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Der Malar

Die Jagd nach der Kreatur der Untiefen
von

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Funken

Ich öffnete die Augen, und das erste, was ich im sanften Licht des Morgens sah, war das von meinem Blut tropfende, rot getränkte Tau meiner verschlissenen, wild schaukelnden Hängematte, welches ich im ersten Moment für ein widerliches Stück herausgerissener Eingeweide gehalten hatte.

Einen Würgreiz unterdrückend wandte ich meinen Kopf ein wenig nach links, was einen derart heftigen Schmerz meines dumpf pochenden Halses nach sich zog, dass ich die Augen fest zusammen kneifen musste, um die blitzenden Punkte, die vor meinen Augen zu tanzen begannen, zu vertreiben.

Mit geschlossenen Lidern war allerdings das ekelhafte Schwindelgefühl, das von der hin- und her schwingenden Hängematte penetrant verschlimmert wurde, kaum zu ertragen.
 

Ich schlug meine Augen schnell wieder auf, doch als ich erkannte, wer sich da über mir in das Flechtwerk meiner schaukelnden Schlafgelegenheit klammerte, wünschte ich mir sofort, dies lieber nicht getan zu haben.

Der Anblick des Malars, der sich hier bei mir, leibhaftig, mitten in Myroons Wohnküche befand, und unter einem krampfhaft verzerrten Grinsen seiner gebleckten Zähne auf mich hinab starrte, raubte mir den letzten Rest meiner Beherrschung.

Fast besinnungslos vor Schmerz und Grauen krallte ich kreischend meine Hände in das dichte Brustfell des Malaren, aus dem es scharlachrot stob, und wieder begannen diese knisternden, strahlenden Pünktchen in meinem Blickfeld zu flimmern.

„Du bist nicht echt! Ich bin wach! Ich bin wach!“ schrie ich panisch.

Ein Geräusch erklang, als wenn ein langes Stück Pergamentpapier durchgerissen worden wäre und eine unsichtbare Macht schien den Malar von mir wegzustoßen.

In meinen Fingerspitzen kribbelte es.
 

Der Malar befreite gerade hastig sein Bein aus dem Netz der Hängematte, in der er sich im Eifer des Gefechtes verheddert hatte, während ich fleißig mit meinem blutverschmierten Kissen auf ihn einschlug, als Myroon plötzlich fluchend in die Wohnküche gepoltert kam.

„Was zum Donnerwetter…-„

Sein Gesicht nahm eine ungewohnt bleiche Farbe an, als er das Wesen erkannte, das sich beeilte, Abstand von mir zu gewinnen und nun mit seinen stechenden Augen, die wie ein Paar heißer Kohlenstücke glühten, gehetzt das Zimmer nach einem Fluchtweg absuchte.

Ohne zu überlegen richtete Myroon seine kinetische Begabung auf den Schemel, auf dem meine leere Teetasse stand und ließ ihn mit einer hohen Geschwindigkeit in Richtung des Ungeheuers sausen.

Die Tasse zerschellte auf den Holzdielen.

Doch bevor das morsche Möbelstück den Malar erreichen konnte, verschwand dieser in einer dichten Wolke roten Nebels, die sich geschmeidig durch das kleine, leicht geöffnete Bullauge über dem Herd schlängelte, um sanft hinab zum Boden zu schweben und sich auf der Wiese unter dem Baumhaus wieder zu dem großen, drahtigen Körper des Monsters zu verfestigen.

Aus dem runden Fensterchen sah der fassungslose Myroon den stark geschwächt wirkenden Malaren gerade noch keuchend und wie unter Schmerzen gebeugt im nahen Wald verschwinden.
 

Bis ins Mark erschüttert eilte Myroon zu mir, die ich immer noch krampfhaft das Kissen umklammert hielt und aus einer großen, klaffenden Wunde am Hals blutete.

„Verdammt, Tilya, hat der Malar dich etwa gebissen?“ fragte mein Ausbilder mich mit bebender, kratziger Stimme.

Ich konnte nur stumm nicken. Das Zimmer begann sich um mich herum zu drehen, schneller, immer schneller.
 

„Hier ist alles voller Blut, was soll ich tun, Tilya?“ fragte Myroon wie aus weiter Ferne.

Ich musterte den aufgeregten Mann verständnislos. „Hä?“

„Wie kann ich dir helfen, verdammt noch mal? Was soll ich machen?“ schrie mich der verzweifelte Mann in seiner Hilflosigkeit an.

