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Charlie und die Schokoladenfabrik

von

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Manchmal tröstet eine Umarmung mehr als 1000 Worte

Drei Monate war es nun her, dass Charlie mit seiner Familie in Wonkas Fabrik gezogen war.
 

Als das Licht in dem Raum anging sprang der Junge aus dem Bett. Er kletterte die Leiter hinunter, die sein Zimmer mit der Wohnstube verband. Der Gute-Morgen-Gruß allerdings, blieb ihm im Hals stecken:

Sein Vater saß am Tisch, Tränen flossen ihm aus den rotgeweinten Augen, während Mrs. Bucket von hinten die Arme um ihn gelegt und den Kopf auf seine Schulter gestützt hatte. Großvater Georg saß zusammengesunken und still vor sich hinstarrend auf der Bettkante. Er sah um Jahre älter aus. „Was ist passiert?“, fragte Charlie leise, obwohl er es eigentlich gar nicht wissen wollte. Die Traurigkeit hatte sich in dem sonst so warmen Haus ausgebreitet wie kalter Nebel. „Großmutter Georgina …“, begann Grandpa Joseph mit brüchiger Stimme, „… sie ist tot!“
 

Ruckartig glitt Charlies Blick zu der alten Frau:

Sie lag in ihrem Bett, die Augen geschlossen, sanft lächelnd, so als könnte sie jeden Moment wieder aufwachen. „Ich weiß es ist schwer, Schatz!“, seine Mutter kam auf ihn zu, „Und ich weiß, dass das jetzt nur ein kleiner Trost ist, aber … Großmutter Georgina ist ganz friedlich im Schlaf gestorben. Sie musste nicht leiden!“

Er fühlte sich völlig leer: Er konnte nicht denken auch nicht weinen.

Ließ es zu, gestreichelt und gedrückt zu werden.
 

Nach ein paar Minuten, löste er sich aus Mrs. Buckets Armen. „Wo willst du hin?“, fragte sein Vater, als Charlie die schiefe Tür öffnete.

„Zu Mr. Wonka!“
 

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Die Umpa-Lumpas teilten ihm mit, dass sich ihr Meister gerade im Erfindungsraum aufhielt. Also setzte Charlie sich in das Boot und lies sich dorthin bringen. Doch diesmal machte ihm die Fahrt keinen Spaß.
 

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„Charlie!“, rief Wonka erfreut aus. Mit fünf großen Schritten war er bei dem Kleinen, packte seine Hand und zog ihn weiter in den Raum hinein. Er war richtig aufgeregt, wie ein Kind, das kurz davor war seinen Eltern voller Stolz eine gute Note zu präsentieren. Bei einer der größten Maschinen angekommen, lies er die Hand los.

„Ich hab das Kaugummi-Problem gelöst!“, verkündete der Mann strahlend und begann gleich darauf erklärend auf und ab zu laufen: „Also weißt du, ich bin heute mitten in der Nacht aufgewacht und da kam mir die Erleuchtung: … Wir lassen den Blaubeerkuchen einfach weg und nehmen stattdessen Mousse au Chocolat … et voilà …“, mit einer eleganten Armbewegung wies er auf einen neben sich stehenden, kaugummikauenden Umpa-Lumpa, „es funktioniert!“

Erst jetzt bemerkte er Charlies traurigen Blick. Sein Lächeln erstarb augenblicklich: „Hey … was hast du denn? Ist die Idee etwa so schlecht?“

„Nein!“, Charlie schüttelte den Kopf, „Sie ist toll, nur … Großmutter Georgina ist gestorben!“ Nun, da er die Worte selbst ausgesprochen hatte, begriff er. Als er die steile Sorgenfalte auf Willy Wonkas Stirn sah und das kaum hörbare „Oh … Tut mir Leid …“ an seine Ohren drang, wurde ihm mit voller Härte bewusst, dass Georgina weg war und dass sie nie wieder zurückkommen würde. Sie, die einem immer dann Mut gemacht hatte, wenn einem selbst alles hoffnungslos erschienen war.
 

Wonka, der sehr wohl merkte, wie der Kleine gegen die Tränen kämpfte, suchte fieberhaft nach den richtigen Worten. Doch da war nichts. Rein gar nichts! Sein Kopf war völlig leer, … bis auf … „Wir beerdigen sie, ja?“, sagte er schnell, „Die Umpa-Lumpas sollen ein Loch graben. Bei eurem Haus. Das wird schnell gehen. Ich bin sicher, wir können sie in einer Stunde schon …“, er stockte, konnte den passenden Ausdruck nicht finden, „ … da … reinlegen. Und dann füllen wir es mit flüssiger Schokolade wieder auf, ok?“ „Ja!“, Charlie schaffte es schon wieder ein bisschen zu lächeln, „Ja, das machen wir!“ „Sehr schön! Sehr schön!“, Willy Wonka legte ihm die Hände auf die Schultern und drückte ihn sanft, aber bestimmt zum Ausgang, „Du kannst das alles getrost mir überlassen. ICH werde mich darum kümmern. Geh jetzt nach Hause zu deiner Familie. Sie braucht dich dringender!“
 

Mit einem dumpfen Knall schloss sich die riesige Tür hinter dem Jungen. Der Chocolatier seufzte, drehte sich allerdings gleich darauf auf dem Absatz um, und zuckte erschrocken zurück:

Vor ihm stand ein ganzes Heer aus Umpa-Lumpas. Sie hatten allesamt die Arme vor der Brust verschränkt und tappten ungeduldig mit dem rechten Fuß auf den Boden. Hin und wieder durchbrach ein vorwurfsvolles Hüsteln die angespannte Stille. „Was?“, fragte er irritiert. Im selben Moment wurde ihm klar, worauf seine kleinen Freunde hinauswollten. „Ach Leute!“, gequält verzog Willy Wonka das Gesicht, „Was soll man in so einer Situation denn schon groß sagen? Soll ich ihn etwa mit Mitleid überschütten? Das … das macht doch alles nur noch schlimmer! Dadurch wird Großmutter Georgina auch nicht wieder lebendig!“ Die Umpa-Lumpas schüttelten tadelnd die Köpfe. Sie stellen sich paarweise einander gegenüber auf und umarmten sich. „Nein, das geht nicht!“, fast fluchtartig drehte Wonka sich von ihnen weg, „Er ist mein Schüler. Wir sind Kollegen. Ich kann ihn doch nicht so mal eben in den … Ich kann sowas nicht!“, brach er verzweifelt ab. Nach einer kurzen Pause, wandte er seinen Blick doch wieder auf die kleinen Menschen, „Meint ihr, ihm würde das gut tun?“
 

Das darauffolgende Nicken war eindeutig. „Okay!“, meinte Willy Wonka, nicht grade sehr zuversichtlich, „Ich werd’s versuchen!“

Eine Weile blickte er nachdenklich in die Ferne, dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf: „Hey, … mir ist grad eingefallen, wie wir ihn vielleicht noch etwas aufmuntern könnten! Hört zu: Ihr fangt mit dem ausheben des Grabes an. Macht es richtig schön groß. Die gewonnene Schokolade werdet ihr einschmelzen … und ich werde mich jetzt gleich an die Arbeit machen, es bleibt uns nicht mehr viel Zeit!“

Mit wehenden Rockschößen hastete er auf den Fahrstuhl zu. Die Umpa-Lumpas machten sich auf den Weg in die andere Richtung, allerdings ließen sie das Geräusch eines dumpfen Aufpralls und ein unterdrückter Schmerzenslaut kurz innehalten. Sie vergewisserten sich, dass ihrem Meister nichts passiert war und nickten einander dann zu. Jetzt war es beschlossene Sache: Sie würden einen Bewegungsmelder in die Fahrstuhltür einbauen und zwar möglichst noch bevor Willy Wonka sich das Nasenbein brach.
 

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Charlies Familie war mit der Idee einverstanden, Großmutter Georgina in einem Schokoladengrab zu beerdigen. Ganz untätig wollten sie in der Sache allerdings auch nicht sein, deswegen zimmerten sie einen einfachen Holzsarg zusammen und legten den Leichnam, den sie in ein Bettlaken gewickelt hatten, dort hinein.
 

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Nach einer Stunde war das Grab tatsächlich fertig. „Warten wir noch auf Mr. Wonka!“, beschloss Großvater Joseph. „Da kommt er schon!“, rief Charlie aus. Was er als nächstes sah, überraschte ihn dann aber doch etwas:

Willy Wonka, diesmal in ein schwarzes Samtjacket gekleidet, kam auf sie zu und ihm folgten 20 Umpa-Lumpas, die auf ihren Schultern ein großes, viereckiges Etwas trugen, welches von einem weißen Tuch verhüllt wurde. „Was ist das?“, fragte Charlie, nachdem es vorsichtig auf dem Boden abgestellt worden war. „Wieso schaust du nicht einfach nach?“, kam die Gegenfrage, gepaart mit einem geheimnisvollen Lächeln. Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen. Sofort lagen seine Hände an dem Stoff und zogen daran.
 

Zum Vorschein kam ein Sarg:

Ganz bestehend aus heller Schokolade. Etwas dunkler war das Kreuz auf dem Deckel und auf dieses Kreuz war nochmal ein Kreuz gemalt, mit Goldfarbe. Um die Seitenwände liefen je drei Bitterschokolade-Rosenbordüren und an den Ecken befanden sich kleine Blumensträuße, ebenfalls aus dunkler Schokolade.
 

(Sollte diese Beschreibung jetzt zu kompliziert sein, denkt euch einfach irgendwas anderes Schönes aus)
 

Charlies Augen strahlten, die anderen waren vor Verblüffung erst mal sprachlos. Wonka verschränkte die Arme: „Ihr hattet doch wohl nicht etwa ernsthaft vor, Georgina in dieser geschmacklosen Holzkiste zu beerdigen!“, der missbilligende Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. Mr. und Mrs. Bucket sahen sich ertappt an.

„Und?“, der Chocolatier wandte sich unsicher an Großvater Georg, „Ist er ihrer würdig?“ Der alte Mann räusperte sich: „Ja! … Sogar mehr als das!“ „Gott sei Dank!“, Willy Wonka legte sich erleichtert die Hand auf das Herz und ging kurz ein wenig in die Knie, „Das war nämlich Rekordarbeit, wisst ihr? Ich hab noch nie ein solches Kunstwerk in so kurzer Zeit angefertigt!“ „Er ist wirklich wunderschön!“, bestätigte Charlie, „Danke!“

Wonka lächelte: „Hab ich gern gemacht!“
 

Während die Umpa-Lumpas den Sarg mit Großmutter Georginas Leichnam, mithilfe von Seilen in das Grab hinab senkten, wanderte Wonkas Blick immer wieder zu Charlie. Der Junge hatte seinen kleinen Arm um die Taille seiner Mutter gelegt, hielt sich an ihr fest.

Nein, jetzt würde er ihn nicht umarmen, entschied Willy Wonka. Erst später. Wenn sie alleine waren! //Aber wie? Ich kann doch nicht einfach so, ohne Vorwarnung die Arme um ihn legen. Was, wenn er das nicht mag? Soll ich ihn fragen? … Genau! Ich werde ihn ganz einfach fragen. Grandiose Idee! … Aber noch nicht jetzt.\\

Die Umpa-Lumpas gingen nun mit Eimern zum Fluss, schöpften aus diesem die heiße Schokolade und schütteten das Loch wieder zu. Sicher, mit den Rohren wäre es schneller gegangen, aber immerhin war das hier eine Beerdigung, bei der nicht alles so schnell und herzlos erledigt werden sollte.
 

„Könntet ihr mich etwas allein lassen?“, bat Charlie vorsichtig. „Natürlich!“, sagte sein Vater. Sie zogen sich in das Haus zurück und auch Wonka ging auf den Ausgang zu, allerdings warf er noch einen letzten Blick zurück zu dem Kleinen, der still auf die flüssige Schokolade starrte, unter der seine Großmutter begraben lag.
 

Charlie sah sich suchend im Raum um, bis er etwas Passendes gefunden hatte. Er brach zwei der weiß-rosa Zuckerstangen ab, eine große und eine kleine, lutschte etwas an ihnen herum und klebte sie dann zu einem Kreuz zusammen. Das bohrte er dann vor dem Grab in den Boden. Danach setzte er sich im Schneidersitz auf das weiche Gras und sah der Schokolade weiterhin beim Festwerden zu.
 

