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Der Malar

Die Jagd nach der Kreatur der Untiefen
von

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Ein letzter Traum

Die vertraute Finsternis, die Tilya in dichten, kalten, schwarzen Nebelschwaden umhüllte, lichtete sich und gab den Blick auf die Szenerie frei.

Die junge Frau fand sich in dem goldenen, rauschenden Flimmern eines weiten Xeraatfeldes wieder, wobei ein lauer Wind sanft die mannshohen schlanken Halme des Getreides bog. Einen unnatürlich wirkenden Kontrast dazu boten die dahin rasenden Wolken des tiefdunklen Himmels über ihr.
 

Behutsam bahnte sich Tilya ihren Weg durch die starken, geschmeidigen Pflanzen, fest damit rechnend, dass jeden Augenblick eine entsetzliche Gestalt aus ihrem leuchtenden Gelb hervor brechen würde, um sie zu packen und mit sich zu schleifen.

Mit fahrigen Bewegungen teilten Tilyas Arme die wogende Masse der glänzenden Stiele, die ihr hart ins Gesicht schlugen und ihr in die zarte Haut ihrer Arme schnitten, die nicht von dunkelvioletten Schuppen geschützt wurde.

Kurz hielt sie in ihrer Hast inne, als sie das verdächtige, trockene Krachen brechender Stängel hinter sich vernahm, dann setzte sie blindlings ihren planlosen Lauf quer durch das unübersichtliche Feld fort, nun mit der schrecklichen Gewissheit im Nacken, ihren Verfolger dicht auf ihren Fersen liegen zu haben.

Sie wusste nicht, wer oder was sie jagte, aber sie begann zu begreifen, dass sie sich in ihrem Traum befand, in der Welt, die sie niemals hatte beherrschen dürfen, in einer Welt, in der sie auf ewig der grausamen Willkür ihres Malaren ausgeliefert sein würde.
 

Mit einem Mal verlor sich der Widerstand der allgegenwärtigen Xeraatpflanzen im Nichts und eine große sumpfige Schlammpfütze, die sich plötzlich inmitten des Feldes vor Tilya auftat, setzte ihrer atemlosen Flucht ein jähes Ende. Das Mädchen stolperte unaufhaltsam in die trübe Brühe hinein und versank bis zu den Knien im zähen Morast.

Das Geräusch der knackenden Halme hinter ihrem Rücken verstummte.

Nach einigen unerträglich langsam verstreichenden Sekunden gelang es Tilya endlich, sich in der klebrigen Suppe, die ihre Waden hartnäckig umschloss, umzuwenden und ihrem Jäger ins Furcht erregende Antlitz zu blicken.

Das Mädchen schluckte schwer, als das augenlose, zweibeinige Monstrum mit der raubtierhaften Eleganz einer Reitechse in siegessicherer Gemächlichkeit aus den Xeraatpflanzen schritt.
 

Seine wundervolle, panzerartige Haut glänzte schwarz wie die Chitinrüstung eines Roonengräbers und ein langer, schlanker Schwanz peitschte angriffslustig über dem Meer aus Xeraatähren, wie man es von den zehn Ellen hohen Kaktuswaranen kennt, bevor sie nach einem Riesenmoskito schnappen.

Als das auf seine eigene Art und Weise schöne Tier sein riesiges Maul aufriss und Tilya brüllend zwei bedrohliche Reihen messerscharfer Zähne präsentierte, gab die erschöpfte Alverliekin auf.

„Was willst du denn noch? Mich umbringen?“ schrie sie Kreatur, die sie für den Malar hielt, mit letzter Kraft entgegen. „Mit deinen Viechern kannst du mich schon so lange nicht mehr erschrecken, lass dir endlich was Neues einfallen!“

Der verwandelte Malar oder das Wesen, das er Tilya auf den Hals gehetzt hatte, ließ seine langen, muskulösen Gliedmaßen unbeeindruckt von ihren Worten in das brackige Moor gleiten und stakste, von den glucksenden Lauten zurückweichenden Schlammes begleitet, auf sein Opfer zu.

