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Aus dem Leben...

Eine kleine Geschichte
von

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Promise

Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, seit sie das zweite Mal an diesem Tag richtig eingeschlafen war, aber sie fühlte sich deutlich besser. Auch wenn sie nicht die Menge an Schlaf bekommen hatte, die sie eigentlich benötigte, hatte es enorm geholfen. Die Albträume waren zwar immer noch da, aber sie waren diesmal nicht so schlimm gewesen und hätte sich ihre Blase nicht irgendwann gemeldet, wäre sie sicher auch noch länger so sitzen geblieben. Mehr widerwillig löste sich Akira aus ihrer Position, setzte sich auf und rieb sich die Augen. Kai, der so ruhig geatmet hatte, dass sie sicher war er würde selber schlafen, sah auf und beobachtete sie. Erst, als sich das Mädchen nach ein paar Sekunden gesammelt und die Augen geöffnet hatte, bemerkte sie seinen Blick. Beide blieben stumm und Akira wägte ab, ob sie etwas sagen sollte oder nicht, wurde jedoch dabei unterbrochen.

“Endlich wieder wach, ihr zwei Schlafmützen?” Hilary stand grinsend im Eingang und als die Schwarzhaarige verstand, dass das andere Mädchen sie beide so gesehen haben muss, versuchte sie die aufkommende Röte im Gesicht hinter ihren Haaren zu verstecken. Darüber hatte sie natürlich vorhin nicht nachgedacht, als sie seinem Drängen nachgegeben hatte, aber dass Kai selbst kein Problem damit zu haben schien, da er Hilary nur wortlos zunickte, quittierte ihre Mitte mit dem altbekannten Kribbeln. Am liebsten würde sie doch jetzt das Gespräch mit ihm suchen, aber sie wusste, dass jetzt nicht die richtige Gelegenheit war, da sie nicht mehr alleine waren. So viel zu ihrem Vorhaben das Ganze auf morgen zu verschieben. Einmal tief einatmend, entfernte sie sich vollends von dem Jungen und stand auf.

“Wir haben das Abendessen vorbereitet, es sollte gleich fertig sein. Max und Kenny sind auch gerade gekommen.”, erklärte die Brünette und beobachtete die beiden immer noch amüsiert.

“Ich dachte die wollten morgen erst wieder kommen.” Akira konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Wie es schien konnten sie mittlerweile irgendwie doch alle nicht lange ohne einander. Sie überlegte, wenn es schon Zeit für das Abendessen war, muss sie locker vier Stunden geschlummert haben, was sie schon fast beeindruckte.

“Ich war vorhin bei seinem Vater im Laden. Da hatte Max schon gesagt, dass er überlegt heute Abend nochmal vorbei zu schauen.” Kai hatte sich ebenfalls erhoben und stand seitlich hinter Akira. Jetzt wusste sie auch, wohin er eben verschwunden war.

“Scheinbar hat Kenny den gleichen Gedanken gehabt.”, lachte Hilary darauf, ehe sie auf Akiras Schulter deutete.

“Wie ich sehe war der Arzttermin heute Morgen ein voller Erfolg.”

“Ja, wenigstens etwas. Ist echt deutlich angenehmer so, aber bis ich das Ding ganz los bin, dauert’s noch ein bisschen. Ich muss nur aufpassen, je nachdem wie ich den Arm bewege, tut’s ziemlich weh.”, sagte die Schwarzhaarige traurig lächelnd und strich über das Pflaster. Es war schwer den Fortschritt von der positiven Seite zu sehen, aber wie ihr mentaler Zustand mal wieder zeigte, hatte sie keine andere Wahl, damit es nicht schlimmer wurde.

Von draußen hörten sie laute Stimmen und Hilary wandte sich ab zum Eingang des Dojos.

“Na kommt, bevor Tyson wieder Unsinn anstellt, weil er Hunger hat.” Als das Mädchen draußen auf dem Engawa verschwunden war, trat Kai direkt neben sie, während sie beide aus der Tür schauten.

