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Happy ohne Ende?

von

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Vergangenheit ist...

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Auch wenn es hier scheinbar nur eine interessierte Leserin gibt, die mir auch regelmäßig gibt, geht es trotzdem weiter. Das hier ist für dich, als kleines Dankeschön für fortwährende Kommentare.
 

Und hier auch mal ein kleiner Trailer, den ich für diese Geschichte gebastelt habe:
 

http://db.tt/syBHBTVD
 

Mit schnellen Schritten flüchtete Lena in die weitläufige Parkanlage des Hotels, weit weg vom Speisesaal der deutschen Nationalmannschaft, von den erlittenen Demütigungen und Verletzungen und vor allen Dingen weit weg von neugierigen Beobachtern. Die junge Deutsche wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden, damit niemand ihre Tränen sehen konnte, die ihr mittlerweile unaufhaltsam über die Wangen kullerten, teils aus körperlichem, teils aus seelischem Schmerz.
 

Ohne sich weiter umzusehen ließ Lena sich unter einem Baum auf die Erde fallen und lehnte sich an den dicken, verlässlichen Stamm, der ihr nicht nur Blickschutz vor allen gab, die vielleicht zufällig an dieser Stelle vorbei kommen würden, sondern ihr auch den Halt gab um nicht vollkommen entkräftet in das von der Septembersonne beschienene Gras zu sinken.
 

Ganz genau konnte sie spüren, wie sich die harte Rinde in ihren Rücken bohrte, doch es kümmerte sie nicht. Es hatte keine Bedeutung. Wie ein kleines Kind hatte Lena die Knie fast bis an ihr Kinn herangezogen und die Arme herumgeschlagen. Immer wieder wiegte sie sich vor und zurück, so dass sie jedes Mal aufs Neue den kurzen Schmerz der Berührung mit dem Baumstamm fühlte. Mit diesem Schmerz und dem, der ihre Nase und ihren Kopf fest umklammert hielt, konnte sie umgehen, ihn konnte sie wenigstens versuchen wegzuatmen. Oder aber ihn ganz zu zulassen, damit sie dann vielleicht keinen anderen Schmerz mehr würde spüren können als den körperlichen, den, der problemlos zu heilen war, sobald sie sich dazu entschließen würde. Diese Art des Schmerzes war leicht und einfach, sie war verständlich und tat nicht einmal annähernd so weh wie die Gewissheit, dass sie gerade eben vielleicht einen langjährigen Freund verloren hatten. Ihn verloren hatte, weil er lieber Gerüchten und Lügen geglaubt hatte, als ihr eine Chance zu geben sich zu erklären.
 

Dabei konnte sie es Bojan noch nicht einmal verübeln, dass er wütend, verwirrt und aufgebracht gewesen war, sie wäre es ja wahrscheinlich selbst gewesen, wenn man die Vorgeschichte bedachte und die Rollen vertauschen würde. Dieser Druck, diese vielen Geschichten, ihre Flucht aus Barcelona, was sollte er denn da auch denken? Immerhin war er noch ein halbes Kind, zumindest in ihren Augen, da sie ihn schon seit mehreren Jahren kannte, da durfte man noch emotional reagieren, durfte verwirrt und durcheinander sein, da musste man sich noch nicht völlig unter Kontrolle haben. Doch trotzdem hätte Lena niemals damit gerechnet, dass der Katalane einmal die Hand gegen sie erheben würde und dass es einen Menschen zu geben schien, dem Bojan mehr glauben schenken würde als ihr selbst.
 

Leises Schluchzen drang an Torstens Ohren, der sich verzweifelt suchend nach seiner kleinen Schwester umsah. Er hatte geahnt, dass sie in den Garten laufen und sich irgendwo verkriechen würde, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass der kleine Park des Münchener Hotels wirklich so verdammt weitläufig war, dass der Bremer Mittelfeldmann mittlerweile nun schon seit fast zwanzig Minuten erfolglos suchte. Diese leisen, definitiv menschlichen Geräusche, das wusste der Lutscher, würden ihn nun aber zu seiner Schwester führen und noch ehe er den Gedanken zu ende geführt hatte, erblickte er sie auch schon zusammengerollt an einem Baum gelehnt. Den Kopf hatte sie auf ihren Knien abgestützt, während ihre Arme ihre Beine umklammert hielten.
 

