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Every day is writing day
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Typologic (24.01.09)

Es geht um weißes Eis. Man setzt sensibel den Fuß auf, ohne dass die Verse den Boden berühren, und versucht einen kühlen Kopf zu bewahren, sodass die Morphologie des gefrorenen Wassers konstant bleibt. Richtig zeichnend gräbt man die Zehenspitzen in die Oberfläche, gleitet in kreisenden Schritten voran, bis man sich hinabbeugt, um die eigene Reflektion in der glatten Materie zu sehen. Man beschreibt einen geraden Weg über das schlafende Gewässer, bis die deutlichen Eisflächen beginnen aufzubrechen und das konventionelle Vorankommen unmöglich wird. Ein Seemann wartet am Übergang zwischen festem, klaren Eis und unruhig wogendem See. Man bedeutet ihm hinüber zu setzen und ist bereit den Preis zu zahlen, den er nennt. Vage erinnert man sich noch, was er verlangte, während einen sein Floß zum Ufer trägt. Die Fahrt dauert ewig, da man gegen das Gesetz des Windes kreuzen muss, und schon bald erschöpft einschläft, zu müde zum Träumen. Man erlebt das Gerede des Manns am Ruder wie einen Gedankenbericht, der in den Bewusstseinsfluss des tiefen Schlafes eindringt und sich damit vermischt.

Als man am nächsten Morgen aufwacht, hat das Floß bereits angelegt und noch während man sich die Gicht aus den wunden Augen reibt, fragt man sich, warum man nicht stumm den Weg um den See ertragen hat, statt dieser Strapazen.

„Man kann sogar durch grauen Fels gehen“, lacht der Seemann vom Heckruder her, als man laut über den bisherigen Weg sinniert. „Es ist nur eine Frage der Entscheidung.“

„Für mich nicht“, murmele ich, meine Sachen zusammenpackend, „Mir passieren solche Dinge immer aus Versen.“ Ich freue mich über den pragmatischen Abschluss dieses Reiseabschnitts und sehe, wie er und sein Floß auf semantische Art in sich zusammenfallen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ito-chan
2009-07-15T10:12:25+00:00 15.07.2009 12:12
Ganz ehrlich: Meine Randnotiz hierzu lautet "Poesie in Prosa". Soll heißen, dass es sich eher liest wie ein gutes Gedicht, als eine "Kurzgeschichte".
Dennoch beeindruckt es sehr. Man hat direkt Bilder vor Augen. Eis, Schiffe und Seeleute sind da schon die Offensichtlichsten.
Wirklich sehr sehr gelungene "Prosa" oder soll ich es Poesie nennen?
Von:  kumquat
2009-01-25T17:24:44+00:00 25.01.2009 18:24
Morphologie musste ich jetzt, zu meiner eigenen Schande, nachschlagen. Aber hey. Learn a new word every day with Shu.
Ich hab luzide Assoziationen beim Lesen gehabt. Vor meinem geistigen Auge steht ein Gedicht in geschwungener Schrift auf dem zugefrorenen Teil eines Sees, mit dem Fuß in das Eis gebannt, und kleine Eisvögel kreisen darüber, aww.

Allerdings:
"Man erlebt das Gerede des Manns am Ruder wie einen Gedankenbericht, der in den Bewusstseinsfluss des tiefen Schlafes eindringt und sich damit vermischt."
^ Mein Lieblingssatz. Ist mir nämlich auch mal passiert, als ich eine Rede von Adams hörte und dabei eingeschlafen bin. Das ist so ein wunderbar verrücktes, krankes Gefühl, dieses Hineingleiten in den Schlaf und das periodische Herausschnappen, wenn man ein paar Wortfetzen hört und in einen Zusammenhang zu bringen sucht. Hätte ich mehr Zeit für Schlaf, würde ich sowas öfter machen.


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