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Der Fluch des smaragdgrünen Drachen

The Neverending Stories Of The 108 Stars
von

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Die Ruhe vor dem Sturm

Die Sonne schien blendend hell auf das Meer, wo bis vor kurzem ein schrecklicher Sturm gewütet hatte. Doch der wolkenlose, stahlblaue Himmel und der ruhige Wellengang ließen nichts mehr davon erahnen.

Auch das Schiff, das auf dem Meer fuhr, zeigte keine Anzeichen der überstandenen Strapazen, so als ob es von dem Sturm verschont worden wäre.

Es war ein großes Segelschiff, doch man konnte nicht erkennen, woher es kam oder wem es gehörte. Die Segel waren weiß, kein Wappen zierte den Stoff und egal bei welchem Hafen man angefragt hätte, von überall wäre die Antwort gekommen, dass man dieses Schiff nie zuvor in diesem Gewässer gesehen hatte.

Es war wie aus dem Nichts gekommen und würde dahin auch bald wieder verschwinden.

Auf dem Schiff war es genauso ruhig, wie das Wasser selbst. Einige wenige Seemänner gingen ihrer Arbeit nach. Doch diese Männer waren seltsamerweise schweigsam und schienen sich vollkommen auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Selbst als ein Mann mit einer Weinflasche in der Hand von unten aufs Deck kam, reagierten die Seemänner nicht.

Der Mann, der von unten gekommen war, war muskulös, allerdings schon ein wenig älter. Falten hatten angefangen, sein Gesicht heimzusuchen und sein schwarzes Haar würde dem langsamen Ergrauen auch nicht mehr lange standhalten können. Er wirkte leicht betrunken, was daran zu erkennen war, dass er beim Gehen leicht schwankte. Während er sich seinen Weg zum Bug des Schiffes bahnte, trank er noch einmal einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche.

Als er an seinem Ziel ankam, grinste er, da er den Mann gefunden hatte, den er gesucht hatte. Einen Mann mit schwarzen Haaren und einem Schnurrbart über den Lippen. Er schien im selben Alter zu sein, wie der betrunkene Mann, aber die Zeit hatte es ein wenig besser mit ihm gemeint. Wie gebannt sah er auf das Land, das am Horizont bereits zu sehen war. Das Königinnenreich Falena - ihr Ziel.

„Hat ja auch lange genug gedauert. Das Geschaukel ging mir langsam auf die Nerven“, sagte der Mann mit der Flasche erleichtert.

Der Mann mit dem Schnurrbart sah seinen Freund kurz an und rümpfte die Nase. Angewidert sah er weg.

„Wir haben gerade erst Mittag und du bist schon wieder betrunken“, tadelte er den anderen leicht angewidert. „Du kannst einfach nicht die Finger vom Alkohol lassen, was?“

Die Antwort seines Gegenübers bestand lediglich aus einem weiteren Schluck aus seiner Flasche. So reagierte er stets auf Kritik, das war nichts Neues mehr.

Der schwarzhaarige Mann seufzte und sah wieder auf Falena.

„Falena… es ist lange her… zu lange mussten wir warten. Doch nun ist die Zeit unserer Rückkehr gekommen. Sie glaubten, dass sie uns los seien. Doch solange einer von uns übrig bleibt, stirbt unsere Organisation nicht aus.“

Der Betrunkene nickte zustimmend. „Genau. So leicht wird man uns nicht los.“

Während er lachte und wieder aus seiner Flasche trank, verfiel der andere in seine Gedanken.

Es hat wirklich sehr lange gedauert. Man hat uns einen ganz schön harten Schlag versetzt. Es war nicht leicht uns wieder zu dem zu machen, was wir einst waren. Zumal wir uns bedeckt halten mussten, was wirklich sehr schwierig war, bei dem, was wir tun mussten. Aber man hat uns zum Glück nicht entdeckt. Und nun sind wir hier. Aber wir müssen noch eine Weile unerkannt bleiben. So lange, bis wir das perfekte Hauptquartier gefunden haben.

„Hey. Aber du weißt doch. Wir beide sind nicht nur deswegen hier“, riss der Betrunkene seinen Freund aus den Gedanken.

Der Schwarzhaarige nickte und sagte: „Das ist wahr. Es ist schon lustig, dass unsere Rache und das auf denselben Zeitpunkt fällt.“

Wieder verfiel er in Gedanken.

Ein wirklich seltsamer Zufall, aber auch nicht schlecht. So kann ich ganz sicher sein, dass du mir nicht entkommst, mein kleines Versuchskaninchen. Nur noch ein paar Tage… dann sind die zehn Jahre vorbei… und dann beginnt es…

„Dann hoffen wir mal, dass alles klappt. Ich trinke auf unseren Erfolg, he he“, sagte der Betrunkene und trank die Flasche nun ganz leer.

Während er sie ungeachtet über Bord warf, lächelte sein Freund.

„Falena… Wir sind wieder da.“

Faramond

In Sol-Falena, der Hauptstadt von Falena, ahnte währenddessen niemand etwas von den finsteren Plänen, die im Geheimen gegen sie geschmiedet wurden.

Der Sonnenrunen-Krieg war gerade ein paar Monate her, niemand im Königreich wollte auch nur denken, dass so etwas Schreckliches in naher Zukunft noch einmal geschehen könnte.

Endlich war wieder Frieden eingekehrt und diesen wollte man ausgiebig genießen.

Inmitten dieses Friedens waren gerade ein Mädchen mit einem langen braunen Zopf und eine junge Frau mit auberginenfarbenem Haar in der Rüstung der Ritter der Königin, der Kämpfer, die für den Schutz der Königsfamilie zuständig waren, in eine Diskussion vertieft. Anhand der Rüstung konnten selbst Außenstehende leicht erraten, wer das Mädchen bei ihr war.

„Och, komm schon, Miakis. Nicht lange. Nur gaaaanz kurz“, bettelte Lymsleia.

Sie wollte unbedingt mit ihrem neuen Pferd einen Ausritt machen, da sie es so schön fand und gerade ein wenig Zeit hatte, da im Moment nur wenig Arbeit zu erledigen war.

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, widersprach Miakis und sah das Pferd an. „Es ist noch ganz neu, wir wissen nicht, wie es reagiert.“

„Schwarzmalerin. Seit wann so ängstlich? Bist du etwa feige geworden? Dann hätte Roan ja recht gehabt.“

Das Mädchen grinste Miakis an. Roan war die perfekte Waffe, um Miakis zu provozieren.

Roan war vor zwei Monaten, kurze Zeit nach Ende des Krieges zu den Rittern der Königin gestoßen. Er war ein gutaussehender, junger Mann – und stritt sich immerzu mit Miakis.

Natürlich wusste der gesamte Sonnenpalast davon, weil es selten ruhig dabei zuging. Und so nutzte Lymsleia diesen Umstand, um Miakis doch noch zu überreden.

„Ich bin nicht feige!“

„Sicher?“, fragte Lymsleia nach und grinste immer noch. „Roan sagt da was anderes.“

Miakis holte noch einmal tief Luft. „Ich hole den Sattel.“

„Okay“, sagte die junge Königin triumphierend.

Miakis suchte alles zusammen und begann das neue Pferd zu satteln, auch wenn sie jetzt schon ein schlechtes Gefühl dabei hatte. Das Tier wirkte alles andere als ausgeglichen und Lymsleias Aufregung tat ihr Übriges dazu.

Aber Miakis wollte sich nicht nachsagen lassen, dass sie feige wäre. Schon gar nicht von Roan.

Was glaubte er eigentlich, wer sie war?

Hatte sie doch tapfer im Sonnenrunen-Krieg an der Seite des Prinzen gegen die Godwins gekämpft. Und was hatte er getan?

Sich wahrscheinlich in einem Keller versteckt und darauf gewartet, dass es vorbei war.

Ja, das würde Miakis ihm durchaus zutrauen.

Etwas später ritten sie langsam in der Nähe von Sol-Falena. Lymsleias Pferd wirkte nervös oder mehr nicht gut gelaunt, doch bis jetzt sah es nicht so aus, als würde es etwas tun.

„Siehst du?“, sagte die Königin in einem vorlauten Ton. „Es passiert nichts.“

„Da habe ich mich wohl geirrt“, gab Miakis zu.

Zum Glück, dachte sie.

Lymsleia brachte ihr Pferd zum Stehen, ihre Leibwächterin tat es ihr nach.

„Sag mal, Miakis. Ich frage mich, wie Sol-Falena von da oben aussieht. Würdest du für mich auf den Baum klettern und mir sagen, wie die Aussicht von da oben ist?“

„Natürlich.“

Miakis stieg von ihrem Pferd ab und kletterte den Baum hinauf, wobei sie sie einen Vogel aufscheuchte, der hektisch aus dem Baum floh. Dabei flog er haarscharf an dem Pferd von Lymsleia vorbei. Erschrocken bäumte es sich auf.

Darauf war Lymsleia nicht gefasst gewesen, so dass sie mit einem Aufschrei von dem Pferd herunter rutschte.

Doch der Aufprall auf dem Boden war sanfter, als sie gedacht hätte. Und der Boden war sogar überraschend nah gewesen. Ein wenig verwirrt sah sie die Person an, die sie aufgefangen hatte.

Miakis war hastig wieder auf den Boden gesprungen und sah den jungen Mann mit den schwarzen Haaren und den braunen Augen ebenfalls verwirrt an.

Wer ist das?

Er schmunzelte. „Ein kleines Kind sollte nicht auf so einem großen Pferd reiten.“

„Kleines Kind!?“

Sofort verpasste Lymsleia ihrem Retter eine Ohrfeige.

Miakis zuckte unwillkürlich zusammen, aber der Retter verzog nicht einmal das Gesicht, als er trocken „Oh, wie schmerzhaft“ erwiderte. „Bedankt man sich so in Falena?“

„Nein! Aber so ein unverschämter Kerl hat es nicht anders verdient!“

„Und das darf ich mir von einem Kind sagen lassen.“

„Ich bin kein Kind!“, erwiderte Lymsleia hitzig und strampelte dabei wie wild mit den Füßen. Wäre sie auf dem Boden gestanden, hätte sie wütend aufgestampft, aber da sie quasi in der Luft hing, war das natürlich nicht möglich. „Ich bin die Königin von Falena!“

„Ja, bestimmt. Und ich bin der Hohepriester von Harmonia.“

Lymsleia knurrte. „Miakis! Nimm diesen unverschämten Kerl gefangen! Aber sofort!“

„Ah, hast du deine große Schwester zum Spielen mitgebracht?“, fragte der junge Mann.

Miakis sah ihn immer noch verdutzt an und reagierte auch nicht auf die Anweisung, so dass er sich wieder an Lymsleia wandte: „Ist deine Schwester noch zu haben? Die ist irgendwie süß.“

Die Königin war kurz davor zu explodieren. „Na warte! Du wirst hängen, glaube mir! So wahr ich Lymsleia Falenas heiße!“

„Kinder, Kinder...“, seufzte Faramond.

Er trat einige Schritte näher an den Feitas ran, der an dieser Stelle nicht sehr tief war.. „Geh dich erstmal abkühlen, Kleine. Das ist ja nicht zum Aushalten.“

Damit ließ er sie ins Wasser fallen.

Miakis erwachte endlich aus ihrer Starre. „Eure Majestät!“

Geschockt sah Lymsleia an sich hinunter.

Mein schönes Kleid!

Sie knurrte. „Wie kannst du es wagen!? Miakis! Ich habe dir einen Befehl gegeben! Nimm diesen Kerl gefangen!“

„Könnt ihr das Spiel nicht langsam lassen?“, fragte er seufzend.

Miakis ergriff seine Hände und drückte ziemlich fest zu. „Im Namen der Königin von Falena bist du hiermit verhaftet!“

Erstaunt über ihre Kraft sah er sie an. „Ist das dein Ernst?“

„Ja!“

Lymsleia stieg aus dem Wasser. Sie sah wütend aus, ihre Augen funkelten voll Zorn. „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du nie wieder so unverschämt sein. Glaube mir.“

Seine Augen erwiderten den Blick flehend, darum bittend, dieses Spiel doch endlich zu beenden und ihn einfach wieder gehen zu lassen. „He... du bist nicht wirklich die Königin, oder?“

Er sah wieder Miakis an, sein Blick intensivierte sich. Früher hatte er damit alles bekommen, vielleicht ging es immer noch. „Sie ist nicht wirklich die Königin, oder?“

„Doch, ist sie“, erwiderte Miakis mit versteinerter Miene.

Sein Blick hatte versagt.

„Und glaub mir“, schimpfte Lymsleia. „Für mein Lieblingskleid wirst du auch noch bezahlen. Führe ihn ab, Miakis!“

„Jawohl!“, sagte diese und zog ihn mit sich.

Prima..., dachte er. Das Land hat soooooo viele Einwohner. Und ich gerate ausgerechnet mit der Königin aneinander.

Lymsleia nahm die Pferde und folgte den beiden. Dabei nieste sie.

„Gesundheit“, sagte der Gefangene automatisch.

„Halt bloß die Klappe!“

„Wenn Ihre Majestät wegen dir krank wird, kannst du aber was erleben!“, drohte Miakis.

Er sagte dazu nichts.

Auf dem Weg zum Schloss nieste Lymsleia noch ziemlich oft. Sie brachte die Pferde eilig zu den Ställen und lief wieder in den Palast, wo ihr Bruder und Lyon bereits Bekanntschaft mit dem Fremden machten.

Faroush und Lyon waren nach dem Krieg beide zu Rittern der Königin geworden und der Prinz hatte sogar den Rang des Kommandanten bekommen. Dies sollte zeigen, dass der Posten nicht mehr durch eine Heirat mit der Königin, sondern mit den Fähigkeiten des Amtsinhabers zusammenhingen.

„Miakis, was hat dieser Mann getan?“

Faroush war leicht überrascht, als er den versteinerten Gesichtsausdruck von Miakis und den zerknirscht dreinblickenden Mann sah.

„Er hat Ihre Majestät respektlos behandelt und sie dann noch ins Wasser geworfen“, war die Antwort.

„Fallenlassen“, warf er ein. „Ich habe sie fallen lassen, nicht geworfen.“

„Wen kümmert der Unterschied!?“, fauchte Miakis.

Lyon musterte den Mann. „Ihr stammt nicht aus Falena. Ist das richtig?“

Er nickte zustimmend. „Ich komme aus Zexen und bin erst seit drei Tagen in Falena.“

„Mmmh. Dann könnt Ihr ja nicht wissen, dass dies Königin Lymsleia ist“, murmelte Lyon.

Sie sah zu Lymsleia. „Majestät. Wollt Ihr nicht nochmal Gnade walten lassen? Er wusste nicht, wen er vor sich hatte.“

Doch die Königin verschränkte stur die Arme vor der Brust. „Niemals!“

„Inwiefern war er denn respektlos?“, fragte Faroush weiter.

„Er hat mich als Kind beschimpft! Er hat meinen Stolz verletzt und hat mein liebstes Kleid ruiniert!“, schimpfte Lymsleia und sah den Gefangenen dabei die ganze Zeit zornig an.

„Nachdem ich sie vor einem schmerzhaften Sturz von ihrem Pferd bewahrt habe“, warf er ein.

„Der Sturz wäre mir lieber gewesen, wenn ich dir dann hätte nicht begegnen müssen!“

Faroush blickte nachdenklich zwischen den beiden hin und her. „Aber Lym... äh, ich meine Eure Majestät, wollt Ihr nicht doch lieber noch einmal darüber nachdenken? Er hat Euch immerhin gerettet und so respektlos scheinen mir seine Äußerungen auch gar nicht gewesen zu sein.“

Lymsleia sah ihren Bruder fassungslos an. „Was!? Du hältst auch noch zu diesem Kerl!?“

Sie knurrte, fuhr herum und lief aus dem Palast.

„Meine Güte“, sagte Lyon. „Hoffentlich erkältet sie sich nicht.“

Sie kann so stur sein.

Faroush nickte, dann sah er wieder den Gefangenen an. „Und was machen wir jetzt mit ihm?“

„Wir sollten ihn erstmal hier behalten“, schlug Lyon vor. „Vielleicht ändert die Königin ja noch ihre Meinung.“

„Gute Idee“, stimmte Faroush zu.

„Aber wohin mit ihm?“, überlegte Lyon.

„In den Kerker!“, ließ Miakis sich vernehmen, woraufhin sämtliche Farbe aus dem Gesicht des Mannes verschwand.

Faroush runzelte seine Stirn. „Das finde ich ein bisschen zu hart. Bis Lym wieder da ist, sollten wir ihn vielleicht in das Ritterzimmer bringen. Einer von uns kann ja dort auf ihn aufpassen.“

„Oder...“, begann Lyon nachdenklich. „Ich habe vielleicht eine bessere Idee. Er soll die Königin suchen und sich bei ihr entschuldigen. Ich bin mir sicher, dass sie sich dann wieder beruhigen würde und wir ihn nicht bestrafen müssen.“

„Würdest du das tun?“, fragte Faroush ihn.

„Solange ihr mich nicht in den Kerker steckt, natürlich.“

Miakis grummelte leise, ließ ihn aber doch noch los.

Er rieb sich die Handgelenke. „Öhm... soll ich alleine gehen oder kommt einer von euch mit?“

„Was meint ihr, Prinz?“, fragte Lyon.

„Hmmm... eigentlich sieht er mir recht vertrauenswürdig aus. Er soll alleine gehen, dann wirkt es nicht so gezwungen.“

Miakis kniff ihre Augen zusammen. „Aber wenn du versuchst wegzulaufen oder du Königin Lymsleia etwas antust, dann...“

„Du solltest die Augen nicht so zusammenkneifen“, unterbrach er sie. „Davon bekommt man Krähenfüße - und das wäre schade bei so einem hübschen Gesicht. Äh, ich glaube, ich gehe lieber.“

Damit stürmte er aus dem Palast, bevor Miakis' erhobene Hand zum Einsatz kommen konnte.

Faroush und Lyon nickten sich zu und folgten ihm dann.

Miakis blieb allein zurück.

War ja klar, dass die beiden mal wieder den selben Gedanken haben. Ich dachte schon, die lassen ihn echt allein mit Ihrer Majestät.
 

Es war nicht schwer für den „Gefangenen auf Bewährung“, die junge Königin zu finden. Er musste nur ihrem Niesen folgen. Grummelnd saß sie im Palastgarten und starrte an die Wand.

Er kniete sich vor sie und senkte den Kopf. „Eure Majestät, ich wollte Euch sagen, dass mir dieses Missverständnis sehr Leid tut. Ich wollte Euch keineswegs beleidigen oder bloßstellen. Ich wusste wirklich nicht, dass die Königin von Falena so jung ist.“

Lymsleia sah ihn an und sagte: „Ich nehme deine Entschuldigung nicht an. Da ich mich bereits wieder abgeregt und beschlossen habe, dich zu verschonen. Ausnahmsweise.“

„Vielen Danke, Eure Majestät. Zu gnädig.“

„Aber mein Kleid musst du trotzdem ersetzen. Allerdings wird jemand wie du es nie bezahlen können. Deswegen wirst du es auf eine andere Weise wieder gutmachen.“

„Und wie kann ich es wieder gutmachen?“

„Das ist jetzt nicht so wichtig. Allerdings erteile ich dir den Befehl in Sol-Falena zu bleiben. Bis ich dir erlaube zu gehen.“

„Sehr wohl, Eure Majestät.“

Er deutete eine Verbeugung an und legte eine Hand auf sein Herz.

„Ich bin auch so nett und lasse dich in meinem Palast wohnen. Aber mache es dir nicht zu bequem. Und ohne meine Erlaubnis darfst du dein Zimmer nicht verlassen.“

„Sehr wohl, Eure Majestät. Zu gütig.“

Noch eine angedeutete Verbeugung.

Lymsleia stand auf und klopfte ihr nasses Kleid ab. Dabei nieste sie erneut.

„Gesundheit“, entfuhr es ihm wieder automatisch.

„Ja. Danke“, sagte sie und ging Richtung Palast.

Er kniete immer noch auf dem Boden.

Lymsleia blieb stehen und drehte sich um. „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

„Verzeiht“, sagte er hastig. „Ich bin es nicht gewohnt, so eigenmächtig zu handeln.“

Er stand auf und folgte ihr.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie, als er neben ihr lief.

„Mein Name ist Faramond, Eure Majestät.“

„Aha. Gut.“

Im Palast war inzwischen nur noch Miakis zu sehen. Faroush und Lyon waren verschwunden. Lymsleia ging direkt zu Miakis und sagte: „Weise ihm bitte ein Zimmer zu. Und nimm ihm das Schwert ab.“

Faramond nahm sein Schwert schweigend von allein ab und gab es in Miakis' ausgestreckte Hand. Sie sah ihn niedergeschlagen an.

„Leg das Schwert gut weg“, wies die Königin sie an. „Aber lass es nicht verschwinden.“

Miakis nickte. „Verstanden.“

„Und er soll keinen Unsinn anstellen. Ich gehe mich jetzt umziehen und komme dann zum

Abendessen“, sagte sie und ging davon.

Plötzlich blieb sie noch einmal stehen und drehte sich wieder zu Miakis um. „Oh ja, du hast mich neulich um Urlaub gebeten, um dich von Roan zu erholen, nicht? Du kannst ihn morgen antreten.“

Miakis sah zuerst zu Faramond und dann zu Lymsleia. „Eure Majestät. Ich möchte Euch nur ungern alleine lassen.“

Die Königin hob die Hand und entgegnete: „Das ist schon in Ordnung. Wenn ich Hilfe brauche, wende ich mich an meinen Bruder oder Lyon. Du hast dir denn Urlaub verdient.“

Miakis verneigte sich. „Vielen Dank, Eure Majestät.“

Lymsleia nickte nur und ging weiter.

Miakis sah wieder Faramond an. „Du kannst froh sein, dass Ihre Majestät so ein gutes Herz hat. Komm mit.“

Er nickte und folgte ihr, da sie mit eiligen Schritten bereits voraus lief.

Allerdings kam sie nicht weit, da sich ihr ein junger Mann mit kurzen schwarzen Haaren und dunklen Augen in den Weg stellte. Er grinste Miakis an. „Ah. Hast du doch deinen Urlaub bekommen? Dann wirst du mich ja endlich los, mmh?“

Miakis sah stur zur Seite und ging an ihm vorbei. Er drehte sich immer noch grinsend um. „Was denn? Nicht mal ein kleines Wort zum Abschied?“

Die junge Frau blieb stehen und drehte sich um. Sie streckte ihm die Zunge raus und sagte: „Das ist alles, was du kriegst, Roan.“

Damit fuhr sie wieder herum und ging weiter, um Faramond sein Zimmer zu zeigen. Roan blieb lachend im Gang stehen.
 

Ungeachtet der Ereignisse im Sonnenpalast, stand am Hafen von Lelcar eine junge, schwarzhaarige Frau mit einem schwer aussehenden Koffer. Der großgewachsene Mann mit dem grauen Haar vor ihr, umarmte sie noch einmal. „Und sei vorsichtig, Renea.“

„Ja, Vater. Du musst dir keine Sorgen machen. Wirklich nicht. Ich werde aufpassen.“

„Und stell nichts an“, fuhr er ungeachtet ihrer Aussage fort.

„Wofür hältst du mich?“

Er lachte leise und ließ sie los. „Verzeih. Und du wirst auch wirklich auf dich aufpassen?“

„Natürlich, Vater.“

„Dann bin ich ja beruhigt.“

Renea wollte ihren Koffer nehmen, hielt aber nochmal inne.

Soll ich ihn nochmal fragen? Aber… er würde mir sicher nicht antworten… Aber ich möchte so gerne wissen, warum ich zu Onkel Craig soll…

Sie beschloss, nicht zu fragen und nahm ihren Koffer. „Grüß Alfred und die anderen beiden von mir, ja?“

Ihr Vater nickte und tätschelte sein Mädchen nochmal. Allerdings mochte sie das nicht, weil sie sich dann immer wie ein Kind vorkam. Ein Blick von ihr genügte und ihr Vater hörte sofort auf. Allerdings lachte er, was Renea ebenfalls zum Lachen brachte.

Schließlich ging sie auf das Schiff und winkte ihrem Vater nochmal zu. Er winkte zurück und fuhr dann herum, um nach Hause zu gehen. Die zwei Kinder, an denen er vorbeiging, beachtete er nicht.

Warum auch? Die Kinder aus Lelcar kamen nicht selten auch an den Hafen, um die Schiffe zu beobachteten oder zu spielen.

Es waren ein weißhaariger Junge und ein blauhaariges Mädchen. Beide beobachteten das Schiff.

Für Kinder waren ihre Mienen ungewohnt ernst.

„Weißt du, wohin sie will, Kendel?“, fragte das Mädchen.

„Nach Sauronix. Ich kann mir denken warum. Du auch, Lilia?“

Sie nickte und sah ihn an. Es konnte nur dieser eine Grund sein. „Dann sollten wir gehen.“

Er nickte ebenfalls, ohne sie anzusehen.

Die beiden Kinder lösten sich in Luft auf. Und keiner hatte je ihre Anwesenheit zur Kenntnis genommen.