Es war ein Anblick des Elends und in diesem Augenblick wünschte sich Torsten wieder in ihre gemeinsame Kindheit zurück, wo alles noch so viel einfacher gewesen war: Jedes Mal, wenn Lena sich damals tief verletzt und traurig von allen hatte abschotten wollen, hatte er sie gesucht, auf den Arm genommen und zu sich ins Zimmer getragen, wo er sie für lange Zeit einfach nur schweigend festgehalten und ihr beruhigend über den Rücken gestreichelt hatte. Irgendwann hatte sie dann meistens ganz von selbst angefangen zu reden, hatte sich ihm anvertraut und zusammen hatten sie dann nach einer Lösung ihres Problems gesucht. Auf dieselbe Art schaffte er es heute noch seine jüngste Tochter zu beruhigen, wenn sie nach einem Streit mit ihrer Schwester oder im Kindergarten aufgebracht oder traurig war.
 

Bei kleinen Lenas seiner Familie wirkte diese Methode Wunder, doch jetzt wusste der Mittelfeldakteur nicht so genau, ob seine kleine Schwester wirklich von ihm im Arm gehalten werden wollte oder ob sie eher alle männlichen Wesen verfluchte. Er kannte Lena gut genug um zu wissen, dass sie in manchen Situationen negativ auf zu viel Nähe reagierte, dann fühlte sie sich zu sehr bedrängt, zu eingeengt und das war schon früher der Zeitpunkt gewesen, an dem sie sich von ihm gelöst hatte. Dann war sie immer wie ein Feldherr durch sein Zimmer marschiert um ihm zu erzählen, was passiert war. Bei solchen Gelegenheiten konnte sie nicht stillsitzen, ertrug keine Nähe, weil sie dann frei und unabhängig berichten musste, warum sie so traurig war und die sanften, gut gemeinten Streicheleinheiten eines anderen hatten ihr bisher genau dann immer die Kehle zugeschnürt.
 

Trotz der Ungewissheit ertrug Torsten den Anblick seiner weinenden kleinen Schwester nicht länger und ließ sich neben ihr ins Gras fallen. Vorsichtig, ganz bedacht, legte er einen Arm um Lena und zog sie an seine starke Brust. Ohne Widerstand zu leisten ließ Lena sich zu ihm heranziehen, weinte nur wortlos weiter und krallte sich fast schon in den Stoff seines T-Shirts. Er war ihr Rettungsanker, ihres Eisscholle, die sie vom tosenden Sturm trennte und sie wollte nicht loslassen, wollte sich nicht vollkommen ihren Gefühlen ergeben.
 

Wie lange die beiden schweigen dagesessen haben mussten, wusste keiner von den beiden, doch irgendwann versiegten Lenas Tränen und die junge Psychologin wusste, dass sie sich für den Moment erstmal „leergeweint“ hatte, auch wenn einem Menschen wahrscheinlich niemals die Tränen ausgingen.
 

Aus roten, geschwollenen Augen und mit blutverschmiertem Gesicht sah Lena zu Torsten hoch, der sie nur noch ein wenig fester in seine sichere Umarmung zog.
 

„Keine Angst Kleines, alles wird wieder gut. Was es auch ist, es wird wieder gut.“
 

Liebevoll strich der Lutscher ihr die letzte, einsame Träne von der Wange. Normalerweise hätte allein diese kleine Geste Lena schon wieder zum Weinen gebracht, doch im Augenblick fühlte sie sich einfach nur leer, ausgezerrt und ausgelaugt, so wie zu wenig Butter auf zu viel Brot verteilt.
 

„Du hast ja keine Ahnung, Torsten, nichts wird wieder gut. Gar nichts.“
 

Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre der jungen Frau vermutlich aufgefallen, wie ungerecht ihr Vorwurf war, doch gerade in diesem Moment interessiert es Lena überhaupt nicht. Sie wollte nur einfach nicht hören, wie ihr jemand einzureden versuchte, dass alles wieder gut werden würde, wenn sie doch die Wahrheit kannte. Die Wahrheit, dass es eben nicht wieder alles gut werden würde.
 

„Lena, ich kann dir helfen, wenn du mir nur sagst, wie. Ich würde alles für dich tun, das weißt du doch.“
 

Ja, dachte Lena, sie wusste, dass ihr Bruder alles für sie tun würde, dass er sich alles und jedem entgegenstellen würde, der es wagte ihr weh zu tun. Aber es gab nun einmal Kämpfe im Leben, die konnte der große Bruder nicht für einen austragen. Manchen Auseinandersetzungen musste man sich selbst stellen, auch wenn man es nicht wollte, weil man Angst vor dem Ausgang hatte.
 