Je mehr die Kreatur sich ihr näherte, desto deutlicher konnte Tilya tatsächlich den Malaren hinter seiner sich allmählich in rotem Rauch auflösender Fassade erkennen.
 

„Oh, du wagst dich ja heute besonders dicht an mich heran, Malar“ versuchte Tilya spöttisch zu klingen, aber die Verzweiflung über ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit schnürte ihr die Kehle zu, und ließ ihre Stimme verräterisch überschlagen.

„Warum hetzt du nicht einfach die Ausgeburten deines Staubes auf mich und lässt sie die Drecksarbeit für dich machen?“

Der Malar stand nun in seiner wahren Gestalt etwa eine Armlänge entfernt vor ihr und durchbohrte sie mit seinen gierigen, hungrigen Blicken.

So nahe war er ihr bisher nur in der Nacht ihrer ersten Begegnung gekommen.

Die furchtbaren Wesen die der Malar aus dem unscheinbaren, rötlichen Staub hervorbrachte, der mit einem unheimlichen Eigenleben dicht um seinen Körper tanzte und sein mattes Fell an einigen Stellen Scharlachfarben schimmern ließ, hielten Tilyas Nähe, ihren Blicken und ihren Berührungen stand, wenn sie ihr zusetzten.

Sobald aber der Malar, getarnt durch seinen Staub, dem Mädchen persönlich erschien, schwand mit der Entfernung zwischen den beiden auch seine jeweilige Maskerade in diesem dunkelroten Rauch. Er schien in all den Jahren stets peinlichst darauf bedacht, tieferen Blickkontakt geschweige denn Berührungen mit seinem Opfer zu vermeiden.

Nun aber vermochte Tilya den rot glühenden Augen ihres Malars, mit denen er sie jetzt so plötzlich konfrontierte, kaum standzuhalten.

„Weil deine Angst nicht mehr dem gilt, was ich aus Staub erschaffe. Sie gilt nur noch mir allein.“ antwortete er ihr gefährlich leise und rückte noch einen Schritt näher an sie heran.

Die deutlich hervortretenden Rippen seines gewaltigen Brustkorbes hoben und senkten sich in seinem ausgemergelten Körper.

„Deine Furcht vor mir nährt mich nicht, Kind. Du kämpfst nicht mehr gegen meine Staubgebilde an, du ignorierst sie oder bleibst während deiner Flucht vor ihnen einfach stehen, um dich widerstandslos meiner Macht zu beugen. Sie sind dir gleichgültig geworden. Du bist dir gleichgültig geworden. So funktioniert das nicht, Mädchen!“

„Warum denn nicht, Malar?“ hauchte Tilya kraftlos ohne ihn dabei länger in die Augen schauen zu können. „Du hast gewonnen. Das ist es doch, was du immer wolltest. Ich gebe auf. Und ich akzeptiere, dass du der Herr meiner Träume bist und immer sein wirst. Reicht dir das etwa noch nicht? Ich kann nicht mehr!“

„Ich hätte dir dein Totem nicht nehmen sollen.“ knurrte der Malar leise zwischen den angespannt aufeinander gepressten Kiefern.

„Es schien mir damals als der einzige Weg, unser Bündnis zu vollenden. Ich gierte so sehr nach dem wertvollen Staub. Der Hunger nach Angst hatte mich schon beinahe zerfressen. Und dann musste ich dir begegnen. Du warst so stark Kind, so voller Vertrauen und ich kam nicht gegen dich an. Jetzt allerdings hast du dich aufgegeben, all deine Hoffnung ist erloschen und es ist meine Schuld. Es ist meine Schuld, dass du nicht an dich glaubst, dass du dich in deiner Apathie von mir unterdrücken lässt, und es ist auch meine eigene Schuld, dass ich nicht mehr von deiner Angst zehren kann.“

„Und was hast du jetzt vor, Malar? Das was geschehen ist, kannst du nicht rückgängig machen. Du kannst aber auch länger Erquickung von einer Quelle fordern, die bereits versiegt ist. Alles geht irgendwann zu Ende.“

Tilyas Mund formte diese Worte, bevor ihr klar wurde, was sie für sie bedeuten konnten.

