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The Resurrection of Hyperion

Final Fantasy Ⅷ –
von

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Waiting

[Warten]…
 

Warten. Zeit. Zu viel Zeit. Bewirkt Warten. Ein vergänglicher Zustand? Hilft Medica? Hast? …Nein. Nichts hilft. Nichts außer warten, und das bedeutet: Herumliegen, herumsitzen, herumstehen und die Tage quälend langsam verstreichen lassen; ihnen untätig zuschauen, wie sie dichtgedrängt an einem vorbeischlendern, unausgefüllt und leer und doch wie massive, sperrige Blöcke, während man genau weiß, was Sache ist, und es einem dennoch so was von egal ist, dass man sich nur noch fragt, ob man immun geworden ist vor lauter Warten gegen Tatendrang und den Stress der Welt um einen herum. Niemand hält an, um zu antworten, und so tut man, was einem bleibt: Warten. Weiterwarten, auf ein Wunder oder auf gar nichts; warten auf das "Danach" der Trägheit, der Antriebslosigkeit, der Langeweile, des unerträglichen Gefühls, das so viele Namen kennt, aber kein Fertigwerden. Von der Zukunft abgelehnt, liegt man begraben unter der schweren, staubigen Decke des Nichtstuns und denkt nach über dies und jenes, ohne nur einen Gedanken zu fassen, und gelangt zu dem unüberlegten Schluss, dass einem das ganze Leben plötzlich scheißegal ist, weil Leben selbst nur ein Warten ist, das nämliche Warten auf den Tod.
 

[Warten]…
 

Er hasste dieses Wort.
 

*
 

„Hey, heeey, Squall!“

Squall Leonhart presste Zeige- und Mittelfinger gegen seine Stirn, hinter der sein gequietschter Name quälend hoch widerhallte. Er war Schulsprecher; seine Freizeit gehörte den anderen. Damit kam er klar. Allein wünschte er sich etwas mehr Rücksicht auf die Neigung seines Kopfes zur Migräne. Besonders Selphie Tilmitt stellte eine Bedrohung dar: Ständig kreuzte sie dort auf, wo man sie nicht haben wollte, und immer war sie dabei am Herumschreien. Auch wenn sie – das musste Squall zugeben – inzwischen etwas leiser geworden war im Verhältnis zu jenem Tag, da er sie kennen lernte. Man erzählte, das würde an Irvine Kinneas liegen, aber so genau interessierte es ihn nicht. Es sollte jedem selbst überlassen sein, mit wem man sich abgab und weshalb, und Squall empfand die Gerüchte, welche sich im Garden wie ein Lauffeuer verbreiteten, als eher lästig. Nicht ständig musste man sich in die Gelegenheiten anderer einmischen… so wie Selphie jetzt und gerade, wo Rinoa ihn an seinem Pelzkragen zu sich heruntergezogen und sich vorgebeugt hatte, um ihn – wie sie es gerne tat, um ihn zu necken – in aller Öffentlichkeit küssen zu können.

„Stör’ ich?“, fragte Selphie naiv und legte den Kopf schief, als sie die Szene sah.

Rinoa Heartilly, nie um einen Spruch verlegen, lächelte freundlich. „Wir lassen uns nicht stören.“

Und ehe Squall etwas einwenden konnte, presste sie ihre Lippen in liebevoller Leidenschaft auf die seinen. Selphie kicherte.

„Was gibt’s denn?“, fragte Squall auf die für ihn typische, nüchterne Art, sobald Rinoa durch Angel abgelenkt wurde, die wohl nach einem Snack trachtete. Die Obersttochter beugte sich der Mischlingshündin entgegen, um ihr über den Rücken zu streichen. Ehe Squall registrierte, dass sein Blick auffällig an diesem Bild klebte, berichtete ihn Selphies unmöglich zu ignorierendes Timbre schon in die Gegenwart zurück: „Xell will Fu-Jin und Rai-Jin in der Nähe des Gardens gesehen haaaaaben.“

Da blickte Rinoa auf. „Fu-Jin und Rai-Jin?“

Squall verschränkte die Arme und wandte den Kopf zur Seite. „Die beiden haben uns schon genug Probleme bereitet. Wir werden sie nicht wieder in den Garden aufnehmen, auch wenn sie um Verzeihung bitten. Sie müssen aus ihren Fehlern lernen.“

Sofort dachte er aber auch an jemand anderen. Er hatte ihn seit dem Gerichtsprozess nicht mehr gesehen und wusste nicht einmal, ob er dem Kämpfen abgeschworen hatte oder in einem womöglich sogar umgekommen war. Wenn jedoch Fu-Jin und Rai-Jin tatsächlich…

„Du denkst schon wieder zu viel“, tadelte Rinoa ihn, die unvermittelt vor ihm stand. „Was überlegst du? Wir wollen es alle wissen.“

Doch der SEED winkte ab. „Fu-Jin und Rai-Jin waren unsere Feinde, und vielleicht sind sie es noch immer. Wenn sie noch einmal aufkreuzen, dann werden wir ihnen Gehör schenken. Aber keine Gnade.“

„Keine Gnaaade~!“, echote Selphie Tilmitt euphorisch und schlug die Faust empor. Anschließend lief sie mit großen Schritten davon, wahrscheinlich um Xell die Anweisungen ihres Truppenführers durchzugeben. Squall fühlte Erleichterung. Es passte zeitlich, denn gerade tapste auch Angel davon, durch einen Hundeknochen besänftigt, und so wandte sich ihr menschlicher Partner wieder ganz ihm hin.
 

„Es hat mal keinen Sinn. Der Balamb-Garden ist geschützt wie’n Bunker. Niemand lässt einen mal rein.“

„Schwach.“

„Ich bin mal gar nicht schwach. Ich bin nur mal realistisch. Die lassen uns da nichtauaaaaa!“

Rai-Jin humpelte auf einem Bein, nachdem seine um ein Jahr jüngere Schwester ihren Fuß gegen seine Achillesferse gerammt hatte.

„Resignation inakzeptabel“, stellte Fu-Jin erbarmungslos klar, deren Erscheinung und Sprechweise bereits auf ihr eiskaltes Wesen schließen ließen, die aber keinen Rückzug duldete, wenn es um ihre Freunde, von denen sie nicht viele hatte, ging.

„Squall wird uns nicht die Hand reichen, wenn wir mal auftauchen. Und er wird uns unseren Posten schon mal gar nicht zurückgeben. Alles, was wir mal sehen werden, wenn wir’s überhaupt in den Garden schaffen, ist mal die Spitze seiner Gun-Blade.“

Der zierliche Silberschopf mit der Augenklappe wusste, dass der braungebrannte Hüne Recht hatte. Vor gar nicht ferner Zeit hatten sich die ungleichen Geschwister den SEEDs entgegengestellt. Nicht um die Hexe, jene das Ziel der Söldner darstellte, zu schützen, sondern aus persönlichen Gründen. Sie hatten Squall Leonhart gebeten, das zu erreichen, wozu sie selbst nicht in der Lage gewesen waren. Und tatsächlich war vor einem halben Jahr Frieden in die Welt gekehrt und anfangs auch in das Leben der Geschwister, welche sich in der Hafenstadt Balamb auf dem gleichnamigen Kontinent eingefunden hatten. Ein Ort wie dieser hatte ihre Waffen überflüssig werden lassen. Der frische Atem des Meeres hatte die erhitzten Klingen ebenso gekühlt wie die Wunden der vergangenen Niederlagen.
 

Allein zu heilen vermochte er sie nicht. Tagtäglich vermieden sie durch ihr schmerzhaftes Brennen, in Vergessenheit zu geraten, wann immer er hier lag und seine größte Regung darin bestand, die verdammten Möwen zu verfluchen, die verdammten kreischenden Möwen und die verfluchten rauschenden Wellen. Ein nagender, dumpfer, aber immerhin lautloser Schmerz machte sich über ihn her, und er lieferte sich ihm aus bar jeder Gegenwehr in der Hoffnung, gefressen zu werden, was einfach nicht passierte, wie lange er auch lag und wartete; sein mickriges Selbst war schon so klein und wurde doch nicht kleiner, wenn die hungrigen, stumpfen Zähne sich in das blutlose Fleisch seiner Seele senkten. Sie kauten auf ihm herum und hielten ihn fest in ihrem Gebiss aus weißem Bettzeug. Jeder Tag, den er zwischen diesen Decken verbrachte, zog sinnlos an ihm vorüber. Glotzte ihn vielleicht an, wie auf ihm herumgekaut wurde, blieb aber nicht stehen. So ein Tag ist sich zu schade, um stehen zu bleiben und einen Menschen auf die Füße zu ziehen. Manchmal sah er ihnen hinterher, aber nicht lange. Meistens sah er an die Decke. Die andere weiße Decke, die über ihm. Und [wartete]. Verschwendete Zeit. Er kämpfte nicht mehr gegen Beißkäfer, Stichraupen und Focarols. Verschwendete Energie. Nichts füllte ihn aus. Seine Gun-Blade verstaubte irgendwo unter einem der Schränke und er auf diesem Bett, zwischen den beiden weißen Decken, von denen eine die graugrünen Augen starr fixierten. Wie Schlamm dehnte sich die schwüle Masse des Alkohols in seinem regungslosen Körper aus. Alkohol war das Einzige, was ihn in der ersten Phase noch aus der Lethargie geholt hatte, um seinen verbliebenen beiden Gefährten Harmonie und gute Laune vorzutäuschen, aber mittlerweile war auch er nur noch eine nette Gewohnheit seines trostlosen Alltags. Wofür brauchte er auch einen klaren Klopf? Ordnungsdienst war Vergangenheit. Die Zeit vorbei. Squall Leonhart war Schülersprecher und Cifer Almasy nur ein Schatten seiner selbst.

Von wegen [Hexen-Ritter].

Die sich öffnende Tür ertönte leise. Cifer brauchte seinen Blick nicht von der Decke zu nehmen, um zu erfahren, wer es war. Fu-Jins kaum zu vernehmenden Schritten folgten Rai-Jins unüberhörbare; sie traten in die Zimmermitte und sahen ihn teilnahmslos dort auf dem Bett liegen. Die leeren Flaschen verwunderten sie längst nicht mehr.

„Wir müssen mal mit dir reden, Cifer.“

„Da gibt’s nichts zu bereden.“

Ratlos streckte Rai-Jin die starken Arme zu den Seiten aus. „Reiß dich mal zusammen!“

Cifer antwortete nichts. Er verspürte nicht den Hauch einer Lust, sich auf ein Wortgefecht mit dem Hünen einzulassen. Außerdem wusste er, wie man Rai-Jin, der, wenn er ihn ignorierte, seine gefassten Vorsätze meistens rasch verwarf, loswerden konnte. Schon begann er zu brummen, seine mächtigen Fäuste zu ballen und sie drohend emporzuheben. „Verdammt – Cifer!“

Nicht einmal Fu-Jins beschwichtigende Hand auf seiner Schulter, auf die sich vermutlich noch dreizehn weitere Fu-Jin-Hände hätten reihen können, vermochte ihn zu beruhigen. Ihre kühlen Augen versuchten, Cifers Blick einzufangen. „Cifer. Bitte.“

Doch auch ihr winkte der Angesprochene ab. „Vergesst es. Verschwindet und lasst mich allein.“

Und weil sie ihn noch immer so sehr respektierten, machten sie wie zwei begossene Hunde auf der Stelle kehrt. Nachdem Fu-Jin die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, seufzte Rai-Jin laut. „Schon wieder. Wir haben uns mal vorgenommen, heute echt mal standhaft zu bleiben, und jetzt sieh uns an. Cifer ist mal nicht mehr er selbst. Und ich mal ehrlich mit meinem Galbadianisch am Ende.“

Fu-Jin stimmte ihrem Bruder wortlos zu. Seit Cifer nicht mehr am Leben teilnahm, wurde jeder neue Tag zu einer Herausforderung. Nicht nur seine gegenwärtige Laune machte den Geschwistern sehr zu schaffen; auch fehlte ihnen die Kampfkraft ihres Anführers, wenn sie Gelegenheitsjobs tätigten, um Unterkunft und Verpflegung zu finanzieren. In der vergangenen Woche hatten sie kaum einen Auftrag entgegennehmen können. Cifer war es gewesen, der sie ihnen beschafft hatte, denn wenn er wollte – das wusste Fu-Jin – dann konnte er auftreten und reden wie ein galbadianischer Diplomat. Aber Cifer wollte nicht mehr, und außer mittlerweile so spartanisch einkaufen wie Fu-Jin sprach, konnten sie nichts unternehmen. Daran, Cifer einfach zu verlassen, hatte niemand von ihnen jemals gedacht und würde keiner von beiden irgendwann tun.

Ellone

Keine Baumkrone wackelte in einer unnatürlichen Brise, kein Monster fühlte sich auf seiner Jagd durch ein ablenkendes Geräusch, einen irreführenden Geruch gestört. Die charakteristische Atmosphäre des kleinen Kontinents verblieb in Balambs Schoß, und als die Schüler des Gardens überrascht stöhnten, setzte das hochentwickelte Luftschiff aus Esthar bereits zur Landung an. Auf den Tag genau waren sechs Monate vergangen, seit die SEEDs ihre Zukunft, ihre Gegenwart und ihre Vergangenheit vor dem verzweifelten Zorn der Hexe Artemisia bewahrt hatten, und viele Menschen wünschten dieses Ereignis schon jetzt zu feiern. Selbst der Präsident Esthars gab sich die Ehre. Anschließend wollte er auch Galbadia einen Besuch abstatten, um dessen Oberhaupt zu treffen und die bisher bestehende Isolation des Oststaates gegenüber den anderen Kontinenten zu lösen. Sie alle wollten nun, erschöpft von der stetigen Anspannung und dem Misstrauen der Hexen-Kriege, nur noch Frieden, davon war Laguna Loire überzeugt, ebenso wie davon, dass Weimar Biggs sicherlich viel kompetenter war als sein Vorgänger Vincer Deling. Womöglich empfand er eine ursprüngliche Sympathie für ihn, weil Biggs durch ähnlich komplizierte und verwunderliche Umstände Präsident geworden war wie er selbst. Er war der festen Ansicht, dass man keine lückenlose Karriere im Militär und der Politik vorzuweisen braucht, um Staatsführer zu werden, sondern allein das Herz am rechten Fleck und den Mut, manchmal auf dieses zu vertrauen. Der erste Schritt aufeinander zu war bereits gesetzt: Die beiden großen Nationen beteiligten sich gemeinsam an der effektiven Reduzierung der zahlreichen und mächtigen Monster nach der jüngsten [Träne des Mondes].

Sogar der Schulsprecher des Gardens blinzelte verblüfft, als Esthars Präsident in einem schicken, weißen Anzug aus der Luke des Flugzeugs schritt, besann sich jedoch schnell und ließ die SEEDs salutieren, indem er selbst den Gruß des Balamb-Gardens ausführte. Flankiert wurde Laguna von seinen treuen Freunden, den Gouverneuren Kiros Seagill und Ward Zaback. Hinter ihnen folgte Ellione. Das Glänzen ihres Abendkleides wurde lediglich übertroffen von jenem ihrer Augen, da sie Squall und all die anderen Schützlinge Edeas erkannte, denen sie sich wie eine Schwester verbunden fühlte. Squall musste lächeln. Er wusste nicht, seit wann es so war, aber jedes Mal, wenn er Ellione wiedersah, verspürte er so etwas wie Erleichterung. Direktor Cid Kramer und seine Gattin Edea verneigten sich vor dem Präsidenten, welcher sich scheinbar verlegen am Hinterkopf kratzte und meinte, dass all die Floskeln doch nicht nötig wären unter Freunden. Mit derselben Geste bedachte er auch den Schulsprecher, als dieser ihn kühl mit [Herr Präsident] begrüßte.

„Diese Förmlichkeit lässt mich mich hier so unwillkommen fühlen“, erklärte er frei heraus. „Gut siehst du aus, Elfe… – Squall. Die Uniform eines SEEDs steht dir genauso gut wie die junge Schönheit an deiner Seite.“

Rinoa Heartilly, in jenem Kleid, in dem Squall sie zum ersten Mal getroffen hatte, grinste heiter und schlang die Arme um einen ihres Freundes.

Noch immer fühlten sich Laguna und Squall ganz seltsam, wenn sie sich ansahen. Vielleicht war dies der Grund, aus welchem der Jüngere in seine alten Muster zurückfiel. Obzwar sie sich kaum richtig kannten, erfüllte es Laguna mit Wärme, zu verfolgen, wie der SEED unter Rinoas Fürsorge mehr und mehr auftaute. Aber auch an ihr, welche ihm ebenfalls sehr schnell sehr eng ans große Herz gewachsen war, hatte sich etwas verändert: Die ehemalige Widerstandskämpferin war reifer geworden. Sie konnte ihre eigenen Gefühle besser verstehen und wusste endlich, was sie wollte und was sie selbst tun musste, um das zu erreichen. Dennoch schien sie Laguna nichts von ihrer Fröhlichkeit und Schlagfertigkeit eingebüßt zu haben. Er fand es unheimlich aufregend, wie sich Menschen im Verlauf eines halben Jahres änderten, und hoffte, dass auch er selbst interessant genug geworden war, um neu kennen gelernt zu werden.
 

Obwohl alle Bemühungen zwecklos waren, die Visite der Insel durch den Esthar-Präsidenten vorsichtshalber geheim zu halten, wurde der zarte Duft dieser Nachricht im kleinen Städtchen Balamb vom Aufdringlichen saftig gebratener Fische verdrängt, noch bevor ihn jemand zur Kenntnis nehmen konnte. Rai-Jin erfuhr erst davon, als er einem alten Angler begegnete, der aus Fisherman’s Horizon hierher gereist war, um den sagenumwobenen [Balambschen Barsch] zu fangen, wofür er die Hilfe des stämmigen Mannes ersuchte, welche dieser natürlich unverzüglich leistete. Beim gemeinsamen Fischen kommt man schon einmal ins Gespräch, wenn wieder nichts anbeißen will, und so erklärte der Alte ihm, wie sein Freund ihm erzählt hatte, wie von dessen Enkel der Kollege von der Arbeit von seinem Chef erfahren hätte, dass von Esthar der Präsident und von dem Präsidenten von Esthar die Nichte von heute auf morgen nach Balamb kommen könnten, und wie der Kollege das Gerücht dem Enkel des Freundes des alten Anglers mitgeteilt und dieser es seinem Großvater anvertraut hätte, welcher es dem Freund hatte wissen lassen, der es nun dem dunkelhäutigen Hünen vermittelte. Rai-Jin wusste anschließend nicht mehr so genau, von wem er die Neuigkeit eigentlich hatte, aber er gab sie an Fu-Jin weiter, die es letztlich Cifer berichtete. Ihn ließ es kalt. Er ahnte, dass sie ihn bewegen wollten, zum Garden zu gehen, wo er auf Squall Leonhart treffen würde, weil sie hofften, dass er durch den Anblick des Erzrivalen seinen Kampfgeist wiederfinden würde. Deshalb versuchten sie immer wieder, mit dem Schulsprecher in Kontakt zu treten. Doch so leicht war es nicht. Inzwischen war Cifer seiner Gleichgültigkeit so sehr verfallen, dass selbst die Abneigung gegenüber seinem ehemaligen Mitschüler längst nicht mehr stark genug war, um sein Leben noch herumzureißen.

Irgendwo tat es ihm ja selbst Leid. Glaubte er.

Worte fand er keine, da Rai-Jin erhitzten Gemüts in das Zimmer stürmte, in dessen Mitte wie versteinert stehen blieb und ihn anstierte, als wartete er auf eine Goldnadel. Aus einem Reflex heraus hatte Cifer ihm den Kopf zugewandt und dabei zufällig festgestellt, dass der Tag schon im Sterben lag. Draußen zitterten ein paar Sterne an der blaubefleckten Schwärze des Himmels.

„Fu-Jin“, begann der Riese schnaufend, wobei er alle Mühe hatte, seinen Zorn zu zügeln, „geht es mal nicht so gut. Sie macht sich mal große Sorgen. Um das Geld. Und um dich. Du solltest mal mit ihr reden – unbedingt. Ich führ’ dich mal zu ihr hin.“

Cifer erwiderte seinen flehend-fordernden Blick mit nichts als Ausdruckslosigkeit. „Keine Lust.“

Da konnte Rai-Jin nicht länger an sich halten: Er explodierte förmlich, stieß ein Geräusch aus, das einem Donner ähnlicher war denn einem Schrei, und versenkte seine gewaltige Faust in die Wand, dass ein Beben das Zimmer erschütterte. „Ist sie dir denn auch schon völlig egal?! Ist dir denn gar nichts mehr wichtig?! Fu-Jin hat mal geweint, Cifer, wusstest du das?! Sie hat mal wegen dir geweint!“

Die Arme des Blonden rutschten unter seinem Haupt hervor und stützten den Oberkörper, als er sich aufrichtete, den Kameraden unverändert anstarrend. „…Na und?“

In Rai-Jins Augen zischten Blitze. Es mochten die letzten Zuckungen sein, die durch seine absterbenden Gehirnzellen fuhren. Mutig überschritt er die unsichtbare Grenze von Cifers ewigem Wartezimmer. „Ich sag’ dir mal was: Beweg mal deinen Arsch und geh zu ihr!“

Cifers Augen zuckten – wohl die erste Gefühlsregung in seinem Gesicht seit Langem. „Wie redest du mit mir?“

„Du bist mal nicht mehr der Cifer, den ich respektiere“, erklärte Rai-Jin unverhohlen und ging noch weiter: „Du bist mal nichts mehr als ein verdammter, feiger Looser!“

„Und diese Worte aus dem Mund eines Trottels, der nicht denken, nur zuschlagen kann?“, konterte er mit scharfem Blick.

„Ich zeig’ dir, wie ich mal [zuschlagen] kann!“

Schon langte die tellergroße Hand nach dem Kragen des grauen Mantels und zog ihn so weit empor, dass Cifers Füße nicht mehr den Boden berührten. Nicht, dass der sich davon einschüchtern ließ: „Bitte!“, forderte er ihn noch heraus. „Halt dich bloß nicht zurück!“
 

Nur Sekunden später landete Cifer Almasy unsanft auf den vier Buchstaben; während seine Gun-Blade hilflos an ihm vorbei stolperte, krachte die Haustür hinter ihm so hart ins Schloss, dass die Vögel auf den Dächern kreischend die Flucht ergriffen.

Verdammt!“, schrie er wutentbrannt und schlug die Faust auf den Grund. „Rai-Jin! Du Arsch! Das kannst du nicht machen!“

Er fluchte und schrie unnachgiebig. Die Außenseite der Tür wusste ihm jedoch nichts zu erwidern. Erst eine dicke Sonderausgabe der Timber Maniacs brachte ihn zum Schweigen, indem sie, von einem entnervten Einwohner zielsicher geworfen, gegen seinen Kopf klatschte. Vor Rage keuchend, zog er sich schließlich schwerfällig auf die Beine und seine Gun-Blade gleich mit. Was verlangte Rai-Jin von ihm? Dass er am Straßenrand schlief wie irgendein besoffener Penner?

Gut, angetrunken war er tatsächlich ein wenig, fürchtete er. Ansonsten wäre es gar nicht so weit gekommen, hätte Rai-Jin ihn niemals überwältigen können. Der Arsch. Wer meinte er plötzlich zu sein? Hyne persönlich? Früher oder später würde er merken, dass sie ohne ihn nicht klarkämen, und dann würden sie ihn bitten, zu ihnen zurückzukehren, und sich entschuldigen und einsehen, dass sie einfach überreagiert hatten.

Bis es soweit war, konnte sich Cifer ja ein bisschen die Beine vertreten.

Es fiel merkwürdig schwer, vorwärts zu gelangen. In den letzten Tagen hatte er sich nur noch vom Bett erhoben, wenn es wirklich wichtig gewesen war. Seine Beine schienen sich das Gewicht dessen, was sie zu tragen hatten, abgewöhnt zu haben. Träge schleifte er die Gun-Blade hinter sich her, während er die Festigkeit seiner Schritte suchte, und wandelte in dem nächtlichen, sparsamen Lichtwurf wie ein hungriges Tier auf Beutefang. Das heisere Fauchen der Klingenspitze auf dem Asphalt dröhnte in seinem Gehör über das Atmen des Meeres hinweg und ließ die blendende Finsternis bedrohlich erscheinen. Wie lange hatte sie kein Blut geleckt? Das kalte Material der Straße sollte ihre Kanten schärfen, doch es tat es nicht, und die Häuser um sie her nahmen keinerlei Anteil. Von starrem Stein wird ein hungriges Tier nicht satt; es beißt sich lediglich die Zähne aus. Balambs friedliche Gleichgültigkeit hing ihm zum Hals heraus. Hier etwas unternehmen zu wollen gegen Lustlosigkeit und Langeweile erschien Cifer wie Schläge ins Wasser, welches so unendlich vorhanden diese winzige Stadt vom Geschehen der Welt trennte. Balamb kannte keinen Zeitfluss und hasste jenen, der wartete, denn ein Ort, in welchem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft irgendwie alles das Gleiche war, bot dem Wartenden kein Ziel, was der Grund dafür sein mochte, dass Cifer Almasys Warten sinnlos und zermürbend war. Deshalb verlangsamte die Stadt sein Vorankommen – sie wollte ihn festhalten.

Er musste hier raus.

Ehe er sich versah, wanderte der Ziellose über die weiten, grünen, unbewohnten Ebenen von Alclad. Zur einen Seite – seiner linken – erstreckte sich die Gualug-Gebirgskette, auf der anderen umrandete irgendwo jenseits seiner Sichtweite die Renallküste den Kontinent. Weit entfernt, aber vor ihm erhellte ein kräftiger Schein die Nacht. Es war der beeindruckende Ring, der wie ein Heiligenschein über dem riesigen Gebäude des Gardens schwebte, in welchem er selbst einst zuhause gewesen war. Heute waren ihm seine Türen verschlossen, denn Squall Leonhart herrschte nun über die Militärakademie und würde seinen Todfeind nicht auf tausend Meter an seine Löwenhöhle heranlassen.

„Vertrauen Sie uns.“

Je mehr Nacht der helle Schein für sich beanspruchte, desto greifbarer wurden ihm die Erinnerungen, welche er an seine Schulzeit hatte. Als wäre es gestern gewesen, entsann er sich jener Worte, die er überzeugt an den Direktor entrichtet hatte, nachdem dieser ihm, Fu-Jin und Rai-Jin den Posten des Ordnungsdienstes zugewiesen hatte. Ein Grinsen zuckte an Cifers Mundwinkeln, als er an die Folgen eines Troublemakers mit Einfluss dachte. Selbstverständlich hatten sie ihre Position häufiger zu ihren persönlichen Gunsten ausgenutzt, aber auf der anderen Seite konnte man nicht behaupten, sie hätten sich der ihnen auferlegten Pflicht nicht mit ganzem Eifer verschrieben.

Die Spitzen des Ringes lugten über den Horizont. Wo er den Garden in eine blaue Lichtsäule hüllte, leuchtete der Himmel nahezu weiß. Wie das aus dem Wasser tauchende Atlantis ragte der runde Komplex schließlich aus dem Grasland empor.

Cifer blieb stehen.

Als sein Blick nach Minuten aus dem Griff des imposanten Anblicks entlassen wurde, nahm er eine blinkende Bewegung am Rande seines Sichtfeldes wahr. Es waren die Flügel eines Beißkäfers, der erregt surrend und in wilden Kurven unmittelbar auf ihn zuflog. Bevor er daran dachte, die Waffe in Position zu bringen, registrierte er, dass das Monster nicht allein war: Ein weißes Kleidungsstück hob sich mühsam von der Kulisse des Gardens ab, zwei Hände flatterten nervös in der Luft herum. Die heftigen Gesten waren kaum einzuordnen, also reckte Cifer den Hals und kniff die Augen zusammen. Da er die Konturen der Person erkannte, wurde auch sie seiner gewahr: „Ist dort jemand? Bitte! Helfen Sie mir!“

Der Beißkäfer kreiste um ihren Kopf und machte Anstalten, sie anzugreifen, doch ihre ratlos winkenden Hände scheuchten ihn wieder und wieder fort. Sie wimmerte und konnte einen spitzen Schrei schließlich nicht mehr zurückhalten; er schockierte den Käfer derart, dass er plötzlich die Flucht ergriff – direkt in die erhobene Klinge der [Hyperion]. Ein scheußliches Geräusch – dann schlug der Gun-Blader das perforierte Monster mit einem einzigen Schwenker von seiner Waffe.

„Ich danke Ihnen“, keuchte das Mädchen in dem weißen Rock mit einem Ton, als hätte sie dem Wesen eine weniger endgültige Strafe gewünscht. Als sie ihm aus dieser Nähe in das Gesicht sah, wurden ihre Augen groß.