Plötzlich legte sich ein Schatten über ihn. Wie der Blitz sprang Charlie auf die Füße, atmete aber gleich darauf schon wieder erleichtert aus: Es war nur Willy Wonka. „Tut mir Leid!“, entschuldigte sich dieser, „Ich wollte dich nicht erschrecken!“ Nach fünf Minuten, in denen keiner etwas sagte, ging er in die Hocke und tippte mit dem Zeigefinger kurz auf die Schokolade. Nickte zufrieden und richtete sich dann wieder zu seiner vollen Größe auf. „Ich denke, wir können das Zuckergras morgen schon wieder drauf pflanzen!“, nuschelte er, sich die süße Schokolade von der Fingerkuppe leckend. „Ist gut. Ich helfe Ihnen!“, meinte Charlie. Wonka sagte nichts. Trat nur unruhig von einem Bein aufs andere und betet, der Junge möge von seiner Nervosität nichts mitkriegen – schließlich waren Kinder viel feinfühliger, als die großen Leute. //Was ist los mit mir? Es ist doch nur die Frage: ´Darf ich dich mal in den Arm nehmen? ` Solche Probleme hab ich doch normalerweise nur bei dem Wort `Eltern`! Der Moment ist doch gerade so günstig. Ich kann es auch nicht einfach sein lassen, sonst plagen mich die Umpa-Lumpas … und mein schlechtes Gewissen! Okay, ich zähl‘ jetzt bis drei, und dann … 1 … 2 … 3 …\\ „Mr. Wonka? Wollen Sie … denn nicht auch mal umarmt werden? Wenn Sie möchten, mach ich das gerne, ehrlich!“

Langsam, mit ungläubigen Augen, senkte Willy Wonka den Kopf, um auf den Kleinen herabzublicken und klappte den Mund wieder zu, den er eben zum Luftholen geöffnet hatte. „Was?“, hauchte er, völlig überrumpelt, „Du? … M-mich?“ „Ja! … Wir hätten Sie bei der Beerdigung nicht so ausgrenzen dürfen, denke ich. … Sie haben Großmutter Georgina ja auch sehr gern gehabt, immerhin haben Sie extra den Sarg für sie gemacht“, während Charlie sprach, kniete Wonka sich vor ihn hin – so konnten sie sich bequem in die Augen schauen, „Ich hab gar nicht daran gedacht, wie Sie sich heute fühlen … Tut mir Leid! …Also, … möchten Sie?“ Wonka hob beide Augenbrauen, blickte ihn ernst an: „Ja, … doch, sogar sehr gern!“ Ohne zu zögern, fiel Charlie ihm um den Hals. Vorsichtig, fast so als wäre er aus Zucker, hielt Willy Wonka den zierlichen Körper fest und legte seine Wange auf die kleine Schulter. Ließ seinen Blick in weite Ferne schweifen. //Oh Mann!\\
 

*~* Ende *~*

Vatertag

Es war Abend geworden. Bis auf das Rauschen des Wasserfalls war nichts mehr zu hören. Überall herrschte Totenstille. Die Umpa-Lumpas hatten aufgehört zu arbeiten und das Licht war fast gänzlich gelöscht worden. Es schien beinahe so, als hätte das Herz der Fabrik aufgehört zu schlagen.
 

Charlie betrat den Fahrstuhl und drückte auf einen der obersten Knöpfe, neben dem einfach nur ´ WW `stand. Kurz kam er noch aus dem Gleichgewicht, als der Fahrstuhl lossauste, zu dem Raum, in dem der Junge bisher noch nie gewesen war. Zu dem einzigen in der gesamten Fabrik, den noch nicht mal die Umpa-Lumpas ohne Erlaubnis betreten durften: Zu Willy Wonkas R… ok, nennen wir es Suite!
 

Zaghaft klopfte Charlie an die dunkelbraune Holztür. Er musste einfach noch einmal mit Mr. Wonka reden. Die Idee, die ihm grade gekommen war, duldete keinen Aufschub! Er wollte soeben noch einmal klopfen, da er sich nicht sicher war, ob man es drinnen gehört hatte, als die Tür aufging. Überraschung zeichnete sich auf dem Gesicht des Mannes ab. „Tut mir Leid, wenn ich störe, aber ich brauche Ihre Hilfe!“, sagte Charlie schnell, ehe Willy Wonka überhaupt dazu kam den Mund zu öffnen.

„Äh … okay …“, dieser trat zur Seite und wies ihn an reinzukommen, „Bitte!“

Der Junge stellte noch schnell seine Schuhe neben die Tür - auch Wonka trug lediglich schwarze Socken - und trat ein.
 

Die gegenüberliegende Wand war fast nichts weiter, als ein riesengroßes Fenster. Einen Meter davon entfernt, mit Blickrichtung zur Tür, stand ein bequem aussehendes schwarzes Sofa, davor ein ebenso langer, gläserner Couchtisch. Der dunkelrote Teppich mit den kleinen, geschwungenen, weißen Ws, erstreckte sich über den gesamten Boden. Etwas weiter links, war ein Esstisch aus hellbraunem Holz, mit den dazu passenden Stühlen. Durch einen Torbogen, neben dem Eingang, konnte man einen Blick in die Küche werfen und zwei Türen in der rechten Wand, grenzten ebenfalls noch andere Räume ab. Wahrscheinlich das Schlafzimmer und ein Bad, vermutete Charlie.
 

„Also, was kann ich für dich tun?“, ohne die Antwort abzuwarten verschwand Wonka in der Küche. Man hörte eine Schranktür auf und zu gehen und gleich darauf erschien der Chocolatier wieder in Charlies Sichtfeld. In der einen Hand zwei Gläser, in der anderen eine noch ungeöffnete Flasche Traubensaft. „Ich bräuchte ein Geschenk für meinen Vater“, begann der Kleine. „Ach? Hat er Geburtstag?“, Willy schraubte die Flasche auf und fing an einzuschenken. „Nein! Übermorgen ist doch Vatertag, wussten Sie das nicht?“

Wonka erstarrte. Nein, er hatte es tatsächlich nicht gewusst. Um genau zu sein, war er schon fast soweit gewesen, zu vergessen, dass es diesen Tag überhaupt gab!

Wie sollte man sich denn auch bitteschön ohne Vater an den Vatertag erinnern?
 

„Äh, Sir?“, Charlies Stimme holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Gerade rechtzeitig, denn das Glas, über das ja immer noch die Flasche gehalten wurde, begann überzulaufen und die rote Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg erschreckend schnell auf die Tischkanten zu. „Oh Gott!“, wie der Blitz hechtete Mr. Wonka in den Nebenraum, schnappte sich ein Geschirrtuch und schaffte es tatsächlich noch den Saft aufzufangen, bevor der treuere Teppich Flecken bekommen konnte.

„Ach, übermorgen ist das schon …“, nahm Willy Wonka das Thema von eben wieder auf, während er an der Glasplatte herum tupfte, „Und wieso fragst du deinen Dad nicht einfach, was er sich wünscht?“ „Na, weil es dann keine Überraschung mehr wäre. Außerdem will ich ihm nichts Materielles schenken. Es soll irgendetwas sein, was nur ich als Sohn ihm geben kann und na ja, da dachte ich … vielleicht könnten Sie Ihren Vater mal fragen. Vielleicht weiß der ja was!“ „Stop, stop, stop! Jetzt mal langsam!“, mit gerunzelter Stirn blickte Wonka auf den Kleinen hinab, „Nur damit ich das richtig verstehe: DU willst, dass ich MEINEN Vater frage, womit man DEINEM Vater eine Freude machen könnte?“ Charlie nickte grinsend: „Genau!“

Jetzt musste Willy Wonka lachen: „Ich bitte dich! Woher soll denn mein Dad wissen, worüber sich dein Dad freut?“ „Na, weil Doktor Wonka doch auch Vater ist! Und wer sollte besser wissen, mit welchen Gesten oder Worten ein Kind seinen Vater glücklich machen kann … als ein Vater!“

Über diese Aussage dachte der Chocolatier erst mal eine Weile nach. „Hm, stimmt. Hast eigentlich recht!“, meinte er schließlich, „Und wieso soll ich da nachfragen? DU willst doch immerhin was erreichen!“ „Ja schon, aber ich denke, Ihnen wird er vermutlich eher antworten als mir. Immerhin sind Sie sein Sohn!“ Charlie sah, dass sein Mentor von der Idee nicht gerade begeistert war: Mit zusammengepressten Lippen, starrte dieser an ihm vorbei an die Wand. „Bitte, Willy!“, fügte er noch hinzu. Wonka stöhnte auf und verdrehte die Augen: „Sag mal, schenkst du eigentlich immer so kompliziert?“
 

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Nachdem er mindestens zwei Minuten auf das vergoldete Messingschild gestarrt hatte, gab er sich einen Ruck und betätigte die Klingel. //Da sieht man mal wieder, wie sehr mir der Kleine doch inzwischen ans Herz gewachsen ist.\\, dachte er seufzend. Die Tür öffnete sich. Wilbur Wonka blickte zuerst etwas verwundert auf den Ankömmling, lächelte dann aber: „Willy! Was tust du denn hier?“

Bevor dieser sich eine Antwort überlegen konnte, trat der Arzt schon zu Seite: „Komm doch rein!“ „Danke!“, Willy hängte seinen Zylinder an einen Garderobenhaken, „Du hast jetzt doch Mittagspause, oder?“ „Ja, ja! Keine Sorge: Du störst nicht!“
 

Als er das Wohnzimmer betrat, kam Willy Wonka nicht umhin, leise aufzukeuchen. Mit, vor Überraschung geweiteten Augen, sah er sich in dem Raum um.
 

An den Wänden hingen Bilder! Haufenweise eingerahmte Photographien. Und zwar alle von ihm! Als kleiner Junge auf der Schaukel. Bei einem Fest des Kindergartens. Sein erster Schultag. In den Ästen einer Eiche, strahlend, da er es ganz alleine geschafft hatte hochzuklettern. Beim Steine flippen an einem See. Sein 12. Geburtstag, an dem er endlich diese Spange losbekommen hatte, und noch viele Weitere.

Ansonsten hatte sich in dem Raum nichts verändert: Die gleichen dunklen Möbel, wie damals, sogar diese zwei schrecklich unbequemen Ledersessel standen noch an Ort und Stelle. Nur die Bilder! Die waren neu. Früher waren hier nie Bilder gehangen und jetzt plötzlich so viele! Alle in Rahmen unterschiedlicher Größe und Materials: Manche aus Holz, andere aus Kupfer oder Messing. Drei waren vergoldet und einer sogar aus buntem Glas. Jedes Foto, das jemals von ihm gemacht worden war, hatte seinen Platz an dieser Wand gefunden. Wirklich jedes, ohne eine einzige

Ausnahme …
 

„Trinkst du Sekt?“, fragte eine tiefe Stimme. Willy fuhr zusammen. „Was?“, verwirrt sah er zu seinem Vater, der aus einem hohen Schrank zwei Gläser herausnahm, „Äh, nein …“, er schmunzelte leicht, „Nur Rotwein!“ „Hab ich auch da! Warte kurz …“
 

„Also, die Sache ist die …“, begann der Chocolatier geschäftig, als sie sich gegenüber saßen, „du kennst doch Charlie? Das ist dieser kleine Junge, der bei meinem letzten Besuch hier, mit dabei war. Er wohnt jetzt zusammen mit seiner Familie in meiner Fabrik und er braucht ein Geschenk für seinen Dad zum …“, plötzlich stoppte er in seinem Redefluss, sprach dann aber nach einer ungeduldigen Handbewegung weiter, „ … für morgen! Er will nichts kaufen. Es soll so richtig von ihm kommen, von ihm als Sohn … verstehst du?“ „Ja …“, nachdenklich blickte Wilbur ihn an, „Und? Konntest du ihm da keine Antwort drauf geben?“ „Nein!“, leichte Wut war auf einmal in Willys Stimme hören, „Wie denn auch? Ich bin kein Vater! … Ich bin nur Sohn …“ Dr. Wonka fixierte ihn mit einem undurchdringlichen Blick: „Und er denkt, dass ich als Vater ihm weiterhelfen könnte? Wieso kommt Charlie dann nicht persönlich?“ „Er hat gesagt, du würdest mir vermutlich eher antworten als ihm. … Oh Mann, die ganze Geschichte hört sich ja total bescheuert an!“, murmelte er leise zu sich selbst, sah dann aber seinem Gegenüber fast flehend in die Augen, „Hör zu, ich weiß das klingt jetzt mehr als merkwürdig, … aber es ging wirklich alles von dem Jungen aus, ehrlich!“ //Himmel, was red‘ ich denn da? Das glaubt der mir doch sowieso nie! \\, ein ganz klein wenig zog Willy nun den Kopf ein und wartete darauf, dass sein Vater ihn schallend auslachen würde.
 

Tat er aber nicht! Der alte Mann stand auf, drehte seinem Sohn den Rücken zu und trat vor die Wand mit den vielen Fotos. „Das was wir uns eigentlich wünschen, ist, dass es unseren Kindern gut geht. Wir wollen sie in Sicherheit wissen und sie vor jeglichen Enttäuschungen bewahren, die das Leben zu bieten hat. … Das schönste Geschenk, das sie uns machen können, ist … uns Zeit zu schenken, die wir miteinander verbringen können, eine Umarmung, einfache Worte, die uns sagen, dass wir gemocht werden, … oder dass wir sie nach einer längeren Zeit des Getrenntseins wieder in unsere Arme schließen dürfen. Wir wünschen uns nichts sehnlicher, als dass sie gerne nach Hause kommen … und dass sie uns die Fehler verzeihen, die wir gemacht haben … und diese Wünsche ändern sich niemals …“, jetzt wandte sich Dr. Wonka dem Chocolatier wieder zu, „ … auch dann nicht, wenn unsere Kinder bereits erwachsen sind!“
 

Willy war sogar noch eine Spur blasser geworden, als er es ohnehin schon war. Krampfhaft umklammerte er mit den Händen seine Knie um das Zittern zu verbergen. Starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seine Schuhspitzen, ohne sie richtig wahrzunehmen. Es kam ihm so vor, als hätte sich seine Seele in zwei unterschiedliche Persönlichkeiten aufgespalten, die nun um die Kontrolle seines Körpers kämpften: Das Kind, welches sich all die Jahre nach seinem Dad gesehnt hatte und der erwachsene Mann, der alles daran gesetzt hatte, die Erinnerung an jenen Vater auszulöschen! Er wusste einfach nicht was er tun sollte: Er wollte sich bei dem Arzt anlehnen und vor ihm davonlaufen! Er versuchte verzweifelt die Tränen zurückzuhalten und wartete aber gleichzeitig auf die Erlaubnis sie fließen zu lassen!
 

