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Der Geburtsort der Götter

von

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Die Zeremonie

Diese Mal war es bereits über der Stadt die Nacht hereingebrochen. Ich verließ mit dem Mann, der mich auch zu seinem Haus geführt hatte, dieses und wir schritten gemeinsam, gefolgt von anderen Personen, die ich im Laufe des Tages wohl kennen gelernt hatte, auf die Sonnenpyramide zu. Oder wenigstens auf das, was später einmal Sonnenpyramide heißen sollte. Ich ließ mich zu einer Plattform führen, welche wohl extra für uns aufgebaut worden war. Von ihr konnten wir die gesamte Straße der Toten überblicken, welche mit brennenden Fackeln und einer großen Menschenmenge gesäumt war. Ich sah staunend über diesen Anblick, der sich mir in diesem Moment bot, dann spürte ich einen leichten Druck an meiner Hand. Mein Begleiter machte mich darauf aufmerksam, dass wir nicht die einzigen Personen auf dem Podium waren. Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm begrüßte mich freudestrahlend.

„Ich bin so erleichtert, dass ihr es noch rechtzeitig nach Teotihuacán geschafft habt. Ich bin sicher, ihr seid vielbeschäftigt, deshalb ist es eine besondere Ehre.“
 

Ich lächelte ihr zu und wollte dann, wie es wohl bei allen Frauen der Fall ist, das kleine Geschöpf sehen. Das Baby sah aus wie ein Mensch, doch ich wusste genau, dass es eine kleine Gottheit war. Cinteotl wie mir erst vor kurzem mitgeteilt worden war. Der spätere Maisgott. Oder war er es bereits jetzt? Ich wusste es nicht. Das Kind lachte mich an. Dann drehte sich wieder der Menge zu, die sich vor der Pyramide versammelt hatte. Es schienen immer mehr Menschen zu werden. Dann herrschte plötzlich Stille. Ich sah mich um und entdeckte, dass mein Begleiter die Hand erhoben hatte. Er sprach zu den Menschen, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was er genau gesagt hat. Ich glaube er erzählte etwas über das Neugeborene. Aber ich konnte ihn nicht wirklich gut verstehen, denn das Murmeln der Menge hatte erneut eingesetzt. Erst als er sagte: „Führt nun die Opfer zu Ehren Cinteotls zu uns“, verstummte sie wieder.
 

Ich sah den Mann neben mir erschrocken an. Das konnte doch jetzt nicht sein. Ich wurde, wenn auch nur in einem Traum, Zeuge einer Opferzeremonie?

Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Ich folgte seinem Blick und sah fünf junge Mädchen, wahrscheinlich alles Jungfrauen, in weißen Gewändern über den fackelgesäumten Weg auf uns zukommen. Sie zeigten nicht die leiseste Spur von Angst, sondern schritten mit erhobenen Köpfen auf uns zu. Dieses Schauspiel schien mehrere Stunden zu dauern, in Wirklichkeit konnten es aber nur Minuten sein.
 

Als die Mädchen den Fuß des Pyramidenstumpfes erreichten, warfen sie sich auf ihre Knie und sahen zu uns nach oben.

Die älteste, jedenfalls sah sie älter aus als die anderen Mädchen, erhob die Stimme: „Oh großer Tezcatlipoca. Wir sind bereit unsere Reinheit zu Ehren des neugeborenen Gottes zu geben. Wir sind stolz darauf von dir auserwählt worden zu sein oh großer Gott des Nordens, der Helden des Nachthimmels.“

Während sie sprach, sah sie ihm nicht in die Augen. Ich musste es allerdings, denn als nächstes wendete er sich an mich.
 

„Teure Mictlancihuatl. Ich habe dich dazu auserkoren, das Ritual zu begehen.“ Er reichte mir ein wunderschönes Messer. Es schimmerte bläulich und trug prächtige Muster, welche in das Metall eingearbeitet waren. Der Griff lag erstaunlich gut in meiner Hand und fühlte sich keinen Augenblick falsch an.

„Mictlancihuatl“, sprach er nun wieder zu den Menschen und den Jungfrauen, „Herrscherin über das Totenreich wird das Ritual vollziehen!“, ein Raunen ging durch die Menge. Viele der Stimmen, die zu mir drangen, hörten sich verwundert an. Die Göttin die ich darstellte, schien nicht sehr häufig an solchen Zeremonien teilzunehmen.
 

Auf ein Zeichen seiner Hand trat ich nach vorne, damit die Menge mich und vor allem das Opfermesser noch einmal genau betrachten konnten.