Renea

Nach dem Sonnenrunen-Krieg war der Alltag in der Stadt Sauronix schnell wieder eingetreten. Die Menschen gingen ihren gewohnten Tätigkeiten nach. Bei dem Anblick war es schwer zu glauben, dass das Land vor einiger Zeit noch in einen Krieg verwickelt gewesen war.

Auch bei der Kavallerie war Ruhe eingekehrt. Allerdings war nicht jeder glücklich über diese Ruhe. Einige Kavalleristen langweilten sich, seit es keine Kämpfe mehr zu bestreiten gab. Denn sonst war in Sauronix nie viel los gewesen. Der Frieden machte sich deutlich bemerkbar. Deswegen vertrieben sich viele die Zeit mit ihren Drachenpferden oder ihrem Training.

Gerade trainierte eine Gruppe Kavalleristen vor dem Schloss zusammen. Sie trugen Zweier-Gefechte aus und wechselten nach jedem Kampf den Trainingspartner.

Craig Laden, Kommandant der Drachenkavallerie, beobachtete vom Fenster seines Arbeitszimmers das Training. Er wusste, dass viele der Kavalleristen den Frieden als langweilig empfanden, doch er war ganz froh darüber.

Als der Prinz von Falena während dem Krieg zu ihm gekommen, hatte er diesem nicht die Hilfe der Kavallerie angeboten, da sich die Kavallerie nur einmischen würde, wenn ein Land von außerhalb am Krieg teilnehmen würde.

Doch selbst als Neu-Armes sich den Godwins angeschlossen hatten, blieb die Kavallerie dem Schlachtfeld fern. Aus gutem Grund: Die Godwins hatten Gordius eingenommen und die Eier der Drachenpferde und die Auszubildenden als Geisel gehalten.

Nachdem der Prinz die Godwins aus Gordius vertrieben hatte, hatte sich die Kavallerie ihm angeschlossen und an seiner Seite im Sonnenrunen-Krieg gekämpft.

Das Ende des Krieges war schon einige Monate her, doch viele hatten noch nicht wieder zurück in den Alltag gefunden. Einige von ihnen sehnten sich immer noch danach mit ihren Drachenpferden in die Schlacht zu ziehen.

Ob das gut oder schlecht war, konnte Craig nicht genau sagen. Doch er selber wusste nicht genau, was er dagegen tun sollte. Er seufzte, weil er das Gefühl bekam langsam alt zu werden.

Seit einiger Zeit hatte er schon darüber nachgedacht seinen Posten weiterzureichen. Allerdings grübelte er noch darüber, wem er diesen Posten anvertrauen konnte. Er wollte nicht jemanden, der einfach nur die Drachenkavallerie führte. Craig war der Meinung, dass es endlich Zeit wurde von den Traditionen wegzukommen und die Kavallerie zu reformieren.

Er selbst war, seiner Meinung nach, zu alt dafür. Außerdem hatte er zu lange an diesen Traditionen festgehalten, weswegen er erst recht die falsche Person dafür war. Doch wer kam für diese Position in Frage?

Weiter nachdenken konnte er nicht darüber, da es plötzlich an seiner Tür klopfte und ein junger Mann das Arbeitszimmer betrat. Er salutierte sofort vor dem Kommandanten. „Kommandant Craig. Eine Nachricht für Euch.“

Er überreichte Craig einen Brief, den der Kommandant sofort öffnete und las. Kurz darauf schüttelte er lachend seinen Kopf.

„Das ist ja wieder typisch“, murmelte er.

Der Bote des Briefes sah ihn fragend an, als er auch schon einen Befehl von Craig erhielt: „Bitte schick sofort Rahal und Roog zu mir.“
 

Die beiden Partner Rahal und Roog befanden sich bereits bei ihren Drachenpferden und fütterten diese. Der Morgen war angenehm und mild, weswegen sie dies außerhalb des Stalls verlegt hatten.

„Mir ist so langweilig“, seufzte Roog, während er seinem Drachenpferd Lance das Futter reichte.

Rahal schmunzelte darüber, weil sein Freund dies schon seit Tagen von sich gab. So begann es immer und endete damit, dass er von der Zeit schwärmte, als sie noch gemeinsam an der Seite des Prinzen gekämpft hatten. Und auch diesmal tat er es.

Rahal nickte nur lächelnd und tat so als würde er zuhören. Das hatte er allerdings schon eine Weile aufgeben, weil Roog sowieso immer nur das Selbe dazu sagte. Und das konnte der blaugekleidete Kavallerist schon in- und auswendig.

„Ich weiß, ich weiß, Roog“, sagte er schließlich. „Wenn es dir hilft, können wir ja heute unser Training in den Wald verlegen. Dort finden wir sicher einige Monster, die dich ablenken können.“

Dies schien Roog ein wenig aufzuheitern.

„Immerhin eine Beschäftigung“, entgegnete er.

Rahal lachte, als er Flail ein letztes Stück Fleisch gab. „Wenn du eine Beschäftigung brauchst, mein Freund, dann suche dir doch eine Frau. Glaub mir. Dann wirst du genug zu tun haben.“

Der rotgekleidete Kavallerist grinste. „Als ob eine Frau so verrückt wäre und mich wilden Kerl nehmen würde.“

Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: „Außerdem bist du hier der Frauenschwarm, Partner.“

Rahal winkte ab. „Dafür habe ich keine Zeit.“

Ungläubig und mit einem leichten Grinsen sah Roog ihn an. „Keine Zeit? Im Moment hast du mehr als genug Zeit. Wir haben doch nichts zu tun.“

Da hatte Roog recht, musste Rahal zugeben. Aber ein anderes Argument fiel ihm gerade nicht ein. Doch das brauchte es auch nicht, weil sie Gesellschaft bekamen. Es war der Bote, den Craig zu den beiden geschickt hatte.

„Rahal und Roog. Kommandant Craig möchte euch beide sprechen“, sagte der Neuankömmling zu ihnen.

Die beiden Partner warfen sich einen fragenden Blick zu und sagten dem Boten dann, dass sie sofort gehen würden. Während der die beiden wieder verließ, brachten Rahal und Roog ihre Drachenpferde zurück in den Stall.

„Was Kommandant Craig wohl von uns will?“, fragte sich Rahal, worauf Roog erwiderte: „Wenn wir Glück haben, hat er eine Aufgabe für uns.“

Roog hoffte es sehr, weil die Monster im Wald ihn nicht ewig beschäftigen konnten. Und Rahal wollte sicher auch langsam mal wieder eine sinnvolle Beschäftigung.

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg in Craigs Arbeitszimmer.
 

Roog, der kaum erwarten konnte zu hören, was Craig von ihnen wollte, salutierte nur kurz und fragte direkt: „Was gibt es, Kommandant Craig?“

Craig konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, als er entgegnete: „Wie immer ungeduldig, Roog.“

„Ihr kennt ihn ja, Kommandant“, bemerkte Rahal.

Die drei lachten, bis Craig wieder das Wort übernahm: „Es wird euch bestimmt freuen zu hören, dass ich eine Aufgabe für euch beide habe.“

Der rotgekleidete Kavallerist freute sich und auch sein Partner schien erleichtert zu sein. Ihm wurde die Langeweile also auch zu viel.

„Worum geht es?“, fragte Rahal.

„Ihr sollt jemanden vom Hafen Spinax abholen. Ein Mädchen namens Renea Ashcroft.“

Die Partner warfen sich einen fragenden Blick zu. Dies war eine eher ungewöhnliche Aufgabe für einen Kavalleristen.

„Sie ist die Tochter eines guten Freundes“, sprach der Kommandant weiter. „Es sieht so aus, als würde sie eine Zeit lang hier in Sauronix bleiben.“

Roog dachte nach und sagte dann: „Ein Mädchen aus gutem Hause. Das wäre eher dein Fall, Rahal. Ich kann mit braven Mädchen nichts anfangen.“

Er lachte dann aber und gab so zu verstehen, dass dies nur ein Scherz war. Rahal seufzte, weil sein Freund gerade nicht ernst blieb. Obwohl es ja eigentlich seine Schuld war, weil er ihn eben auf dieses Thema gebracht hatte.

„Du bist wieder viel zu ernst“, seufzte Roog und wandte sich dann wieder Craig zu: „Gut. Wir werden sie sofort abholen. Wie sieht sie aus?“

Der Kommandant verschränkte die Arme vor der Brust und sah unsicher zur Decke. „Nun… es ist schon einige Jahre her, dass ich sie gesehen habe. Deswegen weiß ich auch nicht genau, wie sie jetzt aussieht. Das einzige, was mir im Gedächtnis geblieben ist, sind ihre schwarzen Haare mit dem roten Haarband.“

Die beiden Partner seufzten leise. Schwarzhaarige Mädchen mit roten Haarbändern gab es in Falena wie Sand am Meer. Da die Richtige zu finden, war ziemlich schwierig.

„Wir werden sie schon finden“, meinte Roog dennoch zuversichtlich, worauf Rahal zustimmend nickte.

Der Hafen Spinax war ja nicht die Welt, also würden sie die gesuchte Dame dort sicher schnell finden.

Sie verabschiedeten sich von Craig und machten sich zu Fuß auf den Weg nach Spinax, da der Weg dahin nicht sehr weit war.

Aber es dauerte diesmal doch länger, als sonst, weil sie unterwegs auf ein ziemlich hässliches Monster trafen. Die Kavalleristen hatten damit kein großes Problem, da sie schon stärkeren Gegnern gegenüberstanden waren. Doch dieses Monster war ziemlich zäh gewesen, weswegen es auch ein wenig gedauert hatte. Aber am Ende gingen die beiden Partner siegreich aus dem Kampf und legten das letzte Stück zum Hafen Spinax zurück.

„Ich frage mich wirklich, woher dieses Monster gekommen ist“, murmelte Rahal und schüttelte sich.

Das Monster war wirklich nicht sehr ansehnlich gewesen. Roog stimmte mit einem Nicken zu und meinte: „Irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass in letzter Zeit mehr Monster unterwegs sind, als sonst.“

Auch Rahal war dies aufgefallen. Bildeten sich die beiden das nur ein oder hatte sich die Monsterrate tatsächlich erhöht?

Sie beschlossen dieses Gespräch auf später zu verschieben und ihrer Aufgabe nachzugehen. Kaum angekommen, sahen sie sich nach der gesuchten Person um.

Sie entdeckten auch einige schwarzhaarige Mädchen, aber keine von ihnen trug das rotes Haarband, von dem Craig gesprochen hatte.

Rahal seufzte. „Und was ist, wenn sie kein Haarband trägt? Dann müssen wir jedes dieser Mädchen fragen.“

Bei der Vorstellung verzog Roog das Gesicht. Darauf hatte er nun wirklich keine Lust, da dies sicher einiges an Zeit in Anspruch nehmen würde. Und eigentlich hatte er ja noch vor mit Rahal im Wald zu trainieren. Der Kampf gegen das Monster eben hatte ihm nämlich Lust auf mehr gemacht.

„Soweit müsst Ihr aber nicht gehen“, erklang eine weibliche Stimme hinter den Kavalleristen.

Sie drehten sich um und entdeckten eine junge Frau mit schwarzen Haaren und einem roten Haarband. Sie trug ein hellblaues Sommerkleid und hatte einen Koffer in der Hand. Das musste Renea sein, dachten sich die beiden Freunde.

Mädchen, huh? Das ist ja schon eine junge Frau, dachte Roog.

„Seid Ihr Fräulein Renea?“, fragte Rahal die junge Frau höflich.

Sie antwortete nicht sofort und musterte die Kavalleristen stattdessen fragend. Für einen Augenblick sah es so aus, als wäre sie überrascht.

„Ja. Ich bin Renea Ashcroft“, antwortete sie schließlich. „Und Ihr beide… Rahal und Roog, nicht wahr?“

Erstaunt sahen die Männer sie an. Renea kannte sie? Eilte ihnen ihr Ruf so voraus?

„Ihr kennt uns?“, hakte Roog nach, worauf Renea mit einem Nicken antwortete: „Sicher. Schließlich war ich damals in Stormfist während eurem Auftritt bei den Heiligen Spielen.“

Renea lächelte, während die beiden Partner sich erneut einen Blick zuwarfen. An ihren Auftritt damals hatten sie gar nicht mehr gedacht. Sie hatten es nicht als eine so große Sache empfunden, dass jeder sich Monate später noch daran erinnerte. Aber diese junge Dame tat es, was die beiden doch ein wenig überraschte.

„Nun… es freut uns, dass Ihr Euch noch daran erinnert, Fräulein Renea“, meinte Rahal lächelnd, worauf Roog zustimmend nickte.

Für einen Moment herrschte schweigen, bis Roogs Blick auf Reneas Koffer fiel und er fragte: „Soll ich den nehmen?“

Renea überlegte einen Moment und nickte dann. Sie gab dem Kavalleristen den Koffer, der sofort angestrengt stöhnen musste.

Meine Güte, ist der Koffer schwer…

Rahal sah seinen Freund verwirrt an und fragte sich, was Renea in diesem Koffer hatte, dass er selbst einem starken Mann wie Roog Probleme bereitete. Und überhaupt. Wie konnte die junge Frau diesen dann tragen?

„Entschuldigung. Ich hätte sagen sollen, dass er ziemlich schwer ist. Ich hatte selber Probleme damit ihn zu tragen“, entschuldigte sich Renea verlegen.

Roog winkte sofort ab und tat so, als wäre es für ihn ein Leichtes den Koffer zu tragen. „Ach was. Der ist nicht zu schwer für mich. Ich war nur ein wenig überrascht, hä hä.“

Was hat sie da drin? Steine?

Die junge Frau schien an seinen Worten zu zweifeln, sagte aber nichts. Stattdessen fragte sie: „Hat Onkel Craig euch beide geschickt?“

Die beiden Partner mussten schmunzeln. Onkel Craig... das hörte sich einfach zu niedlich an - und irgendwie passte es gar nicht zum Erscheinungsbild der jungen Frau. Wahrscheinlich noch ein Überbleibsel aus früherer Zeit.

Rahal nickte. „Das ist richtig.“

Renea schüttelte mit dem Kopf und murmelte: „Warum überrascht mich das nicht?“

Darum würde sie sich später noch kümmern, das war sicher. Die beiden Männer jedoch verstanden nicht, wovon sie sprach.

„Nun… wollen wir dann gehen?“, fragte Roog.

Die anderen beiden nickten und gemeinsam verließen sie den Hafen von Spinax.

Ankunft in Sauronix

Der Rückweg verlief wesentlich weniger aufregend als der Hinweg, was ein Glück für Rahal war. Roog war vollkommen mit dem Tragen des Koffers beschäftigt und wäre somit für einen Kampf eher schlecht in Frage gekommen. Immer noch beschäftigte beide Kavalleristen die Frage, was die junge Frau wohl darin transportierte, aber diese zu stellen wäre unhöflich gewesen.

Stattdessen beschloss Rahal die eingetretene Stille anders zu durchbrechen: „Fräulein Renea, erzählt mir doch etwas von Euch, während wir zum Schloss laufen. Wie alt seid Ihr? Wo kommt Ihr her? Wart Ihr bereits auf unserem Schloss?“

Erstaunt sah sie ihn an. Die ganzen neugierigen Fragen mussten ihr seltsam vorkommen, da war er sich sicher. Doch ihr Gesichtsausdruck änderte sich rasch wieder.

„Also, ich bin 18“, antwortete sie höflich. „Und komme aus Lelcar. Bis jetzt war ich noch nicht im Schloss Sauronix, wollte aber schon immer dort hin. Doch mein Vater meinte immer, dass ich noch zu jung dafür wäre.“

„Dann nehme ich an, dass Sir Craig Euch bislang in Lelcar besucht hat“, schloss er daraus.

Sie nickte lächelnd. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte ihn wieder an ein kleines Kind, das die Welt noch mit anderen Augen sah als ein Erwachsener.

„Aber das letzte Mal ist schon lange her“, sagte sie bedrückt, nur um gleich darauf wieder zu lächeln. „Ich freue mich darauf, ihn endlich wiederzusehen.“

Rahal erinnerte sich, dass Craig von mehreren Jahren gesprochen hatte. Er fragte sich, was wohl der Grund für den Besuchstopp gewesen war, verwarf den Gedanken aber wieder. Es ging ihn nichts an und vermutlich hing es nur mit Craigs Arbeit zusammen. Kommandant zu sein war sicherlich nichts, was man zwischen Tür und Angel erledigte und sich anschließend für mehrere Tage Urlaub nahm – zumindest nicht, wenn man ein verantwortungsbewusster Kommandant war.

Den Rest des Weges brachten sie schweigend hinter sich
 

Am Eingang der Stadt blieb Renea wieder stehen. Mit der Hand schirmte sie ihre Augen von der Sonne ab, als sie zum Schloss sah.

„Das ist also Sauronix“, stellte sie überflüssigerweise fest.

Rahal nickte. „Herzlich willkommen, Fräulein Renea.“

Sie lächelte ihm zu und wollte weiterlaufen – als ihr Blick auf eine schwarzhaarige Frau fiel, die auf dem Boden kniete. Rahals Blick folgte dem ihren.

„Wo kann es nur sein?“, murmelte die Frau, völlig in sich zurückgezogen.

Seufzend, aber lächelnd, gab Rahal seinen beiden Begleitern ein Zeichen, dass sie warten sollten, worauf Roog den Koffer erleichtert abstellte. Rahal kniete sich neben die Frau und fragte: „Rania, was ist los? Hast du irgend etwas verloren? Können wir dir irgendwie helfen?“

Sie sah ihren Bruder nicht an, antwortete ihm aber trotzdem: „Ich habe ihn verloren. Ich habe den Ton verloren. Ich muss ihn wiederfinden.“

Während Rahal und Roog verstehend nickten, verstand Renea überhaupt nichts.

„Wie kann man einen Ton verlieren?“, fragte sie laut.

Vollkommen aus den Gedanken gerissen, wandte Rania den Kopf. Ihr Blick verharrte auf der fragend dreinblickenden Renea. Doch statt eine Erklärung zu liefern, stand Rania auf, ging auf den Neuankömmling zu und ergriff ihre Arme.

Der starre Blick ängstigte Renea, aber jeder Versuch, zurückzuweichen, wurde nur mit einem festeren Griff quittiert, so dass sie es schließlich ließ. Rahal richtete sich wieder auf und sah zu ihnen hinüber. Für einen Moment wollte er eingreifen, aber dann überwog seine Neugier, was seine Schwester wohl zu sagen hätte. Außerdem wusste er, dass sie Renea nicht verletzen würde. Roog beobachtete das Ganze auch nur mit aufmerksamen Blick.

„Deine Stimme...“, sagte Rania nur, ohne das Starren zu unterbrechen.

Neugierig geworden kam Rahal ein wenig näher, er beschloss, ein wenig nachzuhelfen: „Was ist mit ihrer Stimme, Ran?“

„Deine Stimme...“, fuhr sie an Renea gerichtet fort. „Ihr Klang erinnert mich an den der Drachenpferde.“

Roog und Rahal hoben beide je eine Augenbraue und warfen sich einen Blick zu. So etwas hatte Rania, ihres Wissens nach, noch niemandem gesagt.

Renea dagegen war durch diese Aussage verwirrt und sah nur fragend von einem zum anderen. Sie traute sich nicht, noch etwas zu sagen und schwieg daher, auch wenn ihr einige Fragen auf der Zunge brannten.

Abrupt ließ die Flötenmacherin sie los und ging zu Rahal hinüber. „Wer ist sie, Bruder?“

„Ihr Name ist Renea“, antwortete Rahal sofort. „Sie ist die Tochter eines Freundes von Sir Craig und wird für eine Weile in Sauronix bleiben.“

„Und sie ist kein Drachenpferd“, fügte Roog lachend hinzu.

Rania ignorierte ihn und sah wieder Renea an. „Du bleibst also eine Weile in Sauronix. Würdest du mich bald mal besuchen? Ich möchte deine Stimme aufzeichnen.“

Die Flötenmacherin sah sie mit einem warmen Blick an, Renea nickte zögernd. Sie verstand immer noch nicht, was diese Frau von ihr wollte, aber eine Zustimmung konnte nicht schaden. Außerdem hatte sie Rahal Bruder genannt und ausgehend von ihrem Lächeln war sie wohl auch keine schlechte Person.

Zufrieden verabschiedete Rania sich von den Dreien und ging wieder nach Hause.

Renea sah ihr ratlos hinterher und fand endlich ihre Stimme wieder. „Wer war das?“

„Meine Schwester Rania“, antwortete Rahal ihr. „Da sie Töne hören kann, die andere nicht hören, ist sie eine Expertin in dem Gebiet und für die Herstellung unserer Drachenflöten verantwortlich – und ganz nebenbei ist sie darin die Beste.“

Ein Hauch Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er so von ihr sprach. In Bezug auf seine Schwester konnte er sich das auch leisten, die von ihr hergestellten Flöten waren nicht umsonst derartig begehrt – auch wenn sie von vielen Leuten als exzentrisch angesehen wurde. Nicht zuletzt wegen solchen Auftritten wie eben.

Von Menschen, die unhörbare Töne hören konnten, hatte Renea noch nie gehört. „Warum sagt sie, dass meine Stimme sie an den Klang eines Drachenpferdes erinnert?“

Diesmal hob er die Schultern. „Das kann ich Euch leider auch nicht beantworten.“

Nachdenklich legte sie einen Finger an ihre Lippen, aber Rahal räusperte sich bereits, bevor sie in Gedanken versinken konnte. „Wir sollten weiter. Sir Craig wartet immer noch.“

Sie nickte sofort. „Natürlich.“

Die beiden liefen weiter. Roog hob fluchend den schweren Koffer wieder hoch und folgte ihnen ein wenig langsamer.
 

„Onkel Craig“, sagte Renea lächelnd, als sie im Arbeitszimmer des Kommandanten ankamen. „Ich bin wirklich froh, dich zu sehen. Vielen Dank, dass du mir Sir Rahal und Sir Roog geschickt hast.“

Craig strich ihr übers Haar und nickte ihr mit einem Lächeln zu.

Er sah zu den beiden Kavalleristen und setzte seinen typischen Lasst-euren-Bericht-hören-Blick auf. Rahal und Roog salutierten sofort. In Kurzfassung berichteten sie von ihrem Weg nach Spinax, dem Finden von Renea, der Rückkehr nach Sauronix und der Begegnung mit Rania.

„Das wäre alles“, schloss Rahal den Bericht.

Ihre Befürchtungen über das Ansteigen der Monsterrate oder eine genaue Beschreibung des ihnen begegneten Monsters ließ Rahal außen vor. Davon konnte er den Kommandanten unterrichten, wenn Renea nicht dabei war.

Craig nickte verstehend. „Vielen Dank euch beiden.“

Renea drehte sich zu ihnen um und verbeugte sich dankend. Die beiden Kavalleristen neigten ebenfalls ihre Oberkörper, um zu zeigen, dass es ihnen ein Vergnügen gewesen war – auch wenn Roog in Gedanken immer noch den Koffer verfluchte.

Gerade als der Kommandant sie entlassen wollte, trat Renea neben ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Craig nickte und wandte sich erneut an seine beiden Kavalleristen: „Renea hat den Wunsch geäußert, dass ihr beide ihr das Schloss zeigen sollt. Seid ihr damit einverstanden?“

Rahal und Roog warfen sich einen Blick zu. Im Normalfall wäre es keinem von beiden möglich gewesen, aber da es derzeit auch nichts anderes zu tun gab, hätten sie sich ohnehin nur gelangweilt. Also nickten beide. „Natürlich, Sir Craig.“

„Das ist wirklich großzügig von euch“, bedankte der Kommandant sich. „Gut, ihr könnt jetzt gehen. Wenn ich mit Renea alles besprochen habe, schicke ich sie zu euch.“

Die beiden Kavalleristen verneigten sich noch einmal und verließen den Raum wieder.

Auf dem Gang seufzte Roog. „Das klingt nicht sonderlich spannend.“

„Wir konnten ihr diesen Wunsch schlecht abschlagen“, erwiderte Rahal pflichtbewusst. „Das wäre unhöflich gewesen. Nur keine Sorge, wir können morgen immer noch im Wald trainieren.“

Das Versprechen seinem Freund gegenüber hatte er nicht vergessen. Er lachte leise. „Ihr Gepäck sollte dich ja genug ausgelaugt haben für einen Tag.“

Bei dem Gedanken daran, verzog Roog wieder sein Gesicht. „Das nächste Mal darfst du es tragen.“

Lachend winkte Rahal ab. Im nächsten Moment erklangen Schritte, gefolgt von einer bekannten Stimme: „Was ist so komisch? Ich will mitlachen.“

Die beiden Kavalleristen wandten sich dem Neuankömmling zu. Roog schmunzelte, als er die Person erkannte. „Hey, Miakis. Was führt dich denn hierher?“

Gespielt wütend stemmte sie die Arme in die Seiten. „Was ist das denn für eine Begrüßung?“

„Dasselbe könnten wir dich fragen“, erwiderte Rahal lächelnd, was ein Stirnrunzeln von ihr zur Folge hatte.