“Wie fühlst du dich?”, fragte er und Akira konnte wieder seinen Blick auf sich spüren.

“Etwas besser.” Als sie antwortete, sah sie auch zu ihm und glaubte innerlich zu explodieren, als sie sein Lächeln sah. Der Junge strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und folgte anschließend Hilary. Die Schmetterlinge, die sich daraufhin in Akiras Mitte austobten, sorgten dafür, dass ihr schon fast schlecht wurde. Erst durfte sie an ihn geschmiegt endlich ein paar Stunden Schlaf nachholen, wurde sogar regelrecht von ihm dazu gedrängt, und jetzt das. Am liebsten würde sie losstürmen, ihn aufhalten und… Bei dem Gedanken spürte sie wieder die Röte im Gesicht. Sie hoffte, dass sie so schnell wie möglich die Gelegenheit hatte den Älteren beiseite zu ziehen und mit ihm zu reden, ohne dass jemand wieder dazwischen funkte. Aber im Moment waren dafür eindeutig zu viele Personen im Haus.

Tief durchatmend schüttelte sie den Kopf, versuchte die rosa Wolken aus ihrem Gehirn zu vertreiben, da sie wusste, dass sie sonst nicht in der Lage war sich vor den anderen unauffällig zu verhalten. Ganz besonders vor Hilary, die sie später garantiert mit Fragen löchern würde.

//Schlimmster und bester Tag bisher – und das gleichzeitig… Ich werd’ echt noch verrückt.// Seufzend setzte sie sich auch endlich in Bewegung.
 

Dank großer Runde am Esstisch ging es in Grangers Haus mal wieder rege zu. Hilary, Kenny und Max erzählten, was zwischenzeitlich bei ihnen Zuhause los war und nachdem Akira auch von ihrem Arzttermin und Ozumas Besuch berichten musste, verlagerte sich das Gespräch zum neues Sitz der BBA. Die Schwarzhaarige würde gerne auch nochmal hin, aber wegen ihres labilen Zustands hatte sie sich bisher nicht getraut das Grundstück zu verlassen. Viel zu groß war die Angst vor einer Panikattacke Mitten auf der Straße, wo sie sich noch unsicherer fühlte, als Zuhause schon. Gerade jetzt nach dem erschienenen Artikel, war sie sich sicher, dass das noch eine Weile so bleiben würde. Das Mädchen ließ den Blick über den Tisch schweifen. Auch wenn es nur wenige Stunden gewesen sind, so hatte das bisschen Schlaf tatsächlich schon geholfen ihre Laune wieder etwas zu heben. Wobei wohl eher Kais fürsorgliches Verhalten den Großteil dazu beigetragen hatte. Unbewusst sah sie zum Älteren herüber, der am anderen Tischende saß und Max zuzuhören schien. Unfähig sich gerade davon abzuhalten, beobachtete sie den Jungen, der sich die letzte Zeit doch ziemlich verändert hatte. So ungewohnt es auch immer noch war, trug er seit einer Woche nicht nur den Schal nicht mehr, was, wie sie vermutete, daran lag, dass der, mit dem vielen Blut getränkt, nicht mehr zu retten gewesen war. Sondern auch die blauen Streifen an seinen Wangen hatte sie schon eine Weile nicht mehr an ihm gesehen. Mit dem schlichten dunkelblauen Shirt, das seinem trainierten Oberkörper schmeichelte, wirkte er schon fast unauffällig, was irgendwie nicht so ganz zu seinem rebellischen Wesen passte. Im Kontrast stand da seine Aura, die einen schlichtweg in den Bann ziehen konnte. Zumindest ging es ihr regelmäßig so, wenn er in der Nähe war. Ganz besonders mit seinem Blick konnte er, wenn er wollte, so viel sagen ohne Worte benutzen zu müssen. So wie auch in diesem Moment, wo das dunkle violett in seinen Augen blitzte und ihr Herz umgehend zum Hüpfen brachte, da er ihren Blick bemerkt hatte und ihn vielsagend erwiderte. Da war es wieder. Dieses Lächeln, das sie schier verrückt machte. So unscheinbar, dass man es fast nicht wahrnahm, wenn man nicht direkt darauf achtete, und doch mit solch einer enormen Wirkung, dass es ihr mal wieder den Atem raubte. Doch es war nicht sein Äußeres, in das sie sich hoffnungslos verliebt hatte. Es war seine sensible Art, die er nur bei seinen Freunden zeigte, seine enorme Willensstärke, seine Kraft sich immer wieder aufzurappeln, wenn er am Boden lag, und auch der Drang nach Perfektion, der ihn zwar schon so manches Mal den falschen Weg hatte einschlagen lassen, aber egal wie oft er sich auf seinem Pfad verirrt hatte, er war immer wieder zu ihnen zurückgekommen, war sich nicht zu schade zuzugeben, wenn er im Unrecht gewesen war. Und das war eine seiner größten Stärken, wenn man bedachte was für ein Dickschädel er eigentlich war.