Nach einer Ewigkeit, wie ihm schien, schaffte er es endlich ruckartig aufzustehen. Er musste hier raus. Sofort! „Ich werd’s ihm ausrichten. Er … er wird sich freuen …“, brachte er unsicher hervor, nickte seinem Vater noch einmal kurz zu, „Danke für den Wein!“

Wilbur Wonka sah ihm nach, wie er fluchtartig den Raum verließ, hörte eilige Schritte und gleich darauf die, ins Schloss fallende, Haustür. Kurz starrte er auf den schwarzen Ohrensessel, in dem sein Sohn bis eben gesessen hatte und wandte seinen Blick dann dem Weinglas zu, welches immer noch völlig unberührt auf dem Tisch stand …
 

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Alle paar Minuten drehte Willy die Bettdecke um. Das kühlte ein bisschen, aber sehr viel besser wurde es davon nicht. In dem Zimmer herrschte eine unangenehme Hitze. Keine wohlige Wärme wie sonst, die ihn mit sanften Armen umfing und ihn behütet einschlummern ließ.

Ganz ohne Decke daliegen mochte er aber auch nicht!

Die Worte seines Vaters kreisten immer noch durch seinen Kopf und wollten partout keine Ruhe geben.

Irgendwann schwang er seufzend die Beine aus dem Bett. Er würde so oder so nicht einschlafen können, ganz gleich ob er sich nun auf der Seite zusammenrollte oder, die Arme im Nacken verschränkt, an die Zimmerdecke starrte. Da konnte er auch genauso gut aufstehen.
 

Er ging zu dem großen Mahagonikleiderschrank und schlüpfte in seinen bordeauxfarbenen Seidenmorgenmantel. Dieser reichte bis zu den Knöcheln. Der Saum, die Ärmelenden und der Kragen waren aus Samt und um die Taille verlief eine goldene Kordel, mit der man das Ganze zusammenhalten konnte.

Im Wohnzimmer machte er erstmal Licht und betrat dann die Küche. Dort erhitzte er in einem Topf etwas Milch und verrührte sie mit jeder Menge, seines selbst hergestellten Kakaopulvers zu einer köstlich aussehenden dunkelbraunen Flüssigkeit. Die heiße Schokolade füllte er schließlich in eine einfache, weiße Porzellantasse. Noch ein Kleks Sahne obendrauf. Fertig!
 

Willy Wonka setzte sich, die Armlehne im Rücken, auf das weiche Sofa. Strich mit der Hand einmal über den schwarzen Bezug: Kuschliger Stoff, kein hartes Leder.

Er nahm einen Schluck und hielt dann nachdenklich inne. Ja, … früher hatte er immer heiße Milch mit Honig getrunken. Damit war sein Vater einverstanden. War ja schließlich auch gesünder, als Kakao. Den hatte er nämlich nicht bekommen. Doch das war ihm damals egal gewesen. Hauptsache süß! Wonka sah bis heute nicht ein, weshalb er seine Zunge mit so etwas bitterem, wie Kaffee quälen sollte, und das schon am frühen Morgen. Ja Igitt!
 

Einmal war ihm beim Frühstück schwindlig geworden. Sein Vater hatte ihn gestützt und ins Bett gebracht. Er hatte sofort Fieber gemessen (39°), ihm anschließend eine Wärmflasche gemacht und sogar noch die blaue Wolldecke aus dem Wohnzimmer geholt. Doch all das hatte er mit solch einer Hektik erledigt, dass Willy sich wie ein großer schwerer Klotz an dessen Bein gefühlt hatte und am liebsten gestorben wäre, nur um seinem Vater nicht weiter zur Last zu fallen!

Es war einer der Tage gewesen, an dem in der Praxis unglaublich viel los war. Zu allem Überfluss waren auch noch drei von Dr. Wonkas Assistentinnen ausgefallen: Zwei waren krank und eine hatte Urlaub. Da konnte er sich keine Pause leisten.

Mittags hatte Wilbur seinem Sohn schnell einen Tee und eine Suppe gekocht und war dann sofort wieder nach unten verschwunden. Willy hatte sich noch niemals so allein gefühlt, wie in dem Moment, als die Tür hinter seinem Dad ins Schloss gefallen war …
 

//Genau genommen hab ich mich heute ihm gegenüber ja auch nicht anders verhalten. Ich bin ja auch einfach gegangen.\\ Der Chocolatier stellte seine, inzwischen fast leere Tasse, auf den Glastisch. Gegen Einsamkeit half die Schokolade nur minimal. Er schluckte hart, zog dann seine Knie näher an seinen Körper und schmiegte sich trostsuchend noch etwas enger in die Kissen.
 

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Doch auch Charlie konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Und zwar weil er sich Sorgen machte, wegen Mr. Wonka! Der Mann war bei seiner Rückkehr wortlos an ihm vorbeigestürmt. Seine Augen waren leicht gerötet gewesen, das hatte der Junge erkennen können. Hatte er etwa geweint? Charlie stand auf und schlich sich aus dem Haus. Barfuß und im Schlafanzug tapste er durch die Gänge. Er musste wissen, was da bei Dr. Wonka passiert war! Ob die zwei gestritten hatten?
 

//Da brennt ja noch Licht! \\, stellte er überrascht fest, als er den hellen Schein im Schlüsselloch und an der unteren Türritze sah. Vorsichtig klopfte er an.
 

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Wonka schreckte hoch: „Ja? … Charlie!“, als er sah, wer da eintrat, strömte warme Freude durch seinen Körper, doch gleich darauf wurde er wieder ernst, „Wieso bist du denn nicht im Bett?“ „Ich hab mir Sorgen gemacht!“ „Um was denn?“, fragte Willy verwundert nach. „Um Sie!“, murmelte der Kleine schüchtern. „Um mich?“, Willy Wonka konnte plötzlich nicht anders als zu lächeln, „Wirklich?“ Der Junge nickte: „Sie sahen heute Nachmittag so traurig aus. Und ich hab mich nicht getraut nachzufragen. Was hat Dr. Wonka denn gesagt?“

Willy zögerte: „Na ja, dass … dass Väter Zeit mit uns verbringen wollen, … sie wollen, dass … wir sie … umarmen und ihnen sagen, … dass wir sie mögen. Sie wollen, dass … es uns gut geht … und dass wir ihnen die Fehler verzeihen, die sie gemacht haben …“ Charlie hatte sich gesetzt und dem Chocolatier geduldig zugehört. Jetzt lächelte er. „Wusste ich’s doch!“, sagte er leise, wie zu sich selbst.

Allerdings hatte Mr. Wonka es gehört. „Wie, ‚Wusste ich’s doch‘?“, und plötzlich begriff er, „DU HAST MICH REINGELEGT!“, schrie er und sprang auf, „Du hast die Antwort von Anfang an gewusst. Mein Gott, bin ich blöd … NATÜRLICH hast du sie gewusst! Immerhin bist du mehr Sohn als ich! … Warum hast du mich zu ihm geschickt?“ Der Junge ließ sich von Willys Wut nicht einschüchtern: „Ich hatte einfach das Gefühl, dass Sie Ihrem Vater noch nicht so wirklich vertrauen. Ich dachte, es würde Ihnen mal gut tun, zu hören, was er fühlt! … Und außerdem hätten Sie ja sonst den Vatertag total vergessen!“ „Na toll!“, beleidigt ließ Wonka sich wieder auf die Couch fallen, „Und ich hock da und fühl mich wie’n Achtjähriger!“ „Darf man das denn als Erwachsener nicht?“, fragte Charlie leise, „Sich in Gegenwart seiner Eltern wie ein Kind fühlen?“ „Weiß nicht …“, murmelte Willy traurig, „Weißt du, die Sache ist die … ich kann irgendwie immer noch nicht so richtig glauben, … dass er mich wirklich lieb hat. Dass ich ihm wirklich gefehlt hab … und dass er stolz auf mich sein soll. … Dass hat er mir früher nie gezeigt, geschweige denn gesagt. Er war immer so streng … und jetzt … kann ich diesem neuen Dad einfach nicht vertrauen!“
 

Die Stille, die sich nun zwischen ihnen ausgebreitet hatte, tat gut. Beide schwiegen, eine Viertelstunde lang, bis Charlie anfing zu gähnen. Müde griff er nach einem der Kissen und rollte sich zusammen. Wonka, der merkte, was der Kleine vorhatte, hob warnend den Zeigefinger: „Hör zu … ich weiß, das ist wahnsinnig verlockend, aber es wäre besser du lässt das!“ „Wieso denn?“, kam schläfrig gemurmelt die Gegenfrage. „Die Couch ist viel zu weich. Da kriegst du nur Rückenschmerzen von!“

„Ach Blödsinn!“ „Doch ehrlich!“, sagte Mr. Wonka, „Ich hab den Fehler nur EINMAL gemacht und hier geschlafen!“ „Ihr Rücken ist ja auch schon älter!“, antwortete Charlie. Das saß! Wonka riss den Mund auf und bekam ihn so schnell nicht wieder zu. Ein Buntspecht hätte sich locker seine Nisthöhle darin einrichten können.

„Ey für DIE Bemerkung kitzel ich dich noch durch, verlass dich drauf!“, zischte er böse. Doch gleich darauf ruhte sein Blick wieder freundlich auf dem Jungen. Himmel, er war noch so klein! Manchmal vergaß er das richtig. „Möchtest du eine Decke haben? Ich hab hinten so ´ne dünne, die ist aus dem gleichen Kuschelstoff wie das Sofa und …“, Willy stoppte, da er plötzlich merkte, dass der Kleine ihm gar nicht mehr zuhörte, „sie wird auch recht schnell warm … wenn man erst mal drin liegt!“, brachte er den Satz noch zu Ende. Doch Charlie war bereits eingeschlafen. „Na gut, dann eben nicht!“, Wonka zuckte gleichgültig die Achseln, trank den letzten Schluck aus seiner Tasse und trat dann, die Hände hinterm Rücken verschränkt, an das große Fenster.
 

Die ersten Sonnenstrahlen erhellten die Stadt.

Ein neuer Tag war angebrochen.
 

Vatertag!
 

*~* Ende *~*

Im Alptraumland

Obwohl die Sonne schon seit ein paar Stunden aufgegangen war, lag die Stadt da wie im Tiefschlaf: Kein einziges Geschäft hatte geöffnet und die meisten Menschen dösten noch in ihren Betten. Nur einer tanzte an diesem Sonntagmorgen aus der Reihe, war hellwach und bereits am Arbeiten: Willy Wonka!

Der stand fröhlich vor sich hinpfeifend in seiner Küche und holte gerade knusprig goldbraune Schokocroissants aus dem Backofen. Die wurden dann von ihm noch schnell mit ein wenig Schokolade bespritzt, schön auf einen Teller drapiert und anschließend neben die Wunderweichkremschokoküsse und Windbeutel auf das Tablett gestellt. In zwei silbernen Kannen war heiße Schokolade und noch warme Toastscheiben lagen in einem weißen Brotkorb. Der Chocolatier füllte Honig und Marmelade in kleine Glasschälchen, die er ebenfalls neben den süßen Leckereien platzierte.

Zufrieden betrachtete er sein Werk. Ja, das würde ihnen bestimmt schmecken! Ein leichtes Kribbeln machte sich in seiner Magengegend bemerkbar und sein Lächeln wurde noch eine Spur breiter bei dem Gedanken, in ein paar Minuten gemeinsam mit den Buckets zu frühstücken. Seiner neuen Familie!

Das klang immer noch etwas ungewohnt, aber im Grunde wollte er sich daran gar nicht gewöhnen. Es sollte etwas Besonderes bleiben, bis in alle Ewigkeit!
 

Die Woche über machte Charlies Mum das Essen. Nur das Frühstück am Sonntag, das hatte Willy übernehmen wollen, was den anderen wirklich nichts ausmachte. Im Gegenteil! Sie freuten sich richtig darauf, weil er sich nämlich jedes Mal etwas Neues einfallen ließ.

Einmal hätten die Buckets es fast nicht über sich gebracht, den Schokoladenkuchen zu essen, den er für sie gemacht hatte, da sie dieses Kunstwerk nicht zerstören wollten: Willy hatte mit einem Schaschlikspieß ein wunderschönes Muster in die oberste Sahneschicht gemalt und diesem dann mithilfe einer Spritze, ganz langsam und vorsichtig, eine Schokoladenfüllung verpasst, damit es in dem ganzen weiß auch gut zu sehen war!
 

Wonka nahm das Tablett fest in beide Hände. An der Tür warteten bereits zwei Umpa-Lumpas, die ihn auf dem Weg nach unten begleiten würden, um ihm die schwere Last gelegentlich abzunehmen. Mit dem Fahrstuhl zu fahren kam überhaupt nicht in Frage, da dieses liebevoll hergerichtete Frühstück sonst alles andere als heil ankommen würde.
 

