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Lost

Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle
von

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Der Regen hatte sie unter das dichte Blätterdach des Urwalds getrieben. Obwohl das Wasser warm war und die Luft nichts an ihrer Schwüle verloren, sondern vielmehr dazu gewonnen hatte, zitterte sie heftig. Ihre Kleidung klebte an ihr, wie eine zweite Haut.

Sie befand sich an der Stelle, an der zuvor ein ganzer Pulk fremder Leute gestanden und sich von einem Moment auf den anderen in Luft aufgelöst hatte. Die seltsamen Geschehnisse mussten etwas mit dem Leuchten und Pfeifen zu tun haben. Oder mit ihrem Geisteszustand. Vielleicht hockte sie auch nicht hier im Regenschatten der Baumriesen und wartete darauf dass der Monsun nachließ, sondern lag ohnmächtig neben dem qualmenden Wrack der Kapsel und würde in den nächsten Minuten an einer Rauchvergiftung sterben. Wenn dies also ihr letzter Traum war, wäre es auf jeden Fall besser sie würde schnell verrecken. Langsam machten ihr die Dinge, die sie sah, hörte und fühlte, eine Heidenangst.

Ihre jungfräuliche Idee, es seien Halluzinationen, musste sie schnell verwerfen. Die Vorgänge waren viel zu komplex, um ihrer Fantasie zu entspringen und glichen keiner Situation, die sie früher einmal erlebt hatte, also stammten sie auch nicht aus einer ihrer Erinnerungen. Sie hatte keinen dieser Leute jemals gesehen. Nur bei diesem Mann hatte sie etwas Seltsames in ihrem

Inneren gespürt, so wie wenn man dieses Kribbeln in der Nase verspürt und denkt man müsste niesen, aber dann verschwindet dieser Reiz abrupt und das Einzige, was bleibt, ist ein ungutes Gefühl. Natürlich musste sie davon ausgehen, dass es zu unwahrscheinlich war, dass sie ihn irgendwann getroffen hatte, aber noch unwahrscheinlicher, dass sie sich daran erinnern würde. Aber war er derjenige gewesen, den die weibliche Erscheinung im Dschungel meinte, als sie zu Susanna sagte, es warte jemand auf sie? Er wirkte nicht so, als würde er sie kennen.
 

Es blieb dabei, dass niemand von denen wieder auftauchte. Aus Panik, sie würde keine Erklärung dafür finden, verdrängte sie die Gedanken und versuchte, da sich kein größerer Erfolg einstellte, einen neuen Plan zu machen.

Ihre Müdigkeit war dank des Adrenalins verflogen, ihr Hunger war noch nicht so stark, dass sie sich Sorgen machen müsste, aber das Verlangen nach trinkbarem Wasser war nur noch gewachsen. Ihr Mund war trocken wie ein Wüstenfels, die Zunge klebte abwechselnd am Gaumen und an den Zähnen. Susanna hatte viel geschwitzt, zu viel Flüssigkeit verloren. Der Regen kühlte die Temperaturen nur bedingt ab und wenn die schweren Regenwolken weiter ziehen würden, würde die Sonne alle Luft wieder in stickigen, schweren Nebel verwandeln.

Sie öffnete ihren Mund und hob ihren Kopf gen Himmel, um ein wenig von dem Süßwasser trinken zu können, welches permanent aus dem dunklen Firmament regnete. Dann ging sie dazu über die kleinen Pfützen zu schlürfen, die sich in den Ausbuchtungen wachsartiger Blätter angesammelt hatten. Es reichte, um sie wieder auf die Beine zu bringen, aber sie wollte mehr. Mit jedem Schritt, den sie weiter zurück in den Wald ging, nahmen auch die widerwärtigen Zirpgeräusche der Grillen zu. Ihre Lippen kräuselten sich in wütender Resignation. Was konnte sie schon gegen die unbarmherzige Wildheit des tropischen Urwalds tun? Dort war es selbst nachts lauter, als in jeder Großstadt.

Susanna hatte Metropolen wie London oder New York immer gehasst, allerdings ließ sich, durch die Hektik und die vielen Menschen, die Vergangenheit leichter verdrängen. Und das war ihr in den meisten Momenten wichtiger gewesen, als ihre geliebte Ruhe vor der Welt, nach der sie sich manchmal noch sehnte. Irgendwann, hatte sie sich geschworen, würde sie in ein Häuschen im Nirgendwo ziehen. Mindestens drei Kilometer entfernt von den nächsten Nachbarn, würde sie dort den Rest ihres Lebens verbringen. Ob mit einem Mann oder mit dreißig Katzen, das war ihr vorerst egal.

