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Happy ohne Ende?

von

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Journey to the Past

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Während dieses einen Augenblickes zogen Bilder ihrer Kindheit an ihr vorbei. Ein bunter Wirbel aus verschiedenen Farben und Eindrücken, jeder mit einer besonderen Bedeutungen. Jeder konnte seine ganz eigene Reaktion auslösen. Und Lena hielt einen Moment inne und schloss die Augen.
 

Szenen, die sich ihr Unterbewusstsein so zurechtgelegt hatte, weil sie es auf Bildern so gesehen hatte, tauchten vor ihrem inneren Auge genauso auf wie Szenen, an die sie sich ganz bewusst erinnern konnte.
 

Ein bittersüßer Schmerz griff nach ihrem Herzen und drohte es eisern zu umklammern, aber Lena versuchte sich gegen die Flut der Emotionen und aufkommenden Erinnerungen zu wehren, indem sie leise, langsam und stockend anfing zu reden. Vermutlich ihre ganz eigene Therapie, ihre Art, damit fertig zu werden. Reden, ja, das konnte helfen. Sie war fest entschlossen Petra zumindest diesen Teil ihrer Vergangenheit zu schildern. Das hatte sie sich verdient und vielleicht würde sie dann Torsten die Schuldgefühle nehmen können, die ihn scheinbar schon seit Jahren plagten. Wieder wunderte Lena sich, warum sie davon nie etwas mitbekommen hatte, schließlich hätte sie ihm diese unnötige und ungerechtfertigte Last schon vor Jahren von seinen Schultern nehmen können. Aber es half nichts über vergebene Chancen zu jammern, man musste die sich ergebenden zu nutzen wissen. Und Lena versuchte es redlich.
 

„Was hat Torsten dir von unserer Kindheit erzählt? Dann weiß ich, worüber ich schweigen kann und was ich dir noch neues berichten kann.“
 

„Er hat mir immer erzählt, wie glücklich ihr doch ward. Das kleine Häuschen im Grünen, die wunderbare Mutter, die sich zu Hause um das Wohlbefinden der Familie kümmert und der lieber Vater, der das Geld Heim bringt. Friedliches Familienidyll, auch wenn sich bei seinen Schilderungen irgendwie immer ein trauriger Schleier über seinen Blick legt, als versuche er etwas zu verdrängen, was ihm aber nicht ganz gelingt. Manchmal glaube ich bald, er kann mir dabei nicht einmal in die Augen sehen. Außerdem ist er dann immer in einer seltsamen Stimmung, fast schon melancholisch.“
 

Petra schwieg einen Augenblick und wartete auf die Reaktion ihrer Schwägerin, die prompt kam.
 

„Ja, ich kann mir denken, dass er dir bei diesen Worten nicht in die Augen sehen kann. Zumindest nicht so, wie er es sonst immer tut. Seine Schilderungen entsprechen ja auch jedem Klischee, das er sich hätte ausdenken können.“
 

„Ist es etwa gelogen? Bist du deswegen von Zuhause weg, weil es dort so schlimm war?“
 

Eigentlich kannte Petra ihre Schwiegereltern nur als gutmütige, liebe Menschen, die keiner Fliege etwas zu Leide tun konnten, aber anscheinend kannte Lena noch eine andere Seite, eine, die nicht so wunderbar war. Immerhin hatte Lena, seit sie sich bei ihnen in Bremen befand, nicht einmal mit ihren Eltern sprechen wollen und auch Torsten hatte kein Wort über sie verloren, wo sie doch sonst regelmäßig mit ihnen und von ihnen sprachen. Es war, als wären sie kurzzeitig aus seinem Leben verschwunden. Da konnte es ja irgendwie nur an ihren Schwiegereltern liegen, dass Lena gegangen war, denn mit Torsten verstand sie sich ja immer noch blind, auch nach all den Jahren. Trotzdem blieb Petra die Vorstellung fremd, das diese einfühlsamen Menschen, die mit ihren beiden Enkelinnen so wunderbar umgingen, ihrer Tochter solch ein großes Unrecht angetan haben mussten, damit diese sich von ihnen abwandte und sogar ihr heiß geliebter Sohn darüber schwieg. Was war damals bloß im Hause Frings vorgefallen?
 