Nach einer Viertelstunde drückte Willy mit dem Ellenbogen die Klinke der schiefen Tür nach unten und trat seitwärts ein. „Guten Morgen!“, er stellte die mitgebrachten Sachen auf dem Herd ab, drehte sich dann mit einem strahlenden Lächeln um … und erstarrte.
 

Großvater George machte ihm mit seinem Blick unmissverständlich klar, dass er ihn im Moment am liebsten auf den Mond schießen würde. Das wunderte Mr. Wonka aber nicht sonderlich, sondern eher die Tatsache, dass er neben seinem Bett stand und Großmutter Josephine auch!

„Mum wacht nicht auf!“, erklärte Charlie, nachdem Wonka ihn mehr als nur verwirrt angesehen hatte, „Sie hat, glaube ich, einen Alptraum. Wir haben schon alles versucht, aber sie hat sich noch nicht mal gerührt, als wir sie in das Bett hier gelegt haben!“

Willy trat näher. Es stimmte, sie schien wirklich nicht gut zu träumen: Mit zusammengezogenen Augenbrauen lag sie da, manchmal warf sie den Kopf von einer Seite auf die andere und wimmerte leise. Der Chocolatier ließ sich auf der Bettkante nieder. „Hallo?“, er beugte sich über die Frau und tätschelte ihr die Wange, „Huhu! Hören Sie mich? Mrs. Bucket? Aufwachen! Ich hab Frühstück gemacht!“
 

Zuerst hatte Charlie sich gar keine großen Sorgen gemacht. Sie sei sicher müde und man solle sie einfach schlafen lassen, dessen war er sich sicher gewesen. Doch jetzt bekam er so langsam Angst, denn Willys Stimme wurde, je länger er auf sie einredete, immer lauter! Eindringlicher. Panischer! „Madam, BITTE! Aufwachen! Sie MÜSSEN aufwachen!!!“ Doch Mrs. Bucket wurde nicht wach, auch dann nicht, als Wonka ihr so eine schallende Ohrfeige verpasste, dass Mr. Bucket erschrocken zusammenzuckte!
 

Irgendwann sah Willy Wonka ein, dass es keinen Sinn hatte es weiter zu versuchen. Seufzend schüttelte er den Kopf, blickte sie weiterhin ernst an.

„Sie haben eine Ahnung was mit ihr sein könnte, nicht wahr?“, flehend kam Großvater Joseph auf ihn zu, „Ich weiß, dass Sie etwas wissen, Mr. Wonka!“

Der nickte nur zögerlich. Seine Stimme war rau, als er antwortete: „Ja … sie ist gefangen! Im Alptraumland!“
 

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„Im … im Alptraumland?“, fragte Charlie ungläubig nach. „Das müssen Sie uns genauer erklären!“, bat sein Vater, „Ich meine, Träume sind doch kein Land!“ „Oh doch!“, Wonka hob den Kopf, „Wenn wir träumen, reist ein Teil unserer Seele in ferne Welten – der andere hält unseren Körper am Leben – und wenn wir schlecht träumen eben ins Alptraumland! Ich weiß nicht, wie groß es in Wirklichkeit ist, aber bestimmt größer als der ganze Kontinent Amerika! Es setzt sich nämlich aus den Ängsten aller Menschen zusammen. Aus den sogenannten Angstzonen, die durch unsichtbare Traumbarrieren voneinander abgetrennt sind. Wenn man ganz normal dort landet, wie deine Mutter Charlie, dann kann man sich nur in seinen eigenen Angstzonen bewegen. Tja und manchmal …“, Willys Blick blieb wieder sorgenvoll an Mrs. Bucket hängen, „kann es eben auch passieren, dass man von irgendwas oder irgendwem … dort festgehalten wird!“
 

„Was meinen Sie mit ‚normal dort landen‘?“, erkundigte sich der Junge. „Und wieso wissen Sie soviel darüber?“, setzte Grandpa George noch hinzu.

„Na gut …“, murmelte Wonka, ehe er anfing zu erzählen: „Vor zwei Jahren hab ich zufällig – das lag wirklich nicht in meiner Absicht – einen Trank erfunden, der einen ins Alptraumland schickt. Zuerst hab ich mir um den Umpa-Lumpa, der ihn damals zum Test eingenommen hat, gar keine großen Sorgen gemacht. Er ist halt einfach eingeschlafen, aber dann ist er auch nach einer Woche nicht mehr aufgewacht, lag da wie im Koma! Also hab ich weiter experimentiert. Bis ich dieses abscheuliche Gebräu schließlich so weit hatte, dass man irgendwann automatisch zurückkehrt. Je nachdem, wie viel man geschluckt hat, versteht sich. Und noch etwas: Wenn man auf diese Art und Weise ins Alptraumland reist, ist es einem möglich die Traumbarrieren zu überschreiten. Man kann also ungehindert von einer Angstzone in die nächste gelangen!“, hier machte Willy eine Pause und sprach dann leise weiter, „Zehnmal war ich dort, um alle meine kleinen Freunde zurückzuholen, die ich in der Testphase dahin verbannt habe … und das war …. ja … ein Alptraum!“
 

Nervös kaute der Chocolatier auf seiner Unterlippe. Man sah ihm an, dass er Angst hatte dorthin zu reisen, gleichzeitig aber wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab. Charlie setzte sich neben ihn auf die Bettkante: „Ich werde mit Ihnen ins Alptraumland gehen, Willy!“ „Nein!“, Wonkas Stimme war schneidend und so streng hatte er den Jungen bisher noch nie angesehen, „Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage!“

„Aber Sie wollen doch eigentlich gar nicht alleine! Wieso darf ich Sie dann nicht begleiten?“ „Charlie, du bist noch ein Kind!“, Mr. Wonka legte die linke Hand an dessen Wange, blickte ihn aber weiterhin ernst an, „Du könntest da vielleicht Sachen sehen, die so schrecklich sind, dass du sie dir jetzt noch nicht mal ansatzweise vorstellen kannst! Von denen du dich vielleicht nie mehr erholst! Ist dir klar, welche Schäden deine Seele da davontragen könnte? Auch wenn ich bei dem Gedanken an das Reich der Alpträume noch so schlimme Bauchschmerzen bekomme, das will ich einfach nicht riskieren!“ „Und wenn ich mit Ihnen gehe, Sir?“, schaltete sich nun Mr. Bucket ein. „Nein Dad!“, widersprach Charlie, „So wie ich die Sache sehe, muss bei diesem Abenteuer ziemlich viel Vertrauen da sein … tut mir Leid, aber das ist zwischen mir und Mr. Wonka eben einfach größer. Wir sind doch schließlich …“, er wollte eigentlich ‚Partner‘ sagen, doch dann wurde ihm klar, dass sie schon lange keine Partner mehr waren. Waren sie es überhaupt jemals gewesen? „ … Freunde, oder?“, brachte er den begonnenen Satz zu Ende.

„Natürlich, mein Junge, und genau deshalb will ich …“ Charlie ließ ihn nicht ausreden: „Aber es geht doch um Mum! Hören Sie: Es ist meine eigene Entscheidung mit Ihnen ins Alptraumland zu reisen und Sie können ja auch nicht wissen, was geschehen wird … Wenn meiner Seele nun etwas passiert ist das also nicht Ihre Schuld, Mr. Wonka!“

Hatte er damit nicht sogar Recht? Willy zögerte. Der Junge hatte keine Ahnung davon, was ihn erwartete.
 

Er selbst hatte damals nämlich nicht nur abscheuliche Monster zu Gesicht bekommen, sondern auch Leichen! Er war auf einem Schlachtfeld gewesen, inmitten lebloser, teils zerstückelter Körper und der Gestank verbrannten Fleisches war noch so intensiv in der Luft gelegen, dass er geglaubt hatte daran zu ersticken! Er hatte die Schreie von Menschen gehört, die zu Tode gefoltert wurden und musste dabei zusehen, wie man einer Frau die Haut vom Leib zog!

Nein! Das wollte er nicht nochmal erleben! Und auf gar keinen Fall allein!
 

Er sah in Charlies Augen, die zuversichtlich zu ihm aufblickten. Spürte den leichten Druck der kleinen Hand an seinem Oberarm, knapp unter der Schulter. Wurde wieder ruhiger.

Wenn sie wirklich in solche Angstzonen kämen, konnte er dem Jungen doch immer noch Augen und Ohren zuhalten, oder? Würde seine eigene Angst damit nicht sogar ein wenig verdrängt, wenn er die Aufgabe hatte Charlie zu beschützen?
 

„Na gut!“, stimmte Willy schließlich zu, „Wir werden deine Mutter gemeinsam suchen, mein Freund!“ „Danke, Sir!“

„Ihr habt Glück!“, der Chocolatier erhob sich, „Ich hab damals vor zwei Jahren den Rest des Alptraumtrankes, der übrig geblieben ist, eingefroren. Wegschütten wäre viel zu gefährlich gewesen! Er wäre in der Kanalisation gelandet oder im Grundwasser … eine Katastrophe! Ich werde ihn schnell auftauen und dann herbringen!“
 

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„Hier ist es!“, Wonka hielt ein kleines Glasfläschchen zwischen Daumen und Zeigefinger. Verblüfft trat Charlie noch etwas näher, bis er mit der Nase fast dagegen stieß. Das war doch keine Flüssigkeit! Das sah aus wie dunkler Nebel, der da in dem Gefäß umher wirbelte, zwar ganz leicht nur, aber er war in Bewegung! Es hätte auch Rauch sein können. Wie sollten sie denn sowas runterschlucken? Und wie hatte Mr. Wonka es geschafft GAS einzufrieren? Oder war es am Ende gar ein Trank gewesen und er hatte ihn nur aus Versehen zu stark erhitzt?

Ein leises Lachen störte die Überlegungen des Kleinen. „Ich weiß was du denkst Charlie!“, schmunzelte der Chocolatier, „Aber es ist wirklich eine Flüssigkeit! Es sieht zwar aus wie Nebel, hat aber die gleiche Konsistenz wie Wasser. Bewegen kann es sich nur in einem kleinen, begrenzten Raum. Du brauchst also keine Sorge haben, dass es in der Luft davonschwebt!“

Willy holte zwei Teelöffel, die er mit dem Fläschchen auf das Bett legte, in dem Mrs. Bucket immer noch schlief. „Vier Tropfen! Das genügt, um uns für eine halbe Stunde ins Alptraumland zu schicken!“, erklärte er, während er sich den Zylinder abnahm und sein blutrotes Jackett über den nächsten Stuhl hängte, „Ich hoffe wir finden sie gleich beim ersten Versuch. Hör zu, Charlie: Wir müssen diesen Trank unbedingt gleichzeitig schlucken! Das ist ganz, ganz wichtig, damit wir gleichzeitig einschlafen und somit auch zur gleichen Zeit im Reich der Alpträume landen. Sonst müssen wir uns erst noch gegenseitig suchen. Das würde viel zu viel Zeit kosten. Außerdem will ich nicht, dass du alleine durch die Angstzonen wandern musst!“
 

Willy ließ sich auf der Bettkante nieder und entledigte sich seiner Schuhe: „Du in die Mitte, Charlie!“ Folgsam krabbelte der Junge in die Besucherritze des großen Doppelbettes. Indessen träufelte Wonka hochkonzentriert die exakte Menge des Alptraumtrankes auf die beiden Teelöffel. Einen davon reichte er vorsichtig seinem jungen Erben. Der Kleine musste zugeben, dass der Chocolatier mit seiner Erklärung vorhin Recht gehabt hatte: Die grauschwarze Nebelflüssigkeit wirbelte zwar weiterhin sanft umher, blieb aber dennoch auf dem silbernen Löffel! „Wir werden ihn zuerst mal nur in den Mund nehmen. Und wenn Sie bis drei gezählt haben, Großvater“, wandte sich Mr. Wonka an Joseph, „dann erst schlucken wir! Alles klar!“

Charlie nickte und ließ sich den Trank auf die Zunge laufen. Unwillkürlich verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. Es schmeckte scheußlich: Ganz bitter. Doppelt so bitter wie die schlimmste Medizin. Sauer war es auch noch! Der Junge war richtig froh, als endlich das Signal von Grandpa Joseph kam und er dieses Gebräu hinunterwürgen durfte!

Willy holte einmal tief Luft. So, der Alptraumtrank war geschluckt! Jetzt gab es definitiv kein Zurück mehr! Er schob die Beine unter die Daunendecke, schüttelte das Kissen auf und wollte sich gerade rückwärts hineinfallen lassen, als ihm bewusst wurde, dass die restlichen vier Buckets immer noch um das Bett herumstanden und auf irgendetwas zu warten schienen. „Könnten Sie vielleicht BITTE verschwinden?“, fauchte er gereizt, „Ich kann im Moment wirklich niemanden gebrauchen, der mir beim Einschlafen zuguckt!“
 

Nun waren sie also allein. Wonka seufzte leise, hielt die Augen noch für ein paar Sekunden geschlossen, um wieder ruhiger zu werden. Dann drehte er sich auf die Seite, damit er dem Jungen ins Gesicht blicken konnte. „Hey, jetzt mal ehrlich …“, flüsterte er behutsam, „hast du wirklich gar keine Angst?“

Charlie, der zur einen Hälfte unter Mrs. Buckets Decke lag und zur anderen unter Willys, überlegte zuerst ein wenig: „Ein bisschen mulmig ist mir schon, aber so richtig Angst … nein eigentlich nicht!“ Ja, das stimmte. Hier, zwischen den beiden Erwachsenen, fühlte er sich fast schon trügerisch sicher!