Was wusste ich denn?

Mir wurde übel.
 

„Vilthon…“ kam es noch schwach von meinen Lippen, aus denen bereits jedes Gefühl gewichen war, dann wurde mir schwarz vor Augen und ich versank dankbar in der süßen, stillen, weichen Dunkelheit, die mich einhüllte.

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Ich fand mich mit pochendem Schädel in einem fremden Zimmer wieder, welches ich erst nach einigen konfusen Sekunden als Myroons Schlafraum identifizieren konnte.

Vorsichtig wandte ich meinen Kopf zur Seite und blickte direkt in die sorgenvollen grauen Augen Vilthons.

„Hallo, Kleines.“ flüsterte er. „Myroon hat mich sofort hierher geholt, deine Wunde ist gut versorgt. Alles ist in Ordnung. Wie geht es dir?“

„Ja…es geht, mir ist nur etwas schwindelig.“ murmelte ich.
 

Ich war dankbar und erleichtert, meinen klugen Freund bei mir zu wissen. Vilthon lächelte verständnisvoll.

„Das glaube ich dir, du hast viel Blut verloren. Du solltest dich jetzt schonen. Aber ich muss dich vorher noch bitten, mir zu verraten, was dich gebissen hat, Tilya.“

Ich zuckte zusammen und ein Schauer lief mir über den Rücken, als mich die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse der letzten Stunden einholte.

„Vilthon, der Malar hat mich gebissen…es war der Malar.“ stammelte ich.

Der Alwe blinzelte, als glaubte er, sich verhört zu haben. „Der Malar?“ wiederholte er nervös.

„Ach Vilthon, Tilya ist total von der Rolle.“ war jetzt Myroons gedehnte Stimme aus dem Hintergrund zu hören.

„Es ist alles meine Schuld. Ich habe, als ich heute Nacht heimgekehrt bin, die Luke nicht richtig verschlossen. Irgendwie muss ein wildes Tier aus dem Wald in die Hütte hineingelangt sein. Ich habe Tilya immer gewarnt, keine Viecher vor dem Baumhaus zu füttern, aber der Dickschädel kann ja nicht hören.“
 

Fassungslos starrte ich zu Myroon hinüber, der meinem Blick feige auswich. Was sollte das?

„Der Abdruck der Zähne passt zu keiner mir bekannten Spezies…“ murmelte Vilthon grübelnd.

„Vilthon, es war ein Malar! Mein Malar! Er ist jetzt frei!“ redete ich eindringlich auf meinen Freund ein. „Myroon, du hast ihn doch gesehen!“

Der Alverliek schnalzte jedoch nur abwertend mit der Zunge. “Es war eindeutig kein Malar, Tilya. Mach dich doch nicht lächerlich, Mädchen! Wie hätte ein Malar dich erwischen sollen? So ein Unsinn!“

„Du hast dieses Tier also auch gesichtet, Myroon?“ horchte Vilthon auf.

„Natürlich hat er das! Er hat ihn auch sofort erkannt!“ versuchte ich den Alwen zu überzeugen.

„Ich habe gar nichts erkannt, nur ein Tier, das aussah wie eine seltsame Mischung aus Wolf und Wollspinne.“ tönte mein starrsinniger Lehrmeister.

„Myroon!“ schrie ich aufgebracht und wollte aus dem Bett springen, um ihm an die Gurgel zu gehen.

Vilthon hielt mich entschieden zurück und drückte mich mit sanfter Gewalt zurück in die Laken. „Jetzt beruhigt euch beide erst einmal! So geht das nicht. Tilya darf sich nicht anstrengen. Kleines, kann es vielleicht sein, dass du dir eingebildet hast, den Malar in diesem fremden Tier zu sehen, weil du ihm kurz zuvor noch in deinem Traum begegnet bist?“
 

Ich blieb stumm und sah hasserfüllt zu Myroon hinüber, der meinen durchdringenden Blick jetzt mit starrer, unergründlicher Miene erwiderte.

