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Happy ohne Ende?

von

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Stark

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Lena spürte die warme Hand ihrer Schwägerin auf ihrem Rücken und in der Umarmung fühlte sie sich wohl und geborgen. Sie hielt ihre Augen geschlossen und versuchte für den Moment das Gefühl zu genießen, das sich langsam aber stetig in ihr ausbreitete. Wie lange hatte sie schon niemand mehr so umarmt? So völlig ohne Hintergedanken, jemand, dem einfach nur daran gelegen war, dass es ihr wieder besser ging. Wie lange war das her? Wann hatte sie all den Menschen, die sie so bedingungslos liebten, den Rücken gekehrt? Und vor allen Dingen: Warum hatte sie sie verlassen?
 

Einen Augenblick versuchte Lena die hässliche, grausame Wahrheit auf Distanz zu halten, aber wer sich selbst solche Fragen stellte, musste damit rechnen, das die Antwort nicht angenehm war. Das sie sogar unter Umständen wehtun würde. So wie in diesem Moment, in dem der Schmerz und die Gewissheit Lena fast die Kehle zu schnürten. Sie hatte die Antwort gewusst und die Frage trotzdem gestellt, war das jetzt töricht und dumm oder mutig, weil es der erste Schritt zur Selbsterkenntnis war? Im Grunde genommen war es egal, denn es tat vor allen Dingen weh. Und wenn man litt, wollte man lieber nicht allein sein.
 

„Danke, dass du da bist, Petra.“
 

Es waren schlichte, einfache Worte, aber zu mehr war die junge Frau derzeit nicht fähig und Petra verstand auch ohne große Reden, dass es jetzt an der Zeit war, einmal mit Lena über ihre Vergangenheit zu reden, denn scheinbar hatte ihr irgendetwas gerade ziemlich zugesetzt, so dass sie jetzt kraftlos fast in ihrem Armen lag.
 

„Gern geschehen, Lena.“
 

Vorsichtig brachte Petra ihre Schwägerin ins Wohnzimmer und machte sich selbst auf den Weg in die Küche um Lena und sich selbst einen schönen heißen Kakao zu zubereiten, denn egal was geschehen war, in Lenas Welt, das wusste Petra, gab es nichts, was so gut half wie ein Becher heißen Kakaos.
 

Lena saß indes im Wohnzimmer ihres großen Bruders und versuchte sich so klein zu machen wie irgendwie möglich. Die Beine hatte sie an die Brust gezogen und umschlang sie mit ihren Armen. Den Kopf hielt sie gesenkt, die Augen verschlossen. Immer wieder tauchte vor ihren Augen Torstens wütender, enttäuschter Gesichtsausdruck auf und sie tat alles um diese Bilder aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie versuchte auf ihren eigenen Herzschlag zu hören und fragte sich zum wiederholten Male, wie ihr Leben so hatte außer Kontrolle geraten können. Gerade bei ihr, die eigentlich immer alles weitestgehend unter Kontrolle hatte, sie, die genau deswegen so gut wie nie Alkohol trank, da er die Menschen dazu brachte die Kontrolle zu verlieren. Hier saß sie nun und wusste nicht mehr genau, wo oben und wo unten war.
 

Aber sie war normalerweise nicht der Mensch, der den Kopf in den Sand steckte und jammerte, das war nicht ihr Stil, das war nicht ihre Art und so ließ sie ihre Beine los und setzte sich normal aufs Sofa. Langsam fühlte sie, wie sich auch ihr Puls wieder beruhigte und nach mehrmaligen heftigen Schlucken löste sich auch langsam der Kloß in ihrem Hals. Es wurde wieder leichter zu atmen, leichter aufrecht zu sitzen und den Kopf gerade zu halten. Eine stolze, unnachgiebig Haltung. Streng mit sich selbst, so war Lena die vergangen Jahre mit sich umgegangen. Sie hatte sich damals, in Mailand, geschworen niemals wieder aus menschlicher Schwäche heraus zu weinen. Nie wieder. Sie wollte nicht mehr leiden, in Selbstmitleid versinken und zulassen, dass andere ihr Leben bestimmten. Sie war alt genug und stark genug um sich nicht mehr weinend in eine Ecke zu verziehen und die Wunden zu lecken. Bisher hatte sie sich an dieses Versprechen gehalten und auch wenn sie eben in Petras Armen mit ihrem Schluchzen nahe dran gewesen war diesen Schwur zu brechen, so hatte sie es doch nicht getan. Sie war stark geblieben und würde es auch bleiben. Eisern hatte Lena ihre Gefühle wieder unter Kontrolle und so versuchte sie es mit einem leichten lächeln, als Petra mit zwei dampfenden Tassen das Wohnzimmer betrat.
 