„Nein, es war nicht schlimm in diesem Sinne. Wirklich nicht. Und wahrscheinlich sollte ich mich auch nicht beschweren, da es so viele Kinder gab und gibt, die tatsächlich in einem schrecklichen Elternhaus aufwachsen müssen. Denen so gut wie alles fehlt. Mama und Papa haben zumindest immer dafür gesorgt, dass uns materiell nichts fehlte.“
 

„Aber?“
 

„Eine Puppe spricht nicht mit dir. Ein Teddybär nimmt dich nicht in den Arm, wenn du einsam bist. Ein Brettspiel hilft dir nicht wieder in den Schlaf, wenn du nach einem Alptraum schweißgebadet aufwachst. Eltern schon. Sollten sie zumindest. Sie können mit dir sprechen, dich in den Arm nehmen und dich vorsichtig wieder in den Schlaf wiegen, wenn sie es wollen. Und da ist es bei mir dran gescheitert: Sie wollten nicht.“
 

„Wie, sie wollten nicht? Torsten hat mir häufig davon erzählt, wie seine Mutter ihn in den Schlaf gesungen hat.“
 

Lena lächelte mild und sah ihre Schwägerin dann offen an. Dieser klare Blick zeigte Lenas Verletzlichkeit und Petra bemerkte, wie unheimlich schwer es ihr fallen musste all diese Geschehnisse in Worte zu fassen. Trotzdem hatte sie bisher noch nicht aufgehört zu sprechen, etwas, was Petra ihr hoch anrechnete. Und Lena sich selbst auch. Hier war weder der Ort noch die Zeit für Ausreden oder Beschönigungen.
 

„Das kann ich mir auch gut vorstellen. Torsten war immer ihr Wunschkind, ihr Goldjunge. Ich hingegen war eher ungeplant und habe ihr bisher geordnetes Leben durcheinander gebracht. Damit will ich nicht sagen, dass sie mich nicht genauso geliebt haben wie Torsten, aber mit ihm war es eben etwas anderes. Etwas ganz anderes. Er war in dieser Familie der einzige, der sich wirklich gefreut hat, dass ich da bin.“
 

Zuerst fiel es ihr unheimlich schwer das in Worte zu fassen, was sie erlebt hatte, vor allen Dingen natürlich, was sie gefühlt hatte, denn sie war noch nie gut darin gewesen über solche Dinge zu reden
 

„Meine erste Erinnerung gilt nicht Mama oder Papa, sondern Torsten. Mein großer Bruder, wie er versucht mit mir Fußball zu spielen. Wie er mir immer wieder einen kleinen ball zurollt und dabei herzlich lacht. Und es war Torsten, zu dem ich getapst bin, wenn ich nach einem Alptraum nicht mehr schlafen konnte. Es hat ihn nie gestört, wenn ich ihn mitten in der Nacht geweckt habe, nur um mich zu ihm zu legen und mich anzukuscheln. Meine Eltern hat es dafür umso mehr geärgert.“
 

Flashback
 

Draußen gewitterte es fürchterlich und immer wieder zuckten taghelle Blitze am Nachthimmel auf. Der laute Donner ließ Lena jedes Mal wieder erstarren, bis sie sich ein Herz fasste und mit ihrem Kuscheltier unterm Arm in das Zimmer ihres Bruders schlich. Wie die meisten kleineren Kinder auch fürchtete sie sich des Nachts vor Gewitter und wollte nichts lieber, als sich irgendwo zu verkriechen, bis alles wieder gut war.
 

Ängstlich und ziemlich durchgefroren stand sie nun mit verwuschelten Haaren in ihrem langen Nachthemd vor Torstens Bett und zupfte ihn am Arm.
 

„Torsten, darf ich heute Nacht bei dir bleiben?“
 

Ein wenig verwirrt erwachte Torsten von der leisen, verschreckten Kinderstimme und sah, wie schon häufig, seine kleine Schwester vor seinem Bett stehen, mit ihrem heiß geliebten Kuscheltier unterm Arm und ihren großen, dunkelblauen Kulleraugen groß aufgerissen. Als ein weiterer Donner grollte, zuckte sie ängstlich zusammen und Torsten beeilte sich Platz zu machen und sie ganz fest in den Arm zu nehmen.
 