Um sie wieder versöhnlich zu stimmen, schüttelten beide Kavalleristen ihre Hand, worauf sie lächelte. „Geht doch. Also, was war so komisch?“

Rahal erzählte ihr von Renea und dem unheimlich schweren Koffer, während sie sich gemeinsam zu den Drachenpferden begaben.

Am Ende der Erzählung kicherte Miakis leise. „Owww, Roog, ist dir das Gepäck einer Dame etwa zu schwer? Du solltest mehr trainieren.“

Er grummelte etwas Unverständliches, was sie noch einmal kichern ließ. Schließlich räusperte sie sich und wurde wieder ernst. „Kann ich diese Renea auch mal sehen?“

„Warum?“, fragte Roog.

Rahal dagegen wunderte sich mehr über den plötzlichen Themenwechsel, wobei er sich denken konnte, dass Miakis natürlich auch die Person kennenlernen wollte, die Craig Onkel nannte – und derart schwere Koffer herumtrug.

„Ich bin neugierig“, antwortete sie. „Ist das verboten?“

Sie warf Roog einen bedrohlichen Blick zu, er winkte sofort ab. „N-natürlich nicht. Wenn du sie unbedingt kennenlernen willst, kannst du ja bei uns bleiben. Sir Craig wollte sie später zu uns schicken.“

Zufrieden lächelte Miakis wieder. „Dann ist das abgemacht.“

Der fröhliche Klang ihrer Stimme ermutigte Rahal dazu, Roogs Frage von vorhin wieder aufzunehmen: „Also, was führt dich nach Sauronix?“

„Ach ja, richtig. Ihre Majestät hat mir Urlaub gegeben, deswegen dachte ich, ich komme euch mal wieder besuchen. Außerdem wollte ich mal wieder ein Drachenpferd reiten, wenn ich schon selber keines haben kann...“

Es betrübte sie immer noch, dass Frauen nicht in die Drachenkavallerie aufgenommen wurden. Immerhin hatte sie sich früher nichts sehnlicher als ein eigenes Drachenpferd gewünscht. Aber die starren Regeln hatten ihr das unmöglich gemacht.

„Ist das alles?“, fragte Roog enttäuscht.

Er hatte auf etwas Besseres gehofft. Ein Problem, das man nur mit einem Kampf lösen konnte. Doch offensichtlich war seine Hoffnung umsonst gewesen.

Miakis warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Was soll das schon wieder heißen?“

„Na ja, ich dachte...“

Er seufzte und lächelte dann. „Was soll's? Schön, dass du mal wieder da bist.“

„Schon viel besser“, urteilte sie lächelnd.

Rahal verkniff sich ein Lachen. Die beiden benahmen sich wie Geschwister, es war immer wieder ein erheiternder Anblick. „Aber Miakis, wenn du hier bist, wer kümmert sich solange um die Königin?“

Seufzend blickte sie zu Rahal. „Na hör mal, ich bin nicht die einzige bei den Rittern der Königin. Der Prinz, Lyon und Roan sind auch noch da.“

„Ist Roan nicht dieser Neue?“, fragte Roog mit gerunzelter Stirn.

Miakis nickte heftig, mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. „Ganz genau, der Idiot.“

Rahal schmunzelte. „Seid ihr immer so nett zueinander?“

Sie schnaubte. „Wenn ihr ihn kennen würdet, würdet ihr dasselbe über ihn sagen. Er ist einfach ein Idiot, ohne Wenn und Aber.“

Die beiden Kavalleristen zuckten mit den Schultern. „Wenn du das sagst.“

Für einen Moment war Miakis still, doch schließlich überwand sie sich selbst: „Trotzdem werden er, Lyon und der Prinz gut auf Ihre Majestät aufpassen.“

Hoffe ich zumindest für sie.

Miakis war immer noch beunruhigt wegen Faramond. Seinen ersten Auftritt vor Lymsleia hatte sie natürlich nicht vergessen. Und wer würde das auch? Schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass die Königin Falenas ins Wasser geworfen wurde. Obwohl Faramond ja steif und fest behauptete, dass er sie nur hatte fallen lassen. Für Miakis war es allerdings eindeutig werfen. Dass sie mal wieder ein wenig übertrieb, merkte sie nicht.

Sollte es dieser Kerl wagen irgendwas mit der Königin anzustellen, werde ich ihn durch die ganze Welt jagen, um ihn zu bestrafen. Auch wenn sie ihm verziehen hat, ich werde es sicher nicht.

Geschichten aus aller Welt

Anm. von Lea: Eigentlich war ich dran ein Kapitel zu schreiben. Leider ist nur der Anfang dieses Kapitels auf meinen Mist gewachsen. Den Rest hat Alo-chan geschrieben. Ich habe am Ende nur Beta gelesen, was aber nicht viel brachte, da nur ein Fehler drin war XD

Und damit niemand sich beschwert, dass wir uns bezüglich des Dunklen Tors oder den Grasländern etwas ausgedacht haben, sollte bei Gensopedia oder Suikosource schauen. Denn da steht alles, was Faramond hier erzählt. Also wir haben uns die Niederlage des Dunklen Tors in Harmonia nicht ausgedacht XD

Anyway. Trotzdem viel Spaß mit dem Kapitel.
 

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Am selben Abend ging Roan, der neue Ritter, durch die Gänge des Sonnen-Palastes. Er trug ein Tablett, auf dem allerlei Speisen waren. Das Abendessen für Lymsleias „Gast“ Faramond.

Der junge Ritter schüttelte mit dem Kopf und begann Selbstgespräche zu führen. „So weit ist es schon gekommen? Ich darf einem Gast, der zuvor unverschämt zu der Königin war, das Abendessen bringen. Ich bin ein Ritter und kein Diener. Da hätte ich ja gleich Koch werden können, wie meine Schwester gesagt hat.“

Roan verzog das Gesicht, wurde aber sofort von der Person zurechtgewiesen, die neben ihm ging.

„Wenn du meckern willst, mach das, wenn du alleine bist“, sagte die junge Königin und sah ihn dabei mahnend an.

Der Ritter zuckte zusammen und fluchte innerlich.

Ich habe vergessen, dass die Königin bei mir ist. Toll gemacht, Roan.

Er murmelte eine Entschuldigung, sah dabei aber stur geradeaus.

Lymsleia konnte Miakis nun ein wenig verstehen. Roan schien manchmal ziemlich gedankenlos zu sein und zu reden, ohne nachzudenken.

Allerdings musste Lymsleia ihrer Leibwächterin in einem Punkt widersprechen: Das er unzuverlässig sei.

Roan hatte der Königin schon mehr als einmal das Gegenteil bewiesen. Man konnte ihm vertrauen und sich auf ihn verlassen. Dieser Meinung war auch ihr Bruder gewesen, weswegen er den jungen Mann zum Ritter ernannt hatte.

Als Faroush gemeinsam mit Lyon vor einiger Zeit nach Estrise gereist war, um sich dort mit Boz Wilde zu treffen, wurden er und seine Begleiterin unterwegs von einigen Attentätern des Dunklen Tors und auch einigen ehemaligen Godwin-Soldaten angegriffen.

Der Krieg war zwar vorbei, aber einige Mitglieder der feindlichen Armee waren noch auf freiem Fuß. Davon wussten allerdings nicht viele. Um Panik unter der Bevölkerung zu vermeiden, war öffentliches Stillschweigen über die zurückgebliebenen Feinde verordnet worden. Zusätzlich waren Faroush und Lyon mit der Aufgabe betraut worden, diese zu beseitigen.

Roan war den beiden zur Hilfe geeilt, als sie damals angegriffen worden waren.

Lymsleia und Miakis hatten nicht schlecht gestaunt, als die Ritter mit ihrem Helfer in den Sonnen-Palast zurückgekehrt waren und Roan schließlich ebenfalls zum Ritter ernannt worden war – sehr zum Unwillen der ehemaligen Leibwächterin.

Miakis ließ kaum eine Gelegenheit aus, kein gutes Haar an ihrem Kollegen zu lassen, selbst wenn sie dafür Tatsachen ausblenden musste. Doch Lymsleia hatte so das Gefühl, dass sie das nur tat, um nicht zugeben zu müssen, dass sie ihn doch mochte – irgendwie.

Jedenfalls bewies Roan seit seiner Einstellung als Ritter immer wieder, dass die Königin sich auf ihn verlassen konnte, selbst wenn es wie im Moment darum ging, etwas zu tun worüber Miakis sich furchtbar aufregen würde.

Vor Faramonds Zimmer blieben sie wieder stehen. Nach einem kurzen Klopfen öffnete Lymsleia die Tür, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Der „Gast“ stand vor dem Fenster und sah scheinbar interessiert nach draußen, auch wenn Lymsleia sich nicht erklären konnte, was es dort zu sehen geben sollte.

Wortlos stellte Roan das Tablett auf den Tisch, bevor er wieder hinausging, um vor der leicht geöffneten Tür zu warten – nur als Sicherheitsmaßnahme.

Lymsleia stemmte ihre Arme in die Hüfte. „Begrüßt man da, wo du herkommst, Leute nicht?“

Faramond drehte sich zu ihr herum. „Oh, verzeiht, Eure Majestät. Ich war in Gedanken versunken.“

„Ich verzeihe dir noch einmal“, sagte sie großmütig. „Aber lass das nicht zur Gewohnheit werden.“

Sie gestikulierte zum Tisch und bedeutete Faramond damit, sich hinzusetzen und zu essen. Eine Aufforderung, der er sofort folgte. Lymsleia setzte sich ihm gegenüber und beobachtete ihn, wobei ihr positiv auffiel, dass er zumindest Tischmanieren besaß, wenn es bei ihm schon in allen anderen Bereichen zu mangeln schien.

Als er fertig war, lehnte Faramond sich zufrieden zurück. „Mhm, falenisches Essen ist wirklich nicht schlecht. Weniger cremig als in Zexen, aber auch nicht so würzig wie in den Grasländern.“

Seine Worte erfüllten Lymsleia mit Erleichterung. Nicht, weil sie befürchtet hatte, ihm könne das Essen nicht schmecken, sondern weil sein zweiter Satz ihr sagte, dass er offensichtlich ein wenig Ahnung von verschiedenen Gegenden besaß – was kein Wunder als Reisender war. Aber es war genau das, was sie sich erhofft hatte.

„So. Und nun kommen wir zum geschäftlichen Teil“, sagte sie ernst.

Faramond fixierte sie mit seinem Blick und nickte. Dafür, dass er nicht wusste, was auf ihn zukam, wirkte er äußerst gefasst.

„Ich werde jetzt jeden Abend vorbeikommen und du wirst mir etwas von deinem Heimatland erzählen. Und von allen Ländern, in denen du sonst noch warst. Ich komme nie aus Falena raus und bin neugierig.“

Faramond lächelte erleichtert. „Mit dem größten Vergnügen, Eure Majestät.“

Lymsleia fragte sich, was er wohl erwartet hatte, sprach dies aber nicht laut aus, sondern sagte: „Gut. Ich höre.“

„Ursprünglich komme ich aus Zexen“, begann er. „Einem Land nordwestlich von hier, jenseits des Ozeans. Es ist eine recht kleine, aber traditionsreiche Nation, die ständig im Clinch mit den angrenzenden Grasländern liegt.“

Lymsleia nickte. „Oh ja. Das habe ich in Geografie gelernt.“

Für einen Moment wirkte er verwirrt – vermutlich konnte er nicht glauben, dass auch Königinnen unterrichtet wurden – aber er fasste sich schnell wieder und fuhr fort: „Ich habe in der Hauptstadt Vinay del Zexay gelebt. Im Gegensatz zu Falena oder vielen anderen Ländern, werden wir nicht von einer Person regiert, sondern von einem ganzen Rat. Man sollte meinen, dass es dann fairer zugeht, aber wenn man mich fragt ist das nicht der Fall. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Rat jemals eine richtig gute Entscheidung traf. Aber nun gut...“

Er schwieg für einen Moment, in dem er offensichtlich darüber nachdachte, was er nun sagen sollte. Lymsleia sah ihn nur gespannt an. Am Liebsten hätte sie ihn sofort zum Weiterreden gedrängt, aber sie rief sich selbst zur Ordnung.

„Jedenfalls“, fuhr er schließlich fort, „leben in den angrenzenden Grasländern sechs große Stämme: Alma Kinan, Chisha, Echsen, Enten, Karaya und Safir. Der Echsenclan und der Karaya-Clan liegen im ständigen Clinch mit Zexen, die anderen Clans halten sich da ein wenig bedeckter.“

Lymsleia nickte interessiert. Diese Vielfalt klang für sie um einiges interessanter, als die Biber und die Elfen aus Falena.

„Die Grasländer sind ein wunderbarer Ort, voller weiter Steppen und wilder Tiere. Es heißt, nur dort kann man eins mit der Welt und sich selbst werden.“

Er seufzte leise. „Natürlich funktioniert das nicht, wenn man nur dort ist, um sich zu bekriegen.“

Die Königin senkte den Blick. „Kriege sind schrecklich.“

Faramond nickte. „In Zexen gibt es keine Zeiten des Friedens. Die beste Karriere, die man machen kann, ist es Ritter zu werden - oder Ratsmitglied, aber das geht nur, wenn man sehr viel Einfluss besitzt. Als Ritter kommt man schnell zu Ruhm und Ehre - oder einem frühen Tod.“

„Ich will nichts davon hören“, sagte sie leise.

Die Erinnerungen an den Sonnenrunen-Krieg, der noch nicht lange her war, brachen wieder in ihr hervor. Doch sie kämpfte diese nieder. Im Moment wollte sie Faramonds Geschichten lauschen und nicht sich ihrem Schmerz hingeben.

Er nickte noch einmal und wechselte das Thema: „In den Grasländern dagegen ist die Mentalität eine ganz andere. Die Mitglieder des Karaya-Clans leben tatsächlich im Einklang mit der Natur. Es heißt, sie können hören, was der Wind oder die Erde ihnen sagen. Mancher soll sogar mit Tieren kommunizieren können.“

„Wow. Sowas habe ich noch nie gehört“, sagte sie erstaunt.

„Ich habe es auch nicht geglaubt, bis ich es selbst gesehen habe“, gab er zu.

Er war zwar ein Zexe, aber ein Teil seiner Ausbildung war es gewesen, seinen Feind kennenzulernen und dafür war er als Zivilist in die Grasländer gereist. Wobei er nicht bei jedem Clan auf Gastfreundschaft gestoßen war. Bei den Echsen war er sogar froh gewesen, in einem Stück wieder gehen zu dürfen.

„Sowas würde ich gerne mal sehen“, sagte Lymsleia verträumt.

Er lächelte bitter. „Leider verlassen Grasländer ihr Heimatland niemals, es sei denn, sie werden gezwungen. Die Grasländer lieben ihr Heimatland, vermutlich genauso sehr wie Ihr Falena liebt.“

„Dann gehe ich irgendwann einfach dahin und schaue es mir an“, sprach sie entschlossen.

Ihre Worte brachten ihn zum Lächeln. “Macht das. Auch wenn es immer anders dargestellt wird, aber die Grasländer sind sehr erfreut über jeden Besucher mit ehrlichem Interesse.“

Zumindest manche Clans, fuhr es ihm durch den Kopf.

Lymsleia lächelte. „Das ist toll.“

„Allerdings nur der Karaya- und der Entenclan und die Bewohner von Chisha. Nach Caleria und Le Buque solltet Ihr nicht gehen. Die beiden Städte stehen unter Kontrolle von Harmonia und mögen keine Besucher.“

„Von Harmonia habe ich auch schon viel gehört.“

Die Worte überraschten ihn nicht. Egal, wo man hinging, es schien, dass jeder bereits einmal von dem Heiligen Reich Harmonia gehört hatte.

„Harmonia ist auch ein Land, das sich gern überall einmischt, aber selbst niemanden in sein Innerstes blicken lässt. Es gibt eigentlich kein Land, das nicht Verbindungen zu Harmonia aufweisen kann. Ich war nie dort... aber ich finde allein die Vorstellung, dass ihr Oberhaupt über zweihundert Jahre alt sein soll, doch sehr fragwürdig. Besonders weil niemand diesen mysteriösen Führer zu Gesicht bekommt.“

„Wahrscheinlich machen sie den Leuten nur was vor“, warf Lymsleia ein. „Wer kann schon über zweihundert Jahre alt werden?“

Faramond nickte zustimmend, sichtlich zufrieden darüber, dass jemand seine Meinung teilte. „Genau das habe ich auch gesagt. Und durfte mich dann gleich belehren lassen, dass der große Hikusaak an eine Wahre Rune gekoppelt wäre und deswegen ewig leben würde.“

„Daran habe ich gar nicht gedacht“, sagte sie nachdenklich.

Die verlorene Unterstützung knickte ihn deutlich. „Ich glaube es trotzdem nicht. Aber vielleicht fehlt mir auch die Vorstellung davon, ich habe noch nie eine Wahre Rune gesehen.“

„Ich schon.“

In ihren Worten lag kein Stolz oder etwas, was auf Einbildung schließen ließ.

„Ah, ich habe gehört, dass Falena über eine Wahre Rune verfügt. Die... Sonnenrune, nicht wahr?“

Die Information hatte er aufgeschnappt, kurz nachdem er in Falena angekommen war. Ich hätte vielleicht bei den Erzählungen besser aufpassen müssen, dann hätte ich gewusst, dass Lymsleia so jung ist.

Offensichtlich war die Information wahr, denn Lymsleia nickte. „Die Sonnenrune wird hier im Schloss aufbewahrt. Willst du sie mal sehen? Natürlich nur, wenn du deine Finger bei dir behältst.“

Für einen Moment erwog er, das Angebot anzunehmen, aber er lehnte dankend ab. Wenn es eines gab, mit dem er immer Probleme gehabt hatte, dann waren es Runen. Eine wahre Rune zu sehen stand daher nicht sonderlich weit oben auf seiner Wunschliste. Eigentlich war er froh, wenn er diesen nicht zu nahe kam.

„Ich hätte sie dir ohnehin nicht gezeigt“, feixte Lymsleia.

Er lachte leise. Ob ihr Angebot nur ein Scherz oder eine Probe gewesen war, offensichtlich war seine Antwort richtig gewesen.

„Erzähl noch etwas“, forderte sie ihn auf.

Faramond runzelte seine Stirn, während er darüber nachdachte, was er noch erzählen könnte. Schließlich kam ihm tatsächlich eine Idee: „Das Dunkle Tor stammt aus diesem Land, nicht?“

Da sie nicht wusste, worauf er hinauswollte, nickte sie nur zögernd. Er würde ihr doch jetzt keine Geschichte von Attentätern erzählen, die in sein Land gereist waren, um irgendjemanden umzubringen, oder?

„Und sicherlich gab es auch jede Menge Ärger mit ihnen.“

Sie nickte noch einmal, nur noch eine Frage davon entfernt, ihn zu bitten, damit aufzuhören. Plötzlich schmunzelte er. „Dann wird Euch diese Geschichte vielleicht gefallen. In Harmonia gibt es eine besondere Organisation: die Gilde der heulenden Stimme. Sie verfügt über eine neuartige Technologie für Fernkampfwaffen, sicher verwahrt in einem großen Turm. Das Dunkle Tor versuchte, diese Technologie zu stehlen – und scheiterte kläglich.“

Sie war sich nicht sicher, ob es an seinem ansteckenden Lächeln oder an der Niederlage der Attentäter lag, aber plötzlich musste sie selbst ebenfalls wieder lächeln. „Das klingt wirklich gut.“

„Ich wusste doch, dass Euch das gefallen würde.“

Zumindest hatte er es gehofft. Dass diese Hoffnung aufgegangen war, erfüllte ihn mit einer tiefen Zufriedenheit.

„Du weißt ganz schön viel“, sagte Lymsleia bewundernd.

Verlegen winkte er ab. „Andere wissen viel mehr.“

„Das ist wahr“, stieg sie mit einem fiesen Grinsen ein.

Er lächelte unbehelligt. „Der Schlag ging ins Leere, Eure Majestät.“

Seine Intelligenz war nicht das, womit er sich am meisten rühmte. Eigentlich war es sogar ein Punkt, dem er sich gar nicht rühmte, was laut seinem Ausbilder aber auch nicht weiter schlimm war – solange er zumindest kämpfen konnte.

„Hey! Das ist aber gemein!“, beschwerte die Königin sich. „Jetzt lässt du dich nicht mal von mir ärgern.“

„Intelligenz ist das letzte, was bei mir als Angriffsfläche dient.“

Es war dasselbe, was sein Bruder ihm auch oft gesagt hatte – auch wenn er diesen gern vergessen würde.

„Stimmt“, gab Lymsleia ihm recht. „Man kann nichts angreifen, was nicht vorhanden ist.“

„Ow, okay, das war fies.“

Sein Blick sagte allerdings, dass er es mit Humor nahm und keineswegs beleidigt war. Wie sollte er auch? Er hatte sich solche Dinge jahrelang von Leuten anhören müssen, deren voller Ernst es gewesen war – Lymsleia dagegen schien ihn nur necken zu wollen.

Ein lautes Räuspern erklang auf dem Gang. Überrascht zuckte die Königin zusammen. „Oh, ist es schon so spät?“

Ohne dass es einem der beiden bewusst war, waren bereits mehrere Stunden vergangen. Faramond kamen es nur wie wenige Minuten vor.

Lymsleia stand auf. „Ich werde dann wieder gehen. Aber ab sofort werde ich jeden Abend wiederkommen – also überlege dir tagsüber, was du mir erzählen könntest.“

Das hat sie vorher schon gesagt, überlegte Faramond. Denkt sie wirklich, ich könnte das schon vergessen haben?

Er nickte verstehend. „Wie Ihr wünscht, Eure Majestät.“

„Dann bis morgen. Gute Nacht.“

Faramond stand auf und verneigte sich leicht. „Gute Nacht, Eure Majestät.“

Sie nahm das Tablett und ging damit hinaus. Als sie auf den Gang trat, seufzte Roan. „Sind wir hier endlich fertig?“

„Sei nicht so mürrisch“, wies sie ihn zurecht, während sie ihm das Tablett in die Hände drückte. „Das werden wir morgen noch einmal machen und am Tag danach auch.“

Roan schwieg, aber seine Miene sprach Bände. Doch das kümmerte die Königin wenig. „Ich werde jetzt ins Bett gehen. Bring das Geschirr bitte in die Küche.“

„Natürlich. Gute Nacht, Eure Majestät.“

Er deutete eine Verbeugung an. Während er Lymsleia hinterhersah, die in Richtung ihres Zimmers davonging, seufzte er wieder innerlich. Mann, wie ich Miakis um ihren Urlaub beneide.

Zusammenkunft

A/N von Alona: Puh, ich werde nie, nie, nie wieder behaupten, dass es nicht wieder ein Jahr bis zum nächsten Kapitel dauert, denn es ist wie verhext. Jedes Mal, wenn ich das behaupte, kommen unzählige Dinge dazwischen und am Ende war es doch wieder mehr als ein Jahr.

Wie auch immer, endlich gibt es mal wieder ein Kapitel, ganz frisch aus meiner Schreibstube, habt viel Spaß damit. ^^

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Während Roan Miakis um ihren Urlaub beneidete, war diese gerade dabei, sich über ihn aufzuregen. Das tat sie bereits den ganzen Abend, lediglich unterbrochen von der kurzen Kennenlernphase mit Renea, welche die Ritterin nun scheinbar interessiert dabei beobachtete, wie sie es schaffte, leise vor sich hinzubrummeln und sich nur unterbrach, wenn sie dabei war, zu kauen.

Rahal und Roog hatten gehofft, dass sie endlich still sein würde, wenn sie essen gehen würden, daher war der Vorschlag von ihnen gekommen – aber Miakis schien sich einfach nicht beruhigen zu wollen und wenn die Kavalleristen ehrlich waren, ging es ihnen beiden langsam auf die Nerven.

Es war nicht sonderlich üblich für Miakis, sich so sehr über jemanden zu beschweren und offenbar – sofern es aus dem Gebrummel verständlich war – gab es nicht einmal einen triftigen Grund dafür. Nein, keiner von beiden betrachtete „Er ist ein Idiot“ als wirklich triftig.

In der Hoffnung, dass sie endlich schweigen würde, richtete Rahal das Wort an Renea: „Nun, wie gefällt Euch Schloss Sauronix bislang?“

Allzuviel hatten sie ihr an diesem Tag noch nicht zeigen können, da ihre Unterhaltung mit Craig – mit Sicherheit über die guten alten Zeiten, wie Rahal sich vorstellen konnte – recht viel Zeit in Anspruch genommen hatte und sie erst bei Einbruch der Dunkelheit zu ihnen gestoßen war.

Aber immerhin kannte sie nun die Stadt ein wenig, den Eingangsbereich des Schlosses, den Stall der Drachenpferde – und Rania.

Doch es dauerte einen Moment nach seiner Frage, ehe Renea es schaffte, ihren Blick von der nun verstummten Miakis abzuwenden und ihn anzusehen. Es schien ihm als wolle sie einen Finger an ihre Wange legen, bemerkte dann aber, dass sie eine Gabel in der Hand hielt, ließ diese rasch wieder sinken und lächelte stattdessen.

