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Patient X

von

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Krankenhausseife

Kapitel 23: Krankenhausseife
 

Der Morgen des achten Oktober war kalt und trüb, aber es regnete nicht. Als sie aufwachten, war es schon zehn Uhr. Eigentlich war Hermine bestürzt, in einer Stunde würden sie ihn abholen. Aber was hätte es auch sonst zu tun gegeben? Alles war gesagt, alles war erledigt. Also zog sie sich an, setzte streichen sich stumm auf das Bett und beobachtete ihn, wie er sich wusch und dann ebenfalls anzog. Hermine wollte sich noch nicht waschen. Noch hatte sie seinen Geruch an sich. Wenn sie an ihren Händen roch, konnte sie seinen Körper riechen. Dann war es, als würde er sie immer noch im Arm halten. Diesen Duft wollte sie so lange wie möglich, nun, zumindest bis zum Abend, bei sich behalten.
 

Zu seinem Prozessbeginn wurde ihm vom Krankenhaus passende Kleidung mitgegeben. Einen schwarzen Umhang. Vielleicht der, mit dem er damals eingeliefert worden war. Nun bekam er ihn zurück. In ihrer Tasche waren noch zwei Flaschen Kürbissaft, die tranken sie leer. Und dann war es schon kurz vor elf Uhr und die Tür öffnete sich.
 

Die Auroren von gestern waren immer noch da. Das war gut, sie mussten nicht erklären, warum Hermine in diesem Zimmer war.

„Wir müssen gleich gehen.“ Acht Auroren waren es. Alle mit vorgehaltenem Zauberstab, doch sie sahen nicht aus, als ob sie kämpfen wollten, und Voldemort eigentlich auch nicht. Er stand nur stumm da, mit einer Flasche Kürbissaft in der Hand und nickte ihnen zu.
 

Hermine stand vom Bett auf und nahm ihm den Kürbissaft ab, stellte ihn auf den Schiebewagen. Ihre Blicke trafen sich, nun würden sie sich verabschieden.
 

Zögerlich näherten sie sich bis sie so nah beieinander waren, dass sie ihn atmen hörte. Aber er atmete ja auch ziemlich laut. Wenn sie den Kopf ganz gerade hielt, dann konnte sie sehen wie sein Adamsapfel unruhig auf und ab rutschte. Wie bläuliche Äderchen, man hätte sie nur einen Schritt weiter nicht sehen können, durch die wie Marmor wirkende, weiße Haut durchschimmerten. Sie war ihm jetzt so nahe, dass sie sogar die Wärme spüren konnte, die seine Haut ausströmte.
 

Ein Geruch nach Krankenhausseife drang ihr in die Nase…daran würde sie sich jetzt immer erinnern, auch wenn sie es nicht wollte. Weil er sich gerade gewaschen hatte, roch er nach dieser Seife…. Sie beugte sich leicht vor, drückte ihre Nase zu der Stelle wo die Schlüsselbeinknochen in der Mitte des Halses aufeinander trafen und sog sie seinen Geruch ganz tief in sich hinein und speicherte die Erinnerung. Fast nahm sie die beiden Hände gar nicht wahr, die zu beiden Seiten ihre Oberarme streichelten und sie hörte auch nicht das angespannte Schlucken, dass von seinem Hals, an den sie ihre Stirn gelehnt hatte, ausging.
 

Man kann vieles vergessen. Worte, Taten, Vorfälle…das alles verschwimmt mit der Zeit. Aber nicht diese Dinge, die sie in eben diesem Moment in sich speicherte. Die Wärme seines Körpers, der kalte, glatte Stoffes seines schwarzen Umhangs, den Geruch nach Seife, der aber nur teilweise seinen eigenen, recht angenehmen Duft überlagerte.

Diese Dinge würde sie nie verlieren. Sogar in fünfzig Jahren, wohl auch in hundert Jahren würde sie bei dem Geruch von Krankenhausseife, immer wenn sie Satin berührte, immer wenn sie weiche Hände an ihren Schultern spürte…immer wieder würde in Sekundenschnelle alles wieder über ihr hereinbrechen. Dieser Moment…unauslöschlich und für alle Ewigkeit war der Geruch von Krankenhausseife in ihr gespeichert.
 

Und auch die Berührung seiner Hand, wie er ihr nun mit seinen langen Fingern über die Wange strich. Seine Hand war so warm, obwohl es in diesem Raum immer so kalt war, noch war sie warm und roch nach Seife. Bald nicht mehr.
 

