Night Drive
Schreibübung 11 - Lipogramm
Eine Geschichte ohne den Buchstaben 'F'.
Die Digitaluhr am Armaturenbrett zeigte halb drei an, als sie den Blick einen kurzen Moment lang von der Straße abwandte.
Die Müdigkeit versuchte sie zu überwältigen, doch sie wehrte sich mit dem billigen Energy-Drink, den sie sich an der letzten Tankstelle besorgt hatte. Das Radio spielte längst vergessene Hits aus den 70ern.
Mit 120 brauste sie die unbeleuchtete Landstraße entlang. Es war nicht mehr weit bis in die nächste Stadt. Dort würde sie sich ein Hotel nehmen und bei Tagesanbruch würde sie sich wieder in ihr Auto setzen. Sie wollte so weit weg wie nur möglich. Wenn es sein musste, würde sie auch die Grenze überqueren, nur damit sie ihm in ihrem Leben nie wieder begegnen musste.
Er hatte sie über alle Maßen enttäuscht, verletzt, ihr das Herz bei vollem Bewusstsein eigenhändig herausgerissen. Noch nie war sie so bloß gestellt worden, noch nie war sie sich so benutzt vorgekommen. Die Tränen standen ihr wieder in den Augen, als sie daran dachte. An den Anblick, der sich ihr im gemeinsamen Ehebett geboten hatte, als sie eher von der Arbeit nach Hause gekommen war. Sie wollte gar nicht daran denken, wie lange er sie wohl schon betrogen hatte. Wochen, Monate, Jahre? Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht.
Das, wovor sie schon immer eine riesen Angst gehabt hatte, war geschehen. Nicht selten hatten ihre Kolleginnen von untreuen Ehemännern erzählt, doch immer hatte sie sich gesagt, dass ihr das schon nicht passieren würde. Wieso auch? Er hatte nie den Eindruck gemacht, als wäre etwas nicht in Ordnung. Hätte er doch mit ihr darüber gesprochen, vielleicht hätte sie etwas ändern können in der Ehe.
Ob es an ihr lag? Vielleicht war sie nicht die, die er sich immer gewünscht hatte. Vielleicht hatte sie sich verändert, ohne es zu bemerken. Oder er hatte sich eben nach einer Jüngeren gesehnt. Es war ihm bestimmt langweilig geworden mit seiner Gattin.
Schluss jetzt, sagte sie sich. Er ist es nicht wert, dass ich mich verantwortlich mache.
Sie trat das Gaspedal noch ein wenig weiter hinunter. 130, 140…
Sie hasste ihn. Mehr als sie je jemanden gehasst hatte. Von diesem Moment an kannte sie ihn nicht mehr. Sie war nie verheiratet gewesen. Sie würde von vorn beginnen, ein Leben ohne ihn musste wunderbar sein. Nie wieder würde sie in ihr altes Leben zurückkehren. Nie wieder.
Die Nacht nahm ihr die Sicht. Eigentlich konnte sie nichts von der Straße erkennen außer die beiden Lichtkegel der Vorderlichter ihres Wagens.
Sie drückte das Gaspedal mit all ihrer Wut weiter herunter.
„Verdammter Scheißkerl!“
Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Wie in Sturzbächen rannen sie ihr die Wangen hinunter.
„Warum nur? WARUM?“
Sie schluchzte laut.
RUMS – Dass sie von der Straße abgekommen war, hatte sie nicht bemerkt. Auch nicht den Baum, dem sie entgegen gerast war. Der Wagen war gegen den dicken Stamm geknallt. Später hieß es, die Dame, die am Steuer saß, sei nicht mehr zu retten gewesen.