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MICHI

Geh deinen Weg
von

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Vertrau mir

KAPITEL 15: Vertrau mir
 

Die Sonne war untergegangen, das Lagerfeuer knisterte geheimnisvoll und daneben rauschte das Meer beruhigend. Die Kinder und die Digimon fühlten sich nach langer Zeit mal wieder vollkommen entspannt und gelöst. Obwohl die Dunkelheit schon auf sie lauerte. Obwohl die Gefahr jederzeit zuschlagen konnte. Obwohl so vieles vor ihnen lag. Selbst Yuna, die immerhin noch einen Plan in dieser Nacht umsetzten wollte, fühlte sich ausgeglichen. Immer wieder fiel ihr Blick auf die Dreiergruppe, die etwas entfernt von den anderen, im Sand saß. Endlich hatten Sora, Yamato und Taichi die Möglichkeit sich auszusprechen.
 

»Danke, Yuna-chan«, Hikari, die neben ihr saß, grinste sie breit an.

»Ja«, Takeru, auf dessen Schoß Patamon selig schlummerte, lächelte ebenfalls, »ohne dich, hätte zwischen den Dreien bestimmt noch länger Eiszeit geherrscht.«

Yuna antwortete nicht, trotzdem lächelte sie, fast schon ein bisschen stolz.
 

»Du scheinst besonders bei Taichi wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben«, kicherte Hikari, »jedenfalls legt er auf deine Meinung viel mehr Wert, als er es jemals auf unsere getan hat. Läuft da etwas zwischen euch?«
 

Diese Frage kam so unvermittelt, dass sich Yuna an ihrer Cola verschluckte. Takeru klopfte ihr auf den Rücken, aber er konnte seine Belustigung kaum verbergen:

»Geht es wieder?«
 

Sie nickte, aber ihr Gesicht war leuchtend rot.
 

»Entschuldige, aber man kann dich einfach zu leicht in Verlegenheit bringen, Yuna-chan«, Hikari lachte, »aber im Ernst. Du hast einen guten Einfluss auf meinen Bruder.«

»Auf meinen übrigens auch«, fügte Takeru hinzu, »ohne dich, hätte er sicher nicht den Mut gehabt zurückzukommen. Wir müssen dir alle wirklich danken.«
 

Während Hikari und Takeru daraufhin ein anderes Gesprächsthema zuwandten, schaute Yuna nachdenklich gen Horizont. Sie fühlte sich immer schlechter und schlechter. Alle dankten ihr ständig oder taten so, als hätte sie etwas Besonderes getan. Dabei hatte sie in wenigen Stunden etwas vor, was schon fast an Arglist grenzte. Das schlechte Gewissen nagte an ihr wie die Maus am Käse. Doch sie konnte ihren Entschluss nicht mehr zurücknehmen. Wenn sie ihre neuen Freunde, die Digimon und beide Welten schützen wollte, dann war es besser so. Es musste einfach so geschehen.
 

***
 

Nachdem also alle Kinder und Digimon, müde in ihre Betten gefallen waren, wartete Yuna eine Stunde, bis sie sicher war, dass alle schliefen. Gegen Mitternacht stand sie leise auf, nahm ihren gepackten Rucksack, den sie heimlich in ihrem Schlafsack versteckt hatte und schlich sich mit Leormon im Schlepptau zum Zimmer der Jungen.
 

Yuna atmete einmal tief durch, bevor sie leise die Tür öffnete und lautlos in den Raum glitt. Sie hatte Leormon nur mit Mühe und Not dazu überreden können, draußen wache zu halten. Doch nun schien es sehr stolz über diese wichtige Aufgabe zu sein. Mit klopfenden Herzen, bahnte sich Yuna ihren Weg durch den Raum.
 

Es war ein glücklicher Zufall, dass sie am Vorabend schon einmal hier gewesen war. So wusste sie genau, dass Koushiro direkt neben dem Eingang schlief, sodass sie gar nicht lange nach seinem roten Haarschopf, der selbst im fahlen Mondlicht auffällig leuchtete, suchen musste. Die Digimon, die zusammengerollt in einer Ecke schliefen, schnarchten mit Daisuke um die Wette. Vor dem geöffneten Fenster war Jyou fast komplett in seinem Schlafsack verschwunden. Zwischen ihm und Daisuke lag Taichi quer auf dem Rücken, mit ausgebreiteten Armen und Beinen. Yuna lächelte, als sie sah wie friedlich und ausgeglichen er im Schlaf wirkte. Die Wut und die Anspannung, die ihn in den letzten Tagen immer begleitete hatte, waren verschwunden. Sie schüttelte den Kopf, als sie merkte, dass sie den schlafenden Jungen länger anstarrte, als sie sollte.
 

