch hinzufügen, aber das war ihm doch ein wenig zu taktlos.
 

„Falscher Mitleid für einen Obdachlosen?“ Der Fremde schnaubte verächtlich, lehnte sich wieder zurück und verbarg sein Gesicht hinter der Mülltonne.
 

„Ach... Sie sind also kein Säufer, der vergessen hat, wo sein Haus steht?“, fragte der junge Mann.
 

„Sehe ich so aus, als ob ich Geld hätte? Willst du mich mit deiner Dummheit nerven? Und diese Höflichkeit kannst du dir sonst wohin-“ Der Fremde brach ab und fing an zu husten. Der junge Mann sah die Beine an, die bei jedem Husten zuckten, und wartete, aber das Husten legte sich nicht.
 

„Sie sollten ins Warme“, sagte der junge Mann und seufzte. Er stand auf, beugte sich vor und griff nach den Armen des Fremden.
 

„Lass mich los-“ Das Husten wurde stärker. „Ich brauche- keine- Hilfe“, kam es stockend hervor. „Lass- Lass mich sein!“
 

Doch der junge Mann zog den schwachen Körper hoch, schlang einen der entkräfteten Arme um seinen Hals und schleppte sich vor die Tür von Nummer 7. Er öffnete die Tür und trat in das Haus ein.
 

„Ich könnte ein Mörder sein...“, flüsterte der Fremde mit gebrechlicher, aber eindeutig amüsierter Stimme in sein Ohr, als das Husten sein Ende nahm. Der junge Mann aber blieb stumm und lief langsam die Treppen hoch. Seine freie Hand hielt sich krampfhaft am Geländer fest, um mit dem zusätzlichen Gewicht nicht runter zu fallen. Den penetranten Gestank, der von dem fremden Körper ausging, ignorierte er.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

Der junge Mann ging ins Wohnzimmer und trat neben das Sofa, auf dem er den Fremden hingelegt hatte. Im hellen Licht sah er ein Mensch, der unter all dem Dreck nicht viel älter sein konnte, als er.
 

„Ich habe eine Packung Hustentabletten gefunden.“ Der junge Mann hielt die Packung hoch. In der anderen Hand hielt er ein Glas Wasser.
 

„Ich brauche keine Tabletten“, äußerte sich der Fremde.
 

„Unbehandelte Bronchitis kann chronisch enden, also-“ Der junge Mann öffnete die Packung. „- wäre es besser, wenn Sie-“
 

„Ich sagte, dass ich das nicht brauche!“
 

Der Fremde stand abrupt auf und schlug die Packung aus seiner Hand. Sie fiel zu Boden und glitt unter einem Regal. Der junge Mann schüttelte den Kopf.
 

„Das war wirklich nicht nötig- argh!“ Mit weit aufgerissenen Augen sah er den Fremden an, der ihn unvorbereitet angriff und ihn auf die Tischplatte vor dem Sofa drückte. Das Glas fiel auf den Teppich.
 

„Was nun?“, flüsterte der Fremde mit einem sanften Lächeln und beugte sich leicht vor. Eine Hand hielt beide Arme des jungen Mannes über dessen Kopf und stützte sich mit einem Knie auf dessen Beine, während die andere Hand zu dessen Hals wanderte und langsam zudrückte. „Was geht jetzt wohl durch dein dummes, dummes Hirn?“
 

„Ich-“, presste der junge Mann hervor. Seine Augen richteten sich starr geradeaus. „Ich denke, dass... Sie kein normaler Obdachloser sein können, ... wenn Sie meine naive Hilfsbereitschaft nicht... ausnutzen wollen. Viel... vielleicht sind Sie einfach verrückt... oder Sie sind zu... zu st... stolz...“
 

Die dunklen Augen seines Angreifers wurden noch dunkler. Ohne ein Wort ließ er den jungen Mann los und fiel rücklings wieder in das Sofa. Im Wohnzimmer herrschte Stille und nach ein paar Sekunden des Wartens richtete sich der junge Mann auf, um in sitzender Haltung den Fremden zu äugen, welcher mit leblosen Zügen zurückblickte. Dann fingen die Schultern des Fremden an zu zittern, zu beben, so stark, dass der junge Mann aufstehen wollte, um sich zu erkunden, was ihm fehle, um ihm zu helfen, aber er tat es nicht und blieb wie versteinert auf dem Tisch sitzen. Jedoch horchte er auf, als ein Laut von dem Fremden zu vernehmen war. Es klang so, wie jemand mit Atemnöten. Doch dann lehnte sich der Fremde weiter in das Sofa zurück und ließ sein Kopf zurück fallen, um ein lautes, kräftiges Lachen zu befreien. Der junge Mann blieb stumm und beobachtete das Schauspiel.
 

„Was für eine- selt- seltsame Person!“ Der Fremde streckte einen zittrigen Arm aus und zeigte voller Belustigung auf den jungen Mann. „Jeder hätte in dieser Situation sinnlos um Hilfe geschrien, um... Gnade gebettelt oder wenn sie geistig... wenig rege sind, um ihre Wünsche in Worte zu kleiden, hätten sie versucht zurückzukämpfen!“ Das Lachen ging noch eine Weile weiter, bis es erstarb und der Fremde sich vorbeugte. Mit den Ellenbogen auf den Knien und dem Kinn in beide Hände gebettet, grinste der dreckige Mann.

„Vielleicht hast du dir auch nur zu stark den Kopf angeschlagen, als ich dich so plötzlich auf den Tisch gedrückt habe- wirklich grob von mir...“ Das Grinsen verwandelte sich zu einem liebreizenden Lächeln. „Fast tut es mir sogar leid...“ Mit einigen Problemen stand der Fremde auf und trat zum jungen Mann.
 

„Mein Name ist... hm...“ Der Fremde rieb sich gedankenverloren sein unrasiertes Kinn. „Ah! Nenn‘ mich Dvill!“
 

„Das ist nicht Ihr richtiger Name“, stellte der junge Mann fest und hob fragend eine Augenbraue. „Hat das irgendeinen Grund? Haben Sie Probleme mit der Polizei? Sind Sie doch ein Mörder?“
 

„Wer weiß“, kam es nur geheimnisvoll von dem Fremden welcher wieder höchst amüsiert zu sein schien. „Du nimmst das alles sehr gelassen. Etwas enttäuschend, wirklich enttäuschend... aber interessant.“
 

Der junge Mann zuckte nur die Schultern und meinte: „Wenn Sie ein Krimineller wären, der mich umbringen will, hätte ich wahrscheinlich sowieso keine Chance. Ich bin nicht sehr kräftig. Sie hatten es vorhin auch leicht gehabt mich festzuhalten.“ Er streckte die Hand aus.
 

„Mein Name ist Harry Potter.“
 

Der Fremde, Dvill, schlug ein und lächelte scharmant. „Sehr erfreut deine Bekanntschaft zu machen, Harry. Du kannst mich duzen, schließlich ist unter meiner Hülle aus Dreck und dem Duft der Unappetitlichkeit auch nur eine junge Haut.“
 

Dann spazierte Dvill, ein fremder Mann, der sich nun benahm, als wäre es seine eigene Wohnung, aus dem Wohnzimmer.
 

„Hey!“, schrie Harry ihm nach. „Wo wollen Sie- äh- Wo... willst du hin?“ Er lief ebenfalls aus dem Zimmer und sah sich im Eingangsbereich um. Dvill öffnete die Badezimmertür und begutachtete das Innere. Sein Gesicht verriet, dass er äußerst zufrieden war.
 

„Ich nehme mir die Freiheit und benutze das Bad!“, rief dieser grinsend zurück. „Du hast es ja gesagt. Jeder normale Mensch, der so arm ist, wie ich, sollte die Hilfsbereitschaft anderer ausnutzen!“
 

„Aber-“ Harry stöhnte entnervt, als die Tür zum Bad sich schloss. Wie ein personifiziertes Fragezeichen stand er im Eingangsbereich rum.

„Was wohl Hermine sagen würde, wenn sie das hier erfährt...“

Die gute Freundin

„Ja, Hermine....“

Harry öffnete mit einer Hand die unterste Schublade seiner Kommode. In der anderen Hand hielt er sein drahtloses Telefon an einem Ohr.

„Ich... ich weiß... ja...“ Seine Augen durchforsteten den farbenfrohen Inhalt, bevor er sich nach seinem Denkakt entschied, dass es ihm egal war, was er nahm. Also steckte er seine Hand hinein und fischte ohne hinzusehen ein paar ineinander gestülpte kobaltblaue Socken heraus. Er runzelte die Stirn.

„Der Hund war aber so hilfslos-... hä? ... Oh... ähm, das ist nicht ganz falsch...“ Er sah sich die Farbe an und zuckte die Schultern. Dann setzte er sich auf sein Bett und zog sich mit einigen Problemen die Socken an.

Das stimmt nicht! Nein... nun ja... aber- Hermine!“ Zwischen seinen Lippen kam ein Geräusch, das sich nach einem Wimmern anhörte. Seine Schultern senkten sich geschlagen.

„Ich weiß... mhm... ja- ich meine, auf jeden Fall!“ Er biss sich auf die Lippen und nickte mehrmals.

„Du hast wahrscheinlich recht-... was? ... Nein! Natürlich ist mir deine Meinung wichtig! Du hast mir schon so oft geholfen! ... Immer doch! ... Wirklich?...“ Er lächelte.

„Hm? ...“ Er wurde rot.

„O-oh, echt? ... Glaubst du wirklich, ich sollte-...“ Er lachte nervös und seufzte.

„In Ordnung... ja, wirklich! ... Bis dann.“

Er drückte auf den roten Knopf des Telefons und legte es neben sich auf das Bett. Grummelnd zog er sich die zweite Socke an.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

Er saß geistesabwesend in einem heruntergekommenen Pub, dem Tropfenden Kessel, und sah sich das zwielichtige Treiben der Kundschaft an. Sie alle, er mit eingeschlossen, waren Stammgäste und fühlten sich sicher genug, nicht an die Polizei verpetzt zu werden. Alle im Pub wussten, dass er mit der illegalen Welt nichts zu tun haben wollte, und solange er ihnen nicht im Weg stand, ließen auch sie den jungen Mann in Ruhe. Außerdem half er Tom, dem Wirt, freiwillig bei seiner Arbeit, wenn er mal Zeit zur Verfügung hatte, und gegenüber den vielen jungen Anwärtern und Anwärterinnen, die sich als Aushilfe beworben hatten - der Wirt verstand nicht, warum es so viele sind -, war er der tauglichste unter ihnen. Er war ein aufmerksamer, tüchtiger junger Mann, der um einiges freundlicher war, als alle, die auch nur einmal den Pub betreten hatten. Aber warum er so schnell von dem Wirt und seinen Stammgästen akzeptiert wurde, als er zum ersten mal triefend nass - an dem Tag hatte es in Strömen geregnet - durch die Tür in den Pub hineinstolperte, war seine Ehrlichkeit.

Er war offen, wie ein Bilderbuch, in dem die Unschuld einem gleich ins Gesicht sprang, und deshalb sahen sie in ihm keine Gefahr, keinen verdeckten Ermittler oder Geheimagenten oder Serienmörder oder sonst irgendjemanden, der sie auffliegen lassen würde. Nein, er war ein netter Gentlemen, der es nicht wahrhaben wollte, dass es Menschen gab, die rein aus Habgier mordeten oder sonst etwas gegen das Gesetz taten. Nach ihm zu schließen wurden alle Mörder und sonstige Gesetzesbrecher von einem schwerwiegenden Schicksalsschlag in ihrer Vergangenheit so geformt, wie sie nun in der Gegenwart herumliefen. Ein Mensch, der mordet, bereut seine Tat und empfindet bestimmt keine Freude, so sagte er mit solcher Überzeugung, dass es dem einen Stammgast leid tat, der den jungen Mann auf die Serienmorde hinwies, die seit mehreren Wochen fast tagtäglich in den Nachrichten liefen.

Die Morde machten keinen Sinn, sie standen in keinem Zusammenhang und wie es aussah, war von dem Mörder oder der Mörderin nichts zu finden, nichts, was diese Person identifizieren konnte. Die Polizei hatte große Probleme voranzukommen, aber die allgemeine Meinung im Pub war, dass die Polizei einfach nur schlampig arbeitete. Es war auch kein Wunder, denn seit vielen Jahren war diese Stadt und ihre nahe Umgebung frei von jeglicher Gewalt. Natürlich gab es diese oder jene Rauferei, meist vom Alkohol beeinflusst, in der die Polizei etwas stärker eingreifen mussten, oder gewisse illegale Geschäfte, die sie aufspüren sollten, aber größtenteils war es nie etwas besonders gefährliches oder unbekanntes mit denen sie es zu tun hatten. Und deshalb konnte man in der ganzen Stadt fast nur noch die paranoiden Gesichter von verängstigten Menschen sehen, die glaubten, das nächste Opfer zu sein. Nicht mal das schöne Wetter und die Quengelei konnten Mütter umstimmen mit ihren Kindern zum Spielplatz zu gehen. Dabei war keines der Opfer minderjährig.
 

