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Waterheart (adult)

von

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Das Portal des Grauens

Unschuldig - eine Tür wie diese sah in Momenten wie diesen immer unschuldig aus.

Aber wie hätte sie auch anders aussehen können? Sollte sie sich plötzlich in ein Tor zur Hölle verwandeln, dämonisch in seiner teilnahmslosen Einfachheit; oder in ein schweres Eichenportal zu einer Festung, die nie jemand eingenommen hatte?

Nein, die Wirkung einer Tür beruhte nicht unbedingt auf ihrer physischen Beschaffenheit. Die bekam sie erst, wenn es daran ging, zu klopfen, die Türklinke herunter zu drücken und den Weg frei zu machen zu dem, was dahinter lauerte. Erst, wenn die Tür aufhörte, ein Hindernis oder Schutz zu sein, wurde man sich ihrer wahren Bedeutung bewusst.

Dann wünschte man sie wieder in ihre ursprüngliche Position zurück.

Will ging es im Augenblick genauso.

Vorhin, in ihrem Kopf, hatte sich der Plan so gut angehört, aber nun, da sie ihn in die Tat umsetzen wollte, da sie vor der Tür stand, die sie von Irma trennte, erschien er ihr auf einmal unmöglich in der Durchführung.

Es fühlte sich an wie gestern Nachmittag in der Eisdiele: das gleiche hohle Gefühl im Bauch, dieselbe unheimliche Leere, in der tonnenschwere Gedanken wie Schmetterlinge herumflatterten. Und der scheußliche Verdacht, dass sie ganz bewusst eine falsche Entscheidung getroffen hatte…

Es wurde Zeit, dass sie das ein für alle Mal los wurde!

Sie schaute noch einmal den Gang hinunter, in Richtung der Schlafzimmer. Hinter irgendeiner dieser Türen musste Christopher lauern.

Hoffentlich tat er auch genau das, was sie ihm aufgetragen hatte! Bei kleinen Jungen konnte man nie wissen, wann sie ihren eigenen Kopf bekamen; diese Erfahrung hatte Will über zahlreiche Babysitterabende hinweg sammeln müssen.

Sie ließ einen leisen Pfiff los, und sofort folgte ein trockenes Bellen als Antwort.

Der Junge war also bereit!

Vorsichtig legte Will das Ohr an die Badezimmertür und schirmte das andere mit der Handfläche ab.

Sie hörte nichts weiter als das harte Prasseln des Duschwassers, aber das brauchte noch nichts bedeuten.

Möglicherweise war Irma wieder dabei, die Wassertropfen zu beobachten. Wie sie gegen den Duschvorhang donnerten und dann in dünnen Rinnsalen daran herabflossen. Für sie war das ein unbeschreiblicher Genuss. Wie sie sich ihren Weg suchten über alle Unebenheiten. Wie sie vorwärts krochen, manchmal inne hielten und sich sammelten, um dann in einer dickeren Spur weiter zu ziehen.

Und das Alles tat Irma, während sie nackt in der Dusche stand und das Wasser über ihren Körper floß!

Will schluckte heftig bei diesem Gedanken und verabscheute sich im nächsten Moment schon wieder dafür. Sie versuchte sich einzureden, dass das auf keinen Fall die Wahrheit war, aber wo ihr Verstand sich damit einverstanden erklärte, stritten ihre Gefühle es vehement ab.

Es musste sein! Sie konnte es nicht länger hinauszögern!

Schweren Herzens hob sie den Arm, drehte die geschlossene Hand ihrem Gesicht zu und ließ sie dann mehrmals gegen das Holz der Tür krachen, wobei ihr jeder Ton unnatürlich laut vorkam.

Niemand antwortete darauf.

Sie biss sich schuldbewusst auf die Lippen… dann versuchte sie es erneut.

Wieder kam nichts, mal abgesehen von einem plätschernden Quietschen, als etwas Nasses über das Porzellan des Duschbeckens geschleift wurde.

Sie klopfte ein drittes Mal, und erneut hörte man nichts anderes als das Rieseln des Duschstrahls.

‚Das ist doch zum Verrücktwerden!’ fluchte Will innerlich.