Konzentriert machte sie sich jetzt auf die Suche nach Koushiros Laptop, und hätte fast geseufzt als sie sah, dass er diesen beim Schlafen fest in den Armen hielt wie sein liebstes Kuscheltier. Typisch!
 

Fieberhaft überlegte sie, wie sie den Laptop nehmen konnte, ohne Koushiro aufzuwecken. Viele Möglichkeiten gab es nicht. Schließlich kniete sie sich vor ihm auf den Boden und streckte Stück für Stück die Finger danach aus. Als ihre Finger das kalte Plastik berührten, hielt sie die Luft an. Langsam zog sie Koushiro den Laptop aus den Händen. Er gab ein grunzendes Geräusch von sich und sie hielt erschreckt mitten in der Bewegung inne. Einige Herzschläge später, war er wieder ganz ruhig und Yuna traute sich endlich den Laptop komplett aus seinen Händen zu nehmen. Erleichtert schlich sie wieder zurück Richtung Ausgang.
 

»Yuna-chan!«
 

Wie angewurzelt, blieb sie stehen. Das war eindeutig Taichis Stimme gewesen. Langsam drehte sie sich zu ihm um. Taichi saß kerzengerade auf seiner Matte, aber er blickte nicht Yuna an, sondern die Wand. Yuna suchte fieberhaft nach einer Ausrede, da ließ sich Taichi wieder nach hinten fallen und gab ein schnarchendes Geräusch von sich. Ungläubig starrte das Mädchen ihn an. Hatte er sie wirklich gesehen oder ihren Namen nur im Schlaf gerufen?

Sie konnte es nicht sagen. So oder so war sie dankbar, dass er sie nicht bewusst wahrgenommen hatte. Trotzdem war es eine seltsame Situation gewesen. Erst als sie wieder auf dem Flur stand und die Tür fest hinter sich geschlossen hatte, wagte sie es wieder zu atmen. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und versuchte ihren rasenden Puls wieder unter Kontrolle zu kommen.
 

»Yuna, was ist passiert?«

»N-nichts, Leormon«, murmelte sie. Das Digimon legte den Kopf schief:

»Und warum bist du dann so rot im Gesicht?«
 

Yuna fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Es stimmte. Ihre Wangen brannten geradezu. Sie musste zugeben, dass sie die Tatsache, dass Taichi sie plötzlich mit ihrem Vornamen angesprochen hatte, wirklich nervös machte. Es war ein seltsames Gefühl und es machte ihren Betrug nicht viel besser. Schnell schüttelte sie den Kopf. Nein, hier ging es nicht um ihre Gefühle oder Taichi. Hier ging es um etwas weitaus Größeres.
 

»Lass uns leise gehen«, meinte sie zu Leormon. Die beiden schlichen ins Erdgeschoss und verließen das Haus durch die Terassentür. Sie atmeten beide tief die salzige, kalte Meeresluft ein, während sie den schmalen Pfad zwischen den Klippen emporstiegen. Während Yuna sich darauf konzentrierte ihnen den Weg zu leuchten und nicht zu fallen, war Leormon immer noch sehr aufgeregt.
 

»Wenn wir wieder zurückkommen, dann müssen wir unbedingt Schlittschuhlaufen gehen. Biyomon hat gesagt, dass das richtig Spaß macht. Außerdem möchte ich in einen Freizeitparkt. Ich weiß zwar nicht, was das ist, aber Gabumon meinte, man kann da viel Essen…stimmt das?«
 

Yuna hätte gerne auf alle Fragen ihres Digimons geantwortet, aber sie war einfach viel zu angespannt. Leormon schien noch nicht wirklich begriffen zu haben, was sie gerade vorhatte, obwohl sie ihm ihren Plan bis ins kleinste Detail beschrieben hatte.
 