Vilthon räusperte sich unbehaglich. „Was auch immer dich angegriffen hat, Tilya, es war glücklicherweise nicht giftig. Aber wegen des hohen Blutverlustes solltest du heute noch diese Phiole Cobalaextrakt zu dir nehmen. Und bitte, versuche, dich zu entspannen. Soll ich deine Eltern von dem Unfall in Kenntnis setzen?“

„Nein!“ schrie ich aufgeregt. „Bloß nicht!“

Vilthon hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut! Aber du wirst verstehen, dass ich mich nun dazu gezwungen sehe, die Dorfbewohner zu verständigen. Besser noch, ich gebe gleich ein allgemeines Schreiben an die ganze Insel auf. Offenbar kann dieses Tier zu einer ernsthaften Gefahr für uns werden, und über dieses Risiko müssen wir alle informieren. Möglicherweise gibt es noch weitere Exemplare seiner Art. Vielleicht sollten die Dörfer der Insel miteinander beratschlagen, welche Schutzmaßnahmen zu treffen sinnvoll wären. Du liebe Zeit, die letzte Bedrohung, die von einheimischen Tierarten ausging, liegt an die zwanzig Sommer zurück, als die Kronennebeldrachen hier gebrütet haben, erinnerst du dich, Myroon?“

„Wie könnte ich das jemals vergessen…Äh, Vilthon, bitte erzähle den Leuten, dass das Tier mich erwischt hätte, ja?“ bat Myroon den gleichaltrigen Alwen unvermittelt.
 

Dieser nickte verständig.

„Gute Idee, Myroon. Weiteren Aufruhr kann unsere Kleine jetzt wirklich nicht gebrauchen. Ich versuche jetzt, alle Dorfbewohner im Gemeindehaus zu versammeln, und werde gleichzeitig die Raben in die übrigen Dörfer schicken. Soll ich den anderen erzählen, Tilya würde sich um dich kümmern, Myroon?“

Der Alverliek grinste zynisch. „Na klar. Sag, ich würde mich erholen und keinen Besuch empfangen.“

„Und bloß kein Wort zu meinen Eltern, Vilthon, versprich mir das!“ erinnerte ich ihn eindringlich. Ich fürchtete, die ganze Situation würde bald vollkommen außer Kontrolle geraten. Das alles überforderte mich augenblicklich.
 

Vilthon seufzte tief. „Es fällt mir zwar sehr schwer, Tilya, aber du kannst dich auf meine Verschwiegenheit verlassen. Ich denke, dir wird es morgen schon sehr viel besser gehen, wenn du dich jetzt zurücklehnst, den Cobalaextrakt nicht vergisst und dir heute den Kopf nicht mehr über diese Angelegenheit zerbrichst. Myroon, bitte setz ihr doch zwischendurch einen ordentlichen Valdrobulartee auf, damit sie sich etwas entspannt. Ich komme heute Abend noch einmal vorbei, um den Verband zu wechseln und nach der Wunde zu sehen. Achte gut auf sie und gib mir sofort Bescheid, wenn sich etwas an ihrem Zustand ändert. Ich warne jetzt die anderen.“

Vilthon gab mir einen flüchtigen Kuss auf meine kalte Stirn, drückte Myroon ein Päckchen mit Valdrobularrindentee in die Hand, schulterte seinen abgewetzten Rucksack, öffnete die Luke und kletterte vorsichtig die Strickleiter hinunter.
 

Einige unangenehme Momente lang ließ eisiges Schweigen die Stimmung zwischen Myroon und mir gefrieren, dann entbrannte eine hitzige Diskussion zwischen uns.

Ich machte, meine augenblickliche Angriffslust ausnutzend, den Anfang. „Schluss mit dem Theater. Ich weiß, was ich gesehen habe, Myroon. Du kannst mir nicht einreden, dass mich irgendein Tier gebissen hat. Tiere lösen sich nicht in rotem Qualm auf. Gib es doch endlich zu! Du weißt ebenso gut wie ich, dass es sich bei dieser Kreatur um einen Malar gehandelt hat!“

„Ausgeschlossen, Tilya, hör endlich auf, dir solche irrsinnigen Dinge einzubilden. Im Dämmerlicht scheint so vieles ganz anders als bei helllichtem Tag.“ gab Myroon unbeeindruckt zurück.

„Wir beide sind halbe Verlieken, Myroon. Vielleicht hast du ja in der letzten Nacht zu viel gesoffen, aber ich habe den Malar ganz deutlich erkannt.“ fauchte ich gereizt.

„Jetzt werde bloß nicht frech zu deinem Lehrer!“ zischte der Alverliek ärgerlich. Ich ignorierte den drohenden Unterton in seiner Stimme.