Sie war versucht, ein viertes Mal zu klopfen, aber weder ihr Zorn noch ihre Angst ließen das zu. Also rief sie (mit möglichst lauter Stimme, um gegen den Duschlärm anzukämpfen): „Irma! Könntest du mich bitte kurz reinlassen?“

Schon wieder keine Antwort!

Will verlor langsam die Geduld. War sie diesem Mädchen vielleicht nicht laut genug?

Sie presste noch einmal ihr Ohr gegen das Holz, während sie das Gegenstück schalldicht zuhielt.

War da nicht irgendein Geräusch zu hören - ein Ton von Irmas Stimme? War das womöglich ein…

‚Nein! Denk es nicht!’ befahl Will sich selbst, doch das nutzte natürlich rein gar nichts, weil man etwas nicht ‚nicht’ denken kann, ohne es vorher gedacht zu haben.

Leider gab das Wills Nervosität nur den letzten Rest, und sie schleuderte ihre Stirn wutentbrannt gegen das Türblatt.

Da endlich regte sich Irmas Stimme sanfte Stimme hinter der Tür mit folgender Frage:

“Verdammt noch mal, Will, bist du übergeschnappt? Du kannst doch nicht einfach unsere Tür…“

“Dein Bruder,“ unterbrach sie Will in scharfem, klaren Ton. „Er braucht seine Baseballkappe, und zwar wirklich dringend, so wie es aussieht!“

Irma stöhnte so laut, dass es selbst das permanente Prasseln der Brause übertönte. „Ich hab’s ihm vorhin schon einmal gesagt: ICH - BIN - UNT - ER - DER - DU - SCHE! Er kann sie holen, wenn ich fertig bin – und nicht früher!! Sonst noch was?“

’Oh ja,’ dachte Will, ‚sonst noch was…’

„Was ist, wenn ich sie hole?“

Schweigen folgte. Ob Irma das Angebot überdachte oder ignorierte, war nicht auszumachen.

Nichtsdestotrotz fuhr Will fort zu reden, denn nachdem sie einmal bemerkt hatte, wie sich der Gefühlsknoten in ihrem Magen löste, wollte sie ihn nun endgültig entwirren. „Du weißt ja, bei mir würde es ganz schnell gehen,“ erklärte sie zittrig, „und du bräuchtest dir keine Sorgen um deine Intimsphäre zu machen.“

Irmas Erwiderung kam nur zögernd, als wolle sie sicher gehen, dass alles mit rechten Dingen zuging. „Wenn es das ist, was ich denke, das es ist,“ presste sie halb flüsternd hervor, „dann hast du leider über Nacht ’nen Vollschuss gekriegt!“

Zu ihrem eigenen Erstaunen fing Will plötzlich an, zu lachen. Es war ihr mit einem Mal ganz egal, ob Chris vielleicht zuhörte. Doch gleich darauf beherrschte sie sich wieder, und bemühte sich, ihre Lachfalten in eine möglichst unschuldige, freundliche Miene zu verwandeln (Miss Kelly, ihre Schauspiellehrerin, hatte einmal erwähnt, dass die Mimik auch den Klang der Stimme beeinflusste).

„Nein, so kompliziert brauchen wir’s doch gar nicht zu machen! Du schließt mir einfach die Tür auf, ich lasse dir ein wenig Zeit, dich zu verstecken, dann hole ich die Mütze und alle sind zufrieden!“

Erst, als der Klang der Worte verflogen war, als ihre Mundwinkel den Sprechvorgang beendet hatten und wieder herab sanken, erkannte Will, wie schnell ihr Herz inzwischen schlug. Es war schlimmer geworden, als sie befürchtet hatte. In ihrem Brustkorb rumorte es mittlerweile wie in einem aufgestörten Wespennest.

Wieso hatte sie es nicht einfach bleiben lassen? Mit der heutigen Nacht waren doch alle Zweifel beseitigt, warum also sollte sie noch Fragen stellen? Diese ganze elende Farce konnte längst zu Ende sein!

Aber leider war diese Farce zugleich ein Rätsel…und Rätseln hatte sie noch nie widerstehen können.