Sie seufzte leise:

»Also gut, Leormon. Wenn du mir versprichst, solange zu schweigen bis ich sage, dass wir wieder reden können, dann werde ich mit dir alles machen, was du möchtest, sobald wir wieder zurück sind.«

»Wirklich?«

Die Augen des Digimons leuchteten. Yuna nickte und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Aufgeregt lief Leormon voraus und schien es nun kaum erwarten zu können, dass sie endlich ihren Auftrag erfüllten und so schnell wie möglich zurückkamen. Zurück nach Hause. Yuna war sich nicht sicher, ob sie es je wieder würden. Das, was sie vorhatte war gefährlich, wenn nicht sogar lebensgefährlich. Für einen Moment regte sich wieder das schlechte Gewissen. Sie handelte nicht nur hinter dem Rücken ihrer Freunde, sondern brachte vielleicht sogar Leormon in Gefahr. Tausendmal hatte sie überlegt das Digimon vielleicht doch in der Welt der Menschen zu lassen, aber sie brauchte Leormon. Außerdem hätte es sie sowieso nicht so einfach allein gehen lassen und sie wollte ihren besten Freund nicht belügen, denn das war es mittlerweile: ihr bester Freund. Aus diesem Grund würde sie es beschützen, selbst wenn sie dafür sterben würde.
 

Schnell schüttelte sie diesen düsteren Gedanken beiseite Nein, sie würden beide heile und gesund wiederkommen. Die Digiwelt würde gerettet sein und sie konnten zusammen mit den anderen den Rest des Wochenendes genießen.
 

Sie sprintete die letzten Meter bis zum höchsten Punkt der Klippen empor. Leormon wartete schon auf sie, die Ohren angelegte, weil der Wind hier oben um einiges schärfer wehte. Auch Yuna musste sich die Hand schützend vors Gesicht halten, weil die kalte Seeluft geradezu auf der Haut brannte. Das Meer bäumte sich unter ihnen auf und klatsche mit lauten Geräuschen gegen die Klippen unter ihnen. Der Horizont war dunkel und grau. Es schien in den nächsten Stunden ein Sturm aufzuziehen.
 

»Leormon, wir sollten uns beeilen. Es sieht nach Regen aus!«, rief Yuna gegen den Sturm an.
 

Eigentlich war es eine blöde Idee gewesen soweit die Klippen hinaufzusteigen, aber sie brauchte einen Ort, an dem sie ungestört war. Außerdem würde hier niemand den Laptop finden und wohlmöglich auf die Idee kommen ihr zu folgen. Glücklicherweise entdeckte sie einen hohen Stein, auf dem sie den Laptop positionierte. Sie fuhr das Gerät hoch und überlegte kurz, was als Nächstes zu tun war. Sie hatte zwar Koushiro immer sehr genau dabei beobachtet, wie er sie in die Digigwelt brachte, aber er war schnell mit den Tasten. So schnell, dass sie nicht wusste, was sie eintippen sollte. Sie klickte sich nachdenklich durch alle seine Dateien und richtete mehrmals ihr DigiVice auf den Bildschirm. Erfolglos.
 

Der Wind wurde immer stärker und Leormon musste mittlerweile ebenfalls unter dem Felsvorsprung Schutz suchen, um nicht davongeweht zu werden. Tapfer versuchte es geduldig zu warten und hatte wirklich in den letzten Minuten kein Wort mehr verloren. Allerdings können Digimon nicht lange stillsitzen. Das liegt einfach in ihrer Natur. Auch Leormon begann irgendwann aus Langeweile unter seinem Felsen auf und ab zu hüpfen. Dabei passte es einen Moment nicht auf, stolperte und wurde ungeschützt von einer starken Windböe erfasst. Es wurde einige Meter durch die Luft geschleudert, stieß in die überraschte Yuna und beide purzelten mitsamt dem Laptop zu Boden.
 

Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, richtete Yuna sich stöhnend wieder auf und starrte entsetzt auf die Bruchstücke, die vor wenigen Sekunden noch Koushiros Laptop gewesen waren. Leormon schüttelte etwas Gras aus seinem Fell:

»Tut mir leid, Yuna-chan. Das wollte ich nicht.«
 

Yuna antwortete nicht, sondern presste nur fest die Lippen zusammen und sammelte wortlos die Laptopteile auf. Dann ließ sie sich mutlos ins taunasse Gras fallen.
 