„Es ist wirklich schön“, antwortete sie schließlich. „Ein wenig habe ich das Gefühl, es schon einmal irgendwann gesehen zu haben.“

Sie hielt einen Moment inne, während Rahal darüber nachdachte, dass sie möglicherweise als kleines Kind vielleicht einmal mit ihren Eltern in der Stadt gewesen war und sich nur nicht mehr bewusst daran erinnerte. Doch ehe er diese Vermutung äußern konnte, schüttelte sie bereits den Kopf. „Womöglich habe ich das nur geträumt.“

Zwar könnte er es immer noch sagen, doch eine innere Stimme hielt ihn davon ab und sagte ihm, dass es besser wäre, wenn sie das weiterhin glaubte. In seiner Zeit als Kavallerist hatte er gelernt, dieser Stimme zu vertrauen und entschied sich daher auch diesmal dafür.

„Wie kommt es, dass Euer Vater Euch nun erlaubt hat, allein herzukommen?“, fragte er weiter.

Aus ihren bisherigen Erzählungen über ihn, schloss Rahal, dass ihr Vater sie wohl sehr behütete und sie nicht einfach so würde gehen lassen und dennoch war sie vollkommen allein hier.

Sie hob leicht die Schultern, während sie offensichtlich bedrückt wieder auf ihr Essen hinuntersah. „Ich weiß es nicht. Wann immer ich ihn fragte, wich er mir aus und meinte nur, dass es besser für mich wäre.“

Bei dieser Antwort runzelte Rahal die Stirn. Das klang als wäre Renea in Lelcar in Gefahr gewesen, ohne dass sie davon wusste – oder als ob ihr Vater sich in ungesunde Machenschaften verstricken würde.

„Was ist Euer Vater von Beruf?“

Ob es nur die Neugierde war oder ebenfalls ein Versuch, darauf zu kommen, ob der Mann an finsteren Geschäften beteiligt sein könnte, was Roog fragen ließ, wusste Rahal nicht, aber er war erleichtert, dass nicht nur er für Abwechslung von Miakis Gemecker verlangte.

„Er ist Arzt.“

Als solcher könnte er zwar in dunkle Machenschaften verwickelt sein, aber so ganz konnte Rahal das doch nicht glauben, immerhin war es ein Freund von Sir Craig und dieser würde doch nicht solche Leute in seinem Bekanntenkreis dulden.

„Wenn man mich fragt, ist er der beste“, fügte sie noch hinzu. „Er bringt mir auch alles bei, was ich wissen muss, um selbst einmal Ärztin zu werden.“

Miakis wurde nun offenbar ebenfalls für einen Moment von ihren Beschwerden abgelenkt. „Wollt Ihr das denn?“

Renea nickte, hielt den Blick aber immer noch gesenkt, wenngleich es nun wohl an dem zarten, rosa Schimmer lag, der sich auf ihr Gesicht geschlichen hatte. „Sehr gern sogar. Ich möchte den Menschen auch helfen können, wenn sie zu mir kommen, genau wie mein Vater.“

Wenn Rahal es genau betrachtete, passte dieser Wunsch irgendwie zu ihr. Ein braves Mädchen aus reichem Haus, das zu einer hilfsbereiten Frau heranwächst, die wiederum irgendwann einmal selbst ein braves Mädchen erziehen würde – man kannte das ja und deswegen fand er das auch nicht weiter interessant, egal wie oft er einen vielsagenden Blick von Roog, der dasselbe geschlussfolgert hatte, deswegen bekam und ihn ignorierte.

„Das klingt nach einem hehren Ziel“, bemerkte Rahal schließlich, als Miakis in der eingetretenen Stille beinahe schon wieder zu schimpfen anfing. „Da kann man Euch nur viel Erfolg wünschen. Gute Ärzte werden immer gebraucht.“

Roog gab ein zustimmendes Geräusch von sich. „Krankheiten sterben nie aus.“

„Vor allem nicht mit all diesen Monstern heutzutage“, fiel auch Miakis mit ein. „Ich dachte, ich würde nie in Sauronix ankommen.“

Als sie das erwähnte, fiel Rahal wieder ein, dass er Sir Craig genau das noch mitteilen wollte und beschloss, das am nächsten Morgen gleich als erstes zu erledigen, wenn er seinen Dienst antrat.

Renea sah zwischen den dreien hin und her. „Ihr seid schon lange miteinander befreundet, oder?“

Während Miakis stolz nickte, lachte Rahal leise. „Merkt man uns das an?“

„Ein wenig“, antwortete Renea und für einen kurzen Moment schien es ihm als würde etwas wie Neid in ihren Augen funkeln.

„Habt Ihr viele Freunde?“, hakte Rahal deswegen nach.

„Mir ist es wichtiger, gute Freunde zu haben anstatt viele“, erwiderte sie in einem Ton, der es ihn fast bereuen ließ, gefragt zu haben.

Allerdings lächelte sie ihm dabei zu, was verriet, dass sie ihm das wohl nicht übel nahm und sie so etwas wohl öfter einmal sagte, was den leicht gereizten Unterton erklärte.

Dennoch verzichtete er lieber darauf, noch weitere Fragen zu stellen. Glücklicherweise übernahm die nun neugierig gewordene Miakis das, anstatt wieder zu schimpfen: „Was ist eigentlich mit Eurer Mutter? War sie einverstanden, dass Ihr herkommt?“

Das Lächeln erlosch wieder, Renea senkte den Blick und stocherte in ihrem Essen herum. „Meine Mutter ist schon vor vielen Jahren gestorben.“

Es schien Rahal als wäre die Atmosphäre plötzlich angespannt, er sah zu Miakis hinüber und gab ihr mit einem Blick zu verstehen, dass sie sich gefälligst entschuldigen sollte, was sie auch sofort bestürzt tat.

Renea lächelte wieder, doch es war ihr deutlich anzusehen, dass sie traurig war, auch wenn sie das nicht zugeben wollte. „Ist schon gut, das ist lange her und Ihr konntet das ja nicht wissen, Lady Miakis.“

Die Ritterin nickte und vertiefte sich wieder in ihr Essen, was Rahal und Roog ihr sogleich nachtaten. Die angespannte Atmosphäre blieb allerdings, das Gefühl, unbeabsichtigt ein sensibles Thema angeschnitten zu haben, lag wie ein schwerer Ballast zwischen ihnen allen und auch wenn das Schweigen nichts daran änderte, so kam es allen am Tisch doch besser vor, erst einmal nichts mehr zu sagen.

Zumindest solange, bis Miakis sich wieder an Roan erinnerte und sich bis zum Ende des Essens wieder lautstark über ihn beschwerte.
 

Das Schiff hatte kaum an seinem Hafen angelegt und die Stelling als Verbindung zum Kai ausgelegt, als die beiden Männer bereits mit festen Schritten an Land gingen.

Hafen war allerdings eine fast schon schmeichelhafte Bezeichnung für diese versteckt gelegene Anlegestelle im Westen Falenas. Der hölzerne Kai war mehr schlecht als recht von Amateuren zusammengezimmert worden, so dass es einen wunderte, dass man nicht direkt durch eine der Lücken hindurchfiel und im Wasser landete.

Besonders wunderte es den Schwarzhaarigen bei seinem betrunkenen Freund. Dieser schritt erstaunlich sicher über den Kai, obwohl er zuvor noch mindestens eine weitere Flasche geleert und sich über das Schaukeln an Bord beschwert hatte.

Manchmal war er versucht, ihn zu fragen, wie er das tat, doch verzichtete er lieber darauf. Am Ende würde sein Freund noch denken, dass es als Kompliment gemeint war und als Freibrief, noch mehr zu trinken.

Sie betraten den Rasen jenseits des Kais, wo mehrere Männer, genauso schweigsam wie die Besatzung an Bord des Schiffes, damit beschäftigt waren, ein bereits eingerichtetes Zeltlager zu errichten. Der Schwarzhaarige rümpfte die Nase. Er sollte in einem Zelt schlafen? Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

„Und was tun wir jetzt, Kentso?“

Der Betrunkene blickte seinen Freund an und wartete auf eine Antwort.

Kentso überlegte, ihn zu ignorieren, doch er kannte ihn inzwischen lange genug, um zu wissen, dass das nicht funktionieren würde. „Ich sagte dir bereits, wir brauchen erst einmal ein neues Hauptquartier. Das alte können wir nicht mehr benutzen, Yargo.“

Mit Sicherheit war es auch bereits zerstört worden, zumindest traute er der Königsfamilie das zu und er selbst hätte das auch mit der Basis seiner Feinde getan.

„Das habe ich schon verstanden.“ Yargo klang fast beleidigt, als er das erwiderte. „Aber wo willste hier eines hernehmen? Die stehen ja nich' einfach so in der Gegend herum.“

Das entsprach der Wahrheit, aber natürlich hatte Kentso das auch nie angenommen. „Vorerst wird es darum gehen, uns wieder mit dem Land vertraut zu machen, herauszufinden, was sich alles verändert hat. Unauffällig, natürlich.“

„'Türlich.“

Kentso warf Yargo einen Blick zu, doch es schien als hätte dieser ihm gar nicht zugehört. Seine Augen ruhten immerhin bereits wieder auf einem Zelt, das nicht richtig verschlossen war, weswegen man die Kisten im Inneren erkennen konnte, die – wie Yargo hoffte – wohl Wein beinhalteten.

Kentso rümpfte erneut die Nase. „Sag mir nicht, du hast schon wieder Durst? Ich habe gesehen, dass du kurz vor dem Anlegen noch eine Flasche geleert hast.“

Doch Yargo zuckte grinsend mit den Schultern. „Du weißt doch, wie das ist. Diese Art Brand bekommt man nie gelöscht.“

Eigentlich – und das wusste Kentso – müsste er ihn nun ermahnen, sachlich zu bleiben, da sie nun erst einmal eine Unterhaltung mit den Anführern führen müssten. Aber in diesem Zustand war Yargo bekanntlich zu nichts zu gebrauchen und er wollte das Gejammere auch nicht ertragen, während er darauf wartete, dass sein Freund wieder nüchtern werden würde. Deswegen gab Kentso seufzend nach und bedeutete ihm, zu verschwinden und zu tun, was er nicht lassen konnte, in der Hoffnung, dass es zu keinen Problemen kam.

Er war noch nicht einmal ganz mit seinem Satz fertig, als Yargo auch schon davonhuschte und in dem Zelt verschwand. Er würde ihn dort später nur wieder aufsammeln müssen, soviel war sicher.

Allein setzte er seinen Weg durch das Lager fort, das aus stattlich vielen Zelten bestand, wie er feststellte. Es erfüllte ihn mit einem ungemein wohltuenden Gefühl, zu wissen, dass sie immer noch so viele Verbündete besaßen. Auf diese Art würde Falena bald wieder zu zittern anfangen, da war er sich sicher.

Doch vorerst war es wichtig, dass niemand von ihnen Notiz nahm, dafür war diese Gegend offenbar genau richtig. Westlich war direkt der Ozean und dort befand sich viele Meilen nichts als Wasser, nördlich, östlich und südlich dagegen war das Lager von dichtem Wald umgeben. Niemand verirrte sich so schnell in diese Gegend, also würde auch niemand ihre Anwesenheit bemerken und es jemandem erzählen können. Und für den Fall der Fälle hatten sie immer noch ihre eigenen Leute, die im Wald nach eventuell Verirrten Ausschau hielten, um diese rechtzeitig mundtot zu machen.

Sie waren auf alles vorbereitet, davon war er überzeugt.

Vor einem der größten Zelte, hielt er wieder inne. Er räusperte sich, richtete überflüssigerweise noch einmal seine perfekt sitzende Kleidung und trat dann in das Halbdunkel des Zeltes, um den Anführern zu berichten, dass das Schiff – und damit er – endlich eingetroffen war.

Nächtliche Begegnung

Als Rahal und Roog gemeinsam mit Miakis und Renea aus dem Restaurant traten, war es, wie zu erwarten gewesen war, bereits dunkel. Die von vereinzelten Drachenkavalleristen patrouillierten Straßen wurden lediglich vom Licht des Vollmondes und der zahlreichen Sterne erleuchtet. Zwar gab es auch Straßenlaternen in Sauronix, die jeden Abend zur Dämmerung gewissenhaft entzündet und bei Tagesanbruch wieder gelöscht wurden, doch diese waren derart spärlich verteilt, dass man von ihnen kein wegweisendes Licht erwarten durfte.

Den Weg zum Schloss kannten Rahal und Roog jedoch sogar im Schlaf, so dass sie die beiden Besucherinnen auch bei völliger Dunkelheit hätten hinführen können. Dennoch ertappte Rahal sich dabei, wie er sich innerlich entspannte, als sie ins Schloss traten, dessen Gang hell von Lampen erleuchtet wurde. Es gelang ihm nicht, die genaue Ursache zu bestimmen, aber etwas in dieser Nacht machte ihn nervös und verleitete ihn dazu, öfter als nötig den Kopf zu wenden, um über seine Schulter zu sehen. Im Schloss allerdings war das Gefühl direkt von ihm abgefallen, so dass er die beiden Besucherinnen bis zu den ihnen zugewiesenen Zimmern begleiten konnte, ohne sich ständig nach möglichen Bedrohungen umzusehen.

Die beiden Kavalleristen verneigten sich vor Renea.

„Wir hoffen, Ihr werdet gut schlafen“, sagte Rahal, was sie mit einem höflichen Lächeln dankte.

Roog wandte sich dagegen mit einem amüsierten Schmunzeln an Miakis. „Dir müssen wir das wohl kaum sagen, du schläfst ja immer wie ein Stein.“

„Das ist wahr“, lachte die Ritterin. „Und mit den Gesängen der Drachenpferde aus den Ställen werde ich noch viel besser schlafen.“

Rahal gab ein gespieltes Seufzen von sich. „Ich sehe schon, du wirst morgen gar nicht aus dem Bett kommen.“

Miakis lachte noch einmal, dann wünschte sie den Kavalleristen eine gute Nacht und ging in ihr Zimmer hinein, was ihr direkt danach von Renea nachgetan wurde.

Die Zurückgebliebenen atmeten beide leise auf und begaben sich dann ohne jede Absprache gemeinsam zur Treppe, die zu den Ställen der Drachenpferde unterhalb des Schlosses, führte. Erst als sie eine beträchtliche Entfernung zu den Zimmern der beiden Besucherinnen hinter sich gebracht hatten, wagte Roog wieder, etwas zu sagen: „Seit dieser Roan im Palast arbeitet, ist Miakis ziemlich schwierig geworden.“

Rahal konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Damit implizierst du, dass der Umgang mit ihr irgendwann einmal leicht war.“

Roog blickte für einen Moment gedankenverloren in die Luft, ehe er grinste. „Stimmt, das ist vollkommen unmöglich.“

Am Fuß der Treppe angekommen, traten sie ins Freie. Direkt unterhalb der Plattform, auf der sie sich befanden, waren die Ställe der Drachenpferde eingerichtet worden, so dass sie im Fall einer Schlacht direkt in den angrenzenden Feitas springen und sich in den Kampf begeben könnten. Egal wie gut umstellt die Stadt von Feinden wäre, der Feitas würde ihnen immer die Möglichkeit geben, die Flanken oder Rücken des Gegners anzugreifen. Taktisch gesehen war Sauronix damit perfekt auf die Kavallerie eingestimmt.

Der einzige Nachteil, der besonders oft von jungen Kavalleristen bemängelt wurde, waren die langen Laufwege. Wenn man aus dem Schloss trat, musste man erst einen enormen Umweg laufen, um zu den Treppen zu kommen, die ans Wasser hinabführten. Rahal und Roog waren es nach all den Jahren bereits gewohnt, so dass sich keiner von ihnen mehr daran störte und über kurz oder lang akzeptierten auch alle anderen Kavalleristen diesen Umstand und betrachteten es manchmal sogar als zusätzliches Training.

War man dann erstmal am Fluss angekommen, konnte man direkt in die einzelnen Ställe hineinlaufen. Rahal und Roog betraten den, in dem sich die Boxen von Flail und Lance befanden. Jede einzelne Box, die sich an den zu beiden Seiten des Stalls bis an die hintere Wand erstreckten, bot genügend Platz für jeweils ein Drachenpferd, davor waren Tränke und Behälter für das Futter der Reittiere angebracht. Abgesehen von den Tieren war der Stall vollkommen leer, die anderen Kavalleristen befanden sich entweder auf Patrouille oder bereits im Bett, um sich für ihre kommende Schicht vorzubereiten. Es war überraschend still, wie Rahal feststellte. Normalerweise waren die Ställe selbst nachts von den Gesängen der Drachenpferde erfüllt, aber in dieser Nacht schien jedes Einzelne still zu sein oder bereits zu schlafen, lediglich das tiefe und ruhige Durchatmen der Wesen war zu vernehmen.

Die Boxen von Flail und Lance befanden sich direkt nebeneinander, so dass die beiden Kavalleristen sich mühelos miteinander unterhalten konnten, während sie sicherstellten, dass es ihren Reittieren an nichts mangelte.

„Was ist eigentlich los mit dir?“, fragte Roog. „Du scheinst ziemlich angespannt zu sein.“

Also war es ihm aufgefallen, spürte selbst aber nichts. Rahal hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht gehen mir nur die Monster nicht mehr aus dem Kopf, die uns heute begegnet sind.“

„Du glaubst doch nicht, dass eines von denen versuchen könnte, über den Fluss anzugreifen, oder?“

Der Fluss war tatsächlich die einzige Seite von Sauronix, die offen genug für einen Angriff war, der Rest der Stadt war von dicken, hohen Mauern umgeben, die sie sei jeher beschützten.

Eine normale Armada würde aufgrund der wendigen und äußerst wehrhaften Drachenpferde allerdings kaum eine Chance haben. Selbst ohne ihre Reiter waren die Wesen in der Lage, zu kämpfen, sie waren derart intelligent – und das wussten die Monster oft instinktiv ebenfalls. Allein der Geruch der Drachenpferde würde wilde Tiere fernhalten und jedes, das unvorsichtig genug wäre, dennoch zu nah an die Ställe zu kommen, würde binne Minuten vertrieben oder getötet.

„Nein, das denke ich nicht“, antwortete er schließlich. „Ich kann aber auch nicht sagen, was ich stattdessen denke. Es ist mehr so ein Gefühl.“

Roog gab ein verstehendes Brummen von sich und hielt es dann für besser, das Thema zu wechseln: „Was denkst du über Lady Renea?“

Rahal rollte mit den Augen. „Fängst du schon wieder damit an?“

Ihm hatten die vielsagenden Blicke seines Freundes, die er den ganzen Tag über bekommen hatte, bereits vollkommen ausgereicht. Aber zu seiner Überraschung schüttelte Roog plötzlich den Kopf. „Das meine ich nicht, ich hab deinen gelangweilten Gesichtsausdruck während des Essens schon verstanden.“

Unwillkürlich runzelte Rahal seine Stirn. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er auf die anderen einen gelangweilten Eindruck gemacht hatte. Er müsste sich in Zukunft wirklich mehr unter Kontrolle halten, einem Drachenkavallerist durfte so etwas in Anwesenheit einer fremden Dame nicht geschehen.

„Was meinst du dann?“, hakte Rahal nach.

„Na ja...“ Roog zögerte einen Moment als ob er nicht wusste, ob er wirklich darüber sprechen sollte. „Hast du nicht auch den Eindruck, dass ihr Vater irgendwelche krummen Dinger dreht und sie deswegen loswerden wollte?“

Rahal erinnerte sich wieder an seine eigenen Gedanken über Reneas Vater während des Abendessens und dass er diese allesamt verworfen hatte. Also schüttelte er den Kopf. „Nein, das denke ich nicht, du interpretierst da viel zu viel hinein.“

Da sein Freund ihm nicht zustimmte, schien Roog den Gedanken auch wieder fallenzulassen. „Ja, vermutlich. Aber mal was anderes, morgen sollten wir wirklich wieder trainieren. Wenn schon mehr Monster als sonst durch die Gegend streichen, sollten wir das ausnutzen.“

Rahal nickte zustimmend. „Morgen kommen wir bestimmt dazu.“

Schließlich verabschiedeten die beiden sich von ihren Drachenpferden und verließen den Stall wieder. Noch immer war weit und breit niemand zu sehen, was ihnen verriet, dass es später war als eigentlich gedacht. Roog streckte sich ausgiebig und legte den Kopf in den Nacken. „Ah, wir haben ja Vollmond, kein Wunder, dass die Drachenpferde so leise sind.“

Rahal runzelte die Stirn. Bislang war ihm noch nie aufgefallen, dass sie in Vollmondnächten immer ruhig waren, deswegen überraschte es ihn umso mehr, dass Roog diese Feststellung offenbar schon vor einiger Zeit gemacht hatte.

Sie wollten gerade weiterlaufen, als Rahal erneut dieses Gefühl verspürte, dass etwas hinter ihm lauerte. Aber dieses Mal war er nicht allein damit, am angespannten Gesichtsausdruck seines Freundes konnte er nach einem kurzen Blick erkennen, dass es ihm genauso erging. Dieses Mal war das Gefühl auch wesentlich stärker, greifbarer, er war sich vollkommen sicher, dass er endlich etwas sehen würde, wenn er den Kopf wandte – und genau deswegen erschien ihm diese Bewegung plötzlich unsagbar schwer.

Nur mit Mühe schaffte er es schließlich, sich umzudrehen, genau wie Roog. Aber was sie da sahen war kein monströses Wesen, das seine Zähne bleckte, kein sonstiger Feind, der einfach aus dem Nichts aufgetaucht war und genau betrachtet, schien es nicht einmal feindselig zu sein.

Es war ein Drachen, kein sonderlich großer, seine Statur ähnelte der eines Drachenpferdes, aber zusätzlich waren auf seinem Rücken noch lederne Schwingen zu sehen, die allerdings nicht groß genug erschienen, um den Drachen damit fliegen zu lassen. Die Schuppen des Wesens waren grün – smaragdgrün, wenn Rahal es näher hätte bestimmen müssen – einen solchen Farbton hatten beide Kavalleristen bislang bei noch keinem Drachen gesehen.

Das Wesen betrachtete keinen von ihnen, sondern starrte mit seinen schwarzen Augen den Vollmond an, es wirkte nicht so als ob es auf einen Kampf aus wäre, wo auch immer es so plötzlich hergekommen war.

„Rahal...“ Roogs Wispern durchbrach das eingetretene Schweigen. „Ist das eine neue Gattung?“

Nach den heute gesehenen wilden Monstern, empfand auch Rahal das als in Frage kommende Möglichkeit. Vielleicht gab es in der Nähe nun ein nicht zuvor entdecktes Drachennest, Rahal würde das alles am nächsten Tag mit Craig besprechen müssen.

„Was sollen wir tun, Rahal?“

Da er das ebenfalls nicht wusste, war er regelrecht erleichtert, als der Drachen plötzlich den Blick vom Mond nahm und dafür sie beide ansah. Doch statt sie nun anzugreifen, stieß er ein kraftloses Kreischen aus, ehe er ohne Umschweife in den Feitas sprang, wo er von den Wellen verschluckt wurde. Rahal und Roog legten rasch die wenigen Schritte bis zum Fluss zurück und blickten hinein, in der Hoffnung, das Wesen noch einmal zu entdecken, aber die schwarzen Fluten waren geradezu undurchsichtig – und noch dazu tauchte der Drachen auch nicht mehr auf.

Das Gefühl, dass sie nicht allein waren, ebbte sofort ab und schwand schließlich ganz. Da Rahal nicht glaubte, dass der Drachen ertrunken war oder sich gar mit diesem Vorsatz ins Wasser gestürzt hatte, war er wohl auf diesen Weg vor ihnen geflohen, vermutlich aus Furcht, dass sie ihm Schaden zufügen wollten. Aber zumindest Rahal hatte das aufgrund der fehlenden Bedrohung nicht im Sinn gehabt.

Roog neigte verwirrt den Kopf und sah zu seinem Freund hinüber. „Was war das denn?“

„Es ist gut möglich, dass er von dem Geruch der Drachenpferde angezogen wurde“, erwiderte Rahal gedankenverloren, aber Roog schüttelte mit dem Kopf. „Das erklärt nicht, wo es herkam oder hast du gehört, wie es sich uns näherte?“

„Nein, habe ich nicht.“

Hätte nur er es gesehen, wäre er nun der Überzeugung gewesen, es sich lediglich eingebildet zu haben, aber da Roog ebenfalls Zeuge war, musste es echt sein. Doch statt weiter darüber nachzudenken, blickten sie beide konzentriert ins Wasser und warteten darauf, ob noch etwas geschah, lauerten geradezu darauf, dass dieses Gefühl noch einmal wiederkehrte und wieder ein Drachen hinter ihnen stand.

Doch schließlich seufzte Roog. „Es sieht jedenfalls nicht so aus als würde es zurückkommen, wir sollten lieber endlich schlafen und morgen mit Sir Craig darüber sprechen.“

„Das wird das Beste sein“, stimmte Rahal zu.

Während Roog sich bereits in Bewegung setzte und davonging, blickte Rahal noch einmal in den Feitas hinein. Nichts war mehr zu sehen, der Wasserspiegel zeigte keinerlei Anzeichen mehr auf den vorangegangen Fremdkörper, der sich in die Fluten gestürzt hatte. Also wandte Rahal sich ebenfalls ab, um Roog zu folgen, auch wenn seine Gedanken sich noch lange danach um diese Erscheinung und seine möglichen Bedeutung drehen würden.
 