„Du kannst mir nicht helfen, Torsten, diesmal nicht.“
 

Traurig blickte die junge Frau in das Gesicht ihres großen Bruders, der ihre Worte entweder noch nicht begriffen hatte oder vielleicht auch einfach nicht begreifen wollte. Manchmal stellten sich Menschen in solchen Situationen besonders dumm an und vielleicht zählte der Werderaner ja auch dazu, auch wenn Lena eine solche Reaktion nicht von ihm erwartete. Nein, Torsten stellte sich eher einem Problem, er lief nicht davor weg oder verschloss die Augen vor der Realität wie ein kleines Kind in der Hoffnung, dass die Probleme nicht mehr da sein würden, wenn sie die Augen wieder aufmachte. Nein, ihr Bruder war nicht wie sie. Definitiv nicht!
 

Torsten sah Lena an, sah, wie sie mit sich kämpfte, wie sie haderte und streichelte sanft über ihre Hand. Es war eine einfache Geste, doch sie sagte so viel mehr aus, all das, was der Lutscher nicht wirklich in Worte fassen konnte.
 

„Schwesterherz, du musst nur zulassen, dass wir dir nahe kommen. Dass ich dir nahe kommen kann, damit ich dir helfen, dich verstehen kann. Damit ich für dich da sein kann.“
 

Einen Augenblick schloss Lena die Augen und zögerte. Einen Menschen an sich heran lassen, ihm vertrauen, aus seinem Mund klang das alles so furchtbar einfach, doch das war es nicht. Bei weitem nicht. Nicht für sie. Nicht nach dem, was sie erlebt hatte.
 

„Nähe. Das sind zwei kurze Silben für: Hier hast du mein Herz und meine Seele. Bitte mach sie zu Hackfleisch. Viel Spaß dabei.“
 

Sarkasmus stand ihr nicht, nicht in solch ernsten Situationen. Und Zynismus schon gar nicht, das wusste Torsten. Trotzdem ließ er sie gewähren, hielt sie einfach weiter schweigend im Arm und zeigte ihr so, dass zumindest schon einmal körperliche Nähe weder ihr Herz, noch ihre Seele umbrachte. Eher im Gegenteil, sie sollte merken, wie gut Nähe tun konnte, wie wichtig sie war.
 

„Nähe ist aber auch ein Synonym für Vertrauen, Geborgenheit und – Liebe, Lena. Lass den Schmerz zu und verarbeite ihn. Ich bin mir sicher, es ist leichter zu denken als zu fühlen, leichter Fehler zu machen als das Richtige zu tun. Aber wenn du deine Ruhe finden willst, musst du anfangen die alten Geister ans Licht zu zerren und deinen Gefühlen freien Lauf lassen. Es ist sicherlich leichter zu bleiben, was man geworden ist, als zu werden, was man im Grunde ist. Das alles mag einfacher sein, aber es ist nicht das, was sie von dir erwartet hätten. Also sei ein der Menschen, den ich schon immer geliebt habe, und versuch das Beste aus deiner Situation zu machen. Fang mit der Wahrheit an und sieh, wie alles sich entwickelt.“
 

Sie hatte niemals gedacht, dass ihr sonst immer so rau wirkender Bruder so einfühlsam mit Worten sein konnte. Normalerweise war er ein Mann der Gesten und Taten, nie jedoch einer, der viel redete. Jemand, der ungern Worte wie Geborgenheit und Liebe in den Mund nahm, weil er sie seinen Gegenüber viel lieber spüren ließ. Doch heute schien er über seinen Schatten zu springen, über sich selbst hinaus zu wachsen, da er wusste, dass er sie nur so würde überzeugen können.
 