Doch da hörte Will es bereits – nasse Füße patschten auf einen Badezimmerläufer, ein dickes Handtuch wurde vom Halter gerissen, und wenige Sekunden später knackte es im Türschloss.

Irmas Gesicht erschien in der Spalte und spähte zaghaft hinaus, ob sich nicht neben, hinter oder unter Will ihr kleiner Bruder verbergen mochte. Erst nach ausgiebiger Erkundigung dieserseits schob sich auch der Rest von ihr hinter dem Türblatt hervor.

Will war überrascht, wie sehr sie auf einmal dem Mädchen aus ihrem Traum ähnelte: ihr braunes Lockenhaar war nass und fiel ihr in strähnigen, glatten Wellen über den Hals und die Schultern; nur ihre typischen Stirnlocken hingen noch vor ihrem Gesicht in die Luft und ließen ab und an einen einzelnen Wassertropfen auf den Boden fallen. Dort, wo drei Zentimeter ihres eng an den Körper gezogenen Bademantels offen standen, konnte man ein weißes Handtuch sehen, dass sie wie eine Toga um den Torso geschlungen hatte. Selbst ihre Beine schienen in den Tiefen dieses Mantels zu verschwinden.

„Du tust das auf eigene Verantwortung, klar?“ fragte sie misstrauisch.

Will nickte eifrig.

„Okay, komm rein!“

Damit trat sie ein paar Schritte zurück und gab den Weg frei.

Will presste die Anziehsachen in ihren Händen besonders fest an die Brust, atmete tief durch und trat ein.
 

Im Badezimmer stand die Luft. Eine entsetzliche Schwüle erfüllte das ganze Zimmer bis unter die Decke und setzte sich in glitzernden Tropfen auf dem Glas des neuen Duschbeckens ab, das Irmas Eltern erst Monate zuvor hatten einbauen lassen. Rechts neben der Dusche standen die halb gefüllte Waschmaschine und ein voll gestopfter Wäschekorb.

Irma, sichtlich unzufrieden mit der Situation, setzte sich auf den Rand der Badewanne, die in einer Nische hinter der Tür platziert war, und schlug die Beine übereinander. Dabei warf sie einen schnellen Blick zurück zur Türe, als könne ihr Bruder doch noch hindurchschlüpfen.

So bemerkte sie zuerst nicht, dass Will ihre Beine anstarrte.

„Beeil dich aber bitte!“ sagte Irma nebenher. „Wenn du auch noch unter die Dusche springen willst, bevor meine Eltern abreisen, hast du sonst nicht mehr viel Zeit dazu.“

„J-ja… klar…“

Wills Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. Wieso hatte sie nur nie bemerkt, wie kräftig und glatt Irmas Schenkel waren? Und da, in der Dunkelheit unter ihrem Bademantel… war das…?

Das genaue Gegenteil passierte: der Sabber, der ihr eben noch fehlte, sammelte sich plötzlich in der Mundhöhle.

Doch dann wurde der Blick auf Irmas Schoß abrupt unterbrochen, als diese die Beine über Kreuz schlug und ihre Freundin ungewöhnlich scharf anschaute.

Beides ärgerte Will, und so streckte sie Irma demonstrativ das Kinn entgegen.

Was diese natürlich sofort als Provokation auffasste.

„Lass mich raten,“ knurrte sie, „diese kleine Pestbeule hat nicht gesagt, wo die Mütze überhaupt liegen soll?“

„Nein, hat er nicht,“ antwortete Will und packte ihren verschwitzten Schlafanzug schnell auf den Haufen, der über dem Wäschekorb thronte. „Ich hatte eigentlich gehofft, dass du mir das sagen könntest.“

Irma verdrehte die Augen. „Ist das nicht entzückend? Sie fragt mich, ob ich was weiß! Was für ein Freudenfest! Dann sag’ ich’s dir am besten gleich auf die direkte Tour: ganz – bestimmt – nicht - hier!“

„Bist du dir sicher?“ hakte Will nach.