Hermine schluckte, versuchte im Hier und Jetzt zu bleiben. Ihre eigene Hand berührte seine andere Hand und drückte sie. Seine Hände schwitzten, zitterten, er war aufgeregt und hatte Angst.
 

Zuerst war es nur ein warmer Hauch, der sich ihrer Stirn näherte, dann spürte sie seinen Atem, wie er sich langsam über sie beugte und seine leicht feuchten Lippen ihre Stirn berührten und er sie zum Abschied noch einmal sanft küsste.
 

Hermine hätte aufschreien können, Tränen schossen ihr in die Augen doch sie konnte nicht weinen. Sie wollte nicht weinen, er sollte sich jetzt nicht auch noch wegen ihr Sorgen machen. Er hatte doch schon genug Angst, so sehr, sie spürte es. „Ich gehe jetzt, danke“, war alles, was er zu ihr sagte.
 

Hermine nickte, der Kloß in ihrem Hals wurde dicker, sie versuchte ihn hinunterzuschlucken, doch es gelang ihr nicht. Immer noch hielt sie seine Hand. Ganz langsam hob sie den Kopf und versuchte, beim Aufblicken noch einmal jedes Detail, jeden Zentimeter und jeden Millimeter seines Körpers in sich aufzusaugen, für immer sicher verwahrt, denn sie würde ihn nie wieder sehen.

Ihre freie Hand streichelte zitternd und leicht, als würde ein kleiner Schmetterling neben seiner Wange flattern, ihn noch einmal zum Abschied. Sie versuchte zu lächeln, denn er tat es auch, obwohl beide nicht fröhlich waren.
 

„Keine Angst“, flüsterte sie tröstend, wo sie doch wusste, wie sehr er sich fürchtete und sie nicht anders helfen konnte, „keine Angst, er wird alles gut werden. Wenn du es zulässt, dann wird es dir besser gehen als beim letzten Mal. Es dauert nicht lange, es tut nicht weh und dann bist du“, sie schluckte und lehnte den Kopf wieder an seine Brust, „woanders, und dort wird es dir gut gehen. Und dort denkst du an mich, ja?“ Hermine biss sich auf die Lippen, musste schluchzen. „Bis wir uns wiedersehen, ja?“
 

Sein Atem blies ihr nun etwas stärker ins Gesicht, denn er hatte leise gelacht, sie roch noch den Geruch von dem Kürbissaft, den er eben getrunken hatte. Aber er lachte sie nicht aus, er war wieder ruhig und nickte. „Ganz sicher. Wir sehen uns wieder. Und du denkst dann auch an mich, aber nicht nur an das Schlechte, nicht wahr?“ Hermine nickte.

Zwei Arme legten sich ihr, wie eine wundervoll weiche, warme Decke um die Schultern, zogen sie näher an sich heran und hier, eingehüllt von diesem Körper, fühlte sie sich wirklich einen Moment lang geborgen und beschützt. Zwei Lippen flüsterten ihr leise Abschiedsworte ins Ohr, während der Atem von dem, der nun gehen würde, über ihre Ohrmuschel strich.
 

Hermine drückte ihren Kopf noch dichter an ihn, schmiegte sich an seine Brust, ihre Arme schlossen sich um ihn, ihre Hände krallten sich in den kühlen Stoff des Umhangs, klammerten sich fest und wollten das, was sie umschlossen, bei sich behalten.
 

Doch dann wurden die Arme, die sie gehalten hatten, langsam aber bestimmt von den Auroren weggezogen und sie musste ihn loslassen. Freiwillig hätte sie es nicht getan, aber es war nun mal so.

Die Auroren wirkten ernst. Waren nicht glücklich über ihre Aufgabe. Sie taten was zu tun war, weil es ihr Job war…aber Menschen abzuholen, die man nun töten musste, das machte ihnen keinen Spaß.

Sie sah es in ihren Gesichtern und es tröstete sie ein bischen, sie würden fair zu ihm sein wenn es soweit war. Würden ihn gehen lassen und ihn nicht in den Torbogen hineinstoßen.
 

Er war jetzt schon ein paar Schritte weiter von ihr weg, aber Hermine stand immer noch so regungslos da wie zuvor und sah ihn an. Und dann, dann nickte er ihr noch einmal zu und drehte sich um, ließ sich von den Auroren, die ihm nun magische Fesseln hinter dem Rücken angelegt hatten, einfach aus dem Raum führen…und Tom Riddle war weg.
 