„Wenn du die Wahrheit wüsstest, wenn du mein Leben kennen würdest, dann würdest du nicht so reden. Dann wüsstest du, dass es eben nicht wieder gut wird!“
 

„Dann sag mir die Wahrheit doch einfach! Erzähl mir etwas aus deinem Leben. Schrei mich an, schlag mich oder mach meinetwegen sonst was, aber hör endlich auf alles in dich hinein zu fressen! Du musst das alles nicht allein schaffen, du musst nicht allein mit all dem fertig werden, Lena!“
 

Jetzt war Torsten etwas lauter geworden, enttäuscht von den Vorwürfen seiner Schwester, die nicht nur seine eigenen Schuldgefühle näherten, sondern ihn auch wütend machten. Wie sollte er seiner Kleinen denn helfen, wenn sie weiterhin eisern über alles schwieg, was ihr Probleme bereitete? Zwar hatte er keine genaue Ahnung, was der junge Spanier ihr vorhin alles an den Kopf geworfen hatte, doch er war klug genug zu erkennen, dass es nicht besonders schmeichelhaft gewesen war.
 

"Die Wahrheit tut weh, Torsten. Und seien wir doch mal ehrlich: Im Grunde genommen will niemand die Wahrheit hören, ganz besonders nicht wenn sie einem nahe geht.“
 

Ähnliche Worte hatte sie vor nicht mal achtundvierzig Stunden auch schon an Timo gerichtet, als er sie nach der Wahrheit gefragt hatte, doch damals hatte sie nicht die Absicht gehabt ihm wirklich etwas Weltbewegendes zu erzählen. Nicht so aber jetzt. Torsten wollte die Wahrheit und er hatte sie verdient, hatte sie mehr verdient als alle anderen. Und wenn er wirklich bereit dafür war, dann sollte er sie auch bekommen.
 

„Doch, Lena, ich will endlich die Wahrheit wissen. Egal, was es ist, ich komme damit klar, versprochen. Ich werde dir nichts vorwerfen, dir nicht böse sein und es wird sich nichts zwischen uns ändern, Kleines.“
 

„Bitte Torsten, versprich nichts, was du vielleicht nicht halten kannst.“
 

Eigentlich hatte der Lutscher ihr widersprechen wollen, ihr sagen wollen, dass er dieses Versprechen auf jeden fall würde halten können, doch ihr strenger, ernster Blick hielten ihn von jedem weiteren Wort ab. Und wie er es erwartet hatte, rückte Lena ein Stück von ihm, umschlang wieder ihre Beine mit ihren Armen und hatte den blick stur irgendwo in die undefinierbare Ferne gerichtet. Sie würde ihn nicht ansehen, während sie sprach, würde ihn vermutlich keines Blickes würdigen, sie würde so tun, als spräche sie zur Luft, weil ihr anders die Worte niemals über die Lippen kommen würden. Dieses Verhalten kannte Torsten von ihr, das war er gewohnt, das war „normal“. Erst, wenn sie ihn wieder ansehen würde, war eine Reaktion von ihm erwartet.
 

„Als ich nach Mailand gegangen bin damals, vor acht Jahren, da habe ich alle mit meiner Entscheidung überrascht. Die meisten haben vermutlich eh nicht daran geglaubt, dass ich es dort schaffen würde. Dass ich vier Jahre dort verbringen würde ohne allzu häufig nach Hause zu kommen. Und wahrscheinlich hätten sie alle Recht gehabt, wenn, ja wenn ich nicht diesen einen wunderbaren Menschen in Mailand kennen gelernt hätte.“
 

Einen Augenblick hielt Lena inne und dachte an ihr erstes Zusammentreffen mit Paolo zurück: Er hatte nach einem Teilzeitkindermädchen für seinen Sohn Christian gesucht und sie hatte das Geld fürs Studium gebraucht, eine perfekte Kombination. Und schneller als gedacht war sie nicht nur Kindermädchen, sondern fester Bestandteil der Maldinischen Familie. Sie wohnte bei ihnen und wurde von Cesare, Paolos ebenso berühmten Vater, und seiner Ehefrau genauso behandelt wie alle anderen Familienmitglieder auch. Und dann hatte sie Paolos Kollegen kennen gelernt. Wenn man so wollte vielleicht der Anfang vom Ende.
 

„Paolo war gut zu mir, das erste Mal hatte ich eine wirkliche Familie, Torsten. Eine Familie, in der ich mich geliebt und umsorgt fühlte. Auch wenn ich eigentlich kein richtiger Teil der Familie war, so hat mich doch niemand so behandelt. Es muss schon viel aussagen, wenn man sich bei eigentlich vollkommen fremden Menschen eher Zuhause fühlt als bei den eigenen Eltern, oder nicht?“
 

Die Frage war nur rhetorisch gewesen und Lena erwartete auch gar keine Antwort von Torsten, sie wusste ja immerhin, dass es so war, aber sie konnte trotzdem eine Bewegung an ihrer Seite wahrnehmen, auch wenn sie sich nicht umdrehte um zu schauen, was genau ihr Bruder getan hatte.
 