Zur selben Zeit geschah im nicht weit entfernten Hershville ebenfalls etwas, das ungewöhnlich war – wenn auch in einer anderen Art als das Geschehen in Sauronix. Es war kein smaragdgrüner Drachen, der dort quasi aus dem Nichts erschien und still den Mond bewunderte, sondern zwei durchaus lautstark miteinander diskutierende Jugendliche, die gerade aus einem Restaurant traten, das selbst in der Nacht geöffnet hatte.

Das Duo bestand aus einem Mädchen, deren langes schwarzes Haar bis an ihre Oberschenkel reichte und mit einem roten Haarband im Nacken zusammengebunden war, damit es sie trotz der Länge nicht weiter behinderte. Ihre braunen Augen, die sonst voll von Wärme waren, wurden aufgrund ihrer Wut allerdings gerade eher von zornigen Blitzen erfüllt – zumindest bekam man diesen Eindruck, wenn man sie ein wenig musterte.

Das Haar des Jungen wiederum war hellbraun, mancher hätte es vielleicht noch als dunkelblond bezeichnet, und war akkurat auf Nackenlänge gestutzt, wenngleich zwei bis an sein Kinn reichende Strähnen sein doch leicht feminin wirkendes Gesicht einrahmten. Dass es sich hierbei aber wirklich um einen Jungen handelte, bemerkte man nicht zuletzt an seiner Stimme, während er sich mit dem Mädchen stritt und nicht zuletzt an dem Thema an sich, wenn man diesem aufmerksam lauschte.

„Ich habe genau gesehen, dass du ihr schöne Augen gemacht hast!“, sagte das Mädchen hitzig.

Seine hellbraunen Augen blitzten geradezu empört auf, als er sich erneut dieser Unterstellung gegenübersah. „Habe ich nicht! Ich habe sie nur kurz angesehen, ist das verboten!? Dass du überhaupt auf die Idee kommst, dass ich ausgerechnet hier..!“

Bevor der Junge seinen Satz beenden und so neugierigen Zuhörern verraten könnte, was er an Hershville auszusetzen hatte, kam ein vorbeilaufender Passant dazu, der den Streit der beiden mit sanfter Stimme unterbrach: „Ich denke, es ist bereits viel zu spät, um euch hier zu streiten. Man mag es nicht glauben, aber es gibt auch hier in der Umgebung genügend Leute, die gern schlafen würden.“

Dabei machte er eine ausholende Handbewegung, so dass sich die beiden Jugendlichen automatisch ebenfalls umsahen und sogar die Köpfe in den Nacken legten, um nachzusehen, ob sie aus einem der oberen Stockwerke der sie umgebenden Häuser beobachtet wurden.

„Ihr solltet lieber selbst ins Bett gehen“, sagte der Fremde weiter, ehe er sich wieder in Bewegung setzte, um weiterzulaufen, „dann seid ihr vielleicht weniger gereizt.“

Das Mädchen schnaubte wütend, während es ihm hinterhersah. „Was weiß der denn schon!?“

Der Junge wiederum ging nicht darauf ein, sondern hielt sich die Hand vor den Mund, um sein herzhaftes Gähnen zu vertuschen. „Vielleicht hat er recht, ich bin schon ziemlich müde.“

Sie wandte sich ihm zu, von Wut war nichts mehr in ihrem Gesicht zu sehen, so schnell wie sie gekommen war, so war sie auch wieder verflogen. „In Ordnung. Aber morgen werden wir früh aufstehen und weiterreisen.“

„Sicher.“

Mit dieser Antwort zufrieden, wandte sie sich ab, um den Weg zum nächsten Gasthaus zu suchen, worauf er ihr nach einem erneuten Gähnen direkt folgte, so dass auch in Hershville wieder Ruhe einkehrte.

Aufziehende Wolken

Auch als Rahal am nächsten Morgen gemeinsam mit Roog im Büro von Craig stand, ging ihm dieser seltsame Drache nicht aus dem Kopf. Ein wenig unruhig wartete er darauf, dass er dem Kommandanten endlich davon erzählen könnte, während er und Roog mit möglichst viel neutraler Professionalität von dem Tag mit Renea berichteten.

Craig lauschte dem mit ausdrucksloser Miene und nickte lediglich ab und an, als hätte er bestimmte Dinge, die ihm da erzählt wurden, bereits erwartet.

„Vielen Dank, dass ihr beide euch Reneas Wunsch gebeugt habt“, sagte Craig, als sie mit dem Bericht geendet hatten. „Mir ist bewusst, dass ihr euch gelangweilt haben müsst.“

„Es war eine nette Abwechslung“, erwiderte Rahal, bevor Roog möglicherweise auf den Gedanken kommen könnte, dem zuzustimmen. „Wir sind jederzeit wieder dazu bereit.“

Craig lächelte wohlwollend, als er das hörte, sagte aber weder, dass es nötig sein würde, noch das Gegenteil, sondern fragte stattdessen, ob es noch mehr zu berichten gäbe.

Rahal tauschte einen raschen Blick mit Roog und stellte dabei fest, dass dieser ebenfalls nur darauf gewartet zu haben schien, dass sie endlich zu diesem Punkt kommen würden. Beide sahen wieder Craig an und nickten.

„Nachdem wir Fräulein Renea zu ihrem Zimmer begleitet hatten, beschlossen wir, noch einen Abstecher zu den Drachenpferden zu machen“, begann Rahal mit der Erzählung. „Und als wir den Stall verließen...“

Er verstummte urplötzlich, ein Gefühl in seinem Inneren riet ihm, nicht weiterzureden und diese Erscheinung einfach nur als Einbildung oder Tagtraum abzutun, obwohl er genau wusste, dass Roog den Drachen ebenfalls gesehen hatte und sie sich noch dazu einig gewesen waren, es dem Kommandanten zu berichten. Aber nun, da er kurz davor stand, war dieses leise Flüstern in seinem Inneren, das ihm sagte, dass er eigentlich gar nicht wissen wollte, was hinter diesem Wesen steckte.

Seine Gedanken wurden erst unterbrochen, das Flüstern übertönt, als Roog die Stimme hob, um den Bericht zu beenden: „Im Außenbereich der Ställe begegneten wir einem Drachen, der nach unserer Sichtung in den Feitas sprang und verschwand.“

Craigs Ausdruck verhärtete sich augenblicklich, seine Stimme klang auf einen Schlag kälter als zuvor. „Wie sah er aus?“

Da Rahal immer noch schwieg übernahm Roog die Beschreibung des Wesens. Die ganze Zeit über änderte sich Craigs Gesichtsausdruck nicht, erst als der Kavallerist geendet hatte, runzelte er die Stirn. „Es ist gut möglich, dass ein drachenähnliches Wesen von dem Geruch der Drachenpferde angezogen wurde, obwohl dieser meist andere Monster abschreckt.“

Tatsächlich kam es nur selten vor, dass irgendeine Bestie versuchte, sich der Stadt zu nähern oder sogar hineinzugelangen und das lag immerhin nicht nur an den Mauern oder den patrouillierenden Kavalleristen.

„Aber ich habe noch nie von einer solchen Gattung gehört“, fuhr der Kommandant fort. „Ich werde einige Kavalleristen danach suchen lassen. Vielleicht finden wir sogar das Nest dieses Wesens.“

Rahal kam nicht umhin, zu bemerken, dass der Kommandant genau denselben Gedankengang hatte, wie er in der Nacht zuvor – und doch spürte er immer noch diesen Hauch von Zweifel und hörte das Flüstern, das ihm noch immer sagte, er wollte es nicht wissen; es war eine durch seine Ausbildung geformte Ahnung, die ihm während einer Schlacht schon oft das Leben gerettet hatte, ihn im Moment aber lediglich irritierte, weswegen er beschloss, sie dieses eine Mal vorerst zu ignorieren.

„Ich stelle mich gern dafür zur Verfügung“, bemerkte Roog, ehe er zu Rahal blickte. „Du doch auch, oder?“

„Selbstverständlich“, stimmte er zu.

Ein erleichtertes Lächeln huschte über Craigs Gesicht, als er die Einsatzbereitschaft der beiden beobachten konnte. „Dann macht bitte eure Drachenpferde bereit, damit ihr sofort aufbrechen könnt. Ich denke, es ist besser, wenn wir das nicht weiter hinauszögern.“

Die beiden Kavalleristen salutierten und verließen dann das Büro, um den Anweisungen Folge zu leisten.

„Warum hast du eigentlich nichts gesagt?“, fragte Roog auf dem Weg zu den Ställen.

„Es gibt keinen bestimmten Grund“, erwiderte Rahal abwehrend. „Es war nur so ein Gefühl.“

Er hoffte, dass damit alles gesagt war und sie sich vorerst einzig um diese Mission kümmern konnten, egal wie sie ausgehen würde.
 

Bei dem jungen Paar in Hershville war die Stimmung bereits am Morgen gedrückt. Schweigend saßen sie sich am Frühstückstisch gegenüber, aber von der Intensität mit der ihre Kiefer mahlten, war abzusehen, dass sie immer noch nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen waren. Allerdings gab es an diesem Tag ein anderes Thema.

„Was hast du eigentlich gegen diese Idee?“, fragte er plötzlich und brach damit das Schweigen.

Deutlich wütend zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. „Sie ist total unüberlegt! Eben so typisch... Landis!“

Das letzte Wort, seinen Namen, betonte sie derart, dass es in seinen Ohren wie eine Beleidigung ankam. „Ach ja? Als ob deine Rina-Pläne so viel besser wären, mit denen passiert nie was!“

„Meine Pläne sind viel besser als deine!“, erwiderte sie schnaubend.

Keiner der beiden beachtete, dass sie wieder einmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen und alle Anwesenden im Raum des Gasthauses, wo sie ihr Frühstück zu sich nahmen, zu ihnen herübersahen. Beide waren auf den jeweils anderen fixiert und starrten diesen wütend an.

„Du spinnst doch!“, fauchte Landis. „Warum sind wir überhaupt hier, wenn wir dann doch nur abwarten wollen?“

Sie öffnete gerade den Mund, um lautstark etwas zu kontern, als ein Kellner vorbeilief, der sich nach genauerem Hinsehen als genau derselbe Mann wie der letzten Nacht entpuppte: „Könnt ihr euch eigentlich auch mal in Ruhe unterhalten? Ist ja nicht auszuhalten, dass ihr euch wirklich zu jeder Tageszeit anfauchen müsst.“

Beide wandten ihm ihre Aufmerksamkeit zu und sahen ihm wütend hinterher.

„Was denkt der eigentlich, wer er ist?“, grummelte Rina.

Landis nickte zustimmend. „Aber echt, sich einfach dauernd einzumischen, wenn wir uns unterhalten...“

Als sie wieder einander ansahen, war der Ärger auf den jeweils anderen verflogen. Für einen kurzen Moment aßen sie schweigend weiter, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft, dann sagte Rina wieder etwas als wäre der Streit von eben gar nicht geschehen: „Ich denke wirklich, dass wir uns gut überlegen sollten, wie wir nun vorgehen, ehe wir etwas falsch machen und das dann bereuen.“

Landis neigte zustimmend den Kopf. „Ja, vermutlich wäre das wirklich besser.“

Absolut nichts mehr am Benehmen der beiden deutete darauf hin, dass sie noch vor wenigen Sekunden darauf erpicht gewesen waren, dem anderen zu beweisen, wie dumm sein Plan war.

„Aber was genau sollen wir dann tun?“, hakte Landis nach. „Denn nur zum Herumsitzen sind wir ja nicht hergekommen, oder?“

Rina überlegte, während sie auf einem Stück Brötchen herumkaute als wäre es plötzlich zu Gummi geworden, was ihm verriet, dass sie eigentlich noch gar nicht über einen Plan nachgedacht hatte und nur deswegen behauptete, einen zu besitzen, damit er nicht weiter auf seinen bestand. Doch er sprach seinen Gedanken nicht aus, sondern wartete geduldig, bis sie das Essen geschluckt hatte und dann tatsächlich etwas präsentierte, das an einen Plan erinnerte: „Erst einmal sollten wir uns mit den aktuellen Gegebenheiten vertraut machen, sobald wir ganz genau wissen, wie die Situation ist, können wir viel besser entscheiden, wie es weitergehen soll.“

Landis lächelte zufrieden. „Das klingt nach einem wirklich guten Plan, wenn du mich fragst.“

Das von ihm zu hören, schien sie glücklich zu machen, denn ihr Gesicht begann fast sofort zu strahlen. Gespielt verlegen hob sie ihre Tasse, um einen großen Schluck zu nehmen, während Landis kurzerhand den Beschluss verkündete, dass sie direkt nach dem Frühstück damit anfangen sollten, was von Rina direkt abgenickt wurde. „Gute Idee, das werden wir machen.“

Danach versanken sie wieder in Schweigen, wenngleich die Atmosphäre für das restliche Frühstück nun wesentlich gelassener war als zuvor.
 

Da Rahal und Roog an diesem Tag beschäftigt schienen – zumindest war es das, was sie Miakis bei einem Besuch im Stall mitgeteilt hatten – beschloss die Ritterin, ihre Zeit mit Renea zu verbringen. Es war eine Mischung auf Pflichbewusstsein, da sie auch am Abend zuvor zusammen gewesen waren und dem Wunsch der Langeweile zu entgehen. Außerdem kannte Miakis noch die ein oder andere Geschichte über Sauronix, die Renea mit Sicherheit unbekannt war.

Diese hatte nichts dagegen einzuwenden und so liefen sie durch die Stadt, während die Ritterin ihr allerlei lustige Anekdoten erzählte, um ihr ein Lachen zu entlocken.

„... und dann hat das Drachenpferd mich in den Brunnen fallen lassen“, endete Miakis gerade eine ihrer Geschichten und stellte zufrieden fest, dass Renea leise lachte, also hatten ihre Erzählungen noch nichts von ihrem Charme verloren, obwohl sie nur noch selten dazu kam, sie zum Besten zu geben.

Doch lange an ihrem Erfolg laben konnte sie sich nicht, denn gerade als sie mit einer weiteren lustigen Erinnerung aufwarten wollte, bemerkte sie, wie jemand hektisch durch das Stadttor eilte, stutzte und dann direkt auf sie zuhielt. Sie wandte sich von Renea ab, um festzustellen, um wen es sich handelte und dann gleich zu überlegen, worum es sich handeln könnte – und stellte überrascht fest, dass es kein Botschafter der Königin war, sondern zwei Jungen, die da auf sie zueilten. Der eine trug violette Kleidung, die darauf schließen ließ, dass er ein Auszubildender der Drachenkavallerie war, während der blonde Junge bei ihm grüne Kleidung trug, die mehr an die der Stalljungen denken ließ. Miakis erkannte die beiden sofort, da sie gemeinsam in der Armee des Prinzen gegen die Godwins gekämpft hatten und lächelte daher zur Begrüßung. „Nick, Yoran, was führt euch denn nach Sauronix?“

Normalerweise verbrachten sie ihre Tage und ihre Ausbildung in Gordius, dem Trainingslager der Drachenkavallerie, woran sich etwas ändern würde, sobald Roog in Sauronix den Posten des Kommandanten der Sol-Falena-Drachenkavallerie einnahm, eine Position, die gerade von Königin Lymsleia für ihn vorbereitet wurde. Roog hatte den beiden bereits versprochen sie mit sich zu nehmen, sobald alles offiziell verkündet werden würde, was bedeutete, dass Nick dann ein voll ausgebildeter Kavallerist und Yoran ein Drachenpferdehüter sein würde.

Als sie vor ihr innehielten und aufgeregt wieder zu Atem zu kommen versuchte, merkte Miakis, dass sie nicht einfach nur zum Spaß in die Stadt gekommen waren. Das Gesicht von Nick war finster, während das von Yoran in heller Panik aufgelöst schien.

„Gordius wird von Monstern angegriffen!“, brachte der Auszubildende schließlich hervor.

„Von richtig großen!“, stimmte der Stalljunge zu. „Wir müssen unbedingt mit Kommandant Craig sprechen!“

„Und zwar sofort!“

Einen Wimpernschlag lang war es Miakis nicht möglich in einer wie auch immer gearteten Weise zu reagieren. Dumpf hörte sie diese Worte in ihrem Inneren widerhallen, während sie langsam realisierte, was das zu bedeuten hatte. Genau wie Sauronix war Gordius aufgrund der Anwesenheit der Drachenpferde – wenngleich sich im Trainingslager nur junge Arten befanden – normalerweise sicher vor jedem Monsterangriff. Dass sie nun darüber herfielen und das anscheinend in solchen Massen, dass die dort Anwesenden dem nicht mehr Herr wurden, ließ sie blass werden. Und es führte ihr vor Augen, dass etwas im Land ganz und gar nicht in Ordnung war.

All diese Gedanken fuhren ihr in diesem einen Wimpernschlag durch den Kopf, dann kehrte die normale Geschwindigkeit in ihr Denken und Handeln zurück. „Gut, dann werden wir ihm davon berichten.“

Sie wandte sich ihrer Begleiterin zu und salutierte gewohnheitsmäßig. „Verzeiht, Fräulein Renea, es scheint, dass ich mich um eine dringende Angelegenheit kümmern muss.“

Diese blinzelte perplex, offenbar war sie so in die Betrachtung dieser Szene vertieft gewesen, dass sie sogar vergessen hatte, dass sie eigentlich ein Teil davon war. Als es ihr wieder bewusst wurde, winkte sie hastig ab. „Oh, macht Euch um mich keine Gedanken, das hier ist jetzt wichtiger.“

Miakis nickte und bedeutete den beiden Jungen, mit ihr zu kommen, als sie loslief, um Craigs Büro aufzusuchen, in Gedanken bereits bei Gordius – und so bemerkte sie nicht, wie Renea sich ihnen einfach anschloss, um sich ebenfalls anzuhören, was dagegen nun unternommen werden sollte.

Kampf in Gordius

Am Tag zuvor war die Stimmung in der Kommandantur gelöst und heiter gewesen, an diesem Morgen war sie dafür gedrückt, geradezu düster. Rahal und Roog, die extra noch einmal von den Ställen zurückbeordert worden waren, trugen mit ihren finsteren Mienen dazu bei.

Es fiel den Anwesenden schwer, zu atmen oder klar zu denken. Jedem der Anwesenden, abgesehen von Renea, die direkt hinter Miakis in den Raum geschlüpft war, kam sofort wieder die Belagerung der Godwins in den Sinn. Die Sicherheit der Höhle, in der die Drachenpferde ihre Eier legten, war zwar inzwischen verstärkt worden, aber nur gegen die Einmischung von Menschen. Gordius war nicht auf Monsterangriffe vorbereitet. Es war gut möglich, dass die Konsequenzen noch schlimmer sein würden als während des Kriegs, je nachdem wie schlimm die Wesen wüten und wohin der Weg ihrer Verwüstung sie führen würde.

„Wir müssen unverzüglich handeln!“, entschied Craig, nachdem er schon viel zu lange geschwiegen hatte. „Rahal, Roog, ich möchte, dass ihr eure Mission, die ich euch zuvor gab, erst einmal hintenanstellt und euch mit allen verfügbaren Kavalleristen nach Gordius reitet, um die Monster zu vernichten.“

Die beiden salutierten sofort. „Jawohl!“

„Ich will auch mit!“, meldete Miakis sich, worauf sich die gesamte Aufmerksamkeit ihr zuwandte. „Ich weiß, Frauen dürfen eigentlich nicht nach Gordius, aber hier geht es immerhin um einen Notfall!“

Rahals Mundwinkel zuckten, als würde er am Liebsten direkt zustimmen, aber Craig kam ihm zuvor, ehe er eine unbedachte Äußerung machen konnte: „Ich schätze dein Engagement sehr, Miakis, aber du hast selbst erkannt, das Frauen nicht einmal in Notfällen hineindürfen.“

Die Ritterin schob schmollend die Unterlippe vor, Renea dagegen räusperte sich. „Ich könnte die Verwundeten verarzten, wenn ich hineindürfte, also-“

„Nein!“, unterbrach Craig sie entschieden. „Ich sagte doch eben, Frauen dürfen nicht hinein, unter gar keinen Umständen! Das ist Tradition!“

Er blickte die beiden Frauen ungewohnt finster an, was von beiden allerdings genauso erwidert wurde. Yoran schluckte leicht, als die Atmosphäre sich noch weiter verfinsterte, er wich ein wenig zurück, genau wie Nick, dem das alles nicht sonderlich geheuer war.

„Das ist total ungerecht!“, sagte Miakis. „In einem solchen Fall könntest du ruhig ein Auge zudrücken!“

„Das finde ich auch“, schloss Renea sich an. „Wir wollen ja nicht nur aus Spaß hinein, sondern um zu helfen!“

Sie beide schienen durchaus entschlossen, sich über jede Regel hinwegzusetzen und das spürte auch der Kommandant, der sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden konnte.

„Genug!“ Craig hob die Hand, um den Frauen Einhalt zu gebieten. „Ich sagte, ihr werdet nicht gehen und dabei bleibt es auch!“

Sein Blick ging ruckartig zu Rahal und Roog. „Ihr seid ja immer noch da! Worauf wartet ihr noch?!“

„Natürlich!“, riefen beide aus, salutierten noch einmal und verließen die Kommandantur gemeinsam mit Nick und Yoran, die sich ihnen hastig anschlossen.

Craig wandte sich wieder Miakis und Renea zu. „Und nur um sicherzugehen, werdet ihr hier warten, bis wir aus Gordius die Nachricht bekommen, dass alles unter Kontrolle ist.“

Die Ritterin schnaubte wütend. „Fein, wenn du darauf bestehst!“

„Ich beuge mich dem ebenfalls“, sagte Renea, „wenn auch nur unter Protest, Onkel Craig.“

Immer noch nicht sonderlich beruhigt, aber zumindest ein wenig versöhnt, machte er eine einladende Handbewegung zu den Sofas, die in der Kommandantur standen. „Dann setzt euch bitte. Es wird sicher unglücklicherweise eine Weile dauern.“
 

Rahal konnte sich nicht erinnern, Gordius jemals in einem solchen Zustand gesehen zu haben. Einige der ansonsten ziemlich widerstandsfähige Zelte waren niedergerissen worden, eines war sogar derart zerfetzt, dass es unmöglich zu retten war. Die Kavalleristen, die Lehrlinge und auch die Drachenpferde, die bereits in einem schlachtfähigen Alter waren, befanden sich in einem erbitterten Kampf mit gut einem Dutzend Wesen, denen Rahal noch nie gegenübergestanden war.

Später würde Craig ihn bitten, die Wesen zu beschreiben und der einzige Vergleich, der ihm einfallen wollte, war: Schwarzbären.

Angsteinflößende, riesige Schwarzbären, deren Fell mit Blut verklebt war und deren Klauen an die eines Drachenpferdes erinnerten, weswegen sie absolut deplatziert wirkten, als hätten die Wesen sie lediglich gestohlen und sich selbst übergestreift – eine Vorstellung, die ihm Schauer über den Rücken jagte.

Die Wesen gaben ein lautes, furchterregendes Brüllen von sich, wann immer sie angriffen oder selbst von einem der verzweifelt Kämpfenden getroffen wurden, aber trotz zahlreichen Verletzungen ließen die Monster nicht im Mindesten nach.

Immerhin stellte er aber erleichtert fest, dass es zwar verletzte Kavalleristen gab, aber noch keine Toten, zumindest konnte er im ersten Moment keine entdecken.

Viel mehr als der erste Eindruck blieb ihm auch nicht, denn Roog ließ sich nicht lange Zeit, um mit Lance in den Kampf zu ziehen. Die anderen Kavalleristen, die mit ihnen gekommen waren, folgten ihm sofort, während Rahal noch stehenblieb und sich Nick zuwandte. Flail schnaubte und bewegte sich unruhig, es war eindeutig, dass sie ebenfalls kämpfen wollte.

„Nick, Yoran, sorgt dafür, dass die Lehrlinge in Sicherheit gebracht werden, sie müssen auf jeden Fall aus Gordius raus!“

„Ja, Sir!“, sagten beide und preschten mit Ax davon, um sich den anderen Auszubildenden anzunehmen, was Rahal sofort beruhigte.

Als Flail bemerkte, dass seine Gedanken sich nun geklärt hatten, zögerte sie nicht länger, um sich selbst in den Kampf zu begeben. In einer fließenden Bewegung zog Rahal sein Schwert und wollte es in den Hals eines Monsters rammen, aber die Haut war derart widerstandsfähig, dass er mit der Klinge abrutschte und seine Waffe sogar beinahe verloren hätte. Flail hielt keine einzige Sekunde inne, so dass er um ein Haar selbst heruntergefallen wäre.

Was sind das nur für Wesen?

Immerhin erklärte dies, weswegen auch die voll ausgebildeten Kavalleristen bislang nicht in der Lage gewesen waren, die Wesen niederzuringen. Selbst Roog, der eigentlich derartige Herausforderungen liebte, sah ein wenig überfordert aus, nachdem er festgestellt hatte, wie schwer es war, diese Monster zu verletzen. Keiner seiner Schwerthiebe zeigte auch nur die geringste Auswirkung auf das Wesen vor ihm und selbst Lances Krallenhiebe brachten keinerlei nennenswertes Ergebnis.