„Du hast ihn doch sogar bei seinem Namen genannt, Myroon! Du hast mich wortwörtlich gefragt, ob der Malar mich gebissen hat! Warum streitest du die Tatsachen ab? Willst du sie etwa nicht wahrhaben?“
 

Myroon dachte gar nicht daran, auf meine provozierenden Fragen einzugehen. „Hat Vilthon nicht eben gesagt, du sollst dich nicht aufregen?“

Doch ich schlug schon die Hände vor mein Gesicht. Das alles begann mir über den Kopf zu wachsen. Und ich konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen! Mein ganzer Körper bebte unter meinem verzweifelten Schluchzen, als eine Träne ihren Weg durch die Zwischenräume meiner Finger fand und in einer grazilen Kurve meinen zitternden Arm hinunter rann.

Schweigend beobachtete Myroon, wie sie langsam in einer kleinen Stelle Echsenhaut um meinen Ellenbogen versiegte. Er räusperte sich verlegen.

„War das tatsächlich dein eigener Malar, der dich angefallen hat, Kleine?“

Überrascht sah ich ihn aus meinen brennenden, verweinten Augen an.

„Ja.“ antwortete ich ihm erleichtert. „Warum hast du ihn vor Vilthon verleugnet?“ fragte ich dann meinen Lehrmeister vorwurfsvoll.

Myroon starrte aber nur einige Sekunden gedankenverloren aus dem Fenster und blieb mir die Antwort schuldig. Dann setzte er sich zu mir auf den Rand seines Bettes und spießte mich förmlich mit seinem ernsten, stechenden Blick auf.

„Verrate mir mal bitte, wie du das alles wieder angestellt hast, Mädchen!“
 

Ich reagierte auf diese Forderung mit hysterischem Gelächter

„Was? Wie ich das angestellt habe?!“ wiederholte ich die Worte meines Lehrmeisters mit unbeherrschter Stimme. Was war den das nur für eine hirnrissige Frage?

„Stell dir vor Myroon, der Malar und ich hatten wieder einmal Langeweile, und da habe ich ihm angeboten, mich doch bitte ein wenig zu zerfetzen, damit er unsere öde, spießige Welt ein wenig aufmischen kann!“

„Ich habe dich nicht für sein Erscheinen verantwortlich gemacht, Tilya!“ brüllte Myroon in derselben Lautstärke zurück.

„Ach nein? Das hat sich aber eben verdammt danach angehört! Und weißt du was, Myroon? Du hast Recht! Ich habe mein ganzes, verfluchtes Leben lang in jeder Hinsicht nur versagt, nichts habe ich wirklich auf die Reihe bekommen! Und ich habe es tatsächlich mir selbst zuzuschreiben, dass mein Malar so stark geworden ist. Und auch, dass er sich letztendlich aus meinen Träumen befreit hat.“

„Nun halt aber mal die Luft an Tilya! Das stimmt doch alles gar nicht. Jetzt mach dich selbst mal nicht so runter, dafür bin ich zuständig!“

Mit diesen Worten konnte er mir zwar ein winziges Lächeln entlocken, doch der Ernst der Situation holte mich sofort wieder ein.
 

„Myroon, wenn der Malar irgendjemandem etwas antut, dann ist das allein meine Schuld. Die Leute müssen wissen, dass er hier ist!“

„Warum denn das?“ lenkte Myroon ein. „Das würde die ganze Situation nur verschlimmern, Kleine“

„Wieso?“ wollte ich wissen

„Na, erstens - was bringt es, wenn die Leute erfahren, dass es sich bei dem fremden Tier um einen Malar handelt? Dadurch ist doch niemandem geholfen, ganz im Gegenteil, damit schüren wir nur noch mehr Ängste, von denen sich Malare bekannter weise ernähren können. Oder weißt du etwa schon, wie man sich so ein Monster im Ernstfall vom Halse hält? Wahrscheinlich nicht, oder?“

„Nein.“ gab ich zu „Aber vielleicht kann man ihn mit seinem Talent vertreiben!“ fiel es mir plötzlich ein.
 

Myroon verdrehte genervt die Augen.

„Glaubst du ernsthaft, auf diese Idee würde niemand sonst außer dir kommen? Und zweitens, Tilya - man erzählt sich im Dorf schon genügend seltsame Dinge über dich. Wenn die Leute erfahren, dass du es warst, die den Malar hierher geholt hat, was denkst du, was dann geschieht? Willst du dir das wirklich antun? Dir und deinen Eltern?“
 

Ich schwieg zerknirscht.