„Ich hab’ dir nicht geholfen“, entgegnete Cifer desinteressiert. „Das Ding ist mir zu nahe gekommen.“

Er gab dem Drang nach, sich in Bewegung zu setzen, doch ihre Hand auf seinem Ärmel ließ ihn innehalten. „Cifer.“

„Loslassen.“

„Wo willst du hin, Cifer?“

Mit bedrohlicher Langsamkeit drehte er ihr das Haupt zu. Sie war ihm tatsächlich keine vollkommen fremde Person. Neben ihm stand die junge Frau mit der angeblichen Begabung, die Gedanken eines Menschen in die Vergangenheit zu senden. Die Hexe Artemisia hatte nach ihr getrachtet. Aus diesem Grund hatte er selbst sie entführen lassen. Natürlich war es Squall gelungen, sie zu befreien, noch ehe Artemisia mit ihr anstellen konnte, was immer sie geplant hatte.

„Erinnerst du dich nicht an mich?“, fragte sie.

„Wenn du gekommen bist, um dich freiwillig entführen zu lassen“, erwiderte Cifer kühl, „dann bist du zu spät. Artemisia ist vernichtet, und ich bin nicht länger ihr Handlanger.“

Sie schüttelte gemächlich den Kopf. „Ich bin hier, um mich von etwas zu lösen.“

Mit einem ablehnenden „Na dann, viel Vergnügen“ zog er seinen Arm fort. Stattdessen fing sie seine Augen ein.

„Du bist der Einzige, der nicht [zurückgekehrt] ist.“

„Was?“

„Du warst doch Schüler dieses Gardens?“, fragte sie da, und er wusste nicht, ob sie ihm damit ihre Aussage erläutern wollte oder gerade just das Thema gewechselt hatte.

„Ordnungsdienst“, korrigierte er dennoch sofort.

„Ein Gun-Blader?“

Mit einer schwunglosen Bewegung hob er die dunkle Waffe, halb Pistole, halb Schwert.

Daraufhin leuchtete in ihren rehbraunen Augen ein Entschluss. „Warum begleitest du mich nicht?“

Skeptisch senkte er die Brauen über die Augen. „Warum gerade ich? Frag doch das Schulfestkomitee um den Schulsprecher.“

„Das kann ich nicht“, sagte sie fest und wandte den Blick in die schwarze Ferne.

„Probleme mit Squall?“, fragte er, auf eine bittere Weise amüsiert. „Ist wohl doch nicht alles voller Blumen und Regenbogen in eurer Welt, hm?“

„Als Ordnungsdienst, war es da nicht deine Aufgabe, die Schüler sicher in ihre Quartiere zu geleiten?“

„Unsere Aufgabe war es, den Leuten in den Arsch zu treten, die das mit der Uhrzeit nicht kapieren.“

„Na fein“, schien sie nachzugeben, hörbar enttäuscht. „Ich kann dich nicht zwingen. Aber ich kann dir ein Angebot machen. Für die sichere Überführung nach Balamb…“ In ihrer Handtasche kramte sie nach der Geldbörse. Cifer sah zu, wie sie großzügig Tausenderkarten herauszog. Es irritierte ihn, weshalb jemand wie sie, der mit dem Präsidenten von Esthar nahezu familiäre Beziehung hatte, auf die Bezahlung jemandes wie ihn angewiesen sein sollte, der nicht einmal SEED war. „4000 Gil?“

Ein paar Karten machte er in dem Fach noch aus. „6000.“

„Du hältst offensichtlich viel auf dich“, sagte sie, aber nach einem Vorwurf klang es nicht. „4500?“

„Ich halte nur viel auf die bösen Beißkäferchen“, gab er zurück. „6000.“

„Als [Auftraggeber] werde ich mich nicht deinem Willen beugen. Du benötigst das Geld genauso wie ich den Schutz durch deine Fähigkeiten. 5000 Gil – mein letztes Angebot.“

Cifer verschränkte die Arme vor der Brust. Eigentlich hatte er keine Lust, den Bodyguard zu spielen, von dieser Schnepfe begleitet über Alclad zu hüpfen und dabei auch noch professionell auszusehen. Auf der anderen Seite war es leicht verdienter Gil und sein erster Auftrag seit Wochen. Er würde Fu-Jin und Rai-Jin beweisen können, dass er doch noch zu etwas fähig war.

Insgesamt sorgten 5001 Gründe dafür, dass er ihre ausgestreckte Hand letztlich ergriff, um die Übereinkunft mit einem Händedruck zu beschließen. „Abgemacht.“

„Auf eine gute Zusammenarbeit, Cifer Almasy.“

„Steh nur nicht zwischen dem Gegner und meiner Gun-Blade rum, …“ Abrupt hielt er inne.

Sie musste lächeln. „Ich bin Ellione.“

Black Rose

„Cifer?“

Rai-Jin drehte sich um und sah seine Schwester an der Tür zum Schlafzimmer stehen, eben erst erwacht und doch mit akkurat glattem Haar, das im ersten Sonnenlicht silbern glänzte. Sie trug ihre Augenklappe noch nicht; stattdessen verhehlten breite Strähnen ihre linke Gesichtshälfte. Das rechte Auge visierte ihn scharf an, wie er am Tisch saß und den gestrigen Abend Revue passieren ließ. Die Platte war spärlich zum Frühstück gedeckt mit der für Rai-Jin unverwechselbaren chaotischen Liebenswürdigkeit. „Willst du mal ein Brötchen?“

„Cifer“, wiederholte Fu-Jin sich, und sie wiederholte sich ungerne.

Rai-Jin wurde nervös. Mit einem unmerklichen Kraftaufwand riss er das Brötchen in zwei Hälften. Es war ein Versehen, dass er dabei beide Teile zerquetschte und sie in seinen großen Fäusten förmlich zu Staub zerfielen. Ihm graute davor, ihr die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, aber es war nun einmal seine Art, es doch zu tun: „Wir haben uns mal ziemlich heftig gestritten. Da habe ich ihn mal vor die Tür gesetzt.“

Fu-Jins rote Iris blitzte. „Wann?“

„Gestern Abend! Es tut mir mal ehrlich Leid, aber er hat mich wirklich mal ganz schön aufgeregt!“, verteidigte er sich ängstlich, als sie mit entschlossenen Schritten auf ihn zuschritt und ihm ins Schienbein trat.

„Suchen!“

„S-sofort!“

Ohne sich überhaupt gewaschen zu haben, flitzte Rai-Jin aus der Wohnung. Sekundenlang hörte man ihn noch die Hauptstraße entlangstampfen. Fu-Jin verfolgte seinen Weg durch das Fenster über dem Bett, auf welchem Cifer gestern noch gelegen hatte. Als er nicht mehr zu sehen war, schüttelte sie Decke und Kissen aus. Aufgrund ihrer Art war es ihr verwehrt, es in Worte zu kleiden, aber die Sorgen um ihren Kameraden ließen ihr Innerstes vor Schmerz brennen. Cifer war jetzt nicht in der Verfassung, allein gelassen werden zu können. Fu-Jin war geübt darin, dem Chef des Ordnungsdienstes abzulesen, was immer er versuchte, selbst vor seinen beiden Freunden geheim zu halten. Menschen zu durchschauen, um sie zu brechen, hatte sie in frühen Jahren – lange bevor sie den damaligen SEED-Anwärter getroffen hatte – gelernt wie den Umgang mit ihrem Shuriken. Nicht einmal ihrem Bruder erklärte sie, was Cifers blassgrüne Augen ihr oft mitteilten – es genügte, dass sie es kannte und dementsprechend – auf ihre eigentümliche, aber funktionierende Weise – auf ihn einwirken konnte.

Und weil Fu-Jin manchmal sogar besser als Cifer selbst wusste, wie es ihm wirklich ging, hätte sie auch das triumphierende Lächeln, das er gerade auf den Lippen trug, da er mit dem ersten Sonneneinfall die Fassade der Stadt bereits ausmachen konnte, nicht beruhigen können.

„Da vorne ist Balamb.“

Hinter sich vernahm er keine Antwort, aber ein dumpfes Geräusch, und als er sich dem zuwandte, kniete Ellione sichtlich ermüdet auf dem Gras.

„Sag nicht, dass du jetzt schlapp machst.“

„Es tut mir Leid“, hauchte sie.

„Es ist nicht mehr weit“, versuchte er sie zu motivieren.

„Ich weiß. Können wir trotzdem eine kurze Pause einlegen?“

„Muss das echt sein?“

„Bitte.“

Und wieder waren es 5001 Gründe, die dafür sorgten, dass er letztlich doch nachgab.

Ein Thrust Avis flog mit einem schrillen Schrei über die Ebene hinweg, deren Millionen Gräser im goldenen Morgenlicht Tropfen weißen Glanzes trugen. Cifer ließ sich an Ort und Stelle nieder und fixierte sein Gegenüber unhöflich, das abwesend das Grün unter sich musterte. Schemenhaft erinnerte er sich daran, dass es einmal sein Traum gewesen war, Frauen wie sie zu beschützen, bis er erkennen musste, dass Hexen-Ritter sein nichts anderes bedeutet als schamlos von den Hexen ausgenutzt zu werden. Er war ziemlich verblendet gewesen.

„Ist da eigentlich was dran?“, fragte er nach einer Weile des Schweigens, und Ellione sah auf. „An deiner Fähigkeit, die Gedanken in die Vergangenheit schicken zu können, meine ich.“

„Glaubst du es nicht?“

„Schwer zu glauben, wenn man es selber nie erlebt hat. Aber Artemisia wusste wohl, was sie an dir hatte.“

„Ja, es ist wahr. Ich weiß nicht, warum ich das kann, aber es ist möglich.“

„Und wie soll das funktionieren?“, hakte er nach.

„Ich kann es nicht erklären. Für mich ist es so selbstverständlich wie das Schreiben und Lesen. Aber so, wie man jemandem, der Buchstaben nicht kennt, das Schreiben allein durch Worte nicht erklären kann, so kann ich dir nicht sagen, wie genau es funktioniert.“

„Und die Vergangenheit ist dadurch beeinflussbar?“

„Ich kann nicht den Körper übertragen, sondern nur die Gedanken mit einer Person aus der Vergangenheit [verbinden], aus deren Sicht der Verbundene die Vergangenheit dann erlebt, ohne aber aktiv eingreifen zu können. Manchmal passiert es, dass die Person, die jemanden aus unserer Zeit empfängt, dessen [Gedanken wahrnehmen] kann. Artemisia ist es gelungen, ihre Gedanken in ihrem eigenen Körper zu materialisieren. Sie ist tatsächlich durch die Zeit gereist. Bevor Squall mir das erzählt hatte, wusste ich nicht, dass so etwas möglich ist. Ein sehr inniger Wunsch muss sie verleitet haben…“

Cifer war nie jemand gewesen, der seine zurückliegenden Entscheidungen reflektieren musste. Wo Squall Leonhart in der Vergangenheit des Nachdenkens und Abwägens stecken geblieben war, lief er dem Einklang seines Herzens und seines Verstandes nach: Seinem Traum. Nun allerdings erwischte er sich, wie er über eine andere Gegenwart sinnierte, über die Folgen anderer – veränderter – Entschlüsse. Er könnte sich selbst vor der Hexe warnen. Und er würde es mit der Einsicht bezahlen, falsch gehandelt zu haben.

Gereizt stieß er die Spitze der Hyperion in den Humus. „Schwachsinn! Wer seine Vergangenheit ändern will, der verleugnet sich doch nur selbst!“

Ellione sah ihn interessiert an.

„Ob man das Geschehene verändert oder nicht: In der Gegenwart hat man’s doch wieder mit sich selbst zu tun.“

„Ich wollte mich nicht verändern“, wehrte sie sich besonnen. „Alles, was ich wollte, war, eine Familie zusammenzuführen.“ Dann senkte sie das Haupt. „Raine wäre bestimmt nicht gestorben, wenn Onkel Laguna sie nicht verlassen hätte, um mich zu suchen.“

„Und? Hast du deinen Onkel vorher mal gefragt, ob er mit einer neuen Vergangenheit einverstanden gewesen wäre?“

Ihre verwunderten Augen verrieten, dass sie nichts dergleichen getan hatte. „Hältst du es für notwendig, danach zu fragen? Ich ging natürlich davon aus, dass er glücklicher sein würde, wenn er mit seiner Familie vereint gewesen wäre.“

„Ach so, du "gehst davon aus"“, betonte er mit gespieltem Verständnis und erhob sich. „Und damit ist ja alles klar, wie? Deine schlichte Annahme ist über jede Tatsache erhaben. Dass du aber gar keinen Schimmer hast, was die gegenwärtige Vergangenheit ist, was sie bewirkt hat und was sie bedeutet, daran hast du eher weniger Gedanken verschwendet, hm? Ich sag’ dir eines, Kopplungsmaschine: Bleib bloß aus meinem Gehirn raus! Wenn ich merke, dass du an mir herumexperimentierst, hast du den Krieg erst vor dir. Da verstehe ich keinen Spaß, verstanden?“

Beschwichtigend führte Ellione eine Hand in den großzügigen Freiraum zwischen ihnen. „Ich habe verstanden, dass ich nicht mehr in das Geschehene eingreifen sollte, und diese Überzeugung trage ich seit sechs Monaten, Cifer. Ich möchte meine Fähigkeit nicht mehr nutzen müssen. Deshalb bin ich hier.“

Er schnaubte und wanderte mit fragwürdiger Motivation ohne Ziel umher.

„Ich habe Angst… Angst, dass ich jemandem, den ich liebe, durch meine Fähigkeit Schaden zufüge. Die Reise an sich ist nicht gefährlich. Aber manchmal geraten Dinge ans Licht, die… besser im Schatten verweilen sollten.“

Das Knistern zerknickender Halme unter festen Sohlen setzte so plötzlich aus, wie es angefangen hatte.

„Andererseits machte ich hin und wieder von der Möglichkeit Gebrauch, den Menschen diese unverfälschte, selbst zu erlebende Wahrheit vor Augen zu führen, damit sie verstehen. Oft sind es Missverständnisse, die zu Auseinandersetzungen führen. Wenn ich versuche, ihnen diese zu verdeutlichen, indem ich nichts anderes unternehme als es ihnen zu zeigen, und auf diese Weise große oder kleine Kriege verhindern kann, ist es dann falsch?“

Er vermied es, sie anzuschauen. „Fragst du mich, was falsch ist? In euren Augen bin ich doch der bedauernswerte Idiot, der sich von der Hexe hat über den Tisch ziehen lassen. Quistis lässt sicher keine Gelegenheit aus, jedem feierlich zu verkünden, wie furchtbar schlecht ich bin.“

Ohne, dass er es sah, wusste Cifer, dass sie lächelte. „Es gibt vieles, das du missverstanden hast. Du lässt nicht los. Das ist der Grund, aus dem du noch hier bist. Wann wirst du aufwachen, Cifer? Wann?“

„Was redest du da?“ Er schwang herum und fasste sie für eine Sekunde verärgert ins Bild, doch sein Sichtfeld hörte nicht auf, sich zu drehen. Die sie umgebende Wiese stellte sich hochkant, schoss scheinbar in die Höhe, ehe die Gräser seinen Blick verdunkelten. Er realisierte, mit dem Kopf auf den Boden geschlagen zu sein. Ein hoher Ton dröhnte in seinem Verstand. Hatte ihn jemand niedergeschlagen? Einen Lidschlag später konnte er nicht mehr denken. Sein Körper wehrte sich. Doch er war hilflos. Unvermittelt nahm es ihm das Bewusstsein.
 

«Die SEEDs Selphie Tilmitt, Xell Dincht und Quistis Trepe, bitte umgehend ins Direktorat. Ich wiederhole: Selphie Tilmitt, Xell Dincht und Quistis Trepe, bitte ins Direktorat.»

Auf Quistis, die auf gutes Zureden ihrer Freundin Shou wieder als Ausbilderin tätig war, aber gleichzeitig zu Squalls besten SEEDs zählte, musste der Schulsprecher des Balamb-Gardens nicht lange warten. Selphie und Xell hingegen, die gestern Abend beide sehr tief ins Glas geblickt hatten, benötigten Zeit, die sie in der aktuellen Notlage nicht hatten, sodass Squall versucht war, zwei Hast-Zauber über die Flure und ihnen entgegen zu jagen und – als sie ihm schließlich doch noch gegenüberstanden – gleich zweimal Erzengel auf sie anzuwenden. Sie machten einen fürchterlichen Eindruck, wie zwei Zombies. Eventuell erst einmal etwas Weihwasser?

„Selphie, Xell. Seid ihr wach?“

Squall tadelte ihre fehlende Disziplin kurz, aber er bezweifelte, dass die Standpauke überhaupt durch ihre Ohren drang. Danach legte er ihnen die Sachlage dar. Als sie hörten, dass Ellione nicht aufzufinden war, waren sie mit einem Mal hellwach. Niida und Shou bestätigten ihnen noch einmal, dass sie sich weder in der Übungshalle noch in irgendeinem der zahlreichen Quartiere aufgehalten hatte, und auch Ward wusste lediglich den Kopf zu schütteln, als er von der Überprüfung ihres Luftschiffes zurückkehrte.

„Meinst du, sie ist wieder entführt worden?“, äußerte Xell seine Vermutung.

„Ausschließen können wir es nicht. Es ist eigentlich nicht Ells Art, einfach abzuhauen.“

„Nicht einmal Laguna scheint sie etwas gesagt zu haben“, wandte sich Kiros mit finsterer Miene an den Anführer.

Der nickte. „Unsere Mission ist es, sie aufzuspüren und zurück in den Garden zu bringen. Dafür werden wir Teams bilden, denen dann verschiedene Areale zugeteilt werden. Der Präsident wird hier auf unsere hoffentlich erfolgreiche Rückkehr warten.“ Und auf einen dezenten Hinweis seitens seiner ehemaligen Ausbilderin: „Ach, und vergesst eure Funkgeräte nicht. Verstanden?“

„Verstanden“, bestätigte Quistis.

„Verstanden!“, bestätigte Xell.

„Ayyye, ayyye!“, bestätigte Selphie. „Wieeeee sehen die Teams aus?“

Gerade in dem Moment hörten sie das Summen des Aufzugs und das Klingen, als sich die automatische Tür öffnete. Fertig zum Ausschwärmen eilten Irvine Kinneas, der Scharfschütze aus Galbadia, und Rinoa Heartilly, Squalls Freundin, über den Flur.

„Irviiiiiiiiiiine!“, kreischte Selphie frenetisch und machte aufgeregte Sprünge auf der Stelle.

Rinoa überfiel Squall mit einem Begrüßungskuss und lächelte ihn danach mit erhobener Augenbraue an. „Wir sind keine SEEDs, aber für ein kleines Abenteuer sind wir uns trotzdem nicht zu schade.“

„Yup, yup!“, bestätigte Irvine.

Squall schlug sich die Handfläche an die Stirn, ehe er wieder zum Thema kam: „Ellione ist seit gestern Nacht unauffindbar. Es ist durchaus möglich, dass sie entführt wurde. Deshalb werden wir jetzt Teams bilden und nach ihr suchen. Verstanden?“

„Verstanden…“, bestätigte Quistis.

„Verstanden…“, bestätigte Xell.

„Veeeerstanden…“, bestätigte Selphie.

„Yup, yup!“, bestätigte Irvine.

„Wir beide bilden das erste Team, Squall!“, bestätigte Rinoa und warf sich um seinen Hals.

Er zeigte sich genervt, aber alle Anwesenden wussten, dass er sich sein Team genauso gewünscht hatte, und gönnten es ihm.

„Gut. Die nächste Gruppe besteht aus…“
 

Es war eines jener nobel eingerichteten Zimmer einer galbadianischen Villa. Nichts Ungewöhnliches. Und doch fremdartig, bedenklich, einschüchternd. Den Griff der Gun-Blade fest umklammernd, wartete er auf das Hervorschnellen lauernder Krallen aus den Wänden, den Möbeln. Alles schien er durch einen dunklen Schleier zu sehen, in dem gleichen schwärzlichen Violett wie dem ihres Kleides. Von ihren süßen Worten eingelullt, war er einfach mitgegangen, ohne über die Folgen nachzudenken, genauso wie er es in der praktischen SEED-Prüfung getan hatte, als er – jeglichem Befehl zum Trotz – hinauf zum Sendeturm gestürmt war. Es hatte ihn ums Bestehen und eine Ausgangssperre eingebracht, an welche er sich natürlich auch nicht gehalten hatte, sonst wäre er jetzt nicht hier. Vielleicht wäre es besser gewesen. Oft brachte er sich selbst in die schwierigsten Situationen, aber in der Regel hatte er diese im Griff. Diesmal war das anders. Er wusste nicht, was mit ihm passieren würde. Die Aussicht, nach der Realisierung seines romantischen Traums greifen zu können, ließ ihn dieses Mal nicht einem wütenden Ausbilder, keinem Archeodinos gegenüberstehen, sondern inmitten der Politik- und Machtgeschäfte Galbadias. [Macht]… War es nicht das, was er schon immer erlangen wollte? Zu welchem Preis? Wenn etwas schief lief, hatte er sich mit der Gun-Blade stets verteidigen können. Aber war die Hyperion stark genug, einer aus der Vergessenheit emporsteigenden Kraft standzuhalten, von der sich ihr Führer bisher keine Skizze eines Bildes hatte machen können?

Aus der leichten Neigung des Hauptes beobachteten seine Augen die schmale Silhouette jener Person, welcher er sein Schwert unterworfen hatte. In Eleganz einer Schlange in nichts nachstehend, schritt sie lautlos, als würden ihre Füße den Boden gar nicht berühren, auf einen hohen Spiegel zu, um sich selbst darin zu bewundern. Er wollte den Blick in eine andere Richtung reißen, aber als würde sie ihre geheimnisvollen Fähigkeiten bereits wirken lassen, hing er wie gebannt an ihrem Rücken. Dass es keine Magie war, die ihn zwang, hinzusehen, die seinen Instinkt faszinierte, die sein Herzklopfen heiß in seinem Verstand widerhallen und für jeden anderen Gedanken bald keinen Platz mehr ließ, war eine Erkenntnis, von welcher er niemals erwartet hätte, so vernichtend zu sein.

Er war achtzehn Jahre alt… Kein Junge. Doch als die Hexe in jedem Sinne, den diese Bezeichnung zuließ, ihr Kleid wie verflüssigte schwarze Seide an ihrer makellosen Gestalt hinabgleiten ließ, fühlte er sich nicht bereit, schon Mann zu sein.

Der dünne Stoff fiel zu Boden und umsäumte ihre Füße wie eine verdorbene Rose. „Wovor scheust du dich?“, sprach ihre raue Stimme wie aus einer anderen Dimension. „Hängst du doch zu sehr an deiner Jugend?“

Ihre Hände streiften über den eigenen Körper, als hätten sie einen persönlichen Willen, der nicht minder gefangen war von ihrem Zauber als er.

„Die Jugend… verfliegt so rasch“, begann sie auf einmal zu erzählen, und er meinte, ein Gefühl der Wehmut in ihrer ansonsten eiskalten Stimme zu hören. „Das Erwachsensein… bleibt uns für die Dauer einer menschlichen Ewigkeit, bis zu unserem Tod. Nüchternheit tötet Träume. Die Freiheit unterwirft sich der Pflicht. Du magst die Jugend festhalten, doch du kannst sie dir nicht bewahren. Ziehst du zu stark, zerbricht sie… und nicht einmal die Erinnerung erhält sich dir. Die Zeit fließt wie Wasser. Sie wird stets einen Ausweg finden, wenn du versuchst, sie für dich einzusperren. Du möchtest erwachsen sein, weil du dich nach Unabhängigkeit und Verantwortung sehnst… Aber auch du wirst erkennen, dass erwachsen sein schon bedeutet, tot zu sein.“

Er schloss die Augen und fand darin eine Möglichkeit, der Situation zu entfliehen. Tatsächlich kehrte hinter seinen schweren Atemzügen Stille ein, als wäre die Hexe nur Teil eines Traums und er im Begriff, daraus zu erwachen. Doch er hatte seinen Traum träumen wollen und würde fortan nicht mehr imstande sein, ihn zu verlassen. Ihre feingliedrigen Finger legten sich auf seine erhitzte Wange und zogen ihn zurück in ihre Welt, die sich nun auch ihn einverleiben wollte. Ihm graute davor, die Augen zu öffnen, ihre goldenen Katzenaugen und ihren purpurnen Mund nur Zentimeter vor seinem Gesicht realisieren zu müssen.

„Wieso schaust du mich nicht an?“, hauchte sie. „Bin ich nicht schön? Bin ich nicht schön, weil ich eine Hexe bin? Können Hexen nicht schön sein? Lasst ihr alle Hexen in euren Fantasien hässlich sein, weil ihr sie hasst?!“

Ihre winzigen Pupillen drangen durch seine geschlossenen Lider und trafen ihn wie zwei scharfe Eissplitter. Er verstand, dass sie gefährlich war, äußerst gefährlich, und dass er sie besser nicht erzürnen sollte.

„Meine Vergangenheit ist mir egal. Alles, was ich will, ist, dein Ritter sein zu dürfen.“

„Der Letzte, der das war, brach sein Versprechen und ließ mich allein“, offenbarte sie ihm.

„Ich habe immer für die Erfüllung meines Traums gelebt. Es gibt nichts anderes in meinem Leben. Lass mich dein Ritter sein.“

„Ja“, seufzte sie förmlich und ließ ihre Hand hinabfahren. „Ich spüre, wie ein ungewöhnlicher Wille in dir wallt. Du möchtest mein Ritter sein. Du möchtest mich vor den schlechten Menschen beschützen, die mich diskriminieren und jagen. Denn du weißt, dass Hexen keine bösartigen Kreaturen sind.“

„Ja.“

„Du willst ein Mann sein, du willst Gerechtigkeit in diese von Egoismus und Machtbesessenheit bestimmte Welt bringen und keine Regeln und Gesetze scheuen, um dein Ziel zu erreichen. Du verlangst, dass jene Aufmerksamkeit und Beachtung empfangen, die es verdienen.“

„Ja.“

„Du verlierst deine Jugend und wirst zusammen mit mir leiden.“

„Ja.“

„Du willst mein Ritter sein.“

„Ja, verdammt! Dreht dir dein Faschingshelm das Gehör ab oder willst du’s vielleicht noch schriftlich mit Stempel?“

Eine einzelne kleine Zornesfalte irritierte die Unantastbarkeit ihres wie von Eis überzogenen Antlitzes. „Ich will deine unbedingte Loyalität. Ich will, dass du dir deiner großen Verantwortung gewahr wirst und dessen, dass ein Traum immer etwas [Illusionäres] hat. Ich will…“ Unerwartet langte sie nach seinem Arm, der die Gun-Blade hielt, zog den Ärmel zurück und riss eine lange Wunde in das Fleisch, indes die Waffe klimpernd zu Boden fiel.

„Scheiße!“

„…dass du bereit bist, für mich zu sterben“, beendete sie ihren Satz.

Das Blut beeilte sich, an sein Handgelenk zu reichen, um von dort aus auf den Teppich zu tropfen, der es gierig verschlang, flüchtend vor dem einzigen Wink ihrer Hand über die Versehrung, die den Fluss stoppte und nicht einmal eine Narbe zurückließ.

„Es liegt jenseits meiner Macht, jene Wunden zu heilen, die andere dir im Kampf gegen mich zufügen werden“, schien sie zu bedauern, den Ärmel wieder hinabschiebend. „Die Schlechtigkeit ihrer Absichten ist zu stark, als dass mein guter Zauber ihre Auswirkungen zu kurieren vermag. Doch dein Schwert, gesegnet durch meine Magie, wird die Traurigkeit des Heilens unnötig machen, wenn du wirklich bereit bist, als mein ehrenvoller Ritter an meiner Seite zu verbleiben.“

„…Ich werde es, Edea.“

Und wie manipuliert begab er sich auf die Knie. Zu ihren Füßen erst konnte er die Augen wieder öffnen.

„Heute Abend wird es zu meinen Ehren eine Parade geben. Sei bis dahin ein braver Junge, hörst du? Wenn du brav bist, werde ich dich belohnen…“
 

Wenn du brav bist, werde ich dich belohnen…
 

Und er war brav.

Dreams of a Summer

Regelrecht wütend über sich selbst stieß er sich vom Boden ab, gelangte auf seine Beine und bereute seine Hast gleich mit einem üblen Schwindelanfall. Seine Sicht verdunkelte sich, ehe sie sich überhaupt wieder aufgeklart hatte. Hatte irgendjemand ihn niedergeschlagen? Wieso? Der unverkennbare Gestank von Blut erschwerte den Sauerstoff, doch er schien nicht von einer Verletzung seinerseits auszugehen, denn zumindest sein Kopf war unversehrt, wie er nach kursorischem Abtasten desselben feststellte. Erst als er sich umsah, ließ die tatsächliche Quelle des penetranten Geruchs ihn für die Sekunde des Entdeckens schaudern.

