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Götterwelten

von

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Venus

„Guten Morgen, Petrus“, erklang die sanfte Stimme der schönen Frau und der Angesprochene sah auf. „Guten Morgen“, erwiderte er und schickte sich an sich zu erheben. Doch die Besucherin schüttelte nur ablehnend den Kopf und bedeutete ihm sitzen zu bleiben. „Was führt dich zu mir?“, fragte er und warf einen kurzen Blick auf das Geschehen weit unter ihnen. Obwohl sie, ohne dass es jemanden auch nur im geringsten verwundert hätte, vor Selbstbewusstsein nur so hätte überquellen können, war ihr Auftreten eher schüchtern. „Störe ich dich? Es tut mir leid, du hast bestimmt jede Menge zu tun und gewiss wirst du auch ohne mein Hiersein oft genug unterbrochen, aber...“

„Du störst mich nicht“, antwortete der Wetterpatron ehrlich und bedeutete ihr, so sie es wünschte, neben ihm Platz zu nehmen. Tatsächlich hatte er zum ersten Mal seit ewigen Zeiten nicht wirklich etwas zu tun. Die nordischen Götter verhielten sich ungewohnt ruhig – wahrscheinlich hatten sie diesmal intern ein paar Dinge zu klären – und Hermes hielt seinen Schönheitsschlaf. Und mochte man es nun glauben oder nicht, die Wirkung war enorm. Keine Sintfluten, keine Wintereinbrüche mitten im Sommer, keine Wirbelstürme und auch kaum anders geartete Katastrophen. Die Welt war geradezu ungewohnt friedlich. Unter diesen Bedingungen fiel es natürlich nicht schwer, Wind und Wetter richtig zu dosieren und dann einfach aufrecht zu erhalten. Man konnte direkt planvoll vorgehen. Ein ungemein seltenes, aber äußerst erquickliches Vergnügen. Und Petrus, der gerade in der letzten Zeit – in Zahlen ausgedrückt in den letzten Jahrzehnten – wahrlich genug zu tun gehabt hatte, konnte nicht sagen dass ihm der Trouble fehlte. Nach so langer Zeit war es einfach angenehm, einmal ohne wenn und aber genau die Arbeit zu verrichten, für die man nun einmal gedacht war. Insofern lagen also sogar verschiedene Arten der Erfüllung darin. Pflicht und Kür in einem, wenn man es so ausdrücken wollte. Die römische Göttin setzte sich zu ihm – weder zu nah noch zu weit weg – und strich ihr zartes weißes Kleid glatt. Satin? Petrus vermutete es, aber es hatte nur einen sanften matten Schimmer. Es lud geradezu dazu ein berührt zu werden, was der Wetterpatron selbstverständlich nicht tat. Zwar hatte keiner der Götter und auch nur wenige der Götterwesen so etwas wie Erziehung genossen – auch Petrus nicht – , aber im Gegensatz zu ihnen besaß er einfach Anstand. Die Menschen hätten es wohl den schwulen besten Freund genannt. Amor war zu höflich um so etwas zu sagen, ganz gleich wie viel er für die Erdenbewohner auch übrig haben mochte. Und mal ganz davon abgesehen stimmte es nicht. Erstens war er, soweit er wusste, nicht vom anderen Ufer und zweitens hatte er keine Freunde – nur Bittsteller. Abgesehen vielleicht von dem knabenhaften Liebesgott und auch bei ihm konnte man nicht ganz sicher sein. Anders als das bei verschiedenen Gattungen der Fall war, machte es ihn keineswegs betrübt oder gar depressiv. Er war nicht gerade das, was man einen Lebemann nannte und er vermisste es auch nicht. Tatsächlich schätzte er die leider viel zu seltene Ruhe und Beschaulichkeit seines Daseins. Er umgab sich durchaus gern mit Wesen die er mochte, aber es gab nun einmal nicht viele, die diesen Status innehatten. Er sah zu der strahlend schönen Göttin hinüber. Venus gehörte dazu. Als Äquivalent zu Aphrodite entstanden, war sie die ruhigere und sanftere der beiden. Ein atemberaubend schönes, aber, anders als die quirlige Aphrodite, sehr rücksichtsvolles Wesen. Petrus hatte durchaus etwas für sie übrig. Wäre Amor ein Mädchen, er wäre wie sie. Mochte er nun gerecht sein oder nicht, dieser Gedanke kam ihm immer wieder. Ob er wohl eifersüchtig würde, wenn er wüsste, dass sie sich auf diese Weise unterhielten? Wahrscheinlich. Er war einfach zu ehrlich und nicht besonders gut darin Gefühle zu verbergen. Schon gar nicht, wenn sie stark waren. Kurz fragte er sich, ob er eine Affinität zu körperlicher Schönheit hatte, aber das war nicht ohne weiteres haltbar. Schließlich waren alle Götter – er dachte an das Abenteuer mit Dionysos und modifizierte den Gedanken noch einmal – , waren fast alle Götter echte Schönheiten. Im Grunde kam er mit allen ganz gut aus, aber tatsächliche Sympathie brachte er nur etwa einer handvoll von ihnen entgegen. Wen mochte er noch? Artemis, die Göttin der Jagd, war eine recht gute Gesellschafterin. Klug, eine scharfe Beobachterin und – glücklicher Weise – nicht übermäßig redselig. Amor, Artemis, Venus – gut, dass es nicht Aphrodite war die er mochte, sonst hätte er sich, wenn schon keine Affinität zur Schönheit, so doch zumindest eine bezüglich des Buchstabens A vorwerfen müssen. Aber Josua begann schließlich auch nicht mit einem A und der Messias war, abgesehen von kleinen Schwächen die sein menschliches Dasein nun einmal mit sich brachte, ebenfalls ein angenehmer Zeitgenosse. Wirklich schade, dass Buddha nie als Gott vorgesehen war. Sicher, er hätte mit seiner „Die Welt ist schön und friedlich“-Theorie nicht allzu viel Freude ausgelöst, aber der Leitspruch des Christengottes – Liebe deinen Nächsten – hatte schließlich auch nicht gerade eine Welle der Enthaltsamkeit heraufbeschworen. Vermutlich würden die meisten von ihnen die meiste Zeit auf der Flucht vor seinen versöhnlichen Gedanken sein. Das Wesen der meisten überirdisch transzendenten Existenzen war für derlei einfach zu kriegerisch.