„Zusammen schaffen wir das schon!“, meinte Wonka so zuversichtlich wie möglich. Sacht drückte er mit der Hand die schmale Schulter, bevor er die Augen schloss und versuchte nicht an das zu denken, was ihnen eventuell passieren könnte.
 

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Ein Wald. In der Dunkelheit der Nacht. Durch die kahlen Äste der riesenhaften Bäume schien der Vollmond, dessen silbrig kaltes Licht die Schatten auf dem Boden zu bizarren Fratzen werden ließ. Die zwei Menschen hörten lediglich ihren eigenen Atem, sonst war alles ruhig.

„Wir sind da, nicht wahr? Im Reich der Alpträume?“, flüsterte Charlie. Er trat noch einen Schritt näher zu Mr. Wonka. Der sah genauso aus, wie er ins Bett gestiegen war: Schwarze Hose, schwarzes Hemd, ohne den Mantel. Seinen Hut hatte er auch nicht auf dem Kopf, dafür aber Schuhe an den Füßen. Charlie ebenso.
 

Plötzlich knackte und raschelte etwas hinter ihnen und in der, bis eben vorherrschenden Stille wirkte es ohrenbetäubend laut. Mr. Wonka wirbelte herum und blickte in zwei rotglühende Augen, die ihn aus dem Dickicht heraus anstarrten. Ein wenig unterhalb davon blitzte etwas Weißes durch die Zweige und ein heiseres Knurren war zu hören!

„Wir müssen hier weg! Schnell!“, panisch zerrte der Kleine an Willys Arm. Der nickte nur einmal knapp, den Blick immer noch wie paralysiert auf dieses Wesen geheftet, und dann rannten sie.
 

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„Was zur Hölle war das denn nur?“, fragte Wonka, als er sich leicht keuchend auf einer riesigen Wurzel niederließ, den Stamm des Baumes im Rücken. „Ein Werwolf!“, flüsterte Charlie. „Woher …“, setzte Willy irritiert an, doch dann begriff er: „Dann sind wir hier also in DEINER Angstzone!“ „Ja, vermutlich!“, murmelte der Junge.
 

Auf einmal erhob sich ein unheimliches Geheul rings um sie. Der Kleine zuckte zusammen, als hätte er einen Stromschlag abbekommen. „Schsch … ganz ruhig!“, sanft zog Wonka ihn zu sich auf den Schoß, „Dir kann nichts passieren! Keine Angst! Ich bin ja da!“

Und darüber war Charlie wirklich mehr als nur froh. Irgendwie kam ihm hier alles viel realer vor, als in einem wirklichen Traum. Wahrscheinlich auch eine Wirkung des Trankes, dachte er.

Mit den Händen hielt er sich an den Schultern des Chocolatiers fest, kauerte sich noch etwas mehr zusammen. Willy trug schwarz, war also in der Dunkelheit dementsprechend schlecht zu erkennen. Wenn er sich hier jetzt also ganz klein machte, vielleicht bemerkten die Werwölfe sie dann ja gar nicht!
 

„Dann sind es bei dir also die Werwölfe!“, flüsterte Wonka, „Ich hatte früher immer wahnsinnige Angst vor Frankenstein!“ Trotz der Gefahren, die um sie herum lauerten, musste Charlie nun doch ein wenig lächeln: Stimmt, der war auch gruselig!
 

Der Junge war froh, dass sein Lehrer ihn nicht auslachte, sondern Verständnis zeigte.

Willy Wonka selbst fand es etwas merkwürdig, den Kleinen so festzuhalten. Auf der anderen Seite erfüllte es ihn aber auch mit Stolz, dass er sich so vertrauensvoll an ihn lehnte. Schutz suchte.
 

„Großvater George hat mal eine Geschichte von Werwölfen erzählt!“, murmelte Charlie an Wonkas Schulter, „An Halloween. Ich krieg diese Bilder einfach nicht mehr aus meinem Kopf!“

„Du brauchst wirklich überhaupt keine Angst zu haben!“, Willy strich ihm beruhigend über den Rücken, „Bevor dieser Wolf dir was antun kann muss er zuerst mich fressen und dann ist er entweder schon satt oder aber, ich schmecke so scheußlich, dass er auf ‚Mensch‘ keinen Appetit mehr hat!“ „Ja, oder Sie sind so lecker, dass er erst Recht auf den Geschmack kommt!“, spann Charlie den Gedanken weiter. „Diese Theorie …“, grinste Mr. Wonka nervös, „vergessen wir jetzt mal ganz schnell wieder, okay?“

Allerdings gefror sein Lächeln augenblicklich. Das Wolfsgeheul erklang erneut, ebenso wie das Knurren. „Er ist ganz in der Nähe!“, flüsterte Charlie. Willy verstärkte seinen Griff um den kleinen Körper, ließ die Augen alarmierend umherschweifen: „Wir müssen hier weg!“ Er packte den Jungen bei der Hand und zog ihn mit sich. Charlie strauchelte, stolperte neben seinem Mentor her, doch der hielt ihn sicher fest!
 

„Da vorne!“, rief Wonka plötzlich aus. Der Wald lichtete sich. „Aber Mr. Wonka! Das ist eine Klippe!“, die Stimme des Kleinen überschlug sich, als er sah worauf sie zusteuerten. „Ja, eben! Verstehst du denn nicht, Charlie? Das ist die Traumbarriere! In Träumen kannst du nicht sterben. Immer wenn es gefährlich wird, wachst du doch normalerweise auf, oder? Und wir werden, wenn wir da jetzt runterspringen in die nächste Angstzone kommen!“ „Sind Sie sich sicher?“ „Ganz sicher!“
 

Der Junge kniff die Augen zusammen, biss sich auf die Unterlippe und spürte gleich darauf einen heftigen Ruck an seinem Arm, als Wonka absprang.
 

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Charlie hatte nicht damit gerechnet, so schnell schon wieder Boden unter den Füßen zu haben. Er fiel nach vorne, überschlug sich und kam schließlich auf dem Rücken zum Liegen. Ein paar Sekunden blickte er verwundert zu der weißgestrichenen Decke und der daran befestigten, runden Lampe. Dann allerdings ließ ihn ein lautes Krachen erschrocken aufspringen.
 

In dem Raum, in dem sie sich gerade befanden, stand ein viereckiger, dunkelgrüner Holztisch. Und vor diesem Tisch kauerte nun wimmernd Mr. Wonka und hielt sich die Stirn. Der hatte nämlich beim Überschreiten der Traumbarriere weniger Glück gehabt als Charlie und war in vollem Karacho auf die massive Holzkante geknallt.

„Sir! Haben Sie sich sehr wehgetan?“ Doch Willy ließ nur ein gequältes „Oh, Shit!“ von sich hören und vergrub seinen Kopf noch etwas mehr in den Händen.
 

Nach einiger Zeit ebbte der Schmerz zum Glück ab und Wonka konnte wieder aufstehen.

Sie waren in einer Küche gelandet. An der rechten Seite des Zimmers befanden sich ein Kühlschrank, Herd, Spüle und Hängeschränke. „Sind wir hier überhaupt noch im Alptraumland?“, fragte der Kleine zweifelnd, „Das sieht alles so harmlos aus!“ „Nicht jeder Alptraum ist gleich als solcher zu erkennen, Charlie!“, antwortete Mr. Wonka undurchsichtig.
 

Die Tür ging auf. Ein kleiner Junge kam herein, achtete aber nicht auf die zwei fremden Leute, sondern schritt zielstrebig zu dem Tisch und nahm den weißen Zettel in die Hand, der dort lag. „Er kann uns nicht sehen!“, erklärte Wonka, „Und hören auch nicht!“

Der Kleine hatte fertiggelesen. Seine Mundwinkel zuckten verdächtig. Traurig ließ er sich auf einen Stuhl sinken.

Charlie blickte über seine Schulter auf das Stück Papier:
 

~War heute Früh schon mal da. Du hast aber noch geschlafen und ich wollte dich nicht wecken. Bin wieder zu Mum ins Krankenhaus gefahren. Sie lässt dich ganz herzlich grüßen. Essen ist im Kühlschrank.

Dad~
 

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Eine halbe Stunde geschah gar nichts, außer, dass Charlie sich immer wieder fragte, was ihnen denn hier Angst machen sollte.

Doch plötzlich hörten sie von draußen ein Klacken. Wahrscheinlich ein Schlüssel, der in die Wohnungstür gesteckt wurde. Der Junge sprang auf. Charlie wollte ihm nachlaufen, drehte sich dann aber noch einmal zu Mr. Wonka um, der, die Fäuste geballt, zu Boden starrte: „Was ist? Wollen Sie denn gar nicht wissen was passiert?“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern trat aus der Küche. Ganz langsam ging Willy ihm nach, fast so, als hätte er Angst vor dem, was er sehen würde.
 

„Dr. Wonka?“, Charlie konnte es kaum glauben, aber es war eindeutig Dr. Wonka, der da ins Haus kam, wenngleich er auch sehr viel jünger war. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und sah schrecklich müde und traurig aus!

„Dann … dann … dann sind das Sie?“, Charlie wandte sich zu Mr. Wonka um, zeigte mit dem Finger aber auf den kleinen Jungen, der nun freudig angefangen hatte zu sprechen: „Dad! Wie geht es Mum denn? Wann kommt sie wieder nach Hause?“ Der Mann seufzte schwer: „Ich weiß es nicht, Junge!“ „Nimmst du mich das nächste Mal mit ins Krankenhaus?“ „Nein, Willy!“ „Wieso nicht? Warum darf ich sie denn nicht besuchen?“

Ohne jegliche Vorwarnung holte Dr. Wonka plötzlich aus und schlug seinem Sohn mit der flachen Hand ins Gesicht. „Hör endlich mit dieser dummen Fragerei auf! Sie will dich eben nicht sehen, deswegen!“, schrie er gereizt, „Deine Mutter ist schwer krank, da kann sie dich im Moment wirklich nicht gebrauchen!“
 

Der erwachsene Willy Wonka fasste sich unwillkürlich an die Wange. Es war das erste und einzige Mal gewesen, dass sein Vater ihn geschlagen hatte. Vermutlich war ihm diese Szene deswegen so genau in Erinnerung geblieben.
 

Charlie wollte gerade etwas fragen, als es plötzlich stockdunkel um sie herum wurde! Von einer Sekunde auf die andere. Pechschwarze Finsternis. Dr. Wonka und der junge Willy waren verschwunden, sich selbst konnten sie aber immer noch gut erkennen. Komischerweise. „Ist das jetzt schon die nächste Zone?“, fragte der Kleine, nun doch etwas unsicher. „Nein!“, flüsterte der Chocolatier rau.
 

Sie hörten Schritte und gleich darauf löste sich eine junge Frau aus dem Dunkeln. Sie war sehr schön, nur leider auch ziemlich blass. Das schokoladenbraune Haar reichte ihr bis zur Hüfte. Sie näherte sich ihnen bis auf ungefähr zwei Metern, dann zogen sich ihre fein, geschwungenen Augenbrauen plötzlich ärgerlich zusammen. Aus saphirblauen Iriden funkelte sie Mr. Wonka wütend an. „Was willst du hier immer noch, Willy?“, zischte sie eisig, „Verschwinde! Ich kann dich nicht mehr sehen! Hau ab!“, jetzt schrie sie, „Ich brauch dich nicht mehr! Ich will dich nicht mehr!“
 

So langsam erholte sich Charlie von dem ersten Schrecken. „Hören Sie auf!“, rief er ihr zu. Doch sie reagierte nicht. Noch mehr Frauen, die genauso aussahen wie die Erste, traten hinzu. Kreisten ihn und Mr. Wonka ein. „Hast du es immer noch nicht verstanden? Du bist nur im Weg!“, riefen sie im Chor, „Du bist mir keine Hilfe! Ich kann dich nicht gebrauchen! Ich will dich nicht sehen!“

„Aufhören!“, flehte Charlie, „Seien Sie still!“
 

Ohne zu überlegen, sprang er auf eine zu und die Frau verpuffte zu Rauch, als er sie berührte. Der Junge zögerte nur ganz kurz, dann rannte er einmal im Kreis, durch die Frauen hindurch.
 

„Mr. Wonka?“, vorsichtig trat er zu dem Chocolatier, „Sie sind weg. Sehen Sie? Mr. Wonka!“ Doch der zeigte keine Reaktion, starrte nur mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit. Und er zitterte, das machte Charlie eigentlich die meiste Angst. Er zitterte am ganzen Körper!

„Mr. Wonka! Das hier ist alles nur ein Traum, erinnern Sie sich?“, der Kleine zog an Wonkas Arm, „Wir müssen in die nächste Angstzone! Lassen Sie uns weitergehen, bitte. Ich will hier nicht länger bleiben. Willy, hören Sie mich?“

Da, endlich, machte er einen Schritt nach vorne!
 