Akira wurde aus den Gedanken gerissen, als das Telefon klingelte. Sie sah ihrem Großvater hinterher, der dran ging und anschließend ins Wohnzimmer verschwand, da Tyson lauthals über etwas lachte. Hilary erhob sich direkt danach und gemeinsam räumten sie den Tisch ab, da sie bereits fertig mit dem Essen waren. Ehe sie an die gemeinsame Abendplanung gehen konnten, trat der Alte wieder ins Zimmer und der besorgte Gesichtsausdruck ließ das Mädchen stocken.

“Was ist los, Opa?”, fragte sie und nun bemerkten auch die anderen wie angespannt er war. Unsicher sah er zwischen den Jugendlichen umher, bevor sein Blick auf seiner Enkelin stoppte und seine Miene sie nur noch mehr beunruhigte.

“Die Polizei hat gerade angerufen.” Die kurze Pause, die er machte, um nach den geeigneten Worten zu suchen, wirkte wie eine kleine Ewigkeit. Gebannt hingen sie dem Alten an den Lippen, ungeduldig und bange zugleich was nun folgen würde.

“Kenta Fujiwara ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden, gestern sogar schon.” Akira schnappte nach Luft und lehnte sich gegen die Küchenzeile, da sie das Gefühl hatte ihre Beine würden gleich nachgeben.

“Seine Familie will dich wegen Verleumdung anzeigen, Akira. Und Kai wegen Körperverletzung. Du hast ihm wohl den Kiefer gebrochen, Junge.” Der nächste Schlag in die Magengegend. Dem Mädchen wurde schlecht.

“Ist das sein verkackter Ernst?!?” Tyson war außer sich und erhob seine Stimme. Auch die anderen blickten fassungslos drein.

“Kann er das denn einfach so?” Hilary legte eine Hand beruhigend auf Akiras Rücken, die ihren Großvater nur mit aufgerissenen Augen anstarren konnte, nicht glauben wollte, was er ihnen soeben eröffnet hatte. Sie hatte damit gerechnet, dass etwas in der Art passieren könnte, aber dass es nun tatsächlich geschehen ist, und dann auch noch so schnell, überforderte sie maßlos.

“Ich hätte wohl doch härter zuschlagen sollen.”, zischte Kai abschätzig und verschränkte die Arme vor der Brust.

“Ich hab’ keine Ahnung, ob er damit durchkommt, aber seine Eltern werden wohl einen guten Anwalt eingeschaltet haben. Keine Ahnung was die in der Hand haben wollen. Sämtliche Zeugenaussagen bestätigen ja das Gegenteil von dem, was er behauptet.” Der Alte seufzte ratlos und die Schwarzhaarige senkte ihren Blick. Mit einem Mal schnürte sich erneut an diesem Tag ihre Brust zu und sie hatte das Gefühl zu ersticken. Zittrig versuchte ihren Atem ruhig zu halten.