»Schon gut«, murmelte sie niedergeschlagen, »es hat sowieso nicht funktioniert, aber zumindest haben wir es versucht. Ich weiß nur nicht, wie wir das Koushiro-kun erklären sollen…«
 

Leormon setzte sich neben Yuna und ließ ebenfalls den Kopf hängen. Es ahnte, wie seiner Freundin zumute war und es fühlte sich schlecht, weil es nicht für sie tun konnte. Yuna vergrub Gesicht in ihren Händen. Sie fühlte sich so nutzlos wie eh und je. Sie hinterging ihre Freunde, aber schaffte es trotzdem nicht alle zu retten, sondern machte alles nur noch schlimmer. Sie war so sehr in ihren Gedanken vertieft, dass sie um sie herum nichts mehr wahrnahm. Sie bemerkte weder Leormons Aufregung noch das Leuchten des Herzanhängers an ihrer Halskette. Erste eine weibliche, klare Stimme ließ sie aufschrecken:

»Yuna? Yuna hörst du mich?«
 

Yuna wusste sofort, wer das war.
 

»Lunamon? Lunamon, wo bist du?« Sie blickte sich suchend um, aber konnte die Stimme nicht ausmachen. Ihr Herz klopfte wie wild. Es schien Ewigkeiten her zu sein, dass sie das weiße Digimon das letzte Mal gesehen hatte…
 

»Yuna- chan, wer spricht da?«, Leormons Augen waren vor Schreck ganz groß, aber Yuna antwortete ihm nicht. Ihre Augen waren auf einen Fleck auf dem Boden gerichtet, auf den ein breiter Strahl des Halbmondes fiel und die Luft irgendwie flimmerte, wie verdampfendes Wasser an heißen Tagen. Keine zehn Sekunden später setzten sich die einzelnen Farbpigmente zu einem einheitlichen Bild zusammen und Lunamon landete sanft vor Yuna und Leormon auf einem breiten Stein.
 

»Oh Lunamon, ich bin so froh dich zu sehen!«, jubelte Yuna und vergaß vor Freude die missliche Lage, in der sie gerade steckte.
 

»Schau, ich habe meinen Digimonpartner gefunden, genau wie du es gesagt hast. Das ist Leormon«, erklärte Luna, »Leormon, das ist Lunamon. Ich habe dir ja von ihm erzählt.«
 

»Hallo«, etwas schüchtern blickte Leormon das andere Digimon an.

»Es freut mich, dass ihr beiden zusammengefunden habt«, Lunamon lächelte.
 

»Wie kommst du hierher?«, fragte Yuna und konnte ihre Verwunderung nicht verbergen. Lunamon deutete auf die die Herzkette, die immer noch leicht glühte:

»Du hast mich gerufen.«

Yuna runzelte die Stirn und fasste an ihren Anhänger. Er war auch etwas warm.
 

»Das verstehe ich nicht«, gab sie zu, »wie soll ich das gemacht haben?«
 

»Es ist schwer zu erklären, Yuna- chan, aber ich habe dir doch schon mal gesagt, dass wir beide miteinander verbunden sind. Dein Wunsch war in die Digiwelt zu gelangen, aber als das misslang, wurde ich gerufen, um dir das Tor zu öffnen.«
 

»Du kannst auch Tore öffnen?«, fragte Yuna ungläubig.

»Nur unter bestimmten Bedingungen«, meinte Lunamon ausweichend, »ich werde dir es später noch einmal genauer erklären. Auch, was es mit dieser Kette um deinen Hals auf sich hat.«
 

»Du hast sie mir gegeben als ich noch klein war, oder?«, Yuna musste an ihren seltsamen Traum denken, der in ihrer letzten Nacht in der Digiwelt von dem Tapirmon hervorgerufen worden war. Lunamon nickte:

»Ja, aber jetzt kann ich dir nicht alles erklären. Wir müssen schnell in die Digiwelt. Ich konnte endlich herausfinden, wo sich derjenige aufhält, der sich Herr der Dunkelheit nennt. Du möchtest doch mehr über ihn herausfinden, oder?«
 

Yuna horchte auf:

»Wirklich? Kannst du uns zu ihm bringen?«

»Ja, aber wir müssen vorsichtig sein und jetzt sofort aufbrechen damit wir noch vor der Dunkelheit einen sicheren Ort erreichen…«