„Äußerst seltsam...“, murmelte Harry, dann nippte er an seinem Krug voll Butterbier, ein Spezialgetränk von Toms vielen speziellen Getränken.
 

„Jetzt sitzt du schon eine halbe Stunde hier“, hörte er plötzlich die amüsierte Stimme vom Wirt. „Dabei sahst du so hektisch aus, als du hier hereingeplatzt bist.“

Harry riss die Augen auf.
 

„Oh nein!“, rief er entsetzt und stand abrupt auf. Sein Barhocker kippte um. Einige Stammgäste sahen belustigt und neugierig zur Bar herüber, als er mit verlegener Miene den Hocker wieder aufrichtete. „Ich wollte nur etwas warmes trinken, bevor-“ Er sah auf die Uhr und stöhnte. „Hermine wird mich umbringen!“
 

„Das hast du schon so oft gesagt, aber du hörst nicht auf durch diese Tür zu kommen“, sagte der Wirt beruhigend.
 

„Vielleicht ist dein Pub mein Himmel auf Erden- vielleicht bin ich schon längst tot und ich habe nichts bemerkt!“, sagte Harry und trank sein Butterbier mit großen Schlucken leer. Der letzte Schluck ging in die falsche Röhre und er fing an zu husten. Einer der Männer, die an einem Tisch in der Nähe irgendein Kartenspiel spielten, die Harry nicht kannte, aber es wahrscheinlich um Geld ging, kam auf ihn zu und schlug ihm mehrmals kräftig auf den Rücken. Harry bedankte sich.
 

„Dann werde ich lieber rennen“, sagte er zum Wirt gewandt. „Sonst werde ich vielleicht nie wieder durch diese Tür laufen.“ Der Wirt lachte, aber dann runzelte er die Stirn und sah Harry ernst an.
 

„Pass auf dich auf, Junge. Bewege dich lieber dort, wo viele Menschen sind“, warnte er. Harry verstand und nickte.
 

„Werde ich.“ Mit einem Abschiedsgruß an alle, die an den vereinzelten Tischen herumlungerten, verließ er das schäbige Haus.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

Es war ein schöner seltsamer Tag. Die Sonne schien, es war angenehm warm und doch wirkte die größte Einkaufsstraße der Stadt, die Winkelgasse, wie leer gefegt. Es waren immer noch viele Menschen unterwegs, genügend Augenpaare, um sich sicher zu fühlen, dass man nicht aus heiterem Himmel und mitten am hellichten Tag einfach so erstochen wurde, während man sich gerade entschied welches Oberteil besser aussah oder in welchem Laden es sich überhaupt lohnte einzukaufen. Harry sah an solchen schönen Tagen in der Winkelgasse nie mehr als einen Meter Radius Pflasterweg, denn es waren meist immer so viele Menschen unterwegs, dass er manchmal die Orientierung verlor, da er sich, um nicht totgetrampelt zu werden, immer vom Strom mitreisen ließ. Es war ein seltsames Gefühl sich vor einem Schaufenster zu stellen ohne sich irgendwo festzuhalten oder gleich ins Innere des Ladens fliehen zu müssen, um nicht weiter fortgetrieben zu werden. Jetzt konnte er sich sogar den Laden anschauen, der voller Haushaltsgegenstände vollgestopft war ohne von den möglichen unangenehmen Fragen des Besitzers belästigt zu werden, würde er je den Laden betreten.

Es war ihm peinlich, dass er es liebte Haushaltsgeräte oder andere Dinge für den Haushalt zu benutzen. Es lag wahrscheinlich daran, dass er früher, kurz nachdem er ohne Sturz laufen konnte, seiner Tante beim Putzen und Kochen helfen musste. Doch zu dieser Zeit hatte er es gehasst. Er hatte sich vorgenommen, dass er sich einen gut bezahlten Job suchen und mit dem Geld eine Putzfrau einstellen würde und nie hätte er davon geträumt, er würde diese Tätigkeit je mögen. Die Zeit stellte seltsame Dinge an, vor allem mit ihm. Mit großer Mühe schaffte er es sich von dem Schaufenster zu lösen in dem er einige Besen angestarrt hatte.

Schnellen Schrittes lief er zum Eissalon ein paar Läden weiter. Die Tauben, die sich trauten auf dem Pflasterweg herum zu tapsen, eilten im aus dem Weg. Vor dem Eissalon sah er auch schon eine ihm bekannte Person allein an einem Tisch sitzen und ungeduldig warten. Die Person blickte auf.
 

„Harry! Du bist zehn Minuten zu spät!“
 

Eine junge Frau mit buschigem Haar, das mit einer Haarklammer gezwungen wurde zusammen zu bleiben, stand von ihrem Stuhl auf. Er lief auf sie zu und umarmte sie herzlich.
 

„Hallo, Hermine“, grüßte er sie. „Tut mir leid, ich habe wieder vor mich hingeträumt.“
 

„Hoffentlich hast du nicht irgendeinen Unbekannten ohne es zu merken Geld gegeben“, sagte Hermine besorgt und tadelnd zu gleich. Harry lachte nervös.
 

„Nein, nein“, antwortete er, dann räusperte er sich und fragte vorsichtig: „Du spielst auf den Obdachlosen an, oder?“
 

Hermine schnaubte und deutete ihm an sich zu setzen. Als sie beide am Tisch unter der Markise des Eissalons saßen, sah die junge Frau ihn so wütend an, dass er gleich wieder aufstehen und wegrennen wollte, aber da er nicht unhöflich sein wollte und da Hermine nie viel Zeit hatte sich mit ihm zu treffen, blieb er wo er war.
 

„So, Harry“, fing sie mit einer gefährlichen Tonlage an. „Wie kommt es, dass du, der immer fremden Menschen misstraut, einen Fremden mit zu dir in die Wohnung schleppst und dann nicht einmal die Polizei anrufst, nachdem dieser dich so... überfallen hat! Er war im Bad gewesen! Da hättest du Zeit gehabt-“
 

„Hermine nicht so laut“, versuchte Harry sie zu beruhigen, während er über seine Schultern schaute. Die vorbeilaufenden Menschen schienen nichts bemerkt zu haben, zu sehr waren sie in ihren Tätigkeiten vertieft alles möglichst schnell zu erledigen, um in ihre sicheren vier Wände zu gelangen.
 

„Als er unter der Dusche war, hättest du die Polizei rufen können!“, regte sich Hermine nun etwas leiser auf.
 

„Aber er ist nach dem Duschen gleich wieder abgehauen, also ist doch nichts passiert“, sagte Harry. Er wagte es nicht zu lächeln.
 

„Nein, Gott-sei-Dank!“, kam es erleichtert von Hermine. „Dennoch, es hätte etwas passieren können! Und was hättest du dann gemacht?“
 

„Er hatte keine Waffen bei sich!“
 

„Aber im Bad hätte er sicher etwas gefunden, um dich auf irgendeine Weise kampfunfähig zu machen!“
 

Harry grinste leicht und fragte: „Wie meinst du? Mit einem Quietscheentchen?“
 

Hermines Mundwinkeln zuckten in die Höhe, aber sie fasste sich schnell und sah ihn beunruhigt an.

„Nimmst du es denn gar nicht ernst?“, fragte sie. „Du... du hättest gestern sterben können! Ich und... Ron hätten das-“
 

Harry stand auf lief um den Tisch und umarmte sie. „Ich nehme es ernst“, sagte er sanft, als er ein leises Schniefen hörte. „Es ist nur... Es ist eben passiert und - ja - ich sollte wirklich froh sein, dass nicht mehr passiert ist, ich bin es auch! Hermine... äh...“ Harry biss sich auf die Lippen, als er Tränen auf ihrem Gesicht sah. „Bitte nicht weinen. Ich... weiß wirklich nicht, wie ich mit so etwas umgehen soll-“
 

Halt den Mund, Idiot, und bleib so stehen!“, sagte Hemine mit gebrochener Stimme. Ihre Hände krallten sich an seinem Ärmel fest. Harry drückte sie fester an sich in der Hoffnung, dass er sie so trösten konnte.
 

„Ich hätte dich gestern wirklich verlieren können“, flüsterte Hermine. „Ich möchte nicht, dass du nicht mehr für mich da bist. Wen könnte ich sonst noch mit meiner Besserwisserei nerven ohne denjenigen zu verscheuchen?“
 

„Nun... Ron-“
 

„Ron!?“, schrie die junge Frau, die nun nicht mehr so aussah, als ob sie weinen müsste. Sie sah eher aus, als würde sie am liebsten Feuer spucken und alles in Brand setzen. Harry löste die Umarmung und machte einen Schritt zurück, als seine gute Freundin vor ihm mit der Faust auf den Tisch einschlug. „Ron!? Ich bitte dich, Harry! Dieser Angsthase würde es nicht mal mehr wagen nur in meine Nähe zu kommen!“
 

„Hermine! Beruhige dich! Ich wollte- ähm... es war nur ein Spaß!“, versuchte er sich herauszureden.
 

Hermine schnaufte. Harry verglich sie mit einem Stier und sich selbst mit einem Matador der seinem Tod entgegen blickte. Er wartete. Hermine runzelte die Stirn. Er schluckte. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und nickte. Sie war wieder beruhigt und er war am Leben. Hurra!
 

„Setz dich wieder hin!“, sagte sie befehlerisch.
 

„Jawohl, Ma‘am!“ Er salutierte und folgte ihrem Befehl.
 

„Schau dir die Karte an und suche dir dein Eis aus. Ich bezahle.“ Sie nahm die Karte vom Tisch und warf sie ihm zu. Er sah die junge Frau verwirrt an.
 

„Aber ich kann selber-“
 

„Willst du mich unglücklich machen?“ Ihre Augen blitzten gefährlich.
 

„Nein...“ Harry schüttelte den Kopf. „Nein. Du bezahlst. Alles klar. Ich schaue mir die Karte an. Mhm, verstanden.“ Dann sahen sie sich an, lächelten und lösten die schlechte Atmosphäre durch ihr Lachen schließlich auf.
 

Nachdem Harry sich ein Eis ausgesucht hatte, ging Hermine in den Laden und kam nach wenigen Augenblicken mit einem Glas Mangoeis und einem Glas Eiskaffee zurück. Harry nahm seine fruchtige, kalte Süßspeise freudig an und war erleichtert, dass Hermine nicht mehr über den Obdachlosen sprechen wollte sondern über heitere Dinge. Leider waren diese Themen doch nicht so angenehm für den jungen Mann, der wieder rot anlief, als seine beste Freundin über eine Assistentin von ihr sprach, die sie einmal zu einem Treffen mit Harry mitgenommen hatte.
 

„Sie war hin und weg, das kann ich dir sagen!“ Sie lachte, aber dann schürzte sie die Lippen. „So hin und weg, dass sie die Tage danach nicht mehr richtig arbeiten konnte. Kannst du dir vorstellen, wie entsetzt ich war, als ein Kunde mir gesagt hat, dass eines der Bücher in der völlig falschen Abteilung gewesen war!“
 

Harry nickte nur und aß sein Eis.
 

„Ich wusste erst nicht, was mit ihr los war. Ich habe sie gefragt-“ Hermine unterdrückte ein Lachen und sah Harry verschmitzt an. Harry sah nur sein Eis an, das nur drei Löffel entfernt war vollkommen in seinem Magen zu hausen. „Und dann war es mir natürlich klar. Dennoch sollte sie wissen, dass sie ihre Arbeit nicht so vernachlässigen sollte- Ach ja! Sie hat nach deiner Nummer gefragt!“
 

Harry hätte sich mit dem letzten Löffel Mangoeis fast das zweite Mal am Tag verschluckt.
 

„Ich habe ihr natürlich gesagt, dass du kein Handy hast-“
 

Er seufzte erleichtert.
 

„Sie hat mich dann gefragt, ob ich dich nicht fragen könnte, ob du es vielleicht erwägen würdest mit ihr ins Kino, oder sonst wo, zu gehen-“
 

„Nein!“, rief Harry ganz rot im Gesicht. „Warum musst du mich dauernd verkuppeln!?“ Er sah Hermine verzweifelt an.
 