„So, hier erstmal dein Kakao. Und dann erzählst du mir ganz langsam, was passiert ist und warum mein Mann gerade wie wild in den Keller gestürmt ist um dort wer weiß was zu tun.“
 

Es war Petras ruhige, mütterliche Art, die Lena dazu brachte ihre Abwehrbastionen, die sie sorgfältig um sich errichtet hatte, ein wenig zu senken und ihr von den Geschehnissen des Vormittages zu berichten.
 

„Ich stand einfach so da und habe auf Torsten gewartet, als da auf einmal ein braun gebrannter Kerl mit einer ziemlich großen Klappe auf mich zu kam und mich dämlich von der Seite angemacht hat, als ich ihn Fragen wollte, wo Torsten denn steckt.“
 

„Das wird dann wohl deiner Beschreibung nach Tim Wiese gewesen sein.“
 

Einen Augenblick überlegte Lena, ob sie diesem Namen heute schon einmal gehört hatte und tatsächlich klingelte da etwas bei ihr.
 

„Ja, ich glaube so heißt er auch.“
 

Petra lächelte ihre Schwägerin leicht an. Es war ja mal wieder klar gewesen, dass Tim da seine Finger im Spiel hatte. Aber wenn sie nur mit Tim aneinander geraten war, dann war noch nichts zu spät, das würde sich schon wieder einrenken lassen. Der Werder Torhüter war zwar immer aufbrausend und wusste selten, wann es vielleicht besser war den Mund zu halten, aber trotzdem mochte Petra ihn. Sie verstanden sich gut und man konnte mit ihm zeitweise sogar wunderbar unterhalten, auch wenn das einige nicht glauben wollten. Also versuchte sie ihn ein wenig vor Lena zu verteidigen, immerhin konnte es ja eigentlich nicht allzu schlimm gewesen sein, denn normalerweise war Tim nur grob zu Menschen, die er kannte und gegen die er eine ausgeprägte Antipathie hegte, nicht aber gegenüber ganz normalen jungen Frauen, die ihm nur eine kleine Frage gestellt hatten.
 

„Mach dir nichts draus, Lena, Tim ist für seine unüberlegten Äußerungen bekannt. Er trägt halt manchmal seine Gedanken auf der Zunge und spricht ohne vorher darüber nachzudenken, ob er seinen Gegenüber vielleicht verletzt, aber im Grunde genommen hat er sein Herz am rechten Fleck.“
 

Zweifelnd sah Lena zu ihrer Schwägerin. Es schien fast, al ob sie von verschiedenen Menschen sprechen würden. Doch sie entschied sich diese Bemerkung einfach zu übergehen und weiter zu erzählen.
 

„Torsten hat dann halt mitbekommen, wie wir uns so die ein- oder andere Nettigkeit an den Kopf geworfen haben. Einige Treffer landeten da dann doch schon mal unter der Gürtellinie, weil er anscheinend verdammt angepisst war und meine Laune mittlerweile auch nicht mehr hitverdächtig war, da gab halt ein Wort das andere. Klar, hat Torsten das nicht gefallen, aber das war ja alles noch ganz harmlos. Dann kam Per an und wollte ihm sein Stirnband wieder geben, dass er anscheinend irgendwo hat liegen lassen.“
 

Mit einer ausladenden Handbewegung deutete Lena den Raum an, wo ihr werter Herr Bruder seine Sachen verteilt zu haben schien.
 

„Das ist ja mal wieder so typisch für meinen Mann: Überall lässt er seine Klamotten rum fliegen und erwartet von allen anderen, dass sie ihm seine Sachen hinterher schleppen, nur, weil ich es hier zu Hause aus Versehen einmal angefangen habe. Ich könnte mich immer noch Ohrfeigen, dass ich es ihm einmal habe durchgehen lassen, seitdem macht er es ständig. Aber eine kleine Zwischenfrage: Woher kennst du Per?“
 