»Worauf warten wir denn noch?«, Yuna war Feuer und Flamme. Vor wenigen Minuten hatte sie die Hoffnung fast aufgegeben, dass sie jemals ihr Ziel erreichen könnte. Leormon hingegen schien nicht ganz so überzeugt zu sein:

»Aber Yuna-chan, was ist mit Koushiro’s Laptop? Wir haben ihn kaputt gemacht.«

»Keine Sorge, Leormon. Wenn wir wieder zurückgekommen sind, werden wir versuchen ihn zu reparieren. Jetzt, wo wir Lunamon haben, können wir auch ohne den Computer in die Digiwelt.«
 

Leormon nickt nur stumm, aber es sah trotzdem besorgt aus. Das war ungewöhnlich. Normalerweise machte sich das Mädchen immer die meisten Gedanken um alles.
 

»Also gut, was müssen wir tun?«, Yuna blickte erwartungsvoll zu dem weißen Digimon, welches einem Kaninchen glich.

»Ihr müsst euch einfach neben mich stellen und mich berühren. Keine Angst, den Rest mache ich. Ihr dürft mich nur nicht loslassen.« Also nahm Yuna Lunamons rechte Hand und Leormon legte seine Pfote auf Lunamons linken Arm. In weniger als einer Sekunde schien sich alles in einem Gemisch aus Farben aufzulösen. Automatisch schloss Yuna die Augen. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus als sie nicht mehr den Boden unter sich spürte. Es war wir ein freier Fall ins Nichts. Sie klammerte sich hilfesuchend noch mehr an Lunamon und dann plötzlich gab es einen Ruck und sie landete alle sanft im hohen Gras.
 

***
 

Nachdem sich Yuna wieder aufgerappelt hatte, sah sich die neue Umgebung genauer an. Sie waren auf einer Wiese gelandet, auf der die seltsamsten Blumen wuchsen, die sie je gesehen hatte. Die Sonne schien ihr warm aufs Gesicht und in der Ferne hörte sie Vogelgezwitscher. Alles wirkte friedlich und harmonisch, ganz anders als an dem Ort, von dem sie gekommen waren.
 

»Warum sind wir hier? Hier ist doch keine Spur vom Herrn der Finsternis…«, merkte das Mädchen an. Lunamon nickte:

»Du hast Recht. Wir sind in einem Teil der Digiwelt, die noch nicht unter seiner Kontrolle ist. Meine Kräfte reichen nicht aus, um euch direkt dort hinzubringen.«
 

Unter Lunamons Führung betraten sie einen schmalen Pfad, der sie zu einem Fluss mit glasklarem Wasser brachte. Eine Weile folgten sie schweigend dem Fluss. Leormon machte sich einen Spaß daraus hin und wieder an seichteren Stellen ins Wasser zu springen, um einen Schwarm Fische zu erschrecken oder den ein oder anderen Vogel aufzuscheuchen. Es schien immer noch nicht begriffen zu haben, was genau sie vorhatten. Es war im Gegensatz zum Lunamon so unschuldig, noch so kindisch. Wie konnte Leormon ihr helfen gegen jemanden wie den Herrn der Finsternis zu gewinnen? Wie konnte Leormon einem andern Digimon wie dem Sidmon überlegen sein?
 

»So, hier machen wir für eine Weile Pause«, sagte Lunamon nach einiger Zeit, als sich der Fluss über einen Felsvorsprung zu einem kleinen Wasserfall formte. Sofort rannte Leormon mir einem begeisterten Jubelruf zum Wasserfall und hüpfte davor begeistert auf und ab, als wäre das hinunter plätschernde Wasser das spannendste, was es je gesehen hatte.
 

»Haben wir denn überhaupt die Zeit für Pausen?«, fragte Yuna besorgt. Das Lunamon ließ sich erst auf einen großen Stein nieder, bevor es dem Mädchen antwortete:

»Die Paus ist nur kurz zum Verschnaufen. Außerdem wollte ich noch mit dir über etwas reden.«

»Worüber denn?«, fragend blickte Yuna das Digimon an.