„Woran denkst du?“

Wie unhöflich von ihm. Da kam die Göttin der Schönheit höchstpersönlich zu Besuch und er hatte nichts besseres zu tun, als sich in irgendwelchen unsinnigen Gedankenkaskaden zu ergehen. Wie peinlich. „Oh, Verschiedenes, aber nichts von Belang.“

Sie hob eine Augenbraue, als wolle sie andeuten, dass sie gern mehr darüber erfahren würde, beließ es dann aber dabei. Auch eine Eigenschaft, die er an ihr schätzte.

„Was führt dich denn nun eigentlich zu mir?“

Sofort wurde ihr Blick weicher, doch ihre Körperhaltung drückte Verlegenheit aus. Sie war wirklich ein reizendes Geschöpf. Sie zögerte noch einen Moment, dann antwortete sie ihm. „Ich wünschte, ich könnte dir etwas wirklich Bedeutsames berichten oder eine interessante Nachricht überbringen, aber“, sie sah ihn halb entschuldigend halb fröhlich an, „eigentlich wollte ich mich nur ein wenig mit dir unterhalten und mich noch einmal für das Geschenk, das du mir gemacht hast, bedanken.“

Er warf einen beiläufigen Blick auf das Schmuckstück und kratzte sich eine wenig verlegen am Hinterkopf. „Entschuldige. Es ist ziemlich geschmacklos der Göttin der Schönheit eine Halskette zu kaufen. Ich habe mich wirklich bemüht, aber mir ist einfach nichts besseres eingefallen.“

Sie sah ihn verblüfft an, schüttelte dann den Kopf und schenkte ihm ein hinreißendes Lächeln. „Aber nein. Sie ist wundervoll. Ich hab mich so gefreut. Deshalb wollte ich mich auch noch einmal bei dir bedanken.“