Ein wenig verlegen blickte Lena in ihre Kakao-Tasse und suchte fieberhaft nach einer passenden, unverfänglichen Antwort, ohne gleich wieder Lügen zu müssen. Das hatte ihre Schwägerin nicht verdient, die sich ihr als Fels in der Brandung anbot und an dem sie sich dankend festgeklammert hatte. Nein, Lena wollte Petra wirklich nicht belügen, schließlich kannte Torsten die ganze Geschichte. Es hätte keinen Sinn, es wäre eine nutzlose Lüge, nur um des Lügens Willen. Diesen Impuls verspürte sie in letzter Zeit ständig, wahrscheinlich, weil ihr das Lügen schon so in Fleisch und Blut übergegangen war, dass sie es jetzt nicht einmal mehr bewusst wahrnahm, wenn sie wieder die Wahrheit etwas verdrehte. Das war einer der vielen Nachteile, die man hatte, wenn man zu seinen Freunden nicht mehr ehrlich sein konnte. Man gewöhnte sich zu sehr ans Lügen.
 

„Wir haben uns bei meiner Ankunft zufällig am Flughafen kennen gelernt, wobei ich ehrlich gesagt zu geben muss, dass ich damals noch nicht wusste, dass ich mit Per Mertesacker, Torstens Kollegen, einen Kakao trinken war.“
 

„Aha. Und was hat Torsten daran nun so aufgeregt? Dann kennst du Merte halt schon und hast dich mit Tim ein wenig gehabt, mein Gott, ist doch kein Weltuntergang.“
 

Ratlos sah Petra zu der jungen Frau und wunderte sich immer mehr über das Verhalten ihren Gatten. Alles sehr merkwürdig und irgendwie wurde sie auch das Gefühl nicht los, dass es da noch mehr gab, was Lena ihr noch nicht erzählt hatte.
 

„Es geht ja noch weiter. Und du hast eben schon ein verdammt gutes Wort für das, was dann geschehen ist, gebraucht.“
 

Einen Augenblick musste Petra nachdenken, bis ihr einfiel, was dann geschehen sein könnte. Entsetzt sah sie ihre Schwägerin an.
 

„Du möchtest mir doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du unserem lieben, langen Merte eine Ohrfeige verpasst hast, oder? Unseren Teddyper schlägt man nicht Lena, der tut doch keinem was.“
 

Leise lachte Lena auf und zum ersten Mal seit ihrem Streit mit Torsten war es ein ehrliches Lachen, das ihr sehr gut tat. Es wirkte befreiend, denn der Gedanke, wie sie sich zu Per hinaufstrecken würde, um überhaupt erst einmal an sein Gesicht zu kommen, war einfach zu köstlich. Wirklich komisch. Und dann auch noch Petras Name für den langen Innenverteidiger. Sie musste sich einfach verhört haben.
 

„Wie hast du ihn gerade genannt?“
 

„Teddyper.“
 

Nun ja, da hatte sie sich wohl doch nicht verhört. Ihre Schwägerin hatte diesem Mann wirklich einen Spitznamen gegeben, der doch sehr stark an der Wort „Teddybär“ erinnerte und die waren ja bekanntlich knuffig, pelzig, braun und vor allen Dingen: klein!
 

Und in diese Kategorie konnte Lena Per nun beim besten Willen nicht einordnen. Knuffig, ja definitiv, damit kannte sie leben, braun nur bedingt, eigentlich wirkte er eher etwas blass, aber so hätte sie wahrscheinlich auch ausgesehen, wäre sie nicht in den letzten Jahren ständig von warmer Sonne beschienen worden. Zu pelzig konnte sie sich bisher noch kein urteil erlauben, aber das, was sie bisher von ihm gesehen hatte, ließ nicht darauf schließen, dass Per noch irgendwo einen Pelz unter seinem Trikot versteckt. Hoffte Lena zumindest. Und einen Mann von fast zwei Meter Größe als klein zu bezeichnen war eher ein schlechter Scherz als eine Tatsache. Was war sie denn dann mit ihren 165 cm bitte schön, ein Zwerg?
 

„Wow, wenn man sich vorstellt, wie groß dieser „Teddyper“ ist, finde ich den Namen komisch, aber andererseits passt es zu ihm. Und nein, keine Panik Petra, ich habe Per nicht geschlagen, wieso sollte ich einen Mann hauen, der so einen umwerfenden Hundeblick hat wie er?“
 

Beide Frauen grinsten sich an und es brauchte kein Genie um zu erkennen, dass die Beiden gerade Pers sanftes Lächeln vor Augen hatten.
 