„Aber sie macht sich nun Hoffnungen du könntest eventuell-“
 

„Das ist deine Schuld! Und hör auf mir Schuldgefühle einzuflüstern!“
 

„War doch nur ein Witz!“ Hermine kicherte. „Ich habe ihr gesagt, dass du zurzeit keine Beziehung willst und sie war damit einverstanden und hat nicht weiter herum gebohrt.“
 

„Oh...“, sagte Harry. „Das... ähm... das ist gut. Danke.“
 

„Dennoch denke ich, dass es gut wäre, wenn du jemanden an deiner Seite hättest“, sagte Hermine nachdenklich. „Ich weiß, dass du dazu noch nicht bereit bist und ich meine auch nicht, dass du jetzt gleich suchen musst! Nun.... ich und.... Ron auch, wie ich gehört habe, sehen dich hin und wieder, um nach den Rechten zu schauen, aber wenn du jemanden hättest, kann diese Person dich öfters sehen und dich vielleicht beschützen, dann würdest du weniger ausgenutzt-“
 

„Das klingt wie Überwachung.“ Harry sah sie traurig an. „Ich kann wirklich allein auf mich aufpassen. Mir ist bis jetzt noch nichts passiert-“ Er brach ab und seufzte. „Ich verspreche dir, dass ich nie wieder fremde Menschen in meine Wohnung lasse.“
 

Hermine lächelte. „Wenn du dein Versprechen brichst, dann kannst du dich darauf gefasst machen, dass ich dich vor deinen Verehrerinnen nicht mehr schützen werde!“
 

„Verehrerinnen?“, fragte Harry verwirrt.
 

„Vergiss es“, sagte Hermine augenrollend.

Wohin die Neugier führt

Es war wirklich nicht klug von ihm gewesen so spät in der Nacht herum zu laufen- wieder einmal. Noch dümmer war es, die unbeleuchteten, wenig begangenen und überhaupt nicht vertrauenswürdig erscheinenden Gassen zu benutzen, nur um seinen Heimweg abzukürzen. Nicht, dass das ihm Angst machte - nein überhaupt nicht! -, aber es war eben sehr »unüberlegt, riskant, somit lebensgefährdend und gar nicht nötig- warte! Noch besser: Es ist nichts als eine schwachsinnige Idee!«, so würde es Hermine beschreiben. Er hoffte, dass niemand ihn sah, der ihn kannte und ihn daraufhin zu Hermine schleppen würde, um von ihr die Zurechtweisung zu empfangen, die ihm wahrscheinlich Tage danach noch in den Ohren nachklingen würde. Wenn das Ganze auch noch zu Ron vordrang, dann wusste Harry, dass auch seine ganze Familie ein Wörtchen mit ihm zu reden hatte.

Er lächelte. Es war schön, dass er so vielen nicht egal war. Jedoch war der Nachteil, dass sie sich auch um ihn unnötig sorgten. Er seufzte. Wenn er sich nicht erwischen lies - von seiner ‚Familie‘ und dem Serienmörder oder Serienmörderin -, dann gab es auch keinen Grund der Sorge.
 

„-rst du.... letzte Nacht? ... warum... bist... u-“
 

„Poliz... eise... ! Werd... icht mehr kom.... so... sag den and... scheit.“
 

Harry blieb erstarrt stehen, als er Stimmen hörte. Es waren zwei Personen, Männer, die sich leise unterhielten. Einer schien nervös zu sein, während der andere leicht gelangweilt klang. Harry biss sich auf die Lippen und lehnte sich an eine Hauswand. Nach den Stimmen zu urteilen, mussten die Männer nur ein paar Meter entfernt stehen. Wenn Harry sich also vorlehnen und um die Hausecke spähen würde, dann.... durfte er sich nur nicht erwischen lassen.

Vielleicht war er manchmal zu neugierig, vielleicht hatte er sich diese Neugier von seiner Tante angeeignet, als er noch ganz klein war- auf jeden Fall war seine Neugier manchmal nicht gesund, aber er war nun eben hier und wahrscheinlich auch noch zur falschen Zeit am falschen Ort.

Er lauschte.

Dann schlich er leise an der Wand entlang und blieb kurz vor der Ecke des Hauses stehen. Eine der Stimmen kam ihn bekannt vor, aber woher? Er beugte sich leicht vor, um einen Blick auf die Personen zu erhaschen. Ohne Beleuchtung sah er jedoch nur wenig von den Männern. Das einzige, was er wirklich erkennen konnte war, dass einer der Männer kleiner und der andere größer sein musste, als er selbst.
 

„-ar... Haus.... und... chdem... tot... ussten schnell abha... enn... ie Nachba... zei...“
 

„-eine Probleme? ... s... st... iel Blut, dass überall... izt... ein muss... abt ihr... au... schaut...? -“
 

Harry schluckte. Er fragte sich, ob er sich über den genauen Inhalt des Gesprächs Sorgen machen musste. Seine Neugier brachte ihn vielleicht doch noch irgendwann einmal ins Grab. Er sollte lieber umkehren und den Umweg nach Haus nehmen- einen Heimweg mit viel Licht und mit vielen Augenzeugen! Er musste sich nur leise umdrehen und davonschleichen.
 

„-eine Zeit... ne... icht... ver...fftet werden! Außerd... st... zei... aiv...“
 

„-rzähl ’s lieber... cht... em Boss, sonst... ickt er jemand... ch umbringt...“
 

Dieses Gespräch war ihm zu unheimlich. Harry drehte sich um und-
 

„Quiiick!“
 

- er trat auf eine Maus - oder Ratte - Das war doch so klar! schrie Harry in seinem Kopf. Er rannte, als er bemerkte, dass die Männerstimmen schlagartig verstummt waren. Sie hatten die Schmerzensschrei des kleinen Nagetiers wohl auch vernommen und hatten sich- nach den schnellen und lauter werdenden Schritten zu urteilen- entschieden sicherheitshalber nachzuschauen, was das Tier dazu veranlasst hatte.
 

„Da- Da! D- Da vorne! Schn... Schnapp ihn!“, rief einer der beiden Männer. Dieser hatte anscheinend große Probleme während des Rennens zu reden. Überhaupt hörte es sich an, als würde dieser stark zurückfallen. Harry war erleichtert.
 

„Bleib stehen!“, rief der zweite Mann. Harry hätte beinahe aufgeschrieen, als er die Stimme hörte. Sie war eindeutig näher an ihm dran. Viel zu nah. Harry rannte schneller. Er konnte sich doch nicht erwischen lassen nach all den schmerzhaften Jahren bei seinen Verwandten. Bis jetzt hatte ihn noch nie jemand zu Fassen bekommen. Bis jetzt war er immer der schnellste gewesen- Harry tadelte sich innerlich. Es ging hier um sein Überleben und nicht um seinen Stolz. Es ging hier um Hermine und Ron und die anderen. Würde ihm etwas zustoßen, dann würde er ihnen so große Sorgen bereiten, dass sie wahrscheinlich auf dumme Ideen kommen würden- zum Beispiel den Täter aufsuchen ohne es der Polizei bescheid zu sagen.

Er rannte noch schneller. Die Stimmen und Schritte seiner Verfolger wurden leiser. Er bog ab und rannte zum Licht. Bevor er jedoch die beleuchtete Straße voller Menschen betrat versuchte er sich zu beruhigen und so normal wie möglich auszusehen, wie die Passanten, die zufälligerweise an dem Eingang der Gasse vorbeiliefen. In der dunklen Gasse hatten die Männer nicht sehen können, wer der Lauscher war. Wenn er sich unter den Menschen mischte und so tat, als wäre er die Ruhe selbst, dann würde er seine Verfolger bestimmt abschütteln. Lächelnd tat er dies.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

Seufzend stieg er in die Badewanne.
 

So viel Aufregung an einem Tag war wirklich höchst anstrengend. Er lehnte sich zurück und genoss die Wärme des Wassers. Sein Blick streifte die Decke und ging in die Ferne und seine Gedanken wanderten durch seine Erinnerungen.

Wäre ihm etwas passiert und seine Freunde würden es mitbekommen, dann würden Hermine und Ron auf jeden Fall ein Team bilden und ihn retten wollen. Vielleicht würden sie auf diese Weise wieder zueinander finden? Früher hatte es ihn gestört, dass seine beiden besten Freunde miteinander gingen. Er hatte sich wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt. Jedoch war das nur am Anfang so, denn danach war es wieder wie vorher- nur dass Hermine und Ron noch mehr machten, als normale Freunde. Das war auch etwas ganz seltsames für Harry, dass seine Freunde Dinge machten, die er bis heute noch nicht ganz begriffen hatte.
 

Geistesabwesend griff er nach dem Quietscheentchen und drückte sie hin und wieder.
 

Jetzt waren seine Freunde nicht mehr zusammen. Sie haben sich getrennt und danach war ihre Freundschaft nie wieder so wie sie vorher war. Diesmal fühlte er sich nicht wie das fünfte Rad an einem Wagen, sondern wie einer, der zwischen den Fronten stand. Zwei Fronten, die an ihm zogen.
 

Er drückte das Entchen.
 

Dann war da noch dieser Serienmord, von dem andauernd in den Nachrichten berichtet wurde. Die Anspannung, die er von beiden Seiten bekam, von Hermine und Ron, war fast erdrückend. Manchmal benahmen sie sich so, als wäre er das Kind und sie beide wären die Eltern. Geschiedene Eltern. Harry lachte leise. Das er das gedacht hatte durfte er ihnen nicht erzählen.
 

Er drückte ein weiteres mal das Entchen und runzelte die Stirn. Dieses Quietschen erinnerte ihn wieder an die Verfolgungsjagd. Er fragte sich, was er in der dunklen Gasse gehört hatte. Das, was er verstehen konnte, klang sehr beunruhigend, vor allem da die Wörter ‚Blut‘ und ‚tot‘ vorkamen. Plötzlich fühlte sich das Wasser nicht mehr so warm an, als ihm ein erschreckender Gedanke hoch kam.
 

Hatten diese zwei Männer etwas mit den Morden zu tun?
 

Harry stellte das Entchen wieder auf die Badewannenecke und stand auf. Vielleicht sollte er einfach schnell ins Bett und das Ganze erst einmal vergessen. Er dachte sich, dass er am nächsten Morgen bestimmt mehr Kraft hatte sich mit den jüngsten Geschehnissen auseinanderzusetzen, also stieg er aus der Wanne. Er trocknete sich mit einem Handtuch ab, schlang es um seine Hüfte, putzte sich schnell die Zähne, dann verlies er das Bad und-
 

„Guten Abend!“
 

Harrys Herz blieb stehen, als er den Mann sah, den er am Vortag ins Haus geschleppt hatte, um diesen zu versorgen. Nervös ging er einen Schritt zurück und wäre beinahe über den Rand des kleinen Teppichs, der in der Mitte des Badezimmers lag, gestolpert, jedoch schaffte er es sein Gleichgewicht wieder zu erlangen.
 

„Du brauchst nicht so zu schauen, als würde ich sonst was mit dir anstellen wollen“, sagte sein Gegenüber amüsiert. „Ich möchte einfach nur... reden.“
 

Harry wusste nicht was er davon halten sollte. Was er wusste war, dass irgendetwas nicht stimmte und aus irgendeinen Grund störte ihn etwas an der Stimme des Mannes, der sich ihm als ‚Dvill‘ vorgestellt hatte. Die Stimme klang viel zu erfreut.
 

„Sie sind eingebrochen“, sagte Harry schwach.
 

„Oh, nein. Die Tür war nicht verschlossen, also ist es kein Einbruch“, log Dvill. Harry wusste, dass er log, denn er hatte wegen der Begegnung in der Gasse zur Sicherheit die Wohnungstür mit allen Riegeln, die angebracht waren, verschlossen.
 

„Sie lügen“, sagte er dann auch laut. Harry musste diesen Mann irgendwie rausschmeißen, damit er die Polizei rufen konnte. Er musste nur einen klaren Kopf bewahren und dann würde ihm schon etwas einfallen.
 

„Das tue ich nicht. Ich war schon längst im Wohnzimmer und habe gewartet. Du hast mich nur nicht bemerkt. Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich dein Bücherregal einwenig genauer unter die Lupe genommen habe. Mir war langweilig- ach ja! Habe ich dir nicht gesagt du sollst mich duzen?“, kam es in einem Plauderton aus Dvills Mund. Dann grinste dieser plötzlich. „Und es wäre besser für deine Gesundheit, wenn du dir etwas... anderes zum Anziehen aussuchen würdest, als das...“ Dvills dunkle Augen wanderten nach unten.
 

Harry errötete. Er musste diesen Kerl rausschmeißen!

Er kam, stahl Joghurt und ging

Sie starrten sich an.