Ja, ich bin mir sicher!“ gab Irma genervt zurück. „Nach über einer halben Stunde hier drin kann ich mir tatsächlich sicher sein.“

„Aber Chris sagt, er hätte das Bad mit der Baseballmütze betreten und später ohne sie wieder verlassen. Also muss sie hier sein!“

„Quod erat demonstrandum!“ entgegnete Irma zynisch (dt. „Was zu beweisen war“). „Und nun, da wir das geklärt haben – mach dich vom Acker!“

„Ich deute nur an -“

„-dass ich eine große, böse Schwester bin, die ihren kleinen Bruder aus reinem Spaß an der Freude quält, klar!“ Irmas Stimme wurde lauter und erboster als sie es Will gegenüber je geworden war. „Noch so ein Ergebnis deiner überragenden Vorstellungskraft!“

„Ich deute nur an, dass du sie vielleicht übersehen hast!“ erwiderte Will, bereits auf halbem Wege zur Verzweiflung. „Sie ist weiß und orange mit einem blaugrünen Schirm.“

„Überraschung! Ich hab hier weder eine weiß-orange noch eine gelb-grüne oder eine lila-grüne gesehen, stell dir vor!“

„Das ist kein Grund, mich anzuschreien! Ich versuche nur, zu helfen!“

Mit einem Satz war Irma auf den Beinen. Erst in dieser Haltung erkannte Will richtig, wie muskulös sie eigentlich war, und obwohl sie immer noch wundervoll weiblich wirkte, überkam Will plötzlich die Vorstellung, wie ihr ein Schnurrbart unter der Nase wuchs.

„Am meisten hilfst du uns allen, wenn du einfach raus gehst!“ donnerte Irma. „Falls du’s noch nicht gemerkt hast, ich habe heute Morgen verdammt schlechte Laune!“ Und damit knallte sie ihre Faust gegen das Duschglas.

Ein leichtes Zittern durchlief die gesamte Duschkabine bis zu ihrem obersten Rand, die gespannte Atmosphäre zwischen den Mädchen quasi noch unterstreichend. Doch dann schwang das Wummern jäh um, und ein kurzes Schleifen trat an seine Stelle, das schließlich in einem satten Plantschen endete.

Zwei Köpfe fuhren gleichzeitig herum und schauten voller Sorge ins Duschbecken.

Irma kam nicht mal dazu, vor Schreck zu keuchen, da Will bereits im nächsten Augenblick die unausweichliche Frage stellte: „Wie zum Teufel ist die da hinauf gekommen?“
 

Es dauerte eine Weile, bis Irmas Körper genügend Farbe in ihre Wangen gepumpt hatte - dann aber wurden sie feuerrot. „K-kann sein, dass ich sie vorhin… so ganz aus Versehen… dort oben… drauf-gelegt-habe.“

Trotz des plötzlichen Schocks musste Will lächeln. Dafür, dass sie eben noch so herrisch und streng gewesen war, erschien ihre temperamentvolle Freundin jetzt herzzerreißend kleinlaut.

Sie beugte sich hinab und fischte die triefende Baseballmütze aus ihrem nassen Grab. „Das ist nicht weiter schlimm!“ meinte sie nach einer kurzen Begutachtung. „Wenn du deine Kräfte benutzt, dürfte sie im Handumdrehen wieder trocken sein!“ Sie hielt Irma das nasse Objekt unter die Nase, die zunächst noch zögerte, es dann aber mit abgespreizten Fingerkuppen entgegennahm, während sie ihre andere Hand schützend darunter hielt, um das Tropfwasser aufzufangen. Dabei glitten ihre Augen immer wieder zu Will zurück, die weiterhin schüchtern lächelte.

Will spürte, wie die frischgebackene Distanz zwischen ihnen wieder zerbröselte, Blick um Blick, Zwinkern um Zwinkern, und wie sich stattdessen ein neues Band der Dankbarkeit und des Verzeihens entrollte.

Vielleicht wäre in jenem Augenblick alles anders geworden… hätte nicht ohne Vorwarnung Chris die Tür aufgerissen und die tropfnasse Baseballmütze in Irmas Hand zu sehen bekommen.
 