Der Bär, den Rahal zuvor angegriffen hatte, versetzte Flail einen heftigen Hieb, der sie umwarf und ihren Reiter zu Boden fallen ließ. Ein scharfer Schmerz fuhr durch sein linkes Handgelenk, mit dem er sich abgefangen hatte, aber ihm blieb keine Zeit, sich darauf zu konzentrieren. Der Bär trat mit hoch erhobenen Klauen auf ihn zu und wollte diese auf ihn niedersausen lassen, da riss Rahal in einer Geste der Selbstverteidigung das Schwert hoch. Die Klinge glitt regelrecht und überraschenderweise durch die Brust des Monsters, das einen schmerzerfüllten Schrei von sich gab, ehe es zu Boden stürzte und dann leblos liegenblieb.

Er hätte am Liebsten zu lachen begonnen, als er glaubte, festgestellt zu haben, wie einfach es im Grunde war, die Wesen zu töten – doch da bewegte sich plötzlich etwas im Inneren des Körpers. Mit ungläubigem Erstaunen beobachtete er, wie sich der von seinem Schwert verursachte Riss zu weiten begann und im nächsten Moment kroch etwas heraus, das an einen viel zu groß geratenen Schmetterling erinnerte, der sich in seiner Hülle geirrt hatte.

Die dunklen Flügel erzeugten trübe Funken, sobald sie bewegt wurden, Rahals Instinkt riet ihm, sich besser davon fernzuhalten. Auch ohne zu wissen, was sie möglicherweise anrichten könnten, war er sich vollkommen bewusst, dass er lieber kein Risiko eingehen sollte.

Während das Wesen vor ihm die Flügel ausbreitete, um sich in die Luft zu erheben, bemerkte er, wie die anderen Bären ebenfalls stürzten und auch aus diesen solche Schmetterlinge hervorbrachen, als wären sie miteinander verbunden und würden all ihre Aktionen koordinieren.

„Was ist das nur?!“, hörte er die zornige und gleichsam furchtsame Stimme eines Kavalleristen.

Er konnte das gut nachvollziehen, mit dieser Metamorphose entfernten sich die Monster immerhin noch weiter von dem, was sie im Allgemeinen kannten oder bekämpften.

„Das ist auch mit der ersten Angriffswelle passiert“, berichtete einer der Kavalleristen, der in Gordius stationiert war und in Rahals Nähe stand. „Zuerst waren es keine Bären...“

In diesem Fall wollte er gar nicht erst wissen, was sie zuvor gewesen waren. „Was immer sie jetzt sind, wir besiegen sie!“

Es gab immerhin keinen Feind, den man nicht besiegen konnte, das war nur logisch: Was lebt, kann getötet werden. Und in dieser neuen Form wirkten sie wesentlich anfälliger für Angriffe jeder Art.

Seine neue gefundene Entschlossenheit übertrug sich auf die anderen Kavalleristen und von diesen auch auf die Drachenpferde. Jeder von ihnen vergaß seine Verletzungen und stürzte sich in den nächsten Kampf. Zu Rahals Erleichterung waren diese Wesen um einiges weniger wehrhaft. Sie versuchten, sich mittels ihrer Flügel außerhalb der Reichweite zu begeben, aber die meisten von ihnen waren noch zu schwerfällig oder wurden von den springenden Drachenpferden wieder heruntergeholt und dann mit einem einfachen Schwerthieb der Kavalleristen in zwei Teilen gespalten. Diese fielen dann gar nicht erst zu Boden, sondern lösten sich direkt auf als hätten sie nie existiert.

Keiner von ihnen, soweit Rahal sehen konnte, war in Kontakt mit den Funken gekommen, weswegen er zumindest im Moment noch nicht sagen konnte, was es damit auf sich hatte. Und wenn es nach ihm ginge, wollte er das lieber auch gar nicht herausfinden.

„Seht nach den Verletzten!“, wies er die Anwesenden mit fester Stimme an. „Schwerverletzte müssen für den Abtransport nach Sauronix vorbereitet werden! Achtet außerdem auf weitere Monster!“

Die Kavalleristen salutierten und stürmten eilig davon.

Roog trottete zu Rahal zurück und deutete auf dessen linke Hand. „Mag keine schwere Verletzung sein, solltest du dir aber auch mal untersuchen lassen, wenn wir wieder zurück sind.“

Er hatte schon gar nicht mehr daran gedacht, aber als Roog es erwähnte, spürte auch Rahal den Schmerz wieder in seiner Hand und bei genauerem Hinsehen bemerkte er auch, dass sein Unterarm blutete. „Ja, du hast recht. Aber vorher sollten wir uns umsehen.“

Roog verstand offenbar genau, was er meinte, denn er trat mit Rahal an einen der Bärenkörper, die im Gegensatz zu den Schmetterlingen nicht verschwunden waren. Ein genauerer Blick offenbarte den beiden, dass die Pelze beinahe leer waren. Abgesehen von dem Knochengerüst, das die Körper wohl hatte stützen sollen, gab es nichts mehr, auch keine Organe.

„Wie konnten die sich überhaupt bewegen?“, fragte Roog.

„Das hängt vielleicht mit diesen seltsamen Schmetterlingen zusammen.“

„Zu schade, dass wir keinen von denen mitnehmen konnten.“

Ein solches Ansichtsexemplar wäre tatsächlich interessant gewesen, nicht nur für den Kommandanten, aber zumindest im Moment sah es nicht so aus als würde es sich ändern lassen.

Als sie ihren Weg fortsetzten, kamen sie an den schleimigen Überresten eines Wurms vorbei, der genau wie die Bärenkörper aufgebrochen waren.

„Das muss die erste Angriffswelle gewesen sein“, bemerkte Roog. „Kaum zu glauben, dass diese glitschigen Dinger so einen Ärger verursachen konnten, aber ich hab' gehört, dass sie Säure spucken konnten.“

„Wir sollten sowohl diese als auch die Bärenhülle mitnehmen“, schlug Rahal vor, während er versuchte, nicht zu schaudern.

Roog nickte zustimmend und gab diese Anweisung direkt an einen der Kavalleristen weiter, ehe sie beide ihren Weg fortsetzten.

Es schien keine Schwerverletzten zu geben, wie Rahal erleichtert feststellte, aber einige der Verletzten mussten dennoch nach Sauronix, so wie er es sah. Wenn Roog richtig gehört hatte, mussten es Säureverletzungen sein, unter denen einige von ihnen zu leiden hatten.

Aber während sie zur Klippe liefen, um nachzusehen, ob in der Drachenpferdhöhle alles in Ordnung war, sahen sie immer weniger Verletzte, dafür mehr Lehrlinge, die sich aufgeregt mit ihren Freunden über das Erlebte unterhielten.

„Es ist ungewöhnlich“, kommentierte Roog. „Erst gibt es mehr Monster in der Gegend, dann greifen sie sogar Gordius an – und zuguterletzt sind es auch noch Wesen, die noch nie irgendjemand gesehen hat und sich auch noch schälen, um neue Monster zu zeigen.“

„Ja, das ist sehr besorgniserregend“, stimmte Rahal zu. „Wir sollten unsere Augen offenhalten und hoffen, dass es nicht noch mehr derartiger Ungetüme geben wird.“

„Immerhin war es mal eine interessante Abwechslung.“ Roog lachte, wurde aber sofort wieder ernst, als er einen Seitenblick von Rahal bekam, der ihn ermahnen sollte, die Ernsthaftigkeit der Situation nicht aus den Augen zu verlieren.

An den hölzernen Stufen angekommen, die zur Höhle hinabführten, wurden sie bereits von Nick und Yoran erwartet. Beide lächelten bereits wieder, was verriet, dass hier alles unter Kontrolle war.

„Sir Rahal, Sir Roog!“, rief Nick sofort aus. „In der Höhle ist alles in Ordnung, den Drachenpferden geht es gut und den Lehrlingen auch.“

Die beiden Erwachsenen wollten gerade bemerken, wie gut das war, als Yoran bereits einen Einspruch wagte: „Nun, nicht ganz. Einer der Lehrlinge fehlt. Aber es ist gut möglich, dass er sich im Gebüsch versteckt hat. Wir werden ihn noch suchen.“

„Macht das bitte“, sagte Rahal. „Wir müssen nach Sauronix zurückgehen und Kommandant Craig Bericht erstatten, sobald wir sichergestellt haben, dass hier alles wieder in Ordnung ist.“

„Vielen Dank für Eure Hilfe“, sagte Yoran. „Ohne die anderen Kavalleristen hätte das übel enden können. Ich habe gehört, die Monster haben nicht nur mit Säure gespuckt, sondern sich auch in andere Wesen verwandelt.“

„Das ist richtig“, sagte Roog.

„Aber ich habe den Verdacht, dass es eine noch nicht sehr weit entwickelte Form war“, fügte Rahal nachdenklich an. „Dafür waren sie viel zu einfach besiegt im Endeffekt.“

„Du meinst, sie werden noch stärker werden?“

Nick und Yoran wirkten sichtlich erschrocken über diese Nachricht, während Roog die Stirn runzelte.

„Das befürchte ich, ja. Sofern wir nicht alle von ihnen getötet haben, ist es möglich, dass sich kommende Generationen besser zur Wehr setzen können.“

Auch wenn Rahal das nicht hoffen wollte, aber es war besser, darauf vorbereitet zu sein als sich zu naiv zu geben. „Wir sollten in den nächsten Tagen und Wochen nach den Nestern Ausschau halten.“

Ihm blieb nur zu hoffen, dass Craig derselben Ansicht war, aber daran zweifelte er nicht wirklich.

Sie verabschiedeten sich von Nick und Yoran, die beide deutlich besorgt schienen und kehrten wieder zum Zeltplatz von Gordius zurück.

Nach der ersten Versorgung der Verletzten, von denen einige inzwischen offenbar bereits nach Sauronix aufgebrochen waren, waren die Anwesenden damit beschäftigt, die Trümmer der zerstörten Zelte wegzuräumen, um diese schließlich wieder aufzurichten, sofern das noch möglich war. Bei mindestens einem war es ganz sicher nicht mehr machbar.

Einer der Kavalleristen salutierte, als er sie beide sah. „Sir! Wir haben festgestellt, dass ein Lehrling und einer der für sie Verantwortlichen nicht auffindbar sind“

Rahal zog die Brauen zusammen und wiederholte Yorans Verdacht, dass sie sich nur im Gebüsch versteckt hatten, von dem es zwischen Gordius und den Klippen einiges gab. „Mit Sicherheit werden sie bald gefunden werden.“

Der Kavallerist salutierte erneut.

Die Arbeitenden – es waren ein halbes Dutzend – waren gerade dabei, eines der gestürzten Zelte wieder aufzurichten, als einer von ihnen wie elektrisiert zurückwich. „Da hat sich was bewegt!“

Roog wurde sofort aufmerksam und ging zu ihnen hinüber. „Vielleicht befindet sich einer der Gesuchten dort unten!“

Ohne weitere Umschweife machte er sich daran, den Arbeitenden zu helfen, die schwere Zeltplane anzuheben. Rahal wollte sich dem gerade anschließen, als er etwas anderes bemerkte und innehielt. Ein schwarzer Fühler, der von dunklen Funken umgeben war, lugte unter der leicht angehobenen Plane hervor und fixierte den am nächsten stehende Kavallerist.

„Vorsicht!“, rief er – und im selben Moment bemerkten auch die anderen, was sich dort wirklich bewegte.

Zeitgleich ließen sie die Plane wieder fallen und wichen zurück, doch gerade als sie ihre Schwerter ziehen wollten, kam Rahal eine Idee: „Nein, tötet es nicht! Wenn wir es schaffen, es in diese Plane einzuwickeln, können wir es mit nach Sauronix nehmen!“

Die anderen warfen ihm Blicke zu, die ihm sagten, für wie wahnsinnig sie ihn hielten. Unter normalen Umständen wäre er auch absolut dagegen gewesen, aber da sich diese Wesen auflösten, wenn man sie tötete, musste man sie lebend mitnehmen, sofern man sie untersuchen wollte.

Da er bereits nach einem dicken Seil griff, um damit das gefangene Monster zu verschnüren, bemerkten sie, dass er es ernst meinte, weswegen sie zu Roog sahen, in der Hoffnung, dass dieser eine andere Anweisung geben würde. Doch er hatte bereits seine Schwertgriffe wieder losgelassen und trat tatsächlich wieder auf die Plane zu, unter der das Monster wild zu zucken begonnen hatte.

Das ließ die anderen seufzend nachgeben und ihm bei dem Versuch helfen, die Plane anzuheben. Kaum schwebte diese nur noch wenige Zentimeter über dem Boden, versuchte der Schmetterling einen verzweifelten Ausbruchsversuch. Er erhob sich in die Luft, schlug mit den Flügeln und versuchte, eine Lücke zu nutzen, doch Roog kam ihm zuvor, indem er die Plane derart faltete, dass das Wesen gezwungen war, sich einen anderen Weg zu suchen. Aber die anderen Kavalleristen folgten Roogs Beispiel und so fand sich der Schmetterling bald eingewickelt in der Stoffbahn wieder, den Rahal eilig mit dem Seil zusammenband. Dabei gab das Etwas ein demonstrierendes Kreischen von sich, das von allen ignoriert wurde – wenngleich nicht, weil es ohnehin nur ein Wesen war, für das niemand Mitleid empfand, sondern wegen dem, was sich noch unter dieser Plane befunden hatte.

Rahal stellte sicher, dass die Fesseln halten würden, ehe er sich aufrichtete, um sich zu den anderen zu stellen, die allesamt schweigend auf den Boden blickten.

Sein Mund wurde schlagartig trocken. Dort vor ihnen lagen der reglose Körper eines Kavalleristen, der versucht haben mochte, einen Lehrling zu schützen – und doch gescheitert war. Sie sahen unverletzt aus, wenn man von dem Blut absah, das ihnen aus den geschlossenen Augen, der Nase und dem Mund lief.

„Was ist hier passiert?“, fragte Roog mit vor Wut zitternder Stimme.

Die anderen Kavalleristen sagten nichts, einer von ihnen schluchzte leise und wandte den Blick ab, ein anderer hielt sich die Hand vor den Mund.

Rahal blickte wieder auf das zusammengeschnürte Bündel hinab, das immer noch ein wenig zuckte, wenngleich wesentlich weniger enthusiastisch als noch zuvor, so als hätte der Schmetterling eingesehen, dass es ohnehin sinnlos war. Das Verlangen, sein Schwert zu ziehen und diesem Ungetüm selbst den Garaus zu machen, wurde übermächtig, aber er schaffte es, diesen Drang niederzukämpfen. Nun war es umso wichtiger, herauszufinden, womit sie es zu tun hatten, damit sich so etwas nicht noch einmal wiederholen könnte.

„Lass uns gehen, Roog“, sagte er leise. „Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun.“

Mit wütenden Schritten ging sein Freund voran, um zu Lance zu kommen, er bedachte das Bündel nicht einmal mit einem Blick, sicherlich weil er genau wusste, dass er sich nicht hätte zurückhalten können.

Rahal sah noch einmal auf die beiden Toten hinab und gab den Befehl, sie ebenfalls nach Sauronix bringen zu lassen.

Euer Tod soll nicht umsonst gewesen sein... Wir werden herausfinden, womit wir es zu tun haben und dann werden wir alle derartigen Wesen ausrotten. Das schwöre ich!

Nach diesem innerlichen Schwur fuhr er herum und hob das Bündel hoch, ehe er sich zu Flail begab – mit der Erkenntnis, dass man den Ausgang einer Schlacht eben doch erst bewerten konnte, sobald man man sich über alle Verluste im Klaren war.

Zukunftspläne

Lymsleia ahnte nichts von den ungewöhnlichen Monstern, die einen Teil ihres Volkes heimsuchten, als sie an diesem Abend wieder zu Faramond ging. Ihr war bewusst, dass Miakis das nicht gern sehen würde, immerhin hielt sie nicht sonderlich viel von dem Reisenden und misstraute ihm vor allem. Das konnte Lymsleia zwar durchaus nachvollziehen, wenn sie es aus der Sicht ihrer Leibwächterin betrachtete, aber sie selbst glaubte nicht, dass Faramond irgendeine Art von Gefahr für sie darstellte. Dafür wirkte er zu harmlos, fast sogar schon ein wenig naiv, wie sie fand, die einzige von ihm ausgehende Bedrohung war wohl die Tatsache, dass er zu viel aß. Dieser Gedanke wurde von einem Lächeln begleitet, das im direkten Gegensatz zu Roans säuerlicher Miene stand. Wieder einmal trug er ein Tablett mit dem Essen für den Gast und Lymsleia wusste genau, dass er daran dachte, dass er kein Kammerdiener, sondern ein Ritter der Königin war, aber sie wies ihn nicht zurecht, immerhin schimpfte er diesmal still vor sich hin.

Als Lymsleia an diesem Abend klopfte und eintrat, begrüßte Faramond sie mit einer leichten Verbeugung und den Worten „Guten Abend, Eure Majestät“, worauf sie ihm zufrieden zunickte, immerhin lernte er und verbesserte seine Manieren, also war noch nicht alle Hoffnung bei ihm verloren.

Roan stellte wieder das Tablett auf dem Tisch ab und ging hinaus, um sich vor die leicht geöffnete Tür zu stellen, so wie auch am Abend zuvor.

Lymsleia setzte sich wie selbstverständlich auf das Bett und blickte Faramond erwartungsvoll an, doch dieser hatte sich wieder dem Fenster zugewandt und beachtete sie in diesem Moment nicht. Eingeschnappt pumpte sie Luft in ihre Backen und vergaß für den Augenblick, dass sie eine Königin und kein kleines Kind mehr war. Das fiel ihr allerdings sofort wieder ein und so setzte sie den autoritärsten Tonfall auf, den sie beherrschte: „Die Königin dieses Landes ist in deinem Zimmer, um mit dir zu reden, Faramond! Du könntest ihr ruhig ein wenig Respekt erweisen.“

Das wirkte sofort. Er fuhr herum, einen entschuldigenden Ausdruck auf dem Gesicht, was ihr verriet, dass dies tatsächlich der Ton war, den man anschlagen musste, wenn man etwas von ihm wollte – und es sagte ihr auch, dass er vermutlich eine entsprechende Erziehung genossen hat. Das brachte sie auf die Frage, was er wohl in Zexen gemacht hatte, ehe er zu einer Reise aufgebrochen war.

„Verzeiht mir, Majestät. Meine Aufmerksamkeit wurde von diesem Tier in Beschlag genommen, das ich gesehen habe.“

Diese Aussage weckte ihre Neugier und ließ sie wieder aufstehen und selbst ans Fenster treten, um hinauszusehen. Kaum hatte sie entdeckt, wovon er sprach, war sie selbst verwundert, warum ihr das nicht selbst eingefallen war. Es gab in Falena nur eine einzige Tierart, die derart außergewöhnlich war, dass jemand sogar eine Königin dafür ignorieren würde. Allerdings überraschte es sie doch, ein Drachenpferd und dessen Reiter in Sol-Falena zu sehen.

„Was ist das?“, fragte Faramond, mit vor Aufregung zitternder Stimme.

Lymsleia war davon überzeugt, dass er unter anderen Umständen sofort hingestürmt wäre – und sich eine Hand hätte abbeißen lassen. Manche Drachenpferde waren immerhin nicht unbedingt umgänglich, solange es sich nicht um ihre Reiter handelte.

„Das sind Reittiere, die nur in Falena heimisch sind“, erklärte sie. „Man nennt sie Drachenpferde und sie werden von der Drachenkavallerie in Sauronix genutzt. Sie können an Land schnell laufen und sie können schwimmen, also perfekt für jede Schlacht.“

Ihr Blick verfinsterte sich wieder, als sie an die Zeit des Kriegs zurückdachte und daran, wie man ihr von den Schlachten berichtet hatte, in denen besonders gegen Ende die Drachenkavallerie eine wichtige Rolle eingenommen hatte. Sie war stolz darauf, dass ihr Land eine solch wundersame Rasse beherbergte, aber gleichzeitig betrübte es sie, dass man ihre Qualitäten anhand ihrer Kampffertigkeiten einordnete.

Dementsprechend freute sie sich über Faramonds Reaktion, denn sein begeisterter Blick verriet ihr, dass es ihm um etwas ganz anderes ging.

„Wow!“, entfuhr es ihm. „Ich habe noch nie so etwas Großartiges gesehen! Es ist ein Pferd und gleichzeitig ein Drache! Das ist umwerfend!“

Eigentlich war sie ebenso begeistert, wenn es um die Drachenpferde ging, aber sie bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen, um sich ein wenig von ihm abzuheben, wie es sich für eine Königin gehörte. „Nun, ich nehme an, dass sie wirklich sehr beeindruckend sind für Leute wie dich.“

Er bemerkte den Seitenhieb nicht einmal und fragte lieber weiter: „Gibt es hier in Sol-Falena viele davon? Ich sehe es heute zum ersten Mal.“

„Normalerweise sind sie alle in Sauronix“, erwiderte Lymsleia, „in der dortigen Burg ist immerhin das Hauptquartier der Kavallerie.“

Auf ihre Worte wirkte er tatsächlich enttäuscht, weswegen sie ihn sofort aufmuntern wollte: „Aber Kommandant Craig Laden und ich stehen seit einiger Zeit in Briefkontakt miteinander.“

Da keiner von ihnen für längere Zeit ihren Posten verlassen konnten, war es am einfachsten, mittels Briefen miteinander zu kommunizieren und die Konversationen der beiden war äußerst ertragreich, wie sie fand.

„Wir haben beschlossen, auch hier in Sol-Falena einen Stützpunkt der Drachenkavallerie einzurichten, um die Hauptstadt besser zu verteidigen. Das wird sich alles noch ein wenig hinziehen, aber wir werden es umsetzen.“

Sofort begannen Faramonds Augen wieder zu glitzern. „Dann werden hier viele Drachenpferde sein?“

Lymsleia nickte zustimmend und fragte sich zwei Dinge: Würde sie Faramond so lange hierbehalten, bis die Pläne umgesetzt waren? Und plante er das vielleicht sogar ein?

„He...“, sagte sie nachdenklich. „Musst du nicht irgendwann wieder zurück nach Hause? Wartet denn niemand auf dich? Vielleicht dein Beruf?“

Wieder fiel ihr auf, dass sie gar nichts über ihn wusste und auch, wenn sie sich nicht wirklich für seinen persönlichen Hintergrund interessierte, so war sie doch gespannt, was jemand wie er wohl zu Hause getan hatte. Doch ihm schien das nicht wirklich zuzusagen. Er verlagerte das Gewicht immer wieder von dem einen auf das andere Bein und blickte gedankenverloren an die Decke. „Oh, nein. Auf mich wartet sicherlich niemand und ich hatte auch keinerlei weitere Ambitionen in meiner Heimat, deswegen habe ich mich ja auf eine Reise gemacht.“

„Aber du hast doch sicher irgendwann einmal überlegt, was du nach der Reise tun willst“, beharrte Lymsleia, die sich nicht vorstellen konnte, dass jemand so wenig über seine Zukunft nachdachte.

Doch er schüttelte mit dem Kopf. „Nicht wirklich. Ich dachte mir, da ergibt sich schon was, während ich unterwegs bin. Mein Ausbilder meinte immer, ich wäre ein Überlebenskünstler und würde schon was finden, das mir liegt.“

Sie horchte auf. „Dein Ausbilder? Was hast du denn gelernt?“

Es schien ihm nicht zu behagen, ihr darauf zu antworten und als er das endlich tat, wusste sie sogar, warum das so war: „Ich wurde zu einem Ritter von Zexen ausgebildet.“

Das erklärte ihr immerhin, weswegen er auf einen autoritären Ton ansprang, mit Sicherheit war ihm das während seiner Ausbildung eingebläut worden. Aber dennoch überraschte sie das. „Das hätte ich nicht gedacht. Du bist ein Ritter?“

„Nicht direkt“, wich er aus. „Ich hab die Ausbildung immerhin nie beendet... und ich hatte auch nicht vor, das jemals nachzuholen. Stattdessen habe ich mich auf diese Reise gemacht.“

Es war deutlich, dass er das Thema wechseln wollte, aber Lymsleia ließ das nicht zu. „Du hast die Ausbildung noch nicht beendet? Aber du bist doch schon so... alt.“

Er stieß ein unwilliges Seufzen aus. „Manchmal könnt Ihr ziemlich fies sein, Eure Majestät.“

Sie spürte, dass sie ein wenig zu weit gegangen war und ihn dieses Thema offenbar belastete. Allerdings glaubte sie, dass es nicht nur daran lag, dass er nicht stolz auf seine Vergangenheit war, sondern dass er so ziellos war. Sie war davon überzeugt, dass es ihm besser gehen könnte, wenn er sich eine Zukunftsperspektive suchen würde, dazu müsste sie ihn vielleicht noch bringen... wenn sie einmal gut gelaunt war. Vorher gab es aber noch ein anderes Thema, das ihr in diesem Moment einfiel: „Du solltest essen, sonst wird es kalt. Und danach erzählst du mir noch ein wenig von den Orten, an denen du warst.“

Faramond wirkte sofort erleichtert, als er sich verneigte und zum Tisch hinüberging, während Lymsleia sich wieder auf das Bett setzte und darauf wartete, dass er fertig wurde. Dabei formte sich eine Überlegung in ihr, die sie mit ihrem Bruder besprechen müsste, wenn sie dazu kam und es nicht vergaß – auch wenn sie sich noch nicht wirklich sicher war, ob sie damit irgendjemandem außer Faramond einen Gefallen erweisen würde.
 