Sie versuchte unauffällig, aber mit rasendem Herzen einige Schritte von dem Malaren zurückzuweichen, doch der dickflüssige Schlamm sog sich fest um ihre Sohlen.
 

„Ich werde sterben, Tilya, wenn ich hier bleibe. Ja, ich bestimme diese Welt, und forme sie zu meinem Vorteil, und doch bin ich auch ihr Gefangener, genau wie du. Wir Malare sind, einmal an ein Kind gebunden, abhängig von ihm, ihm ausgeliefert auf Gedeih und Verderb. Wir darben, wenn uns nicht eure Ängste und eure Zweifel nähren. Und wir laben uns an den Zeiten, in denen wir über euer Totem triumphieren können. Ich aber habe dich dem Ursprung deiner Kraft beraubt, die dich vor meiner Unersättlichkeit schützen sollte. Nun kannst du mir nichts mehr geben. Ich habe dich schon fast zerstört, mein Kind.“

Der Malar beugte seinen langen Oberkörper jetzt so tief zu Tilya hinunter, so dass seine lange, spitze Nase beinahe ihre Stirn berührte. Noch immer wagte sie es nicht, seinem Blick zu begegnen.

„Und nun willst du es zu Ende bringen, nicht wahr?“ fragte sie ihr Gegenüber matt, ohne den Sinn ihrer Worte zu begreifen. Der Malar lehnte sich behutsam noch ein Stückchen vor und Tilya fühlte das erstaunlich weiche Haar seines Halses sachte über ihre linke Wange streichen, als er ihr in ihr Ohr flüsterte.

„Ich wäre nicht der erste meiner Art, der sich befreit hätte, Mädchen. Du brauchst bald keine Angst mehr vor mir zu haben.“
 

Die hervorschnellenden, langen Arme des Malaren, die Tilya mit der atemberaubenden Kraft von Querkenkneiferzangen umklammerten und das Gefühl von großen, kräftigen Pranken, die sich hinter ihrem Rücken verschränkten und mit einer grausamen Entschlossenheit um ihre Schultern schlossen, waren das Letzte, was Tilya deutlich spürte, bevor die Welt um sie in einem Strudel aus Schmerz und Entsetzen versank.

Der Anblick der dunklen Wolken, die sich immer dichter direkt über ihnen zusammenbrauten, brannte sich in ihre weit aufgerissenen Augen, als sich die schrecklichen Fänge des Malars in das verletzliche Fleisch zwischen ihrer linken Schulter und ihrem Hals bohrten.

Das ferne Grollen eines herannahenden Gewitters übertönte nicht das widerlich feuchte Geräusch, mit denen sich die Reißzähne des Malars aus ihrer klaffenden Wunde zogen. Tilyas galoppierender Puls rauschte in ihren Ohren und ließ sie im selben Takt Schwindel erregende Mengen heißen Blutes verlieren.
 

Jegliche Spannung, jede Kraft wich aus ihrem Körper und nur der unerbittliche Griff der Kreatur, die sie hielt, bewahrte die junge Frau davor, rücklings in den ausdörrenden Tümpel zu fallen und in der matschigen Brühe zu versinken. Ein heftiger, aber warmer Windstoß erfasste das groteske Paar und brachte es leicht ins Wanken.

Das Gesicht des Malars schwebte plötzlich direkt über dem des Mädchens und versperrte ihm die Sicht auf den finsteren Himmel, sein schreckliches Maul triefte von ihrem frischen Blut.