Es war wie ein Kampf, eine eher kindische aber in gewisser Weise doch recht anspruchsvolle Herausforderung, und Harry wollte nicht aufgeben. Dvill machte auch nicht den Anschein das zu tun, er grinste sogar wie jemand, der wusste, dass er der Sieger sein wird. Der Fremde saß gelassen auf dem Sofa und machte sich breit. Harry, ganz und gar nicht gelassen und schon gar nicht lächelnd, saß kerzengerade und unbeweglich in seinem Sessel. Er befürchtete, dass, sobald er sich bewegte, die ungebetene Person vor ihm einen Grund finden würde, ihn für immer und ewig zum Schweigen zu bringen.

Zurzeit taten sie nichts außer sich anzustarren- und zu atmen! Kein normalsterblicher Mensch konnte so lange ohne Sauerstoff überleben. Nun. Vielleicht gab es welche, aber Harry und dieser Dvill gehörten sicher nicht zu den Ausnahmen. Jedenfalls taten sie noch nichts interessantes.

Doch Dvill wollte anscheinend etwas an ihrer Situation ändern, denn, ganz langsam, hob der fremde Mann einen Löffel in die Höhe und ließ ihn wieder sinken und in den kleinen Plastikbehälter in seiner anderen Hand eintunken. Harry hätte verärgert sein sollen, schließlich hatte dieser Dvill seinen Lieblingsjoghurt aus seinem Kühlschrank geklaut, aber er schwieg und versuchte sich nicht weiterhin von dem Löffel ablenken zu lassen, um dem anderen böse anzustarren. (Harry hoffte jedenfalls, dass er böse schaute). Doch die langsame Bewegung war so dramatisch und lächerlich, dass Harry nicht anders konnte, als immer wieder verwirrt einen Blick auf den Löffel zu werfen, der nun mit Joghurt (plus Orangenstückchen! Nicht zu vergessen, die Orangenstückchen!) beladen war. Dvill, welcher ihn ununterbrochen anstarrte, schleckte den Löffel ab. Es war eine seltsame Art des Abschleckens, dachte Harry und runzelte die Stirn. Dvills Zunge schien richtig am Löffel zu arbeiten, bevor sie wieder im Mund verschwand. Musste wohl irgendeine Macke sein, schlussfolgerte er. Vielleicht wollte der Mann nur nichts übrig lassen. Auf der Straße hatte man es sicherlich schwer, Essen zu finden.
 

„Hm...“ Dvill legte den leeren Joghurt-Becher und den Löffel auf dem Tisch ab ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Hmhm... hmmm... interessant.“
 

Meinte er den Joghurt? Hat er ihm nicht geschmeckt? Wenn nicht, dann hätte er ihn nicht essen sollen! Ich wollte ihn so gerne essen...
 

„Du wunderst dich sicher warum ich hier bin, nicht? Bin ich hier, um dich umzubringen? Bin ich der Serienmörder? Fragst du dich das?“ Dvill wartete. Harry schwieg. Dvill beantwortete die Fragen selbst: „Bestimmt! Ich sehe es dir an. Sitzt da, wie eine Statue. Hast wohl doch etwas Angst, hm? Bereust du es, mein Leben gerettet zu haben?“ Stille. Der fremde Mann rollte die Augen. „Natürlich, ich verstehe dich voll und ganz! Jeder würde bereuen, einen Menschen, wie mich-“
 

Ibreiednch!“, kam es aus Harrys Mund.
 

„Muss wirklich schwer sein, als Statue zu reden“, erwiderte Dvill amüsiert.
 

„Ich... bereue nicht, ... jemanden das Leben zu retten“, wiederholte Harry stockend.
 

„Und auch nicht, wenn ich dieser Mörder bin?“ Dvill lehnte sich zurück.
 

„Ich glaube nicht, dass Sie- dass du der Täter bist“, sagte Harry mit einer festeren Stimme.
 

„Und woher willst du das wissen?“
 

„Ich weiß es einfach!“ Harry sah den anderen trotzig an. Sein Verhalten war kindisch und eigentlich sollte er eher nach einen Ausweg suchen. Seltsamerweise kam ihm plötzlich das Bild eines dreckigen Obdachlosen in den Kopf. Der arme, stinkende Obdachlose, der kränklich neben der Mülltonne gelegen war und gehustet hatte, kuschelte sich nun gesund und munter und sauber vor ihm in seinen Sofa hinein. Dvill sah nicht aus wie ein Serienmörder. Harry wusste, dass man nicht nach dem Aussehen gehen sollte, aber er hatte dieses Gefühl. Irgendein Instinkt, der sich hin und wieder zeigte, sobald er in der Klemme steckte. Dieser Instinkt sagte ihm, dass dieser gewisse Mörder, der in den Medien Schlagzeilen machte, nicht in seinem Wohnzimmer saß und sein Joghurt geklaut hatte. Jedoch sagte sein Instinkt auch, dass Dvill nicht ganz vertrauenswürdig war.
 

„Du glaubst, hast du gesagt, aber du weißt es nicht. Du glaubst.“ Dvill schüttelte den Kopf. Dann, mit einem übertriebenen Aufseufzer, sagte er: „Ach, was soll‘s! Du hast recht, ich bin nicht hier, um dich umzubringen. Ich bin hier, weil ich deine Wohnung als Unterschlupf brauche. Hast du etwas zu trinken? Außer Wasser? In deinem Kühlschrank gibt es nicht viel zu entdecken, weißt du.“
 

„Oh... ehm... nur Wasser. Ich habe gerade nichts anderes“, sagte Harry, während er das Gesagte verarbeitete. „U-Unterschlupf?“
 

„Nur Wasser? Wie langweilig.“ Dvill stand auf und ging aus dem Wohnzimmer. Harry folgte ihm zögernd.
 

„Wo willst du hin? Und warum brauchst du einen Unterschlupf? Willst du dich vor jemanden verstecken? Oh, könntest du bitte die Schuhe ausziehen? Du hast ganz schön viel Dreck an den Sohlen-“
 

Dvill blieb abrupt stehen und Harry lief in ihn hinein. Überrascht sprang er ein paar Schritte von dem fremden Mann weg und hoffte diesen nicht verärgert zu haben. Dvill drehte sich jedoch nicht wütend um, stattdessen versuchte dieser sein Gleichgewicht zu behalten, um die abgetragenen Schuhe abzustreifen.
 

„Draußen regnet es und ich möchte gern im Trockenen und Warmen schlafen.“
 

„Ehm...“ Harry sah, wie Dvill in sein Schlafzimmer ging. Er wollte sich aufregen, schließlich war das seine Wohnung, sein Schlafzimmer und somit sein Bett, aber er konnte nicht. Er fragte sich, wie oft dieser ‚Dvill‘ draußen gegen Krankheiten, Hunger und anderen Problemen gekämpft haben musste. Er fragte sich, ob dieser Unbekannte noch eine Familie hatte. Und wenn, wahrscheinlich kümmert es dieser Familie nicht einmal, dass Dvill auf der Straße sein Leben verbrachte. Vielleicht gab es noch mehr Dursleys.

Harry schüttelte den Kopf und ging zurück ins Wohnzimmer. Er musste wohl auf dem Sofa schlafen.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

„Her mit dem Ahornsirup.“
 

Harry grummelte und schob das gewünschte Objekt über den Tisch.
 

„Gibt es noch mehr Pfannkuchen? Ja? Her damit.“
 

Harry verbiss sich seinen Kommentar und tat was ihm befohlen wurde. Es war ja nicht so, als wurde er dazu gezwungen- er machte einfach nur mit.
 

Ah, so voll habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt!“ Dvill streckte sich in seinem Stuhl. „Das war nicht schlecht. Wirklich nicht schlecht, Harry.“
 

„Danke“, sagte Harry und lächelte leicht. Er war erleichtert, dass er endlich selbst zum Essen kommen konnte. Vielleicht war er selbst schuld, dachte er. Er hätte einfach ‚Warte, bitte‘ sagen sollen und ‚Ich habe auch nur zwei Hände!‘. Aber Dvill hatte wirklich hungrig ausgesehen und Harry konnte einfach nicht anders, als diesem jeden Wunsch zu erfüllen. Den befehlerischen Ton hätte sich dieser unhöfliche Mann jedoch sparen können-
 

„Ich gehe jetzt wieder. Einen schönen Tag noch!“ Und so verlies der seltsame Mann, der sich ‚Dvill‘ nannte, ein zweites mal die Wohnung.
 

Harry seufzte und aß weiter. Er war noch am Leben. Das war doch ein gutes Zeichen.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

„Bisschen gefährlich, findest du nicht?“, fragte Dean Thomas, der eine Etage über ihm wohnte.

Er war ein guter Freund und Zuhörer hatte Harry herausgefunden. Kurz nachdem Hermine und Ron nicht mehr miteinander gingen war die Atmosphäre für ihn zu unerträglich geworden und er war zu Dean geflohen, um seine beiden besten Freunde zu ignorieren und zu warten bis beide wieder einigermaßen ansprechbar waren. Er war froh, dass es jemanden wie Dean gab, der versuchte einen zu verstehen und Dinge aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Harry besuchte ihn gerne. Außerdem war Dean ein wirklich guter Hobbykünstler und seine Wohnung war so voll von seinen Bildern und Basteleien, dass Harry manchmal glaubte, eine andere Wirklichkeit betreten zu haben. Mehrmals hatte er versucht seinen Mietnachbarn dazu zu bringen mit seinen Werken nebenbei Geld zu verdienen, aber dieser lehnte es vehement ab. Er sei noch zu unerfahren und müsste weiter üben, um in der Realität mitzuhalten. Als Empfangsherr im fünf-Sterne-Hotel Flamel verdiente es sich auch nicht schlecht, hatte Dean immer wieder gemeint. Es war manchmal frustrierend, dachte Harry, aber wenigstens war es ihm erlaubt, die Bilder zu sehen.
 

„Ich liege nicht sterbend und nach Hilfe röchelnd irgendwo rum, oder?“ Harry schlürfte seine Tasse Tee leer. Wieder einmal saß er in der Wohnung seines Freundes und sah diesem bei seiner künstlerischen Arbeit zu, oder bei seiner ‚Spontanen Aktivität unnützer Herstellung von Müll‘, wie Dean es nannte.
 

„Dein Glück, sage ich“, kam es von dem dunkelhäutigen Mann und wedelte unachtsam mit seinem nassen Pinsel gegen die Leinwand. Rote Kleckse trafen auf und sie wirkten wie Blut. Harry bemerkte, dass sein Freund die Konzentration bei seiner Arbeit verloren hatte, und er wusste, dass dieser versuchte eine neue Inspiration zu finden- in Form der ,Zerstörung'. Doch selbst die ‚zerstörten‘ Bilder fand Harry hübsch.

Er neigte seinen Kopf zur Seite und starrte, vorbei an Deans Ellbogen, auf die Kleckse. Grün und Rot und Braun, Blau und Weiß, ein Irrgarten aus Klecksen.
 

„Sieht aus wie ein Baum.... ein Apfelbaum“, sagte Harry langsam. „Hey! Wie wäre es, wenn du noch eine Schlange hinein malst und eine Frau und einen Mann, vielleicht Adam und Eva, die... ehm... ah! Genau! Die Purzelbäume schlagen.“ Dean lachte und sah sich die Leinwand genauer an.
 

„Der sportliche Adam und die sportliche Eva?“ Dean fing wieder an zu malen. „Wie du willst. Hm. Ein Schild wäre auch nicht schlecht.“
 

„Und was wird auf dem Schild stehen?“
 

„FKK-Bereich.“
 

„Wa-“ Harry verschluckte sich an der Luft. Dann überlegte er. „Äh. Okay. Gute Idee. Gibt dem Bild eine gewisse... Bedeutung. Jedenfalls würden andere denken, dass es eine tiefere Aussage haben muss und dass du wusstest, was du von Anfang an malen wolltest- würdest du es jemals anderen Leuten zeigen, außer mir und Seamus und wenigen anderen auserwählten Personen.“
 

Sein Aufenthalt bei Dean machte nie viel Sinn. Er besuchte diesen meistens sowieso grundlos. Selbst die Themen über die sie sprachen waren von keiner großen Wichtigkeit, aber das war in Ordnung. Sie waren Freunde und sie durften das. Wenn Seamus da war, wurde es sogar noch lustiger. Seamus war Deans bester Freund und war ein ziemlich fröhlicher, offener Mensch, der über viele Dinge wusste- so offen und so wissend in bestimmten Bereichen des Lebens, dass Harry ihn manchmal nicht richtig verstand.

Harry wünschte sich nur, dass er sich auch wieder mit Hermine und Ron so entspannt unterhalten konnte. Alle zusammen, zu dritt und zur selben Zeit am selben Ort.
 

„Wirst du diese Sache mit dem Obdachlosen den beiden erzählen? Das er in deine Wohnung eingebrochen ist?“, fragte Dean. Seine Stimme klang ein wenig abwesend, da er sich wieder auf sein Bild konzentrierte.
 