Was war das?

Wohin er blickte: Überall Blut, Blut, Blut und Monster. Tote Monster. Tot. Aufgeschlitzt. Aufgerissen. Entweidet. Ein Bild, derart überraschend auch für jemanden wie ihn zu viel. Wieder drohte sich sein Bewusstsein zu verflüchtigen. Ruhig… Ruhig. Er schloss die Augen. So etwas sah er doch nicht zum ersten Mal. Sicherlich nur ein Monster, dachte er sich. Nur ein Monster, das sie übersehen hatte.

Sie?

Der Drang, in Erfahrung zu bringen, was mit dem Mädchen geschehen war, das er beschützen sollte, ließ ihn über die anfängliche Abscheu gegenüber dem brutalen Anblick hinwegkommen. So weit sein Auge reichte, keine Spur von ihm. Mit der Gun-Blade schob er einige Kadaver auseinander – auch dort machte er es nicht aus. Dafür jedoch etwas anderes: Er näherte sich der tödlichen Wunde einer Stichraupe. Lang und schmal, sauber durchgezogen, keine weiteren Verletzungen außer dieser einen, exakt dort platziert, wo das Vieh keine Überlebenschance hatte, und wenn man sich nahe genug heranwagte, war noch fein der Geruch von Metall aus der Wunde herausströmen zu notieren. Für Cifer stand fest: Das war nicht das Machwerk eines aggressiven Archeodinos. Das war die Arbeit einer Waffe… Das musste ein Mensch getan haben.

Auch sein Überleben sprach für die These, denn ein Archeodinos hätte gewiss keinen Unterschied zwischen ihm und einer Stichraupe gemacht, wie sehr ihn das auch wurmte.

Womöglich war der für das Blutbad Verantwortliche nicht einmal verrückt, sondern schlichtweg sehr stark. Und klug. Womöglich hatte er Ellione entführt. Die Monster waren ihm dabei in die Quere gekommen, oder sie sollten Cifer als abschreckende Warnung dienen, die Verfolgung aufzunehmen.

Er zuckte mit den Schultern, obzwar niemand hier war, der seine Geste interpretieren konnte.

Sie hatte ihm das Geld nicht im Voraus überreicht, nicht einmal eine Anzahlung, und damit fand er keine weitere Motivation, dem von ihr gestellten Auftrag Folge zu leisten. Den einstigen Stolz, der es verlangte, seine Aufgaben pflichtbewusst zu erfüllen und sich an jedem zu rächen, der sich traute, ihn anzugreifen, gab es nicht mehr. Wo einst sein Selbst über alles andere erhaben war, klaffte jetzt nur noch ein tiefes, unersättliches Loch, das mehr und mehr von seiner Persönlichkeit verschlang wie ein Mahlstrom Schiffe, wie ein Schwarzes Loch Sterne, und jeden Tag, jede Stunde breitete es sich weiter aus, bis er bald selbst nicht mehr sein würde als ein Loch, ein Nichts.

Als er Balamb City erreichte, war alles, was geschehen war, der Gleichgültigkeit anheimgefallen. Die Leute blieben stehen und drehten sich nach ihm um; wunderten sich wohl, ihn mal wieder zu sehen. Kein Haus dieser zeitlosen Stadt verfügte über ein Türschloss, und so hinderte ihn nichts, in die Mietwohnung zurückzukehren, die, wie er auf den ersten Blick erkannte, verlassen war. Es musste die Geldnot sein, welche Fu-Jin und Rai-Jin erneut aus dem Haus getrieben hatte. Oder sie nutzten die Abwesenheit ihres Anführers und damit die all ihrer Probleme aus und unternahmen etwas Vergnügendes. Bald würden sie zurückkehren.

Um auf sie zu warten, warf Cifer den blutbeschmierten Mantel in Badezimmerrichtung, sich selbst auf das Bett und starrte zur Decke empor, die Gun-Blade über den Bettrand hängen lassend. Auch sie würde er noch von dem Monsterblut reinigen müssen, aber das hatte Zeit… Hier zu liegen und nichts zu tun übte abermals diesen Druck auf ihn aus… und wieder fehlte ihm die Kraft, sich ihm zu widersetzen. Zu angenehm war die Bequemlichkeit, so vertraut wie die Umarmung einer Frau, die einen endlos erscheinenden Tag lang der Rückkehr ihres Mannes geharrt hat. Er ließ es zu. Seine Finger entspannten sich, der Griff um die Pistole wurde locker. Nicht einmal der laute Protest der fallenden Hyperion inkommodierte das Vorhaben des Schlafes, sich seiner wieder zu bemächtigen.

„Scheiße…“

Man sagt, Erkenntnis sei der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung. Doch Cifer zweifelte daran, dass Erkenntnis allein in seinem Fall noch ausreichte.

Das fortwährende Gähnen des Meeres sorgte bald dafür, dass er einnickte.
 

Der alte Wagen rumpelte hilflos ausgeliefert wie ein Popcorn in der Pfanne die holprige Straße entlang. Die Kadetten hielten sich fest, wo sie konnten, doch als einer von ihnen dabei "versehentlich" an die Brust der ohnehin schon gestressten Shou fasste, hallte das Geräusch der Ohrfeige im Transportfahrzeug wider wie ein Peitschenschlag, gefolgt vom Kichern einiger anderer. Jemand, der von diesem pubertären Gehabe endgültig genug hatte, hielt ihnen ohne zu zögern die Schneide der Gun-Blade unter die frechen Nasen, dass sie vor Schreck zusammenrückten. „Ihr nervt!“

„Spiel dich nich’ so auf, als wärst du schon SEED, Almasy“, erwiderte einer von ihnen feindselig. „Das is’ doch deine dritte Prüfung, hä? Meinst’e, du schaffst sie auch mal?“

Gelassen lehnte sich der Angesprochene zurück, die stumpfe Seite der Klinge gegen seine Schulter wippend. „Halt dein Maul, Lounell. Ohne mich hättest du doch nicht mal die theoretische geschafft.“

„Konzentration!“, tönte die Ermahnung von Ausbilder Yamazaki über sie hinweg. „Cifer Almasy, Waffe runter!“

Nur widerwillig ließ er die Gun-Blade sinken. Lounells eindeutige Grimasse machte es ihm schwer, sie auch unten zu lassen.

„Hast du’n Krampf im Kiefer, Lounell? Soll ich vielleicht beim Entspannen helfen?“

Shou, seit zwei Jahren SEED und ihm nicht grundlos gegenübersitzend, beugte sich vor. „Ich weiß, wie schwer dir das fällt, aber wenn dir das alles wirklich ernst ist, solltest du endlich versuchen, dich zurückzuhalten.“

„Wenn die halt nerven…?“, erwiderte er lustlos.

„Was dich nervt, sind doch gar nicht die anderen, sondern die Regeln und Grenzen, die dem Garden als Auftragnehmer nun einmal geboten sind“, flüsterte Shou so laut, dass es gerade noch als Flüstern durchging, und hatte damit vollkommen Recht. Aber so war er nun einmal. Er handelte, wie es die aktuelle, lebendige Situation erforderte, und nicht nach der Prognose einer Situation auf einem stummen Blatt Papier. Viele dieser Situationen erforderten spontane Reaktionen. Da konnte man nicht warten, bis die hohen Tiere des Gardens sich aufgrund eines neuen Umstands oder einer neuen Erkenntnis auf neue Befehle geeinigt hatten, wenn erst das Leben eines Menschen auf dem Spiel stand oder der Ruf der SEEDs…

„Du kannst mir nicht sagen, dass irgendeiner meiner vergangenen Verstöße gegen die Regeln im Nachhinein nicht absolut angebracht gewesen wäre.“

„Das ist es nicht, worauf ich…!“

„Wir haben das Ziel erreicht. Aussteigen!“, kommandierte sie Yamazaki aus dem hart bremsenden Fahrzeug. Als Cifer den anderen folgen wollte, hielt der strenge Ausbilder ihn mit einem eisernen Schultergriff zurück.

„Keine Uniform, Kadett? Ich sage Ihnen was: Dass der Direktor Ihre außerordentlichen Fertigkeiten mit der Gun-Blade gelobt hat, stellt Sie nicht von den Ordnungen des Gardens frei. Sie mögen noch so talentiert sein: Auf dem Schlachtfeld sind Sie nur ein Soldat unter Tausenden. Merken Sie sich das. Punktabzug wegen Fehlverhaltens! Und nun: Ausrücken!“

Der SEED-Anwärter hielt dem durchdringenden Blick der grauen Augen tapfer stand, bis ihn der ehemalige galbadianische Offizier im Esthar-Krieg unsanft aus dem Wagen stieß.

„Los, los, los!“, trieb Shou ihn an. Sie war nur ein paar Monate älter als er und hatte irgendwann einmal darauf bestanden, dass sie das SEED-Examen gemeinsam bestehen sollten, wozu es nicht gekommen war, da er es damals für unumgänglich gehalten hatte, den Auftraggeber des Gardens seiner Schwarzgeschäfte zu überführen. Die hatten nichts mit dem Auftrag zu tun gehabt, und der Garden wartete anschließend vergeblich auf das Geld für den Job, aber Cifer war trotzdem stolz auf sich, die Machenschaften vereitelt zu haben. Zur Belohnung war er durch die Prüfung gefallen und als erster Jugendlicher in der Geschichte des Gardens arrestiert worden. Die Kameradschaft zu Shou war danach rasch zerbrochen. Sie hatte sich verändert, seit der Rang sie trennte, fand er.

In Timber war die Hölle los. Der Sommer drückte schwül auf die kleine Stadt, dass es einem binnen Sekunden den Schweiß über das Gesicht trieb. Die diesjährige Mission verlangte von den Anwärtern eine Evakuierung der Arbeiter von Timber Maniacs aus ihrem Firmengebäude, während die SEEDs für die Festnahme der dieses in Beschlag genommenen Rebellengruppe verantwortlich waren. In Timber, wo Aufstände gegen Galbadia an der Tagesordnung standen und so gut wie jeder Einwohner in irgendeiner Widerstandsorganisation engagiert war, hatten Bedrohung und Gefahr schon lange an Schrecken verloren, sodass die hinauszuleitenden Zivilisten in dem Ganzen eher eine aufregende Kirmesattraktion zu sehen schienen, die sie in ihrer nächsten Ausgabe verarbeiten konnten. Sie ließen sich hinausführen wie eine Herde Schafe. Während die SEEDs sich übervorsichtig in den Komplex schlichen und die Rebellen überlisteten, warteten die Kadetten zwischen der schaulustigen Masse auf dem Platz, um eventuell drohende Ausschreitungen zu verhindern und die Passanten zu schützen. Es war leicht, langweilig und ging glücklicherweise sehr schnell.

Doch als die SEEDs die Übeltäter abführten, geschah etwas, womit niemand rechnete: Ein junges Mädchen eilte aus der Menge hervor, auf den Anführer der Rebellengruppe zu und tippte seine Nase mit seinem weit ausgestreckten Zeigefinger an. Der Mischlingshund, der ihm gefolgt war, bellte aufgeregt.

Verblüfft von dem Mut des Mädchens, sich auf diese Entfernung, die keine mehr war, an den bewiesenermaßen gefährlichen Kriminellen heranzuwagen, oder schlichtweg nur bestürzt über so viel Leichtsinn, waren alle Anwesenden sehr still und somit Zeugen der folgenden Anklage: „Was denkst du dir dabei, in deiner eigenen Stadt so einen Zirkus zu veranstalten, du Blödmann? Niemand hier will sich nachsagen lassen, genauso ungerecht und gewaltbereit zu sein wie die Galbadianer, begreifst du das denn nicht? Überlass das Planen zukünftig besser der jüngeren Generation, die nicht vom Krieg verblendet ist und nur das im Sinn hat, was hier alle wollen: Timbers Unabhängigkeit!“

Damit wollte es auf der Stelle kehrt machen, doch der soeben von ihm förmlich Niedergeschmetterte ergriff den Augenblick, um seine Kräfte zu mobilisieren und sich zu entreißen.

„Haltet ihn!“, brüllte Ausbilder Yamazaki den SEEDs und Kadetten entgegen und stürmte gleich selbst dem Flüchtenden hinterher, der sich das Mädchen schnappte und unter den Arm klemmte. Sein Kreischen und Kratzen hinderte ihn nicht, in der Unterführung zu verschwinden, hinter der eine der vier Bahnstationen lag. Seiner sich heftigst wehrenden Last zum Trotz war er unglaublich flink unterwegs. Yamazaki versuchte, sich auf ihn zu werfen, doch er erreichte ihn nicht. Shous Blitzzauber entkam er durch einen Sprung zur Seite, als gäbe es nichts Simpleres. Die SEED-Anwärter, mit der erhofften Beförderung als Motivation, blieben ihm auf den Fersen, doch kaum betrat er die Brücke, welche sich über den Gleisen erstreckte, sah er offenbar keinen anderen Ausweg mehr als jenen, über die Brüstung und auf die Gleise zu springen. Nein – nicht auf die Gleise, sondern auf einen Zug sprang er, der just wie beschworen ausfuhr! Das donnernde Rattern übertönte das Rufen und Fluchen der Balambschen Militärstudenten, die sich über die Abzäunung beugten, um dem Rebellen zumindest mit den Augen zu folgen, als ließe sie das besonders tätig aussehen, aber Cifer hielt das nicht auf. Er hatte nur noch die Mission im Kopf, und dass selbige an einem Unaufmerksamkeitsfehler der SEEDs zu scheitern drohte, verletzte nicht nur seinen, sondern auch den Stolz des Gardens. Eingehüllt von einer magischen Aureole, schwang er sich mit einer ungewöhnlichen Geschwindigkeit ebenfalls über die Brücke und hatte Glück: Er landete knapp auf dem letzten Waggon. Shou schrie ihm etwas nach, aber das hörte er bereits nicht mehr. Er riss die Gun-Blade aus der Scheide und setzte nach vorne, wo der Feind gerade angestrengt versuchte, mit den Kratz- und Beißattacken jener Furie, die er als Geisel erwählt hatte, fertigzuwerden. Sie hätten von ihrem Hund stammen können.

Im Nu stand Cifer ihm gegenüber. „Lauf nur! Den SEEDs entkommst du nicht!“, versprach er ihm mehr als dass er ihm drohte. Die anfängliche Überraschung in den Augen des Rebellen beeilte sich, seiner Selbstsicherheit den Platz zu räumen. Er ließ das Mädchen los – immerhin konnte er sich sicher sein, dass es hier nicht weit kam – und zog einen Schlagstock aus seinem Gürtel. Dass es nicht nur ein gewöhnlicher Stock aus Eisen war, erkannte Cifer, als elektrische Funken aus ihm sprühten.

„Wer sagt, dass ich laufe?“, parierte der Kerl süffisant, stieß sich vom Grund ab und stürzte mit erhobener Waffe auf ihn zu. „HiiiiiiiiiiyAAAAAAAA!!!!“

Ein Schlag mit der Gun-Blade genügte, und der Elektrostock kreiste in einem prallen Bogen in die idyllische Ferne. Mit aufgerissenen Augen starrte sein Besitzer ihm hinterher.

Jetzt wirst du laufen, nicht wahr?“, höhnte Cifer lächelnd.

Der Rebell nickte, scheinbar unfähig, klar zu denken. Doch ehe er nur einen Schritt setzte, erschien der Mischlingshund wieder und warf ihn zu Boden. Ohne dass das Tier Weiteres tat, geriet der Mann in Panik: „Neeeein, neeeein! Bitte nicht! Bitte nicht beißen! Bitteee!“

Es hechelte fröhlich. Endlich ein neuer Spielpartner, und Humor hatte er auch noch!

Sein Frauchen fand zu dem außerordentlichen Selbstbewusstsein zurück und streckte die Zunge heraus. Es dachte dabei nicht daran, dass sie sich noch immer auf einem fahrenden Zug befanden, und so kam, was in einer solchen Situation immer kommt: Ein unschuldiger und nichts ahnender Makel in der Schiene veranlasste, dass ein unschuldiger und nichts ahnender Zugfahrer machtlos dagegen war, dass ein unschuldiger und nichts ahnender Zug ruckelte. Das Mädchen schrie auf, fiel aus der Balance und fast hinunter, wäre da nicht die Hand eines edlen Ritters, die jene der Prinzessin ergriff und diese mit einem Ruck auf die Beine zog.

„Puuuh~“, machte sie atemlos und errötet – selbstverständlich vor Schreck, Hitze und Aufregung!
 

„Endstation!“, rief Cifer spöttisch, stieß seinen Gefangenen, den er mit dessen eigenem Gürtel gefesselt hatte, in den sich flugs lichtenden Nebel des schnaubenden Zuges und sprang dann selbst ab, um ihn bar jeder Rücksicht auf die Beine zu ziehen. Das Mädchen und sein Hund folgten ihm sogleich, dann gingen sie in dem regen Treiben, das es eilig hatte, zwischen den vielen Zügen der Delinger Bahnstation zu wechseln, unter.

„Mach’s gut!“, verabschiedete sich der platinblonde SEED-Anwärter und wollte gehen.

Der hilflose Rebell war sichtlich irritiert. „Wie jetzt? Erst nimmst du mich fest und nun lässt du mich gehen? Einfach so?“

Und mit einer naiven Selbstverständlichkeit erklärte Cifer: „Deinen Kopf kennt man überall und auch den Betrag, der darauf ausgesetzt ist. Wenn dich nicht die Soldaten finden, dann irgendein Gilgeiler. Einer jedenfalls, und das verspreche ich dir, wird dich schon festnehmen, und in deiner derzeitigen Situation wirst du nichts dagegen tun können.“

„D-das… das ist nicht fair!“, protestierte der Verbrecher.

„Das Leben ist nie fair“, zog Cifer ihn auf. Damit war das Gespräch für ihn beendet.

Kaum waren die beiden Jugendlichen und der Hund aus seinem Sichtfeld verschwunden, lasen ihn zwei galbadianische Soldaten auf. Und Timber war einen weiteren kriminellen Widerstandskämpfer los.

„Hey“, machte das Mädchen im grellen Licht der von regenträchtigen, anthrazitgrauen Wolken überzogenen Stadt auf sich aufmerksam. „Starker Auftritt.“

Cifer blickte auf den gold beleuchteten Triumphbogen.

„Was war das eben? Diese Energie um dich herum meine ich. War das eine [G.F.]? Sag bloß!“

Cifer blickte auf den gold beleuchteten Triumphbogen.

„Dann bist du also ein [SEED], oder? Ein SEED vom [Balamb-Garden]! Oh Gott, ich glaub’s ja nicht!“ Es brach in ein merkwürdiges Gelächter aus.

Cifer blickte auf den gold beleuchteten Triumphbogen.

„Hey, hörst du mir zu? Du könntest mich ja wenigstens mal ansehen! Ich würde gerne wissen, wie du heißt. Ich bin Rinoa. …Es wäre echt nett, dich kennenzulernen. Du hast mir immerhin zweimal das Leben gerettet. Ich sollte dir dankbar sein.“

Endlich drehte er sich zu ihm um. „Na von mir aus… Cifer. Und wie heißt du?“

„Rinoa“, wiederholte das Mädchen perplex. Aber dann musste es erneut lachen, und dabei verstand Cifer, was er daran so merkwürdig fand: Es hatte eine recht überschwängliche, beinahe kindliche Art zu lachen. „Ich hab’ mir schon immer gedacht, dass die SEEDs irgendwie komisch sein würden.“

„Ich bin kein SEED“, korrigierte er es. „Ich bin in der Ausbildung.“

Rinoa legte den Kopf schief, faltete die Hände hinter dem Rücken ineinander und tänzelte leichtfüßig auf der Stelle. „Ach ja? Dafür kämpfst du aber wie ein SEED.“

„Du hast mich nur noch nicht kämpfen sehen“, erwiderte Cifer. Ein Grinsen zuckte an seinem Mundwinkel. „Wie will ein Mädchen wie du überhaupt beurteilen können, wie ein SEED kämpft?“

„Du hast mich auch noch nicht kämpfen sehen.“ Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu. „Gehen wir ein Stück zusammen?“

„Ist das ein Date?“, fragte er, um ihre wahre Intention zu enthüllen, was nicht nötig gewesen wäre, denn Rinoa schien keinen Hehl aus dem zu machen, was sie dachte und fühlte: „Na ja. Ich find’ dich irgendwie cool.“

„Ändert das irgendwas an deiner Meinung, wenn ich dir sage, dass das nicht gerade auf Gegenseitigkeit beruht?“

„Ich verlange ja gar nicht von dir, dass du mich cool findest.“

„Aber du stehst auf mich und wünschst dir, dass es umgekehrt genauso ist.“

Sie lachte vergnügt auf. „Ich bin kein Mädchen, das sich in jeden Typen verguckt, der ihm einmal das Leben rettet.“

„Ich hab’s dir zweimal gerettet.“

„Du lässt nicht locker, bis man deiner Ansicht ist, hm?“

„Ich will nur sicher gehen, mit wem ich es zu tun habe und warum. Schließlich bin ich noch immer auf Mission.“

Da zuckte sie zusammen. „Oh, die Mission! Musst du nicht zurück?“

„Nicht nötig. Ich bin durchgefallen.“

„Woher weißt du das?“ Sie machte einen vollkommen erstaunten Eindruck, wie ein Kind, das die Spielzeugfabrik des Weihnachtsmannes entdeckt hat. Sie erreichten das bunte Einkaufsviertel von Deling City, welches um die späte Uhrzeit derart belebt war, dass sie enger aneinanderrücken mussten, um überhaupt durch die schmalen Spalten zwischen den Passanten zu gelangen. Hin und wieder streifte sie dabei wie zufällig seinen Arm, dann öfter, bis ihre Hand nach seiner behandschuhten fasste. „Nur, damit wir uns nicht verlieren“, erklärte sie lächelnd auf seinen Blick hin.

Ihr Hund bellte.

„Sei nicht eifersüchtig!“, tadelte Rinoa ihn und hob mahnend den Zeigefinger ihrer freien Hand. „Du darfst ja auch mal!“

Offenkundig nicht interessiert, tapste er ihnen geschickt voraus.

Cifer sah ihm nach, bis er nicht mehr auszumachen war. „Wieso hat deine Töle gar keinen Schwanz?“

Sie musste lachen. Bei jedem anderen, der ihre Angel eine "Töle" nannte, hätte sie keine Gnade gekannt, aber von Cifer fand sie es ausgesprochen amüsant.

„Es käme einem Wunder nahe, würde ich nicht durch die Prüfung fallen“, antwortete er auf ihre vergangene Frage. „Es passt denen einfach nicht in den Kram, dass ich mache, was ich für richtig halte. Dieses Mal werden sie mir sicher ankreiden, dass ich auf diesen Zug aufgesprungen bin.“

„Also bin ich schuld?“, befürchtete sie und blieb stehen.

„Ich hab’s nicht wegen dir getan.“

Sie ließ Kopf und Schultern hängen. „Aber wenn ich nicht gewesen wäre, wäre dieser Grobian gar nicht erst entkommen.“

„Ja“, stimmte er ihr zu. „Das war tatsächlich ziemlich dumm von dir.“

„Fandest du es nicht auch ein bisschen mutig? Ein klitzekleines bisschen?“

„Äh-äh.“

Die Enttäuschung in ihrem Gesicht ließ zum ersten Mal bemerken, wie blass sie eigentlich war.

„Du hast diesem Kerl vorgeworfen, was du selbst im Grunde nicht anders machst.“

„Ich würde niemals zu so brutalen Mitteln wie Waffen greifen, wenn es nicht sein muss!“, verteidigte sie sich sofort. „Und ich würde niemals jemand Unschuldigen entführen!“

Der Drang um sie herum war ein wenig abgeflaut. Cifer verschränkte die Arme. „Und wer entscheidet, wann es sein muss? Wer urteilt darüber, ob jemand unschuldig ist? Du allein?“

„Manchmal ist das doch sehr offensichtlich!“, gab sie zurück, plötzlich feindselig.

„Ich will diesen Typen sicher nicht gutreden, denn dass der ein Arsch ist, ist sozusagen steckbrieflich erwiesen, aber weder du noch ich kennen die Gründe hinter seinen Aktionen. In dieser Zeit der Revolutionen und des beständigen Misstrauens kommt es dir häufig unter, dass du Menschen begegnest, deren Ziele und Wege du für ziemlich fragwürdig erachtest, und genauso geht es anderen mit dir, aber deshalb darfst du nicht davon ausgehen, dass du’s mit einem Bösewicht zu tun hast. Vielleicht ist dem Kerl ja die Familie getötet worden? Seine Motivation wäre in dem Fall eine ganz andere als die eines jungen Mädchens, das einfach nur Timbers Unabhängigkeit erreichen möchte.“

Rinoa schien für diesen Augenblick wie ausgewechselt. „Ist das der Grund, aus dem ein SEED niemals [Warum] fragt?“

„Keine Ahnung. Ich bin keiner.“

„Ich finde, du hast auch etwas von einem [Rebellen].“

Er musste zugeben, die Bezeichnung für sich gar nicht mal so schlecht zu finden.

„Gehen wir in den Park?“

Die menschenleere Umgebung auf dem Weg dorthin war um ein Wesentliches besser zu ertragen.

„Was halten deine Eltern eigentlich von deinem Dasein als Widerstandskämpfer?“, fragte er.

Das Thema schien sie wahrlich nicht zu mögen. „Ich weiß nicht, inwieweit meinem Vater überhaupt bewusst ist, was ich mache“, erzählte sie mit deutlichem Groll. „Er ist ein sehr hohes Tier in der Armee und kann dementsprechend nicht viel mehr als herumkommandieren und gefühlstot sein.“

„Folglich genauso ein "Blödmann" wie der Kerl vorhin?“, hakte Cifer ernst nach. „Soll ich ihn für dich eliminieren?“

Rinoa lachte wieder, und es schienen Stunden vergangen zu sein zwischen diesem und ihrem letzten Lachen. „Hör auf, Cifer, das ist nicht lustig!“

Sie kletterte über den Zaun, um den Weg bis zum Tor zu sparen, und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Im Gegensatz zum Geschäftsviertel war der Park frei von überflüssigem Licht, Lärm und Leuten. Entfernte Scheinwerfer warfen Bilder von gigantischem Ausmaß an die lückenlose Wolkendecke. Das größte zeigte Galbadias Wappen. Als würde es nach etwas Ausschau halten, schwebte es über die Unterseite dieses stark beschränkten Himmels.

„Meine Mutter spielte Klavier im Hotel hier. Gesungen hat sie auch. Aber… ich weiß nicht einmal, wie sie aussah. Mein Vater hat alle Fotos von ihr restlos entsorgt. Sie starb, als ich noch klein war.“

„Passiert.“

Sie bedachte ihn mit einer vorwurfsvollen Miene, obwohl sie derartige Reaktionen von ihm nicht länger überraschten. Ihre Augen schweiften über seine Gestalt. Wenn er an dem SEED-Examen teilnahm, konnte er nicht älter als zwanzig sein, und dennoch versuchte sein reifes Erscheinungsbild ihr Gegenteiliges zu vermitteln. Er war groß und trainiert – das konnte sie an seinen Armen sehen – und seine würdevolle Haltung lockerten lässige, jugendliche Gesten auf. Obgleich er blond war, waren die Wimpern seiner graugrünen Augen dicht und schwarz, und sein Blick hatte etwas [Kontrollierendes]. Sie fand Gefallen an dem smarten Lächeln seiner schmalen Lippen und stellte sich für einen Moment vor, wie es sich wohl anfühlte, sie mit den ihren zu berühren.

„Ist was?“, stieß er kühl hervor. Er hasste es, begafft zu werden.

Abwehrend schüttelte sie Kopf und Hände.