„Ja, aber wen hat es dann erwischt? Doch nicht etwa Tim, oder?“
 

„Nene, bei dem konnte ich mich gerade noch zusammen reißen, aber auch nur, weil Torsten daneben stand und ich keine Szene riskieren wollte.“
 

„Und wer hat dich nun letztendlich so wütend gemacht, dass du die Beherrschung verloren hast?“
 

Petra war gespannt, wer ihre Schwägerin so aus der Reserve locken konnte, damit sie vor Torsten die Beherrschung verlor und gedankenlos einfach mal Ohrfeigen austeilte. Bisher hatte sie Lena immer nur äußerst beherrscht und reserviert erlebt, sie schien nicht der Typ Frau zu sein, der problemlos austeilte, auch wenn Petra sich durchaus bildlich vorstellen konnte, wie Lena ausgeholt hatte.
 

„Erinnerst du dich noch an unsere kleine Shopping Tour kurz nach meiner Ankunft?“
 

„Klar.“
 

„Und weißt du auch noch, dass mich da dieser unverschämte Kerl in der Umkleidekabine überrascht und geküsst hat?“
 

Keine Sekunde nachdem Lena ihre Frage ausgesprochen hatte, breitete sich ein Grinsen auf Petras Gesicht aus. An ihre erste Shoppingtour in Bremen erinnerte sich die Spielerfrau noch lebhaft. Immerhin hatte sie ihre Schwägerin damals erstmal beruhigen müssen, nachdem ihr irgend so ein notgeiler Heini zu nahe getreten war.
 

„Sicher, wie sollte ich das vergessen, dein Gesichtausdruck war einfach zu köstlich.“
 

„Tja, du hast mir gesagt, dass ich ihn wahrscheinlich nicht wieder sehen werde, Pustekuchen. Während ich mich lieb mit Per unterhalt und nichts Böses ahne, stürmt dieser Verrückte auf einmal auf mich zu, reißt mich in seine Arme und küsst mich. Vor versammelter Mannschaft, sprich Torsten, Tim, Per und Frank. Kannst du dir das vorstellen?!“
 

Überrascht sah Petra ihre junge Schwägerin an, die mittlerweile, nach ihrer Gesichtsfarbe und ihrem empörten Ausdruck in den Augen, schon fast wieder so aufgeregt sein musste, wie bei dem Vorfall selbst.
 

„Wie heißt denn der Glückliche? Sag jetzt bitte nicht, dass er auch einer von Torstens Kollegen ist, bitte nicht.“
 

Innerlich betete Petra, dass der Kerl, den sie eben noch für einen notgeilen Heini gehalten hatte, nur ein verrückter Fan war und kein Teammitglied des SV Werder Bremens. Aber ihre Gebete wurden nicht erhört, denn Lena nickte nur bedauernd.
 

„Doch, Clemens Fritz.“
 

Petra konnte sich mittlerweile Torstens Reaktion mehr als nur bildlich vorstellen. Vor ihren Augen spielte sich das ganze Drama noch einmal ab und so, wie sie es sich vorstellte, entbehrte es trotz allem nicht einer gewissen Komik, gerade wenn sie an ihren beschützerischen Mann dachte. Armer Torsten! Erst musste er zusehen, wie sich sein kleines Prinzesschen mit seinem Torhüter stritt, dann fand er überraschend heraus, dass sie einen seiner Kollegen kannte und zum krönenden Abschluss kam auch noch Clemens, notorischer Weiberheld und für seine vielen Affären bekannt, und küsste sie öffentlich. Zum Glück hatte Lena ihm nichts von der Geschichte in der Umkleidekabine erzählt, denn dann, da war Petra sich sicher, würde ihr Mann Clemens bei der nächst besten Gelegenheit einmal deftig in den Hintern treten. Auch wenn die Situation immer noch komisch erschien.
 

„Ja ja, unsere kleinen Prinzen sorgen schon dafür, dass keine Langeweile aufkommt.“
 

Verständnislos blickte Lena zu Petra, die mit überkreuzten Beinen konzentriert in ihren Kakao-Becher sah. Man konnte ihr deutlich anmerken, dass sie sich ihr Grinsen verkneifen musste.
 