„Mach es dir nicht Schwerer als es ohnehin schon ist, Tilya. Und wer weiß, vielleicht erledigt sich das Problem ja ganz von selbst.“

„Wie meinst du das?“ Ich begriff nicht, worauf Myroon hinauswollte.

„Nun ja, lass doch erst mal einige Zeit vergehen. Kann jemand voraussagen, ob der Malar überhaupt imstande ist, in dieser Welt zu überleben? Vielleicht verhungert er irgendwann, irgendwo in den Wäldern und niemand wird je erfahren, dass er das fremde Tier war, das dich – ähm - mich angefallen hat.“

Ich schnaubte verächtlich.

„Du meinst also, ich sollte erst mal abwarten wie sich die Lage entwickelt? Ich sollte es deiner Meinung nach einfach darauf ankommen lassen, ob jemand durch den Malar zu Schaden kommt oder nicht?! Hast du denn keinen Funken Verantwortungsgefühl im Leib, Myroon? Es ist meine Schuld, dass der Malar hier herumstreunt, also muss ich auch etwas tun!“

„Jetzt bleib verdammt noch mal liegen, du Frostfrosch!“

Grob riss mich Myroon, als ich gerade im Begriff war, mich aus den weichen Laken zu rappeln, an den Schultern zurück ins Bett, was ich mit einem schrillen Aufschrei quittierte.

„Lass mich los! Du reißt mir den Verband ab, du brutaler Idiot!“

„Du bleibst gefälligst im Bett, verrücktes Huhn! Vilthon dreht mir den Hals um, wenn er nachher wiederkommt und es dir nicht besser geht! Jetzt sei endlich vernünftig! In diesem Zustand kannst du sowieso nichts ausrichten. Wobei ich mich jetzt ernsthaft frage, was du überhaupt vorgehabt hättest, gegen den Malar zu unternehmen. Erklär mir das doch bitte mal!“

„Weiß ich nicht. Aber ich kann ihn doch nicht einfach da draußen rumlaufen lassen!“ jammerte ich verzweifelt. Konnte er mich denn nicht verstehen?

„Bevor du nicht endlich deinen Cobalaextrakt getrunken und dich ausgeschlafen hast, lass ich dich nicht aus dem Haus, darauf kannst du Gift nehmen.“ erklärte Myroon sehr bestimmt. „Lass Vilthon erst mal den Verband wechseln und die Wunde begutachten, dann sehen wir weiter. Ich werde es nicht zulassen, dass du ohne Sinn und Verstand in der Gegend herumrennst und nach diesem gemeingefährlichen Vieh Ausschau hältst. Du kurierst dich jetzt gefälligst aus.“
 

Mit diesen Worten drückte er mir die Phiole mit dem tiefroten Extrakt in die Hand.

„Austrinken!“ befahl er mir in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Ich fügte mich resigniert. Es hatte ja doch keinen Sinn.

Myroon verschwand in der Küche um den Tee aus Valdrobularrinde zu holen, der die ganze Zeit über in der Küche gezogen hatte und reichte mir die warme Tasse.

„Und runter damit“ befahl er streng.

Ich erkannte den Inhalt gleich an seinem ätherischen, intensiven Duft.

„Na dann gute Nacht…“ seufzte ich, hielt mir mit einer Hand die Nase zu und schluckte das viel zu starke Gebräu tapfer hinunter. Es schmeckte irgendwie seltsam… Ich schüttelte mich angewidert.

„Na also, du kannst ja auch mal auf mich hören…“

Ich schmunzelte noch über Myroons erleichterten Gesichtsausdruck, bevor der Aufguss, dem man eine entspannende, beruhigende und stimmungsaufhellende Wirkung zuschrieb, mir einen tiefen, traumlosen Schlaf bescherte.

____________________________________________________________________
 

Ich erwachte von einem lästigen, kitzelnden Gefühl an meinem Mundwinkel.

Als ich die Augen öffnete, erkannte ich, dass der späte Abend bereits den Himmel verdunkelt hatte.

In Myroons Schlafraum duftete es berauschend nach Valdrobularrinde.
 