„Keine Angst mein kleiner Engel, dir kann hier nichts passieren, ich bin ja da und passe auf dich auf. Ganz ruhig, ich bin ja da. Nimm deine Maus ganz fest in den Arm und versuch ein bisschen zu Schlafen.“
 

„Ich hab’ dich lieb, Torsten.“
 

Die kleine Kinderstimme durchbrach die Stille und Torsten konnte nicht anders als liebevoll auf die mittlerweile geschlossenen Augen seiner kleinen Schwester zu sehen.
 

„Ich dich auch, Kleines, ich dich auch.“
 

Wortlos zog er sie noch fester in seine Umarmung und gemeinsam schliefen sie bis zum Morgengrauen, als ihre Mutter erschrocken ins Zimmer polterte.
 

Verschlafen öffnete Torsten die Augen und wollte sie schon damit beruhigen, dass Lena ja bei ihm war und sie sich keine Sorgen machen müsste, da hatte sie auch schon das kleine Geschöpf unter der Decke weggezogen und schüttelte sie leicht.
 

„Sag mal Lena, was denkst du dir denn dabei Nachts einfach zu Torsten zu gehen? Dein Bruder hat heute ein wichtiges Spiel und braucht seinen Schlaf. Wenn er deinetwegen unausgeruht ist und schlecht spielt, nicht auszudenken.“
 

Mit betroffenem Blick schaute Lena zu Boden. In ihren Augen glitzerten Tränen und sie verstand noch nicht so recht, was sie böses getan hatte, aber da es etwas mit ihrem innig geliebten großen Bruder zu tun hatte, musste es wirklich schlimm gewesen sein. Und das hatte sie doch nicht gewollt.
 

„Entschuldigung Torsten, das wollte ich doch nicht, es tut mir Leid.“
 

In Lenas Kinderwelt gab es keine schlimmere Vorstellung als ihren Bruder irgendwie verärgert zu haben und sie betete inständig, dass er ihr noch einmal verzieh. Für Torsten stellte sich noch nicht einmal die Frage, ob es etwas zu verzeihen gab: Als Lena die Nacht bei ihm aufgetaucht war, hatte er nicht an seinen dringend benötigten Schlaf oder das Spiel gegen die benachbarte Dorfmannschaft gedacht, sondern nur daran, seine kleine Schwester so gut es eben ging zu beruhigen und zu trösten. Und so verstand er jetzt auch nicht die Reaktion seiner Mutter.
 

Seit dieser Nacht hatte sich Lena sowohl bei Alpträumen als auch bei Gewittern lieber in den Schlaf geweint, als Torsten noch einmal zu stören. Zu sehr fürchtete sie sich davor ihren besten Freund zu verlieren. Als er das jedoch zufällig erfuhr, nahm er seine kleine Schwester einfach so mit und sie beschlossen es geheim zu halten und noch bevor seiner Eltern etwas merken konnte, brachte er sie, wenn sie nachts bei ihm gewesen war, wieder zurück in ihr Bett.
 

Er hasste dieses Versteckspiel, aber er wusste, dass Lena ziemlichen Ärger bekäme, wenn sie sich offen den Anordnungen ihrer Eltern widersetzen würden. Er nicht, nein, niemand würde ihn dafür verantwortlich machen, nur über Lena würden sie wieder herfallen, wie so häufig, wenn er irgendeine Idee hatte und Lena da mit rein zog. Obwohl er es nicht anders kannte, machte Torsten das Verhalten seiner Eltern wütend. Und er fühlte sich schuldig, weil er Lena nicht wirklich helfen konnte, obgleich er doch sah, wie sehr sie unter dieser Missachtung litt.
 

Flashback ende
 

Sich all die Erinnerungen wieder vor Augen zu rufen war an sich für Lena nicht schwer. Sie fand sogar, dass Erinnerungen etwas sehr Schönes waren, wenn sie nicht immer die schmerzliche Vergangenheit wachrufen würden. Und gerade diese Behandlung ihrer Eltern hatte ihr jahrelang zu schaffen gemacht.
 