//Ich musst hier raus.// So wackelig sie sich auf ihren Beinen auch fühlte, sie brauchte frische Luft. Mit zusammengepressten Lippen stieß sie sich von der Küchenzeile ab und drängte sich wortlos an den anderen vorbei ins Wohnzimmer und von da nach draußen auf den Engawa, wo sie sich kraftlos gegen die Hauswand fallen und langsam auf den Boden gleiten ließ. Das Atmen wurde immer schwerer und so sehr sie sich auch zusammenreißen wollte, so stand sie schon zum dritten Mal kürzester Zeit vor einer Panikattacke. Ihr Körper streikte, es war einfach alles zu viel. Das war es schon am Morgen gewesen, aber nun brachen sämtliche Dämme. Der Körper bebte vor Schluchzern, was die Atemnot durch den Anfall nicht besser machte. Sie fühlte sich so schwach, so hilflos. Jede noch so kleine Hürde fühlte sich an wie ein massiver Berg, den sie zu erklimmen hatte und mittlerweile würde sie am liebsten aufgeben. Keuchend beugte sie sich nach vorne.

“Ich kann nicht mehr…” Die Stimme nur noch ein dünnes Flüstern, aber Tyson, der sich neben sie gekniet hatte, fasste sie vorsichtig an der gesunden Schulter und stützte sie, um sie wieder aufzurichten.

“Sag’ das nicht, Aki.” Die Tränen verschleierten ihre Sicht und sie begann wieder zu hyperventilieren. Hilfesuchend sah er auf. Die anderen standen im Durchgang und beobachteten die Szene betroffen. Kai löste sich aus seiner Position hinter Kenny, schickte die anderen wieder rein und schloss die Schiebetür hinter sich, ehe er sich ebenfalls auf den Boden kniete. Fast schon routiniert griff er um ihren Rücken, richtete sie weiter auf.

“Komm schon, Aki.”, versuchte er und obwohl das Mädchen protestieren wollte, bekam sie keinen Ton heraus, schüttelte nur fahrig den Kopf. Sie konnte nicht mehr – wollte nicht mehr. Es war genug, sie hatte ihre Grenze erreicht und das spürten auch die beiden Jungen. Da Tyson wieder drohte hektisch zu werden, schnappte sich Kai eine seiner Hände und platzierte sie auf Akiras Zwerchfell. Er musste endlich lernen wie er seiner Cousine am besten helfen konnte.

“Bleib ruhig, Tyson! Das hilft ihr gar nicht, wenn du jetzt selber Panik bekommst.”, fuhr er den Jüngeren an, der daraufhin leicht zusammenzuckte, aber schwieg.

“Akira, hör mir zu!” Er fasste ihr Gesicht, da sie sich wieder vorbeugen wollte, und zog sie vorsichtig nach oben, zwang sie ihn anzusehen.

“Du kennst das Spielchen. Konzentrier dich auf Tysons Hand und atme tief in den Bauch ein. Ich weiß es ist schwer, aber du kannst das! Du kannst das, okay?” Eindringlich sah er sie an und analysierte, ob sie ihn verstanden hatte. Resigniert schloss sie die Augen und versuchte seiner Aufforderung nachzukommen. Aber es war so verdammt schwierig. Ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen und ließ vor allem immer wieder die Gedanken zu den neuen Informationen, die ihnen vorhin eröffnet wurden, aufblitzen.

“Ich… hah… Er wird… davonkommen… und ich…” Erneut bebte ihr Körper unter den Schluchzern. Sie konnte diesen frustrierende Tatsache einfach nicht ausblenden. Verdiente sie das hier etwa, dass der Kerl es sich so einfach machen konnte?

“Vergiss den Bastard! Das regeln wir schon noch, verstanden? Denk jetzt nur an deine Atmung und sonst nichts.” Auf Tysons Gesicht legte sich ein Schatten. Auch er war sichtlich sauer über die Situation, versuchte den Groll aber vorerst herunterzuschlucken. Mehr aus Reflex rutschte er näher an das Mädchen und griff nach ihrem Kopf, den der andere gerade wieder losgelassen hatte. Sanft zog er sie an sich in eine halbe Umarmung, während eine seiner Hände immer noch auf ihrem Bauch lag, damit sie sich weiter darauf konzentrieren konnte.

