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One litre of Tears

~100 fanfiction challenge~
von

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003. Ends

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Ikeuchi Aya blickte mit müden Augen zu ihrem Nachttisch, auf dem ein kleiner Blumenstrauß in einer Vase prangte. Die Uhr daneben verriet ihr, dass es bald wieder so weit war. Wie auf Kommando öffnete sich in diesem Moment auch schon mit einem leichten Knarren die Zimmertür.

Hätte sie die Kraft gehabt, wäre sie ihm entgegen gerannt.

Sie wäre aufgesprungen, hätte ihn begrüßt. Doch konnte sie es nicht. Schon lange hatte sie einfach nicht mehr die Kraft dazu. Und zum ersten Mal in ihrem Leben bereute sie wirklich etwas: Dass sie sich über all die Zeit, die sie einander schon kannten, nicht früher über ihre Gefühle im Klaren gewesen war. In ihren Augen hatte es anfangs immer nur Kawamoto gegeben. Kawamoto, ihr Senpai, derjenige, der ihr Motivation gab, der sie zu ihrer ersten Verabredung einlud... und von dem sie dann, nach dem Unfall während des Sommerfestes, bei der zweiten Verabredung versetzt worden war. Dies alles war nun mehr als neun Jahre her und sie hatte seit ihrer Schulzeit nichts mehr von ihm gehört. „Hey“, wurde Aya begrüßt und schon sah sie in das lächelnde Gesicht Asou-kuns, „Tut mir leid, das ich nicht früher kommen konnte.“

Aya lächelte oder versuchte es zumindest so gut wie möglich. Inzwischen hatten auch ihre Gesichtsmuskeln an Straffheit verloren und es fiel ihr schwer, die Mundwinkel zu heben. Das fröhliche und starke Lächeln des Mädchens, welches sie einmal war, würde sie nie wieder lächeln können.

Gleichzeitig bemerkte Aya aber ein weiteres Mal, dass sich ebenso der ehemalige wortkarge Junge, den sie einst kannte, verändert hatte. Seine Gesichtszüge waren markanter, er wirkte erwachsener und war zu einem jungen Mann gereift. Zehn Jahre waren inzwischen seit der Diagnose ihrer Krankheit vergangen. Zehn lange Jahre, die ihr aber dennoch wie ein Katzensprung vorkamen. In dieser im Leben eines Menschen doch eigentlich so kurzen Zeit hatten die ihr gegebenen Möglichkeiten immer weiter abgenommen. Erst verlor sie die Fähigkeit normal laufen und rennen zu können, dann die Kontrolle über ihre Hände, und schließlich, was bedeutend länger brauchte, aber schließlich doch jegliche Hoffnung zu nehmen schien, der Verlust ihres Sprachvermögens. So sehr sich Aya auch bemühte, kamen doch keine Worte, geschweige denn überhaupt ein Ton aus ihrer Kehle hervor. Der Schock, als sie eines Morgens aufwachte und erkannte, dass sie nicht einmal die simpelsten Silben sprechen konnte, war groß – Erneut schien ihre Welt zusammenzubrechen. Allerdings konnte Aya dies nicht allzu sehr erschüttern. Zu viel hatte sie bereits einbüßen müssen, als dass sie die Tatsache, von nun an vollkommen auf die Silbentafel vertrauen zu müssen, in die Tiefe fallen ließ.

Zehn lange Jahre... Trotz sämtlicher Schmerzen und Leiden waren es auch zehn lange Jahre, in der er ihr zur Seite gestanden hatte.

„Schon okay“, tippte sie auf seine Entschuldigung hin mit zittrigem Finger die Hiraganazeichen der Zeigetafel an.

Ja, schon okay... Sie hatte gelernt so zu leben, wie sie jetzt leben musste.