„Cifer“, sprach Rinoa ihn nach einer Weile des Schweigens an, während der sie friedlich nebeneinander gesessen und dem Brummen und Hupen der Autos wie aus weiter Ferne gelauscht hatten. „Denkst du, ich kann mein Ziel erreichen?“

„Wenn du’s ernst meinst und ihr dranbleibt, werdet ihr es schaffen.“

Sie lehnte sich zu ihm. „Wirklich?“

Erst jetzt führte er seine Augen in ihre Richtung, und sein unangemessen harter Blick traf sie unvorbereitet. „So nicht. Du zweifelst ja schon. Wie willst du andere von deinem Vorhaben überzeugen, wenn du nicht einmal selbst daran glaubst?“

„Du hast Recht.“ Sie seufzte. „Ich wünschte, ich hätte jemanden wie dich an meiner Seite, wenn’s drauf ankommt.“

„Bisher hast du wohl nur Versager kennen gelernt?“

„Jedes Mitglied der [Waldeule] hat seine Stärken. Aber… Führungsqualität gehört nicht dazu. Thon ist ein schlauer Kopf. Er hat die Organisation gleich übernommen nach der Hinrichtung der Gründer. Aber wortgewandt oder überzeugend würde ich ihn nicht gerade nennen…“

„Vielleicht sollte ich das sogar machen?“

Sie bedachte ihn mit unglaubender Erwartungsfülle. „Was?“

„Eurer [Waldeule] beitreten.“

Das hübsche Mädchen konnte sein Glück kaum in Zaum halten. „Das würdest du tun?!“

„Wie ich sagte: Vielleicht.“

„Und was ist mit dem Garden?“

„Klar, die SEEDs könnt ihr natürlich auch ordern. Direktor Cid würde euch sicher Gehör schenken.“

Es war nicht das, worauf Rinoa ursprünglich hinauswollte, doch sie stellte sich geschwind darauf ein, um die ihr günstig erscheinende Gelegenheit zu packen: „Ich will keinen anderen SEED als dich.“

„Dann bleibe ich und unterstütze dich“, sagte er ihr kurzerhand zu.

„Aber du bist kein SEED“, entgegnete sie verwundert. Bis eben hatte sie es ihm nicht ganz abgekauft.

„Wenn du mich hast, brauchst du keinen SEED mehr.“

Sie kicherte. Irgendwie war ihr, als würde eine lang geschulterte Last von ihr fallen. „Okay. Dann wirst du mich unterstützen. Versprochen?“

Anstatt schlicht zu bestätigen, sprang er unvermittelt empor. Rinoa sah zu ihm auf, wie er die Gun-Blade zog und sie, von heroischer Entschlossenheit geführt, herumwirbeln ließ, bis die Klinge letztlich senkrecht vor seinem Gesicht zum Stehen kam. Es hatte etwas von einem schon schwülstigen Salut. Ein weiteres Mal konnte sie nicht an sich halten. Sie krümmte sich und schlang die Arme um ihren Bauch, während das helle Gelächter sie gnadenlos durchschüttelte.

„Was ist denn jetzt?“, wollte er wissen, auf einmal verstimmt.

„Diese Pose“, brachte sie mühsam hervor. „Sie ist genau wie die aus diesem alten Kitsch-Film. Hast du den etwa auch gesehen? Ach, wie hieß er noch?“

„[Der Hexen-Ritter]“, antwortete Cifer steinig und ließ die Gun-Blade sinken. „Vor sechzehn Jahren gedreht. Ich muss ihn als Kind mal gesehen haben.“

„Er scheint dich ziemlich beeindruckt zu haben“, vermutete sie, nachdem sie sich endlich beruhigt hatte.

„Im Lauf der Zeit muss ich vergessen haben, woher ich das alles habe. Aber ja: Er hat mich inspiriert.“ Der Balamb-Student spürte einen Anflug von Verwunderung. Er dachte an die [Guardian Force] – und an ihren Ruf, Erinnerungen desjenigen zu fressen, der sie benutzte. Direktor Cid hatte die Vorwürfe seit jeher bestritten. „Durch ihn bin ich zur Gun-Blade gekommen. Sie galt als schwer zu führende Waffe, doch das war mir egal. Ich habe diesen Film gesehen und wollte eine haben…“

„Na ja, er war zwar sehr pathetisch, aber irgendwie hatte er auch etwas [Romantisches]“, gestand Rinoa ein und lehnte sich zurück. „Eine Hexe und ihr Ritter scheuen keine Gefahren, um für das Gute zu kämpfen. Wie hießen sie noch mal, Cifer?“

„Adena und Zephir“, antwortete er.

„Adena und Zephir…“, wiederholte sie gedankenvoll. „Die Menschen fürchteten die Hexe aufgrund ihrer Fähigkeiten. Sie sahen zwar, dass ihr Land dem Untergang geweiht war, wenn sie nichts unternehmen würden, aber es durch die geheimnisvollen Kräfte der Magie versuchen zu retten, das wollten sie auf keinen Fall. Ihre Abneigung ging so weit, dass sie gegen die Hexe selbst vorgingen… Aber Zephir war da und beschützte sie. Außer sich selbst hatten sie niemanden. Und trotzdem gelang es ihnen, ihr Land zu retten…“

Innerlich rekapitulierte Cifer die einzelnen Szenen des Films.

„Eine schöne Vorstellung, nicht wahr, Cifer?“, murmelte Rinoa verträumt.

Über ihnen öffnete sich ein winziger Spalt zwischen den Wolken, und klar blinkten dahinter dicht gesprenkelte Sterne auf.
 

Balamb-Garden entließ seine Studenten in die Sommerferien, und Cifer Almasy brachte sie in Timber zu. Gemeinsam mit der Waldeule gelangen ihm ein paar Streiche gegen Galbadia. Sie forderten den Verzicht der in Timber stationierten Soldaten auf Abgaben der Bewohner ein und lockerten die Bedingungen für die An- und Ausreise. Sie agierten gegen die Befragungen von Minderjährigen über ihre in Widerstandsgruppen organisierten Eltern oder Geschwister und unterstützten die [Waldameisen] bei der Publikation ihrer bewegenden Texte, derweil kein Plakat eines Präsidenten Vincer Deling an Timbers Wänden eine Chance hatte. Es waren nur kleine Erfolge, aber Galbadia begriff, dass Timber imstande war, zu kämpfen.

Als der Sommer sich dem Ende neigte, statteten zwei Beauftragte des Gardens Timber einen Besuch ab. Cifer wehrte sich nicht, aber Rinoa weinte bitterlich und bat ihn zu bleiben. Hätte sich der Ritter noch einmal seiner Prinzessin zugewandt, so wäre er ihrem Wunsch möglicherweise nachgekommen. Stattdessen jedoch richtete er seine Abschiedsworte blind an die abkühlende Luft hinter seinem Rücken, wo Rinoa fassungslos zurückblieb: „Du bist stark geworden, Rinoa. Du und Timber – ihr braucht mich erst mal nicht mehr. Bis zum [nächsten Sommer] ist es nicht so lang. Komm dann in den Garden. Ich werde da sein. Das verspreche ich.“

Und im Frühling war Rinoa Heartilly erschienen. Es war der Abend des SEED-Balls gewesen, welchen er ausschließlich in Arrest verbracht hatte, aufgrund der Aktion mit dem Sendeturm in Dollet. Vom Fenster seines Quartiers aus hatte er nichtsahnend eine Sternschnuppe beobachtet und sich gefragt, ob sie sie ebenfalls gesehen hatte, durch eines der kleinen Fenster jenes Zuges, in welchem er wochenlang Freiheit gespürt und gelebt hatte. Tatsächlich waren es nur wenige Wände gewesen, die sie voneinander trennten. Rinoa hatte mit ihm über den finalen Schlag sprechen wollen, die lang geplante Entführung des Präsidenten… und mit Squall Leonhart getanzt.

Hatte er Rinoa geliebt? Liebte er sie noch immer?
 

Cifer wachte auf. Nein. Rinoa hatte ihn geliebt. Zu ihm aufgesehen. Ihn bewundert. Es war ein Abenteuer gewesen, und sie beide hatten getan, was sie am besten konnten: Ihre Köpfe durchsetzen, um etwas an dieser Scheißwelt zu ändern. Geändert hatten sie letztlich nichts, aber Rinoa hatte der Scheißwelt den Arsch gerettet und sich in ihr arrangiert, und deshalb gab es nichts mehr, das eine Verbindung zwischen ihnen berechtigte. Heute wandte sie sich ab. Bemitleidete ihn. Den gescheiterten Kadetten. Den ehemaligen Hexen-Ritter. Den unfähigen Lebensverneiner, wie er hier auf dem Bett verdarb. Er sah Cifer an das Bett treten. Der visierte ihn kurz, ehe ein kaltes Lächeln ihm unantastbare Selbstsicherheit verlieh. Cifer wusste, was er tat. Er wusste es immer. Er mochte kein Engel sein. Er war irdisch. Das war es, was ihm dieses schwarze Charisma gab, welches Menschen wie Rinoa, Fu-Jin und Rai-Jin angezogen hatte. Dieser Cifer wusste, dass Rinoa ihn liebte. Und dieses ehrliche Ansehen der wenigen Personen war ihm Bestätigung genug, um weiterzumachen.

„Maximale Zeitspanne für im Bett liegen eindeutig überschritten“, ließ Cifer ihn wissen. „Du stehst schon seit geraumer Zeit auf meiner Liste der Morgenmuffel. Mach besser mal deine Waffe sauber. Und diesen alten Mantel.“

Als Cifer nicht gleich aufstand, griff Cifer an den Kragen seiner Weste und warf ihn förmlich von der Decke. Direkt und gnadenlos. Ja, so war er. Und so führte er ihn ins Badezimmer. Sprach er hier nicht gerade von sich selbst?

Cifer drehte den Hahn der Dusche auf. „Los – waschen.“

Cifer war versucht, sich gegen den Jüngeren zur Wehr zu setzen, dessen Ton ihm gegen den Strich ging, doch noch kämpfte er mit seiner Vernunft, die partout nicht zugeben wollte, dass dort jemand stand, der auch Cifer Almasy hieß und fast genauso aussah.

Als Fu-Jin und Rai-Jin am Abend müde zurückkehrten, entdeckten sie jenen, der zumindest so aussah, in ganzer Montur unter der laufenden Dusche sitzen.

„Cifer?“, fragten sie beide wie ein Chor.

Der Gemeinte drehte ihnen das Haupt zu. „Ist nicht hier“, antwortete er in einem nahezu gelassenen Tonfall. „Aber er sagte, er würde bald zurückkommen. Ihr sollt solange warten, hat er gesagt.“

„Ich glaube, wir haben mal viel zu lange gewartet“, widersprach Rai-Jin niedergeschlagen und streckte die Hand nach der Gun-Blade aus, von deren Klinge das kalte Wasser die letzten Reste des Blutes mit in den Abfluss trug.

Fighting

Sie waren nicht verschieden. Sie waren einander Gegensätze.

Nicht erst ihre spiegelverkehrten Narben brachten diesen starken Kontrast zum Vorschein. Seit jeher hatten sie sich in allem, was sie taten, was sie waren, differenziert. Wo der Brünette Schwarz bevorzugte, preferierte der Blonde helle Farben. Und wo der reservierte Brünette schwieg und tat, als wäre er gar nicht vorhanden, kannte der impulsive Blonde kein Pardon und stürzte sich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Man hatte sie nicht als Freunde bezeichnen können, aber auch nicht als Feinde. Cifer hatte ihre Beziehung immer weit höher gesehen, jenseits der Erreichbarkeit anderer Menschen. Für ihn war sie etwas gewesen, für das die Menschheit noch keinen Begriff erfunden hatte. Etwas von der Bedeutsamkeit des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse. Und dieses [Etwas] hatte ihm Spaß gemacht.

Als er nun, geführt von innerer Leere, die ihn auf die Suche schickte nach dem, worauf er zuvor nur gewartet hatte, vor dem futuristischen Komplex stand, in welchem er einmal beheimatet gewesen war, war ihm klar, dass dort drinnen sein [Feind] lauerte.

Ob Squall Leonhart wusste, dass er hier war, interessierte ihn nicht. Er hatte sich nicht darum bemüht, seine Ankunft geheimzuhalten, und aufgrund der charakteristischen Vorsicht des SEEDs, die ihn vermutlich in jedem Schatten, die der Garden oder ein Baum warf, einen Kundschafter verbergen ließ, war es zumindest unwahrscheinlich, dass er nicht genauestens darüber informiert war, wer hier ein- und ausging.

„Ich kümmere mich besser um ihn“, verkündete Squall dem Direktor und dessen Ehefrau, nachdem Shou ihm die Neuigkeit überbracht hatte. Edea Kramer entging nicht die Wut in den Augen ihres ehemaligen Schützlings. Ehe er gehen konnte, ließ sie ihre Hand auf seinen Arm gleiten.

„Nicht, Squall“, lautete ihre ganze Erklärung, doch der Schulsprecher verstand und winkte ab.

„Gut. Ellione geht momentan sowieso vor. Trotzdem werde ich Acht geben, und dasselbe erwarte ich auch von euch.“ Auf den nachfragenden Blick der beiden korrigierte er sich: „Ich bitte euch zumindest, Acht zu geben.“

Laguna Loire betrat das Direktorat, in Begleitung seiner Gouverneure.

„…………“, meinte Ward sehr bedeutungsvoll.

„Ward fragt“, übersetzte Kiros, von dem niemand wusste, ob er seinen stummen Kumpanen tatsächlich verstand, „ob es irgendetwas Neues von Ellione gibt.“

Squall war nicht wohl dabei, ihnen während der Präsenz des Präsidenten, dem sein miserabler Zustand deutlich anzusehen war, Antwort zu stehen, doch Laguna hatte ein Recht darauf, es ebenfalls zu erfahren: „Nein.“

Augenblicklich schien Laguna noch etwas blasser zu werden. Ein fremder Anblick. In den [Träumen] hatte Squall in einem ganz anderen Idioten gesteckt. Der Idiot von früher hatte vor nichts Halt gemacht, um eine entführte Ellione zu retten.

„Ich muss selbst gehen. Ich muss sie selbst suchen gehen!“

Der Idiot von heute offenbar auch nicht.

„Mit Verlaub, Herr Präsident, das ist unüberlegt“, tat Squall seine Meinung offen kund. „Als Präsident können Sie nicht einfach durch die Gegend spazieren, wie Sie es früher getan haben. Überlassen Sie den SEEDs das. Wenn die SEEDs Ellione nicht finden, dann werden Sie das auch nicht können.“

„Du verlangst von mir, dass ich in diesem Garden herumsitze und nichts tue, während jede Sekunde über ihr Leben entscheiden könnte? Du verlangst, dass ich etwas spiele, das ich nicht bin?“

Es war nicht viel, und doch meinte Squall, Laguna zuvor noch nie derart aufgebracht erlebt zu haben. Er stützte den Arm gegen die Hüfte. „Es war nicht meine Entscheidung, dass du Präsident wirst. Wenn es meine gewesen wäre, dann hätte ich sie mir vorher besser überlegt. Jetzt müssen wir mit den Gegebenheiten, so wie sie sind, umgehen.“

„Willst du mich etwa aufhalten, wenn ich gehe?“, fragte der Präsident scharf.

Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ich appelliere lediglich an deiner Vernunft. Wenn du gehen willst, dann geh von mir aus. Aber steh dann auch für die Konsequenzen gerade. Es war kein offizieller Auftrag. Der Balamb-Garden ist nicht für dich verantwortlich. Du bist hier ja förmlich einmarschiert.“

„Ach sooo~!“, tönte Laguna übertrieben. Seine beiden Gefährten schüttelten resignierend die Köpfe. „Weil ich jetzt Präsident bin, heißt das immer gleich einmarschieren, wenn ich mal Freunde besuche oder wie? Sorry, die Vokabeln hab’ ich noch nicht so drauf!“

„Jetzt verbeiß dich nicht in dieses Wort…“ Squall ärgerte sich nicht allein über Laguna. Er hätte wissen müssen, dass im Gespräch mit ihm die Ausdrucksweise gut überlegt sein wollte.

Hinter sich spürte er, dass Direktor Cid verzweifelt nach Worten suchte, die den Präsidenten beruhigen konnten. Stattdessen sprach Kiros: „Laguna. Du weißt doch, dass Ward es nicht mag, wenn man ihn unterbricht.“

„Was?“ Der Angesprochene drehte sich zu dem riesigen Freund um, welcher ein gar enttäuschtes Gesicht zog. „Du wolltest mir etwas mitteilen? ’Tschuldige, hab’ ich nicht mitgekriegt.“

„Momentan scheinst du so einiges nicht mitzukriegen“, warf Kiros ihm vor. „Wir alle kennen dich, deine Sorgen um Ellione und das, was sie in dir auslösen. Aber Squall und die anderen waren mit ihr zusammen im Waisenhaus. Sie haben viel Zeit mit ihr verbracht und sie ebenfalls ziemlich ins Herz geschlossen. Nicht wahr?“ Damit wandte er sich an Squall. Dem war bewusst, dass es nun unabdingbar war, Kiros zu bestätigen, aber noch immer hemmte ihn sein verschlossenes Wesen. Da Xell und Selphie nicht hier waren, die ohne zu zögern zugestimmt hätten, sah er sich gezwungen, selbst zu antworten: „Nun ja… Wir… wir haben einiges mit ihr unternommen… und…“

Ihm war ungeheuer heiß geworden.

„Siehst du?“, fuhr Kiros zum Glück fort. „Zweifelst du daran, dass diese Leute alles daran setzen würden, Ellione zu retten, genau wie du damals? Wir drei sind alt geworden, Laguna. Überlass den jungen Menschen nun das Feld.“

Es fiel Laguna bemerkbar schwer, zu nicken. „Aber wenn ich irgendwas machen kann, lasst es mich bitte wissen.“

Auch Squall neigte das Haupt. „Das versteht sich von selbst. Wir sollten niemanden außerhalb des Gardens über Elliones Verschwinden in Kenntnis setzen, denn die Information könnte irgendwo durchsickern und – wenn sie nicht entführt wurde – gewisse Personen motivieren, genau das umzusetzen.“

Alle Anwesenden pflichteten ihm unmittelbar bei.
 

Die Studenten steckten ihre Köpfe zusammen und tuschelten. Jedem hier war bekannt, dass ihr ehemaliger Mitschüler vor nicht allzu langer Zeit die galbadianische Armee befehligt hatte, dass er der Hexe gedient und ein Attentat auf Galbadias Präsidenten verübt hatte. Ihn jetzt wieder hier zu sehen, gebar die Vermutung, der ewige SEED-Anwärter würde eine neue Chance erhalten. Er spürte die Furcht in den verstohlenen Blicken. Und Wut. Und Abscheu. Niemand kam auf ihn zu und fragte, was los und weswegen er hier war. So war es schon immer gewesen. Nur das Empfinden, mit dem er darauf reagierte, war ein anderes. Eine Gruppe von Mädchen, so sehr vertieft in ihr heiteres Gespräch über die neuesten Trends in Galbadia, stob in der letzten Sekunde geschockt auseinander, als er schlichtweg durch sie streifte.

„Verdammter Bastard“, hörte er eines von ihnen flüstern. Er blieb stehen. Als er sich umwandte, sah er in zwei Augen, die sich zwischen Zorn und Angst nicht entschließen konnten. Ihre beiden Freundinnen hielten die ihm unbekannte Schülerin fest. Ihre Blicke flehten sie förmlich an, nichts mehr zu sagen.

Er richtete sich wieder nach vorne aus und ließ sie wort- wie tatenlos stehen.

Sein Unterbewusstsein ließ ihn sich schließlich in seinem alten Quartier wiederfinden. In weiser Voraussicht hatte man Squall und ihn zwei weit voneinander entlegene Zimmer beziehen lassen, was sie nicht daran gehindert hatte, sich fast jeden Morgen auf dem Flur zu begegnen und sich – von Cifer ausgehend – immer wieder anzumachen.

Jedes Zimmer hier war dem anderen ausgesprochen ähnlich, und so verband Cifer kaum persönliche Erinnerungen mit diesem Raum. Natürlich war er bereits wieder belegt worden – das bewiesen die fremde Einrichtung, die Gegenstände, welche unordentlich auf seinem Schreibtisch verstreut waren. Wie er [Unordnung] hasste! Grob fegte er den Kram beiseite, aber nicht, um hier aufzuräumen – wer war er denn! – sondern um den Tisch leichter von der Wand ziehen zu können. Er beugte sich über die Platte und war keineswegs überrascht, sie noch dort zu finden, wo er sie zurückgelassen hatte: Die Listen. Geschützt von einem schwarzen Hefter, hinter dem Zertifikat, das ihn, Fu-Jin und Rai-Jin als Ordnungsdienst des Balamb-Gardens bestätigte. Jeder Schüler war in mindestens einer jener Listen vermerkt. Squall auf der ruhmreichen, aber äußerst knappen Liste der Standhaften. Der Hasenfuß auf der Liste der Leichten Beuten. Quistis Trepe erwies gleich mehreren Listen die Ehre – die der Besserwisser war nur ein, aber ein bezeichnendes Beispiel. Eine Warnung bei Selphie Tilmitt erinnerte an die 90 Dezibel Lärmstärke.

Die [Liste] war der Garant seiner Selbstsicherheit während seiner Schulzeit gewesen. Ohne diese Einordnung der Menschen in Kategorien hätten sie ihn bedingungslos überfordert. Sie waren zu verschieden, zu viele, doch auf simplen Zetteln hatte er sie alle beisammen gehabt. Er hatte gewusst, wie er mit wem sprechen und was er sich wo anmaßen konnte, weil er die Liste hatte. Er hatte die Liste gehabt und alles war gut.

Als er bemerkte, dass der Hefter unter seinen Händen Feuer gefangen hatte, war es bereits zu spät. Keinen Nutzen mehr in ihm erkennend, ließ er ihn ausbrennen, bis nicht mehr als Asche von der Liste übrig blieb. Ein schwacher Eiszauber löschte die letzte Glut und die Hitze seiner Handschuhe. Hinter ihm ließ jemand seine Hand sinken. Er wandte ihm den Kopf zu. Es war eine Frau von schmaler Gestalt. Ihr langes, schwarzes Haar glitt ihr wie ein seidiger Schleier über die dunkle Bluse. Sie lächelte. Und er kannte sie irgendwoher.

„Du erinnerst dich an mich?“

Diese Stimme!

Eintausend Gedanken und Bilder zogen durch seinen Verstand, als er sie vernahm – einst eisig und verboten, nun sanft und menschlich. Rinoa… Timber… Galbadia… Ritter… Mutter… [Edea]!

„Die Hexe!“, schlug er es ihr entgegen.

Sie verharrte in ihrer Position und hörte nicht auf zu lächeln. „Ich habe auch einen Namen.“

„Du hast mich ausgenutzt!“, warf er ihr vor. „Ich war bereit, dein Ritter zu sein, aber du hast mich nur ausgenutzt!“

„Die Hexe Artemisia hatte die Kontrolle über mein Denken und Handeln“, erklärte Edea Kramer. „Ich…“

„Erzähl das ’nem anderen!“, unterbrach Cifer sie unbeherrscht. „Nicht einmal bist du zu mir gekommen, nachdem du wieder du selbst warst! Und so was will sich Mutter nennen?“

Cifer kannte die Geschichte um Edeas Waisenhaus und die Kinder darin, welche ihre Eltern im Esthar-Krieg verloren hatten und von denen er selbst eines gewesen war. Die Hexe hatte es ihm persönlich erzählt; die Erkenntnis, seine eigene Mutter vor den unartigen Geschwistern zu beschützen, hatte ihn noch in seinem Bestreben, ihr Hexen-Ritter zu sein, bestärkt.

„Ich kam nie an dich heran“, gestand sie ihm mit ehrlichem Bedauern in der Stimme. „Ich habe gedacht, du würdest zur Vernunft und zu mir kommen, nachdem der Kampf gegen die Hexe Artemisia vorbei war, aber du bliebst fort. Jetzt weiß ich, dass es ein Fehler von mir war, und aus diesem Grund bin ich nun hier.“

„Schwachsinn!“, rief er. „Wenn ich nicht in den Balamb-Garden gegangen wäre, wärst du auch nicht zu mir gekommen!“

„Ich wusste nicht, wo du warst. Nun aber stehst du vor mir und bist hoffentlich bereit, mit mir zu reden.“

„Soll ich mich entschuldigen? Soll ich einsehen, dass ich falsch gehandelt habe und es bereuen?“

„Das verlange ich nicht von dir. Ich weiß, dass du es nicht ernst meinst, wenn ich dich dazu auffordere. Ich möchte nur die Missverständnisse zwischen uns beiden beilegen.“

Oft sind es Missverständnisse, die zu Auseinandersetzungen führen. Auf einmal musste er an dieses Mädchen denken.

„Was bedrückt dich?“

„Klappe! Ich brauche deine falsche Fürsorge nicht!“, antwortete er kalt und drehte sich zum Fenster um.

„Gut.“ Sie setzte sich auf das Bett. „Dann schweigen wir eben zusammen.“

„Ich könnte auch einfach gehen.“

„Das wirst du nicht.“

„Sicher?“

„Ich kenne dich, Cifer. Eine abgebrochene Konversation passt nicht in deine Ordnung.“

Eine Weile des Schweigens folgte.

Bald darauf bemerkte Edea, dass der graue Mantel zitterte. Es brauchte nicht mehr lange, bis sein Träger in einem Ansturm der Rage herumwirbelte und sie mit einem Hass, der ganz anderer Natur war als Squalls Wut, ins Visier fasste. Er war hart und undurchsichtig. „Was zum Teufel willst du von mir?! Los, rede! Sag mir doch, was du hören willst von dem Versager, dessen Leben du zerstört hast! Du glaubst mich zu kennen?! Was weißt du denn schon über mich?! Du hast doch keine Ahnung, was abging, nachdem du zu deinen tollen SEEDs übergelaufen bist! Hast keine Ahnung, was es kostete, diese Scheißsteinsäule aus dem Meer zu holen! Ich wollte euch treu sein, und ihr Hexen habt mich herumgereicht wie ein Spielzeug! Ich durfte den Mittelsmann spielen zwischen euch und der Außenwelt, durfte eure ganze Drecksarbeit erledigen, aber euren Hexen-Ritter habt ihr mich nie sein lassen! Es gibt keine Missverständnisse zwischen uns, Edea! Der Einzige, der sich hier über irgendwas klar werden muss, bist du, und zwar über das, was du mir angetan hast!“

Sein Herumschwingen der Gun-Blade wirkte vollkommen gedankenlos zu sein. Doch Edea hatte keine Angst vor ihm. Sie hatte Mitgefühl. „Dann erzähle es mir. Erzähle mir von der [Lunatic Pandora]. Erzähle mir von [dir]. Ich habe nicht vor, zu gehen. Ich möchte alles erfahren.“

„Zu spät“, versetzte er vorwurfsvoll. „Du warst ein Teil meines elenden Lebens, aber ein anderer. Die Pandora kam nach dir. Ich sehe keinen Grund, aus dem ich dir aus meinem Leben berichten sollte. Du bist nicht meine Mutter. Du bedeutest mir nichts. Als ich dich angefleht habe, wolltest du mich nicht, und jetzt will ich dich nicht mehr – also verzieh dich!“

Wieder pfiff die schwarze Klinge durch das kleine Zimmer.

„Verzeih mir“, bat sie ihn mit fester Stimme. „Denn für mich bleibst du dennoch eines meiner Kinder. Du bist ein Bestandteil meines Lebens. Deshalb kann ich nicht gehen. Ich sehe ihn noch immer in dir: Den hochnäsigen, aber gerechten Cifer, der du einmal gewesen bist. Erinnerst du dich nicht mehr daran? Jeden Tag kam Xell weinend bei mir an und sagte: "Mama, Mama, Cifer hat mich wieder geärgert!". Natürlich versuchte ich dich zurechtzuweisen, aber du hast mich nur ernst angesehen und gesagt: "Wenn er jetzt nicht lernt, sich zu verteidigen, dann wird er später nicht überleben". Mich haben deine Worte damals sehr zum Nachdenken gebracht.“

„Meine Fresse… Das habe ich doch nur als Ausrede benutzt!“ Cifer musste beinahe auflachen.

„Ja“, bestätigte Edea ihn. „Weil du überzeugt davon warst, dass du nichts falsch gemacht hast. Es liegt in deiner Natur, deinen Weg zu gehen, den du für den einzig Richtigen erachtest. Du überlegst nicht lange wie Quistis. Du fürchtest keine Strafen wie Xell. Und alle anderen sollten dir immer folgen. Damit zogst du sie in manche Schwierigkeiten… aber auch in aufregende Abenteuer, die ihnen Spaß gemacht haben. Du bist immer deinem Herzen gefolgt, bist direkt, aber ehrlich. Wenn jemand schlecht über das Waisenhaus oder seine Kinder sprach, dann bekam er es mit dir zu tun. Als ältester Junge hast du auf die anderen aufgepasst, hast dich mit jedem Monster angelegt, das dem Haus zu nahe kam.“

„Weil ich schon immer scharf war auf einen Kampf“, wollte Cifer ihre Interpretation korrigieren und schien stolz darauf zu sein. „Weil Kämpfen das Einzige ist, was mir wirklich liegt. Weil Kämpfen meine Natur ist. Wie die eines Monsters.“

„Das glaube ich nicht“, wehrte sie seine Selbstbeurteilung von ihm ab. „Cid hat mir alles über deine Arbeit als Ordnungsdienst erzählt. Anfangs sei er selbst skeptisch gewesen, doch heute ist er wirklich stolz auf euch. Auch über die Sache mit Fu-Jin und Rai-Jin hat er mich aufgeklärt. Ist dir eigentlich bewusst, was du für diese beiden Menschen auf dich genommen hast?“

Sie erhob sich. Nicht viel trennte sie voneinander. Eine entschiedene Hand glitt auf die Klinge seiner Waffe und schob sie sacht beiseite.