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Es war mit Sicherheit die plötzlich auftretende Kälte, die Willy aus seiner Trance wieder aufwachen ließ. Er blinzelte zwei-, dreimal, so als müsse er sich des kalten Windes und des ganzen Schnees um sich herum erst richtig bewusst werden, doch dann schlang er sich ziemlich schnell zähneklappernd die Arme um den Körper: „Wo sind wir denn hier gelandet? Am Nordpol? Na zum Glück ist das alles nicht echt. Ich hasse nichts mehr, als mit einer knallroten Nase rumzulaufen. Das sieht so unmöglich aus!“ „Mir wäre weniger Schnee auch lieber!“, bibberte Charlie, „Aber wenigstens …“, lächelte er Mr. Wonka zu, „sind Sie jetzt wieder Sie selbst!“
 

„Hey, da vorne ist doch was. Siehst du das auch?“, der Chocolatier zeigte auf etwas Dunkles am Horizont. „Ja! Sollen wir uns das mal ansehen?“
 

Zehn Minuten wanderten sie durch bitterste Kälte, bis sie etwas erkennen konnten. „Das ist ja Mum!“, rief Charlie aus, „Wir haben sie tatsächlich gefunden!“ Schon rannte er auf die Frau zu. „Ja! Und ich glaube die Trümmer um sie herum“, mutmaßte Wonka, „waren mal euer Haus!“
 

Tatsächlich kniete Mrs. Bucket zwischen den Resten der zerstörten Hütte und in ihren Armen lag Mr. Bucket. Völlig leblos!

„Mum! Oh, bin ich froh dich zu sehen! Komm! Du musst unbedingt mit uns zurückkommen!“ „Zurückkommen?“, verwirrt blickte Charlies Mutter auf, „Was meinst du damit? Ich darf hier nicht weg! Ich kann deinen Vater doch nicht einfach so allein lassen. Ich muss auf ihn aufpassen!“

„Na das is ja’n Ding!“, staunte Willy, „Sie hält sich SELBST im Alptraumland gefangen. Also das hab ich wirklich noch nie erlebt!“

Er kniete sich neben sie und legte ihr die Hände auf die Schultern: „Hören Sie, meine Liebe: Das ist alles nur ein schlimmer Traum! Ihrem Mann geht es gut. Er wartet in der Realität auf Sie!“
 

Plötzlich spürte Charlie, wie er in die Luft gehoben wurde. Seine Mutter und Willy Wonka, der ihr von hinten einen Arm um die Taille geschlungen hatte, stiegen ebenfalls nach oben dem Himmel entgegen. „Mr. Wonka!“, rief er dem Chocolatier, mit einem leichten Anflug von Panik in der Stimme, zu, „Was passiert hier?“
 

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Wärme, das war das Erste was der Junge wahrnahm. Verwundert richtete er sich auf. Er lag in dem Bett seiner Großeltern. Er war wieder Zuhause!

„Mum!“, glücklich umarmte er sie, kaum dass sie sich aufgesetzt hatte. „Ich hab was ganz komisches geträumt …“, murmelte sie immer noch etwas benommen, „Du warst tot. Erfroren!“, wandte sie sich an ihren Mann, „Und ich hatte irgendwie das Gefühl, ich müsste unbedingt bei dir bleiben … und dann kamen Charlie und Willy …“ „Das war kein Traum, Mum …“, unterbrach sie der Junge, „na ja … eigentlich schon … aber du warst gefangen und …“

Willy verstand jetzt nur noch Satzfetzen, da plötzlich alle durcheinanderredeten. Aber es reichte aus um zu wissen, dass sie ihr nun alles erklärten. Mit gesenktem Kopf saß Wonka auf der Bettkante. Niemand beachtete ihn!

Ganz langsam griff er zu seinen Schuhen. Beinahe im Zeitlupentempo verknotete er die dünnen Schnürsenkel. Schweren Herzens stand er auf, warf sich leise seinen Mantel über und setzte den Hut wieder auf. Wie kam es, dass er sich zwischen diesen vertrauten Menschen auf einmal so allein fühlte? So fehl am Platz?
 

Seine Hand zitterte ein wenig, als er sie um die Türklinke legte. „Willy? Nein, geh nicht! Warte, bitte!“, Mrs. Bucket eilte auf ihn zu. Er wandte sich um und dann nahm sie ihn in den Arm. Schmiegte ihre Wange kurz an seine. „Vielen Dank! Danke, dass du mich da rausgeholt hast!“

Für einen Moment war der Mann sprachlos, dann lächelte er verlegen: „Wenn ich es nicht wenigstens versucht hätte … das hätte ich mir niemals verziehen, Mrs. B!“
 

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Er saß allein am Ufer des Schokoladenflusses. Die Szenen des Alptraumlandes spielten sich vor seinem inneren Auge immer wieder ab.

Er hatte schon lange nicht mehr von ihr geträumt!
 

Plötzlich spürte er eine leichte Berührung an seiner Schulter.

Ein scheues Streicheln!

Willy blickte auf, direkt in die besorgten Augen seines Freundes. „Diese Frau …“, Charlie setzte sich neben ihn, „das war deine Mum, nicht wahr?“
 

Es hatte den Jungen schon etwas Überwindung gekostet, Wonka zu duzen, wo er eigentlich warten wollte, bis dieser es ihm anbot. Doch es war gerade dieses ‚Du‘, was Willy genügend Sicherheit gab, um ihm die ganze Geschichte zu erzählen: „Ja! Sie hatte Krebs. Da war ich erst sieben. Dad ist die ganze Zeit bei ihr geblieben. Im Krankenhaus. Er kam kaum noch nach Hause und wenn dann nur ganz kurz. Ich durfte sie nie besuchen. Einmal bin ich allein hingegangen, aber als ich dann einer Schwester gesagt hab, wer ich bin und zu wem ich wolle, hat sie mir erklärt, dass es der ausdrückliche Wunsch meiner Mutter gewesen sei, mich nicht zu ihr zu lassen …“, er stockte, den Blick auf die flüssige Schokolade gerichtet.

„Wahrscheinlich wollte sie es dir nur nicht zu schwer machen!“, versuchte Charlie ihn zu trösten, „Oder sie wollte nicht, dass du sie so siehst. So krank!“ „Das ist mir jetzt auch klar, aber damals war ich ja noch klein und hab das nicht verstanden. Ich dachte wirklich sie will mich nicht mehr haben. Und von Dad hab ich mich auch irgendwie im Stich gelassen gefühlt. Weißt du, in dieser Zeit bin ich immer ganz viel in der Stadt herumgelaufen, weil ich gehofft hab, wenn ich zurück bin, ist er wieder da! Sind sie beide wieder da! Aber …“, nun hatte Wonka wirklich mit sich zu kämpfen, „aber da war immer nur dieser Zettel. Immer wieder neu geschrieben! Zwei Monate ging das so. Sie ist nie mehr nach Hause gekommen! Ich war so …“, er konnte nicht mehr weitersprechen.
 

Charlie krampfte sich das Herz zusammen. Wegen dem was er eben gehört hatte, aber hauptsächlich wegen dem was er nun sah: Einen traurigen Willy Wonka!

Es gab nichts Schlimmeres als einen traurigen Willy Wonka. Gut, ein beleidigter oder gestresster Willy Wonka war auch nicht gerade angenehm, aber diesen immerzu fröhlichen, lustigen jungen Mann, dessen Lachen ansteckender war als die Windpocken, plötzlich traurig zu sehen, das war geradezu unerträglich!
 

„Wollen wir mal nachschauen ob von deinem Frühstück noch was übriggeblieben ist?“, fragte er, in der Hoffnung ihn damit wenigstes etwas aufzuheitern, „Die anderen haben schon angefangen … und … willst du heute bei uns schlafen?“

Auf Willys Gesicht erschien ein schwaches Lächeln: „Nichts was ich lieber täte!“
 

*~* Ende *~*
 

Die Idee zu der Geschichte kam mir, nachdem ich das zweite Buch „Charlie und der große gläserne Fahrstuhl“ gelesen hatte. Daher ist die etwas … fantasievoller, abenteuerlicher. Ich hoffe das stört nicht.

So, wie du bist

Kitschallergikern ist dringend davon abzuraten diese Geschichte zu lesen. Es tut mir zwar Leid, aber ich kann wirklich nichts dafür!

Auch ich habe eben eine Schwäche für Vater-Sohn-Beziehungen.
 

@Miss Honeychurch: Diese Geschichte widme ich nun ganz offiziell, dir! Da ich dich so lange hab drauf warten lassen. Ich hoffe es ist nach deinem Geschmack.
 


 

~ Eigentlich wollen sie einen nur beschützen, weil sie einen lieb haben! ~
 

~ Wenn Sie’s nicht glauben, fragen Sie doch! ~
 

Er hatte nicht gefragt. Es schien ihm in diesem Augenblick nicht nötig gewesen zu sein: Ungewohnte Nähe, die er aber dennoch irgendwo vermisst hatte. Ein vertrauter, früher nie bewusst wahrgenommener Geruch und die Tatsache, dass er festgehalten wurde, obwohl er sich den Erwartungen widersetzt hatte.

Es musste nichts gesagt werden. Es brauchte keine Worte.

In dieser Umarmung war sie so präsent, so spürbar. Die Liebe seines Vaters.
 

Doch nun bereute er es nicht nachgefragt zu haben. Die alten Zweifel kamen wieder auf. Nagten an ihm. Konnte eine einzige Umarmung die Strenge und Ungerechtigkeit von 12 Jahren wettmachen?

Er glaubte nicht wirklich daran.

Und um sich dessen sicher zu werden, würde er nachfragen müssen, auch wenn ihm vor dem Gespräch graute. Er wollte es endlich wissen. Er wollte die Worte hören, die er in seinem ganzen Leben noch kein einziges Mal gehört hatte!
 

„Willy!“
 

Wonka fuhr so heftig zusammen, dass ihm um ein Haar das große Gefäß aus der Hand gerutscht wäre.

Charlie war eben durch die Tür des Erfindungsraumes getreten und kam nun verwundert näher: „Wieso bist du so erschrocken? Es war doch abgemacht, dass ich um drei komme!“ „Ja. Ja, natürlich!“, murmelte Willy. Verwirrt blickte er auf die flüssige Zucker-Karamellmischung. Die warf ja schon Bläschen. Wie lange hatte er darin denn herumgerührt?
 

„Wo sind denn die ganzen Umpa-Lumpas?“, fragte Charlie während er seinen Blick suchend umherschweifen ließ. So leer hatte er den Erfindungsraum bisher noch nie gesehen.

„Die hab ich zu anderen Räumen geschickt!“, antwortete Wonka, griff zu einem Reagenzglas mit blauer Flüssigkeit und schüttelte es leicht, „Ich will heute mal allein und vor allem in Ruhe arbeiten!“

Ganz ernst sah er den Kleinen nun an: „Hör zu, Charlie … ich würde gerne, nein, ich muss mit meinem Vater sprechen, hab aber leider im Moment ziemlich viel zu tun, du siehst ja …“, er machte eine ausschweifende Handbewegung über den neben ihm stehenden Labortisch, „Aus diesem Grund … bist du so lieb und holst ihn her?“, Willy neigte fragend den Kopf ein wenig zur Seite.

„Na klar!“, lächelte der Kleine. Es freute ihn, dass sein inzwischen bester Freund wirklich gewillt war, den Kontakt zu seinem Vater zu halten.

„Oh, danke mein Junge!“, Wonka strahlte und Charlie kam es plötzlich so vor, als würde in diesem doch recht düsteren Raum die Sonne aufgehen.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

„Was will er denn mit mir besprechen?“, fragte Dr. Wonka. Sie waren gerade in einen weiteren Gang der Fabrik eingebogen. „Ich weiß nicht!“, antwortete Charlie, „Er hat nur gesagt, ich soll Sie zu ihm bringen!“

Der alte Mann schwieg. Er war immer noch viel zu überwältigt von dem Anblick des Schokoladenraumes, den sie eben durchwandert hatten. Das sollte sein Sohn erschaffen haben? Doch in seinen Unglauben mischte sich auch Stolz. Stolz, der jetzt so allmählich immer größer wurde.
 

Ein lauter Knall ließ den sonst so resoluten Mann erschrocken zusammenzucken und den Jungen kurz aufschreien. „Was war das? Eine Explosion?“, fragte Charlie, doch er schien keine Antwort darauf zu erwarten, denn sein Blick wurde plötzlich starr, so als sei ihm etwas eingefallen. „Der Erfindungsraum!“, murmelte er zusammenhanglos.

Und dann wurde er auf einmal kreidebleich und das geflüsterte nächste Wort war nicht mehr als ein Hauch: „Willy!“
 

Beiden schlug das Herz bis zum Hals. Sie rannten durch die leeren Gänge so schnell sie konnten. Angetrieben von einer panischen Angst! Der Angst, Willy könnte irgendetwas passiert sein.
 

Keuchend zog Charlie an der schweren Tür. Dr. Wonka half ihm und dann stürzten sie in den Erfindungsraum!
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Rauch quoll ihnen entgegen, so dass sie im ersten Moment überhaupt nichts erkennen konnten. Doch dann wurde langsam die Silhouette einer am Boden liegenden Gestalt sichtbar. „Willy!“, der Name aus Charlies Mund klang wie ein verzweifeltes Aufschluchzen.

Beide hasteten sie auf den Chocolatier zu.
 