„Das spielt aber eigentlich auch keine Rolle. Oder vielleicht schon, ich weiß es nicht so genau. Auf jeden Fall stellte Paolo mir seine Kollegen vor: Sheva, Andrea und natürlich auch Ricardo, damals noch ein ganz kleines Licht am Fußballerhimmel.“
 

Von Torsten kam nur ein unterdrückter Schreckenslaut, denn erst mit der Aufzählung der Namen hatte er begriffen, dass seine Schwester nicht von irgendeinem netten Italiener sprach, sondern von der Vereinslegende des AC Milan. Und diese netten Kollegen waren alles weltbekannte Fußballer, eine Sorte Menschen, vor denen Torsten Lena immer gewarnt hatte. Gerade, weil er selbst einer war und wusste, wie es im Geschäft so lief.
 

„Ja ja, Torsten, ich weiß schon: Das sind genau die Menschen, vor denen du mich immer gewarnt hast und von denen ich mich lieber fernhalten sollte, wenn ich wirklich glücklich werden wollte. Vielleicht hätte ich mich tatsächlich dran halten sollen, dann säßen wir vermutlich jetzt nicht hier, aber es ist müßig darüber nachzudenken. Man lernt halt nicht, dass Feuer heiß ist ohne es mal anzufassen.“
 

Und sich dementsprechend die Finger zu verbrennen, dachte Torsten bitter, denn er wusste die Pause, die Lena gelassen hatte, sinnvoll zu füllen.
 

„Weißt du, ich habe mich in Mailand verliebt. Und ich meine so richtig verliebt, nicht nur eine blöde kleine Schwärmerei, die schnell wieder vorbei ist, sondern das, was man wirklich „Liebe“ nennt. Aber das ist nicht das Schlimmste daran, nein, das Schlimmste ist, dass er mich zurück geliebt hat!“
 

Der Mittelfeldmann verstand nicht, warum seine Schwester so einen traurigen Ton angeschlagen hatte, wenn ihre scheinbar erste große Liebe erwidert worden war. Auch wenn sie vielleicht nicht gehalten hatte, so würden doch zumindest die vielen glücklichen, fröhlichen Augenblicke überwiegen, zumindest war es so bei ihm und seiner ersten „großen“ Liebe, die nicht gehalten hatte.
 

„Er war verheiratet, Torsten. Verheiratet! Ich habe eine Ehe aufs Spiel gesetzt, weil ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Papa würde jetzt bestimmt sagen, dass es eine Sünde war und ich könnte ihm noch nicht mal widersprechen. Weil es wirklich falsch war, was ich getan habe, was wir beide getan haben. Aber ob du es glaubst oder nicht: Ich bin bis zu diesem Augenblick damals niemals so glücklich gewesen. Nie. Und deshalb weigere ich mich es zu bereuen. Ich kann nicht bereuen einer Frau ihren Ehemann gestohlen zu haben. Du musst mich jetzt wahrscheinlich für absolut unmoralisch halten, aber ich kann es nicht ändern. Du wolltest die Wahrheit.“
 

Ein bitteres, zynisches Lachen erklang aus Lenas Kehle und Torsten konnte sehen, wie sie sich leicht über die Wange wischte, vermutlich um die erneut auskommenden Tränen vor ihm zu verstecken. Die Traurigkeit, die schon vorher in ihrer Stimme mitgeschwungen hatte, war nun nicht mehr zu überhören und für einen Augenblick wunderte Torsten sich wirklich zu was für einem Menschen seine kleine Schwester in der Großstadt geworden war. Was hatte sie so skrupellos gemacht eine Ehe zu zerstören? Sollte das etwas tatsächlich auch eine Form der Liebe gewesen sein?
 

„Hör auf mich so anzusehen, Torsten. Es war meine freie Entscheidung und ich wusste die ganze Zeit, was ich da tue und dass das, was ich da tue, vollkommen falsch ist. Aber ich werde mich nicht weiter verteidigen, ich werde mich nicht erklären, zumindest nicht weiter, als ich es bisher schon getan habe. Wir haben uns geliebt und sind gescheitert.“
 

Eigentlich hatte Torsten sich nicht einmischen wollen, ihren Redefluss nicht unterbrechen wollen, doch diese Zwischenbemerkung konnte er sich nicht verkneifen, viel zu sehr schockierte ihn das gerade Gehörte.
 