“Kai hat Recht. Wir kriegen dieses Schwein noch dran, also fahr jetzt erstmal runter und beruhig dich.” Kraftlos ließ sich die Schwarzhaarige von ihrem Cousin an ihn lehnen, die Augen weiterhin geschlossen. Nur sehr langsam schaffte sie es die Kontrolle über ihren Körper zurückzuerlangen, aber der Zuspruch der beiden schien geholfen zu haben. Nach einigen Minuten war sie zwar immer noch leise am Weinen, aber wenigstens hatte der Druck nachgelassen und von Mal zu Mal wurde ihr Atem ruhiger. Tyson hatte sich unterdessen vollends auf den Boden gesetzt und gegen die Wand gelehnt, während er dem Mädchen immer noch an sich gedrückt über den Schopf strich. Kai saß ihnen gegenüber im Schneidersitz ebenfalls auf den Dielen und schien tief in Gedanken zu sein. Die Tür zum Wohnzimmer öffnete sich erneut und der Großvater trat heraus.

“Besser?”, fragte er nur und besah sich seine Enkel auf dem Boden. Akira hatte ihn zwar gehört, war aber im Moment nicht in der Lage zu irgendeiner Art Kommunikation und blieb still.

“Diesmal war es echt heftig.”, antwortete Tyson für sie und sah zum Alten auf.

“Das war heute schon das dritte Mal. Kein Wunder, dass sie am Ende ist…” Kais Blick war weiter auf das Mädchen fixiert, als die beiden ihn erschrocken ansahen.

“Das dritte Mal??” Der Großvater blickte wieder zu seiner Enkelin und auch er schien zu überlegen.

“Tyson, kannst du sie ins Bett bringen? Ich ruf’ beim Arzt an. Das kann so nicht weitergehen.” Der Junge sah ihn mit geweiteten Augen an.

“Was hast du vor? Soll sie etwa wieder dieses Zeug nehmen?”, fragte er empört.

“Nein, aber sie braucht ein Beruhigungsmittel, damit sie zumindest mal ordentlich ausschlafen kann. Sie ist schon seit Tagen gereizt und der ganze Stress macht es nur noch schlimmer. Es wird ihr besser gehen, wenn sie mal länger als ein paar Stunden geschlafen hat.”, erklärte er und Tyson nickte verstehend, während das Mädchen ihrem Großvater innerlich dankte.
 

Am nächsten Tag wurde Akira erst mittags wach. Die Spritze, die sie am Vorabend vom Arzt bekommen hatte, hatte sie umgehend ausgeknockt und ihr einen langen, traumlosen Schlaf verschafft. Erstaunt hatte sie festgestellt, dass sie fast achtzehn Stunden durchgeschlafen hatte und sie merkte, dass sie das wirklich dringend gebraucht hatte. Nach einer Dusche und etwas zu Essen, saß sie wieder in ihrem Bett, den Laptop auf dem Schoß, um sich heute nochmal an die Arbeit mit Dragoon zu setzen, was ihr glücklicherweise etwas leichter von der Hand ging als am Vortag. Draußen kündigte sich mal wieder ein Taifun an und die anderen waren, wie ihr Großvater berichtet hatte, auch schon alle gestern Abend zurück nach Hause gegangen. Sogar Kai hatte sich wohl verabschiedet, nachdem der Arzt vorbeigekommen war. Sie vermutete, dass sie die Truppe heute auch nicht zu Gesicht bekommen würde, da ihr Großvater darum gebeten hatte, ihr nun doch etwas Ruhe zu geben. Ganz böse darum war sie nicht, wenn sie ehrlich war, auch wenn sie ihre Freunde gerne um sich hatte, aber die Ruhe nach diesem kaputten Tag gestern tat gut. Die Schwarzhaarige dachte nochmal daran, wie nah sie dem Älteren gestern gewesen war. So gut es sich auch angefühlt hatte, die vielen negativen Dinge, die gestern auf sie eingeprasselt waren, hatte es leider nicht aufwiegen können und am Ende war sie so fertig gewesen, wie sie es noch nie erlebt hatte. Jetzt, wo sie wieder bei einigermaßen klarem Verstand war, musste sie unbedingt nochmal über vieles nachdenken, versuchte sich aber nicht wieder so davon überwältigen zu lassen. Dass sie das tun konnte, während sie endlich ausgeruht und allein war, gab ihr die Gelegenheit in sich zu gehen und nochmal alle Fakten für sich zusammenzutragen und rationale Entscheidungen zu treffen, die dringend nötig waren.