„Ich möchte nicht, aber ich werde es wohl...“ Harry biss sich auf die Lippen. Wahrscheinlich würde ihm Hermine raten, bessere Türschlösser anzubringen und die Polizei endlich einmal anzurufen, und Ron würde es als Nützlich sehen mehrere Selbstverteidigungskurse zu besuchen.
 

„Und wie weit bist du mit deinem neuesten Buch?“, fragte Dean weiter und wechselte das Thema. Harry lächelte dankbar.
 

„Die Hälfte habe ich schon hinter mir, schätze ich“, antwortete er. „Ich hoffe nur, dass ich keine Schreibblockade erfahren muss.“ Er starrte auf die Schlange, die soeben auf die Leinwand gemalt wurde. „Setze der Schlange eine Sonnenbrille auf.“
 

„Die Kinder sind ganz schön begeistert von deinen Geschichten über Hexen und Zauberer und was noch für magisch Kreaturen und Dinge, die du in deinen letzten Büchern eingebaut hast. Sogar im Ausland!“ Deans Augenbrauen zogen sich zusammen. „Warum eine Sonnenbrille? Warum braucht sie das? Nun gut. Egal...“ Und die Schlange bekam eine schicke Sonnenbrille.
 

„Das macht mir etwas Angst.“
 

„Die Schlange? Du wolltest ihr-“
 

„Diese ganze Aufmerksamkeit, meine ich.“ Harry beobachtete die Entstehung von Adam.
 

„Oh, das. Tja. Irgendwann werden sie dich finden, Harry. Ich verstehe es sowieso nicht, wie du dich so lange vor den Reportern verstecken konntest.“
 

„Sie haben mich mal, nach dem das zweite Buch gedruckt wurde, erwischt. Ich weiß nicht mehr, wo genau das war, aber ich habe mich von all den Fragen durchlöchern lassen. Sie schienen auch für eine Zeit lang zufrieden gewesen zu sein, aber...“ Harry hörte, wie sein Mietnachbar leise nach Luft schnappte. Manchmal vergaß Dean zu atmen, wenn er an einem Bild saß- oder stand.
 

„Deine Bücher sind eben ziemlich gut. Bestseller. Ich habe am Empfang ein Mädchen gesehen, das dein Buch nicht aus den Händen legen konnte. Sogar ältere Leute mögen deine Bücher.“
 

„Es ist wirklich schön, dass sie so anerkannt werden, aber nach diesem Buch, das ich noch zu Ende schreiben muss, werde ich eine lange Pause machen! Ja. So lang, bis sich alles wieder gelegt hat.“ Wahrscheinlich hätte Harry noch mehr Probleme mit irgendwelchen nervigen Reportern gehabt, wenn Serienmörder nicht auf freiem Fuß wäre. Dieser Gedanke erleichterte ihn nicht.
 

„Dabei könntest du dir so leicht eine hübsche, junge Frau ködern“, sagte Dean grinsend. „Ich hörte, dass viele alleinerziehende Mütter von dem Foto des Autors... fasziniert sind...“
 

„Seamus hat einen schlechten Einfluss auf dich, weißt du das?“
 

„Vielleicht?“
 

Sie sahen sich amüsiert an und fingen an zu lachen.
 

„Kannst du neben der Schlange einen Engel hin malen? Mit einem Schwert in der Hand? Er soll mit der Schlange reden. Kannst du das machen?“, fragte Harry nach einer Weile. Dean blinzelte.
 

„Du sprühst immer so voller Fantasie, ich werde wirklich neidisch“, sagte sein künstlerischer Freund mit erhobenen Augenbrauen.
 

„Ich lese nur viele Bücher.“
 

„Deine? Das sind... bis jetzt... fünf.“
 

„Andere, natürlich.“ Harry rollte die Augen. Dann lächelte er schüchtern. „Kann ich... das Bild haben, wenn es fertig ist?“
 

„Ich verkaufe es für eine von dir gekochte fünf-Sterne-Mahlzeit.“
 

„Abgemacht!“

Die letzte magere Mahlzeit

Vorsichtig schloss Harry die Eingangstür eines kleinen Zeitschriftenladens, die gerne mit einem lauten Knallen zu klappte. Jetzt, da er dem größten Teil der Außenwelt entkommen war, entspannte er sich wieder. Es war traurig, dass es einem nicht mehr möglich war sorglos durch die Gegend zu spazieren, um belanglose Dinge zu unternehmen- die Sonne genießen, Leute beobachten oder sich von den bunten Werbeplakaten (auf denen beispielsweise Kleidungsstücke zu sehen waren und darüber die Worte ‚20 % Reduziert! Jetzt kaufen!‘ standen) beirren lassen.

Zielstrebig steuerte er die hinterste Ecke an und fischte die neueste Ausgabe der Zeitschrift Klitterer heraus. Hermine hatte ihm von irgendeiner neuen, wirklich seltsamen Tierspezies erzählt, die sie unbedingt retten wollte, da diese wegen ihrer Intelligenz und Anhänglichkeit dazu benutzt wurde alltägliche Hausarbeiten zu verrichten.
 

Diese Tiere wurden Hauselfen genannt.
 

Harry wusste nicht warum sie als Elfen angesehen wurden. Wenn er an Elfen dachte, dann kamen ihm hübsche, feingliedrige Wesen mit hauchdünnen Flügeln in den Sinn. Diese Hauselfen jedoch sahen aus wie eine Mischung aus Mensch und verschiedenen anderen Tieren. Mit dem kahlen Kopf, den übergroßen Augen und den Fledermaus ähnlichen Ohren lag diese Spezies weit davon entfernt eine Bilderbuch-Elfe zu sein. Hermine hatte ihn darum gebeten (angefleht, wenn nicht sogar dazu gezwungen) den Klitterer zu kaufen, sobald ein Artikel über ‚B.Elfe.R‘ auftauchte. Sie hatte viele Artikel über den ‚Bund für Elfenrechte‘ geschrieben und an Mr. Lovegood, dem Chefredakteur und Herausgeber des Klitterers und Besitzer des Ladens, in dem Harry sich aufhielt, geschickt.

Als guter Freund, hatte er natürlich eingewilligt, um ihr eine Freude zu machen. Auf dem Weg zur Kasse entschied er sich noch ein Sudoku-Heft zu kaufen. Wer wusste schon, wann die Langweile sich wieder bei ihm blicken lassen würde.
 

„Sie gibt nicht auf, die junge Dame, hm?“ Mr. Lovegood nahm die Zeitschriften entgegen und begutachtete den Klitterer mit einem Lächeln.
 

„Nein, sie ist manchmal sehr hartnäckig“, antwortete Harry grinsend. Ein Piepsen ertönte als Mr. Lovegood das Code-Lesegerät über die Hefte strich.
 

„Aber es ist für eine gute Sache! Ich habe ihr angeboten ein Interview mit ihr zu führen. Hat sie sich schon entschieden?“
 

„Oh, ähm, ich weiß es nicht. Soll ich sie fragen, wenn ich sie wieder sehe?“
 

„Das wäre nett von dir, Harry.“ Mr. Lovegood übergab ihm wieder die Hefte. „Vier Pfund und fünfundsiebzig Pence.“
 

Harry bezahlte und verabschiedete sich.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

Nachdem er den Zeitschriftenladen verlassen hatte schaute sich orientierungslos um. Er hatte seine Wohnung aufgeräumt- auch wenn es nicht viel zum Aufräumen gab-, seine Pflanzen gegossen, den Müll rausgetragen und er hatte den Klitterer gekauft. Was konnte er noch erledigen.

Harry überlegte. Er wusste, dass er noch irgendetwas wichtiges erledigen musste. Nach seinem Frühstück hatte er sich doch irgendetwas vorgenommen- aber was? Nachdem der Obdachlose- Ach ja! Er wollte sein Kühlschrank wieder auffüllen! Gut gelaunt, da er endlich wusste, wie er ein Stück seiner Zeit nutzen konnte, lief er zur Winkelgasse. In seiner gedanklichen, schnell angefertigten Einkaufsliste stand an erster Stelle ‚Joghurt‘.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

Er steckte die Hefte in eine der beiden vollen Einkaufstüten. Sie waren schwer, aber solange er nicht verhungerte, war das in Ordnung. Sein Magen knurrte und Harry setzte sich auf eine leere Bank unter einem Baum, der mitten in der Einkaufsstraße wuchs. Entkräftet griff er in eine der Tüten und holte ein Plastikbehälter heraus, den er öffnete. Begierig nahm er sich das erste Sandwich heraus. Nach wenigen Minuten fing er an, das zweite zu verputzen. Das letzte hob er sich auf. Der Tag war noch lang und er wollte noch Ron und Hermine besuchen, um ihnen von dem letzten Vorfall mit Dvill zu berichten. Eine harte und anstrengende Aufgabe bei der er seine letzte Mahlzeit bestimmt gebrauchen konnte.

Mit vollem Bauch lehnte er sich zufrieden zurück, schloss die Augen und genoss den Tag, der mit dem Besuch bei seinen Freunden ein unangenehmes Ende finden würde. Er ignorierte die unheimliche Stille, die seit dem Auftreten der Serienmorde sich in jede Ecke der Stadt eingenistet hatte. Es war ein schöner Tag, den er ein wenig genießen wollte.
 

Plötzlich schlossen sich Hände über seinen Augen. Harry erstarrte.

„Ich sehe was, was du nicht siehst“, flüsterte jemand nah an seinem Ohr. Die Worte waren leise gehaucht und er hatte erst Schwierigkeiten die Stimme zu identifizieren. „Es ist eine Person mit einem Vogelnest als Frisur.“ Ein leises Lachen. Harry wusste, wer hinter der Bank stand.
 

„Dvill?“, fragte er vorsichtig.
 

„Falsche Antwort! Ich sehe dich, Harry.“
 

Die Hände verschwanden und Harry drehte sich um und sah, wie der Obdachlose sich an den Baum anlehnte. Für einige Augenblicke sagte niemand etwas. Dvill rollte die Augen und lächelte ihn charmant an.
 

„Du hast ein Sandwich für mich?“, fragte er.
 

Harry zog die Augenbrauen zusammen. Schon wieder dieser befehlerische Tonfall! Er half diesem Kerl und wurde mit unhöflichen Extrawünschen belohnt? ‚Es ist eigentlich deine Schuld‘, würde Hermine sagen und er würde ihr zustimmen. Er hatte einen unbekannten Mann in seine Wohnung eingelassen und das hatte er nun davon.
 

„Der ist nicht für dich“, sagte Harry mutig. Er wusste zwar, dass dieser Mann nicht der Serienmörder war- so meinte jedenfalls sein Instinkt-, aber dieser Dvill konnte dennoch gefährlich werden- so sagte ihm sein Hirn, der sich mit seinem Instinkt nicht wirklich einigen konnte.
 

„Ich bin am Verhungern“, sagte Dvill monoton und ohne einen falschen leidenden Blick.
 

„Ich habe vielleicht auch Hunger...“ Harry war leicht verärgert. Jedoch war er viel zu misstrauisch, um unüberlegt zu handeln. („Gut so, Harry“, hatte ihn einmal Hermine gelobt. „Du verhältst dich immer rationaler und nicht mehr so wie ein halber Ron-“ - „Hey!“ Harry hatte nur gelächelt, als seine besten Freunde sich ohne Ernst stritten. Das waren noch schöne Zeiten gewesen...).
 

„Ich habe gesehen, wie du die zwei anderen verschlungen hast-“ Wie lange hatte er ihn schon beobachtet? „- Du bist längst satt. Sei ein guter, braver Bürger und hilf den Armen!“ Dvill streckte seine Hand aus und wartete.
 

Dieser Mann war eine Klasse für sich, dachte Harry irritiert. Ohne jegliche Kontrolle zuckten seine Mundwinkel für einen Sekundenbruchteil in die Höhe. Ja, er war ein wenig amüsiert. Geschlagen wandte er sich um und holte den Plastikbehälter raus und legte ihn auf die wartende, ausgestreckte Hand.
 

„Vielen Dank“, sagte Dvill. Er lief um die Bank und setzte sich neben den Einkaufstüten hin, die nun zwischen ihnen lagen. Es herrschte wieder Stille. Dvill aß und Harry versuchte sich zu entspannen. Es gelang nicht, da er immer noch misstrauisch war. Er musste aufpassen, dass Dvill nicht schon wieder auf die Idee kam, seine Joghurt zu klauen. Vielleicht sollte er einfach aufstehen und gehen- und er tat es.
 