Glücklich barg sie den Anhänger in ihren Händen und drückte ihn – wie ein Kreuz im Gebet – an sich. Ein langer, fein geschliffener Bergkristall, von zarten Bändern aus Weißgold und Silber umrankt. Ein schönes Stück, ohne Zweifel – sonst er hätte er es auch niemals gewagt es ihr zu schenken. Aber es gab nun einmal nichts, das ihre Schönheit noch zu steigern vermochte. Als Venus die Augen wieder öffnete und ihn ansah, lag Besorgnis in ihrem Blick. „Aber sie muss ja unglaublich teuer gewesen sein.“

„Ziemlich“, erwiderte Petrus und zuckte die Schultern. Wenn sie ihr gefiel, spielte der Preis keine Rolle. Allerdings vermied der Wetterpatron es, diese Worte auszusprechen. Er musste an Amor denken. Seit ihrer letzten Begegnung hatte er nicht wieder versucht sich ihm zu nähern. Er gab sich gar nicht erst die Mühe es zu leugnen. Er vermisste ihn. Und wenn Venus auch eine atemberaubende Schönheit war, so vermochte sie es doch nicht, ihn zu ersetzen. Niemand vermochte das. Er schrak ein wenig zusammen, als die Göttin sich an ihn lehnte. Petrus fühlte, wie sein Gesicht heiß wurde. Körperkontakt war nicht gerade seine Stärke. Es machte ihn immer schrecklich nervös. Er unterdrückte den Schüttelfrost der ihn befallen wollte, als er an das Abenteuer mit Dionysos zurückdachte. Sofort kehrte seine Wut auf Amor zurück, flammte erneut auf und unterdrückte jeglichen Anflug von Sehnsucht nach dem jungen Liebesgott.

„Danke“, erklang die sanfte Stimme der Venus an seinem Ohr und er lächelte ein wenig. „Gern geschehen.“

Eine kleine Weile verharrten sie in dieser Haltung und genossen die Nähe des jeweils anderen. Schließlich löste sich die Göttin wieder von ihm und setzte sich auf. Gemeinsam beobachteten sie das bunte Treiben auf der Erde und ließen entspannt die Beine baumeln. „Sag, du hast Amor doch auch etwas von der Erde mitgebracht, nicht wahr? Stimmt es, dass du das Parfüm selbst entworfen hast?“

Petrus stöhnte. „Auch du, meine Venus?“, beklagte er – in Anlehnung an Caesars letzte Worte – theatralisch seine missliche Lage. „Ich wünschte wirklich, ich hätte es nicht getan. Das werde ich mein Lebtag nicht mehr los und angesichts der Unendlichkeit meines Daseins ist das ein mehr als hartes Schicksal.“

Sie sah ihn verblüfft an, lachte ein wenig und schenkte ihm einen mitfühlenden Blick. „Entschuldige. Ich wollte ganz sicher nicht tratschen.“

Der Wetterpatron blickte leidend drein und seufzte dann ein weiteres Mal. „Aber um deine Frage zu beantworten: Entworfen ist wohl ein bisschen übertrieben. Sagen wir ich habe mehr oder weniger zufällig ein paar hübsche Sachen entdeckt und sie so passend wie möglich kombiniert.“

Ein weiterer Seufzer. „Aber im Grunde genommen ist es genauso geschmacklos, wie der Göttin der Schönheit Schmuck zu schenken. Das zeugt von einer gewissen Einfallslosigkeit, nicht wahr? Um nicht zu sagen Ignoranz.“

Er empfand es wirklich so und wie üblich widersprach sie ihm. Ihr weiches blondes Haar wiegte sich mit der Bewegung ihres Kopfes leicht hin und her. „Sieh es doch nicht als etwas, das uns Schönheit bescheren soll, sondern als etwas, das das Gegebene noch unterstreicht. Auch wir haben unsere Schwächen Petrus und Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters. Und bitte“, fuhr sie sanft und eindringlich fort, „sag nicht, dass du es bereust. Er hat sich so gefreut. Du hättest ihn sehen sollen. Ich habe ihn noch nie so glücklich gesehen. Er trägt den kleinen Flakon immer bei sich.“