Gerade war sie mit ihren Berechnungen durch, als sich die Tür zu ihrem Zimmer öffnete. Sie vermutete, dass Tyson in der Tür stand und sah auf, stockte aber, als sie stattdessen jemand anderes im Türrahmen erblickte.

“Kai?” Mit ihm hatte sie auf jeden Fall nicht gerechnet und als er die Tür hinter sich schließ, kamen wieder die Gefühle hoch. Doch ehe sich das Mädchen weiter Gedanken darüber machen konnte, hatte er sie erneut angesehen.

“Wie geht’s dir heute?”, fragte er und blieb mit den Händen in den Hosentaschen im Raum stehen. Die Schwarzhaarige lächelte ihn an.

“Deutlich besser.” Er sah erleichtert aus und ging anschließend auf sie zu.

“Ich muss mit dir reden, Akira.” Das Mädchen blinzelte ein paar Mal, beobachtete ihn, wie er näher kam und sich schließlich neben sie auf das Bett setzte. Gestern hatte sie sich diese Situation noch schnellstens gewünscht, aber so wie er klang, wusste sie nicht so recht, was sie jetzt erwarten sollte. Kai bemerkte ihren erschrockenen Gesichtsausdruck und lächelte sie aufmunternd an, was sie wieder ein bisschen beruhigte. Wortlos legte sie den Laptop beiseite und drehte sich etwas in seine Richtung, durchaus gespannt, was er loswerden wollte.

“Wegen gestern… Ich habe einen Plan. Aber dafür muss ich eine Weile weg.” Nun war sie verwirrt.

“Redest du von dem Anruf von der Polizei, den Opa gestern bekommen hat?”

“Genau. Ich weiß nicht wie lange das dauert, deswegen bin ich hier. Wir werden uns vorerst nicht mehr sehen können. Es könnten ein paar Wochen werden, vielleicht sogar länger.” Irritiert erwiderte sie seinen Blick, versuchte herauszufinden was er vorhatte, aber sie wurde nicht schlau aus seiner Aussage.

“Und du wirst deinen großen Plan natürlich nicht mit mir teilen, wie ich dich kenne?” Warum hatte er so oft das Bedürfnis Probleme auf Alleingang lösen zu wollen, wenn seine Freunde ihn doch dabei unterstützen könnten?

“Du erfährst es schon noch früh genug. Aber erst muss ich sicher gehen, dass das überhaupt funktioniert. Du musst mir hier einfach vertrauen.” Das war wieder typisch für ihn und Akira Miene wurde augenblicklich weicher.

“Das mach’ ich doch sowieso schon, Kai.” Er quittierte den Wechsel in ihrem Blick mit einem Lächeln und ihr Herz hätte mal wieder auf der Stelle aufhören können zu schlagen. So wie schon beim Abendessen am Vortag tauschten sie vielsagende Blicke aus und das Mädchen fühlte sich, als würde sie schweben. Doch bevor sie etwas sagen konnte, fuhr Kai bereits fort.