Bei dieser Gelegenheit fiel Irma ein, dass sie Chris, obwohl er doch ihr Bruder war, niemals aufrichtig wütend oder traurig erlebt hatte. Er hatte vielleicht manches Mal den Bogen der normalen Geschwisterrivalitäten überspannt, und er trug den Spitznamen ‚Monster’ gewiss nicht unverdient, aber da Irma ihre Große-Schwester-Rolle (von ihr selbst ‚Löwenbändigen’ genannt) ziemlich ernst nahm und sich immer wieder mit ihm versöhnte, war es bisher nie zu einem langfristigen Streit zwischen ihnen gekommen.

Um ehrlich zu sein, wollte sie so etwas bei einem hyperaktiven Nervenbündel wie Chris auch gar nicht riskieren.

Aber wie man so schön sagt: es gibt für alles ein erstes Mal.
 

Als Chris seine Baseballmütze in diesem Zustand sah, so schlapp und nass an Irmas Fingern hängend, verzerrte sich sein Gesicht zu einer grauenhaften Fratze, in der Traurigkeit und aufrechtes Entsetzen ein sagenhaftes Duett eingingen.

Im nächsten Augenblick schon verfiel er in ein bedauernswertes Jammern, vermischt mit gemurmelten Flüchen und Tränen, die er gar nicht erst zu verdecken suchte. Währenddessen sauste er auf seine Kappe zu, entriss sie Irmas Griff und bettete sie in seinen Händen, wie andere einen toten Vogel.

Doch urplötzlich - und gleichzeitig ganz allmählich - gingen seine leisen Flüche in lautes, verstocktes Geplärre über. Laut die Nase hochziehend beschimpfte er seine Schwester als ‚elende Schlampe’, als ‚dummes Hurenkind’ und mit anderen Ausdrücken, die ihm in Gegenwart seiner Mutter niemals über die Lippen gekommen wären. Hatte er noch einen Sekundenbruchteil vorher die Mütze gehalten, so hieb er im nächsten mit der Faust auf Irmas Unterarm ein, einzeln und mit brutaler Gewalt, so gut es ihm seine kurzen Arme erlaubten.

Will versuchte, ihre Freundin aus der Gefahrenzone zu schieben, doch auch sie galt nun als Verräterin und musste Schläge einstecken. Wie ein mittelalterlicher Morgenstern klatschte die Schirmkante auf ihre nackten Oberschenkel nieder und hinterließ ein lang anhaltendes Brennen darauf.

Er hämmerte so brutal auf Will ein, dass sie nach hinten austrat, gegen die Wanne stieß und rücklings hineinfiel. In ihrer Angst zog sie Irma mit sich, was jedoch nicht verhindern konnte, dass ihre Wirbel mit voller Kraft auf das Porzellan krachten.

Ein scharfer Schmerz jagte durch Wills Rücken. Beinahe war ihr, als würde sie das Bewusstsein verlieren, denn alles um sie herum begann zu verschwimmen.

Sie hörte nur noch eine Tür, die zugeschleudert wurde, und einen Schlüssel, der sich im Schloss drehte.

Will schoss das Blut literweise in den Kopf, als sie registrierte, was passiert war.

Sie war mit Irma alleine…
 


 

Die Schmerzen ihres unfreiwilligen Sturzes jagten noch immer durch die Knochen der beiden Mädchen, obwohl Irma – gut gepolstert unter zwei Schichten Badefrottee – sicher nicht halb so starke Schmerzen hatte wie Will, die auf das blanke Hinterteil gefallen war.

Als sie probeweise das Rückgrat durchstreckte, wurde das nur allzu deutlich. Ein gequälter Schrei entfuhr ihren Lippen, und die Handgelenke, mit denen sie sich abgestützt hatte, knickten um wie Streichhölzer

„Will!“ fragte Irma erschrocken. „Tut es… sehr weh?“

„Ja,“ erwiderte ihre Freundin gekränkt und schniefte. Irma bemerkte dünne Tränen in ihren Augenwinkeln, und eine Welle von Mitleid erfüllte sie, was sie nach Zorn und Gewalt der letzten Minuten wahrhaftig begrüßte. Nie wieder, so schwor sie sich, würde sie Will derart anschreien.