„Einen schönen Tag noch“, wünschte Harry dem Obdachlosen. Nur weil dieser so unhöflich zu ihm war, hieß das noch lange nicht, dass er sich auf demselben Niveau befand.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

Harry presste die Lippen zusammen, sein Blick ging starr geradeaus ohne wirklich zu sehen, seine Haltung war steif, aber er lief weiter und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Nur noch wenige Meter bis zur Bibliothek. Er wollte rennen, aber es waren nur noch wenige Meter. Ein paar unbedeutende Schritte. Er wollte rennen, aber dann wiederum fürchtete er sich vor Hermines Reaktion, sobald er ihr die Geschichte erzählte. Und dennoch hatte er das Bedürfnis so schnell wie möglich zu rennen und sich in der Bibliothek zu verbarrikadieren- nicht das Hermine das je erlauben würde... Er atmete einmal tief ein und aus und drehte sich um.
 

„Warum folgst du mir?“ Seine Muskeln waren so versteift, dass er diese Frage schon fast herauspressen musste, da seine Lippen sich nicht so einfach öffnen ließen.
 

„Keine Sorge, ich bin kein Perverser, der dir auf Schritt und Tritt folgt“, kam es von Dvill in einem beruhigenden Tonfall. Harry war nicht beruhigt. „Du gehst nur in dieselbe Richtung, das ist alles!“
 

„Ach ja?“, fragte Harry nach.
 

„Ich Lüge nicht“, sagte Dvill nur und lächelte.
 

„Natürlich...“ Harry hielt seine Einkaufstüten in einem eisernen Griff fest. Er hatte vor, sobald dieser Mann auch nur eine falsche Bewegung machte, seine Nachbarin Mrs. Figg nachzuahmen und die Tüten als Waffen zu benutzen. Einkaufstüten waren gefährliche Waffen. „Wo willst du denn hin?“
 

„Nur zur Bibliothek“, sagte Dvill.
 

„...Ah...“ Nur zur Bibliothek? Harry wusste nicht, was er davon halten sollte.

Der Unfall und die Katze

Hermine war nicht in der Bibliothek aufzufinden. Sie war im Krankenhaus. Ihre Assistentin teilte ihm mit, dass Hermines Vater einen Unfall hatte- was genau dieser Unfall beinhaltete, konnte die Assistentin nicht sagen.
 

„Sie- sie war in Eile...“, sagte die junge Frau unsicher und errötete.

Ihr Benehmen kam ihm immer schon sehr merkwürdig vor. Früher dachte er es läge daran, dass er ein ziemlich bekannter Autor war, aber auch andere Schriftsteller, die einen oder mehrere Bestseller geschrieben hatten, gingen in dieser Bibliothek ein und aus und bei niemanden außer ihm benahm sie sich so schüchtern. Konnte es sein, dass seine beste Freundin mit ihrer Annahme recht hatte? Ihre Assistentin mochte ihn? Doch auch andere Frauen, zum Beispiel jene, die bei seinen Vorlesungen dabei gewesen waren, hatten sich so ungewöhnlich verhalten. Alle... Sie alle konnten doch nicht- sie waren doch nicht etwa... Nein. Nein, bestimmt nicht. Innerlich schüttelte er den Kopf. Nein, Hermine hatte das bestimmt nur gesagt, weil sie ihn wieder mit jemanden verkuppeln wollte.

Harry lächelte freundlich.
 

„Wenn sie in solcher Eile war, dann musste es etwas sehr Schwerwiegendes gewesen sein... Ich hoffe nur, dass es ihrem Vater gut geht“, kam es besorgt von ihm.
 

„Das hoffe ich auch, M- Mr. Potter.“
 

Mit einem höflichen Nicken verabschiedete er sich von der Assistentin und verließ die Bibliothek, verwundert, den nervigen Obdachlosen nicht mehr in der Nähe zu sehen. Vielleicht hatte dieser doch die Wahrheit gesagt und lungerte nun zwischen irgendwelchen Regalreihen.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

„-heute Morgen wurde eine weitere Leiche gefunden. Ein Fußgänger bemerkte ein seltsames Bündel, das an einem der acht Tragseile der Millennium Brücke aufgehängt wurde-“
 

Harry nahm die Fernbedienung und schaltete weiter. Die Nachrichten waren vollgestopft von schlechten Neuigkeiten und fast jede Woche wurde es schlimmer. Wirklich deprimierend.
 

„-du hast was getan? Oh wie kannst du nur! Ich dachte du liebst mich! Nur mich! Und jetzt bist du mit ihr zusammen? Hast du ihr dieselben Lügen erzählt, wie mir? Du bist nicht besser als-“
 

Er seufzte und schaltete weiter. Irgendwann gab er es auf, nach guten Filmen zu suchen, und hielt bei einer fiktiven Dokumentation über Drachen an.

Er hätte eigentlich noch bei Ron vorbeischauen können, um diesen von dem weiteren ‚Besuch‘ des Obdachlosen zu erzählen, aber er hatte es nicht getan. Hermine würde er das auch verschweigen, so entschied er sich.
 

„-verteidigt ihre Brut vor Feinden. Das Drachenmännchen muss sich in dieser Zeit ebenfalls in Acht nehmen, nicht das Weibchen zu erzürnen-“
 

Es klopfte. Er runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern ob er heute jemanden erwartete. Er kam zu dem Ergebnis, dass dem nicht so war. Konnte es wieder dieser Mann sein?

Es klopfte ein weiteres mal und er stand auf. Im Eingang öffnete er vorsichtig die Tür, darauf vorbereitet sie möglichst schnell wieder zu schließen, falls es die Situation verlangte.
 

„Hallo, Harry“, sagte eine weibliche Stimme. Harry blinzelte.
 

„Hermine...?“, kam es mit Verwunderung über seine Lippen. Seine beste Freundin nickte.
 

Erleichtert keinen unheimlichen Mann zu erblicken, der wie ein bestimmter Obdachloser aussah, bat er sie einzutreten.
 

„Hast du diesen Einbrecher erwartet?“, fragte Hermine mit einem prüfenden Ausdruck im Gesicht.
 

„Nicht erwartet, eher befürchtet.“ Harry räusperte sich. „Und er ist nicht eingebrochen-“
 

„Ach, stimmt. Du hast ihn ja einfach eingelassen-“
 

„Hermine...“
 

Im Eingangsbereich blieb sie stehen und sah ihn mit strengen Augen an.
 

„Er hat dir nicht zufälligerweise wieder Probleme bereitet, oder?“
 

„Nein! Nein gar nicht. Keine Sorge!“
 

„Immer musst du das zu uns- zu mir sagen! Aber kannst du nicht verstehen, dass es mir genau so schwer fällt mich nicht um dich zu sorgen, wie es dir schwer fällt dich nicht um mich... und Ron... zu sorgen?“ Hermine legte ihre Hände auf seine Schultern und sah ihn bittend an. „Sagst du mir wirklich die Wahrheit?“
 

„Ja, ich sage wirklich die Wahrheit.“
 

Harry hielt ihren durchdringenden Blick stand. Er hatte nicht wirklich gelogen. Dvill hatte ihm keine wirklichen Probleme beschert. Bis jetzt- und er hoffte, dass sich daran nichts änderte. Doch die junge Frau vor ihm, die er schon seit einer langen Zeit kannte, diese intelligente, junge, starke Frau sah ihn nun mit einer solchen Verletzlichkeit an, die er bis jetzt nur einmal zu Gesicht bekommen hatte- und das war vor ihrer Trennung mit Ron. Es war schwer, wirklich schwer nicht alles auszuplaudern. Wie schuldig er sich fühlen mochte, er musste standhaft bleiben. Sie hatte schon zu viele andere Probleme, um sich noch mit seinen zu plagen.

Er nahm ihre Hände von seinen Schultern und drückte sie kurz. Sein Mund formte sich zu einem warmen Lächeln. Etwas zögerlich wurde dieser von ihr erwidert. Er ließ sie los.
 

„Ich... war in der Bibliothek, um dich zu besuchen.“ Ein Themawechsel war immer gut. „Wie geht es ihm?“
 

„Meinem Vater? Ganz gut“, antwortete Hermine. „Er hat sich den Arm gebrochen, aber nicht all zu schlimm.“
 

„Was ist denn genau passiert?“, fragte Harry nach.
 

„Ein Unfall auf der Straße“, sagte Hermine und seufzte. „Er war nicht der Verursacher, er hatte einfach nur Pech gehabt gerade in der Nähe gewesen zu sein. Ein Motorradfahrer wollte anscheinend mehrere Autos überholen und wich dem Gegenverkehr zu spät aus.“
 

„Und der...“
 

„Und der Motorradfahrer ist gestorben...“
 

„Mhm...“
 

Noch mehr schlechte Neuigkeiten. Aber so etwas gehörte auf der ganzen Welt fast schon zum Alltag. Diverse Unfälle, Naturkatastrophen und im Falle ihrer Stadt zurzeit leider auch die Serienmorde.
 

„Willst du dich ins Wohnzimmer setzen? Ich mache dir einen Tee, ja?“
 

Hermine nickte dankend.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

Es verging eine Woche, an dem nichts Besonderes geschehen war. Seltsamerweise machte das die Bewohner noch nervöser. Harry hingegen war glücklich, so lange von keinem weiteren unnatürlichen und plötzlichen Tod zu hören und zu lesen. Der Obdachlose war ihm auch nicht mehr über den Weg gelaufen. Doch in seinem Leben verlief nie alles perfekt.

Am Ende jener friedlichen Woche überkam ihn wieder einmal der Drang etwas komplett Bescheuertes zu unternehmen. Hätte es an jenem Tag nicht aus Eimern geregnet, dann wäre das Ganze vielleicht erträglicher gewesen. Leider weigerte sich die Sonne aus ihrem Versteck im Wolkenmeer hervorzukriechen, während die Regentropfen sich abenteuerlustig auf die Erde niederließen, sich auf Harrys Kleider setzten, seine Socken hinunter wanderten und in seinen Schuhen ein freudige, kalte Wiedersehen feierten. Ja, es war ein recht kalter und nasser Tag. Harry grummelte und umarmte mit dem rechten Arm einen Baumstamm.
 

„Hör auf damit!“, fauchte er das widerspenstige Tier in seinem linken Arm an. Die Katze biss ihm in den Daumen. Er fluchte leise vor sich hin und versuchte das Gleichgewicht zu behalten.
 

„Ich versuche dir zu helfen, also benimm dich.“
 

Er hielt die Katze an seine Brust, damit diese sich dort an seinen Oberteil festkrallte. Langsam und vorsichtig griff er nach einem stabil wirkenden Ast in seiner Nähe. Stück für Stück kam er dem festen Erdboden näher. Unten angekommen befreite er seinen Oberteil von den Krallen und setzte die Katze auf den matschigen Boden. Anstatt wegzurennen drückte sie sich mit ihrem ganzen Körper gegen seinen Bein und schnurrte.
 

„Willst du dich bedanken oder willst du dich nur bei mir einschleimen, um kostenlose Nahrung zu bekommen?“ Harry bückte sich und strich ihr über das ganze Fell. „Jetzt geh schon. Ich dachte Katzen hassen Wasser.“ Sie schnurrte lauter. „Ich muss jetzt wirklich gehen-“ Plötzlich waren die Ohren der Katze aufrecht, dann fauchte sie und rannte weg. Verwirrt sah er ihr hinterher.
 

„Wie heldenhaft. Du hast eine Katze vom Baum geholt.“
 

Harry sah auf und erkannte Dvill mit einem Regenschirm in der Hand.
 

„Was machst du hier?“, fragte Harrys angespannt.
 

„Ich genieße das Wetter. Dieser Park wirkt an solchen wunderschönen Tagen immer so mysteriös.“
 

Harry sah sich um. Wegen den Wolken war es dunkler als normal. Die Sicht war ebenfalls durch den Nebel beschränkt und ließ die Welt um ihn herum noch farbloser erscheinen. In Büchern war dies ein perfekter Tag für einen Mord. Er schauderte und beobachtete den anderen Mann wachsam. Neidisch beäugte er dessen Regenschirm. Hätte er nur selbst einen mitgenommen, dann wäre er jetzt nicht so durchnässt. Doch irgendetwas ließ ihn stutzen.
 

„W- Woher hast du das?“
 

„Diese fantastische Erfindung?“ Dvill drehte den Regenschirm. „Das ist mein Eigentum.“
 

„Vorher hattest du das noch nicht.“
 

„Vorher gehörte es mir noch nicht, aber das ist uninteressant. Soll ich dich nach Hause begleiten?“
 

Dvill trat einen Schritt auf ihn zu. Harry wich zurück. Dvill machte noch einen Schritt. Harry wich weiter zurück. Der Obdachlose sah ihn schräg an.
 