Dr. Wonka hatte ihn als Erstes erreicht und schob ihm, trotz Panik, vorsichtig den Arm unter den Kopf. Willys Kleidung war an vielen Stellen verbrannt, er blutete stark und die Haut um die Wunden war rußgeschwärzt.

Der Junge kniete sich auf der anderen Seite neben ihm nieder. Hielt die große Hand mit seiner Kleinen fest, immer noch unfähig zu sprechen. Einige schreckliche Sekunden lang geschah gar nichts.
 

Charlie schossen vor Erleichterung Tränen in die Augen, als Wonka begann, sich in den Armen seines Vaters zu regen und die Augen einen winzigen Spalt zu öffnen. „Dad …“, flüsterte er leise.

„Junge!“, Wilburs Herz verkrampfte sich und er beugte sich noch etwas weiter über seinen Sohn. „Bist du …“, Willy stockte, das Reden schien ihn anzustrengen, „ … bist du eigentlich zufrieden mit mir … so wie ich bin … oder …“

Doch da versagte ihm die Stimme.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

„Atmung flach!“

„Hoher Blutverlust!“

„Großflächige Verbrennungen!“
 

Das riefen die Ärzte sich zu, als sie das Bett mit Wonka darin in den Operationssaal rollten. Die breite Tür schloss sich hinter ihnen und dann war es in dem Gang auf einmal totenstill.
 

Es gab nur drei schwarze Plastikstühle. Auf denen saßen leichenblass und immer noch ganz starr vor Entsetzen Dr. Wonka, Großvater Joseph und Charlie. Der Kleine weinte leise.

„Wie konnte das denn nur passieren? Ich mein, es ist doch noch nie was passiert …“, flüsterte Mrs. Bucket völlig aufgelöst. Auch ihr liefen Tränen über die Wangen. „Wenn wir das gewusst hätten …“ „Es konnte aber niemand wissen, Liebling!“, ihr Mann nahm sie beruhigend in die Arme, was ein wenig zu helfen schien.
 

„Ich glaub, er war abgelenkt. Konnte sich nicht richtig konzentrieren!“, murmelte Charlie. Hätte er gewusst, was er mit diesen Worten bei Dr. Wonka auslöste, er hätte sicherlich den Mund gehalten!

Dem Zahnarzt wurde nun nämlich innerlich ganz kalt. Seine Hände verkrampften sich ineinander und es schnürte ihm die Kehle zu. Sollte er am Ende Schuld an Willys Unfall sein? Das hatte er doch nicht gewollt!
 

Sie warteten. Eine Ewigkeit, die in Wahrheit nur drei Stunden andauerte. Willy wurde nach der OP in den Aufwachraum gebracht, doch noch durften sie nicht zu ihm. Aus welchen Gründen auch immer.
 

Schließlich kam aber doch ein Arzt auf die kleine Gruppe zu. Er räusperte sich kurz, bevor er anfing zu sprechen: „Also, zuerst mal um Sie zu beruhigen: Mr. Wonka ist außer Lebensgefahr. Es war alles nur halb so schlimm wie es aussah. Allerdings …“, er stockte und sah nervös in die Runde, „ist es äußerst merkwürdig, dass er immer noch nicht aufgewacht ist. Für gewöhnlich hält die Narkose nicht länger als zwei Stunden!“

„Sie meinen er liegt im Koma?“, fragte Charlies Mutter nach. Der Arzt nickte leicht bekümmert: „Sie können jetzt zu ihm!“

Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ sie allein.
 

„Gehen Sie zuerst!“, sagte der Junge und Dr. Wonka nickte ihm dankbar zu.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Bis auf ein paar Pflanzen, die auf dem Fensterbrett standen, war der Raum völlig kahl. Kahl und weiß. Die Wände waren weiß, der Schrank, sogar die Stühle und die beiden Betten. Und in einem davon lag Willy. Mit bleicher Haut und geschlossenen Augen.
 

In Wilburs Sichtfeld begann es zu flimmern und der Boden unter seinen Füßen wankte, als er seinen Sohn da so liegen sah. Er musste sich setzten, um nicht ohnmächtig zu werden.

Stöhnend vergrub er den Kopf in den Händen, konnte es einfach nicht glauben. Das hatte er doch alles schon mal erlebt! Damals, bei seiner Frau!

Sie hatte genauso ausgesehen, als der Krebs sie getötet hatte.
 

Das ist doch alles Unsinn, versuchte Dr. Wonka sich Mut zu machen. Die Vergangenheit konnte sich überhaupt nicht wiederholen. Durfte sich nicht wiederholen. Der Arzt hatte es doch bestätigt. Willy war in Ordnung. Er würde nicht sterben!
 

Und dennoch: Jetzt, mit diesen langen Haaren, sah er seiner Mutter so unglaublich ähnlich …
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

„Ich will aber hierbleiben!“
 

Wilbur konnte Charlies aufgebrachte Stimme schon hören, noch ehe er um die Ecke bog.

„Charlie, du weißt jetzt wenigstens, dass Willy nicht in Lebensgefahr schwebt!“, sanft redete Mrs. Bucket auf ihn ein, „Und wenn er im Koma liegt, dann kannst du nichts für ihn tun. Er muss ganz von alleine aufwachen!“ „Und wer weiß, wie lange das dauert!“, Dr. Wonka legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter, „Du musst zurück und dich um die Fabrik kümmern. Immerhin bist du jetzt allein für sie verantwortlich!“
 

Der Kleine drehte sich um, blickte mit rotgeweinten Augen zu dem Mann auf und meinte dann ganz ernst: „Das ist nur Schokolade, Sir!“
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Nun saßen sie also zu zweit an Wonkas Bett.

Charlie und Willys Vater, die vorher eigentlich nichts miteinander zu tun hatten, waren jetzt ganz plötzlich verbunden, in ihrer Sorge zu Willy Wonka.
 

„Warum durfte Willy damals eigentlich keine Süßigkeiten essen?“, fragte der Kleine auf einmal unvermittelt in die Stille. „Hat er dir das erzählt?“

„Ja!“, Charlie nickte, „Kurz nachdem wir damals bei Ihnen waren!“

„Ich wollte von vornherein verhindern, dass er auf den Geschmack kommt. Gefallen an Ihnen findet!“, begann Dr. Wonka zu erklären, „Ich dachte, wenn ich von Anfang an ‚Nein! ‘ sage, würde ich ihn am besten davor schützen, sich die Zähne kaputtzumachen!“

„Und wieso haben Sie ihm nicht erlaubt Chocolatier zu werden?“, hakte der Junge weiter nach, „Auch wegen Karies?“

„Nein, Charlie!“, der alte Mann schüttelte den Kopf, „Das hatte einen ganz anderen Grund!“ Abwartend sah der Kleine ihn an.

„Weißt du, um ein eigenes Geschäft zu eröffnen, brauchst du zuerst einmal ein ordentliches Startkapital. Du musst immer wieder von Neuem gegen die Konkurrenz bestehen und mit allem Mitteln versuchen dir deine Kunden zu halten … Kurz: Du musst eigentlich besser sein, als alle anderen! Das erschien mir einfach unmöglich! Ich … ich wollte einfach nicht, dass er gleich zu Beginn an, so eine Enttäuschung erlebt!“ „Also haben Sie nicht an ihn geglaubt!“, stellte Charlie fest und blickte nun wieder traurig auf seinen Freund.

„Ja!“, meinte Dr. Wonka rau, „Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass er es gleich beim ersten Versuch schafft. Aber er hat’s geschafft und das … grenzt für mich immer noch an ein Wunder!“

Ein zaghaftes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Jungen. „Für Willy Wonka ist nichts unmöglich!“, flüsterte er und in seiner Stimme schwangen Stolz und Bewunderung mit.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Die Zeiger der stetig tickenden Wanduhr standen auf halb zwölf. Von außen drangen nur noch bedingt Geräusche in das Krankenzimmer. Charlies Kopf war schlussendlich doch auf Dr. Wonkas Schulter gesunken, obwohl der Kleine tapfer gegen die Müdigkeit angekämpft hatte.

Schließlich stand der Mann auf, hob den Jungen hoch und legte ihn in das nebenstehende, leere Krankenbett. Nachdem er die weiße Decke über ihn gelegt hatte, löschte Wilbur das Licht. Nun waren in dem schwachen Schein der Straßenlaternen, der durch das große Fenster hereinfiel lediglich Umrisse zu erkennen.
 

Dr. Wonka ließ sich auf Willys Bettkante nieder. Lauschte, nur um sich zu vergewissern. Sein Sohn atmete!
 

~ „Bist du eigentlich zufrieden mit mir, so wie ich bin?“ ~
 

Erneut hallte diese Frage durch seinen Kopf, wie sie es die ganzen letzten Stunden getan hatte.

Ihm war inzwischen klar geworden, dass das nicht das war, was Willy eigentlich hatte wissen wollen. Es war nur zur Tarnung. Er hatte neue Worte gewählt und den Sinn ein wenig verdreht um eine andere, viel schwieriger auszusprechende, Frage zu verstecken: Hast du mich lieb?
 

Dr. Wonka tastete unter der Decke nach Willys Hand. Drückte sie leicht.

// Wach auf! //, betete er im Stillen, //Bitte wach auf, damit ich dir antworten kann! //
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Zwei Tage waren die Buckets und Dr. Wonka in stetiger Sorge um das Bett versammelt.
 

Dann begann der Chocolatier sich endlich zu regen. Öffnete die Augen einen kleinen Spalt. Ihm verschwamm die Sicht, es dauerte eine Weile, bis er all die Menschen erkannte. „Hey!“, flüsterte er leise und lächelte dabei schwach.
 

Wonka versuchte sich aufzurichten, wurde aber im selben Moment von einem kleinen Körper in die Matratze zurückgedrückt. Charlie war ihm um den Hals gefallen und hatte das Gesicht an seine Schulter geschmiegt. „Du bist wieder wach!“, schluchzte er.
 

„Charlie!“, behutsam strich ihm seine Mutter über den Rücken. Als er aufblickte, nickte sie mit dem Kopf leicht in die Richtung von Willys Vater. „Oh, tut mir leid!“, zerknirscht ließ der Junge seinen Freund los. Zusammen mit den anderen verließ er den Raum.
 

Willy hatte sich aufgesetzt. Nervös starrte er auf seine ineinander verkrampften Hände. Schaffte es nicht seinen Vater anzusehen.

„Ich darf dich daran erinnern …“, seufzte Wilbur, während er sich einen Stuhl heranzog, „dass ich inzwischen alt geworden bin!“ Er schloss für einen Moment müde die Augen: „Nochmal steh‘ ich diese Angst nicht durch!“

„Angst?“, Willys Stimme zitterte und die nächste Frage verschluckte er halb, „Um mich?“
 

„Schau mich bitte an!“, sagte Dr. Wonka leise, aber dennoch streng. Unsicher hob der junge Mann den Kopf, als erwartete er eine Tracht Prügel. Eindringlich sah der Arzt ihn an, sprach dann aber überraschenderweise ganz sanft: „Als ich dir damals verboten hab Chocolatier zu werden, war es niemals meine Absicht dich zu verändern. Ich wollte dich damit nicht irgendwie zurechtbiegen, glaub mir! … Ich hab mir einfach nur Sorgen um dich gemacht. Ich wollte, dass du eine gesicherte Zukunft hast!“, er machte eine kurze Pause, lächelte, „Was ja jetzt der Fall ist!“
 

Wilbur erhob sich und ließ sich dann, seinem Sohn gegenüber, auf der Bettkante nieder.

„Ich BIN zufrieden mit dir, so wie du bist!“, er zögerte ein paar Sekunden, bevor er ebenso leise weitersprach, „Ich liebe dich, so wie du bist!“
 

Jetzt war es mit Willys Selbstbeherrschung endgültig vorbei. Das Schluchzen, welches er mit aller Kraft versucht hatte zu unterdrücken, brach aus seiner Kehle und die Tränen bahnten sich ihren Weg unaufhaltsam über die blassen Wangen. Sie wegzuwischen wäre vollkommen sinnlos gewesen. Stetig flossen sie weiter, tropften auf die makellos weiße Bettdecke.
 