„Auf der Station herrschte Hochbetrieb und Kindergeburtstag. Hast du die Clowns gesehen?“

Wieder erhielt er von Aya ein versuchtes verschmitztes Lächeln als Reaktion: „Lügner.“

Sich nun zu ihr setzend, behielt Asou einen Augenblick lang seine Augen auf die ihre gerichtet,

Es waren immer noch die gleichen großen Augen, die ihn anstrahlten, wenn er zu Besuch kam.

Selbst, wenn sich ihr Zustand stetig verschlechterte und der Kampf von Tag zu Tag härter wurde, würde sie immer noch die Ikeuchi Aya bleiben, die sie einst war.

„Du weißt, was morgen für ein Tag ist, oder?“

Seine Aufmerksamkeit nun wieder gesamt Aya geltend machend, senkte Asou kurz die Lider.

Aya nickte schwach. Sicher wusste sie dies... Morgen war der neunte März – der Tag der Schulabgänger.

Es fiel Aya schwer, sich an damals zu erinnern. Higashikou hatte sie noch im ersten Jahr hinter sich lassen müssen, ihren Abschluss an einer Sonderschule gemacht. Ihre gesamte Schulzeit kam ihr immer mehr wie ein Traum vor. Manchmal musste sie stark nachdenken, ob das, was sie erlebt hatte nicht doch nur einer ihrer vielen Wünsche war. Allerdings träumte Aya seit langem nicht mehr davon, dass sie wie jeder andere rennen konnte, dass sie studierte oder dass sie ihr High School Dasein an der Higashikou verbracht hatte. Seit ihr die Realität bewusst geworden ist und sie mit dem lebte, was sie hatte, hatten auch solche Wunschträume aufgehört.

„Ich würde dich morgen gerne einmal von hier wegbringen.“

Aus den Augen des Mädchens sprach Verwunderung. „Ich habe auch schon mit Mizuno-sensei geredet. Er hat mir sein Einverständnis gegeben. Denkst du, du schaffst das?“

Wieder nickte Aya. Asou-kun wollte sie tatsächlich noch einmal zu ihrer alten Schule führen, die Erinnerungen zurückkehren lassen, welche zu verblassen drohten. „Gut.“

Asou warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. Leicht seufzend erhob er sich von seinem Stuhl und bemerkte dabei Ayas enttäuschten Blick, versuchte diesen allerdings mit einem ehrlichen Lächeln zu mildern.

Die Tafel an ihren Beistelltisch gelehnt, tippte sie Zeichen für Zeichen an. Für Aya hätte es gar nicht schnell genug gehen können, doch sorgte die vermehrte Anstrengung nur für weiteren Verdruss und sie brauchte noch länger als sonst, um ihre Nachricht an ihn weiterzugeben.

„Geh nicht.“

Asous Lächeln verschwand für eine Sekunde, bevor er es wieder aufsetzte. Eher gezwungen, als gewollt.

„Ich muss. Ich habe morgen Vormittag mündliche Prüfung.“ Denn in wenigen Wochen wäre auch sein Medizinstudium fürs Erste endlich beendet. Und nach all der Zeit konnte er dieses nun in der entscheidenden Phase nicht schleifen lassen, wo er deswegen bereits so viel Zeit mit Aya hatte zurückstecken müssen.

Aya noch einmal richtig zudeckend, beugte er sich zu ihr runter und hauchte ihr nach kurzem Zögern einen sanften Kuss auf die Stirn. „Schlaf gut.“

Er wusste, dass sie ihm nachsehen würde.

Er wusste, dass sie nicht so ruhig schlafen könne, wie sie wollte.

… War dies wirklich noch Aya? Seine Aya?

Es trieb ihm Tränen in die Augen, wenn er an früher dachte, an die Zeit, in der sie noch so lächeln konnte wie er...

Und mit jedem weiteren Tag, dass wusste er, beugte sich ihr Leben mehr dem Ende entgegen, bis er sie schließlich vollends loslassen musste.

Ja, Menschen waren gierig und egoistisch.

Sie konnten nicht loslassen.

Er konnte es nicht.



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