„So etwas tut man nicht allein für sich selbst, Cifer.“

Der Ausdruck ihrer Augen allein schien ihren Körper auf die Größe des seinen wachsen zu lassen.

„Jemand, der alles nur für sich selbst tut, benötigt nicht die Aufmerksamkeit und das Ansehen anderer.“

Ihre Hand zwang die Gun-Blade zum Schweigen.

„Cifer. Du hast mit achtzehn Jahren eine Armee geführt. Du hast einen Gott getötet. Und du bist mir, was immer ich dir antat, bis zum Schluss nicht von der Seite gewichen. Du bist kein SEED des Gardens. Du bist auch kein Ritter einer Hexe. Denn du hast das seltene Potenzial eines Kämpfers und Beschützers, der unabhängig von einer Institution oder Person auf und für die ganze Welt wirken kann, wenn er endlich lernt, es nicht länger für das, was eine Hexe sagt, sondern für das, was sein Herz ihm rät, einzusetzen.“

Ihre Hände fanden seine und umschlossen sie sanft und fest zugleich. Und dennoch blieb Hyperion stumm.

„Artemisia herrscht nicht mehr über dich. Alles, was dich jetzt noch davon abhält, wieder du selbst zu sein, bist du. Das willst du doch, oder?“

Ein Gefühl der Schwere drängte seinen Kopf, sich abzuwenden. Er konnte ihm nicht lange standhalten. „Mein halbes Leben lang bin ich einem Traum nachgelaufen. Der Traum ist tot. Ich habe kein Ziel mehr… keine Aufgabe.“

„Dann wärest du nicht hier“, widersprach sie lächelnd.

Er verstand nicht.

„Was immer es war, das dich angetrieben hat, wieder aufzustehen und sogar in den Garden zu kommen, kann dir auch helfen, dich von dem Schatten der Hexe zu befreien.“

Die frische Aura eines Medica-Zaubers ging von ihren Händen aus, dann ließ sie ihn los.

„Es ist keine Schande, die Motivation zu verlieren. Schämen sollte man sich, wenn man sich der Lustlosigkeit verschreibt. Nun, wo du hier stehst, bist du auf dem besten Wege, sie zu bezwingen und zu dir selbst zu finden… Zu Cifer Almasy, der jeden Morgen aufgestanden ist und sich mitgeteilt hat, auch ohne ein Hexen-Ritter gewesen zu sein. Das ist alles, was ich dir mitgeben möchte. Geh jetzt. Entscheiden musst du selbst.“
 

Er ging nicht. Er rannte. Weil es doch etwas gab, das ihn antrieb.
 

„Für dich bin ich wohl noch immer der Looser?“, wollte er von ihr wissen, auf einmal provozierend. „Warum glaubst du, dass ich unzufrieden bin?“

Sie hatte sich bereits zum Gehen gewandt. Seine Unfähigkeit des Eingeständnisses jedoch ließ sie innehalten. „Du bist hier“, sprach sie betont, ohne sich umzudrehen.
 

Er tat es nicht für andere.
 

„Im Garden. Na und?“

„Dieser Garden gehört deiner Vergangenheit an. Aus welchem anderen Grund hättest du hierher zurückkommen sollen?“
 

Er tat es allein für sich selbst.
 

„Jemand, der sich mit seiner Vergangenheit aufhält, macht sich vielmehr Gedanken um seine Zukunft. Du hast also wieder einen Weg aufgenommen, auch wenn dich noch die Nacht ängstigt, die den Lauf dieses Weges in Dunkelheit taucht, durch die du früher erhobenen Hauptes geschritten wärest. Du hast etwas begonnen…“
 

Wie nach dem Erhalt einer neuen Waffe, die auf ihre Handlichkeit und Stärke geprüft werden will, kannte er nur ein Ziel: Den Wald. Allein waren es dieses Mal seine eigenen Fähigkeiten, die nach langem Schlaf auf die Probe gestellt wurden.
 

„Es kommt nicht darauf an, es für jemand anderen zu tun. Diese Entscheidung triffst du nicht für die Gerechtigkeit oder dein Gewissen. Du triffst sie allein für dich.“
 

Schon sah er ihn auf einer Lichtung stehen: Den Archeodinos. Cifer hob die Hyperion zum Kampf an und richtete sie auf das gigantische Monster.
 

„Wenn du jetzt gehst: Erwarte nicht, mich jemals wiederzusehen.“

Ein letztes Mal wandte sie sich ihm zu. Und lächelte. „Ich hoffe, dass es so sein wird. Denn wenn du nicht mehr zurückkehrst, weiß ich, dass es dir endlich gut geht.“
 

Die toten Augen des Dinosauriers visierten ihn. Ein aggressives Fauchen ließ die Friedlichkeit des Ortes sterben, als der Gun-Blader bereits zum ersten Schlag ausholte. Ein Volltreffer – der Gegner zuckte zusammen, während Cifer sich von seinem Körper abstieß, um sichere Entfernung zu gewinnen, doch die Rache des Monsters folgte so rasant, dass er ihr nicht ausweichen konnte: Der kräftige Schwanz schleuderte ihn zur Seite. Den glühenden Schmerz ignorierend, rauschte er erneut auf es zu; die Klinge fraß sich tief in das dicke Fleisch, worauf der Archeodinos laut aufheulte. Blutschwalle quollen aus dem Riss wie durch einen Damm, der endlich bricht, über den ehemaligen Hexen-Ritter hinweg, der es jetzt auf den Schwanz abgesehen hatte, ihn mit einem Hieb unbrauchbar machen wollte. Kurz bevor er ihn erreichte, drehte sich die Bestie mit einem Schritt und ließ ihr Maul auf den kleinen Happen niederfahren. Ein seitlicher Sprung rettete ihn vor dem Schlimmsten, aber er schaffte es nicht mehr, auf den Füßen zu landen.
 

„Abgemacht.“
 

Sie klammerte den Kontrahenten mit einem Fuß fest; Feuer fuhr durch Cifers Körper, der Schwierigkeiten hatte, überhaupt zu atmen. Erst der Fehler des erzürnten Monsters, ihm erneut den Kopf abreißen zu wollen, erlaubte ihm, seine verbleibende Kraft in einen Stoß zu setzen, der dem Giganten die Gun-Blade durch die Mauldecke trieb. Brüllend stampfte der Archeodinos auf, und seine Geisel rollte sich aus dem Gefahrengebiet niederfahrender Klauen. Wahnsinnig vor Schmerz und Todesangst, stürmte es auf ihn zu – ab jetzt würde ihm jeder Treffer des Monsters wahrscheinlich Knochen kosten.
 

„Auf eine gute Zusammenarbeit, Cifer Almasy.“
 

Dem Angriff auszuweichen war ein Leichtes, doch wieder gelang es der verdammten Wirbelsäulenerweiterung, Cifer zu überraschen. Er keuchte, um den Schmerz ertragen zu können, und versuchte sich aufzurichten, ehe der Dinos ihn töten würde. Ungekoppelt konnte er keine Level-3-Zauber verwenden, und auch die G.F. stand ihm nicht zur Verfügung. Alles, was ihm in der auswegslosen Situation blieb, waren die Hyperion und ein paar übermütig gefasste Vorsätze.
 

Und das genügte.
 

Eine leuchtende Kraft sprühte unter ihm empor und verlor sich so schnell, wie sie erschienen war. Cifer wirkte einen Feuer-Zauber, um das Urgeschöpf zu irritieren, dann ließ er die Gun-Blade herumwirbeln, bis sie einen grünen Aura-Schweif hinter sich herzog. Er festigte den Griff wieder, konzentrierte sich auf die glühende Schneide und schlug schließlich aus. Eine scharfe Scheibe purer Energie löste sich von ihr, begegnete dem heranpreschenden Saurier und hüllte ihn in eine lärmende Explosion. Mit einem letzten Schrei donnerte das gewaltige Tier zu Boden. Dann war es still.

Euphorisch schwang Cifer sein Schwert herum, bis er es nach alter Manier vor seinem Gesicht zur Ruhe kommen ließ. Auch von ihm selbst glitt die Hitze des Gefechts wie ein dicker Umhang. Er genoss den Moment, den sein Atem brauchte, um wieder unauffällig zu werden, dann verlor er keine weitere Zeit. Er hatte noch eine Mission zu erledigen.

A new Companion

Nicht nur Cifer Almasy war auf dem Weg, um Ellione zu finden. Die SEEDs weiteten ihr Suchgebiet nun auf den nächsten Kontinent aus. Während der gescheiterte Hexen-Ritter jedoch auf eigene Faust unterwegs war, ohne seine Freunde darüber in Kenntnis zu setzen, teilte Squall seine Kameraden in drei Gruppen, die sich auf ganz Galbadia verstreuten.

Selphie Tilmitt und Irvine Kinneas hatten sich das Lallapalooza-Tal im Süden vorgenommen. Zu ihrem Aufgabenbereich zählte auch das Bezirksgefängnis D, das sie beide nur zu gut kannten, nachdem man sie und die anderen nach dem Attentat auf die Hexe Edea dort eingesperrt hatte. Ursprünglich hatte Squall begründeten Einspruch gegen den Wunsch der beiden erhoben, Gruppe C unter dem Pseudonym [Chocobo] zu bilden, denn ihm schwante, dass sie sich nicht würden auf die Mission konzentrieren können, wenn sie unter sich waren, aber Rinoa hatte wieder einmal das letzte Wort gehabt. So kam es, dass die zwei sich zwar auf die Reise machten, aber doch nur eines im Kopf hatten: Ihren Teamkollegen. Sein verschmitztes Lächeln, während sie ihn heilte, ihr süßes Grinsen, nachdem er ein Monster niedergeschossen hatte, kurz bevor es sie hatte attackieren können… Selphie und Irvine sahen sich weniger auf einer Mission denn inmitten eines bezaubernden Rendezvous, das Squall für sie arrangiert hatte.

Xell Dincht und Quistis Trepe, die nach Deling City unterwegs waren, fanden das Ganze nicht so blumig: Die Ausbilderin war bemüht, sich in die Suchaktion zu vertiefen, aber ihr ehemaliger Schüler brachte sie wieder und wieder aus dem Konzept mit seiner Besessenheit, sich über den Namen ihres Teams aufzuregen.

„Mogry!“, spuckte er tief gekränkt. „Mogry! Warum hat Squall uns ausgerechnet den Decknamen [Mogry] gegeben? Ein Mogry ist so ein schwaches Monster!“

„Es ist kein Monster, es ist ein Maskottchen“, korrigierte Quistis ihn mit strapazierten Nerven.

Xell sah sie völlig verzweifelt an. „Das wird ja immer schlimmer!“

„Stell dich nicht so an, Xell. Es ist doch nur ein Name.“

„Jahaaaa~! Ein Name, der uns in der Öffentlichkeit repräsentiert!“

Die blonde Schönheit, welche im Balamb-Garden von einem eigenen Fan-Club gestalkt wurde, pustete ein Seufzen der Resignation aus. Sie hatte nichts gegen Xell, aber lieber wäre es ihr doch gewesen, mit dem Anführer der SEEDs loszuziehen.

Der und sein Teampartner waren vollkommen bei der Sache. Sie mussten auf die Monster Acht geben, welche seit der jüngsten Träne des Mondes deutlich stärker geworden waren, und wechselten deswegen kaum ein Wort miteinander. Auch sie hatten immense Erfahrungen gesammelt; ohne Shiva und Leviathan jedoch wären sie aufgeschmissen gewesen, ermöglichten es doch erst die G.F., dass sie Zauber verwenden und koppeln konnten, um stärker zu werden. Rinoas Freundin Angel unterstützte sie tatkräftig, indem sie für die Heilung sorgte, nützliche Gegenstände aufspürte und so manchen Gegner mit dem Angel-Strike umlegte. Squall registrierte, dass sich die Zusammenarbeit von Hündin und Frauchen langsam, aber sicher perfektionierte: Immer besser gelang es Rinoa, das Tier gezielt herbeizurufen und auch zu entscheiden, was in welcher Situation angebracht war. Und standen sie dann doch einmal einem gefährlicheren Feind gegenüber, verwendete Squall sein [Multi], um ihm schnell den Garaus zu machen.

„Hast du mal darüber nachgedacht, an der SEED-Prüfung teilzunehmen?“, kam Squall nicht umhin, sie zu fragen, nachdem sie sich des ungezählten Thrust Avis’ entledigt hatten.

Einen Augenblick lang starrte Rinoa ihn förmlich schockiert an. Als er sich gerade nach ihrem Wohlbefinden erkundigen wollte, entspannte sich ihr hübsches Gesicht und sie lachte. Squall bemerkte, dass er dieses Lachen bereits vermisst hatte.

„Was ist?“

„Du fragst deine Freundin, ob sie dem Militär beitreten möchte?“, wiederholte sie seinen Vorschlag, als hätte er ihr angeboten, dass sie für ihre Freunde zusammen ein Kaspertheater vorbereiten könnten.

„Ich bin auch SEED. Was ist falsch daran?“, wollte er ehrlich wissen.

„Ohhh, Squaaaall~…“ Ihre Gesten nahmen ausschweifenden Charakter an, und sie näherte sich ihm, als würde sie auf Wolken spazieren. „Du setzt deine Freundin leichtsinnig der immer bestehenden Gefahr eines Söldnerdaseins aus? Du lässt deine Freundin in entfernte Länder abkommandieren? Du bestehst darauf, dass sie kämpft und Kriege führt? Mir scheint, ich habe noch eine Meeeenge Arbeit vor mir…“

„Halt“, warf er dazwischen und war derart ernst geworden, dass es Rinoa an den alten Squall Leonhart erinnerte. „Wenn dich hier irgendjemand einer ständigen Gefahr aussetzt, dann bist du das selbst, Rinoa! Du hast darauf bestanden, uns SEEDs zu begleiten! Außerdem habe ich nur deine Kampffertigkeiten gelobt… Das ist alles.“

Freudig schüttelte sie ihre Hand zur Beschwichtigung. „Nun spiel doch nicht gleich die beleidigte Bratwurst, Squall, ich mache doch nur Spaß! Aber wie wär’s, wenn du – statt meiner… "Kampffertigkeiten", wie du sagst – einfach mal mein Aussehen lobst? Oder sagst, was für eine tolle Freundin du hast und dass du glücklich bist, mit ihr zusammen sein zu dürfen?“

Seine Stimme gab sich gewohnt unbeteiligt. „Ich dachte, so etwas fühlt der Partner. Erwartest du echt von mir, dass ich dir andauernd sage, wie toll du bist und dass ich froh bin, dich zu haben?“

Sie hatte ihn erreicht. Ihre Hände umfassten die seinen, die sich in Handschuhen verbargen. Dann legte sie den Kopf zurück, um ihn anlächeln zu können. „Nein, Squall, natürlich nicht“, lenkte sie sanft ein. „Früher habe ich Worte gebraucht, an die ich mich klammern konnte. Oft waren Worte alles, was mir blieb, wenn die Leute, die ich kenne und kannte, mir Schnarchnase mal wieder vorausgelaufen sind. Aber dann kamst du… und – ohne viel zu sagen – hast du meine Hand genommen und mich mit dir gezogen. Ich bin dir dafür so dankbar, dass selbst mir kein Wort einfällt, mit dem ich diese Dankbarkeit dir gegenüber angemessen ausdrücken kann. Aber vielleicht kann ich’s ja in Taten, so wie du.“

Sie küsste ihn lang und intensiv.
 

Reflexartig schloss Cifer die Augen, als der Zug aus dem Unterwassertunnel zurück an die blendend helle Oberfläche des galbadianischen Kontinents gelangte. Ohne Geld für eine Fahrkarte hielt er sich notgedrungen im Vorraum auf, hatte in der Schwärze der Unterführung die misstrauischen Augen des Schaffners sich im Fenster spiegeln gesehen, wurde jedoch nicht einmal von ihm angesprochen. Er wusste, dass diesen Mann weniger die mögliche Anwesenheit eines Schwarzfahrers beschäftigte als die eines Mörders, eines Massenmörders. Noch schien er sich nicht sicher zu sein, ob er tatsächlich Cifer Almasy, den Ritter der unheilbringenden Hexe Edea, vor sich hatte, und Cifer hoffte, dass die Ungewissheit ihn solange zügelte, bis der verfluchte Zug sein Ziel endlich erreicht hatte.

Da das Licht des warmen Nachmittags über dem Rosfohl-Areal die Fenster wieder durchsichtig machte, konnte er den skeptischen Kerl hinter sich ausblenden. Stattdessen wandte sich seine Aufmerksamkeit dem Mobiltelefon zu, welches er hielt, unentschlossen, ob er ihnen doch eine Nachricht hinterlassen sollte. Er wollte die Geschwister da nicht wieder mit hineinziehen. Würde eine Nachricht sie heraushalten? Würde keine Nachricht sie heraushalten?
 

„Geh zurück!“
 

Er trat in eine vollkommene Dunkelheit. Als er es vor wenigen Minuten verlassen hatte, war es noch ein edel möbliertes, langweiliges Direktorat gewesen. Alles, was jetzt der gähnenden Schwärze nicht zum Opfer fiel, bestand in einem Gebilde aus weiß leuchtenden Seidenstreifen, das an ein dichtes Spinnennetz erinnerte. Die Hexe lag in dessen Mitte. Offensichtlich fühlte sie sich bereits ganz wie zuhause.

„Edea, meine ehrwürdige Herrin“, sprach er mit einer Ergebenheit, die seiner Stimme noch fremd war. „Der Direktor des Gardens hat denselbigen soeben verlassen, so wie Ihr es wünschtet. Euer Euch untertäniger Ritter erwartet seine nächste Anweisung.“

Doch die Hexe antwortete nicht.

„Herrin.“ Er begab sich auf das Knie. „Eure Antrittszeremonie wurde von großem Erfolg gekrönt. Das Volk liegt Euch zu Füßen. Was den kleinen Zwischenfall betrifft, so seid gewahr, dass seine Verursacher ihrer gerechten Strafe zugefügt werden. Seid Ihr zufrieden gestellt, ehrwürdige Edea?“

Noch immer verschluckte die Finsternis seine Worte.

„Warum schweigt Ihr?“, fragte er, eine Nuance fordernder. Es kostete ihm Aufwendung, sich zurückzuhalten. „Habe ich es nicht verdient, durch den Klang Eurer Stimme wenigstens einen kleinen Teil des Lohnes zu erfahren, den Ihr mir verspracht? Wenn ich etwas getan haben sollte, das Euer Missfallen erregt hat, so lasst mich darüber nicht im Unklaren, damit ich meinen Fehler korrigieren kann.“

Sie strapazierte ihn durch anhaltendes Schweigen.

„Edea.“

Dann – endlich – ein langes, tiefes Seufzen, das ihm einen ungewohnten Schauer durch den Körper jagte. Erst jetzt nahm er zur Notiz, dass sie schlief.

„Edea…“

Es war das erste Mal, dass er Zeuge ihrer Menschlichkeit wurde. Nun, wo sie ihn überraschend konfrontierte, sah er ein, dass er sie ihr vorher gar nicht zugetraut hatte, obwohl es doch nur natürlich war, dass sie nach all den Ereignissen sehr erschöpft sein musste. Er war ihr nicht mehr böse. Er war ihr nicht mehr böse, wie man auch einem Kind nicht böse sein kann, das einer zu großen Erwartung nicht entsprechen konnte. Im Gegenteil: Ein erhebendes Gefühl wallte in ihm auf, da er sie so schutzlos und zerbrechlich vor sich ruhen ausmachte. Seine Hände hatten ihr Vertrauen empfangen, das Vertrauen der geheimnisvollen, unberührbaren Botschafterin Galbadias, der Hexe Edea. Sie hatte ihn als ihren Ritter anerkannt.

Mit dieser Erkenntnis stand er auf und wagte sich in die schlundtiefe Dunkelheit vor, die sie umschloss wie ein der gesamten Welt misstrauender Vater.

„Ich werde über Euren Schlaf wachen.“

Nicht frei von Erstaunen erreichte er ihr ungewöhnliches Lager und legte seinen Blick auf sie. Das Empfinden des Stolzes ließ nicht nach; es wuchs und wuchs und pulsierte bald in seinem Leib wie ein einziges großes, schwarzes Herz. Sie schlief – Edea schlief tatsächlich. Nicht allein das sanfte Gewicht ihres Vertrauens übte Druck auf seine Hände auf – nein – Edea selbst hatte sich auf seine Arme begeben, deren langjähriges, eifriges Training augenblicklich seinen Sinn gefunden hatte, sein Ziel.

Sie war außerordentlich schön.

„Edea“, hauchte er, fasziniert und nicht registrierend, wie nahe er ihr bereits gekommen war.

„C… Ci…?“ Aus ihrem Mund schien der Winter zu atmen.

„E-Edea…“ Auf einmal nahm er die geringste Bewegung ihres wirklich außerordentlich schönen Antlitzes wahr. Wie das Blut durch ihre blauen Äderchen floss. Wie ihre dichten Wimpern über dem dunklen Grund ihrer gesenkten Lider zuckten. Wie ihre vollen Lippen sich sanft schlossen und gleich darauf wieder lösten, um einen weiteren kühlen Atemzug auszustoßen.

„Cccccc…“

„Ich bin hier“, flüsterte er überwältigt. „Ich bin bei dir, Edea…“

Und dann schmeckte er den Winter hinter ihren Lippen. Ihre Hände fanden sein Haar, seine Halt an ihrem Seidenthron und sein Mund den ihren. Die Konsequenz dessen war nicht von dieser Welt. Sein komplettes bisheriges Leben war schlagartig jeglicher Bedeutung beraubt; seine Zukunft sprengte den Eisenmantel der Sorgen und die Krone der Zuversicht von sich; Zeit zählte nicht mehr. Alles wurde ein Moment, während die Gedanken und Gefühle unversiegbar aus ihm strömten, während er dieses banale Mund-auf-Mund unternahm, welches sich gleichzeitig herausstellte, eine unvorstellbar mächtige Magie zu beherbergen. Er verschrieb sich ganz dem Verlangen, der Sucht, dem Existenzgrund, ihr Inneres zu entdecken, einzunehmen, zu beherrschen und in ihr das zu finden, das ihre Zuneigung, ihre Liebe, ihre Abhängigkeit zu und von ihm bewusst, intensivieren, ewig werden ließ. Edea stöhnte gegen seine Lippen, streckte sich gegen seinen Körper, und die leise Scheu, warnend an ihm zupfend, sah sich gezwungen, mehr und mehr zurückzuweichen.

Ein Hauch von Kirschblüten.

Ein Stück Sommer.

Wieso musste er jetzt an [sie] denken?

Nun war sie ihm untertan. Er war es, der die Magie wirkte, welche sie zuvor angewandt hatte, gegen jene sie als Empfängerin jedoch offensichtlich machtlos war. Als er die Augen öffnete nach diesem Moment der Ewigkeit, sah er sie an dem unbeschreiblichen Genuss leiden.

„Ccc… Ci…“, seufzte sie flehend. „[Cid]… Rette mich…“

Er kannte die Stimme.

Dann war der Moment vorbei. Ohne einen Schatten zu besitzen, ließ er Cifer perplex auf dem kühlen Grund hockend zurück und sich fragen, was in ihm geschehen war, derweil Edea sich, Odins Gemahlin gleich, von ihrem Thron erhob und mit erkalteter Miene auf ihn herabblickte.

„Leite den Abschuss der Raketen ein“, befahl sie ihm, bar jeder Spur ihres vorangegangenen Schlafes. „Die Ziele sind die beiden Garden.“

Er schob die Lippen fest aufeinander, von denen die letzten Kristalle ihres Winters glitten, und ließ sich nichts anmerken.

„Anschließend wirst du dich zu den gefangenen Attentätern begeben und sie nach der [Wahrheit über die SEEDs] fragen.“

Die Wahrheit über die SEEDs? Welche Wahrheit?

Cifers Stimme bebte, als er antwortete: „Jawohl, ehrwürdige Herrin.“
 

«Nächster Halt: Bahnhof Timbeeeer! Nächster Halt: Bahnhof Timbeeeer!»

Cifer schlug die Augen auf und wischte die Hand des Schaffners fort, welche ihm bedrohlich nahe gekommen war. Überrascht, aber noch immer mit diesem skeptischen Ausdruck im Gesicht stolperte der Mann zurück. „Tut mir Leid. Ich wollte nur sehen, ob alles okay mit Ihnen ist.“

„Schieben Sie Ihre Aufmerksamkeit anderen Leuten in den Arsch“, blaffte er ihn an und erhob sich. „Sie nerven.“

Der Zug verlor an Fahrt. Den Schaffner warnend anblitzend, begab sich Cifer auf den Bahnsteig der kleinen Stadt, welche ihm keineswegs unbekannt war. Timber – zur Zeit Präsident Delings noch Provinz – hatte vor knapp einem halben Jahr seine Unabhängigkeit bekannt gegeben. Seitdem florierte es. Die Rebellengruppen hatten sich aufgelöst, und wenn es heute jemanden gab, der das Timber Maniacs-Gebäude oder die TV-Station stürmte, dann waren es Touristen. Er fragte sie, ob sie möglicherweise einer jungen Frau, die auf Elliones Beschreibung passte, begegnet waren. Nur einer meinte sie in Richtung der örtlichen Kneipe laufen gesehen zu haben, doch dieser gewaltige weibliche Omnibus, der gerade vor dem "Aurora" parkte und sich ernstlich zu wundern schien über die skandalös kleine Tür, durch welche er nicht passte, war ganz gewiss nicht die Person, nach der er Ausschau hielt.

Zum Trost kam er eben rechtzeitig, um einem kleinen Spektakel beizuwohnen: Angekündigt von gedämpften Schimpfwörtern hinter der Wand flog die Lokaltür auf und ein Mann gleich im hohen Bogen hinaus; der landete auf dem menschlichen Bus, der sich bereits zum Abgang gewendet hatte, und riss ihn doch glatt um! Die Frau räkelte sich auf dem Boden wie ein Adaman Taimai auf seinem Panzer, derweil der andere ungeschickt zurück auf die Füße fand und Entschuldigungen auf sie niederhageln ließ. Ihre Augen sprühten so etwas wie Mordlust, sie wirbelte bereits mit der Handtasche herum, doch kam sie einfach nicht hoch. Aber so schusselig der Kerl war, half er ihr – ganz Gentleman – auf und kassierte zum Dank seine verdiente Heckenschlangenlederhandtaschenfeige.

Und da meinte Cifer, ihn zu kennen.

Er wartete, bis der aufgebrachte Bus Empörungen zischend an ihm vorbeigefahren war, ehe er die restlichen Stufen überwand und den Mann mit dem kurz geschnittenen, rabenschwarzen Haar, den gräulichen Lippen und der unverkennbaren langen Nase erreichte, der ihm zum ersten Mal nicht in galbadianischer Uniform gegenüberstand.

„Hagen Wedge!“, rief Cifer in einem militärischen Befehlston. Und er amüsierte sich prächtig darüber, wie dieser sogleich seine Wirkung entfaltete: Der schmächtige Soldat schoss in die Höhe, stand still und antwortete lautstark: „Sir! Ja, Sir!“ Dann erst begann er sich zu wundern. „Herr Kommandant?“

„Herr Unterstaubwedel?“

Offensichtlich fürchtete sich Wedge beinahe vor einer Korrektur. „Ähhh… Eigentlich heißt es ja Unterfeldwebel.“

„Dann degradiere ich dich eben.“

„A-aber das können Sie nicht!“

„Wieso nicht?“

„Weil… weil…“ Wedge ließ die Schultern hängen. „Weil Biggs immer vor mir degradiert wurde.“

Er und Biggs waren ein Team gewesen und nur zusammen zu gebrauchen. Ob Niederlagen, Demütigungen, Gehaltskürzungen oder Degradierungen – die beiden hatten einfach alles geteilt. Sie waren auch zur selben Zeit aus der Armee getreten. Doch nun war Biggs Galbadias Präsident und Wedge offenbar ein Nichts – wenn er das nicht schon vorher gewesen war.