Die Atmosphäre in der Kommandantur war äußerst angespannt. Sowohl Rahal als auch Roog waren beide erleichtert, dass sie nicht der Grund dafür waren, aber gleichzeitig waren sie bedrückt, weil sie wussten, was Craig Ladens Gesicht so verfinsterte wie in diesem Moment.

Es war nur wenige Stunden her, weswegen die Erinnerungen noch viel zu frisch waren. Noch immer sah Rahal die um ihr Leben kämpfenden Kavalleristen vor sich, die Monster, die wie Raupen ihre alten Hüllen ablegten, um zu etwas neuem zu werden und vor allem sah er die beiden Leichen noch immer vor seinem inneren Auge, als wollte sein Gewissen ihn anklagen, dass er zu spät gekommen war. Natürlich wusste er, dass ihn keine Schuld traf und er sein Bestes getan hatte, um weitere Opfer zu verhindern, aber dennoch nagte es auf unangenehme Weise an ihm.

„Ich danke euch beiden, dass ihr geholfen habt, das Schlimmste in Gordius zu verhindern“, sagte Craig schließlich und durchbrach damit die Stille.

Unwillkürlich salutierten die beiden Kavalleristen zum wiederholten Male, seit sie in der Kommandantur standen und zeigten damit, dass sie beide in Gedanken versunken gewesen waren – und Rahal war überzeugt, dass Roog über dasselbe nachdachte wie er.

„Das Wesen wird gerade untersucht“, fuhr Craig fort. „Ich hoffe, wir werden anhand dieses Exemplars etwas über sie lernen können.“

Den Feind zu kennen war der Schlüssel für den erfolgreichen Kampf, das wusste jeder Kavallerist. Dass dieser Überfall so glimpflich abgelaufen war, verdankten sie auch nur einer glücklichen Fügung, in Verbindung mit dem Geschick der Kämpfer. Rahal hoffte wirklich, dass sie neue Erkenntnisse sammeln könnten, die ihnen helfen würden.

„Gibt es sonst noch etwas?“, fragte Rahal, in der geringen Hoffnung, sich zurückziehen und erst einmal ein Bad nehmen zu können.

Craigs Miene hellte sich auf, was bedeuten musste, dass es wirklich etwas gab, über das er noch sprechen wollte und ein wesentlich besseres Thema war. „Es gibt tatsächlich noch etwas. Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass ihr beide bereits von der geplanten Drachenbrigade in Sol-Falena wisst.“

Rahal und Roog warfen sich einen kurzen Blick zu. Miakis hatte ihnen, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, erzählt, dass die Königin und Craig Laden in Briefkontakt standen und derartige Pläne schmiedeten – und auch, dass Roog als zukünftiger Kommandant der Brigade in Gespräch war. Das Siegel der Verschwiegenheit hatte diesen allerdings nicht davon abgehalten, Nick davon zu erzählen, weil er ihn mit nach Sol-Falena nehmen wollte und so war es vermutlich über Umwege an Craig geraten. Doch zum Glück der beiden Kavalleristen schien er eher amüsiert als verärgert, dass seine Pläne nicht mehr sonderlich geheim waren.

„Das ist in Ordnung“, versicherte er ihnen. „Ich wollte hiermit nur offiziell sicherstellen, dass du mit dem Vorschlag, dich als Kommandant einzusetzen, konform gehst, Roog.“

„Ich brenne schon auf diesen Posten“, antwortete der Gefragte lachend.

Sein Enthusiasmus schaffte es nicht nur, die düstere Atmosphäre weiter zu vertreiben, sondern auch die anderen beiden Anwesenden zum Lächeln zu bringen. Das funktionierte bei ihm stets und das war wohl einer der Gründe, weswegen besonders die Lehrlinge ihn so sehr mochten.

„Gut, damit wäre das geklärt.“ Craigs Gesicht wurde wieder ein wenig ernster, in einer nachdenklichen Geste legte er die Hände hinter seinem Rücken zusammen und senkte den Blick ein wenig. „Seit dem Krieg hatte ich viel Gelegenheit zum Nachdenken.“

Rahal überkam sofort das Gefühl, dass der Kommandant ihnen seinen Rücktritt verkünden wollte, weswegen er sich automatisch anspannte, um diesem Vorschlag zu widersprechen, obwohl er wusste, dass ihm das nicht zustand. Craig Laden handelte nicht überstürzt und schon gar nicht vollkommen gedankenlos. Wenn er sich wirklich mit dem Gedanken beschäftigte, zurückzutreten, geschah das vielleicht aus gutem Grund heraus. Statt also etwas zu sagen, wartete Rahal darauf, dass Craig fortfuhr.

„Der Krieg hat mir bewusst gemacht, dass ich viele Fehlentscheidungen getroffen habe, die unverzeihlich und nicht wiedergutzumachen sind.“

Rahal war sich da gar nicht so sicher. Er hätte einiges anders entschieden, aber er fand nicht, dass es unverzeihliche Fehler waren. Menschen täuschten sich nun einmal, manche mehr, manche weniger und von Craigs Standpunkt aus, musste er zu jenem Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen getroffen haben, auch wenn sie sich im Nachhinein als Fehler herausgestellt hatten.

„Durch diese Ereignisse habe ich das Vertrauen in meine eigenen Entscheidungen verloren“, fuhr er bedrückt fort. „Und ihr wisst beide ebenfalls, dass das keine gute Voraussetzung ist, um weiterhin Kommandant zu bleiben. Ich glaube nicht, dass ich mich noch für diesen Posten eigne und werde deswegen zurücktreten.“

„Aber Sir Craig“, warf Roog überrascht ein, „was wird denn dann aus der Kavallerie?“

Sie konnten kaum die gesamte Einheit nach Sol-Falena umsiedeln, das dachte auch Rahal und nachdem, was Miakis erzählt hatte, war das auch gar nicht geplant. Also musste der Kommandant sich auch Gedanken um einen Nachfolger machen.

Craig hob den Blick wieder, um Rahal direkt anzusehen. „Ich möchte, dass du meine Nachfolge antrittst. Du warst immer so etwas wie meine rechte Hand und ich habe deinen Rat stets geschätzt. Ich bin sicher, dass du die Drachenkavallerie in eine neue und bessere Zeit führen wirst.“

Der bescheidene Widerspruch lag Rahal bereits auf der Zunge, aber so ganz gelang es ihm nicht, diesen auszusprechen. Zu groß war die Ehre und auch die Überraschung, da er nicht geglaubt hatte, derart früh mit einer solchen Aussage konfrontiert zu werden. Er war im Moment nicht einmal sicher, was er darauf überhaupt antworten sollte.

Doch Roog erlöste ihn aus der schweigsamen Starre, indem er ihm lachend auf die Schulter klopfte. „Was gibt es da noch zu überlegen? Ein solches Angebot bekommt man nicht alle Tage.“

Statt zu nicken und einfach zuzustimmen, salutierte Rahal. „Ich fühle mich geehrt, Kommandant. Aber ich fürchte, ich kann Euch noch keine feste Antwort geben, ich benötige noch etwas Bedenkzeit.“

Für Roog mochte es vielleicht nicht viel zu überlegen geben, für Rahal, den das alles sehr plötzlich traf, aber durchaus. Er wollte keine überstürzte Entscheidung treffen, sondern vorher abwägen, ob er sich wirklich bereit dafür fühlte.

Roog schien ein wenig enttäuscht, aber nicht sonderlich überrascht, während Craig offenbar bereits mit einer solchen Antwort gerechnet hatte. Er senkte wieder den Blick, diesmal lächelte er allerdings. „Ich werde meinen Rücktritt bekanntgeben, sobald die Drachenbrigade in Sol-Falena etabliert ist. Bis dahin werdet ihr beide eure jetzigen Posten beibehalten. Es wäre vorteilhaft, wenn du dir in diesem Zeitraum noch Gedanken dazu machst.“

Rahal und Roog salutierten gehorsam und verließen nach Craigs Aufforderung die Kommandantur. Vor der Tür blieben beide noch einmal stehen und atmeten tief durch – ehe Roog die Gelegenheit nutzte, erneut Rahal auf die Schulter zu klopfen. „Was sagt man dazu? Wir werden beide Kommandanten! Damit hast du sicher nicht gerechnet, was?“

Für ihn war es also offenbar bereits beschlossene Sache, dass sein Freund das Angebot nach gründlichem Überlegen annehmen würde.

„Es kommt ziemlich überraschend“, bestätigte Rahal, der genau aus diesem Grund noch keine Entscheidung getroffen hatte. „Ich dachte nicht, dass Kommandant Craig sich so schnell zurückziehen würde.“

„Aber umso besser für dich, was?“

Roog sah Rahal prüfend an, ohne dass dieser den Blick erwiderte. So ganz hatte er noch nicht begriffen, was ihm da eben angeboten worden war. Es war noch nicht wirklich fassbar und der Zeitpunkt, bis es wichtig werden würde, schien ihm noch weit entfernt, auch wenn ihm bewusst war, dass er bald darüber nachdenken und es sich wirklich vorstellen musste.

„Wir sollten das feiern“, beschloss Roog, nachdem Rahal jede Reaktion schuldig geblieben war.

„Bist du sicher, dass das nach dem heutigen Tag eine gute Idee ist?“

Der fast verdrängte Kampf in Gordius kam ihm wieder in den Sinn, gemeinsam mit dem Gedanken, dass gerade irgendwo in Schloss Sauronix dieses Wesen untersucht wurde und das versetzte ihn nicht gerade in Feierstimmung. Doch Roog ließ sich davon nicht abbringen. „Gerade deswegen. Wir haben getan, was wir konnten und viele Leben gerettet. Schon allein deswegen haben wir es verdient, zu feiern. Außerdem weißt du selbst, dass wir so am ehesten verarbeiten, was wir gesehen haben. Oder willst du heute Nacht schlaflos im Bett liegen?“

„Das ist ein Argument“, sagte Rahal schmunzelnd. „Gut, gehen wir feiern. Aber übertreib es nicht. Auch wenn wir Frieden haben, sollten wir an uns halten.“

„Wofür hältst du mich?“, fragte Roog lachend, als er gemeinsam mit ihm losging.

Doch noch auf dem Weg zum Gasthaus wurde Rahal etwas anderes bewusst, das einen deutlichen Nachteil ihrer beider Beförderung bedeutete: Sobald Roog in Sol-Falena war, würden sie nicht mehr so einfach miteinander trinken gehen können. Ein betrüblicher Gedanke, nachdem es nun so lange nichts gegeben hatte, das sie davon abhielt.

Roog war entweder noch nicht darauf gekommen oder aber er ignorierte diesen Fakt erst einmal bewusst und deswegen nahm Rahal sich vor, das erst einmal ebenfalls zu tun. Vorerst würde immerhin alles normal bleiben und diese Zeit sollte er sich nicht mit düsteren Überlegungen noch schwerer machen. Also schob er diese Gedanken erst einmal von sich fort, um den Tag unbekümmert ausklingen zu lassen.

Im Tiefen Zwielichtwald

Nicht weit entfernt von Sauronix und Gordius, im Tiefen Zwielichtwald, bekamen Rina und Landis nichts von den Ereignissen im Ausbildungslager der Drachenkavallerie oder deren Hauptquartier mit. Nicht zuletzt deswegen, weil sie sich beide in diesem Wald verlaufen hatten. Seit Stunden liefen sie bereits durch die Gegend, ohne zu wissen, wo sie gerade genau waren oder wie sie wieder nach draußen kommen würden. Die mit Pflanzen überwucherten Ruinen, sowie die verwachsenen Straßen, die einst gepflastert gewesen waren, boten keinen sonderlich guten Anhaltspunkt und schienen auch in keine Richtung, außer im Kreis herum, zu führen. Abzweigungen waren durch das Gestrüpp schwer zu entdecken und dann auch nur äußerst unbequem zu betreten, weswegen Landis sich nicht so sicher war, ob sie sich überhaupt auf einem Weg befanden, der irgendwo hinführte.

„Ich habe dir gesagt, du sollst eine Karte mitnehmen“, murrte Rina mit gedämpfter Stimme.

Sie versuchte, leise zu sprechen, um eventuelle Wachposten nicht auf sich aufmerksam zu machen, obwohl es besser gewesen wäre, ganz zu schweigen. Aber wenn die beiden sich streiten mussten, gab es keinen Weg darum herum.

„Und ich habe dir gesagt, dass es keine Karte von diesem Ort gibt“, erwiderte er flüsternd, mit deutlich hörbarer Frustration. „Wo soll ich denn eine hernehmen?“

Sie blickte ihn finster an. „Warum muss ich dir denn alles sagen?“

Er erwiderte diesen mindestens ebenso finster und wollte gerade etwas nicht sonderlich Nettes antworten, um einen neuen Streit zu entfachen, als plötzlich eine Stimme nicht weit entfernt hörbar wurde. Sie verstummten beide schlagartig und warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Wer immer sich außer ihnen an diesem Ort befand, musste ihr gesuchtes Ziel sein.

„Scheint als hätten wir das Ziel erreicht“, bemerkte er leise und nickte Rina zu, ehe sie gemeinsam vorsichtig nähergingen.

Verborgen hinter Bäumen und Büschen, hatten sie einen direkten Blick auf ein mühsam errichtetes Lager aus Zelten, zwischen denen noch immer geschäftige Menschen umherliefen, um weitere dieser Behausungen aufzubauen. Entweder waren mehr Leute anwesend, als es gerade den Anschein hatte oder es würden noch um einige mehr werden. Keine der beiden Alternativen wollte Landis so richtig gefallen.

Von Interesse waren allerdings eher die fünf Personen, die abseits des Lagers, in der Nähe von Rinas und Landis' Aufenthaltsort, standen und sich miteinander unterhielten. Während zwei der Männer noch schwarzes Haar hatten, das mit ersten grauen Strähnen durchzogen war, waren die anderen drei, die ihnen gegenüber standen, bereits ergraut. Einer von ihnen hielt die Arme vor der Brust verschränkt, das kurze Haar war schneeweiß und stand wild ab, sein Gesichtsausdruck war finster, die kreuzförmige Narbe, die quer über seine Nase verlief, sprach Geschichten über ihn – während er selbst schwieg und auch nicht die Absicht zu haben schien, den Mund zu öffnen.

Neben ihm stand ein Mann, der sein langes graues Haar zu einem hochgebundenen Pferdeschwanz trug. Sein Blick wirkte spöttisch, ein wenig herablassend, wie man ein Kind ansah, wenn es etwas besonders Dummes von sich gegeben hatte und man noch nicht wusste, ob es wirklich ernst gemeint gewesen war und man es bestrafen sollte.

Der eine, der am aufrechtesten dastand, den Rücken durchgedrückt und langes, weißes Haar hatte, trug eine Augenklappe über seinem rechten Auge, die den finsteren Eindruck, der ihn umgab, nur weiter verstärkte.

„Wie ist das Ergebnis, Kentso?“ Selbst seine Stimme war düster und furchteinflößend, so dass Landis ein Schauer über den Rücken lief.

Der Mann mit schwarzem, langsam ergrauenden Haar und Schnauzbart, der allem Anschein nach Kentso war, ergriff das Wort, um zu antworten: „Zu meinem Bedauern muss ich mitteilen, dass der Runenträger sich nicht mehr an seinem Ursprungsort befindet. Und wir wissen nicht, wohin er gegangen ist.“

Der Grauhaarige griff sich nachdenklich an das Kinn. „Dann werden wir nun doch auf Yanagisawa zurückgreifen müssen?“

Landis zuckte leicht bei der Erwähnung dieses Namens, gab allerdings keinen Ton von sich.

„In seiner neuen Position als Ritter kann er uns wirklich hilfreich sein“, bestätigte der Mann mit der Augenklappe. „Vom erstklassigen Attentäter zur Informationsquelle, welch Verschwendung.“

Seine Mundwinkel schienen noch weiter herabzusinken, er wirkte tatsächlich enttäuscht darüber, aber bei seinem ohnehin standardmäßigen, säuerlichen Gesichtsausdruck, war das schwer zu sagen.

Kentso runzelte die Stirn. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er gewillt ist, uns zu helfen.“

„Natürlich ist er das nicht“, sagte der Grauhaarige schmunzelnd. „Deswegen haben wir ein gutes Druckmittel gefunden und seine Schwester als unfreiwilligen Gast zu uns geholt.“

Das machte den Mann neben Kentso, der bislang eher desinteressiert gelauscht hatte, schlagartig aufmerksam. „Redet ihr von Kiara?“

Die drei Männer achteten nicht einmal auf ihn, dafür übernahm Kentso es, ihn zu tadeln: „Wie viele Schwestern hat er, deiner Meinung nach denn noch? Bleib bei der Sache, Yargo! Wir haben das bereits ausdiskutiert!“

Leise grummelnd klinkte er sich tatsächlich wieder aus dem Gespräch aus und starrte mit leerem Blick in die Entfernung. Kentso wandte sich erneut den drei Männern zu, worauf der Grauhaarige das Gespräch wieder aufnahm: „Es war lächerlich einfach, sie in Estrise zu finden und gefangenzunehmen. Ein sehr enttäuschendes Zeichen für meine Ausbildung, wirklich.“

Seine spöttisch tadelnde Stimme sollte seinen Worten eigentlich die Ernsthaftigkeit nehmen, aber dennoch lief Landis ein kalter Schauer über den Rücken. Er meinte das, was er sagte, vollkommen ernst und war auch gewillt, die Person, die seinen Unmut erregt hatte, dafür zurechtzuweisen – und das wollte Landis sich gar nicht erst vorstellen. Besonders nicht bei dieser Person, über die gerade gesprochen worden war.

„Mit dieser Geisel wird Yanagisawa uns jede Information beschaffen“, fuhr der Mann mit der Augenklappe fort. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir die Rune in unseren Händen halten.“

Dies war offenbar das Zeichen, dass das Gespräch beendet war, denn nach einem verschwörerischen Nicken, dem sich sogar der unbeteiligte dritte anschloss, ehe sich die kleine Versammlung wieder auflöste, indem die beiden Gruppen gemeinsam in je eine Richtung davongingen. Es wirkte, als wären sie sich lediglich zufällig an diesem Ort über den Weg gelaufen, was Landis umso seltsamer fand. Aber anscheinend wähnten sie sich derart tief im Wald sicher genug, dass niemand sie belauschen könnte.

Rina tippte ihm vorsichtig auf die Schulter und bedeutete ihm dann, sich gemeinsam mit ihr zu entfernen, damit sie über das Belauschte sprechen könnten. Er folgte ihr bis sie entschieden hatte, dass sie weit genug fort waren und hielt dann genauso abrupt inne wie sie. Als sie sich zu ihm umdrehte, bemerkte er ihre gerunzelte Stirn, ein Anblick, den er nur allzusehr von ihr gewöhnt war, da sie nicht selten wegen ihm derart überlegen musste.

„Die haben sie also“, stellte Rina schließlich mit gedämpfter Stimme fest.

Landis zuckte wieder ein wenig und verschränkte die Arme, um das zu verbergen. „Sieht ganz so aus. Was sollen wir jetzt tun?“

„Dass ich dir wirklich immer alles sagen muss“, seufzte sie. „Wir müssen jetzt irgendwie dafür sorgen, dass sie gerettet wird. Das ist doch logisch.“

Das weiß ich auch. Ich war daran interessiert, ob du schon einen Plan hast.“

Er hoffte fast schon, dass sie nun eine fauchende Erwiderung bringen würde, damit sie ihren zuvor nicht durchgeführten Streit nachholen könnten, aber da glaubte er plötzlich, eine Bewegung wahrnehmen zu können. Rinas Kopf ruckte ebenfalls herum, auf der Suche nach dem Ursprung.

Sie sprang zurück – und im nächsten Moment steckte ein Dolch dort, wo sie eben noch gestanden hatte. Die Augen der beiden wanderten nach oben, verfolgten die angenommene Flugstrecke der Waffe und verharrten auf einem maskierten, dunkel gekleideten Mann, den bislang keiner von ihnen beachtet hatte, der nun aber ihren Blick erwiderte.

Alle drei verharrten gleichermaßen überrascht auf ihren Positionen, bis Landis ein leises Surren hörte. Er wich einen Schritt zur Seite, die nadelförmigen Senbon schlugen mit Wucht in den Baumstamm ein und blieben dort stecken. Sie vibrierten noch ein wenig, als Landis zu ihnen hinübersah und dann anhand des Winkels den zweiten Attentäter ausmachen, der gerade hinter einem anderen Baum hervorkam.

„Das ist jetzt mehr als unpassend“, bemerkte Rina und warf Landis einen Seitenblick zu. „Willst du jetzt wieder fragen, was wir tun sollen?“

„Keine Sorge, so viel weiß ich auch noch.“ Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, genau wie sie es ebenfalls tat. „Wir rennen!“

Noch ehe er den Satz beendet hatte, waren er und Rina bereits losgerannt, direkt an dem ersten Attentäter vorbei, der zu überrumpelt war, um überhaupt zu reagieren. Doch diese Atempause hielt nur einen flüchtigen Moment, dann nahmen die beiden Männer die Verfolgung auf.

Landis wusste nicht, wohin er überhaupt rannte und er wusste nicht, ob Rina sich darüber im Klaren war, wohin sie laufen musste. Alles in diesem Wald sah absolut gleich aus, ohne Zeit für die Details sogar noch wesentlich mehr als zuvor. Es schien ihm fast, als bewegten sie sich gar nicht wirklich vorwärts. Er bereute es mehr als zuvor, sich nie mit diesem Wald auseinandergesetzt zu haben.

Aber wer kann schon ahnen, dass man mal an so einem Ort um sein Leben rennen muss?

Zumindest musste er sich nicht umsehen, um zu wissen, ob sie noch verfolgt wurden. Immer wieder hörte er, wie etwas nur haarscharf an seinen Ohren vorbeischoss und es erstaunte ihn, dass sie derart gute Zielfähigkeiten hatten, selbst bei dieser Geschwindigkeit.

Doch in diesem Erstaunen fragte er sich wieder, wie sie nur entkommen sollten. Vielleicht liefen sie auch, ohne es zu wissen, im Kreis und würden im Lager ihrer Feinde landen, wo sie auf jeden Fall verloren waren. Dieser unangenehme Gedanke verfolgte ihn derart, dass er nicht mehr auf seinen Weg achtete – und prompt über eine hervorstehende Wurzel stolperte.

Mit einem erschrockenen Schrei fiel er zu Boden, schaffte es aber geistesgegenwärtig, sich abzurollen und schließlich auf seinen Knien zu landen. Dennoch verlor er damit Zeit und noch ehe er aufstehen konnte, hatte einer der Attentäter ihn bereits eingeholt.

Landis hob den Blick, entschlossen, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen. Eigentlich gab es doch auch gar nichts zu befürchten, er müsste nur...

Der Attentäter hob die Hand, in der er seine Klinge hielt, in Gedanken machte Landis sich bereit, eine Rune einzusetzen, wusste gleichzeitig allerdings, dass er es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde. Doch ein flammender Pfeil, der über seinen Kopf hinwegschoss, kam ihm zuvor. Der Geruch verbrannten Fleisches erfüllte rasch die Luft, die rechte Schulter des Angreifers rauchte, unter seiner versengten Kleidung war schwarzes, verbranntes Fleisch zu sehen. Er taumelte zurück, keuchte und ging dann ebenfalls in die Knie.

Landis sah durch die Öffnungen der Maske direkt in die Augen des anderen. Sie waren dunkel, kalt, kein Anflug des Schmerzes war darin zu sehen, obwohl er diese gerade durchmachen musste und Mitleid suchte man darin erst recht vergeblich, er hätte sein Opfer ohne jede Gnade getötet.

Schon im nächsten Moment stürzte er zur Seite, offenbar ohne Bewusstsein. Landis wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie schmerzhaft es sein musste, eine solche Verletzung zu erleiden, wenn schon die kleinste Verbrennung einem Tränen in die Augen trieb. Die Bewusstlosigkeit musste wirklich einem Segen gleichkommen.

„Komm endlich, Lan!“, drängte Rina, die nur wenige Schritte von ihm entfernt stand.

Die Feuerrune an ihrer Hand glühte noch leicht und verriet, dass sie es gewesen war, die den Zauber gewirkt und ihm damit das Leben gerettet hatte.

Wie gut, dass ich nicht allein unterwegs bin.

Er stand auf und wollte gerade etwas erwidern, um dann wieder weiterzulaufen – aber da bemerkte er eine Bewegung hinter ihr, die ihr anscheinend nicht auffiel.