“Und wenn ich wieder zurück bin, reden wir über den Elefanten im Raum.” Und sie verstand. Der Ältere wollte vermeiden, dass das Offensichtliche ausgesprochen wird und sie damit die Grenze ihrer Freundschaft unweigerlich überschreiten, während sie einander nicht mal nah sein können, weil er zuerst etwas regeln musste. Akira wurde zudem bewusst, dass es auch bedeutete, dass er nicht mehr in ihrer Nähe war, wenn sie wieder eine Panikattacke hatte. Ob es an dem nachgeholten Schlaf lag, oder daran, dass er ihr etwas versprach, womit sie niemals gerechnet hätte, seit sie von ihren Gefühlen für den Älteren erfahren hatte, aber sie war das erste Mal seit langem nochmal motiviert. Sie wollte dafür kämpfen wieder auf die Beine zu kommen, ihren Geist zu heilen und stark aus dieser Dunkelheit herauskommen. Auch damit sie dem Jungen, den sie liebte, auf Augenhöhe begegnen zu können, wenn er wieder zurückkam, aber vor allem, um zu zeigen, dass sie auf lange Sicht gesehen, nicht einfach so kleinzukriegen war. Von niemandem, nicht mal einem reichen Schnösel, der andere wie Objekte behandelte.

“Da ist ja das Feuer, das ich vermisst hab’.”, lachte Kai leise, als er ihren entschlossenen Blick bemerkte und brachte sie damit zum Grinsen.

“Du weißt eben wie du dein Team motivierst.” Amüsiert strich er ihr über den Schopf, ehe er dann aufstand.

“Wir sehen uns.” Er sah nochmal über seine Schulter zu ihr, drehte sich dann um und wollte die Tür öffnen, um daraus zu verschwinden.

“Kai.” Akira war aufgesprungen und stand im Raum. Der Größere stoppte, wandte sich ihr erneut zu und sah sie abwartend an.

“Ich will keinen Freund verlieren. Egal was passiert.” Es war ihr wichtig, dass er das wusste. Wochenlang hatte sie ihre Gefühle auch aus diesem Grund unterdrückt, aus Angst, dass sich zwischen ihnen etwas ändern würde. So unabdingbar das nun auch war, nachdem sie beide schon so viel vom jeweils anderen herausgefunde hatten, aber für das Mädchen war es dennoch ein bedeutsamer Wunsch, den sie ihm mitteilen wollte. Dafür hatte sie ihn als Mensch – als Freund – zu sehr in ihr Herz geschlossen. Sie sahen sich einige Sekunden nur an, bevor Kai die Distanz zwischen ihnen verringerte und nun direkt vor ihr stand. Schneller als sie gucken konnte, hatte er seine Hände schon an ihre Wangen gelegt und war ihr plötzlich so nah, dass sie seinen Atem auf der Haut spüren konnte – und sie ihren vor Aufregung anhielt. Es fehlten nur noch wenige Millimeter bis sich ihre Lippen berühren würden, aber sie wussten beide, dass das eine schlechte Idee war. Zumindest jetzt. Würde Kai auch diesen Abstand eliminieren, ahnte Akira schon, dass sie sich nicht aufhalten könnte. Dafür bestand ihr Verlangen nach ihm schon zu lange. In seinem Blick sah sie, dass es ihm ähnlich ging und ihr Herzschlag setzte tatsächlich einen Moment aus, als er die Augen schloss. Doch statt seiner Lippen spürte sie wie er seine Stirn an ihre legte. Erleichtert atmete sie aus. Seine Hände hielten ihr Gesicht immer noch nah bei sich und nun bewegten sich auch ihre wie von alleine. Eine an seiner Taille, die andere suchte ihren Weg über seinen Rücken. Sie wusste nicht wie lange sie selbst noch widerstehen konnte und als er die Umarmung erwiderte, löste sie sich etwas, nur um den Kopf anschließend an seine Schulter zu legen. Mal wieder bemerkte sie wie viel größer er war. Bestimmt ein halber Kopf lag zwischen ihnen.

“Du kommst definitiv wieder zurück?” Sie wusste, dass er das immer tat, aber die Frage brannte ihr dennoch auf der Seele.

“Versprochen.”



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