„Aber ich bin erleichtert, Sie in so guter Verfassung wiederzusehen!“, teilte Wedge ihm mit und salutierte elanvoll. Die Erinnerungen, welche ihm daraufhin durch den Kopf zogen, ließen ihn ein weniger kräftiges „…glaube ich“ hinzufügen. Cifer Almasy hatte sich nicht selten auf seine Kosten hin lustig gemacht.

„Schluss damit“, wehrte der seine respektvolle Geste verstimmt ab. „Ich bin kein galbadianischer Befehlshaber mehr.“

„Oh…“

War da ein Hauch von Bedauern in Wedges Stimme zu hören?

„Gestatten Sie mir die Frage, was Sie derzeit tun.“

„Abgelehnt.“ Cifer wandte sich zum Gehen.

„Sie sind nicht mehr mein Kommandant“, hielt der Ex-Soldat ihm ungewohnt erwartend vor.

„Stimmt.“

„Also antworten Sie mir! …Bitte.“

„Ich tätige Gelegenheitsjobs.“

„Klingt spannend!“

„Ist es aber nicht.“

„Sorry. Ich wusste nicht, was ich sonst dazu hätte sagen sollen“, gab Wedge aufrichtig zu.

„Niemand hat erwartet, dass du etwas dazu sagst“, wies er ihn zurecht. „Erkläre mir lieber, weshalb einer wie Biggs Präsident werden konnte und warum du nicht mehr in seiner Nähe herumhängst.“

Wedge zuckte mit den Schultern. „Na ja… So genau weiß ich das auch nicht. Galbadia hatte halt keinen Präsidenten mehr…“

„Und da nehmen sie den Ersten, der ihnen entgegenläuft, oder was?“, drängte er ihn, klarer zu werden. „Kein Wunder, dass ein Arsch wie Deling auf Lebenszeit gewählt werden konnte. Hauptsache irgendeinen Idioten, der herrscht.“

Der Galbadianer schüttelte beschwichtigend die Hände. „Nein. Ich glaube, sie haben aus Präsident Deling gelernt.“

„Gelernt?“, höhnte Cifer trocken. „Gleich darauf haben sie sich der Hexe unterworfen. Und als Artemisia Edea mal eben ersetzte, hat auch niemand Fragen gestellt. Jetzt dieser Biggs. Der hat ja nicht mal über den Sendeturm regieren können!“

„Aber er ist besessen davon, das Land, in dem er aufgewachsen ist, vor seinem Untergang zu retten“, hielt Wedge etwas zaghaft dagegen. „Sie können sich nicht vorstellen, was er alles unternommen hat, um Galbadias drohendes Schicksal abzuwenden! Ich hab’ ihn nicht wiedererkannt!“

„Und weshalb bist du nicht mit ihm gegangen?“

„Ich hielt es einfach für eine dumme Idee“, erklärte Wedge schlicht und hob hilflos die Arme. „Wie sollen zwei Hohlköpfe wie wir denn einen so großen Staat leiten? Das können wir doch gar nicht!“

„Na klar. Das leuchtet mir natürlich ein“, kommentierte Cifer es nicht ohne Spott.

„Sie trauen es uns ja auch nicht zu!“, bemerkte er es und hauchte ein trauriges Stöhnen. „Jetzt fehlt er mir jedoch. Eine Weile lang hab’ ich mich sogar ganz stark gefühlt, weil ich endlich einmal jemandem meine eigene Meinung gegeigt habe, aber dann kam schnell die Erkenntnis: Ich bin nicht sein Dienstkamerad – ich bin sein Freund. Es war meine Aufgabe, ihn zur Besinnung zu bringen oder – wenn das nicht klappt – wenigstens an seiner Seite unterzugehen. Doch stattdessen bin ich einfach abgehauen.“

Auf einmal musste der Gun-Blader an Fu-Jin und Rai-Jin denken.

„Jetzt finde ich keinen Zugang mehr zu ihm. Er will mich nicht sehen wegen diesem Streit, den wir damals hatten, und ein minderwertiger Soldat wie ich wird da ja auch nicht einfach reingelassen.“

Vollkommen verzweifelt warf Wedge sich auf den Untergrund, stöhnte und jaulte wie ein Schlosshund. Er hob die Hände zum Himmel, als wollte er eine besonders mächtige G.F. beschwören, ließ allerdings nichts Außergewöhnliches passieren und heulte selbst so schrill wie die G.F. Siren, bevor er mit flüchtender Stimme in sich zusammensank und nahezu entspannt ausatmete. Der Verkäufer des Item-Shops und einige Kneipenbesucher bedachten das mysteriöse Ritual des Betrunkenen mit großen Augen.

Der schaute auf. „Komman… Herr Almasy?“ Er ließ den Blick herumschwenken. „Herr Almaaasy!“

Alles, was er noch von "Herrn Almasy" zu sichten bekam, war der Rand des wehenden Mantels, der sich immer weiter von ihm entfernte.

„So warten Sie doch!“

Auf unsicheren Füßen trippelte Wedge die Treppe hinauf und stürzte gegen den Rücken seines einstmaligen Kommandanten, der ihn sofort von sich stieß.

„Sie wollen schon gehen?“

„So sieht’s aus.“

Abrupt hatte der arbeitslose Soldat beschlossen, ihn zu begleiten. Nur war ihm noch nicht klar, wie er ihn dazu überreden konnte. Er brauchte Cifer. Denn der kam überall rein, und vielleicht auch in den Präsidentenpalast. Unglaublicherweise half ihm gerade die Tatsache, längst nicht mehr auf dem neuesten Stand zu sein und manchmal alles durcheinander zu bringen, hier weiter: „…Sie suchen doch dieses Mädchen?“

Es war Zufall, dass Biggs’ und Wedges letzter großer Auftrag vor ihrem Ausstieg dem jetzigen Ziel Cifer Almasys derart ähnlich war. Zum ersten Mal, seit sie sich wiedersahen, schenkte der junge Mann ihm echtes Interesse.

„Ich glaube, ich weiß, wo sie ist.“

„Und warum rückst du erst jetzt damit raus?“, verlangte Cifer mit verärgertem Argwohn zu erfahren.

„E-esssss… ist mir gerade erst wieder eingefallen!“, log er schwach, aber es schien zu genügen.

„Nun: Wo ist sie, deiner dürftigen Erinnerung nach?“

„Ich habe sie erst kürzlich gesehen! Da ist sie gerade in einen Zug Richtung… Richtung [Hauptstadt] gestiegen! Genau! Ja! So war es!“

„Deling City also.“

„Ja! Ganz genau! [Deling City]! Richtiiiiiig! Vollkommen korr…!“

„Maul halten, Wedge.“

„Oh. Okay. (Nehmensiemichdannmit?)“
 

„Nicht nach Deling City! Geh zurück!“
 

Verwundert sah Wedge auf, als sein Vorgesetzter eine Hand vor die Augen presste. „Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte er ihn besorgt. Er war zwar Soldat, als Mensch jedoch stets um die Gesundheit anderer bekümmert, auch wenn er sie nicht immer ausstehen konnte.

„Ich ärgere mich gerade nur über deine Dummheit“, antwortete Cifer ausweichend.

„’Tschuldigung“, kam es gemurmelt.

„Erspar mir deine lästigen Entschuldigungen.“

„Oh, ’Tschuldigung.“

Der vernichtende Blick zwang Wedge zum augenblicklichen Verstummen. „Du wirst mich begleiten“, befahl Cifer ihm schließlich.

„Meinen Sie das ernst?“

„Todernst. Denn das wirst du sein, wenn wir sie dort nicht finden.“

„T-tot oder… oder ernst?“, hakte er mit einem flimmernden Hoffnungsschimmer nach.

„Tot“, plättete Cifer diesen kurz und hart. „Was natürlich voraussetzt, dass du die Monster bis dahin überlebst.“

Wedge stemmte die Fäuste in die Luft. „Das werde ich! Denn auch ich habe ein Ziel vor Augen, eine Mission! Dann hält mich nichts mehr auf!“
 

KABUMM!

„Engel…“

Zwei federnde Schwingen hoben den gefallenen Körper hinauf und erweckten dessen Geist aus seiner Ohnmacht. Dennoch spürte Wedge noch immer schmerzhaft die Verbrennungen der ganzen üblen Feura-Attacken der ausgesprochen fiesen Heulechse, die ihrem Namen alle Ehre machte: Der Kampf war wirklich zum Heulen! Zumindest für Cifer Almasy, der seinen Arm noch solange in die Richtung seines Kameraden streckte, bis dieser wieder einigermaßen sicher stand. An seiner Mimik erkannte Wedge, dass sein Kommandant nicht unbedingt fasziniert von seinen Kampffertigkeiten war. Alles, mit dem er sich gegen diesen Blick zu wehren wusste, war das Aufsetzen eines entschuldigenden Unschuldslächelns.

„Und so etwas von einem Unterstaubwedel!“

„Eigentlich heißt es ja…“

„Ist mir egal, wie’s heißt!“, fuhr er ihn an, setzte nach vorne und betätigte den Abzug der Pistole, sodass ein Kraftstoß durch die Klinge ging, als sie die Echse traf, die sich überschlug und starb. Routiniert wechselte Cifer das leere Magazin im Griff gegen ein neues aus, zog den Schlitten zurück und vernahm das vertraute Klicken, das die Bereitschaft der Hyperion verkündete. Trotz geschlossener Augen bemerkte er, dass sein erbärmlicher Kampfgefährte sich vorsichtig näherte.

„Vor den Monstern solltest du dich fürchten, nicht vor mir.“

„Natürlich“, entgegnete der Angesprochene kleinlaut und schabte mit dem Fuß über den graslosen Boden.

„Du hast dein Schwert liegen lassen.“

„Oh? O-oh! Kommt nicht wieder vor!“ Wedge stolperte fast über die eigenen Füße, als er zu der Stelle eilte, wo er eben zusammengebrochen war.

Auf seine Gun-Blade gestützt, hob Cifer den Blick in den Himmel, der sich zusehends verfinsterte. „Selbst beim Fliehen würdest du den Gegnern wahrscheinlich noch entgegen laufen…“

You've got a Message!

Außerhalb balzten die Grillen in den Büschen des Schulhofs. Hinter ihm gluckste und sprudelte das Wasser durch die Halle. Der rhythmische Klang seiner auf das Parkett tretenden Schuhe begleitete ihn, und ihr Echo folgte ihm treu und erkundete den vor ihm liegenden Weg durch den breiten Korridor, spärlich beleuchtet von dem Schein eines fahlen Mondes. Die Gedanken waren seinem Körper vorausgeeilt, doch er wusste, wo sie waren, wo er sie wiederfinden würde. Mit der Codekarte, die dem Ordnungsdienst stets zur Verfügung stand, schloss er die Schulbücherei auf und fand den Lichtschalter mit blinder Sicherheit. Die Lampen rissen ihre gleißenden Augen auf und erweckten die Bücher aus ihrem Schlaf. Sein Gang endete vor einem der Regale. Er hob den Kopf und begann, die Titel zu studieren.
 

[Also sprach Zebarga]…
 

[Balamb – Geschichte und Gesellschaft]…
 

[Cait Sith, der mutige Kater]…
 

[Deling – Autobiografie]…
 

[Esthar – Die fremde Weltmacht]…
 

[Flugschiffe und wie sie funktionieren]…
 

[Galbadia – Der Superstaat]…
 

[Hexen].
 

Fithos…
 

Willkürlich schlug Cifer eine Seite auf, starrte auf den Inhalt, als erwartete er etwas Unvorhersehbares. Als wollte er von dem Buch verschluckt werden.

"…spaltete sich und überließ ihnen die eine Hälfte. Doch nicht diese beherbergte seine Macht. Der Große Hyne vererbte seine mächtige Seite an eine Frau, die…"

Er blätterte weiter.

"…Hexenverfolgung fielen weit weniger tatsächliche Hexen der Panik der Bevölkerung zum Opfer als Menschen, die für solche gehalten…"

Weiter.

"…Krieges verloren viele Kinder…"

Weiter…

"…sie beschützt…"

Stopp.
 

Lusec…
 

"Hexen-Ritter. Für jede der Magie Befähigten, die ihre Kräfte aktiv verwendet, ist ein sogenannter Hexen-Ritter unerlässlich. Nicht allein ihr Schutz vor physischen Gefahren obliegt ihm. Der Ritter, der eigens von der Hexe erwählt wird, welche ihm damit eine große Pflicht aufbürdet, bewahrt sie insbesondere vor sich selbst. Als innigster Vertrauter verhindert er, dass die Hexe die Kontrolle über ihre gewaltigen Kräfte verliert. Da einer Hexe aus ihrem Umfeld in der Regel nur Ignoranz und Abscheu begegnen, besteht zwischen ihr und ihrem Ritter, der sie begleitet und beschützt, eine sehr starke Beziehung, die durchaus mit aufrichtiger Liebe verglichen werden kann…"

Aufrichtige Liebe… Wie romantisch.
 

Wecos…
 

Die Buchstaben, die Worte, die Sätze, die Seiten spiegelten sich in dem Grün seiner Augen. Er verbrachte die Nacht in der Bibliothek, über dem dicken Folianten. Die Morgensonne machte das surrende Lampenlicht bald unnötig. Auf den Fluren lebte der Betrieb des Unterrichts auf. Die Grillen verstummten oder gingen schlichtweg im Lärm des beginnenden Tages unter. Alles, was dieser am Tisch der Bücherei änderte, war das Verhältnis der bewältigten Seiten zu den noch ausstehenden sowie die dunklen Augenränder des Lesenden.

"Der erste bekannte Hexen-Ritter der Geschichte Zephir, um den sich allerlei Mythen und Legenden ranken, gilt als Vorbild der nachkommenden Ritter. Er war das Geleit der Hexe Adena und zeichnete sich durch unbedingte Loyalität ob…"

Cifer sah die Zeilen kaum noch. Erst, als sich jemand an ihn heranwagte, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen, erhob er sich ruckartig, dass der Stuhl dabei umkippte, und verließ das heutige Nachtlager bar jeden Wortes.
 

Vinosec.
 

Mit der Hand auf der Stirn folgte der Gun-Blade-Kämpfer dem Soldaten, der über die Steppe hüpfte wie Heidi zwischen ihren geliebten Bergen und dabei mit ganzer Inbrunst irgendeinen Soldatenmarsch in die Nacht trällerte. Von welchem Fanatismus Wedge auch immer besessen war – es nervte Cifer, neben sich selbst zusätzlich auf seinen Gefährten achten zu müssen, damit nicht irgendein Monster plötzlich auf denselben stürzte und ihn in seiner leichtsinnigen Unbeschwernis in Stücke fetzte.

„Wieso zum Teufel bist du so verdammt gut gelaunt?“, konnte er sich die Frage nicht verkneifen und war erleichtert, als das fürchterliche Gegröle endlich ablärmte.

Da Wedge sich zu ihm drehte, konfrontierte er den Ex-Ritter mit dem breitesten und ehrlichsten Grinsen, das jemals gesehen worden war. Der Attackierte war im Begriff, den Arm zu heben, um seine Augen vor diesem blendenden Strahlen zu schützen, das respekteinflößender war als jeder Rubrum-Drache. „Ich werde Biggs wiedersehen!“

Als wäre das die Antwort auf alle Fragen, die Cifer derzeit beschäftigten, wirbelte Wedge herum und hoppelte über die nächste Erhebung. Und nahm sein schiefes Getröte wieder auf. Er musste sich zwingen, es von der positiven Seite aus zu betrachten: Wenn Wedge mit seinem Singen zu tun hatte, nervte er ihn immerhin nicht mit lästigem Smalltalk. Er war es nicht gewohnt, in Begleitung von jemandem zu sein, der seine Klappe nicht unter Kontrolle hatte. Rai-Jin gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die ohne Wörter ausatmen konnte – ja – aber erstens hatten sich die Zeiten seines Zusammenseins mit den Geschwistern deutlich verringert und zweitens war selbst Rai-Jin merklich schweigsam geworden, für seine Verhältnisse. Seine Taten in der jüngsten Vergangenheit waren nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Für das, was er als seinen [Traum] bezeichnete, hatte er nicht seine Freunde, aber ihre Freundschaft verraten.

Das falbe Mondlicht spiegelte sich im Display des Handys. Er hatte ihnen noch immer nicht geschrieben.
 

„Fu-Jin!“

Als die Erwähnte aufsah, trampelte ihr Bruder in das Wohnzimmer wie ein tobsüchtiger Behemoth, stoppte unbeholfen, als würden zwei entgegengesetzte Seelen seinen Körper steuern, und hinterließ den Eindruck eines riesigen, breiten Kegels, der aus dem Gleichgewicht geraten war und dem es nur mühsam gelang, in seine Ausgangsposition zu schaukeln. Das kleine Ding in seiner wuchtigen Hand fiel kaum auf. Das Handy.

Mit einer für sie ungewöhnlichen Hast stand sie auf. Neben einigen Kunden gab es nur eine weitere Person, die ihre Nummer kannte, und ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sich ihre Ahnung bestätigte:
 

Verzeiht. Cifer
 

Die Erleichterung zauberte ein seltenes Lächeln auf die blassen Lippen der jungen Frau. Es war der Beweis, dass Cifer am Leben war – und seiner Entschuldigung nach endlich auf dem Weg, wieder zu sich selbst zu finden.

„Schreib ihm mal was zurück!“, schlug Rai-Jin vor, ließ sich aber nicht nehmen, das gleich selbst zu tun, ehe er vor Aufregung explodieren würde.
 

Unerwartet machte das Mobiltelefon auf sich aufmerksam. So gut wie nie erhielt Cifer Anrufe oder Nachrichten, nicht einmal von den beiden anderen Mitgliedern des Ordnungsdienstes, aber die angezeigte Nummer entsprach jener, an die er seine wenigen Worte gesendet hatte.
 

uffueufuxxfsdd!!!!!!!!!
 

Was war das denn?

Erneut piepte es.
 

Brlfsöapfmzrew!!!!!!!!!!
 

Rai-Jin war wohl am Schreiben. Leider konnte Cifer partout nicht entschlüsseln, was er ihm mit diesen Botschaften mitteilen wollte. Sollten sie Wut ausdrücken?

Dann kam eine dritte.
 

Freunde für immer!!!!!!!
 

Er starrte sie lange an.
 

„Keine Antwort“, sagte Fu-Jin.

„Vielleicht hat er mal genug Nachrichten für heute“, vermutete Rai-Jin mit abebbender Erwartung.

Das Handy lag in der Mitte des Tisches; die Gesichter der beiden waren gespannt darüber gebeugt. Sie zogen es vor zu warten und warteten beinahe eine kleine Ewigkeit, als das Gerät doch endlich ein Lebenszeichen von sich gab.
 

Lasst mich das erst klären.
 

„Was?“, fragte Rai-Jin verwirrt. „Was will er mal erst klären?“

„Bredouille“, erklärte Fu-Jin ihm überzeugt. „Suche nach Lösung.“

„Wieso sollten wir ihm dabei mal nicht helfen können?“, hakte er nach. Der Hüne setzte viel, wenn nicht alles auf ihre Freundschaft und glaubte nicht, dass es irgendetwas gab, das sie – wenn sie es gemeinsam angingen – nicht bewältigen könnte. Nur war Cifer, was das gemeinsam betraf, noch immer etwas schwer zu handhaben. Entweder machte er, wenn sich eine Hürde in seinen Weg stellte, die weder mit der Gun-Blade noch mit seinem Dickkopf zu durchbrechen war, ganz auf Egotrip und spielte den Helden aus seinem idealisierten Film, oder er schmiss alles hin, blendete sein Umfeld komplett aus und verlor sich in endlosen Grübeleien. Cifer konnte absolut nicht damit umgehen, wenn etwas den euphorischen Höhenflug, für den er sein ganzes Leben hielt, bremste. Selbst Rai-Jin, der seinen Lebenssinn darin gefunden hatte, zusammen mit Fu-Jin und Cifer durch Hölle und Himmel zu stürmen, hieß sicher nicht alle Aktionen seines Chefs gut, aber er hatte ihn das lange nicht wissen lassen, weil ihm bewusst war, wofür ihr Hexen-Ritter alles riskierte. Auch er war ein Mensch, der Vertraute und Anerkennung brauchte – nur halt etwas mehr von alledem, besonders nach jener harten Zeit seines Dienstes unter der Hexe, der Erfüllung seines lange gehegten Traums. Je kritischer die Gesamtsituation geworden, je näher die Handlung ihrem Höhepunkt gekommen war, desto tiefer war er im Moor eines verdorbenen Wunsches versunken, der Hypnose Artemisias und seiner eigenen Machtgier. Und Verzweiflung.

Rai-Jin erinnerte sich noch recht genau an den Tag in der Lunatic Pandora, an welchem Artemisia die Kontrolle über ihn endlich fallen und ein physisches wie psychisches Wrack zurückgelassen hatte. Mit ihrem Einfluss strömte zugleich die ganze geliehene Kraft aus einem Körper, der in der Vergangenheit mehr erleiden musste, als er unter normalen Umständen hätte ertragen können, und so stürzte das, was vom Hexen-Ritter noch übrig war, keuchend auf die Knie, von oben bis unten besudelt mit dem schwarzen Blut Odins, den es kurz zuvor entzwei geschlagen hatte, und murmelte nur noch unverständliche Worte vor sich hin.

Rai-Jin und Fu-Jin, beide gleichsam von Mitleid wie persönlicher Beleidigung erfüllt, traten vor ihn. Ihre Schatten mussten es sein, welche ihn zögernd aufschauen ließen, als fürchtete er Schläge und Flüche von zwei enttäuschten Kameraden. In seinen Augen, die sein Innerstes nicht länger verstecken konnten, lasen sie eine Mischung von Gefühlen, die sie ihm niemals zugetraut hatten. Da verflog selbst Rai-Jins Wut, der er in diesen Minuten am liebsten Luft gemacht hätte. Cifer war sowieso schon genug bestraft worden. Der dreckige, zerschlissene Mantel sowie das erloschene Feuer in den durchsichtigen Spiegeln seiner Seele ließen nur vage vermuten, was er bis hierhin durchgemacht hatte. Sie waren die ganze Zeit in seiner Nähe gewesen, aber doch nie bei ihm. Er hatte sich einer Hexe geopfert, die ihn missbrauchte, und dabei seine einzigen Freunde aus seinem Leben gesperrt. Und doch konnten sie ihm nicht böse sein.

Fu-Jin schließlich kniete sich zu ihm hinab. „Gehen wir.“ Ihre Stimme klang beruhigend. Rai-Jin war gerührt. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass seine Schwester vollständige Sätze äußerte, auch wenn es ihr noch immer so mühsam fiel wie das Benutzen einer fremden Sprache. Er sah zu, wie sie ihrem gemeinsamen Freund die abgenutzte Gun-Blade entzog und flüsterte: „Die brauchst du ja wohl nicht mehr.“

Cifer oder dessen Reste erwiderten nichts. Seine Pupillen folgten dem Pistolengriff der Waffe, die seinen Fingern entglitt, als wüsste er, könnte es allerdings noch immer nicht glauben, dass der Kampf vorbei war.

„Ja. Gehen wir mal zurück nach Hause“, pflichtete Rai-Jin ihr bei. Und obgleich er ihm soeben noch den Rest geben wollte, legte er sich nun seinen Arm um den Nacken und zog ihn hinauf.

Cifer protestierte nicht. Er sagte gar nichts, er schnaufte nicht einmal mehr und ließ jegliche Regung in seinem blassen Gesicht vermissen, sodass Rai-Jin befürchten musste, er würde jede Sekunde bewusstlos oder tot zusammenbrechen. Zu ihrem Glück hatten sich bereits Truppen aus Esthar mit einigen Fahrzeugen am Tears Point eingefunden, die sie und die SEEDs für eine Weile in Esthar City unterbrachten.

Da war dieses Gespräch gewesen, als Rai-Jin eines Tages jener Weile Squall Leonhart auf dem Flur des Hotels begegnet war. Er wappnete sich bereits gegen eine Standpauke, die sich gewaschen haben würde, doch die blieb aus, und stattdessen zeigte sich der Anführer der SEEDs von seiner höflichen Seite: „Tut mir Leid, dass wir euch angegriffen haben.“

„Uns tut es mal Leid“, erwiderte Rai-Jin. „Wir haben mal viele Fehler gemacht.“

„Ihr seid nur für eure Sache eingestanden. Jeder würde da so handeln.“

„Denkst du?“ Der Größere musterte ihn erstaunt.

Squall nickte. „Wie geht’s Cifer?“

„Er zetert mal schon wieder rum, wenn man ihn mal im Bett behalten will. So schlecht kann’s ihm mal gar nicht mehr gehen.“

Der Brünette stemmte einen Arm gegen die Hüfte und wandte den Kopf nachdenklich ab. „Wir können nicht sicher davon ausgehen, dass ihn die Hexe nicht manipuliert hat. Er könnte noch immer unter ihrer Kontrolle…“

„Cifer mal nicht!“, unterbrach Rai-Jin ihn entschlossen und gestikulierte wild mit den Händen. „Er ist wieder er selbst! Er lässt sich mal nicht von einer toten Hexe kontrollieren!“

Squall hielt an seinem Zweifel fest. Erst durch diese Geschichte hatte er erfahren, wie krank sein ehemaliger Trainingspartner wirklich war. Auch wenn er unter Manipulation agiert hatte, so war er durchaus er selbst gewesen und hatte die ohnehin ernsten Situationen stets noch auf die Spitze getrieben. Darüber hinaus war keinesfalls auszuschließen, dass Cifer für die Niederlagen und Demütigungen, die er unter der Hexe eingesteckt hatte, Rache üben würde.

„Wir sind dir mal was schuldig“, gestand Rai-Jin ihm auf einmal. „Ohne dich… Wer weiß, ob wir unseren Cifer mal je zurückbekommen hätten?“

Squall winkte ab. „Ist schon okay. Wir haben es ja nicht in erster Linie für euch getan. Wir sind SEEDs. Es war unser Job.“ Auf Rai-Jins lange Miene fügte er ehrlich hinzu: „Ich bin nur froh, dass niemand, den ich kenne, ernstlich verletzt wurde.“
 

Nachdem sie sich in Esthar erholt hatten, hatten sie sich einem Gerichtsverfahren stellen müssen. Cifer, der der Hexe gedient, die galbadianische Armee geführt, den Raketenabschuss befehligt, damit unzählige Menschen ermordet und die Ausgrabung der Lunatic Pandora geleitet, und Fu-Jin und Rai-Jin, die ihn dabei unterstützt hatten. Dem Präsidenten Loire war es zu verdanken, dass sie der Todesstrafe, welche sie in Delings Galbadia so sicher erwartet hätte wie ein Gratt in der Übungshalle, entgehen konnten. Squall Leonhart hatte ihm zugeredet, und auch das Ehepaar Kramer hatte sich für sie eingesetzt. Laguna Loire machte sich Cifers psychischen Zustand zunutze und plädierte auf Unzurechnungsfähigkeit. Der Prozess zog sich in zermürbende Länge, aber nachdem das Urteil nach Wochen der Verhandlungen endlich gesprochen wurde, sah Rai-Jin kein Zeichen der Entspannung in dem Gesicht seines Freundes, so als wäre es Cifer völlig egal, ob man ihn hinrichtete oder am Leben ließ. Der Ordnungsdienstführer wirkte stets älter, als er war, aber an diesem Tag, an welchem die Sonne erstmals wieder durch die blutrote Atmosphäre auch auf Esthars Boden drang, schien er Rai-Jin um zwei Jahrzehnte gealtert zu sein. Eine harte Ernsthaftigkeit hatte seinen Zügen die letzte Jugend entrissen. Rai-Jin war sich beinahe sicher, dass Cifer in diesem winzigen Augenblick enttäuscht war, nicht sterben zu müssen.

Mit der verhältnismäßig lächerlichen Auflage, den Wiederaufbau des Trabia-Gardens zu unterstützen, kehrten sie zurück in den Westen und mussten lernen, dass gestürzte Befehlshaber des galbadianischen Militärs in der Rangordnung des galbadianischen Volkes noch unter den Monstern standen. Niemand wagte es, sie mit Messern oder Pistolen zu attackieren, aber manchmal waren Blicke schmerzhafter als Waffen. Nicht unbedingt jene Blicke, die Hass oder Abscheu ausdrückten.

Als sie nach Trabia reisten, um ihre Strafe zu vergelten, kam ihnen eine Studentin entgegen, warf sich verzweifelt schluchzend vor Cifer auf die Knie und zog an den Enden seines Mantels. „Warum?!“, stieß ihre erstickende Stimme hoffnungslos und scharf auf sie ein. „Warum mussten sie sterben?! Erkläre es mir! Warum raubt uns ein Schwert, das [Hyperion] heißt, die Sonne?! Warst du nicht selbst Schüler eines Gardens? Hast du kein Herz? Beantworte mir meine Frage, damit ich wieder an das Menschliche in jedem Menschen glauben kann und das Wissen, dass es einen Grund gab, mein Weiterleben möglich macht!“

Mitschüler hatten sie von ihm gezerrt.