Ich wurde zunehmend aufgeregt. Ich wollte das alles nicht tun, doch mein Körper wies mir den Weg. Erst nach unten zu den Jungfrauen, dann mit ihnen wieder hinauf auf das Podium, auf welchem jetzt nur noch eine Art Altar und das Baby waren.

Ich führte die Sprecherin der Jungfrauen zum Altar, welcher mit Fresken verziert war, eine sehr aufwendige Arbeit. Man sah ihm allerdings an, dass dies nicht die erste Opferung war, die er durchmachte. An manchen Stellen entdeckte ich braune Flecke, welche nur von längst getrocknetem Blut stammen konnten.

Ich blieb noch einmal kurz vor dem Opfertisch stehen, präsentierte die Frau und half ihr dann auf die Oberfläche zu steigen. Die anderen Mädchen hatten unterdessen begonnen zu tanzen. Ich kann dir nicht sagen wie, denn ich sah sie nur aus den Augenwinkeln. Mein Augenmerk lag auf der jungen Frau vor mir.

Mit langsamen Bewegungen schnitt ich ihr Kleid von oben nach unten auf, so dass sie letztendlich nackt vor mir lag. Genau in dem Augenblick als ich den letzten Schnitt gemacht hatte begannen im Hintergrund Trommeln zu schlagen und von irgendwoher setzte Gesang ein, in welchen die Menschen nach und nach einfielen. Die Fackeln am Weg wurden gelöscht, so dass nur noch ich und der Altar mit dem Opfer zu sehen war.
 

Ich hielt das Messer ein letztes Mal in die Luft, ließ es im Fackelschein aufblitzen. Dann fuhr ich mit dem Messer über ihre Kehle. Einmal, zweimal, bei jedem Mal etwas tiefer, bis ich nach langer Zeit die Hauptschlagader durchtrennte.

Aber ich möchte dir das nicht weiter beschreiben, es war zu schrecklich. Das ich davon nicht aufgewacht bin, verwundert mich heute noch.

Das Ritual der Opferung dauerte eine ganze Weile. Sobald ich das Blut des fünften Opfers in einer Schale mit dem der anderen gemischt hatte, schritt ich zu dem Baby. Ich tauchte meine Finger in das Gefäß und malte mit dem Blut, das an ihnen haften geblieben war, Muster auf die Stirn und Wangen des Säuglings. So verfuhr ich mit dessen ganzen Körper. Ich weiß nicht warum, aber ich konnte alle diese Sachen und sie kamen mir nicht fremd vor.

Schlussendlich nahm ich Cinteotl auf den einen Arm und führte die Schale mit dem restlichen Blut an seinen Mund. Er trank es aus. Nachdem das geschehen war, stellte ich die Schale ab und hielt das Kind in die Höhe. Die Menge, deren Gesänge verstummt waren, als ich auf das Baby zugetreten war, stimmte in einen lauten Jubel ein.
 

Von hinten legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich wusste, dass es Tezcatlipoca war. Ich übergab ihm das Kind und ging nach unten in die Pyramide. Durch einen kleinen schmalen Durchgang gelangte ich in eine Kammer, die ungefähr so groß war, wie eine normale Sporthalle, nur nicht ganz so hoch und schlecht beleuchtet. Dorthin hatte man die Leichen der Jungfrauen gebracht. Sie lagen vor mir auf dem Boden und ich begann mit meiner Arbeit. Schließlich sollten sie nun in meinem Reich leben und ich musste ihnen als Opfer die Reise dahin so angenehm wie möglich machen. Keiner störte mich bei meiner Arbeit. Ich wusch sie, kämmte ihren langen Haare und legte sie dann so hin, dass sie den Eingang meines Reiches bequem finden konnten, nämlich mit dem Kopf nach Westen wo die Sonne untergeht.

Als ich dies alles beendet hatte , sah ich mich noch ein wenig um. Die Wände waren noch kahl, aber an einigen Stellen hatte man damit begonnen Fresken an die Wand zu bringen. Wie ich bemerkte, stellten sie die hohen Götter dar.

„Ob ich auch einmal hier abgebildet sein werde?“, fragte ich mich kurz, bis mein Blick auf die anderen Opfer fiel, deren Körper in diese Kammer gebracht worden waren. Ich kannte sie alle, sie lebten nun unter meiner Obhut und der meines Mannes.

Ich riss mich aus meinen Gedanken und ging nach draußen. Die Nachtluft war frisch und der Himmel sternenklar.



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