„Lass dir Zeit,“ sagte sie laut. „Wir versuchen’s noch einmal, wenn die Schmerzen etwas abgeklungen sind.“

„O-okay,“ antwortete ihre Freundin und zog die dünnen Arme um ihre Knie, die über den Rand der Wanne hinwegragten. Währenddessen versuchte Irma, das Brennen auf ihrem rechten Oberschenkel durch Reiben abzumildern. Sie überlegte angestrengt, auf welche Weise sie Will sonst noch trösten konnte, aber alles, was ihr einfiel, hatte in irgendeiner Art mit ‚Anfassen’ zu tun.

Sie getraute sich nicht einmal, ihr einen nassen Waschlappen anzubieten – so sehr fürchtete sie sich allein vor dem Anblick von Wills Körper.

„G-geht es schon wieder?“ fragte sie nach einer Weile, bemerkte aber gleichzeitig, dass ihre Freundin wirklich angefangen hatte zu weinen. „Was ist denn?“

„Nichts!“ antwortete Will schniefend. „Ich hatte mir das nur ganz anders vorgestellt – das ist alles!“

„Was denn?“

„Na - das alles hier,“ rief Will aufgebracht. „Ich bin hergekommen, um mich mit dir zu versöhnen… und schau, was am Ende dabei herausgekommen ist. So viel zu meinen angeblichen Führungsqualitäten!“

„Aber das war doch nicht deine Schuld,“ versicherte Irma hastig.

„Doch, das war es!“ entgegnete Will verärgert. „Wenn ich dich gestern Abend bei deiner Rückkehr nicht so heruntergemacht hätte, wärst du heute nicht so sauer gewesen und wir hätten gemeinsam nach der Mütze suchen können! Dann hätte Chris uns nicht geprügelt und alle wären glücklich!“

Irma lachte trocken. „Schon vergessen, Will? Du warst es, die wegen mir sauer war, ich hatte überhaupt keinen Grund, mich zu beschweren. Du warst im Recht, ich im Unrecht, das haben wir doch akzeptiert! Und jetzt komm!“

Mit diesen Worten streckte sie die Kniekehlen nach vorne und rutschte auf ihrem Hintern das Porzellan hinauf, bis ihre Füße schließlich die Fußmatte vor der Wanne berührten. Dann drehte sie sich um und reichte Will ihre Hand entgegen.

Doch diese griff ganz bewusst nicht zu, sondern ließ weiter die Tränen über ihr blasses Gesicht laufen.

„Nun mach schon!“ In Irmas Stimme deutete sich vage Verzweiflung an. „Oder willst du den ganzen Tag da drin sitzen?“

„Ich stehe erst auf, wenn du mir gesagt hast, was mit dir los ist!“ erklärte Will laut und deutlich. „Eher gehe ich hier nicht weg!“

Irma wich leicht zurück. Unsicherheit und Angst breiteten sich auf ihrem Gesicht aus. „Können wir das nicht nachher besprechen? Ich muss mir immer noch die Zähne putzen und die Locken eindrehen-“

Aber so leicht wurde sie eine Will Vandom nicht los. In Irmas ganzen Bekanntenkreis gab es keinen Sturkopf, der es mit ihr aufnehmen konnte.

„Warum warst du gestern Abend auf einmal weg? Und wo warst du? Ich denke, ich habe wirklich ein Recht darauf, das zu erfahren, oder? Wenn du mir schon das Hemd aufgeknüpft hast…“

„Will…“ Irmas Stimme zitterte. Sie war mittlerweile käsebleich geworden. „… Da gibt es echt nichts-“

„Lüg mich nicht an!“ fauchte Will, wischte sich betont flüchtig die Nase frei und fuhr fort: „Es ist mir echt egal, was für eine Antwort du mir gibst, aber lass sie wahr sein! Wenn du mich anlügst, dann passieren nur noch mehr Katastrophen wie diese hier. Wenn es mit einer Wette oder irgendeinem Spiel zu tun hat - okay, damit könnte ich leben! Meinetwegen kannst du es auch nur gemacht haben, um mich vom Nachhilfestoff abzulenken. Das wäre zwar nach allem, was ich weiß, eine handfeste Lüge, aber wenn es das ist, was dir so zusetzt, dann glaub ich dir! Sag es mir nur endlich und friss es, gottverdammt noch mal, nicht in dich hinein!“

Auf diese lange und eindeutige Anklage konnte Irma keine Antwort geben. Sie hatte sich in der Zwischenzeit immer weiter von Will fort geschoben und war unmerklich in Richtung Tür gerückt. Natürlich war ihr klar, dass diese noch verschlossen sein musste, dennoch machte sie einige verzweifelte Versuche, an der Klinke zu rütteln.