Eine Woche lang ertrugen sie es, dort zu sein, dann verließen sie Trabia über Nacht und fanden eine Bleibe in Balamb. Die friedliche Stadt am Meer taute Cifers Emotionskälte auf, und er begann, wieder am Leben teilzunehmen, aber sie hatten sich nicht lange daran erfreuen können: Bald war er in den Zustand des abweisenden Wartens gefallen und hatte die Loyalität seiner Kumpels auf eine harte Probe gestellt. Vielleicht hatten sie sie nun überstanden.

„Lass uns ihn mal anrufen!“, schlug Rai-Jin unvermittelt vor.
 

Ein langer Klingelton kündigte einen Anruf an. Fu-Jin und Rai-Jin hatten ihm sicherlich einiges zu sagen, aber noch fühlte Cifer sich nicht bereit, sich ihnen zu stellen. Er ließ es klingeln. Wedge, der sich dadurch massiv in seinem Gejaule gestört fand, drehte sich um und rief: „Wollen Sie nicht mal drangehen?“

Cifer ignorierte ihn. Erst nach Minuten war das Handy wieder still.

Zell's Confession

„Sind Sie sicher? Sind Sie sich da auch wirklich sicher?“ Wedges Gesicht war ergraut. Er konnte nicht einfach aufhören zu fragen; gleichwohl wurde ihm klar, dass sich die Antwort nicht mehr verändern würde, wie oft er es auch täte, sodass sich endlich zwar sein Mund öffnete, aber kein weiteres Wort herauskam.

„Verflucht noch mal: Ja! Was muss ich tun, damit Sie das endlich kapieren?“, entgegnete die Wache am Tor des Präsidentenpalastes lautstark, die vor wenigen Minuten noch die personifizierte Ruhe dargestellt hatte. „Sind Sie ein Verehrer oder was? Oder einfach nur dämlich?“

Wedge, der Vorwürfe dieser Art schon gewohnt war, konnte diesen getrost übergehen: „Kann man ihn denn nicht aufspüren?“

„Soldaten, Suchhunde, die Bevölkerung – alles schon unterwegs! Aber keine Chance: Der Präsident ist wie vom Erdboden verschluckt! Machen Sie sich doch selbst auf die Suche, statt hier die Arbeiten zu behindern, Sie bemitleidenswerter Idiot!“

„Puhh… Im Weglaufen war er ja schon immer eine Koryphäe.“ Zerschlagenen Muts kehrte er um. Mit der Wahrscheinlichkeit, Biggs gar nicht anzutreffen, hatte er absolut nicht gerechnet. Ergo auch nicht damit – zumindest nicht wirklich damit – sich noch einmal zu demjenigen begeben zu müssen, der auf seine Gun-Blade gestützt auf die versprochene Information wartete. Das Gesicht dieses Jemanden verdüsterte der Ausdruck der Langeweile und steigenden Missgunst – auf diesem Gesicht eine mitunter tödliche Kombination, dessen war sich der Soldat bewusst.

„Können wir endlich?“

„Hm-hm.“ Den ganzen Weg lang vom Tor des Palastes bis hierhin hatte er sich Gedanken gemacht, wie er sich vorbereiten konnte, ehe er zu dem Schluss gekommen war, dass eine Vorbereitung für das Kommende nicht in seinem persönlichen Möglichkeitsbereich lag.

„Wo ist sie jetzt?“, verlangte die scharfe Stimme zu wissen.

„Nun…“ Ratlos fuhr er sich über das schwarze Haar.

„Raus mit der Sprache!“ Wie befürchtet riss Cifer seine mörderische Waffe empor und richtete sie auf seinen Gefährten, der die Hände hochschnellen ließ. „Oder muss ich sie dir erst aus deiner Kehle schneiden?“

„B-bitte! B-bleiben Sie doch ruhig!“

Statt dem nachzukommen, funkelten ihn die grünen Augen zornig an. „Du hast mich quer über den gesamten Kontinent geführt, nur um diesen Trottel zu finden? Ich durfte mir dein Gelaber antun, habe die Hälfte meiner Heilzauber verbraucht und das alles für nichts?!“

Schon war er ihm so nahe, dass Wedge seinen heißen Atem auf dem Gesicht spüren konnte. Ehe er sich versah, baumelte er bereits einen Dezimeter über dem Boden, nachdem Cifer ihn am Kragen in die Höhe zwang.

„Ich will die Wahrheit wissen!“, herrschte er ihn an. „Jetzt sofort!“

„Ich geb’s zu!“, quietschte er.

„Was gibst du zu?“

Ein kläglicher Anlauf, sich zu befreien, veranlasste die schwarz verhüllte Hand, ihren Griff zu festigen. Hitze schoss Wedge in den Kopf, ließ ihn rot anlaufen und fast explodieren.

„Ich habe dir eine Frage gestellt und verlange eine Antwort! Was gibst du zu?“

„I-ich gebe z-zu, dasssss i-ich g-g-gar ni-ni-nicht weiß, wo E-E-E-Ellione steckt, i-i-ich das nur ge-gesagt h-h-hab’, da-damit Sie mit mir k-k-kommen und d-dasssss i-i-i-ich gar nicht singen kann…“ Just landete er mit einem dumpfen Ton auf seinem Gesäß. „Werde ich jetzt sterben?“

Cifer spreizte die Finger seiner Hand und krümmte sie wieder, musterte sie, als hätte er sich verletzt. „Scheiß drauf. Ist ja irgendwie mein Problem, dass ich dir geglaubt habe. Verdammt…“

Penetrant verfolgt von Wedges Augen, setzte er sich in Bewegung, um den Gedanken Raum zu geben.

„Was beschäftigt Sie?“, war die ausgebleichte Miene unter dem schwarzen Haar versucht, so etwas wie Anteil zu nehmen, während sich der Verstand dahinter fragte, was ihn eigentlich noch in der Erreichbarkeit dieses unberechenbaren Risikofaktors hielt.

„Die magisch begabte Göre des estharianischen Präsidenten und Galbadias Präsident höchstselbst: Zwei wichtige Persönlichkeiten verschwinden in einem außerordentlich kurzen Zeitraum auf unerklärliche Weise… Das ist kein Zufall.“

„Denken Sie etwa an eine Entführung?“, fragte Wedge ihn erstaunt.

„Der Schluss liegt nahe.“

„Beängstigend. Wenn Sie Recht haben, dann plant irgendjemand gerade etwas echt Gigantisches.“

Cifer blieb stehen.

„Sie haben nicht vor, der Sache nachzugehen… oder?“

Nun kannten seine Schritte ein Ziel.

„Wenn Sie Recht haben, dann ist das eindeutig eine Nummer zu groß für uns zwei! Wir sollten das der Armee überlassen! Ehrlich! Wir können doch nicht…!“

„Ich brauche jeden Hinweis der Ermittlung, den Sie haben“, wandte sich Cifer an die Wache vor dem Tor zum Präsidentenpalast. Deren Widerworte zergingen ihr auf der Zunge, da sie sich des jungen Mannes schlagfertigen Arguments in der Waffenhalterung unter dem grauen Mantel gewahr wurde.

„Moooment mal!“, mischte sich da eine andere, dem ehemaligen Ordnungsdienst zu seinem Leidwesen sehr bekannte Stimme ein, sodass sich alle drei ihrem Ursprung zudrehten. Wedge war sichtlich verwirrt; der Wächter ahnte die Auseinandersetzung voraus und verschanzte sich klammheimlich hinter dem Tor. Cifer konnte ihn nach einer Sekunde der Besinnung nur belächeln: „Hat man dir überhaupt Ausgangserlaubnis erteilt?“

„Halt’s Maul, Cifer!“, konterte Xell Dincht gereizt und hob seine Fäuste. „Wir wissen, was du getan hast!“

Quistis Trepe stand neben ihm und hatte ihre Peitsche gezückt. Nicht ganz ohne Verwunderung nahm Cifer zur Kenntnis, dass die beiden über die stärkste Aufrüstung ihrer Waffen verfügten, deren Bauteile äußerst schwer zu beschaffen waren, was ihn nicht einmal daran zweifeln ließ, dass Squall Leonhart dann auch im Besitz des sagenhaften [Löwenherz’] war.

„Ihhhhhr?“, erkannte nun auch Wedge die SEEDs, die für seine und Biggs’ unzähligen Degradierungen verantwortlich waren.

„Duuuuu?“, erwiderte Xell und wich zurück. „Er? Ein Team?!“

„Team [Bahamut]!“, antwortete Wedge naiv und grinste.

Xells Kinnlade stürzte hinab wie ein sauber abgeschossener Bomber. Er wirbelte zu seiner Kameradin herum. „Woah! Hast du das gehört? Die sind Team Bahamut, und wir…?“

Quistis spürte, wie ihr die Wärme in die Wangen stieg. Kein Wunder, dachte sie, dass Cifer sich immer über dich amüsiert. Allerdings konnte auch sie den früheren Balamb-Studenten nicht gut leiden. Cifer war kaltherzig und eingebildet; sie hatte eigentlich nie irgendwelche positiven Seiten an ihm entdecken können.

„Hast du Ellione entführt?“, fragte sie ihn, wobei es mehr nach einer Anklage klang, und straffte den Riemen ihrer Waffe.

„Auch schon gemerkt, dass sie weg ist?“, spottete er nur.

„Beantworte meine Frage, Cifer.“ Sie wirkte überaus gefasst, doch in ihrem Inneren schien der Herbst selbst zu stürmen, der schonungslos um alle Bäume fährt und ihre Blätter mit sich nimmt.

„Na sicher habe ich sie entführt! Ich weiß ja sonst nichts mit meinem Leben anzufangen, als euch SEEDs auf die Nerven zu gehen!“, ereiferte er sich sarkastisch.

„Sag schon, Mann!“ Ungeduldig trat Xell auf ihn zu und bäumte sich vor ihm auf, wie es nur ging. Trotzdem musste er seinen Kopf heben, um ihm ins Gesicht schauen zu können. Eine Verachtung jenseits aller simplen Disakzeptanz, wie er sie von dem Ordnungsdienst kannte, glühte in dessen Augen. Es war der Blick eines in die Enge getriebenen, aber stolzen Tieres. Cifer sah in ihm keinen Mitschüler mehr, den man fertigmachen konnte – er sah ihn an wie einen Feind. Xell war unschlüssig, ob dies ein kleiner Erfolg für ihn war oder ob er es überhaupt jemals so gewollt hatte.

„Was ist, Hasenfuß?“, sagte Cifer, bar jeden Vergnügens, das früher stets mit dieser Bezeichnung einhergegangen war. „Willst du mich zu Tode gucken?“

„Wieso kannst du nicht einmal vernünftig sein?“, regte Xell sich auf.

„Wenn neuerdings deine Ansicht von Vernunft für die Allgemeinheit gilt, bleibe ich lieber "unvernünftig".“

„Schon wieder! Jetzt geht das schon wieder los! Immer noch hackst du auf mir rum! Du solltest mich endlich respektieren!“

„Was gibt’s da groß zu respektieren?“

„Ich bin SEED!“

„Ein Söldner, der taub und blind Befehle befolgt und beinahe unsere Mama umgebracht hätte. Meinen herzlichen Glückwunsch, Xell, zu dieser außerordentlich unabhängigen und ehrwürdigen Position.“

Es kostete den Kampfsportler jede Menge Beherrschung, nicht einfach zuzuschlagen. Von einem wie dem wollte er sich kein einziges weiteres Mal aus der Fassung bringen lassen. Seine Zähne schmerzten, so fest presste er sie aufeinander. „Immerhin muss ich nicht damit leben, für die Verwirklichung eines dummen, abgedrehten Traums Menschen getötet zu haben.“

Die Glut in Cifers Augen loderte unvermittelt auf.

„[Hexen-Ritter]!“, spie Xell das Wort achtlos wie ein ausgelutschtes Kaugummi aus und rechnete im selben Moment damit, dass sein Kopf präzise abgetrennt vom Rumpf über den Triumphbogen fliegen würde. „Echt mal, Cifer: Was sollte die Scheiße?“ Er seufzte bedrückt und schien plötzlich ganz ruhig zu sein. „Weißt du was? Heute fällt’s mir schwer, das auszusprechen, aber früher hab’ ich gedacht, du wärst echt cool und so. Ich meine: Ein Typ, der sich von niemandem was sagen lässt, vor dem alle Respekt haben und der den Ordnungsdienst leitet, der muss ja einfach cool sein. Aber dann habe ich gemerkt, wie du wirklich warst: Ein Angeber, der seine Macht schamlos ausnutzt, um andere fertig zu machen. Da begann ich dich zu hassen.“

Er pausierte und atmete tief durch, als hätten diese Worte ihm seine gesamte Kraft abverlangt.

„Es ist nicht so, dass du jemals mein Vorbild warst – an meinen Großvater reicht keiner ran!“, stellte er dann klar. „Aber ich hab’, als ich noch ein ängstlicher Hosenscheißer im Garden war, wirklich mal zu dir aufgesehen. Ich habe mich sicher gefühlt, solange meine Illusion von dir existierte… und das hat’s mir leicht gemacht, mich dort zurechtzufinden. Als Rinoa uns damals im Galbadia-Garden erzählt hat, woher ihr beide euch kennt, ist mir das wieder eingefallen“, sprach er mehr zu sich selbst, ehe er zu einem energischen Finale ansetzte: „Du bist eine Legende in Balamb gewesen! Du hättest SEED werden können, Cifer! Aber stattdessen hast du es vorgezogen, deinem dämlichen Traum nachzujagen und daran nicht nur dein Potenzial, sondern deine gesamte Zukunft zu verschwenden! Jeder hat’s begriffen, dass du unbedingt Hexen-Ritter sein wolltest, denn das hast du ja überall groß herausposaunt, doch was ist aus dir geworden?“ Er schlug aus. „Nichts! Nichts, worauf nicht einmal du noch stolz sein kannst! Mich magst du Hasenfuß nennen, aber was du bist, Cifer Almasy, da [tritt der Hasenfuß jeden Tag drauf, wenn er über’s Feld hoppelt]!“

Eine Weile standen sie wie um die Wette. Die Seele hinter Cifers Augen hatte sich vor Xells bohrenden Blick verschlossen. Quistis und Wedge standen auf der jeweiligen Seite ihres Gefährten und verfolgten die Szene stillschweigend, und sogar Deling City selbst war in den vergangenen Minuten bedenklich ruhig geworden.

„…War’s das?“

Obwohl er damit gerechnet hatte, dass ihn seine kleine Predigt nicht berühren würde, fühlte Xell Enttäuschung. Er ließ es sich nicht anmerken, als er nicht weniger nüchtern „Das war’s“ erwiderte.

Der Bann löste sich, und Quistis brachte sich wieder ein: „Was tust du hier?“

Xell ließ sich hängen. Dass Cifer sein Geständnis nicht kommentierte: Okay – aber dass es auch Quistis kalt ließ…

„Ich suche ebenfalls nach eurer Ellione“, antwortete er unverblümt. Ihr misstrauischer Ausdruck ließ ihn selbstbewusst weiterreden: „Sie hat mich als Eskorte beordert. Und dem Job leiste ich nur Folge.“

„Ellione? Dich?“ Die hübsche Ausbilderin wollte, konnte es nicht glauben. Sie lachte dermaßen niederträchtig auf, dass sogar Xell große Augen machte. Oder große Ohren. „Das wage ich stark zu bezweifeln. Ellione weiß genauso gut wie wir alle, welche Gefahr du darstellst, Cifer. Erzähl mir keinen Unsinn!“

„Gerade weil ich die größte Gefahr bin, will sie sich vielleicht von mir beschützen lassen“, gab er scherzhaft zu bedenken.

„Wozu du offenbar wieder nicht fähig warst“, konterte sie.

Sein Blick sprach Bände.

„Wärst du deiner Aufgabe einmal mit Sorgfalt nachgekommen, würde sie jetzt noch in Sicherheit sein. Aber nein – vermutlich hast du wieder nur an dich selbst gedacht… Hat sie dich bezahlt?“

Er hielt es weiterhin für besser, zu schweigen.

„Na, siehst du?“, stellte sie ihn bloß. „Und deshalb – genau deshalb hast du es nie zum SEED geschafft! Weil du immer nur an dich selbst denkst! Deine wahnwitzigen Aktionen während deiner zahlreichen SEED-Prüfungen haben unseren Garden mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht! Du hattest bloßes, unverschämtes Glück, dass dir der Direktor dennoch immer wieder neue Chancen eingeräumt hat! Wenn ich damals nicht…!“

„Quistis…“, brachte Xell sie zur Raison. Auch er war inzwischen der Meinung, dass ihre Tonhöhe langsam unerträgliches Ausmaß annahm.

Schnell besann sie sich, schnaufte lang und hauchte ein leises „Verzeihung“ aus, das allen Beteiligten galt, nur nicht Cifer. Keineswegs!

Das Rascheln eines Funkgeräts lenkte die Aufmerksamkeit aller auf Quistis’ Tasche. Ohne ihr Gegenüber aus dem Blick zu lassen, führte sie es an ihr Gesicht. „Mogry bestätigt.“

Cifer belächelte Xell eitel, was diesen die Zähne fletschen ließ.

«Heyyy, heeeeey», tönte Selphie Tilmitts Stimme aus dem Apparat wie eine Sirene. «Wir wissen endlich, wo sich Ellione aufhäääält!»

Sofort waren alle ganz Ohr. Schließlich handelte es sich um wichtige Informationen, die im Grunde vertraulich waren; doch zum Unglück der SEEDs war Selphies normale Tonstärke zu laut, als dass man sie überhören könnte, und sie selbst gerade viel zu optimistisch, als dass Quistis sie hätte warnen können: „Selphie, nicht jetzt, warte ei…“

«Sie befindet sich in der aaaaalten Raketenbasis! Du weißt schooon… Die wir zerstööört haben!»

„Na toll, Selphie!“, stieß Xell ironisch aus, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte.

Cifer unterdrückte ein Lachen, aber seine Schultern zuckten verdächtig. „Danke für eure Hilfe, SEEDs! Wenn man euch braucht, ist eben immer auf euch Verlass!“

Ohne eine weitere Sekunde ungenutzt verstreichen zu lassen, drehte er sich um und rannte davon. Wedge, der noch immer hoffte, seinen einstigen Kameraden zu finden, beeilte sich, ihm zu folgen.

Xell schlug gegen eine Laterne, die ihm gerade richtig kam. „Scheiße!“

„Wo seid ihr gerade, Selphie, Irvine?“, fragte Quistis und wirkte nach außen hin weniger verärgert als sie war.

«Vooooor der Basis. Wir werden sie jetzt stüüürmen!»

„Cifer ist auf dem Weg zu euch!“

«Hääää? Cifer? Was will der de… Ahhhhh

Die beiden SEEDs starrten geschockt auf das Funkgerät. Sie hörten Knistern, Rascheln, dumpfe Geräusche.

„Selphie? Selphie!“

Keine Reaktion.

„Boah, ist der schnell…“, merkte Xell kleinlaut an.

Quistis schüttelte den Kopf. „Das war nicht Cifer. Irgendetwas ist da passiert!“

„Wir müssen uns beeilen! Nehmen wir ein Auto, dann holen wir ihn ein!“, schlug der Faustkämpfer vor.

Die Blonde nickte entschlossen. Nun hatten sie gleich zwei Probleme: Sie wussten nicht, was Cifer mit Ellione vorhatte, und Selphie und Irvine schwebten vermutlich in Gefahr. Auf dem Weg zum Autoverleiher funkte sie Squall an. Er musste über den unerwarteten Verlauf in Kenntnis gesetzt werden, denn allein würden sie es nicht schaffen. Es schien, als würde das Schicksal erneut dafür sorgen, dass der SEED und der Hexen-Ritter aufeinandertreffen würden.

Chocobos in the Desert

Nach zahlreichen Monsterkämpfen hatten sie es endlich geschafft. Ihre Itemvorräte neigten sich dem Ende zu; die Heilzauber waren so knapp geworden wie das Trinkwasser. Gerade schüttelte Irvine die letzten Tröpfchen aus der Flasche, die noch während ihres traurigen Fluges im Sonnenschein wie kleine Diamanten blitzten, ehe sie den Grund erreichten und sofort von diesem aufgesogen wurden. Selbst der Sandkorn, der einen jener Tropfen hatte fangen können, trocknete augenblicklich wieder aus. Irvine begann, sich Sorgen zu machen. Aber er wollte seinem Partner nicht den Mut nehmen. Konnte er das eigentlich? War überhaupt irgendjemand auf dieser großen, weiten Welt dazu in der Lage, Selphie Tilmitt die gute Laune zu verderben?

Das lebenslustige und selbstbewusste Mädchen lag auf einer dieser Dünen und blickte direkt auf das Gebäude mit den Raketensilos – oder das, was davon übrig geblieben war. Nur zweimal war Galbadias Schrottplatz zum Einsatz gekommen, darunter der brutale Beschuss auf den Trabia-Garden, Selphies Heimat. Ja, erinnerte er sich. Das hatte ihr damals die gute Laune genommen.

Er kauerte sich hinter ihr auf den Bauch, in den Sand. Er mochte den Sand nicht. Aber er mochte Selphie, die eine willkommene Abwechslung zwischen den ewig gleichen Dünenkonstellationen und der einfallslosen Fauna, die keine war, darstellte, wenngleich ihr Kleid auch fast dasselbe Chocobogelb aufwies wie diese Endlosigkeit von durstigen Körnern, der Irvine partout keinen Existenzzweck absehen konnte. Gerade jetzt, wo das süße Mädchen nichtsahnend vor ihm lag, pflichtbewusst auf ihre Mission fixiert nur Augen für die Raketenbasis hatte, aufgeregt mit den in die Luft erhobenen Unterschenkeln hin- und herschaukelte, hatte er einen wahrhaftig schönen Ausblick. Deswegen verwarf er die Information über den Mangel an Wasser und sah den Sand und die Basis und Selphie und einen Chocobo.

Der Chocobo war pink. Bisher hatte er noch nie einen pinken gesehen – und Irvine Kinneas hatte schon sehr viele Chocobos in seinem Leben gesehen! Aber noch nie einen pinken. Er konnte seinen Blick gar nicht von ihm abwenden. Auch hier vermied er es, Selphie darauf aufmerksam zu machen, denn das könnte den Chocobo verschrecken – auch wenn sie die gefiederten Tiere offensichtlich ziemlich gerne hatte – und womöglich würde er sich dann verstecken. Nein… Der pinke Chocobo würde Irvines Geheimnis bleiben, entschied selbiger und zwinkerte der faszinierenden Augenweide zu, welche mit einem Ausdruck vollsten Vergnügens über den hellen Untergrund rannte.

Da stand Selphie auf und schaute sich nach ihm um. Ihr Lächeln zeugte von Sadismus, aber so verliebt er nun einmal war, registrierte er nur Fröhlichkeit und Verträumtheit in ihren sommerwiesengrasgrünen Augen. Er grinste zurück.

„Hehe… Die wird nieeeeee wieder irgendwelche Raketen abfeuern!“, lachte sie schadenfroh. In der Tat war das Gebäude kaum mehr als ein solches zu erkennen, allerdings verwunderte es Irvine doch ein wenig, dass es einigermaßen erhalten geblieben war. Immerhin hatten sie damals die Selbstzerstörung aktiviert, aber was sie dort erblickten, könnte man gar noch als Unterschlupf verwenden.

Seine Begleiterin teilte den Gedanken: „Sicher hält man Ellione doooort versteckt!“

„Lass uns einfach mal nachgucken.“

„Spääääter.“

Der Scharfschütze musterte sie irritiert. Normalerweise war Selphie doch immer diejenige, die gleich alles rücksichtslos niederwalzen wollte, ohne vorher groß Pro und Contra abzuwägen.

Auf einmal ließ eine Senkung ihres Kopfes ihr vollmilchschokoladenbraunes Haar wippen, und ihre Finger spielten nervös aneinander herum. So kannte er seine Sephie ja gar nicht!

„Irviiiiine?“

„Ja~?“

„Ich muss dir was saaagen…“

Irvine warf den Kopf zurück und führte die Hand an seine Stirn. Sie fühlten es ja beide; warum also nicht endlich aussprechen? Er wollte es doch so gerne aus ihrem niedlichen Mund hören: Zarte Worte, die ihn beflügelten, die sein Vorgehen bestätigten. Du hast’s immer noch drauf, Kinneas, und diese Worte beweisen es dir.

„Sag nichts!“, stoppte er sie theatralisch. „Ich weiß, was du sagen willst. Ich… ich…“

Auf einmal explodierte sie in ein befreites, kindliches Lachen. „Und ich dachte schooon, du wärst mir bööööse desweeegen!“

Halt! Stopp! Böse? Weswegen?!

„Ich hab’ sie jaaaaaa auch zurückgelegt“, verteidigte sie sich beschwichtigend.

Da begriff Irvine. Gemeint war der [Exetor]. Als er das wuchtige Gewehr einmal im Balamb-Garden liegengelassen hatte, war es plötzlich nicht mehr da gewesen. Es hatte ihm einen riesigen Schrecken eingejagt – schließlich gehörten der Schütze und sein Schützengewehr zusammen wie Belhel und Melhel – doch so flugs es verschwunden war, so tauchte es wieder auf, und er war dem mysteriösen Fall nicht weiter nachgegangen, weil sein Exetor nicht einmal einen Kratzer davongetragen hatte.

Nun wusste er, wer der Übeltäter war. Sollte er bedauern, dass Selphie sein liebstes Stück gestohlen hatte, oder eher, dass sie nicht die Worte ausgesprochen hatte, welche er hören wollte? Und was hatte sie eigentlich mit der Waffe angestellt?

Egal. Wenn sie den ersten Schritt nicht hinter sich bringen konnte, sollte vielleicht er es tun: „Ist doch nicht schlimm! Meine Waffen sind deine Waffen, mein Schahaahaahaaaatz!“ Als er sich vorbeugte, sie zu umarmen, war sie bereits vorausgerannt, sodass er um sein Gleichgewicht rang und schließlich damit bezahlte. Mit einem dumpfen Geräusch fand er sich im Sand wieder.

Selphie kam zurück. „Nicht gleeeeich den Koooopf in den Sand stecken!“, kicherte sie.

Resignierend drehte er sein Gesicht vom Boden weg und sah sich von dem pinken Chocobo ausgelacht. Eigentlich sah er ihn gerne, aber in diesem Fall… Er raffte sich auf.

Warum hatte sie ihren Gefühlen keine Luft gemacht? Sollte er sich geirrt haben, was ihr Empfinden ihm gegenüber betraf? Schätzte sie ihn doch nicht mehr als die anderen? Bei ihr war es schwierig, zwischen Liebe und Freundschaft zu unterscheiden. Vielleicht war sie immer noch und in wirklich jedem Aspekt das Kind, welches sie nach außen hin gab, und wusste überhaupt nicht, was Liebe eigentlich bedeutet.

Und umgekehrt?

Liebte er sie? Wenn ja, was hinderte ihn daran, es auszusprechen? Sonst war er doch auch nicht so schüchtern. Oder fürchtete er die feste Bindung? Hatte er Angst, nicht mehr der große Frauenheld zu sein, sobald er gebunden war? Nutzte er sie letztendlich nur aus – als Lückenfüller, zur Selbstbestätigung?

Wie grausam!

„Sieh mal!“

Er folgte ihrer ausgestreckten Hand, deren Zeigefinger nicht auf die Basis, sondern geschätzt hundert Meter weiter deutete, und bemerkte ein Fahrzeug. Erst da vernahm er auch den arbeitenden Motor, das Wackeln des Metalls, das Splittern der Steine gegen die Felgen.

Team Chocobo versteckte sich hinter der Düne und beobachtete, wie das Gefährt zielstrebig auf die Raketenbasis zusteuerte. Mühelos polterte es über die alte Schranke, welche aus ihrer Halterung gerissen einsam auf dem Grund vor sich hinrostete. Im Inneren des demolierten Geländes verebbte der Motor.

„Sie wird tatsächlich noch benutzt! Deshalb die Reifenspuren im Sand!“

„Beeileeeeen wir uns!“

Vorsichtig lenkten sie eine nähergelegene Düne an, die ihnen wenn auch kleinen Einblick in das kohlenschwarze Mauerwerk gestattete. Sie hörten das Öffnen eines Kotflügels. Bald darauf ging ein weiterer auf.

„Komm, hier rein! Beeilung!“

Mit großer Überraschung taxierten Selphie und Irvine die beiden Personen, die sich sekundenlang in ihr Blickfeld begaben, um zu der Tür des Gebäudes zu hasten.