Tilya schloss die Augen.

Sie glaubte, einen ersten warmen Regentropfen auf ihrer Wange zu spüren.

„Verschwinde!“ flüsterte sie ermattet. „ Ich träume doch nur. Ich will jetzt aufwachen!“

Das wilde Brennen ihres zerrissenen Halses machte einem schweren, kribbelnden Gefühl der Taubheit Platz.

Vorsichtig öffnete Tilya ihre Lider, in der Hoffnung, der Alptraum sei bereits vorbei, und nun trafen sich die Blicke von Malar und Mädchen.

„Ich werde jetzt sterben?“ Ihre tonlos formulierte Frage klang eher wie eine nüchterne Feststellung.

„Vielleicht.“ antwortete der Malar ungewiss. „In jedem Fall werde ich dich sehr vermissen, mein Drachenmädchen.“

Ein ohrenbetäubendes Krachen donnerte aus dem Zenit.
 

Für den Bruchteil einer Sekunde wurden der düstere Himmel, die finsteren Wolken, das leuchtend gelbe Xeraatfeld sowie die Pfütze, in der die beiden ausharrten, in ein gleißendes Licht getaucht.

Dann, kurz bevor das tödlich verletzte Mädchen erfassen konnte, worin das Mysterium der Augen des Malars lag, zerfiel das strahlende, knisternde Weiß, das Tilya und die Bestie umgab, in dunkelroten Staub, der nichts zurückließ als die erbarmungslose Schwärze einer Dunkelheit, die die beiden verschlang



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-07-17T08:02:47+00:00 17.07.2009 10:02
cool, du wechselt die perspektive, wenn tilya träumt, merk ich grade!
im traum redest du aus der perspektive eines erzählers, sonst aus tilyas ich-perspektive .interessant!!
>>>Das Mädchen schluckte schwer, als das augenlose, zweibeinige Monstrum mit der raubtierhaften Eleganz einer Reitechse in siegessicherer Gemächlichkeit aus den Xeraatpflanzen schritt.
Seine wundervolle, panzerartige Haut glänzte schwarz wie die Chitinrüstung eines Roonengräbers.... <<<
Boah, wie du den alptraum geschildert hast...taugt zu einem guuuuten horrorstreifen XD!! hab iwie sofort gewusst, dass das monster der malar war- war son gefühl!


Boah, und dieser krasse umschwung! wenn der malar gaaaanz sanft sich tilya nähert, ihr ins ohr flüstert-und dann ganz plötzlich hervorrschnellt und sie fast umbringt!!! whooooaaarrr! *GÄNSEHAUT*

mann, ich kann jetzt gar keine weiteren lieblingsstellen angeben, weil einfach alles so klasse und spannend formuliert ist...die eigenwilligen vergleiche XD

Mann, mal sehn wies weitergeht...sterben wird tilya ja wohl nicht, oder?

Von: abgemeldet
2009-07-16T15:21:28+00:00 16.07.2009 17:21
Puh, das war ein langatmiges Kapitel, durch die viele wörtliche Rede zwischen Tilya und ihrem Malaren. Das ist immer sehr problematisch bei langen Gesprächen die Spannung aufrecht zu halten. (Keine Angst, das Kapitel hat mir trotzdem gefallen, so schnell wirst du mich nicht wieder los =P)
Ich weiß noch nicht so recht ob der Malar nun eigentlich für bösartig halten soll oder nicht. Dass er sich von Angst ernährt liegt nun einmal in seiner Natur... na mal schaun, was er so anstellt wenn er "draußen" ist.
Ich hab kurz gedacht er will Tilya küssen, als er sich so zu ihr vorgebeugt hat! o_O Aber dann hat er ihr doch bloß ins Ohr gelüstert... xD

Freu mich (wie immer) schon auf's nächste Kapitel!
LG, dein (momentan wohl größter und einziger T_T) Fan ^^


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