Dieses vor allen Dingen war es, was Wills Aufmerksamkeit erregte.

Mehr schlecht als recht - der Schmerz in ihrem Steißbein hatte noch nicht vollständig nachgelassen - rappelte sie sich auf und blieb wackligen Fußes mitten in der Badewanne stehen. Von dort aus beobachtete sie ihre Freundin, die stumm an der Tür rüttelte und sich dabei immer wieder mit einem bittenden Blick zu ihr umdrehte.

Will wusste genau, worum sie bitten würde. Es lag zwar in ihrer Macht, die Dislokation anzuwenden, aber offensichtlich hatte sie Angst, es ohne Wills Erlaubnis zu probieren, da diese das Herz von Kandrakar trug.

Tatsächlich dachte Will einen Moment darüber nach, ob sie die Befragung nicht lieber später fortsetzen sollte, aber dann sah sie wieder dieses Leuchten in Irmas Augen, und das Seufzen in ihrer Stimme, und sie entschied sich anders.

Als nach einer Minute beharrlichen Schweigens immer noch keine Antwort kam, machte sie den letzten Zug, schwang das Bein über den Rand der Badewanne und trat auf die Matte. Ihre Miene war dabei gar nicht mehr so unfreundlich.

„Also?“ fragte sie ihre weiterhin an der Türe klebende Freundin.

Diese schwieg.

„Ich weiß es doch schon fast,“ erklärte Will bedachtsam. „Du brauchst nur noch zu nicken, wenn ich richtig liege.“

Doch Irma nickte nicht. Tatsächlich ließ sie es im Moment an menschlichen Reaktionen mangeln, wenn man mal davon absah, dass ihre äußere Unruhe noch größer geworden war.

Will schüttelte den Kopf. „Glaubst du etwa, mir ist es leicht gefallen, das einzugestehen? Ich habe auch an meinem Verstand gezweifelt! Dabei ist es gar nicht so schlimm.“

„Du verstehst das nicht!“ krächzte Irma schließlich. „Wenn ich es jetzt ausspreche, dann kommt alles wieder!“

„Aber warum wieder?“ beharrte Will. „Was hat dich denn dazu gebracht, es aufzugeben? Nur, weil ich gestern ein wenig abweisend war? Irma, du musst doch verstehen, dass ich-“

„Verdammt, Will, halt endlich die Klappe!“

„Hör mir doch wenigstens zu!“

„Nein, du hörst mir jetzt zu!“ donnerte Irma und kam damit der Stimme ihres Vaters näher als sie vielleicht beabsichtigte.

„Ich weiß nicht, warum du dir das so gerne einbilden möchtest, aber ich bin nicht lesbisch, ist das klar! Ich bin mit Jungs ganz zufrieden, und wenn ich mir kurz einen Spaß mit dir gemacht habe, dann war das alles, was ich jemals in diese Richtung tun werde!“

Sie hielt kurz inne, um die Arme vor der Brust zu verschränken, dann sprach sie weiter, eher dem Handtuchhalter als Will zugewandt: „Also, wenn du es unbedingt hören willst: ja, du bist der Grund, weshalb ich sauer war! Als ich dich vorhin wecken wollte, habe ich gesehen, was du mit deiner Bettdecke angestellt hast! Es war ziemlich offensichtlich, dass das nicht Matt darstellen sollte!“

Sie scharrte verlegen mit dem großen Zeh über die Fliesen. „Da hab ich halt Angst bekommen und bin weg gerannt! Ich meine… ich wollte wirklich nicht, dass du in irgendetwas hineinsteigerst, nur weil ich dich mit meinem Verhalten in diese Richtung gestupst habe!“

Will blinzelte heftig, stellte jedoch mit großer Freude fest, dass sie nicht errötete. Das war zu ihrem Vorteil, denn das, was sie nun gestehen wollte, hatte sie noch nie irgendjemanden offenbart.