Petrus war ehrlich überrascht. Er hatte es nie bei ihm gesehen... Aber es sah ihm ähnlich. „Seit kurzem trägt er es an einem kleinen Silberkettchen um den Hals.“

Sie kicherte leise und der Witterungsbeauftragte sah sie fragend an. Möglicher Weise hatte er – wie es so oft der Fall zu sein schien – mal wieder die Pointe verpasst, aber er konnte an dieser Sache nicht wirklich etwas erkennen, das ernsthaft heiterkeitsauslösend gewesen wäre. Möglich, dass er einfach nur zu spießig war, aber... „Nein, entschuldige“, sagte sie und brachte es tatsächlich ausgesprochen schnell fertig, sich wieder zu beruhigen. Und wie konnte es anders sein, sie sah auch dabei hinreißend aus. „Aber du hättest ihn sehen sollen, ihn erleben müssen, dann würdest du es ganz sicher verstehen. Ich habe Amor noch nie zuvor derart wütend erlebt. Ein paar Himmelsgeister wollten das kleine Fläschchen nur mal anfassen - und er hat sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das sein Bogen nicht nur Liebespfeile verschießen kann. Er hat die armen Kleinen durch die halbe Götterwelt gejagt, bevor er endlich von ihnen abgelassen hat.“

Petrus sah sie ein paar Sekunden lang ungläubig an, dann wandte er den Kopf zur Seite. „Idiot“, sagte er leise, doch der Rotton auf seinen Wangen und der sanfte Blick seiner Augen strafte den harschen Tadel Lügen. Venus lächelte wissend und ließ ihm einen Moment Zeit, um seine Gedanken ein wenig zu ordnen. Für seine Gefühle, das wusste sie, würde er sehr viel länger brauchen. „Gib ihm doch eine Chance, Petrus. Sei nicht länger kalt zu ihm. Du weißt er hat es nicht böse gemeint und nie würde er absichtlich etwas tun, das dir Schaden zufügt.“

Die Augenbrauen des Wetterpatrons zogen sich drohend zusammen und verliehen seinem Gesicht einen wütend-trotzigen Ausdruck. Darum ging es also. „Ich weiß nicht was passiert ist und er wollte es mir auch nicht erzählen. Aber was ich weiß ist, dass er unglücklich ist. Todunglücklich. Er habe einen Fehler gemacht, sagte er. Einen ganz schrecklichen Fehler. Du musst ihm nicht verzeihen Petrus, das sage ich gar nicht und es ist auch ganz allein deine Entscheidung. Aber sag, kannst du ihn nicht wenigstens anhören? Du weißt, dass er mehr als alles andere deine Nähe sucht. Er möchte sich entschuldigen, dich um Verzeihung bitten. Und du weißt das. Was immer auch vorgefallen sein, was immer er auch getan haben mag, kannst du es denn wirklich nicht über dich bringen ihn wenigstens anzuhören?“

Der Wetterpatron sah sie an – seine Laune war soeben in absehbare Nähe des absoluten Tiefpunktes gesunken. „Hat er...“

Es war sonst nicht ihre Art jemandem ins Wort zu fallen und Petrus hatte es auch nie zuvor bei ihr erlebt, aber jetzt unterbrach sie ihn. „Petrus“, ihre Stimme war sanft aber bestimmt. „Du weißt dass er, dass wir beide so etwas niemals tun würden. Er hat mich nicht hierher geschickt. Es ist so wie ich es gesagt habe. Ich wollte mich bedanken und mit dir reden. Und selbst wenn er mich darum gebeten hätte, hätte ich es nicht getan. Ich hätte ihm lediglich ans Herz gelegt, die Angelegenheit persönlich zu klären. Ich weiß nicht was vorgefallen ist, aber es ist eine Sache die euch beide betrifft und in deren Klärung sich niemand einmischen kann. Natürlich habe ich dieses Thema nicht zufällig angesprochen, aber es stehen ganz und gar egoistische Motive dahinter. Ich bin nicht blind, Petrus. Irgendetwas ist passiert und seither ist die Stimmung zwischen euch äußerst kühl. Erst glaubte ich, dass es nur Amor beträfe, aber dieses Gespräch hat mir gezeigt, dass es dich ebenso aufwühlt wie ihn. Nicht in gleicher Weise und womöglich auch nicht aus den gleichen Gründen, aber es beschäftigt euch beide. Ihr beide seid für mich gute Freunde und ich möchte nicht, dass ihr wegen dieser Angelegenheit leidet.“