„Er ist bei seiner Frau geblieben, oder? Er hat sie nicht für dich verlassen, wie du es dir erhofft hattest? Er hat dich ausgenutzt für ein bisschen Abwechslung, etwas Spaß, aber nicht mehr. Und als du es nicht mehr ausgehalten hast die beiden dann doch weiterhin miteinander glücklich zu sehen, bist du gegangen. Du bist gegangen, weil du ihr gemeinsames Glück nicht zerstören konntest.“
 

„Ja und nein. Ja, Ricardo hat seine Frau nicht für mich verlassen, so wie ich es erhofft habe und ja, ich habe Mailand und meine Ersatzfamilie damals verlassen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte die beiden zusammen zu sehen, aber ich habe nie versucht ihr Glück zu zerstören, als sie wieder endgültig zusammen waren. Nie. Und für Ricardo war ich nie nur ein bisschen Spaß, naiv genug um zu glauben, dass er seinen Ruf für mich aufs Spiel setzt. Du darfst ihn nicht für einen schlechten Menschen halten, denn das ist er nicht.“
 

Torsten hatte eher erwartet, dass sie ihm bestätigen würde, dass er ihr Hoffnungen gemacht hatte, nur um sie dann bitter zu enttäuschen und auszulachen. Aber jetzt saß sie da und verteidigte ihn, verteidigte den Mann, der ihr damals augenscheinlich das Herz gebrochen haben musste. Sie verteidigte ihn, statt sich.
 

„Aber das ist alles lange her. Vergangenheit.“
 

„Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut, Lena.“
 

To be continued
 

Seid ehrlich: Wie hat euch Torstens Reaktion bisher gefallen? Was denkt ihr zu seinen Worten? Sowohl zu seiner Ansicht über die Vergangenheit, über die Nähe und die Entwicklung von Menschen als auch seine Schlüsse, als er erfahren hat, dass Lena eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte. War er zu hart, zu kalt oder einfach nur zu überrascht um selbst etwas feinfühliger und weniger verletzend zu sein?

Lena war stellenweise ziemlich unfair, nicht? Aber seid ein wenig nachsichtig mit ihr, im Augenblick ist sie viel zu verwirrt um zu bemerken, dass sie ihren Bruder vielleicht verletzt haben könnte mit ihren Worten.

Nun, was haltet ihr von Lenas Theorien über die Wahrheit (die kanntet ihr ja schon, auch wenn im nächsten Kapitel da noch ein bisschen was zukommt), die Nähe zu anderen Menschen und das Feuer, von dem man erst weiß, das es heiß ist, wenn man es mal angefasst hat?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  sunny12
2011-09-30T15:45:08+00:00 30.09.2011 17:45
Hey!
Das war wieder einmal ein sehr schönes Kapitel ;)
Ich finde Lena hat schon irgendwie Recht, dass man erst weiß, dass das Feuer heiß ist, wenn man es mal angefasst hat. Schließlich sagt man auch immer, dass man aus seinen Fehlern lernt.
Auch die Reaktion von Lenas Bruder ist gut nachvollziehbar, finde ich zumindest. Er muss das alles ja erstmal verarbeiten, was da gerade passiert ist und was Lena ihm erzählt. Denn erst dann ist man in der Lage, darauf richtig zu reagieren.
Zum Teil hat er auch wohl recht, wenn er sagt, dass es erst Vergangenheit ist, wenn der Schmerz vorbei ist. Aber es muss auch nicht immer so sein. In dem Zusammenhang, in dem er das gesagt hat, ist das aber doch wohl zutreffend.
Ich fand das alles insgesamt sehr rührend, was du in diesem Kapitel geschrieben hast. Zum Beispiel als Thorsten Frings von der Vergangenheit erzählt hat, in der es so einfach war, Lena zu beruhigen oder als Lena davon erzählt hat, dass sie sich bei einer Familie, die ihr eigentlich völlig fremd war, viel wohler gefühlt hat, als bei ihrer eigenen.
Bin schon sehr gespannt, wie es jetzt weitergeht und was Lena ihrem Bruder noch alles zu erzählen hat. Freu mich auf das nächste Kapitel :)
lg sunny12


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