Hermine stand an Ort und Stelle, sah zur Tür und wagte nicht sich zu bewegen, gut fünf Minuten mochten es gewesen sein. Die junge Frau wollte sich auch nicht bewegen, denn wenn sie näher zur Tür gegangen wäre, dann hätte sie vielleicht noch das Geräusch seiner Schuhe auf dem Steinfußboden gehört. Hätte vielleicht auch noch einmal seinen Umhang gesehen, wie er hinter ihm herwehte, und dann wäre sie ihrem Geliebten nachgerannt, hätte ihn festgehalten und nichts auf der Welt hätte sie dazu gebracht, ihn jemals wieder loszulassen.
 

Aber so war er nun endgültig von ihr weg. Irgendwann konnte sie sich wieder bewegen. Sie erinnerte sich daran, dass sie ja noch ihren Zauberstab hatte. Also machte sie sich daran, die Betten abzuziehen. Betten, die sie nun nie wieder beziehen würde. Als sie die Laken berührte, sie musste es einfach tun, da waren sie noch warm und rochen nach ihm. War es Einbildung, oder spürte sie spürte noch seine Körperwärme?
 

Dann holte sie eine Tüte von dem Schiebewagen und begann, Zeitungsausschnitte, Essensreste, Taschentücher und all die kleinen Dinge hineinschweben zu lassen, die von Tom noch übrig waren. Die Stimmungsblumen landeten ebenfalls darin, sie würde sie wegschmeißen. Sie waren eine nette Erfindung, gut gelungen und nett anzusehen, aber sie hasste die Blumen nun. Genau wie sie all die eingesammelten Aromaschälchen hasste, die er so verabscheut hatte. Alles was von ihm sollte in diese Tüte fallen, denn sie wollte es nie wieder sehen.
 

Und ihn hasste sie auch. Ja, unbedingt. Aus tiefstem Herzen. Wie hatte er ihr das antun können? Ihr so nahe zu kommen, nur um sich dann einfach umzudrehen und wegzugehen? Wenn er da gewesen wäre, dann hätte ihn Hermine jetzt ganz sicher verprügelt. Und mitgenommen… mit zu sich nach Hause. Dort hätte sie ihn dann in alle Ewigkeiten weiter hassen können, dann wäre er ja bei ihr geblieben.
 

Nein, Hermine wollte jetzt nicht weinen. Sie wollte wütend sein. Auf alle…die Tüte vor ihr wurde zum Sandsack. Voll unbändiger Wut stampfte sie alles darin mit den Füßen klein, zerrte die Tüte auf das Bett und schlug immer wieder darauf ein.
 

Das war alles so ungerecht. Alle waren sie so undankbar…alle Menschen, alle waren dumm, ungerecht und vor allem undankbar.
 

Hätte nicht einer mal Danke sagen können?
 

Das, was man ihr Anfang Mai in die jungen Hände gelegt hatte, war kaum mehr als das gewesen, was Harry in seiner Kings Cross Vision gesehen hatte. Ein körperliches und seelisches Wrack. Hermine hatte nicht nur ihren Job, ihre weitere berufliche und Freundschaften riskiert, sondern auch Geld, Freizeit und am Ende auch ihre eigene psychische Gesundheit geopfert, um aus diesem Ding etwas zu machen, was man wieder einen Menschen nennen konnte.
 

UND WAS WAR DER DANK?
 

Zornig schmiss Hermine die leeren Kürbissaftflaschen an die Wand, nur um sie zu reparieren und sie dann abermals an die Wand knallen zu können.
 

Diese Leute hatten ihn ihr einfach weggenommen. MENSCHENRAUB! GENAU! Den Kürbissaftflaschen folgten die beiden Butterbierflaschen, die immer noch neben dem Bett am Boden standen. Wo er und Harry sie am Abend zuvor stehen gelassen hatten.
 

Hermine hasste Shacklebolt, Hopfkirch und vor allem die Auroren, die vorhin in das Zimmer kamen.
 

Und am meisten hasste sich Hermine selbst… weil sie einfach losgelassen hatte, als die Auroren ihn mitnahmen. Weil sie versprochen hatte, ihn nicht alleine zu lassen und auf ihn aufzupassen, und am Ende doch zu schwach gewesen war. Sie hatte versagt, hatten diesen dahergelaufenen Menschenräubern erlaubt, ihr den Mann aus den Armen zu reißen. Und sie hatte losgelassen.
 

Hatte ihn sterben lassen. Hatte versagt.
 