Auf seinem Gesicht arbeitete es, aber es war kein Vergleich zu dem, was sich in seinem Inneren abspielte. Als sei ein Wirbelsturm durch seine Seele gefegt und habe den gerade verheilten Boden wieder aufgerissen, umgepflügt – nichts als Verwirrung und Chaos zurücklassend. Er sah sie an. Er glaubte ihr. Natürlich glaubte er ihr und ebenso natürlich war, dass sie Recht hatte. „Du weißt es wirklich nicht, nicht wahr?“

Sie sah ihn ruhig und ernst an. „Wenn du den Grund für eure Auseinandersetzung meinst, ja.“

Er nickte stumm. „Danke“, sagte er leise. „Gern geschehen.“

Es war nicht nötig, dass sie es aussprachen. Wofür er ihr dankte. Sie hatte ein unvergleichliches Gespür dafür. Sie fragte nicht. Sie wusste es, spürte es, fühlte instinktiv, wenn jemand einen bestimmten Punkt nicht berühren wollte und beließ es dabei. Das schätzte er an ihr. Das liebte er an ihr. Jetzt lächelte sie ein wenig traurig und erhob sich. „Es ist gut für heute, nicht wahr?“

Ja, es war gut für heute. Genug. Genau in diesem Augenblick war es genug. An der Grenze zu dem Punkt, an dem er es nicht nur leid war, sondern es ihm zu viel wurde. Und deshalb ließ sie ihn jetzt allein. Woher nur wusste sie es? Woher konnte sie es wissen? Und warum war sie die Einzige, die diese Grenze niemals überschritt? Allein wenn es zu seinem Besten gewesen wäre hätte sie es getan – das wusste er. Doch niemals aus Ignoranz oder gar simpler Freude an seiner Reaktion. Sie war wahrlich eine Heilige. Er hätte sich in sie verlieben können – gewiss hätte er das und vielleicht war er es auch ein wenig, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Irgendetwas ließ es nicht zu, dass der Gedanke daran sich in seinem Geist manifestierte. Vielleicht war es sein Minderwertigkeitskomplex, vielleicht seine schlechte Erfahrung mit Göttern – oder die Tatsache, dass er, wann immer ihm eine sanfte Schönheit wie Venus begegnete, doch immer nur an IHN dachte. Welche Eigenschaft auch immer er an jemandem schätzen mochte, erinnerte sie ihn doch immer nur an den jungen Liebesgott und war er stets das Maß aller Dinge. Er hasste das. Nicht, dass er es bedauerte sich deshalb nicht einfach auf jemanden einlassen zu können – er war nicht gerade ein Don Juan. Was ihn störte, ihn wirklich und in der jetzigen Situation über alle Maßen störte, war, dass er es einfach nicht loswurde. Das Bild des Knaben, das sich unauslöschlich in seine Seele, seinen Geist und – wie er fürchtete – auch in sein Herz eingebrannt hatte. Er WAR etwas besonderes. Unnötig und ebenso hoffnungslos es zu leugnen. Aber DAS war zu viel. Er hatte einen Platz eingenommen, sich hineingeschlichen, an dem er nichts zu suchen hatte. Noch hatte er ihn nicht verdient und gerade jetzt, da er ihm zürnte, war seine Anwesenheit – seine immer währende Anwesenheit – ihm schier unerträglich. Fort. Nur fort mit ihm. Hinaus. Zurück woher er gekommen war. Er war es leid. Seine Brust schmerzte. Er hörte kaum, wie Venus sich verabschiedete, spürte kaum den Kuss, den sie ihm auf die Stirn hauchte. Fort. Nur fort. Er sollte mit ihm reden? Wozu? Trug er nicht schon schwer genug am Bild dieses lästigen kleinen Quälgeistes? Musste er ihn da auch noch sehen? Ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen? Was sollte dabei herauskommen? Er musste an Allah denken und hätte beinahe aufgelacht. Nein. So wie es sich jetzt anfühlte, würde es nicht bei Nasenbluten bleiben. Er hatte nicht schlecht Lust dazu, den Knaben übers Knie zu legen und ihm gründlich den Hintern zu versohlen. Einfach so. Um diesem verwöhnten Fratz einmal zu zeigen, was Schmerz bedeutete. Es war so erbärmlich. Und wenn er ehrlich war, nur ein wenig unter die Oberfläche dieser niederen Empfindung blickte, lag dort etwas – kaum mehr verborgen wie es schien –, dessen Hässlichkeit ihn schaudern ließ. Er brauchte sie nicht – diese Liebe, die Amors Pfeile versprachen. Er brauchte sie nicht – und er wollte sie nicht. Ausdruckslos starrte er auf die Erde hinab. Innerhalb weniger Stunden würde die Temperatur um beinahe sieben Grad fallen. Mitten am Tag. Sie würden jammern – sollten sie nur. Sie würden klagen – was auch immer ihnen beliebte. Er hatte es satt. Von tiefem Groll erfüllt erhob er sich und verließ seinen angestammten Platz, ohne sich noch einmal umzusehen.