»Du solltest wissen, dass Leormon über größere Kräfte verfügt als andere Digimon auf dem Rookie- Level. Es ist ein heiliges Tierdigimon und deshalb ein besonderes Digimon.«

»Was sind heilige Tierdigimon?«

»Sie sind sehr stark, aber auch selten. Außer Leormon habt ihr bereits ein anderes heiliges Digimon kennenglernt«, erklärte Lunamon, »Gatomon trägt ebenfalls den heiligen Goldring. Genau wie Leormon . Er verleiht dem Träger, aber auch seinem Digimonpartner große Macht. Ihr müsst jetzt nur lernen damit richtig umzugehen. Schau, es ist der Goldring um seinen Hals. Vielleicht ist er dir noch nicht aufgefallen…«
 

»Jetzt wo du es sagst«, murmelte Yuna. Nachdenklich beobachtete sie wieder Leormon. Sie konnte sich irgendwie nicht vorstellen, dass dieses naive Digimon über besondere Kräfte verfügte, so wie Lunamon behauptete.
 

»Du zweifelst«, sagte Lunamon wie aus dem Nichts, »und du vertraust weder Leormon, noch dir selbst.«

»Natürlich vertraue ich Leormon«, Yunas Unterton war ein wenig entrüstet, »wir verstehen uns wirklich gut.«

»Ich weiß, dass du Leormon magst. Das will ich damit auch nicht sagen. Es ist viel mehr so, dass du dich nicht hundertprozentig verlassen kannst. Du willst dein Digimon vor allem beschützen und traust ihm nicht zu, dass es dich beschützen kann.«

»Natürlich will ich Leormon beschützen. Es ist mein Freund und es ist wie ein kleines Kind«, langsam wurde Yuna ein bisschen wütend. Warum sagte Lunamon so etwas?

»Leormon ist stärker als du denkst, Yuna. Es kann dich beschützen, wenn du ihm nur etwas mehr Vertrauen schenkst. Es ist ein Digimon und kein Kind.«
 

Im selben Moment wie Lunamon das aussprach, stolperte Leormon beim Spielen über einen Stock und landetet mit einem lauten Platsch im Fluss.

»Siehst du Lunamon!«, stieß Yuna aus und hastetet zum Flussufer, um Leormon zu helfen. Doch zu ihrer Erleichterung war der Fluss an dieser Stelle nicht sehr tief und die Strömung nicht allzu stark, sodass es Leormon von allein schaffte ans Ufer zu klettern. Es schüttelte sich und lächelte dann Yuna verlegen an.
 

»Kannst du nicht besser aufpassen, Leormon!«, schimpfte Yuna.

»Entschuldigung, Yuna- chan«, Leormon zog den Kopf ein, »ich wollte nicht, dass du sauer wirst.«

»Du bist wirklich noch ein Kind Leormon. Ich wünschte wirklich Lunamon wäre mein Digimon, dann hätten wir wenigstens eine Chance den Herrn der Finsternis aufzuhalten.« Erschrocken schlug sich Yuna die Hand vor den Mund. Doch es war zu spät. Ihr Mund war schneller gewesen als alles andere.
 

»Leormon, i- ich…«, stotterte sie und streckte die Hand nach ihrem Digimon- Freund aus. Jedoch wich Leormon vor ihr zurück. Seine Augen starrten Yuna nur verletzt und entsetzt zugleich an. Bevor Yuna noch etwas sagen konnte, hatte es sich umgedreht und rannte Richtung Wald davon.
 

»Leormon!«, rief Yuna und rannte ihm hinterher, doch sie war nur halb so schnell und bald war das Digimon aus ihrem Blickfeld verschwunden. Panisch blickte sie sich nach allen Seiten um. Ihr Herz klopfte wie wild und das bittere Gefühl darin breitete sich aus wie die Dunkelheit in der Nacht. Sie war so wütend. Wütend auf sich selbst. Wie hatte sie so etwas sagen können? Dabei hatte sie es noch nicht einmal so gemeint.
 

Doch eine kleine fiese Stimme in ihrem Inneren flüsterte, dass sie es genau so gemeint hatte. Von Anfang an hatte sie sich gewünscht, dass Lunamon ihr Digimonpartner wäre.
 

Nein, es war nicht so, dass sie Leormon nicht mochte, aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es über so viel Kraft verfügte wie Lunamon behauptete. Dazu war Leormon einfach zu tollpatschig und unbeholfen. Genau aus diesem Grund durfte es auch nicht allein durch die Digiwelt streifen. Was, wenn ihm was passierte? Was, wenn es sich verlief und nie mehr zurückkam?