„Weißt du, Petra, für mich gab es nie jemanden, der Torsten auch nur ansatzweise das Wasser reichen konnte. Nie. In der Schule übersprang ich oftmals so schnell die Klassen, dass ich gar keine Zeit hatte Freundschaften zu schließen und als ich dann endlich einmal länger blieb, waren die anderen um so vieles älter als ich. Sie konnten mit mir nicht viel anfangen. Ich hatte damals nicht viele Freunde. Die einzigen, die mich so mochten, wie ich war und die mein Alter nicht interessierte, waren Torstens Freunde. Oder eher seine Mannschaftsmitglieder.“
 

Lena lächelte versonnen, als sie an den verrückten Haufen dachte, mit dem Torsten in seiner Jugend Fußball gespielt hatte. Wie fröhlich und unbeschwert er gewesen war, auch wenn sein Ehrgeiz ihn schon damals von allen anderen abgehoben hatte.
 

„Mein Bruder hat mich von klein auf immer mit zum Training genommen und irgendwann war es eher verwunderlich, wenn ich nicht da war, als wenn ich am Rand saß und zusah. Egal bei welchem Wetter: Wenn Torsten trainieren konnte, dann konnte ich auch zuschauen und ein wenig mitbolzen. Vor allen Dingen Papa hat es nicht gefallen, dass Torsten mich immer mitgenommen hat. Ich solle meinen Bruder nicht vom Training abhalten, hat er immer wieder gesagt.“
 

Für Lena war es ungewohnt selbst so viel zu reden und nicht einfach nur zu zuhören. Und noch ungewohnter war es, über all diese persönlichen Dinge zu sprechen. Sie zog Gespenster ans Licht, die wahrscheinlich schon viel zu lange in den Untiefen ihres Kopfes schlummerten. Vielleicht half es sogar. Noch war sie sich nicht sicher, ob sie sich damit befreite oder nur selbst quälte. Die Chancen standen fifty fifty.
 

„Nein, lustig war es nicht immer, wirklich nicht. Auch wenn nicht alles nur schlecht war. Torsten war immer mein Lichtblick. Er hat mit mir geredet und mit Mut gemacht. Gerade in der Pubertät, wo ich mich so gern verlieben wollte, aber na ja. Ich war die halt Kleine auf dem Schulhof, der keiner Briefchen schreibt. Das zahnbespannte Lächeln, das immer unerwidert bleibt. Meinen ersten Kuss habe ich mit meinem gottverdammten Kissen geübt und jeden Samstagabend saß ich allein zu hause und habe wider jede Vernunft gehofft, dass doch noch irgendwer vorbeikommt und mich abholt. Es war nicht wichtig wer, es sollte einfach nur jemand sein, dem etwas an mir lag. Ich wäre weiß Gott nicht wählerisch gewesen. Erst nachdem Torsten langsam anfing berühmt zu werden und alle anderen begriffen, dass ich seine kleine Schwester war, fingen sie an mit mir zu reden. Auf ein Mal war alles wunderbar. Aber das wollte ich nicht. Überall war ich nur noch Torsten Frings kleine Schwester. So hatte ich mir das ehrlich nicht vorgestellt. Kurz: Egal was in meiner Kindheit und Jugend getan habe: Ich war chancenlos. Aber dafür gebe ich Torsten nicht die Schuld, er kann wahrscheinlich am wenigstens dafür. Und er sollte sich auch keine unnötigen Schuldgefühle machen.“
 

So langsam konnte auch Petra sich ein Bild davon machen, wie die Kindheit für Lena im fringsschen Haushalt wohl ausgesehen haben musste. Neben ihrem von den Eltern verehrten Bruder hatte sie einfach keine Chance gehabt zu bestehen. Die Aufmerksamkeit hatte scheinbar immer Torsten und seinem Fußball gegolten, nie aber dem schüchternen, jungen Nesthäkchen, das seinen Bruder ebenso abgöttisch liebte. Vermutlich, weil es ihm genauso ging.
 