„Du willst nicht?“
 

„Ich bin s- so oder so schon na- nass bis auf die Knochen. Du b- brauchst mich nicht zu begleiten“, stotterte Harry vor Kälte und Nervosität.
 

„Aber es ist doch selbstverständlich, dass ich dich begleite!“, rief Dvill mit einem viel zu freundlichen Lächeln aus. „Außerdem will ich einen heißen Kakao.“
 

„W- Wie bitte?“ Kakao?
 

„Und ich habe deine Wohnungsschlüssel.“
 

„Wa-“ Seinen Wohnungsschlüssel!?
 

„Jetzt komm endlich!“ Der Obdachlose legte eine Hand auf seinen Rücken und schob ihn von der Stelle. Harry stemmte sich dagegen.
 

„Halt! Du hast meinen Schlüssel!?“
 

„Du hast ihn bei deiner Kletterei verloren und ich habe ihn nur aufbewahrt.“
 

„Dann gib ihn zurück!“
 

Der Mann tätschelte seinen Kopf.
 

„Wenn wir angekommen sind und du mir einen Kakao gemacht hast, dann vielleicht-“
 

„Das ist Erpressung!“
 

„Ein Kompromiss-“
 

„Erpressung- Hey!“
 

Dvill umarmte ihn mit einem Arm und schob ihn weiter. Harry versuchte sich zu entwinden, aber der Griff war viel zu fest. Vielleicht sollte er um Hilfe schreien, aber würde ihn bei diesem Regen jemand hören? Und wer wusste schon, was dieser Mann ihm antun konnte, wenn er es tat. Harry schluckte.

Er gab auf und ließ sich führen.
 

„Gut, dass du zustimmst“, sagte Dvill vergnügt.

Der Alte Magier

Nachdem Harry mit zusammengepressten Lippen den heißen Kakao auf den Wohnzimmertisch abstellte, wurde ihm sein Wohnungsschlüssel ohne Warnung zugeworfen. Wahrscheinlich wollte dieser Obdachlose sehen, ob Harry sich lächerlich machte. Würde Harry vielleicht aufschreien? Würde er den Schlüssel fallen lassen? Er schnaubte, als er mit der linken Hand das fliegende Objekt aus der Luft griff, und fühlte eine Genugtuung beim Anblick des erstaunten Dvills- auch wenn dieses Erstaunen nur aus erhobenen Augenbrauen bestand.
 

Das Geräusch des Fernsehers ließ Harry wieder einmal die Lippen schürzen. Dvill hatte sich wohl die Freiheit genommen, diesen anzuschalten, als Harry sich in der Küche aufgehalten hatte.
 

„Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten sollte“, fing Harry an. Er stand immer noch neben dem Sofa, in welchem sein ‚Gast‘ sich breit machte. Wenigstens hatte Dvill diesmal seine dreckigen Schuhe ausgezogen.
 

„Ja, diese Morde sind schon sehr verwirrend...“, sagte der Mann, der sich auf die Nachrichten konzentrierte und nur geistesabwesend seinen Kakao schlürfte.
 

„Äh, ja, das auch, aber ich meine-“ Harry konnte es nicht mehr ertragen. „Warum bist du hier!? Was willst du überhaupt! Das ist meine Wohnung und nicht deine, also benimm dich nicht so, als würde dir hier alles gehören- und ich bin hier nicht dein Hausmädchen, die für dich kocht und- hör auf zu lachen!“
 

Wütend funkelte er Dvill an, als dieser prustend Kakao auf Tisch und Boden verteilte. Auf wundersamer Weise blieb Dvill selbst unbefleckt, stellte Harry enttäuscht fest.
 

„Natürlich bist du nicht mein Hausmädchen. Siehst auch nicht aus wie ein Mädchen-“ Die dunklen Augen wanderten über Harrys Körper. „Du bist auch kein Mädchen- oder vielleicht doch? Wer weiß-“
 

„Was willst du hier?“, presste Harry hervor und hielt sich davon ab die Zähne zu knirschen- das war ungesund.
 

Dvills Aufmerksamkeit galt wieder dem Fernseher. Harry folgte widerwillig seiner stillen Anweisung. Die Nachrichtensprecher berichteten gerade, dass die Polizei noch kein Licht am Ende des tödlichen Tunnels sehen konnte. Sie stünde nun unter größerem Druck, da eine weitere Leiche gefunden wurde und immer noch keine Lösung in Aussicht stand. Wann und wo die Leichen gefunden wurde, wusste Harry nicht, da er den Anfang verpasst hatte und die Nachrichtensprecher nun zu anderen Themen über wechselten.
 

„Sie wurde heute vor nur einer halben Stunde gefunden“, beantwortete Dvill die ungestellte Frage. „Der Mord geschah in dem selben Park, in dem wir uns aufgehalten haben.“ Harry riss die Augen auf. „Sie wurde unter einer Bank in der Nähe des Spielplatzes gefunden.“
 

Spielplatz!“, rief Harry fassungslos. Die Stelle, an der er die Katze gerettet hatte lag nicht all zu weit entfernt vom Fundort. Dvill nickte.
 

„Als ich dich in Richtung des Parks gehen sah, dachte ich mir ‚Hey, vielleicht sollte ich diesen Idioten vor einer unangenehmen Begegnung mit der Polizei- oder schlimmer!- mit dem Mörder bewahren!‘” Dvill grinste. „Du kannst dich gerne bedanken.“
 

Harry öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Vielleicht war der Obdachlose doch dankbar, dass Harry ihn vor einer tödlichen Erkältung gerettet hatte und wollte sich revanchieren? Vielleicht war dieser doch nicht so schlimm, wie er immer dachte...
 

„Danke...“, sagte er schließlich. Das war auch alles, denn ihm viel nichts Einfallsreiches ein.
 

„Kein Problem.“ Dvill trank seine Tasse aus und stand auf. „Vergiss nicht die Kakaoflecken wegzuputzen“, sagte er noch im Eingangsbereich. Harry grummelte.
 

„H- Halt mal!“, rief Harry plötzlich aus und rannte Dvill hinterher. Der seltsame Mann war vielleicht ein guter Mensch...

„Woher wusstest du, dass wieder ein Mord geschehen würde?“
 

Nachdem Dvill seine Schuhe anzog öffnete er die Eingangstür. „Auf der Straße kann man viel lernen.“ Aus der Tasche seiner abgenutzten Hose holte er ein zusammengefaltetes Zettelchen hervor. „Hier“

Harry nahm es verwirrt an. Er öffnete es und las.
 

Ich habe dich schon öfters im Tropfenden Kessel gesehen. Frag den Wirt, ob er weiß wo sich der Alte Magier befindet. Sag ihm nicht, dass ich es war, der dich beauftragt hat.
 

Harry hörte ein Klicken, als die Tür sich schloss. Der seltsame Obdachlose hatte ihn vielleicht gerettet, aber vielleicht war das nur eine Täuschung.

Seine Augen durchleuchteten die Botschaft. Der Alte Magier. Aus irgendeinem Grund kam ihm dieser Name oder Titel- oder für was auch immer der Alte Magier stand- bekannt vor. Er wusste, es könnte höchstwahrscheinlich eine weitere dumme Entscheidung sein, die er fällte, aber er war so neugierig. Der Alte Magier. Oh, wie er diese Neugier verfluchte! Aber was sollte schon passieren? Im Tropfenden Kessel war er so oft gewesen und der Wirt war ein guter Freund, also warum nicht?
 

Warum nicht...
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

„So sieht man sich wieder!“, grüßte ihn Tom, der Wirt des Tropfenden Kessels. „Und du bist noch am Leben!“
 

Harry lachte und setzte sich auf einen Barhocker. „Vielleicht bin ich nur ein Geist, der keine Ruhe findet.“
 

„Das ist traurig. Dann kannst du gar kein Butterbier trinken...“
 

„Oh- ich glaube, ich wurde wieder zum Leben erweckt!“
 

Beide lachten.
 

„Irgendwas Neues da draußen?“, fragte der Wirt und stellte ein Krug Butterbier vor Harrys Nase.
 

„Nicht wirklich. Die Leichen häufen sich, die Menschen werden paranoider und mehr und mehr Läden kürzen ihre Öffnungszeiten, aber ansonsten habe ich keine große Veränderung mehr gesehen.“ Harry nahm einen Schluck aus seinem Trinkkrug.
 

„Stimmt. Diese dunkle Zeit bessert sich kein Stück. Hab‘ gehört, dass nun alle möglichen Leute hinter Gittern kommen sobald sie auch nur eine Kaugummipackung stehlen“, sagte der Wirt während er benutzte Gläser putzte.
 

„So verzweifelt sind sie schon?“ Harry seufzte. „Bei solchen sinnlosen Morden ist das kein Wunder. Es gibt keinen hilfreichen Hinweis auf den Täter oder Täterin oder wer auch immer es war.“
 

„Naja. Spätestens wenn die ganze Stadt leergefegt ist, wird hier keine Morde mehr stattfinden können“, meinte der Wirt trocken.
 

Harry lächelte freudlos und nickte. Er nahm noch einen Schluck von seinem Getränk, dann noch einen. Seine Gedanken schweiften zum Obdachlosen. Der Alte Magier. Was hatte Dvill nur vor? Warum musste Harry nur so neugierig sein? Und wie sollte er den Wirt fragen ohne das dieser misstrauisch wurde? Sein Kopf war voll von Fragen und keine Antwort erschien, aber er musste seine Neugier stillen. ‚Du hast deine genialen Momente, Harry- aber warum zum Teufel überwiegt jedesmal dein Wahnsinn!?‘, hörte er Hermine in seinen Gedanken. Es tut mir leid, Hermine, dachte Harry mit Schuldgefühlen.
 

„Kennst du eigentlich den... Alten Magier?“, fragte er ganz direkt und versuchte so zu klingen, als sei es das nebensächlichste auf der Welt.
 

„Der Alte Magier?“, fragte der Wirt verdutzt und hielt bei seinem Putzen inne. Er runzelte die Stirn. „Du hast von ihm gehört? Dabei hat er seine Zaubervorführungen schon vor Jahren beendet...“
 

Zaubervorführungen. Der Alte Magier. Der Alte- Harry ging ein Licht auf. Jetzt wusste er woher ihm dieser Titel bekannt vorkam.
 

„Du kennst ihn also auch“, schlussfolgerte er. „Als kleines Kind habe ich seine Vorstellungen immer besucht. Seine Art war etwas... anders, als bei den anderen Magiern. Ein exzentrischer alter Kauz, aber seine Vorführungen kamen mir immer so echt vor. Als wäre er ein echter Magier...“
 

Der Wirt lachte. „Da hast du recht. Albus Dumbledore, der Alte Magier, war etwas Besonderes.“
 

„War?“
 

„Nun... Niemand weiß, was aus ihm geworden ist. Nach seiner letzten Vorführung verschwand er spurlos. Da er nur in einem unbedeutenden Zirkus arbeitete und keine Verwandten hat, vergaß man ihn recht schnell... Er war so ein lustiger Geselle. Wusste alles mögliche. So einen Kopf hätte er irgendwo anders benutzen können, aber er wollte lieber Zaubertricks vor Kindern vorführen.“ Der Wirt schüttelte traurig den Kopf. „Übrigens steht sein Haus immer noch leer. Eigentlich hätte es schon längst verkauft werden sollen, aber.... Tja. Manche behaupten es sei verflucht.“
 

„Oh....“ Harry blinzelte. Albus Dumbledore. Der Alte Magier war noch mysteriöser, als er es schon als kleines Kind gedacht hatte. „Wo steht sein Haus?“
 

„Liegt außerhalb Londons im Dörfchen Godric‘s Hollow. Du willst es doch nicht kaufen, oder? Früher war dieses Örtchen vielleicht ganz schön gewesen sein, aber heutzutage sind die meisten Häuser dort verlassen und die Wege sind furchtbar holprig. Die ganze Gegend scheint von der Natur längst zurückerobert worden zu sein.“
 

„Nein, nein. Mich hat‘s nur interessiert. Eigentlich wollte ich Dumbledore aufsuchen, um ihn wegen seinen Zaubertricks auszufragen und so- wegen.... wegen mein Buch“, redete sich Harry heraus.
 

„Ach so! Schreibst du schon ein neues? Ich dachte, du würdest länger Pause machen? Kannst wohl auch nicht stillsitzen, was? So viel Hektik in unserer Zeit!“ Der Wirt lachte.
 

„Ja...“ Harry lachte mit Unbehagen mit.

Der gute Freund

„Hey, Harry!“
 

„Hey, Ron!“
 

Harry trat in das Haus der Weasleys ein und wurde sofort in eine feste Umarmung geschlossen, dass ihm fast den Atem raubte. Oh- Waren das die Geräusche von gebrochenen Knochen? Hoffentlich nicht.
 