„Du kannst ruhig lachen, ich weiß ja selbst, dass der Anblick für alle anderen einmalig gewesen sein muss, aber trotzdem. Und wen meinst du eigentlich mit den „kleinen Prinzen“? Ich habe da nur große Idioten gesehen, na ja, mal abgesehen von Frank, Torsten und Per.“
 

„Wir nennen Per und Clemens immer unsere kleinen Prinzen, keine Ahnung warum. Merte vielleicht etwas weniger, aber Clemens dafür umso mehr. Denn in manchen Beziehungen ist er echt verwöhnt wie ein kleiner Prinz.“
 

Lenas erste Reaktion darauf war ein Schnaube, denn wenn sie es so sah, passte der Spitzname tatsächlich. Allein seine Anmache schon, da hatte er ihr ja dasselbe erzählen müssen. Fürchterlich! Aber jetzt wusste sie wenigstens, woher diese Idee kam. Trotzdem konnte sie sich eine Frage nicht verkneifen:
 

„Und kleine Prinzen kriegen immer was sie wollen?“
 

Petra lachte schallend auf und auch Lena konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
 

„Ja, so ungefähr. Aber kleine Prinzen tun nicht immer, was sie sollen. Auf der Suche nach dem Leben tun sie alles was gefällt, weil doch jeder Prinz sich eben für den größten König hält.“
 

Zustimmend nickte Lena. Dem war im Grunde genommen nichts mehr hinzu zufügen. Schweigen senkte sich über das Wohnzimmer und beide Frauen versanken für einen Moment in ihren Gedanken und ließen das erzählte Revue passieren.
 

„So ungefähr verstehe ich jetzt, warum Torsten so wütend abgerauscht ist.“
 

„Das ist ja schön für dich, ich verstehe es nämlich nicht. Was hat sich mein lieber, großer Bruder denn bitte schön dabei gedacht? Noch bevor ich diesem vermeintlichen Prinzen ordentlich die Meinung geigen konnte, zieht er mich weg, setzt mich ins Auto und bringt mich hierher.“
 

Wieder brauchte Petra nicht besonders viel Fantasie um sich die Szenerie bildlich vorzustellen. Eine wütende, aufgebrachte Lena, ein unverschämt grinsender Clemens und ein schäumender Lutscher. Zu gern wäre sie dabei gewesen. Dann wäre die Situation vielleicht auch nicht so eskaliert.
 

„Ihm ist die Situation entglitten und da hat er das einzige gemacht, was ihm einfiel: Dich in Sicherheit bringen. Er will doch nur das Beste für dich, er möchte dich beschützen und in diesem Augenblick hat halt sein Großen-bruder-komplex eingesetzt.“
 

„Ich bin doch aber keine 16 mehr, Petra. Ich bin 24, das sollte auch Torsten langsam mal verstehen.“
 

Lenas Stimme klang mittlerweile nicht mehr wütend und aufgebracht, sondern eher ein wenig traurig und resigniert. Anscheinend ging ihr Torsten Reaktion doch näher als erwartet.
 

„Das tut er ja auch. Meistens zumindest. Aber manchmal gehen wohl die Pferde mit ihm durch, da schießt er über das Ziel hinaus, aber er meint es ja nur gut, glaub mir Lena, sei ihm nicht böse deswegen.“
 

„Ich bin ihm ja deswegen auch gar nicht böse. Klar bin ich wütend, dass er mich die Sache nicht hat alleine regeln lassen, aber das bin ich ja nicht anders von ihm gewohnt, viel schlimmer war sein Gesichtsausdruck während der Fahrt, Petra.“
 

Einen Moment schwieg Lena um sich zu sammeln und diesmal sprach sie mit etwas brüchiger Stimme weiter.
 

„Die meiste Zeit haben wir nur geschwiegen. Es war schrecklich. Torsten und ich schweigen uns nicht an. Haben wir noch nie. Wir schreien uns an, wir hauen uns gegenseitig die Köppe ein, aber wir schweigen nicht einfach. Und dann dieser traurige Blick. Wie er so starr auf die Straße gesehen hat. Als würde er krampfhaft versuchen an etwas Anderes zu denken. Als versuchte er alles zu tun, um seine Enttäuschung runter zu schlucken. Um mir nicht ins Gesicht sehen zu müssen und zu erkennen, dass ich nicht der Mensch geworden bin, auf den er stolz sein kann. Verstehst du Petra, ich habe Torsten enttäuscht.“
 

Die Spielerfrau konnte die Verzweifelung im Blick ihrer Schwägerin sehen und fragte sich, warum sie sich so sicher war, dass sie Torsten enttäuscht hatte. Und warum es ihr so nahe ging, denn so, wie Petra ihren Mann kannte, würde in ein paar Stunden und nach einem klärenden Gespräch zumindest zwischen den beiden wieder alles in Ordnung sein. Wie es da bei Clemens aussah, darüber wollte sie lieber nicht spekulieren, denn das Donnerwetter, das ihn für diese Aktion erwarten würde, war bestimmt nicht von schlechten Eltern.
 