Wehmütig versuchte Lena die erneut in ihr aufsteigenden Tränen weg zu lächeln. Sie fand es albern wegen dieser alten Geschichten eine Träne vergießen zu müssen, das hatte sie ihn ihrer Jugend oft genug getan, vor allen Dingen, nachdem Torsten ausgezogen war. Ohne ihn an ihrer Seite war das alles nur noch schlimmer geworden. Die Nichtachtung ihrer Eltern war sie gewohnt, damit konnte sie umgehen, sie wusste ja mittlerweile zu Genüge, dass sie es ihnen niemals recht machen würde, daran änderte auch Torstens Weggang nichts. Aber die plötzliche Einsamkeit hatte sie wie eine Keule in die Magengrube getroffen.
 

’Dass man alleine ist, merkt man, am besten daran, dass man im Dunkeln vergeblich nach einer Hand sucht, die einem Halt geben soll.’
 

Das hatte Lena schon vor langer Zeit begriffen, als sie alleine in ihrem bett darauf gewartet hatte, dass die Angst irgendwann vergehen würde. Da war keine Hand gewesen, sein freundliches Lächeln hatte ihr Mut gemacht. Nach Torstens Auszug war sie allein und vor allen Dingen: allein.
 

„Das hat sich jetzt doch mittlerweile alles geändert, oder? Du bist eine hübsche, selbstbewusste junge Dame, die ihren eigenen Kopf hat und im Leben etwas erreichen kann. Du bist nicht nur Torstens kleine Schwester und das weißt du, deine Eltern sind auch stolz auf dich, das weiß ich.“
 

„Und weißt du was, Petra, ich glaube dir sogar, dass meine werten Erzeuger in all den Jahren so etwas Vergleichbares zu Stolz entwickelt haben. Und genau das ist ja mal wieder typisch: So viele Dinge bekommt man erst dann, wenn man sie nicht mehr gebrauchen kann, denn ehrlich gesagt ist es mir mittlerweile egal, ob sie stolz auf mich sind. Ob sie mit meinem Lebensweg zufrieden sind. Als ich ihre Fürsprache, ihren Zuspruch am meisten gebraucht hätte, waren sie nicht da, jetzt brauch ich ihn auch nicht mehr.“
 

In Lenas Stimme konnte man einen Hauch Trotz hören und Petra glaubte zu erkennen, dass es der jungen Frau bei weitem nicht so egal war, wie sie tat. Sie hatte das Herz am rechten Fleck und auch nach allem, was damals schief gelaufen war, liebte sie ihre Eltern trotzdem noch, egal, wie sie es jetzt vor ihr und auch sich selbst zu verbergen versuchte.
 

„Und du bist vor acht Jahren von Zuhause weg, weil-“
 

„-weil ich mich irgendwie von ihnen befreien musste. Es kommt eine Zeit im Leben, da bleibt einem nichts anderes übrig, als seinen eigenen Weg zu gehen. Eine Zeit, in der man die eigenen Träume verwirklichen muss. Eine Zeit, in der man endlich für die eigenen Überzeugungen eintreten muss. Und genau das war meine Zeit. Ihre Ansichten, ihre Ignoranz und ihre absolute Missachtung meiner Leistungen haben mich zu lange zu viel Kraft gekostet. Ich habe es alles geschluckt, nie verdaut. Nachdem Torsten zielsicher seinen Weg ging, hielt mich nichts mehr in diesem haus zurück. Da kam mir die Idee nicht nur meinen Eltern, sondern auch ganz Deutschland den Rücken zu kehren. Ich wollte endlich einmal in meinem Leben mehr sein als nur Torstens kleine Schwester. Und das konnte ich am Besten im Ausland, wo Torsten bis dato noch keiner kannte.“
 

„Wieso ausgerechnet Mailand?“
 

Nun musste Lena schmunzeln, denn genau diese Frage hatte sie sich auch schon hundert- oder gar tausendfach gestellt. Vor allen Dingen, nachdem sie nach Barcelona gegangen war und wehmütig an die schöne Zeit dort zurück gedacht hatte. Warum ausgerechnet die Hauptstadt der Lombardei? Eine gute Frage, vermutlich war es Schicksal gewesen. Ein Schicksal, das sie unheimlich verändert und geprägt hatte. Im guten wie im schlechten Sinne. Wahrscheinlich würde niemand in Barcelona vermuten, wie sie einmal gewesen war und auch nur die Mailänder, die sie von Anfang an gekannt hatten, würde es jetzt noch für möglich halten, dass die selbstbewusste Lena und die zurückhaltend-schüchterne Lena ein und dieselbe Person waren.
 