„Uff- Ron!“ Er versuchte aus der Umklammerung zu entkommen, aber es gelang ihm nicht.
 

„Du hast dich so lange nicht mehr gemeldet! Ich dachte du wärst tot!“ Ron ließ los und sah Harry wütend, besorgt und gleichzeitig erleichtert an.
 

„Übertreib nicht Ron. Ich habe dich vor einer Woche angerufen-“
 

Vor einer Woche! Danach ist noch genug Zeit dich umzubringen!“
 

„Ja, ja-“
 

„Nimm das gefälligst ernst! Würde ich nicht immer mit Hermine telefonieren, hätte ich schon längst bei dir vorbei geschaut, um nachzusehen, ob es irgendwo in deiner Wohnung nach gammliger Leiche stinkt! Und ich musste auch noch erfahren, dass du dich mit Hermine mehrmals getroffen hast- was ist mit mir!? Ich bin auch dein bester Freund!“ Ron schnaufte, dann schmollte er. „Und ich habe dich zu erst gefunden!“
 

„Ich wusste nicht, dass ich ein Spielzeug bin, über das ihr euch beide streiten müsst“, erwiderte Harry trocken.
 

„Spiel... zeug....?“ Sein bester Freund sah ihn amüsiert an und unterdrückte ein Lachen. „Wie dreckig von dir, Harry. Ich wäre niemals auf solche Gedanken gekommen!“ Harry seufzte und rieb sich das Nasenbein.
 

„Es muss daran liegen, dass du zu viele Brüder hast“, murmelte er müde. „Deine arme Schwester muss es noch schwerer treffen-“
 

„Von wegen! Sie ist ein Mädchen! Mädchen wissen schon viel früher über - ehem- gewisse Dinge bescheid, während die unschuldigen Jungen unwissentlich in ihre Fallen tappen- Argh!“
 

Ein unbekanntes fliegendes Objekt traf Rons Kopf mit voller Wucht und lies ihn nach vorne kippen. Harry fing ihn auf und versuchte den schweren und größeren Körper nicht fallen zu lassen. Bevor er unter dem Gewicht zusammen sackte, schaffte es sein Freund gerade noch rechtzeitig das Gleichgewicht wieder zu finden.
 

„Warum? Das war schon das zweite mal heute! Ah.... mein Kopf....“ Ron tastete die wunde Stelle ab und schnitt eine Grimasse. „Was war das überhaupt?“
 

Harry ging in die Hocke und hob das unbekannte Objekt auf. Er wusste nicht wirklich, was es darstellen sollte, aber es bestand aus Ton und war demnach hart, dennoch klein genug, um keinen all zu großen Schaden zu hinterlassen. Neugierig sah er an Rons Beine vorbei, um den Schuldigen für diese Tat ausfindig zu machen. Es war die jüngste der Weasleys. Er winkte.
 

„Tag, Ginny“, grüßte er.
 

„Hey, Harry“, grüßte sie zurück.
 

„Harry! Wie kannst du nur mit der Übeltäterin reden!“, kam es von seinem besten Freund, der sich wohl im Stich gelassen fühlte. Dann wandte sich dieser empört an das jüngste Weasley-Mitglied: „Und du! Willst du mich etwa umbringen? Wenn ich mich nicht recht erinnere, hättest du mich heute Morgen fast mit einem Wecker getroffen!“
 

„Sei nicht immer so laut, Ron!“, schnauzte Ginny zurück.
 

Harry lachte leise, als sich die Geschwister im selben lauten Tonfall zankten.
 

„Außerdem war es erst fünf Uhr, als du auf die tolle Idee kamst, mich zu wecken!“
 

„Oh...“, sagte Ron nur. „Ich dachte, dein Wecker hat nicht funktioniert, aber wenn es fünf Uhr morgens war, dann ist es kein Wunder, dass er nicht geklingelt hat! Na so was-“ Ginny streckte ihren Zeigefinger aus und drückte auf die Beule auf Rons Kopf. „Au! Hey, lass das!“
 

Harry blinzelte, als sein bester Freund sich hinter ihm versteckte, um ihn als Barriere zu benutzen. Vielleicht sollte er eingreifen und die Situation etwas entschärfen.
 

„Äh, Ron? Warum warst du schon so früh wach? Es ist Sonntag.“
 

„Weiß nicht, konnte nicht schlafen“, war die Antwort. Ginny rollte die Augen.
 

„Er konnte schon seit mehreren Tagen nicht mehr schlafen“, sagte sie genervt an Harry gewandt.
 

Plötzlich ertönte die Stimme von Mrs Weasley aus der Küche.
 

Ginny, Liebes! Streite nicht mit Ron und hilf mir hier mal schnell!“
 

„Ja, Mum!“ Ginny seufzte und ging in die Küche.
 

Harry wollte gerade Ron fragen, was seine Schwester genau meinte, als ein weiteres mal Mrs Weasleys Stimme zu hören war.
 

„Oh! Bist du schon da, Harry?“
 

„Hallo, Mrs Weasley!“, grüßte Harry.
 

„Wie schön, dass du da bist, Spatz! Du kannst dich ruhig schon ans Esstisch setzen! Ron!
 

„Ja, Mum?“, grummelte Ron.
 

„Komm in die Küche und bring das Besteck ins Esszimmer! Die Teller liegen schon bereit- Oh, aber die Gläser habe ich vergessen! Die nimmst du auch gleich mit!“
 

„Jawohl, Ma‘am!“, rief Ron gespielt ernst aus und salutierte sogar. Harry lachte und folgte seinem Freund in die Küche, der ihn daraufhin seltsam ansah.
 

„Was machst du, Harry? Geh ins Esszimmer“, sagte Ron, aber Harry schüttelte den Kopf und schob den größeren in Richtung Küche.
 

„Ich glaube nicht, dass du alles tragen kannst-“
 

„Ich kann zwei mal gehen-“
 

„Ron.“
 

„Alles klar.“
 

Harry grinste. Wäre Hermine nur hier. Normalerweise verbrachten sie solche Sonntage meistens zusammen. Hermine, Ron und er und manchmal zusammen mit den anderen Weasleys oder anderen Leuten- aber es waren immer seine zwei besten Freunde und er, die sich trafen. Harry runzelte die Stirn.

Hatte Ron vorhin nicht erwähnt, dass er immer mal wieder mit Hermine telefonierte? Vielleicht würden diese beiden sich ja doch wieder vertragen! Das wäre perfekt. Er musste Ron unbedingt danach fragen.

Jetzt stand aber erst das Essen auf dem Plan.
 

◊◊◊◊◊◊◊
 

„Sooo“, sagte sein bester Freund gedehnt. „Dein Stalker stalkt dich immer noch, hm?“
 

Sie saßen mit dem Rücken gelehnt an einem Baum im Garten. Es war zwar etwas kalt, aber ihr Plätzchen war erfreulicherweise nicht vollkommen im Schatten und wurde von den warmen Strahlen der Sonne beschienen.
 

„Ich weiß nicht, ob er ein richtiger Stalker ist. Er ist nicht immer in der Nähe, sondern taucht meistens in der Nähe meiner Wohnung auf!“
 

„Sicher, Harry.“ Ron rollte die Augen. „Und was ist mit der Sache in der Winkelgasse? Oder der Angelegenheit im Park?“
 

Harry stöhnte genervt auf.
 

„Hermine hat dir alles erzählt, nicht wahr?“
 

„Ja! Und sie hat mir erzählt, dass du es ihr nicht freiwillig erzählt hättest, hätte sie nicht nachgebohrt!“ Ron seufzte und durchwuschelte Harrys Sturmfrisur, die keine richtige Frisur war, da sie immer so wirr aussah und aus irgendwelchen Gründen nicht gebändigt werden wollte. „Wir wollen nicht, dass dir etwas zustößt. Du bist eine nette Person und ich verstehe warum du diesen Obdachlosen reingelassen hast, aber das war vielleicht zu nett! Du hättest ihm einfach Essen geben können! Ich meine, Essen würde jeden glücklich machen.“ Ron nickte überzeugt.
 

„Ich glaube nicht, dass Essen allein seine Erkältung geheilt hätte“, argumentierte Harry zurück.
 

„Also, bei mir funktioniert es!“ Ron grinste ihn an und Harry hatte keine andere Wahl, als selbst zu grinsen.

„Ich werde dich jetzt nicht weiter damit nerven. Hermine wird das schon für mich tun. Versprich mir nur, dass du auf dich aufpasst, Harry, klar?“
 

„Ja, ja- Au!“ Ron zupfte ein Haar aus dem schwarzen Unkraut, das auf Harrys Kopf spross. „Schon gut! Ich verspreche es!“
 

„Ach ja?“, fragte sein bester Freund nach, der wieder versuchte, ein weiteres Haar zwischen die Finger zu bekommen.
 

„Wirklich! Ich verspreche es! Und wenn du nicht aufhörst, breche ich deine Finger!“
 

Ron lachte und schlug im freundschaftlich in die Schulter. Harry grummelte ein wenig vor sich hin, aber er war froh, dass sein Freund nicht weiter rum bohren wollte.
 

Vielleicht sollte er das mit dem Alten Magier verschweigen. Und diesmal wollte Harry ernsthaft den Mund halten. Hermine und Ron waren im zwar zwei Freunde, die er um nichts in der Welt missen wollte, aber seit dem diese beiden nicht mehr ausgingen, schien Harry nun der Mittelpunkt zu sein- und ja, es nervte ein klitzeklein wenig.
 

Es war schön, dass seine besten Freunde sich einigen konnten, sobald es um ihn ging. Wirklich. Doch manchmal fühlte er sich wie das Kind in dieser seltsamen Beziehung.

Harry blinzelte. Dieser Gedanke fühlte sich an wie ein Déjà-vu. Auf einmal musste er an jene Nacht denken, an dem er in einer verlassenen Gasse zwei unheimliche Personen belauscht hatte. Sie hatten über irgendeinen Mord gesprochen. Sehr seltsam und besorgniserregend. Er war heilfroh, dass diese Personen ihn nicht erwischt hatten. Und dann, kurz darauf in seiner Wohnung, war er dem Obdachlosen ein zweites mal begegnet.

Er runzelte die Stirn.
 

„Hey, Harry! Träum nicht rum und komm wieder ins Haus! Mum wird mich umbringen, wenn wird uns erkälten!“
 

„Oh... Ja... Ich komme schon“



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Kommentare zu dieser Fanfic (19)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  sesshomaru13
2015-06-23T19:55:05+00:00 23.06.2015 21:55
Super FF!!!!!!!!!!!!!!
Würde mich freuen wenn du weiter schreibst!!!!!!!
Von:  sasa56
2010-11-22T18:38:54+00:00 22.11.2010 19:38
super kapitel.
freu mich aufs neue kapitel.
lg
sasa56
Von:  AmuSuzune
2010-09-02T16:54:51+00:00 02.09.2010 18:54
>.< Gemein!
Ich will wissen wie es weiter geht und wie Harry den Magier finden will.
Freue mich uf jeden fall schon auf den nächsten Teil!

LG Suzu
Von:  strify09
2010-07-15T06:08:57+00:00 15.07.2010 08:08
wieder super kapitel
bin auf das nächste gespannt ^-^

lg strify
Von:  AmuSuzune
2010-07-14T21:08:27+00:00 14.07.2010 23:08
.... Grah ja klarmach mich noch gieriger -.-
du bist so gemein >.<
Du kannst doch nciht einfach mitten drin aufhören!
Man, bin echt gespannt wie es weiter geht^^

Lg Suzu

Von:  AmuSuzune
2010-05-16T13:41:47+00:00 16.05.2010 15:41
Huy, ich hoffe doch das, dass nechste Kapitel bald kommt^^
Echt gute Geschichte muss ich sagen, vor allem willich wissen was 'Dvill' noch so tolles plant XD

Lg Suzu
Von:  ReinaDoreen
2010-05-08T17:26:30+00:00 08.05.2010 19:26
Ich freu mich über das neue Kapitel. Ich bin gepannt wie das alles weitergehen wird.
Reni
Von:  Saint
2010-03-02T06:22:33+00:00 02.03.2010 07:22
Hi

das neue Kapi ist wirklich super bin gespannt wie es weitergehen wird.
Von:  ReinaDoreen
2010-01-09T22:16:28+00:00 09.01.2010 23:16
Dvill scheint es gewohnt zu sein, da er befiehlt. Und Harry ist ja auch wirklich leicht zu beeinflussen.
Aber irgendwie passen die beiden zusammen.
reni
Von:  Ageha-san
2010-01-07T20:27:01+00:00 07.01.2010 21:27
Eine interessante Geschichte! Ich bin gespannt, was es mit dem Landstreicher auf sich hat. Freue mich auf das nächste Kap!


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