Ich wollte mir mit der Hand meines unverletzten Armes über den Mund fahren, um mir die vermeintliche Feder aus dem Gesicht zu streichen, konnte ihn jedoch nicht unter der seltsamen, warmen Last hervorziehen, die ihn beschwerte.

Erschrocken zappelte ich mich frei, richtete mich auf und erkannte mit großem Entsetzen Myroon, der sich unverschämter Weise neben mir breit gemacht hatte.

Empört fingerte ich angeekelt einige seiner langen, hellen Haare von meiner Zunge
 

„Bist du schon wach?“ schnurrte Myroon gedehnt, sich dabei genüsslich räkelnd.

„Was machst du hier?“ fuhr ich ihn harsch an.

Myroon blinzelte verschmitzt zu mir hinüber und grinste bezaubernd. „Ich wohne hier, Schätzchen. Ich liege in meinem Schlafraum, in meinem Bett, neben meiner Schülerin.“

„Spinnendreck!“ hauchte ich beklommen, als ich, obschon ich saß, das Gleichgewicht zu verlieren begann.

Das Zimmer rotierte plötzlich vor meinen Augen, ich sank elendig mit meinen verkaterten Gliedern zurück in die Kissen und zog mir die Decke über den Kopf.

Das schadenfrohe Gelächter meines Lehrmeisters drang durch die dicken Spinnenwolllagen an meine Ohren, dann wurde mir die Decke fort gerissen.

„Hör doch auf mit dem Müll!“ flehte ich ihn an. Konnte mir denn niemand diesen durchgeknallten Alverlieken vom Leib schaffen?

„War Vilthon denn schon hier, Myroon?“

„Natürlich, er hat die Kompresse gewechselt und behauptet, du wärst morgen wieder fit wie ein Schnabelgecko.“

„Großartig, Myroon, ich pack dann jetzt mal meine Sachen und übernachte heute bei Vilthon, in Ordnung? Wir haben viel zu besprechen. Und meine Hängematte wurde ja ohnehin von meinem kleinen, netten Kuscheltierchen zerfetzt…“

„Du schläfst bei mir, Kleine. Als ob ich dich unter diesen Umständen zu dieser Zeit aus noch den Augen lassen würde. Oder hattest du vielleicht sogar vor, mitten in der Nacht heimlich auf Monsterjagd zu gehen?“ raunte mir Myroon scherzhaft ins Ohr und ich konnte deutlich den herrlichen Duft der Valdrobularrinde wahrnehmen.

Und den penetranten Geruch von Alkohol.
 

„Myroon, sag nicht, du hast den Tee mit deinem verdammten Xeraatrum versetzt!“

Mein volltrunkener Lehrmeister grinste mich nur verklärt an.

„Bist du denn wahnsinnig?! Alkohol und Valdrobularrinde verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung!“

Meine eigene Stimme dröhnte mir in den Ohren und ich stöhnte gequält auf.

„Stell dich doch nicht so an, Kleine, wir haben es doch überlebt…“ meinte Myroon mit schleppender Zunge und lehnte sich unbeholfen über mich.
 

„Was du nicht sagst. Ich hasse dich, Myroon.“ flüsterte ich schläfrig, aber über alle Maßen zornig.

„Tust du gar nicht, Drachenmädchen.“ entgegnete mir Myroon lächelnd.

„Und ob!“ begehrte ich auf. „Du bist total verrückt! Und egozentrisch. Selbstverliebt!“

„…und chaotisch. Und genusssüchtig.“ setzte Myroon fort. Ich grinste versöhnlich. Ich hatte jetzt eigentlich keine Lust, mich mit ihm zu streiten.

„Ja, allerdings, das bist du sowieso. Und leichtfertig. Und oberflächlich. Und…-“

„- und unglaublich leidenschaftlich!“ unterbrach mich Myroon und plötzlich spürte ich seine warmen Lippen auf meinem Mund. Verwirrt registrierte ich seine großen, sanften Hände, die plötzlich überall zu sein schienen, nur nicht da, wo sie hingehörten.
 