„Lena, sieh mich an: Du hast Torsten nicht enttäuscht, höchstens überrascht, weil er diese Art von dir nicht gewohnt ist. Und womöglich auch ein bisschen verwirrt, immerhin habt ihr euch lange nicht mehr gesehen und du hast dich in den vergangenen Jahren auch weiterentwickelt, nicht nur körperlich. Du hast Erfahrungen gemacht, an denen Torsten nicht beteiligt war und von denen er jetzt nichts weiß, weil du ihm nie davon berichtet hast. Er versteht es nicht. Aber egal was auch geschehen mag, eines darfst du niemals in Zweifel ziehen: Torsten wird immer stolz auf dich sein. Du kannst ihn gar nicht enttäuschen.“
 

Wieder schwieg Lena und dachte über Petras Worte nach. Tief im innern wusste sie, dass ihre Schwägerin Recht hatte. Es musste wirklich schwer für ihren Bruder sein ihre neue, veränderte Art zu verstehen, wo er doch nicht wusste, warum sie sich teilweise wirklich so drastisch verändert hatte. Sie hatte sich ja auch immer ausgeschwiegen über die unangenehmen Ereignisse, schwieg ja selbst jetzt noch über den Grund ihres Kommens. Petras nächsten Worte rissen Lena aus ihren Gedanken.
 

„Lena, ich will dich nicht zu sehr bedrängen, aber eine Frage liegt mir schon seit deiner Ankunft hier im Magen und ich weiß, dass Torsten mir die Antwort nicht geben kann oder geben will, deswegen dachte ich mir, dass du mir unter Umständen helfen kannst.“
 

Erschrocken sah Lena zu Petra. Wollte ihre Schwägerin jetzt etwa den wahren Grund hören, warum sie hier war? Sollte jetzt der Augenblick sein, in dem die Wahrheit auf den Tisch kam? Ungeschönt und ehrlich? War sie dazu schon bereit? War Lena bereit auszusprechen, warum es so gekommen war, wie es jetzt war?
 

Innerlich sträubte Lena sich gegen die unvermeidlichen Lügen, wenn sie diese Frage für sich selbst jetzt verneinte. Aber die Alternative bereitete ihr noch mehr Unbehagen. Darüber reden zu müssen, allein diese Vorstellung trieb ihr Schweißperlen auf die Stirn. Andererseits konnte sie Petra vertrauen und war es ihr eigentlich in gewisser Weise sogar schuldig, aber jetzt noch nicht.
 

„Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum du damals von zu Hause weggegangen bist. Und dann auch noch ins Ausland. Du hattest doch bei deinen Eltern alles, was du dir wünschen konntest und jedes normale Mädchen wäre mit 16 niemals in ein fremdes Land gegangen um zu studieren, dass muss doch einen Grund gehabt haben. Torsten spricht nicht darüber, er macht sofort dicht, wenn ich ihn etwas in diese Richtung fragen will. Er murmelt höchstens etwas in der Art „Es war alles meine Schuld“ und schweigt dann den ganzen Abend. Er macht sich wirklich Vorwürfe und wenn er sich dann so einigelt, weiß ich nicht, wie ich ihm helfen soll, weil ich ja nicht weiß, warum er sich Vorwürfe macht.“
 

Lena fiel ein Stein vom Herzen. Niemand wollte wissen, warum sie ausgerechnet jetzt gekommen war. Ihr Geheimnis würde noch weiter genau das bleiben: Geheim. Sie war schon fast erstaunt, dass Petra ihren Erleichterungsseufzer nicht wahrnahm. Auch wenn ihre Frage nicht sehr viel angenehmer war, so sprach sie doch lieber über ihre Kindheit als über ihre direkte Vergangenheit. Das lag zum Teil vermutlich auch daran, dass diese Wunden in den vergangenen Jahren Zeit hatten zu heilen und sie mittlerweile selbst reifer geworden war um auch eigene Fehler in ihrem Verhalten zu erkennen.
 

Ja, definitiv, diese Frage war leichter und Lena überlegte nur einen kurzen Augenblick, bis sie antwortete.
 

To be continued
 

Das war mal wieder ein langes Kapitel, aber wie ihr euch denken könnt, ist sozusagen die Einleitung für ein paar Informationen aus ihrer Vergangenheit gewesen…

Wie fandet ihr das Kapitel, gut, schlecht, mittelmäßig? Kommentare sind wie immer erwünscht… ;)



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