Wenn sie nur richtig wütend wurde, egal auf wen, dann konnte sie es schaffen, nicht zu weinen. Den Triumph würde sie diesem Pack nicht gönnen. Helen, dieser Irren, die ihn so hasste und Claris, dieser Harpyie…die jetzt bestimmt oben standen, auf die Uhr schauten und schon mal Sektgläser bereitstellten.
 

Auch Hermines Blicke wanderten zur Uhr über dem Bett. Sie musste nun doch fertig werden, ihre Freunde warteten wohl oben schon auf sie. Viertel nach elf.
 

Als alles aufgeräumt war, stellte Hermine voll Schreck fest, dass die Tür offen stand. Wieso war sie nicht verschlossen? Sie wollte schnell hinrennen, um die Tür zuzuknallen, doch dann fiel es ihr ein. Ach ja, das war die Tür vom Rest der Welt trennen sollte, war nun nicht mehr da.
 

Sie hätte jetzt gehen können. Alles war fertig gepackt, doch sie ging noch einmal hinüber zu seinem Bett. Setzte sich zuerst hin, doch dann sank ihr Körper nach unten und sie lag ausgestreckt auf der Matratze. Immer noch fand sie keine Tränen, auch nicht, als sie zum letzten Mal als Abschiedgruß die alte, gelb-grau karierte Krankenhausmatratze streichelte. Wo er nun nie wieder liegen würde. Weil er überhaupt nie wieder irgendwo sein würde.
 

Hermine stand auf, nahm die Liste vom Schiebewagen und kontrollierte. Alles ordentlich eingesammelt. Ihr Magen krampfte sich zusammen, beinahe glaubte sie, sich übergeben zu müssen, als sie den Wagen dort, wo sie ihn zum ersten Mal geholt hatte, wieder zurückbringen musste. Beim Hinausgehen drehte sich Hermine um, hob die Hand und rief: „Bis morgen, ich…“.

Ihre Stimme erstarb. Was machte sie denn da? Hier war doch gar keiner mehr, von dem sie sich verabschieden musste.
 

Bevor sie weiter darüber nachdenken könnte, musste sie hier raus. Hier drinnen war es stickig. Furchtbar stickig, sie musste nach Atem ringen und bekam doch nicht genug Luft zum Atmen. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen, auf den Schiebewagen gestützt taumelte sie nach vorne, konnte sich jedoch vor der Ohmacht retten.
 

DA! Aus den Augenwinkeln hatte sie doch irgendetwas gesehen. Ihr Kopf fuhr herum. Da war doch eben, ach nein. Das hatte sie sich nur eingebildet. Natürlich hatte sich Hermine das nur eingebildet, einen Körper der am Fenster stand zu sehen. Da stand niemand…gar keiner. Hermine war hier unten ganz allein, allein, allein.
 

Warum war es in diesem Flur so still, warum war sie alleine? Warum waren keine Auroren mehr dort, wo sie immer waren? Ach richtig, fiel es ihr ein, weil sie ihn ja schon mitgenommen haben.
 

Wie in Trance ging sie zum letzten Mal durch diesen Flur, durch den er eben gegangen war. Sie wusste, dass sie ihn in einen weiteren Teil des Kellers geführt hatten und ihn dann, durch den nächsten Kamin, ins Ministerium gebracht hatten. Zur Todeskammer…und doch hoffte sie, während sie die Treppen zu den oberen Stockwerken hinaufging, dass sie ihn vielleicht doch noch kurz sehen würde. Aber er war schon weg…und es waren noch vierzig Minuten bis zu seiner Hinrichtung.
 

Ohne weitere Worte des Abschieds, ohne Erklärung gab Hermine den Krankenhauszauberstab ab. Claris war nicht in ihrem Büro, niemand war da, also konnte Hermine den Zauberstab selbst in sein Behältnis stellen, in dem er bald, nutzlos wie er nun war, zu Staub zerfallen würde.
 

Sie würde sich nicht umsehen. Sie hätte ihren weißen Umhang wegräumen sollen, doch sie wollte nicht. Sie zog ihn in Claris Büro aus und ließ ihn auf den Boden fallen. Den letzten Bericht, den sie abgeben musste, und allein dieser Gedanke – der letzte- war schon schrecklich, den würde sie in ein paar Tagen per Eule schicken. NIE wieder wollte sie dieses Gebäude betreten.
 

Als sie ging, sah sie von weitem noch einmal Helen und Claris zusammen stehen. Sie waren in ein Gespräch verwickelt und wirkten unruhig. Als sie Hermine sahen, wurden sie still und nickten ihr zum Abschied zu. Hermine nickte zurück und ging weg, so schnell sie konnte.