„Junge!“, flüsterte Wilbur, legte die Hände auf seine bebenden Schultern und zog ihn an sich, „Junge!“
 

*~* Ende *~*
 

„Bist du eigentlich zufrieden mit mir, so wie ich bin? Oder wünscht du dir manchmal, ich wäre anders?“
 

Diese Frage hab ich meiner Mama auch schon mal gestellt … und sie hat ähnlich reagiert wie Wilbur.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von: abgemeldet
2010-02-07T12:29:11+00:00 07.02.2010 13:29
herrlich traurig (sniff)
Ich liebe diesen Film über alles
deine fanfic is ganz ganz toll!! ^^ ;)

Von: abgemeldet
2009-09-17T19:32:18+00:00 17.09.2009 21:32
Ohgott. Ohgott. Sag mal Caro, bist du denn von Sinnen? Was fällt dir eigentlich ein, so ein Kapitel zu schreiben? So ein langes, TOLLES Kapi! *_*
Ich muss sagen, du hast dich mal wieder selbst übertroffen – und ich finde fast, dass dieses Kapitel ein bisschen besser (noch besser) geworden ist als die davor. Mir gefällt eben vor allem die fantastische, fantasievolle Komponente, mit der du diesmal gearbeitet hast – sie bringt den Charme der ganzen „Charlie und die Schokoladenfabrik“- Geschichte mal wieder richtig zum Leuchten, finde ich… ^_^ Hört sich wahrscheinlich total abgehoben an, was ich da schreibsele, aber ich finde wirklich, dass hier diese wunderschöne Welt von Wonkas Reich am besten herauskommt!
Und dass die Idee mit dem Albtraumland meiner Meinung nach mal wieder genial ist, muss ich ja nicht extra sagen…ähem <3
PS: Mir ist mal wieder dein Talent fürs detailreiche Beschreiben aufgefallen, man sitzt quasi in der Geschichte drin! *klatsch* ^_________^°

PS: ...Finchen die faule Socke hat noch keinen Kommi geschrieben? Und normalerweise bin ich schon die Langsame T.T
Von:  _Eisblume
2009-07-10T13:55:08+00:00 10.07.2009 15:55
mhm das is auch auch schon wieder so schön
willi is genau so wie er sein soll
die gespräche zwischen willi und seinem vater hast du super hinbekommen
was soll ich noch groß sagen hat mir echt sehr gut gefallen
hat richtig spaß gemacht diese one shot zulesen
Von:  _Eisblume
2009-07-10T13:53:20+00:00 10.07.2009 15:53
hey ho
ich hab mich mal bei deinen fanfictions umgesehen
hier is ja nen willy wonka geschichte
wuuu
musst ich gleich anfangen zulesen
du schreibst echt toll
liest sich total schön
die charakter hast du echt klasse hinbekommen
kommt mir vor wie im film
könnte ein vortsetzung sein

Von: abgemeldet
2009-06-29T17:18:55+00:00 29.06.2009 19:18
Nun, auch hier wieder ein großes Lob an dich! Wieder einmal hast du Mr. Wonka brilliant getroffen: Alle seine Charaktereigenschaften sind perfekt getroffen und harmonieren wunderbar mit dem Originalfilm! Ich schätze, stellenweise liegt es wohl am Film selbst, dass ich mir diesen schüchternen, schrägen, schönen Mann mit all seinen Gedanken, Gefühlen und Handlungen so gut vorstellen kann, aber zum Großteil liegt es an deiner Erzählkunst selbst. Mir ist mal wieder aufgefallen, dass du ein unglaubliches Talent besitzt, Sachverhalte in kurzen, aufschlussreichen Sätzen zu schildern, die sich dennoch niemals langweilig oder fehlplatziert anhören. Alles hat seine richtige Reihenfolge und bei dir liest sich alles so mühelos, dass man sich förmlich in die Welt der Schokoladenfabriken und Wonkahüte hineingesogen fühlt… Herrlich, du machst wirklich tolle Fortschritte! (sage ich als eigentlicher Laie, aber ich finde das eben so! xDD)
Dass dein Vater diese Geschichte immer noch nicht gelesen hat (oder hat er das inzwischen?), finde ich eine ziemliche Sauerei. Allein schon aus Höflichkeit, respektvollem Umgang mit den Mitmenschen und nicht zuletzt purer Neugierde sollte er sich auf den Text gestürzt haben wie ein Bekloppter. Nun, wer nicht will, der hat schon – oder eben auch nicht. Hmpf. *kopfschüttel*
Die Idee zum Vatertag hast du sehr schön umgesetzt und gefällt mir wirklich gut: Für mich erscheint auch hier wieder alles in sich selbst schlüssig und inhaltlich passend – man merkt eindeutig, mit wie viel Mühe und Liebe du die Geschichte geschrieben hast. ^_^
Wie Hakura schon so schön gesagt hat und was auch mir später aufgefallen ist: Deine Geschichte könnte wirklich als originales Zusatzmaterial zum Film durchgehen, so originalgetreu ist alles dargestellt. Schließlich wird Mr. Wonkas Suite mit keinem Wort im richtigen Film erwähnt, aber du schaffst es trotzdem, mit solchen profanen Dingen eine Geschichte zu konstruieren: Alles würde so perfekt auf den wahren Willi Wonka passen!
Besonders hat mir auch der Hauptteil der Geschichte gefallen: Das Gespräch mit dem Vater. Wonkas Reaktion auf die sorgsam gewählten Worte des Vaters ist sehr realistisch und spiegelt perfekt wieder, wie zerissen und aufgewühlt sich Wonka in diesen Momenten gefühlt haben muss. Nicht zuletzt war das auch der Schlüssel, um seinen Vater besser verstehen zu lernen, ihm näher zu kommen und ihm letztendlich für all das zu verzeihen, was vorher zwischen den beiden stand… Eine wunderbare Geschichte mit einem wunderschönen Ende.

PS: Ich wünschte, zwischen dir und deinem Vater wäre nicht auch so eine große Schlucht wie bei Wonka und seinem Vater… aber anscheinend kapiert DEIN verständnisloser Vater nicht wirklich, was er für Mist verzapft und wie man das eventuell ändern könnte. T.T°
Fühl dich geherzt und gekekst, sobald du auf Schwanberg bist, bist du frei! xD

Von:  SweeneyLestrange
2009-05-15T22:37:11+00:00 16.05.2009 00:37
Hi,
wie soll ich sagen? Ich fand, das war eine wunderbare Idee, die wirklich total gut zu diesem Film passt!
Zwar kann ich zu diesem OS nicht mehr ganz so viel sagen, wie zum ersten, da ich mich ansonsten nur wiederholen würde, was deinen Schreibstil und die Darstellung der Charaktere betrifft, aber ich gebe mir trotzdem Mühe^^
Jedenfalls hast du meiner Meinung nach, allein schon dieses Gespräch zwischen Willy und seinen Vater sehr gut gut beschrieben, ich konnte mir das richtig gut als eine nicht gezeigt Szene des Films vorstellen.
Besonders Willys Reaktionen bezüglich des "Vater-Themas" waren wirklich klasse! Am besten gefiel mir die Stelle, wo er kurz davor ist, den Tisch mit Traubensaft zu überschwemmen. Einfach fantastisch!
Außerdem mag ich den Gedanken von Willys Suite. Das ist irgendwie so typisch für ihn und zudem beweist es, wie viel man eigentlich noch für FFs zu diesem Film da herausholen könnte. Deswegen noch einmal ein großes Lob an dich und wie du weißt, diese eher alltäglichen Dinge zu nutzen, sodass man immer noch das Gefühl bekommt, es handle sich um irgendein Zusatzmaterial des Films!
Und auch das Ende war schön! Wenn ich so darüber nachdenke, bekomme ich irgendwie das Gefühl, dass Charlie ja auf eine gewisse Weise der Sohn ist, den Willy nie haben wird.
Na ja ich freue mich auf jeden Fall auf weitere One-Shots^^
lg -Hakura
Von:  SweeneyLestrange
2009-05-13T21:21:39+00:00 13.05.2009 23:21
Hi,
tjaa wie soll ich sagen? Dank deiner Schleichwerbung im °~Johnny Depp~° Zirkel bin ich auf diese FF aufmerksam geworden^^ Aber ganz ehrlich: Ich bin dir für diese "Werbung" wirklich unendlich dankbar! In letzter Zeit bin ich auf einmal über mehrere FFs zu diesem Film gestolpert, aber ein flüchtiger Blick darüber reichte aus, um sie schleunigst wieder zu schließen. Ich finde es wirklich schrecklich, was sich manche da ausdenken, so unpassend! Nicht so aber bei dir!
Neben einer anderen ist dies wirklich mal eine sehr gelungene FF, die sich nahtlos an den Film anschließt. Alles bleibt erhalten, die Charaktere, vor allem deren Verhalten und diese Atmosphäre. Ich finde es einfach fantastisch, dass du es sogar geschafft hast, ohne irgendwelche dazuerfundenen Charaktere auszukommen. Da gefiel mir die Idee wirklich gut, auch wenn sie letztendlich schon sehr traurig war.
Na ja irgendwie habe ich meine eigentliche Reihenfolge, in der ich immer bestimmte Punkte in einem Kommentar erwähne, völlig verdrängt, deshalb kommt jetzt alles sehr zusammenhangslos: Erst mal muss ich nämlich sagen, dass du einen schönen flüssig zu lesenden Schreibstil hast, der nicht voll von langen blumigen Beschreibungen ist, sondern im Vergleich dazu recht schlicht ist und doch zugleich sehr lebhafte Bilder hervorruft. Und das meine ich in einem absolut positiven Sinne! Auch deine Sarg-Beschreibung war sehr anschaulich, allein schon die Idee, ein Schokosarg, fand ich toll. Und auch die Szene, als auf einmal das Umpa-Lumpa Heer versammelt war, das von Willy die Umarmung erwartete hat, fand ich göttlich. Ein wundervoller Einfall, den man sich richtig gut vorstellen kann.
Zu den einzelnen Charakteren und deren Darstellung lässt sich nicht unbedingt viel sagen, da ihr Auftritt für so etwas noch ein wenig zu kurz war. Dennoch gefällt mir deine Darstellung von Willy Wonka. Du hast es geschafft, diese bestimmten Elemente, die ihn ausmachen zu vereinen, ohne dass er dabei zu kindlich oder ernst etc. rüberkommt, sondern die richtige Mischung gefunden. Allein schon seine Bedenken gegenüber dieser einen Umarmung waren von dir überaus gut dargestellt.
Da fällt mir ein: Ich musste wirklich sehr grinsen, als ich von dem dringend benötigten Bewegungsmelder für die Fahrstuhltür las. Herrlich^,^
Zuguterletzt finde ich noch, dass dir auch Charlie ziemlich gut gelungen ist.
Deswegen kann ich alles in allem nur sagen, dass ich überglücklich bin, endlich diese Art von FF gefunden zu haben, die ich schon immer mal zu "Charlie und die Schokoladenfabrik" lesen wollte. Danke^^
Ich werde mich so bald wie möglich dann auch noch auf den zweiten OS stürzen.
lg -Hakura
Von:  finetuna
2009-04-19T14:49:06+00:00 19.04.2009 16:49
waaah! XD wie klasse... ich liiiiiebe diesen schluss!!!
der buntspecht... *giggel* (ein schicker vergleich, muss ich mir merken, ich steh doch so auf schräge vergleiche und metaphern...)
ich finde du hast willi wonka mal wieder brilliant getroffen! ^^ das ist genau sein charakter. ^^
Von: abgemeldet
2009-02-27T23:50:49+00:00 28.02.2009 00:50
SO! Mein Kommi kommt...JETZT! xDD~
Also. Zu allererst mal ein RIESIGES Lob an dich! Du bist toll und dein Schreibstil wird immer besser. (Schon absolut peinlich, dass ich so wenig auf Mexx bin und noch peinlicher, dass ich irgendwie nix von deinen genialen FFs mitkriege. Ich glaube, ich sollte mich einsargen lassen...in einen Schokosarg...mit Willi Wonka neben mir.Hust.Röchel.<3)
Ich habe öfters schon festgestellt, dass - wenn ich mal FFs lese, also nicht sehr oft - einige Autoren z.B. bei Harry Potter immer schnell von den Originalcharakteren abweichen. Dann rennt Snape plötzlich hopsend durch Albus´ Büro, Ron spielt den coolen Matcho, der Malfoy (Sohn und Vater (!) auf einmal) aufreisst und zusammen mit einer stockbesoffenen McGonagall eine wilde Orgie feiert... Äh, ja. Kurz: es geht alles daneben, was so daneben gehen kann.
Nicht so bei dir! *breitgrins*
Ich finde, wie schon Finö sascht, dass du die Charaktere besonders gut getroffen hast, ganz besonders Willi Wonka selbst! Das verschrobene Sensibelchen, das seine Gefühle nicht zu zeigen wagt und dabei vor ihnen fast überzuquellen scheint (und nebenbei auch noch sehr gut aussieht. Hust. Husthust.)
Wie gesagt, du hast es geschafft, dass ich mir den Kerl zum Anbeissen genau vorstellen konnte - und nebenbei noch das ganze Drumherum (Bumm, das reimt sich...Jungs sind dumm xDD~ Tschuldigung x§)Du hast meiner Meinung nach jedenfalls sehr viel Talent, was das Beschreiben der ganzen Szenerie angeht, ich konnte mir alles lebhaft vorstellen, sehr schön, sehr schööön <3~
Alles in allem eine wunderbare Geschichte, mit viel Herz, Gefühl und Charme. Kommt sofort in meine Favoliste, wenn ich noch nicht verlernt habe, wie das überhaupt geht xDD~

Liebe Grüße von der ollen Vampirtante,
die dich morgen hemmungslos fotofieren darf <3~
Von:  Animemelli
2009-02-15T14:00:47+00:00 15.02.2009 15:00
Süß (im wahrsten Sinne)!
Ich habe den Film nur einmal gesehen und erinnere mich nur noch vage an Willy Wonka aber ich würde sagen: ja, das passt! Etwas reserviert bei Gefühlen aber irgendwie sehr herzlich.
Und soviel Schokolade - eine bildgewaltige Erzählung, doch, sehr gut vorstellbar. Da kriegt man ja richtig Lust auf den Film!
Kritik: ... *grübel* ... *weiter grübel* ... Ich geb´s auf, mir fällt einfach nichts ein. Gut gemacht!


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