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100 Themes Challenge

every day is writing day
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#9 [Cut]

Mein Emo-Pony
 

Seit zwei Wochen saß der Scheitel links. Ungewohnt war das, wenn man jahrelang trotz immerwährenden Veränderungen diesen einen Fixpunkt beibehalten hatte. Er wollte nicht soweit gehen, zu behaupten, das könnte man mit seinem Weltbild vergleichen. Das Verlieren dieses einen festen Halts im Leben - das stimmte nicht. Er hatte einen Halt, auch, wenn er kurzzeitig verschwunden war und ihn mit blanker, nackter und existenziellen Angst konfrontiert hatte. So allein hatte er sich nie gefühlt, nichtmal damals. Klar, da hatte er auch noch nie das Zusammen geschmeckt. Man kann nur etwas vermissen, was man vorher kennengelernt hat.

Ordentlich zog er die Linie zwischen den Haaren, die Pupillen auf die Haaransätze fixiert, mit Stielkamm wurden ein paar widerspenstige Einzelhaare zu ihrer vorgesehenen Seite genötigt und glattgekämmt. Momentan verzichtete er auf ausgefallene Frisurenkonstrukte. Dazu waren sie auch zu kurz. Er begnügte sich damit, sie zu kämmen, lange, mit einem feinzinkigen Kamm aus Horn, minutenlang, obwohl sie schon so weich und artig lagen wie eine neue Perücke. Gewissenhaft zog er den Pony glatt, Scheitel links, die Strähnen rechts tief in die Stirn hinein, vorsichtig bis zur Wange hinuntergekämmt. Nichts zu sehen, das beruhigte ihn. Mit einem Ruck warf er den Kopf zur Seite und wieder zurück in Ausgangsposition, da, siehst du, da sieht man noch was. Also nochmal. Neuer Scheitel, noch weiter links, wieder kämmen, vorsichtig die Haare neu sortieren, noch weniger Gesicht, immer mehr Haut unter der weißen Flut verscharrt.

Ich seh aus wie ein scheiß Emo. Wie ein verdammter Emo! Scheiße, scheiße, scheiße!

"Scheiße", murmelte er tonlos und legte seine flache Hand auf die Stirnhaare, die nun fast schon zwei Drittel seines Gesichts verdeckten. Drückte sie platt. Kämmte sie dann wieder locker. Wie ein verdammter Emo. Mit einem Seufzen lehnte er sich weiter über das Waschbecken dem Spiegel entgegen, drückte sich mit dem Zeigefinger auf die linke Augenbraue. Ein dünner Riss zog sich schräg durch die dunklen Haare, kaum zu sehen. Nur, wenn man ganz nahe ranging. Er strich ein bisschen darauf herum, ganz zart, fast liebevoll. Die andere Braue rührte er nicht an, er wollte den weißen Vorhang nicht zur Seite schieben. Den Emopony. Ist doch scheiße, Mann!

Seine Finger griffen fest um das kühle Porzellan des Waschbeckens, aber seine Fingernägel rutschten auf dem glatten Material ab, als er sich festhaken wollte.

"Ich seh aus, wie ein scheiß Emo. Du Arsch!", knurrte er sein Spiegelbild an, das genauso garstig zurückknurrte. Wieso auch nicht, er hatte ja Recht. Sah aus wie einer und verhielt sich aus so. Haha. Nur das Ritzen hatte ihm jemand abgenommen.

Vielleicht ist das ja garnichtmehr so schlimm.. vielleicht..

Mit einem Finger fuhr er unter diesen grausigen, emomäßigen Vorhang, der sich über die ganze rechte Gesichtshälfte erstreckte, schob ihn langsam zur Seite, als hätte er Angst, mit zu hastigen Bewegungen eine Tretmiene auszulösen. Der dunkle Strich begann genau zwischen seinen Augen, verlief mit beängstigender Präzision schräg abwärts durch die schmale Stelle zwischen Nase und Auge bis zur Mitte der Wange. Stoppte dort, beschrieb einen spitzen Winkel und kletterte wieder hinauf, diesmal dicht an der anderen Seite des Auges vorbei, endete schräg über der rechten Braue. Rotes Braun, zwei zugespitzte dicke Linien, ein V.

Franquin starrte lange auf diese perverse Form eines Stempels, nicht der einzige, aber der prägnanteste. Der sein Gesicht entstellte, für Monate, vielleicht für immer, wenn er Pech hatte. Er wollte nicht für immer als Emo herumlaufen. Die Schrei- und Heulphase hatte er zwar schon hinter sich, aber der Anblick war trotzdem noch jedes Mal verstörend. Wenn das ganze Zeug wieder in ihm hochkroch und ihn minutenlang in einen tauben Stupor schickte.
 

Er zuckte wie ertappt zusammen, als es an der Tür klopfte.

"Frankie..? Alles okay?" Dumpf klang die Stimme durch die massive Holztür. Angeredeter griff nach dem beige-braun gefleckten Kamm und strich den Pony wieder glatt. Nix mehr zu sehen. Das ist gut. Vielleicht noch ein bisschen mehr..? Zur Sicherheit. Bah.. selbst ein Emo würde mich damit auslachen.

"Jaja. Alles klar. Ich komm gleich."

Wenn ich hier fertig bin. Ich will nämlich nicht, das du das siehst. Ich merk doch genau, was du fühlst, was dir bei diesem Anblick durch den Kopf geht; wie du ausweichst und trotzdem immer wieder daran hängenbleibst und mich so.. anguckst. Du denkst wohl, ich merk das nicht.

Dann hab ich doch lieber nen Emo-Pony in der Fresse.



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