Sollte sie eine der beiden zufällig jemals wieder treffen, dann könnten sie reden. Aber nicht heute…heute nicht.
 

Draußen vor der Tür, wie erbarmungslos vorhersehbar es doch gewesen war, standen Ron, Harry und Ginny, die sie bereits erwarteten.
 

Ohne weitere Worte gingen alle vier weg, ohne sich umzusehen gingen sie durch die Stadt. Ron hatte seinen Arm beschützend um sie gelegt. Er verstand sie nicht, er verstand ihre Gefühle im Moment nicht und das war auch nur gut so. Vielleicht ahnte er ja wirklich etwas, aber er war bei ihr und wollte sie trösten. Das war wichtig, mehr verlangte sie nicht. Auch Harry und Ginny sagten nichts. Harry wirkte betrübt, nachdenklich…nach der Unterhaltung gestern mit Tom, war er sehr verschlossen gewesen.
 

Sie mussten vieles beredet haben, vieles, das er selbst auch erst verkraften musste. Aber er triumphierte nicht, sondern war nachdenklich, das machte die Sache erträglicher.
 

Heute Abend, Hermine musste sich die Nase putzen, denn heute Abend war alles vorbei, heute Abend würde sie fragen, was die beiden gestern beredet hatten.
 

Sie gingen in einen Lebensmittelladen der Muggel einkaufen. Harry und Ginny hatten Hermine und Ron zum Essen im Haus am Grimmauldeplatz eingeladen. Harry hatte viel Geld dabei, hatte es wohl vorher bei Gringotts getauscht. Jeder durfte sich aussuchen, was er wollte.

An der Supermarktkasse dann begann, eine Uhr zu klingeln. Irgendein Kind hatte eine piepsende Armbanduhr bei sich, die bei jeder vollen Stunde Lieder zu spielen begann.

Unwillkürlich sah Hermine zu dem Kind, auf seinen Arm, auf seine Uhr. Zwölf Uhr…und mitten im Laden, vor all den Leuten, bepackt mit Wurst, Käse und Nudeln begann Hermine zu weinen.
 

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Es war nun zehn Uhr abends…Sie waren nun doch im Fuchsbau und nicht im Haus am Grimmauldeplatz. Nachdem sich Hermine am Mittag wieder gefangen hatte, wollte sie ihr Zimmer im tropfenden Kessel so schnell wie möglich räumen und wollte keine Sekunde länger als nötig in London bleiben. Die anderen hatten das verstanden.
 

So waren sie eben zum Fuchsbau appariert wo sich die untröstliche Hermine in die Arme ihrer Eltern gestürzt hatte. Zuerst saß sie gemeinsam mit ihnen weinend im Weasleyschen Wohnzimmer, während die Weasleys freundlicherweise so taten als hätten so woanders etwas zu tun, danach hatte sie sich bis zum Abend im Bad eingeschlossen. Irgendwann war sie dann still, blass und mit verquollenen Augen zu ihren Freunden zurückgekommen die sie nicht verstanden, aber immerhin da waren.
 

Die vier Freunde saßen wieder draußen im Garten und beobachteten die Gnomen im Garten. Gerade so, wie sie an dem Abend vor ihrem ersten Arbeitstag getan hatten.
 

„Über was habt ihr gestern Abend geredet?“ Hermine konnte nicht anders, sie musste es wissen.

Harry rutschte unbehaglich auf der Bank herum, räusperte sich, aber dann sprach er doch. Merkwürdig nur, dass seine Stimme so alt klang…gar nicht wie die eines Achtzehnjährigen.
 

„Über vieles, ich habe ihn nach meiner Vergangenheit gefragt. Über meine Eltern, warum er ausgerechnet mich ausgesucht hat, ob es noch andere gab, die meine Eltern verraten haben. Ob er gezweifelt hat, als er mich töten wollte. Dinge, die er sonst noch geplant hatte, was er alles über den Orden wusste. Auch was er von Dumbledore hielt und was er von ihm wusste. Ich glaube, er hat ihn in gewisser Weise wirklich bewundert. Und er erzählte, wie meine Eltern starben...“ Er trank kurz etwas Kürbissaft, wollte sich eine Pause verschaffen. Ginny lehnte ihren Kopf tröstend an die Schulter ihres Freundes.