„Du hast mich nicht gestupst. Möglicherweise bin ich ganz allein in diese Richtung gegangen!“ sagte sie leise. Sie kam etwas näher an Irma heran, und spürte mit jedem Schritt, wie sich etwas in ihrer Brust zusammenzog und wieder entkrampfte. Zwar wurde sie gewahr, wie Irma sich immer stärker an die Tür presste in Erwartung einer aufziehenden Gefahr, doch selbst davon ließ sie sich nun nicht mehr verunsichern.

„Weißt du, ich habe in letzter Zeit oft über dich nachgedacht,“ fuhr sie fort, „und festgestellt, dass ich mich vorher nie so richtig mit dir beschäftigt habe. Es gibt so viele Seiten an dir, die ich noch nicht kenne und die ich gerne kennen würde. Zuerst dachte ich, es käme mir nur darauf an, eine bessere Anführerin zu werden,… aber gestern… gestern ist mir klar geworden, dass ich dich beeindrucken wollte…“

Sie tat weiter Schritt um Schritt, bis ihre Füße knapp vor denen Irmas zum Stillstand kamen. Wäre sie noch ein paar Zentimeter näher dran gewesen, hätte Irmas auf- und niedergehender Brustkorb vielleicht den ihren gestreift. Auch ihre Augen versagten nicht in ihrer Ausdruckskraft - sie glänzten noch von Wills ersten Tränen.

Sie sprach weiter: „Vorhin… im Bett… habe ich versucht, mir vorzustellen, wie es hätte sein können, wenn wir gestern weiter gemacht hätten.“

Sie bewegte ihre Hand auf Irmas Wange zu – dem einzigen Fleck Haut an ihrem Körper, der nicht von Haar, Handtuch oder Bademantel verdeckt war - und flüsterte zärtlich: „Du hattest Recht - es hätte mir gefallen!“
 

Irgendwie hatten diese Worte nicht den Effekt, den Will sich so farbenfroh ausgemalt hatte. Irmas Augen, anstatt sich staunend zu weiten, wurden schmal und ihr Blick unglücklich. Ihr Mund krümmte sich leicht nach unten, und ihr Körper rutschte am Türblatt herab. Will bekam sie zwar noch an der Hüfte zu fassen, wurde aber gleich darauf energisch abgeschüttelt, so dass Irma rettungslos nach hinten kippte - in die auf einmal leere Türöffnung.

Sie stürzte zu Boden und blieb mit dem Gesicht nach oben auf der Schwelle liegen. Ihr starrer Blick war zur Decke gerichtet, wanderte dann aber langsam zu dem Geschöpf, das die Türe im genau richtigen Augenblick geöffnet hatte: ihre Mutter.

„Was soll denn das nun schon wieder, Irma?“ fragte diese über den Rand ihres Wäschekorbs geneigt.

Ihre Tochter schenkte ihr ein sehr gezwungenes Grinsen. „’Theatralisch sterben für Fortgeschrittene’?!“

„Spar dir die Witze, junges Fräulein!“ erwiderte Mrs. Lair ziemlich böse. „Such Will sofort einen frischen Bademantel heraus und komm dann runter in die Küche! Es wird Zeit, dass wir mal reden!“

Irmas kurzer Anflug von Freude ging schnell wieder vorüber. Sie nickte hastig, stand auf und schnappte sich ihre Anziehsachen vom Wäschestapel. Dann warf sie Will im Vorbeigehen einen kurzen, rosa Bademantel zu und stürmte - nein, rutschte fast - auf den Flur hinaus und ins Erdgeschoss.

Eine Flucht in weniger als fünf Sekunden.

Mrs. Lair und Will tauschten einen langen, besorgten und enttäuschten Blick, dann seufzten sie im Chor.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Angel-of-the-Night
2009-11-09T17:11:50+00:00 09.11.2009 18:11
<grummel> Ich mag das die beiden endlich zusammen kommen!
Das hält ja kein Mensch aus.
Ich hoffe echt wir müssen nicht mehr all zu lange darauf warten^^
Ich freu mich schon wenns weiter geht <smile>


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