Ohne darüber nachzudenken, riss er die Hand hoch, deutete auf die Gestalt hinter ihr.

„Runter, Rina!“

Glücklicherweise zögerte sie nicht, hakte auch nicht nach, sondern ließ sich direkt fallen. Die Windrune auf seinem Handrücken begann zu glühen und im nächsten Moment fegten bereits zahlreiche Böen auf den Attentäter zu. Sie waren nicht stark genug, um ihn zu verletzen, aber immer noch ausreichend, um ihn gegen den nächsten Baumstamm zu schleudern, wo er benommen zu Boden sank. Vorerst würde er sie nicht mehr verfolgen können.

Rina streckte die Hand aus, die Landis sofort ergriff, um ihr aufzuhelfen, ehe sie beide zusammen weiterrannten. Noch immer wusste er nicht genau, wohin sie laufen müssten, aber ohne Verfolger fühlte er sich wesentlich weniger panisch, so dass es ihm auch wieder gelang, Details wahrzunehmen, die ihm helfen könnten, den Weg nach draußen zu finden. Rina ging es glücklicherweise ähnlich und so dauerte es nicht allzulange, bis sie endlich wieder im Freien standen. Dort blieben sie allerdings nicht sofort stehen, sondern begaben sich, ein wenig langsamer nun, in Richtung des Hafen Spinax, in der sicheren Erwartung, dass die Attentäter ihnen nicht bis zu einem bevölkerten Ort folgen würden. Sie hielten sich immer noch an den Händen, als würde es ihnen helfen, sich gegen jeden weiteren Angreifer zu verteidigen.

Erst als sie sich nicht mehr in unmittelbarer Gefahr befanden und nicht mehr rennen mussten, spürte Landis, dass sein Herz derart schnell schlug, dass seine Brust bereits schmerzte.

„Das war... ein wenig zu aufregend für meinen Geschmack“, bemerkte er noch ein wenig atemlos.

Da sie schwieg, wandte er ihr neugierig den Blick zu. Ihr Gesicht war gerötet und er war sich ziemlich sicher, dass es nicht an der Anstrengung lag. Ihr Gesichtsausdruck ließ aber nicht darauf schließen, aus welchem Grund sie derart aussah.

„Stimmt etwas nicht?“, hakte er nach.

„Danke für vorhin“, murmelte sie zur Antwort.

Er winkte allerdings sofort ab. „Bedank dich nicht, das war doch selbstverständlich – und du hast mich zuerst gerettet, vergiss das nicht.“

Nach einem kurzen Moment der Überlegung, nickte sie entschieden. „Du hast recht! Ich habe dir schon öfter das Leben gerettet.“

Doch schon nach einem kurzen Überlegen wurde sie wieder ein wenig leiser: „Trotzdem danke.“

Da er sie nicht weiter in Verlegenheit bringen wollte, beschloss er, das Thema zu wechseln: „Gut, was sollen wir jetzt mit unseren Informationen anfangen?“

Sofort wandelten sich ihre Gesichtszüge, so dass sie wieder so selbstbewusst aussah wie eh und je. „Das ist ganz einfach. Als erstes werden wir...“

Nachts am Hafen

Je länger Miakis' Urlaub andauerte, desto mehr verfluchte Roan seine Kollegin in Gedanken. Aus irgendeinem Grund war er von Königin Lymsleia zu ihrem Vertrauten auserkoren worden, weswegen er sie wirklich jeden Abend zu Faramond begleiten und vor der Tür warten musste – und das war nun einmal ziemlich... langweilig.

Ihr Vertrauen und dass sie nicht ihren Bruder oder Lyon darum bat, ehrte ihn zwar, aber gleichzeitig war es eben nicht das, was er eigentlich während seiner Dienstzeit tun wollte. Er hatte erwartet, genau wie Faroush und Lyon öfter losgeschickt zu werden, um in ganz Falena den Frieden zu wahren und sicherzugehen, dass das Volk sich beschützt fühlte. Und nun hatte er seit Beginn seines Dienstes Sol-Falena nicht mehr verlassen und musste den Ersatz für Miakis stellen.

Dementsprechend schlecht gelaunt reagierte er deswegen auch auf den Boten, der ihm an diesem Tag einen Brief in das Zimmer der Ritter brachte. Wenn ihm jemand einen solchen schrieb, konnte das nur seine Schwester sein und dann ging es darin ohnehin nur darum, dass sie sich übertrieben viele Sorgen machte und ihn stets auf Dinge hinwies, die ihm ohnehin bewusst waren. Eigentlich las er diese Briefe schon gar nicht mehr, aber an diesem Tag war genau das der Tropfen, der das Fass für ihn zum Überlaufen brachte.

Nachdem der Bote, nun auch schlecht gelaunt, da er angefaucht worden war, wieder aus dem Raum verschwand, wollte Roan den Brief bereits zerreißen und wegwerfen, um sich nicht noch weiter aufzuregen – als ihm plötzlich auffiel, dass die Handschrift nicht jene von Rowena war und auch jeglicher Absender fehlte.

Da er im Moment allein war und auch nicht glaubte, dass sich das so bald ändern würde, öffnete er den Umschlag sofort, schon allein weil er gern das ungute Gefühl in seinem Magen ersticken wollte. Doch kaum erblickte er den Inhalt, kam es ihm so vor, als würde jemand versuchen, ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen, dabei waren es nur wenige Worte.
 

Komm heute Nacht zum Hafen, Yanagisawa. Es wird Zeit, dass du an deinen für dich bestimmten Platz zurückkehrst.

Wenn du auch nur daran denkst, nicht zu kommen, wirst du es bereuen.
 

Das allein, ohne jeden Hinweis auf den Absender, sagte ihm bereits, dass dieser Brief ihn in eine Zeit zurückbringen würde, zu der er eigentlich gar nicht zurückkehren wollte.

Plötzlich fühlte er sich sogar in diesem Raum, im Inneren des Sonnenpalastes nicht mehr sicher. Er glaubte, von allen Seiten beobachtet zu werden, dass unsichtbare Feinde seine Gedanken zu lesen versuchten, um wirklich zu erfahren, ob er darüber nachdachte, dieses Treffen nicht wahrzunehmen.

Doch was konnten sie tun, um es ihn bereuen zu lassen? Seine Schwester töten? Dafür würde er ihnen eher noch eine Dankeskarte schreiben.

Aber sicher fanden sie noch ganz andere Mittel, um ihre Drohung in die Tat umzusetzen und er wollte gar nicht so genau wissen, was sie sich einfallen lassen würden.

Nein, ihm blieb keine Wahl, er musste zu diesem Treffen und sich zumindest anhören, was sie zu sagen hatten. Vielleicht könnte er die gewonnenen Informationen auch nutzen, um die Organisation direkt zu untergraben.

Frustriert zerknüllte er den Brief in seiner Hand, ehe er sich doch anders entschied, ihn in möglichst kleine Stücke zerriss und dann die Schnippsel in den nächstgelegenen Papierkorb beförderte.

Er würde zu diesem Treffen gehen und dann würden sie schon sehen, was sie davon hatten, ihn wieder zu kontaktieren.
 

Als er schließlich nachts am Hafen stand, schien es ihm dennoch wie ein Fehler. Er lehnte mit dem Rücken gegen die Wand und starrte in den Himmel hinauf, wo unzählige Sterne den Himmel zu erhellen versuchten. Der abnehmende Mond machte ihnen dabei nur zusätzliche Arbeit.

Für Roans Geschmack war es viel zu hell, dabei hatte er sogar eine der Fackeln gelöscht, als fürchtete er, irgendjemand könnte ihn mit dieser Person beobachten, obwohl alle bereits tief und fest schlafen dürften.

Schlafen... das würde ich auch gern.

Doch während er am liebsten einfach die Augen geschlossen hätte, um an Ort und Stelle einzuschlafen, hörte er plötzlich Schritte, die sich ihm näherten. Sein ganzer Körper spannte sich augenblicklich an, er stellte sich aufrecht hin und blickte der Person entgegen.

Im ersten Moment erkannte er sie nicht. Es war eine Frau mit hüftlangem blondem Haar, das von einem blauen Haarreif gebändigt wurde, ihre blauen Augen musterten ihn mit einem amüsierten Glitzern, das ihn bereits bereuen ließ, gekommen zu sein. Immerhin trug sie keine Uniform, so dass selbst zufällig Vorbeikommende nicht bemerken würden, mit wem er sich unterhielt.

„Yanagisawa, interessant, dich einmal wiederzusehen.“

Ihre Stimme erkannte er allerdings sofort, weswegen er leise brummte, da er nicht unbedingt die besten Erinnerungen mit ihr verband. „Yuko...“

Sie fuhr sich mit der Hand durch das Haar und lächelte dabei amüsiert. „Ich wusste doch, dass du kommen würdest. Manchmal bist du eben wirklich berechenbar.“

Er ging nicht weiter darauf ein, immerhin interessierte ihn auch etwas anderes wesentlich mehr: „Was wollt ihr von mir? Ich dachte, es wäre klar, dass ich fertig mit euch bin?“

Es war allgemein bekannt, dass er Faroush und Lyon begegnet war, als er ihnen gegen verbliebene Attentäter des Dunklen Tors unter die Arme gegriffen hatte. Wie deutlich sollte seine Nachricht eigentlich noch werden?

„Oh, keine Sorge, das ist uns klar“, erwiderte sie, aber allein ihr Unterton sagte ihm bereits, dass sie nicht nur zum fröhlichen Plaudern gekommen war. „Aber wir dachten uns, mit ein wenig Druck, würdest du uns liebend gern wieder unter die Arme greifen.“

Ihm gefiel nicht, worauf das hinauslaufen würde, aber er beruhigte sich wieder damit, dass es ohnehin nichts gab, was sie gegen ihn einsetzen könnten. Es gab keinerlei vernünftiges Druckmittel, er besaß keine Bande zu irgendwem und auch seine Vergangenheit könnte ihm nicht schaden, davon war er überzeugt. Er war immerhin nicht der einzige Ritter der Königin mit einem solchen Hintergrund.

„Vielleicht hast du ja schon davon gehört, dass deine Schwester verschwunden ist“, fuhr Yuko genüsslich fort. „Natürlich haben wir diesem Verschwinden ein wenig nachgeholfen.“

Das war ihm bislang unbekannt gewesen, aber diese Worte ließen ihn fast schon innerlich frohlocken, er konnte nicht anders als zu schmunzeln. „Oh, ist das so? Euch verdanke ich es, keine Briefe mehr von Rowena zu bekommen? Vielen Dank.“

Yuko verzog das Gesicht, als hätte sie eben in eine saure Frucht gebissen. Mit Sicherheit lag es daran, dass er sich nicht einfach so auf dieses Spielchen einließ, aber sie schob natürlich etwas anderes vor: „Rowena? Was für ein Name...“

Er setzte bereits zum Gehen an und hob die Hand zum Abschied. „Na, wie auch immer. Macht mit ihr ruhig, was ihr wollt, mich kümmert das nicht.“

Damit lief er an Yuko vorbei und wollte gerade die Treppe erklimmen, um den Weg in den Palast anzutreten, als ihre Stimme ihn noch einmal innehalten ließ: „Was bist du nur für ein Ritter, dass du deine arme, wehrlose Schwester ihrem Schicksal überlässt?“

Unter anderen Umständen hätte er erwidert, dass Rowena alles andere als wehrlos war, aber in diesem Moment konnte er tatsächlich nur daran denken, dass es kein gutes Licht auf sein neu aufgebautes Leben warf, dass er jemanden einfach so einem Schicksal überließ, das möglicherweise schlimmer als der Tod war.

Unwillig presste er die Lippen aufeinander, aber Yuko nutzte die Gelegenheit dennoch, um weiter in diese Kerbe zu schlagen, die ihren Zweck zu erfüllen schien: „Wenn du Rowena unserer Gnade überlässt, weißt du, was wir mit ihr tun werden. Das ist etwas, was Yanagisawa, der grausame Schlächter zulassen kann, aber auch Roan, der Ritter der Königin?“

Sie hatte recht, er konnte es nicht zulassen. Es ging hier um ein Prinzip, das er erfüllen musste: Seine Vergangenheit und sein altes grausames Ich hinter sich lassen und das ging nur, wenn er sich wirklich strikt daran hielt, nicht mehr so zu sein. Das bedeutete, er war geschlagen.

Mit einem leisen, kraftlosen Knurren, fuhr er herum. „In Ordnung. Was soll ich tun?“

Ehe sie ihm das verriet, fuhr Yuko sich noch einmal durch das Haar, als würde sie damit ihren Sieg auskosten. Er hasste diese Geste, verabscheute sie regelrecht und hätte ihr am Liebsten kurzerhand selbst das Haar abgeschnitten.

Oder gleich den ganzen Kopf, flüsterte diese leise Stimme in seinem Inneren, die er lieber ignorieren wollte und genau wegen der er nicht nachgeben wollte.

„Du musst nichts Schlimmes tun“, sagte Yuko, als wolle sie ihn beruhigen. „Du kannst dir sicher vorstellen, dass es für uns nicht gerade einfach ist, uns in Falena zu bewegen und dabei Informationen zu sammeln.“

Er war gerade schon überrascht genug, dass sie sich hierher getraut hatte. Allerdings sah Yuko nicht wirklich aus wie eine Attentäterin, sie war entsprechend ihrer Ausbildung an alles angepasst. Also dürfte es auch ihr selbst möglich sein, Informationen zu sammeln, wofür brauchte sie ihn dann?

„Wer könnte besser dafür geeignet sein, Informationen zusammenzutragen, als ein ehrenwerter Ritter der Königin?“, schmeichelte sie ihm spöttisch.

„Rück endlich raus mit der Sprache: Was wollt ihr genau von mir?“

„Du sollst ein Mädchen für uns finden.“

Im ersten Moment konnte er sie nur entgeistert ansehen, während ihr Blick sich nicht im Mindesten änderte. Aber es war ihm nicht möglich, zu glauben, dass sie das wirklich ernst meinte. Warum sollten sie ein Mädchen suchen? Vor allem ein ganz bestimmtes?

„Soll das ein Witz sein?!“, empörte er sich auch gleich. „Falls ja, hast du dir echt die falsche Person dafür ausgesucht!“

Sie neigte den Kopf, als könnte sie nicht verstehen, wie er auf diese Erwiderung kam. „Das ist mein voller Ernst. Wir suchen ein Mädchen. Ein adeliges Mädchen, die Tochter von Sayuri.“

„Ist das wirklich alles?“, fragte er entnervt über diese wenigen Hinweise.

Sicher, es mochte nicht unzählige Adelige in Falena geben und sicher noch weniger mit dem Namen Sayuri, aber dennoch war es nicht wirklich sonderlich viel. Und wie sollte er überhaupt an diese Information kommen? Er konnte kaum hingehen und in irgendeinem Register nach Adeligen suchen, deren Vorname Sayuri war und die eine Tochter hatten. Er wusste nicht einmal, ob ein solches Register überhaupt existierte.

Erwarteten sie etwa Wunder von ihm?

„Mehr wissen wir nicht, ja.“

„Und was wollt ihr von diesem Mädchen?“

Vielleicht würde diese Information ihm bei der Suche weiterhelfen. Wenn sie ein besonderes Merkmal trug oder er zumindest nur irgendein bestimmtes Alter bekam, wäre die Suche wesentlich einfacher.

Aber Yuko schien ihm diesen Gefallen nicht tun zu wollen. „Das geht dich absolut nichts an. Du wirst sie auch so finden, da bin ich mir ganz sicher. Denk einfach immer daran, was wir deinem Schwesterchen antun werden, wenn du keine Ergebnisse lieferst.“

Auch wenn ihm das eigentlich immer noch egal sein sollte, wie er fand. Zu dumm, dass er seinen Prinzipien auch in diesem Bereich folgen musste.

Noch einmal strich Yuko sich durch das Haar, dann wandte sie sich von ihm ab. „Ich bin sicher, dass du uns nicht enttäuschen wirst.“

Doch bevor sie fortgehen konnte, hielt er sie noch einmal auf: „Wie kontaktiere ich euch denn, wenn ich Informationen für euch habe?“

„Oh, mach dir keine Gedanken darum“, erwiderte sie schmunzelnd. „Ich werde mit dir Kontakt aufnehmen, wenn es soweit ist – und ja, ich werde es wissen, wenn du etwas für uns hast.“

Wenn sie so etwas sagte, bedeutete das wirklich, dass er beobachtet wurde, möglicherweise sogar ohne dass er es bemerkte und das vielleicht schon seit einiger Zeit. Er müsste sich also wirklich in Acht nehmen.

Sie lief einige Schritte und blieb dann noch einmal stehen. „Ach ja, eines noch: Denk nicht einmal daran, irgendjemandem zu erzählen, was wir hier besprochen haben oder dass wir wieder hier sind. Wenn du nur ein Wort verrätst, wird nicht nur deine Schwester dafür bezahlen müssen.“

Sie hob die Hand zum Abschied und ging dann tatsächlich davon.

Roan war froh darüber, dass sie endlich aus seinem Blickfeld verschwand, auch wenn sie ihn mit dieser schier unmöglich erscheinenden Aufgabe zurückließ.

Wie sollte er nur anfangen?

Er schnaubte leise. „Ich wünschte, ich hätte gerade Urlaub, statt Miakis.“

Für ihn blieb jetzt allerdings nur, sich jetzt mit dieser neuen Situation auseinanderzusetzen und alles zu irgendeinem Ende zu bringen – auch wenn er genau wusste, dass ihm kein Ausgang dieser Geschichte gefallen würde.

Aber dann gab es noch etwas, das er ganz sicher wusste, ohne dass Yuko es ihm sagen musste, und dieses Wissen schien sein Inneres mit Eiswasser zu füllen: Das Dunkle Tor war wieder zurück in Falena und es war auf dem besten Weg, sich für seine damalige Vertreibung zu rächen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (20)
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Von:  Taroru
2014-03-20T20:07:57+00:00 20.03.2014 21:07
ui, interessante wendung :-D
ich bin wirklich gespannt wie das mit dem schwarzen tor weiter gehen wird.
wann wird es weiter gehen?
und joa... eigentlich weiß ich gerade gar nicht so richtig was ich überhaupt schreiben soll o.o
nur das ich nach wie vor neugierig bin XD
Antwort von:  Lionheart_Schwestern
27.03.2014 17:49
Danke dir für deinen Kommentar. Und die andauernde Treue, das ist so großartig. X3
Tja, ich sag mal besser nichts dazu, wann es weitergeht, meine Vorhersagen waren bislang immer falsch. XD
Aber wir geben nicht auf! ;D
Antwort von:  Taroru
27.03.2014 18:20
wenn ich was gerne mag, dann bleibe ich da auch immer treu :-)
und macht euch keinen stress, ich kann warten :-)
Von:  Taroru
2013-10-23T11:50:10+00:00 23.10.2013 13:50
yuhu :-D
es gab mal wieder lesefutter!

und ich bin geplättet ^^
ich meine den zwielichtwald fand ich in dem game schon echt nervig, es hat immer stunden gedauert, bis ich da endlich durch war, und das wurde hier wirklich gut rüber gebracht. auch der umgang mit der runenmagie, kam hier sehr schön zur geltung, es gab richtig schwung :-D
mir hat das kaptil wirklich super gut gefallen und die beiden sind mir auch sehr sympatisch ^^
ich hoffe, ich muss nicht all zu lange warten, bis ich weiter lesen kann :-p
Antwort von:  Lionheart_Schwestern
23.10.2013 16:34
Vielen Dank für diesen (flotten) Kommentar, alle Achtung. =)

Es freut uns sehr, dass das Kapitel bei dir gut ankam und auch, dass du Landis und Rina magst. Wir mögen sie nämlich auch sehr. ^^
Besonders freut es uns, dass dir die Runenmagie gefallen hat. Die finde ich (Alona) nämlich immer ein wenig schwierig zu beschreiben, aber umso spannender, wenn ich mal dazu komme.

Was die Wartezeit angeht, kann ich nichts versprechen. Ein Unfall im Juni hat meine Planung komplett über den Haufen geworfen, im September hat für Lea die Arbeit und für mich die Schule wieder begonnen, aber wir tun, was wir können. Und ich bin eigentlich recht guter Dinge, dass es zumindest dieses Jahr noch was wird. XD

Vielen Dank für deine Treue. ^^
Antwort von:  Taroru
23.10.2013 19:18
macht euch aber keinen stress :-)
in der ruhe liegt die kraft, und ich freu mich um so mehr, wenn man dann ein gutes ergebnis vor die nase bekommt :-D
ich bin jedenfalls sehr zufrieden :-)
Von:  Taroru
2013-06-17T01:24:21+00:00 17.06.2013 03:24
ui... an zwei stationen für die drachenpferde hatte ich wirklich noch nicht gedacht. ist wirklich ein guter gedanke. es hat sich halt doch viel geändert. es war ja mal so, das sie mehr neutral waren und jetzt schützen sie noch immer die schwächeren. ich finde das macht tatsächlich sinn.
auch roog und rahal sind weiterhin sehr gut getroffen :-D
und auch die kleine lym, die gar nicht mehr so klein ist... ach sie werden alle viel zu schnell erwachsen :-p
ich finde es noch immer großartig geschrieben und freue mich auf das nächste kapitel :-)
Antwort von:  Lionheart_Schwestern
17.06.2013 12:38
Vielen Dank für deinen Kommentar. =D
(Jaaa, das erste Mal direkte Kommentarbeantwortung unter diesem Account, hurra)
Ah, die zwei Drachenpferd-Einheiten sind - leider - keine Idee von uns, sie wurden im Abspann erwähnt... also bei diesen Texten, was aus allen wurde, stand, dass Roog die Drachenbrigade in Sol-Falena leitet, wir haben es nur aufgegriffen hier eingearbeitet. =)
Danke sehr für das Lob und die Treue. ^^
Antwort von:  Taroru
18.06.2013 03:02
ich weiß, ich finde es gut das ihr das übernommen habt, es macht einfach sinn ^^
und ich finde die antwort funktion echt praktisch :-D
Von:  Taroru
2013-01-14T14:46:43+00:00 14.01.2013 15:46
wow... mit diesem kapi bin ich ja mal wieder ganz schön erschlagen!
und gott verdammter... was sind das für viecher? denen möchte ich ja nicht unbedingt begegnen... junge junge...
aber wirklich gut und mitreisend geschrieben! wirklich hut ab. am liebsten würde ich gleich weiter lesen wollen, aber da muss ich mich wohl noch in geduld üben :-D

ich freu mich schon darauf weiter lesen zu dürfen :-)
Von:  Taroru
2012-10-11T19:57:08+00:00 11.10.2012 21:57
yey *.*
endlicht geht es weiter!
ich freu mich gerade rießig darüber *lach* ich muss gestehen, ich hatte schon fast die hoffnung aufgegeben ^^° aber nu bin ich um so glücklicher XD

zum kappi selbst.
die story hat seinen schwung nicht verloren und ich habe immer noch das gefühl, als würde es sich tatsächlich an dem original spiel anlehnen. die erzählweiße ist sich einfach sehr ähnlich und spricht mich immer noch sehr an ^^
auch wenn hier jetzt nun nicht so viel passiert, aber das muss es auch nicht, am ende ist der spannungsbogen wieder voll da und macht hunger auf mehr lesestoff :p
also lasst mich nicht warten ich bin gespannt und freu mich auf das nächste kappi ^^
Von:  Taroru
2012-01-04T23:45:13+00:00 05.01.2012 00:45
endlich geht es weiter *lach*
freut mich ungemein ^^
ich finde die beschreibung vom schloss echt treffend *lach* gerade den weg zur treppe und so XD jeder das das spiel nicht kennt, kann sich so doch echt gut vorstellen, wie es da aussieht XD
ich bin begeistert ^^ auch wie du die charas rüber bringst, kommt den originalen wirklich schon sehr nahe ^^
ich bin gespannt, was es mit den drachen auf sich haut ^^
lass mich bitte nicht wieder so lange warten ;p bin doch so neugierig ^^
Von:  Taroru
2011-06-29T02:47:09+00:00 29.06.2011 04:47
und weiter? ^^
wann wird es das nächste kappi geben? XD
meine neugierde ist geweckt ^^
ich finde es locker leicht geschrieben, liest sich gut und leicht ^^
man merkt gar nicht wie schnell das kappi verschlungen ist *lach* XD

mach weiter so ;p
Von:  Taroru
2011-06-29T02:37:23+00:00 29.06.2011 04:37
ich finde du hast lym wirklich super gut getroffen *lach* XD
ich mag ihre art und weiße ^^
und spannung kommt auch noch XD super gut geschrieben ^^
Von:  Taroru
2011-06-29T02:25:43+00:00 29.06.2011 04:25
^^
ich glaube nu bin ich ganz der story verfallen XD
dein stil ist echt ganz gut ^^
ich werde weiter lesen und es weiter verfolgen ^^
Von:  Taroru
2011-06-29T02:16:20+00:00 29.06.2011 04:16
kann ich nur zu stimmen XD
roog und rahal sind wirklich gut getroffen ^^
auch die bezüge zu den bereits geschehenden sachen sind gut beschrieben ^^
beide daumen hoch ;p

*weiter lesen geht*


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