„Er hat mir sehr ausführlich geantwortet und sehr sachlich. Das war okay so“, stellte Harry nach einiger Zeit klar, als er weitersprechen konnte. „Und wir haben über die Jahre nach seiner Rückkehr geredet. Wir hatten ja viel von unterschiedlichen Seiten erlebt. Das war interessant für uns beide, denke ich. Die andere Perspektive…“ Wieder entstand eine kurze Pause.Die Gnome spielten miteinander Fangen, waren dabei aber so ungeschickt, das sie ständig umpurzelten und als lebendige Kartoffeln den Weg zum Fuchsbau hinunterkullerten. Das, oder sie versuchten den Gemüsegarten der Weasleys zu plündern. Das war schwer zu entscheiden.
 

„Er hat mich auch Dinge gefragt. Er wollte wissen, was Dumbledore und ich über seine Vergangenheit erfahren haben. Also die Erinnerungen, was wir gesehen haben. Er hat nach seinen Verwandten gefragt, vor allem auch nach seiner Mutter. Darüber wollte er viel wissen…Und zu der Schlacht, als wir beide in dieser Zwischenwelt waren. Er wollte wissen, was ich gesehen hatte.“

Hermine seufzte. Ron streichelte ihren Rücken und alle dachten wohl auch an die andere Zeit mit ihm, als sie ihn jagen und töten wollten.
 

„Und er hat mich nach Sirius gefragt.“
 

„Was?“
 

Harry, der leicht rot geworden war, blickte nun nicht mehr nach vorne sondern senkte den Blick als er tonlos weitersprach, unsicher, wie er sich bei dieser Unterhaltung fühlen sollte. „Sirius ist doch auch durch den Bogen in der Todeskammer gefallen. Er hat gefragt, ob ich glaube, dass Sirius Schmerzen hatte, ob er aussah, als würde er leiden. Ich habe gesagt, nein. Sirius sah friedlich aus, ich denke, das fand er gut. Er war danach dann irgendwie ruhiger.“
 

Hermine schnäuzte sich. Egal, ob ihre Freunde ihre Trauer verstanden, egal, wie irrational es war, so darunter leiden, sie tat es. Wahrscheinlich hatte sie doch die besten Freunde der Welt, denn niemand machte ihr deswegen Vorwürfe.
 

„Aber er hat mir noch etwas gesagt, kurz bevor ich ging“, fügte Harry so nachdenklich hinzu, als wäre er ein uralter Mann von hundertfünfzig Jahren oder mehr, der versuchte, ein Resümee aus seinem zurückliegenden Leben zu ziehen.

„Er meinte, wir sollten nett zu Hermine sein“ sagte Harry, und tätschelte Hermine, die nun doch wieder Tränen in den Augen hatte, freundschaftlich den Rücken, „und er meinte, wir sollten niemals versuchen, etwas Besonders zu sein und uns von sinnlosen Dingen besitzen zu lassen. Dumbledore und er wären besondere Menschen gewesen, aber das hätte sie beide unglücklich gemacht.“
 

Hermine dachte wieder an all das, was er gesagt hatte, wie er war, wie er sich geändert hatte. Hatte sie vielleicht vergessen, ihm noch etwas Wichtiges zu sagen? Doch wahrscheinlich waren manchmal Worte gar nicht so wichtig. Sie wussten, was sie füreinander gewesen waren. Das war eine Gewissheit, das war wichtiger, als irgendwelche hochtrabenden Worte gewechselt zu haben.
 

Und eigentlich war sie auch sicher, dass er nun nicht mehr dieses gehäutete, gequälte Etwas sein würde. Er war zu etwas geworden, was auch immer. Aber mehr als seelenlos und er durfte weitergehen.
 

Hermine kramte in ihrer Hosentasche herum und fischte einen kleinen Zettel heraus, den sie vor einer Stunde per Eulenpost in den Fuchsbau bekommen hatte. Eine Benachrichtigung von Ben. Vielleicht würde sie den kleinen Papierstreifen nachher wegschmeißen, aber jetzt musste sie ihn noch einmal kurz lesen, um zu glauben was dort stand
 

Tom Marvolo Riddle wurde heute, am 8. Oktober 1998 vorschriftsgemäß um 12Uhr Londoner Ortszeit in der Todeskammer der Ministeriumsabteilung hingerichtet. Der Exekutionsmethode entsprechend, war er sofort tot.
 

Erneut flossen Tränen über Hermines Gesicht.
 

Sie hatte ihn sterben lassen.
 

Sie hatte losgelassen.
 

Sie hatte versagt.



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