Automatisch setzten sich Yunas Füße in Bewegung. Sie achtete gar nicht mehr darauf, was Lunamon ihr zurief. Sie wollte nur Leormon finden. Planlos stürmte sie über die Wiese bis sie den Waldrand erreichte. Hier war es kühler, dunkler und ohne das Rauschen des Wassers seltsam still. Immer wieder rief sie nach Leromon, aber es antwortete niemand. Nicht einmal ein anderes Digimon begegnete ihr.
 

Irgendwann begann sie sich selbst furchtbare Vorwürfe zu machen. Sie wusste selbst nicht, warum sie auf einmal so gemein zu Leormon gewesen war. Sie war wütend auf sich selbst. Es war eine blöde Idee gewesen einfach so allein in die Digiwelt zu gehen. Die anderen hatten ihr Verschwinden mittlerweile sicher bemerkt. Sie waren bestimmt schrecklich sauer auf sie und enttäuscht. Sie konnte sich genau vorstellen wie Taichi jetzt feixte, dass er Recht hatte, als er davon abriet Yuna überhaupt einzuweihen. Und das hatte er wohl auch. Was hatte sie denn bisher auch schon wirklich für die Digiwelt getan? Es waren immer die anderen gewesen, die sie hatten retten müssen.
 

Verzweifelt ließ sie sich auf den Boden fallen und begann hemmungslos zu schluchzen.
 

»Yuna-chan?«, hörte sie Lunamon da plötzlich rufen. Als das weiße Digimon im Eiltempo um die Bäume herum mit besorgtem Gesicht auf sie zugeschossen kam, sprang Yuna alarmiert auf.

»Was ist denn passiert? Hast du Leormon gefunden?«

»Nicht direkt«, Lunamon sah wirklich sehr bedrückt aus, »ich habe dahinten ein paar Tanemon getroffen, die haben mir gesagt, dass sie Leormon gesehen haben.«

Yuna schöpfte wieder neue Hoffnung:

»Das ist super. Wo denn? Können sie uns zu ihm bringen?«
 

»Nein«, Lunamon schüttelte mitleidig den Kopf, »ich glaube, das kann nur ich. Sie haben gesehen, wie Leormon von Alietumon entführt wurde.«
 

»Was?«, Yunas Stimme klang auf einmal viel höher als sonst, »dieses schreckliche Ding, das aussah wie ein hässlicher Geier? Ich dachte Leormon und die anderen hätten es besiegt?«

»Urdigimon sind sehr stark. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass der Herr der Finsternis oder wie er sich nennt seine Finger im Spiel hat«, meinte Lunamon nachdenklich.

»Dieser Typ schon wieder«, Yuna biss sich wütend auf die Unterlippe, »wie müssen sofort zu ihm und Leormon befreien!«

»Deshalb habe ich dich gesucht. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Und damit es schneller geht, werde ich wieder meine Kräfte benutzen.«

»Bist du denn schon wieder stark genug? Ich meine, wer weiß was uns im dunklen Schloss erwartet…«

»Mach dir keine Sorgen um mich«, Lunamon lächelte schwach, »ich konnte mich etwas ausruhen und außerdem ist es wichtig, dass wir schnell sind. Wir wissen nicht, was der Herr der Finsternis mit den Digimon anstellt, die er entführt.«
 

In Yunas Inneren begann es zu rumoren. Das wollte sie sich nicht mal in ihren Alpträumen vorstellen. Wenn sie Leormon nie wiedersah, dann würde sie sich das nie mehr verzeihen.
 

»Aber wir müssen vorsichtig sein, Yuna. Lass mich nicht los bis ich es sage und tue nichts unbedachtes«, warnte Lunamon, »wir wissen nicht, wie viele Urdigimon unter seiner Herrschaft stehen. Sei wachsam und achte darauf, dass du mich nicht aus den Augen verlierst. Verstanden?«
 

Yuna nickte nur. Ihre gesamten Gedanken kreisten aber nur um ihr Partnerdigimon. Sie wollte Leormon wiederfinden. Egal, was oder wer sich ihr in den Weg stellte. Auch, wenn sie dabei wieder mal ihr Leben aufs Spiel setzte. Sie atmetet ein und aus, dann griff sie nach Lunamons Arm und im selben Moment löste sich der Wald um sie herum in Luft auf.



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