Amor trat von der mit Wasser gefüllten Schale zurück und sofort verschwamm das Bild des Wetterpatrons. Er hätte es wissen müssen. Natürlich hatte Gabriel nur die besten Absichten gehabt, ihm nur dieses seltene und kostbare Schmuckstück zeigen wollen. Und das nicht einmal aus Eitelkeit – der Gott der Christenheit hätte ihn gelyncht –, sondern weil er, berechtigter Weise, angenommen hatte, dass es ihn interessieren würde. Und natürlich – selbst wenn er es anders erhofft oder zu leugnen versucht hätte – stand bereits fest, was ihm der Weltenspiegel, der doch nur zeigte was man zu sehen wünschte, zeigen würde. Und wie so oft hatte ihm die Dreistigkeit den Wetterpatron zu beobachten nichts als Demütigung und Schmerz beschert. Natürlich hatte er gewusst, dass Petrus auch anderen Göttern ein Geschenk mitgebracht hatte und schließlich war seines – daran hatte er sich geklammert und es hatte ihn unsagbar glücklich gemacht – das einzig wirklich persönliche, weil selbst geschaffene. Deshalb war es auch nicht der Grund, zumindest nicht der eigentliche Grund, für den Schmerz in seiner Brust. Es war die Art wie sie miteinander umgingen. Wie sanft er war, wie er auf ihre Nähe, ihre Berührungen reagierte. Er hatte geglaubt dieses Gefühl zu kennen. Spätestens seit er Petrus aus den Fängen des Dionysos befreit hatte. Jetzt wusste er es besser. Wusste, fühlte, dass es kaum mehr als eine Ahnung, ein Vorbote dessen gewesen war, was er jetzt empfand. Kaum Wut, dafür Hilflosigkeit, Verzweiflung. Er konnte ihr nicht böse sein. Sie war eine Freundin und eine wunderbare Frau. Sie hatte sich – auch wenn sie das Gegenteil behauptete – ganz uneigennützig für ihn, für sie beide eingesetzt. Und das war, wie er aus eigener Erfahrung wusste, alles andere als selbstverständlich. Er konnte ihr nicht böse sein! Und doch war es gerade dieses Verständnis, diese sanfte Art, diese unaufgeforderte Einmischung, die sein Herz quälte, ihm Gewalt antat. Aber das wusste sie nicht – konnte sie gar nicht wissen. Sonst hätte sie es niemals getan. Und er? Er hätte sich lieber die Zunge abgebissen als es ihm zu sagen. Sie war seine Mutter und er mochte sie. Das machte es schlimmer, komplizierter. Ihre sanften Worte, die Art wie sie mit ihm umgegangen war. Wie hatte sie es wissen, ja auch nur ahnen können? Wie hatte sie ihn einfach, so ohne weiteres finden können? Den Weg zu seinem Herzen, das er schützte wie eine Auster ihre Perle. Sein Herz, das er nie verriet und doch so oft missachtete, dass man zuweilen das Gefühl hatte, er besäße die Fähigkeit es außerhalb seines Körpers zu drapieren und nach Belieben wieder einzusetzen. Er erweckte nur selten den Eindruck, als berührte ihn irgendetwas. Und schon gar nicht so tief, dass es bis in sein Innerstes vordrang. Wie also hatte sie ihn finden können? Wie lange hatte er gebraucht um ihn zu finden. Um zu erkennen, was für ihn besonders war, ihm nahe ging, ihn bis in die Grundfesten seiner Seele zu erschüttern, sie zu durchdringen vermochte. Seit er ihn kannte hatte er sich Stück für Stück vorgetastet, vortasten müssen, immer mit