Ein gut zwei Meter hoher Wedel eines Farngewächses streifte ihr Gesicht und hinterließ Schlieren aus Erde und Wasser auf ihrer Wange. Wie sie wohl aussah? Wahrscheinlich war sie nur noch eine einzige Ansammlung von Dreck, Schürfwunden und Blutergüssen. Ein Blick auf ihre übel zugerichteten Handflächen genügte, um ihre Theorie fürs Erste zu bestätigen. Ihre Fingerkuppen und die Haut unter den Fingernägeln waren schwarz vom nassen Torf, rot von ihrem eigenen Blut und der lehmigen Dschungelerde, grün vom Moos der Baumstämme und rau vom feinen Sand des Strandes. Ihre Handflächen waren aufgeschürft und geschwollen. Susanna Hayden sah schnell wieder weg, als das Brennen und Stechen des Schmerzes verspätet einsetzte. Was für Scheiße wohl die ganze Zeit über in offenen Wunden gelangt war?

Unangenehme Gedanken an mögliche Infektionen und die daraus wachsende Wahrscheinlichkeit eines fiebrigen Todes begleiteten sie die nächsten drei Kilometer durch den Urwald. Ihr war auch aufgefallen, dass sie keine Ahnung mehr hatte wohin sie ging. Sie lief parallel zum Strand, sodass sie durch die Bäume hindurch immer noch den schwachen Glanz der Wellen auf dem Pazifik sehen konnte und hoffte im Unterholz auf eine größere Pfütze oder einen Bach zu stoßen.

Ihre Hoffnungen wuchsen als sie ein leises Plätschern, nicht weit von ihrem Standpunkt entfernt, vernahm. In ihren Gedanken formte sich das Bild kühlen Wassers, welches geschmeidig über helle Kieselsteine floss und die Gräser am Rand des Gewässers erzittern lies. Fast wahnsinnig durch den Drang, den diese Assoziation in ihr auslöste, zwängte Susanna sich durch das Gestrüpp. Sie musste etwas trinken und ihre Wunden notdürftig reinigen und vielleicht ihr Gesicht von der dicken Kruste rein waschen. Schwer atmend und mit einer gefährlichen Mischung aus Vorfreude und purer Gier im Leib, brach sie durch die dünnen Äste eines Strauchs, stolperte noch zwei Schritte auf die kleine Waldlichtung und erstarrte dann.

Das Wasser war da. Genau vor ihr, gefüllt in eine Reihe von Gefäßen und Auffangbecken aus blauen Müllsäcken. Daneben zahlreiche Plastikflaschen und Lebensmittelkartons. Müsli, Saft, Mayonnaise, Instandkaffee, akkurat aufgereiht in einem dürftig zusammen gezimmerten Holzregal. Rote und grüne Früchte stapelten sich in geflechteten Weidenkörben und auf einer langen Holzplatte, die als Tisch und Arbeitsfläche diente, lagen Kokosnüsse, einige noch in ihrer grünen Außenhülle.

All das nahm Susanna nur aus den Augenwinkeln in sich auf. Ihre volle Aufmerksamkeit ruhte auf dem großen Auffangbecken mit der Folie. Die Wasseroberfläche kräuselte sich leicht, als die letzten Tropfen von den Fingerspitzen der alten, schwarzen Frau rannen, die bis vor einigen Sekunden noch ihre Hände in dem kühlen Nass gewaschen hatte und nun fassungslos ihr Gegenüber anstarrte.

Susanna atmete flacher und bewegte sich keinen Zentimeter. Ihr wurde wieder schwindelig.

Die Lippen der schwarzen Frau zitterten und ihre Augen waren weit aufgerissen.
 

Als Susanna an der Stelle, wo sie stand aus Anstrengung und Überreizung bewusstlos zusammenbrach, war das Letzte, was sie hören und sehen konnte, wie sich die Alte kurz von ihr wegdrehte, um in die entgegen gesetzte Richtung nach jemanden zu rufen, der Bernard hieß.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Vanilla_Coffee
2011-01-07T19:27:45+00:00 07.01.2011 20:27
O_O Die haben Sue da echt einfach so stehen gelassen?
Öhm joa die waren ja aber nett....
*mal lieber weiterlesen geht*

LG Amalia
Von:  Chosei
2009-07-20T18:10:10+00:00 20.07.2009 20:10
yaaaay~
Rose und Bernard kommen vor, yaaaay~ :D
*findet die beiden extrem tollig*
*hüstel*
ok...ähm. maaan, ich hab mir Sus schmutzige hände bildlich vorgestellt....ich hasse schmutz unter den fingernägeln....xD
und ich habe totalen durst bekommen, als Su sich den plätscherden kleinen fluss vorgestellt hat....ich bekomme schnell durst...*suffkuh*
sou...ich muss weiter lesen. xD


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