Bevor alles, was irgendeine Bedeutung hatte, in einer gewaltigen Flutwelle der Sinnlosigkeit versank, fragte ich mich noch, ob der kleine blaue Schnabelgecko es mir übel nehmen würde, wenn er diesen Abend keine Piragienkerne unter dem Baumhaus finden könnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2009-07-17T17:33:42+00:00 17.07.2009 19:33
juhu! ich bins nur ;)
nein, ich bin nicht beleidigt.
finds sogar richtig toll, dass du dich endlich getraut hast, die story öffentlich zu machen, hast es auch nicht nötig sie zu verstecken. wers nicht mag, brauchts ja nicht zu lesen,-die story hast du ja eigentlich eh nur für dich selbst geschrieben.
ändere bloß nix am inhalt- der steht fest, klar- über deinen stil...manchmal etwas zu detailliert & zu lange dialoge-meine güte, es gehört eben zur story dazu, da kämpft sich sogar der faule ziepju mit vergnügen durch.
das will was heißen!
ich warte darauf, dass du teil 2 weiterschreibst, herzilein!!
Von: abgemeldet
2009-07-17T08:48:59+00:00 17.07.2009 10:48
total genial. spannend, humorvoll, fantasievoll- und alles davon reichlich!
macht süchtig nach mehr.
ich brenne auf die fortsetzung!

Von: abgemeldet
2009-07-17T08:15:09+00:00 17.07.2009 10:15
boah, menno, wie geil war denn das?
also, ich würd mir das buch sofort kaufen, wenns das gebe!!!
dann könnte ich jetzt in einem rutsch durchlesen...aber jetzt muss ich warten... wenigstens tröstet die tatsache, dass die story schon fertig geschrieben IST, und du nicht mal sagst...keinen bock mehr, ich schreib nicht mehr weiter.

echt ekelig : die stelle, wo tilya das vollgeblutete hängemattenseiil für einen fleischfetzen gehalten hat....
und das gefühl, wie schlecht es ihr geht, übelkeit, schmerz...alles soooo gut nachvollziehbar geschildert!


wrrrraaa: wo der malar in der hängematte festhängt, und tilya mit dem blutigen kissen auf ihn eindrischt XD*sowohl gruselig, als auch urkomisch - das lieb ich an tilya so, dass sie trotz allem immer etwas witziges ausstrahlt XDXDXD

dann der verbale kampf mit myroon unter vilthons verständnislosen augen *grrrr, zum ärgern, dieser typ*-und dann, als vilthon weg ist, wird weiter gezankt-klasse dialog!!!

„Lass mich los! Du reißt mir den Verband ab, du brutaler Idiot!“
„Du bleibst gefälligst im Bett, verrücktes Huhn!
----->>> XDXDXD hihihiiiiiii****

Erschrocken zappelte ich mich frei, richtete mich auf und erkannte mit großem Entsetzen Myroon, der sich unverschämter Weise neben mir breit gemacht hatte.
Empört fingerte ich angeekelt einige seiner langen, hellen Haare von meiner Zunge
_____> igitt XD, wie urkomisch ist das denn jetzt schon wieder!


und dann, wo tilya rausfindet, was myroon mit dem tee gemacht hat *da ist er ja schon irgendwie so angegeilt XD, und was dann passiert.....*
*kreisch*

lechze aufs nächste käppi!!!!


Von: abgemeldet
2009-07-17T07:14:32+00:00 17.07.2009 09:14
Aber hallo!
endlich kommt man auch mal in den Genuss der Geschichte, um die sich deine Bilder ranken.
Die haben áber auch Neugier auf mehr gemacht...
Ich habe gestern Nacht die Geschichte verschlungen, bis hier hin und bin eecht gespannt darauf, was im nächsten kapitel passiert, wenn tilya und myroon ihren rausch ausgeschlafen haben,,,XD

Habe echt den Eindruck bekommen, diese Welt, die du erschaffen hast, existiert wirklich, die liebevollen Beschreibungen der Völker, der Wesen, der Umgebung- hat mich total in den Bann dieser Welt gerissen.
Was für eine Fantasie! Wie tiefgründig und durchdacht! Bin total hingerissen!

Bin total begeistert von Tilya, sie ist soooo komisch! Man kann sich echt gut in sie hineinfühlen, du hast klasse aus ihrer sicht geschrieben!!!
Von: abgemeldet
2009-07-16T20:53:51+00:00 16.07.2009 22:53
Jahaha, was für ein geiles Kapitel! Der Tee... *g*
So viele tolle Stellen - diese drei sind meine absoluten Favoriten: Als Tilya mit dem Kissen (!) auf den Malaren einschlägt. (Ich musste so lachen), "du Frostfrosch" (^^) und der letzte Absatz, der ist so so genial formuliert!
*Daumen hoch*



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