der Gefahr lebend, dass, was immer er tat, wenn er, über alle Maßen vorsichtig, die Grenzen ausfindig machte, ihn verletzen würde. Es war nicht ausgeblieben. Er hatte ihn verletzt. Nie absichtlich und – wie er glaubte – auch stets nur oberflächlich. Er hoffte es. Und sie? Wann hatte sie geforscht? Woher kannte SIE die Grenzen, wusste wann es genug war, man sich nicht mehr weiter vorwagen durfte? Woher?! Er bedankte sich höflich bei Gabriel und verließ dann das beliebte Einzugs- und Aufenthaltsgebiet der christlichen Götter. Woher wusste sie das? Woher wusste sie nur immer alles? Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und glitt über seine Wange. Das war ungerecht. So viel Mühe hatte er aufwenden müssen, so viel Feingefühl war vonnöten gewesen um wenigstens auf den Stand zu kommen, den sie vor der Sache mit Dionysos gehabt hatten. Sie hatten nicht gestritten. Ach hätten sie es nur! Hätten sie doch ein Mal, nur ein einziges Mal miteinander gestritten! Dann hätten sie wenigstens überhaupt miteinander gesprochen! Sie hätten die Angelegenheit, wenn auch nicht im wörtlichen Sinne, aus der Welt schaffen können. Aber sie hatten nicht gestritten. Sie hatten nicht einmal geredet. Und mit jedem Tag, so schien es, wurde die Distanz zwischen ihnen größer – und mit ihr die Sehnsucht. Sehnsucht nach der verlorenen und mit den Jahren allzu vertraut gewordenen Nähe. Und sie sollte ihn nur sehen und wusste was in ihm vorging? Warum war er nicht so? War er denn so blind? Er sah sie doch auch, fühlte sie doch. Warum nur überschritt er sie dann, diese Grenze? Er wollte es doch gar nicht. Ihn kränken, ihn verletzen, all das wollte er doch gar nicht! Alles was er wollte... Er kappte den Gedanken sofort. Er wollte nicht darüber nachdenken. Vielleicht hatte es ihm früher einmal Stärke verliehen, aber in einer Situation wie dieser, da sie einander ferner schienen als je zuvor, tat es einfach nur weh. Aber er konnte einfach nicht damit aufhören. Er konnte nicht aufhören zu hoffen, konnte nicht aufhören sich nach ihm zu sehnen. Dieses Gefühl war unauslöschlich. Traurig und mutlos schüttelte er den Kopf. Es wäre wieder einmal an der Zeit gewesen, auf die Erde hinabzusteigen und die Menschen mit seiner Anwesenheit zu beehren. Doch Amor verspürte nicht die geringste Lust dazu. Sollten sie doch von allein zueinander finden. Auf seine Unterstützung jedenfalls, würden sie wohl eine Weile verzichten müssen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  kurayamide
2010-01-09T14:00:39+00:00 09.01.2010 15:00
Aww, ich mag deinen Stil so sehr! Es ist immer wieder sehr schön, etwas von dir zu lesen. Auch wenn es für die beiden nicht gerade ideal läuft... (rah, Petrus! Jetzt wissen wir, woher das schlechte Wetter kommt. D:)
WIN: die eingetreuten Kommentare zu gewissen anderen Göttern. Hach, war das gut. *Lachtränen aus den Augen wisch*
Von:  Isfet
2010-01-07T20:23:04+00:00 07.01.2010 21:23
wundervoll geschrieben!
die story gefällt mir auch sehr gut =)
dein stil ist einfach unglaublich !

lg


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