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Vermutlich Schicksal. Oder Zufall. Es kommt aufs Gleiche raus. Eine spontane Entscheidung, die mir sowohl schöne Erinnerungen, als auch schlechte Erinnerungen beschert hat.“
 

„Und welche überwiegen?“
 

Unwillkürlich tauchte ein lachender Junge vor ihrem geistigen Auge auf, der wie wild von seinem ebenfalls lachenden Vater durch die Luft geschleudert wurde. Lena konnte das Glück fast schmecken, so real erschien es ihr. Und wieder derselbe kleine Junge, wie er ihr fröhlich zuwinkte, nachdem er ein Tor geschossen hatte. Dieses strahlende, schelmische Lachen, mit dem er sie jedes Mal wieder angesteckt hatte. Und schließlich wie er engelsgleich in ihren Armen schlief. Und sein Vater, der sie liebevoll anlächelt und in den Arm nimmt, ihr leise etwas zuflüstert. So viel Liebe, so viel Wärme und Geborgenheit. Und plötzlich, ganz ungewollt tauchte da das Bild eines jungen, gut aussehenden Mannes auf, der sie träge unter seinen halbgeschlossenen Augenlidern ansah, während er sich in nichts weiter als einer Badehose sonnte. Oh ja, la dolce Vita.
 

„Definitiv die guten.“
 

Petra freute sich so viel von der sonst so verschlossenen Lena erfahren zu haben. Jetzt konnte sie unter Umständen auch ihrem Mann helfen, wenn er sich irgendwann wieder beruhigt hatte.
 

Besorgt warf die zweifache Mutter einen Blick in Richtung Flur und erstarrte dann mitten in ihrer Bewegung. Das konnte doch nicht wahr sein. Unbemerkt von ihnen hatte sich Torsten angeschlichen und sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Er hatte eine undurchdringbare Maske aufgesetzt, durch die nicht die kleinste emotionale Regung ihres Gatten drang. Petra konnte nichts in seinem Gesicht lesen. Geschweige denn, dass sie genau sagen konnte, ab wann er da schon stand und wie viel er mitgehört hatte.
 

Sicherlich zu viel für Lenas Geschmack, dessen war Petra sich sicher, denn die junge Frau hatte sich ihr anvertraut und zwar nur ihr, nicht ihrem Bruder und Petra konnte die Reaktion ihrer Schwägerin nicht einschätzen, wenn sie jetzt sah, dass Torsten sie belauscht hatte. Egal wie lange es gewesen sein mochte. Also bedeute sie ihm so unauffällig wie möglich zu verschwinden, in der Hoffnung, dass Lena, die mit dem Rücken zur Tür saß, nichts bemerkte.

Die jedoch war so sehr mit sich und ihren Erinnerungen beschäftigt, dass sie weder die entsetzte Reaktion noch die Handbewegungen ihrer Schwägerin wahrnahm. Erst das leise Klingeln eines Handys riss sie aus ihrer emotionalen Starre. Irritiert sah sie auf und wendete ihren Blick in die Richtung, aus der der Ton zu kommen schien.
 

To be continued…
 

Ja, ich weiß, dieses Kapitel ist nicht ganz so, wie viele es wahrscheinlich erwartet haben, aber ich hoffe nichts desto trotz, dass es euch gefallen hat. Und ihr Lena jetzt ein wenig besser versteht. Beim Schreiben hatte ich ehrlich gesagt hin- und wieder so meine Probleme und eigentlich wollte ich noch viel mehr schreiben, aber dann wäre es zu lang geworden. So habe ich noch was für später…

Wird sie Torsten jetzt wohl in der Tür stehen sehen oder was wird passieren?



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