„Der Entführer!“, meinte Irvine zu wissen.

„Sollen wir ihn überrumpeln?“, fragte Selphie daraufhin.

„Nein, noch nicht. Wir wissen nicht, mit wie vielen Feinden wir es zu tun haben. Erst mal beobachten und dann das Gebäude checken.“

„Oookaaaay~.“

Geduldig warteten sie und verfolgten, wie die Zielpersonen ohne Code oder Schlüssel ins Innere traten. Die Sonne pfefferte erbarmungslos vom Himmel und quetschte aus ihnen die Feuchtigkeit wie Gravit einen zusammen. Selphie wurde einer Schweißperle ansichtig, die sich ihren Weg über die goldglänzende Wange ihres Kollegen bahnte, und überlegte einen Moment, ob sie sie vielleicht fortwischen sollte.

Was denke ich daaaaaa? Augenblicklich wurde ihr noch ein wenig heißer, und sie zwang ihre Augen zurück auf die Tür, welche sich gerade hinter den Eintretenden schloss. Ihr Herz raste auf einmal so…

„Gut“, sprach Irvine entschlossen. Seine Stimme war wunderbar maskulin und löste bei Selphie sofort eine Gänsehaut aus… Nein! Aufhören! Konzentration! Kooooooonzeeeeeentraaaaatioooooon!

„Ich rufe Quistis an!“, kam es von ihr wie aus der Pistole geschossen. „Danaaaach gehen wir rein!“

Irvine äußerte keinen Einwand. Er betrachtete sie genau, während sie das Gespräch führte. Besonders ihre Augen, die während des Telefonats in eine unerreichbare Ferne zu blicken schienen, die so riesig waren und in denen so unvorstellbar viel Energie sprühte, hatten es ihm angetan. Ihre Wimpernkränze waren nicht so dicht wie die Rinoas, und bei noch genauerem Hinsehen erkannte man, dass ihnen ein zarter Braunton anhaftete, den man aus der Ferne niemals würde zur Kenntnis nehmen können. Leichte Freudenfalten um sie her ließen keinen Zweifel daran, dass Selphies liebstes Hobby Lachen war – und wäre doch die Wüste nur halb so saftig wie das Sonnensommerwiesengrasgrün ihrer Augen!

„Heyyy, heeeeey“, erklang Selphie Tilmitts Stimme in den Apparat wie klare Xylophonschläge. „Wir wissen endlich, wo sich Ellione aufhäääält!“

Ein paar glitzernde Fäden ihres zartvollmilchschokoladenbraunen Haars standen ab, was Irvine gerne korrigiert hätte, doch als er sich vorbeugte, um ihre Frisur – natürlich rein freundschaftlich – glatt zu streichen, wippte sie nach hinten, sodass er beinahe wieder den Sand geknutscht hätte.

„Sie befindet sich in der aaaaalten Raketenbasis! Du weißt schooon… Die wir zerstööört haben!“

Er rückte seinen schwarzen Cowboy-Hut zurecht.

„Vooooor der Basis. Wir werden sie jetzt stüüürmen!“

Beide waren zu abgelenkt, um zu erahnen, was ihnen unmittelbar bevorstand…

„Hääää? Cifer? Was will der de… Ahhhhh!“

Das Funkgerät fiel hinab und blieb im Sand stecken. Alle weiteren Worte von Team Mogry blieben unerhört.

Selphie hechtete zur Seite und entkam so nur knapp dem mächtigen Kopf, der auf sie zugerast war. Irvine riss seine Waffe hervor und richtete sie auf das Monster. Ein Abyss-Wurm – ein riesiges Geschöpf, dessen Körpergroßteil unter der Erde, die sein Element war, verborgen blieb.

Irvines Schuss ließ das Ungetüm zusammenzucken, aber bedeutsam verletzte er es nicht. Selphie schleuderte ihm eine Stange ihres Nunchakus entgegen, doch auch dessen Wirkung stellte sich als enttäuschend heraus. Ehe sie erneut attackieren konnten, erzitterte der Sand unter dem Einfluss des unterirdischen Schweifes. Das Erdbeben schüttelte sie heftig durch; Selphie versuchte sich verzweifelt auf den Beinen zu halten, doch es sollte ihr nicht vergönnt sein. Auch die Hand ihres Partners erreichte sie nicht mehr rechtzeitig.

„Vitra!“

Eine sanfte Aura hüllte sie ein. Sie sog das erfrischende Gefühl der Heilung in sich auf, die auf ihrer Haut prickelte, und begab sich anschließend sofort wieder in Angriffsstellung – aber nicht, ohne Irvine einen dankbaren Blick zuzuwerfen. Ihr nächster Schlag traf ins Schwarze: Das Monster zischte vor Schmerz und rächte sich mit einem aggressiven Vorschnellen seines Hauptes, dem Selphie geschickt ausweichen konnte. Irvine feuerte; nach seinem Angriff musste sich der Wurm erst wieder sammeln.

„Koooonzentriere dich auf die Offensiveeee!“, rief sie ihm zu. „Deine Angriffe bewirken viel meeehr als meine! Ich kümmere mich um die Heiluuuung und lenke das Ding aaaab!“

Irvine bestätigte, dass er verstanden hatte. Dann hob Selphies Levitas-Zauber ihn vorsorglich in die Luft.

Und ihr Plan ging auf!

Als der ungezählte Schuss dem Abyss-Wurm den Rest gab, sprang Selphie fröhlich auf und jubelte; Irvine legte sich sein Gewehr an die Schulter und atmete erleichtert auf.

„Das waaaaar luuustig!“

„Anfangs sahst du aber nicht so aus, als wäre dir nach Lachen zumute“, wies er sie neckend auf ihren Schreck hin und ahmte überspitzt ihr Verhalten während des Bebens nach. Beide brachen in ein schallendes Gelächter aus. War es die Erleichterung? Die Sonne? Die Liebe? Es dauerte jedenfalls seine beträchtliche Zeit, bis sie wieder Luft schnappen konnten.

„Duuhuuuu~?“, begann Selphie schließlich.

„Hmmm~?“

Es folgte ein tiefer Blick in die Augen des anderen. Sie spiegelten sich in denen des Gegenübers, aber nicht das war es, was es auf einmal so unabwendbar machte, in ihnen zu versinken. Eine Stille begann einzusetzen, doch dieses Mal wollte sich Irvine die Enttäuschung ersparen: „Du hast dir wieder etwas von mir geliehen, ohne mich zu fragen.“

Sie kicherte ganz sonderbar und schüttelte den Kopf. „Neeeeein, so ist es niiiiicht… Ich wooollte nuuur…“

Er besah sie überrascht. „Was wolltest du?“

„Ich…“

„Selphie?“

„Hmmmm… Nnnnh…“

„Nun sag schon.“

„Irvy… ich… ich glaube, ich… ich… lie…“

Vorsicht!“

Ehe Selphie realisieren konnte, wie ihr geschah, rannte Irvine um sie herum und baute sich schützend vor ihr auf. Sie wirbelte herum. Das Letzte, was sie sah, bevor es passierte, war das Maul des Abyss-Wurms, der es nicht akzeptieren wollte, einfach zu sterben, ohne einen seiner Mörder mit sich in den Tod zu reißen.

„Nein! Irvine!“

Ihr Herz bebte, ihr Blut pulsierte spürbar in ihrem Kopf. Unfähig, sich zu regen, war sie nur Zuschauer eines romantischen Filmes, der gerade jetzt seinen dramatischen Höhepunkt erfuhr. Die Ohnmacht schnürte ihr die Kehle zu, und das Wissen über das zu Erwartende engte ihre Lungen ein, die schmerzhaft jede Luft aus ihr pressten. Mit ihrer letzten verbleibenden Kraft schrie Selphie, schrie sie um ihr und um sein Leben.

„IRVIIIIIIIIIINE!!!“

Ihre Stimme tauchte in die Kakophonie grässlicher Geräusche ein: Das Fauchen des Monsters, das Reißen von Stoff, von Fleisch. Der scheußliche Gestank von Blut breitete sich über das herbe, ihr so vertraute Parfum des Scharfschützen aus. Würde sie sich nicht noch daran erinnern, dass sie die Einzige war, die ihm helfen konnte, hätte sie Augen und Ohren verschlossen und alles Weitere über sich ergehen lassen in der flehenden Hoffnung, dass es bald vorbei sein würde – egal, wie. Doch sie war ein SEED. Und so reagierte sie rasch, machte den gefallenen Irvine aus, schlitterte auf ihn zu, dass der feine Sand wie kleine, spitze Nadeln Furchen in ihre Knie schnitt. Die furchteinflößenden Wunden drängten sich in ihr Sichtfeld: Sie zogen sich quer über seine Brust, wo die Zähne des Wurmes ihn getroffen hatten. Selphies Gedanken fuhren ein Rennen. Die Lungen könnten versehrt sein, die Rippen gebrochen; er brauchte sofort Hilfe.

„Es tut mir so Leid!“, rief sie verzweifelt, dann sah sie sich nach dem Abyss-Wurm um, der schon wieder zum Angriff ansetzte. Tränen glitzerten in ihren Augen. Wenn man Selphie kennenlernte, würde man sie nicht für jemanden halten, der seine Gefühle verheimlicht, aber genau das hatte sie sich früh aneignen müssen. Sie hatte für sich selbst entschieden, zu lachen, wenn ihr nach Weinen war, aber in diesem Augenblick gelang ihr das so wenig wie damals, als sie auf dem Friedhof des zerstörten Trabia-Gardens die Namen ihrer Freunde entziffert hatte.

Wie in Zeitlupe. So langsam, dass sie die Wut in den Augen des Riesenwurms sehen konnte. Sie hatte nie daran gedacht, dass auch Monster Gefühle entwickelten. Sie bemitleidete es.

Da fiel ihr etwas ein. Sie konzentrierte sich auf ihr Inneres, krallte sich dabei tief in Irvines Mantel, der von seinem Blut benetzt war, und bat ihre G.F. um Hilfe.

„Rubinenglanz!“

Ein Glück, dass sie solch ein hervorragendes Verhältnis zueinander hatten! Ein kleines, smaragdgrünes Tier materialisierte sich aus ihrem Geist. Es analysierte die Szene geschwind mit seinen brombeerfarbigen Kulleraugen, sprang dann hinauf, und der große Rubin, der seine Stirn gleich einem Diadem zierte, erstrahlte. Sein Licht aus feinstem Rubinenstaub prasselte auf die beiden Menschen hernieder. Carbuncle nickte Selphie aufmunternd zu und verschwand in einem Loch im Boden. Hinter ihm brauste der Wurm auf sie zu. Jetzt konnte die junge Frau nur hoffen, dass sie das Richtige getan hatte…

Es kam näher… näher… Es war da!

Selphies Pupillen verengten sich. Was sie von dem Monster trennte, war eine Distanz von geringen Zentimetern. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz setzte aus. Ging ihr Plan nicht auf…?

Doch!

Vor ihren Augen strahlte etwas auf: Eine Wand, die der Angreifer vorher aufgrund ihrer Unsichtbarkeit nicht hatte wahrnehmen können. Jetzt raste er gegen sie wie gegen Panzerglas, und der Widerstoß seiner eigenen Kraft schleuderte ihn weit zurück. Das war Selphies Chance! Sie hetzte auf den Abyss-Wurm zu, griff noch im Laufen nach ihrem Nunchaku und wirbelte es wild herum. Schreiend vor Wut ließ sie es auf den Feind niederfahren, dem es eine tiefe Verletzung in den Schädel schlug. Er heulte auf, versuchte noch ein letztes Mal, sich aufzubäumen, ehe seine Kraft endgültig nachgab und er tot zu Boden krachte.

Blut, Schweiß und Staub standen in der Luft, unterstützt durch die brütende Hitze. Ihr Mund war trocken, ihre Augen feucht, als sie Sekunden damit verstreichen ließ, in diese leblosen, leeren Augen zu starren. Dann wandte sie sich um und rannte auf den Verletzten zu. Die Wunden bluteten noch immer. Sie waren tief und schwer. Würde er durchhalten?

„Irvine, Irvine, ich hab’s geschafft!“, schluchzte sie und legte die Hände um seinen Kopf. „Ich hab’s geschafft…“

Gelähmt durch den Anblick und nicht wissend, was sie nun tun konnte, ließ sie den Gefühlen freien Lauf.
 

„…[Chocobo].“

Selphie hielt inne und neigte sich Irvines blassem Gesicht zu. Durch den Tränenschleier erkannte sie vage, dass er lächelte.

„Hä?“, schluchzte sie mehr denn sie sprach.

„Du erinnerst mich… immer an einen Chocobo.“

Er ließ die Worte in der Luft stehen, ohne sie zu erklären, sodass Selphie sich gezwungen sah, auf diese eigentlich unangebrachte Äußerung einzugehen: „Du halluzinierst, Irvine Kinneas.“

„Nein“, widersprach er wie selbstverständlich und hob den Blick. „Dieses gelbe Kleid…“

Die Söldnerin sah an sich herab und wusste sogleich, wovon er redete. Es war ihr Lieblingskleid. Sie hatte es schon während ihrer ersten Mission als SEED getragen. Ein sonnengelbes, leuchtendes Sommerkleid, das ihr ihre beste Freundin aus Trabia geschenkt hatte. Es war selbst genäht. Ein Unikat also. Für Selphie von erheblicher Wichtigkeit. Dass es Irvine gefiel, wunderte sie nicht, schließlich war es ein sehr knappes und eng anliegendes Kleidungsstück.

„Du hast es getragen, als wir uns damals im Galbadia-Garden… das erste Mal seit unserer Kindheit wiedersahen“, erinnerte Irvine sie. „Du hast es getragen, als wir… den Sieg über die Hexe Artemisia feierten… Und heute trägst du es wieder…“

„Es ist mein Lieblingskleid“, verriet sie ihm leise und verstand nicht, worauf er hinauswollte.

„Du hast… darin gesungen… geschrien… gekämpft… gelacht. Immer, wenn ich dich darin sah… musste ich an einen jungen Chocobo denken… Ein Chocobo, Sephie… ist ein sehr intelligentes Tier. Er entwickelt seinen Chocobo-Freunden gegenüber einen starken Beschützerinstinkt… und ist immer für andere da. Er liebt das Leben… wie es auch kommt… und gibt seinen Lebensmut an andere weiter. Deshalb ist der Chocobo so beliebt… Verstehst du? Du bist… ein Chocobo, weil auch du nie aufgibst und das… Leben liebst und weil du… immer für uns alle da bist…“

Sie wollte protestieren, doch Irvine schüttelte den Kopf.

„Sieh mich an… Was war ich vor unserem Treffen? Der einsame Schütze? Der ruhelose Frauenheld? Ich sag’ dir, was ich war… Ich war ein Versager. Einen auf cool machen… Das war alles, was ich konnte. Große Töne spucken… Mich mit dem Titel des besten Scharfschützen rühmen… Ich hielt nie viel von den Gefühlen anderer… war selbstsüchtig… Aber dann… sah ich [dich]. Ich sah, wie du dich um die Schüler des Trabia-Gardens kümmertest, als wir… nach dem Raketeneinschlag dort waren. Mit deinem Chocobo-Kleid hast du ihnen ein großes Stück der Sonne, die man ihnen… so brutal entrissen hatte, wieder zurückgegeben… Weißt du, dass dort alle zu dir aufgesehen haben? Weißt du, dass das heute noch viel mehr tun? Ich… bin einer davon… Du hast mir die Augen geöffnet…“

„Oh, Irvine!“ Berührt von den Worten, aus seinem Mund so fremd und gleichwohl so glaubhaft, brach das Mädchen erneut in Tränen aus. Irvine hob seine Hand und legte sie sacht auf die tränenbenetzte Wange.

„Sei mein Chocobo… Hör auf zu weinen und sei mir noch ein letztes Mal die lebenslustige, starke, schöne Selphie, die ich so sehr verehre und so liebgewonnen habe…“

Matt sank seine Hand wieder hinab. Er holte tief Luft. Das Sprechen hatte ihm viel Energie gekostet. Zu viel.

„Ich mag Chocobos… Alle… Arten… Alle… Farben… Aber besonders… besonders mag ich den pinken… Ja… Den pinken mag ich am meisten…“

Es dauerte eine Weile, bis Selphie begriff. Augenblicklich schoss ihr das Blut in die Wangen. „Irvyyyyyy!“

Wäre die Situation nicht so verdammt ernst gewesen, sie hätte dem unverschämten, unverbesserlichen Weiberhelden eine verpasst. Jener pinkfarbene Chocobo zierte nämlich die Rückseite ihres blütenweißen Höschens! Aber wie konnte er das wissen?

Doch die Situation war ernst, und deswegen konnte sie ihm nicht böse sein. Vorsichtig legte sie ihre auf seine Hand, die auf der Verletzung ruhte, und beugte sich so tief zu dem Schützen hinab, dass ihre Stirn die seine berührte. „Sorry“, schluchzte sie. „Aber wie soll ich lachen können, wenn du nicht mit mir lachst? Wie soll ich fröhlich sein, wenn der, der mir am meisten bedeutet, in meinen Armen stirbt? Wenn dir mein Lachen so viel wert ist, Irvine, dann betrachte es als Belohnung, die du nur bekommst, wenn du überlebst…“

„Wie gemein“, hauchte er mit gespielter Beleidigung, und jeder seiner Atemzüge auf ihrer Haut stärkte ihre entkräftete Hoffnung. „Warum sagst du mir das erst jetzt?“

„Weil ich…“ Sie schniefte. „Weil ich weiß, dass du dann überleben wirst…“

Sadism

„Squall?“

Besagter blieb stehen.

„Kann ich kurz mit Ihnen sprechen?“

Er wandte sich um. „Nur kurz. Sie wissen… Ellione… Wir sollten keine Zeit verlieren.“

Direktor Cid nickte mit einem auf den Boden gerichteten Blick. „Ich weiß.“

„Worum geht es denn?“ Er kehrte die paar Schritte zum Zentrum des Direktorats zurück. Die Sonne schien warm und friedvoll durch das Glas und verhehlte jeden Anschein darauf, dass andernorts der Teufel los war.

„Um Cifer.“

Squall merkte irritiert auf.

Sein Arbeitgeber kratzte sich verlegen am Kopf. „Er ist doch an der Sache beteiligt, wenn ich Ihr Gespräch mit Quistis richtig interpretiert habe?“

„Er ist höchstwahrscheinlich an Elliones Verschwinden beteiligt“, stellte der SEED kälter als gewollt korrekt.

Cid Kramer räusperte sich und verschränkte die Finger hinter dem Rücken. „Bitte verstehen Sie das jetzt nicht falsch, aber… verurteilen Sie ihn nicht.“

„Nicht verurteilen?“ Es gelang Squall nicht, mit etwas anderem als völligem Unverständnis zu reagieren. „Ich muss Ihnen keinen Vortrag darüber halten, was er angestellt hat, oder?“

„Mir ist bewusst, was er angestellt hat; ich war wie Sie selbst bei dem Gerichtsprozess in Esthar zugegen.“ Auf einmal schien Cid die Kraft zu verlassen. Er setzte sich, beugte sich vor wie ein sehr alter Mann und faltete die Hände wie zu einem Gebet, von dem er wusste, dass es wirkungslos bleiben würde. „Wissen Sie von Cifers Traum?“, schien er jählings ein anderes Thema zu beginnen.

„Ich kenne niemanden, der nicht davon weiß. Cifer lässt ja keine Möglichkeit aus, jeden lang und breit darüber in Kenntnis zu setzen.“

„Erzählen Sie mir davon.“

„Er will Hexen-Ritter sein. Er nennt es seinen [Romantischen Traum]. Soweit ich mich erinnere, hat er in der Bücherei auch das Drehbuch zu einem gleichnamigen Film angefordert.“

„Kennen Sie diesen Film?“

Squall nickte, führte es jedoch nicht weiter aus. In einer der durch Ellione verursachten Traumsequenzen war er selbst dabeigewesen, als der Film gedreht wurde. Er erinnerte sich nicht gerne daran.

„[Der Hexen-Ritter], mit Laguna Loire in der Hauptrolle“, sinnierte Cid. „Eine recht kitschige und auch ziemlich erfolglose Produktion. Aber er hat sie geliebt. Edea und ich haben ihn damals, aus Gründen, die ich Ihnen jetzt noch nicht eröffnen möchte, in ein altes Filmtheater gesetzt, und zwei Stunden lang war er still. Wir haben es wieder und wieder getan… Ich weiß gar nicht, wie oft er diesen Film letztendlich gesehen hat.“

Irgendwie merkwürdig, dass ausgerechnet Laguna Loire offenbar Cifer Almasys großes Idol gewesen war.

„Es war einer unserer vielen Fehler“, gestand sich der Direktor schamvoll ein.

„Sie haben uns zu SEEDs ausgebildet, die gegen die Hexe kämpfen sollten. Aber Cifer hat von Anfang an eine Art andere Ansicht kennengelernt. Kein Wunder, dass er nie SEED geworden ist“, verstand Squall. „Er wollte es nie.“

„Er hat sich auf Edeas Seite gestellt und damit auf die Seite des Übels. Es ging ihm nicht primär um meine Frau persönlich, und eigentlich nicht einmal um das Wohl der Hexe, sondern allein um seinen Traum. Er war sich der Konsequenzen der Verwirklichung dieses Traums gar nicht bewusst, weil nur die romantisierte Version des Films in seinem Kopf herumspukte und er von der wahren Bedeutung eines Hexen-Ritters keinerlei Ahnung hatte. So nahm er nicht wahr, was er tatsächlich dadurch anrichtete… und wie er selbst immer mehr daran zerbrach…“

Squall passte der Ton nicht, den sein Vorgesetzter angeschlagen hatte – nicht, wenn es Cifer war, von dem er sprach – aber er hatte das Gefühl, dass es notwendig und an der Zeit war, Cid Kramer ausreden zu lassen.

„Inzwischen wissen Sie so gut wie ich: Hexen-Ritter wird man nicht dadurch, dass man es will. Und wenn man es nicht will, kann man dieser Bestimmung nicht einfach entgehen. Die Hexen entscheiden darüber, wer es wird und wer nicht. Wie so vieles hat Cifer das niemals akzeptieren können. Er wird Sie zum ersten Mal wirklich hassen, wenn er erfährt, dass Sie – vermeintlich ohne Zutun – eben das geworden sind, für das er vergeblich all die Anstrengungen und Jahre aufgebracht hat, weil Rinoa Sie dazu kürte. Er hat sich aus seiner Verzweiflung heraus ein Ziel gesetzt und wollte beweisen, dass er Ziele auch erreichen kann… Ich bin überzeugt, dass er, wenn er nur gewusst hätte, was für unverzeihliche Verbrechen er begehen müsste, um weiterhin von Artemisia toleriert zu werden, sich niemals auf sie eingelassen hätte. Er war verzweifelt.“

Der Schulsprecher konnte nicht länger schweigen: „Und mit dieser Begründung verlangen Sie von mir, dass ich ihm alles durchgehen lasse? Sorry, aber das kann ich nicht. Die Zeiten, in denen Cifer einfach nur über Unterstufler hergezogen oder sich über die Ausbilder hinweggesetzt hat, sind vorbei. Er hat Menschen ermordet. Und er wird es wieder tun, wenn ihm irgendwas nicht in den Kram passt.“

„Natürlich erwarte ich nicht von Ihnen, dass Sie Cifer verschonen“, begehrte Cid schwach auf, ließ sich aber gleich wieder fallen. „Nein. Letztlich bin ich an allem schuld.“

„Wie meinen Sie das?“

„Wir hätten ihn niemals…“ Er brach ab.

Squall forschte auch nicht weiter nach.

„Tun Sie Ihr Möglichstes, Squall. Tun Sie Ihr Möglichstes für ihn.“

Es fiel ihm schwer, ihn nicht belehren zu wollen. Doch weil der Direktor viel für sie alle getan und geopfert hatte und weil Squall wusste, dass er ihm trauen konnte, nickte er schließlich. „Ich werde tun, was ich kann.“

Wohl war ihm nicht. Würde er Cifer gegenüberstehen, wozu es gewiss käme, würde ihn der Gedanke an Direktor Cid hemmen. Cifer würde das ohne Skrupel auszunutzen wissen.

Edeas Hexen-Ritter senkte das Gesicht in die Hände. „Wenn Sie sich jetzt fragen, warum ich Sie um so etwas Abwegiges gebeten habe, nur zu. Fragen Sie.“

Und dennoch wirkte er, als würde ihn jemand zu der Erklärung zwingen wollen.

„Warum sollte ich?“, fragte Squall tonlos. „Trotz allem, was im letzten Jahr passiert ist, sind Sie immer noch Direktor dieses Gardens, und ich bin Ihr SEED. Sie haben mir eine Mission auferlegt; was gibt es da noch zu hinterfragen? Ein SEED fragt niemals Warum, das sollten Sie am besten wissen.“

„Das ist keine Mission, Squall. Es ist eine persönliche Bitte.“

Die Haltung des jungen Mannes lockerte sich. „Sie und Edea haben uns aufgezogen“, rief er ihm verständnisvoll wach. „Wir müssen für Sie beide wie leibliche Kinder gewesen sein. Ich verstehe, dass Sie sich um jeden einzelnen von uns sorgen, was immer ihm auch widerfährt, oder was er auch tut. Wenn mehr dahinter steckt, dann brauche ich das nicht zu wissen.“

Cids Gesicht war voll Elend. Seine feuchten Augen klammerten sich mutlos wie erleichtert an ihn. „Ich danke Ihnen, Squall.“
 

Es war ein Wettrennen zur Raketenbasis.

„Hau rein, Quistis!“, brüllte Xell auf dem Beifahrersitz, während er das Fenster herunterkurbelte.

„Was hast du vor?“, wollte sie wissen, hegte aber bereits eine Vorahnung. Wenn sie der Wahrheit entsprach, würde sie Xell nicht von seinem riskanten Plan abbringen können. Dieser Hitzkopf!

Gleiches schoss wohl auch Wedge in dem anderen Auto durch den Kopf, als sein Kommandant sich aus der Tür auf das Dach des fahrenden Kleinlasters schwang. Er fasste seinen Kontrahenten ins Visier, warf den Mantel zurück und zog die Gun-Blade aus ihrer Scheide. Blicke trafen sich wie Klingen. In beiden Augenpaaren loderte das Feuer der Kampfbereitschaft. Xell beobachtete, wie sein Gegenüber das Schwert mit träger Anmut senkrecht vor sein Gesicht führte; er selbst schlug zur Drohung zweimal in die hohle Luft, um ihm zu bedeuten: Es kann losgehen!

Cifer startete das Duell mit einem Hast-Zauber auf sich selbst – offensichtlich wollte er das hier schnell hinter sich bringen. Xell reagierte sofort: Er drawte Anti-Z von ihm, um es gleich auf ihn zu verwenden. Für die grollende Miene des Gun-Bladers hatte er nur ein triumphierendes Grinsen übrig, dann musste er ein Feuga über sich ergehen lassen. Der Fahrtwind trieb es über seinen gesamten Körper; er war bemüht, nicht vom Wagen zu fallen. Es galt durchzuhalten!

„Feura!“ Xell schleuderte nun seinerseits einen heißen Zauber auf den ewigen SEED-Anwärter. Getroffen! Dann verringerte sich der Abstand zwischen den Fahrzeugen und Quistis fuhr neben Wedge, sodass die beiden Kämpfenden keinen Meter voneinander getrennt waren. Xell registrierte Cifers abwertendes Grinsen. Er war nicht Squall – er würde die Schwerthiebe einer Gun-Blade kaum parieren können.

Schon setzte der gefallene Hexen-Ritter zum Schlag an. Xells einzige Chance bestand darin, gegen die flache Seite der Klinge zu boxen, um sie auf diese Weise von sich zu stoßen, allerdings verfügte Cifer über eine ungeheure Kraft, die sich nicht so einfach zurückdrängen ließ.

„Ich sehe, du hast… nicht… nachgelassen!“, presste der Jüngere zwischen den Zähnen hervor, während er versuchte, die gefährliche Waffe von sich abzuwenden.

„Wie schade, dass ich das nicht zurückgeben kann. Zu viele Hotdogs im letzten Semester, Xell?“, höhnte Cifer mit seinem kennzeichnenden Lächeln, ehe er nachgab, die Gun-Blade aber unmittelbar wieder in Angriffsposition brachte. Der SEED stürmte über den Abgrund der Autodächer auf ihn zu, holte aus und wurde prompt ausgetrickst, sodass nicht seine Faust in Cifers, aber Cifers Knie in seinem Magen landete. Xell röchelte, rollte sich jedoch zur Seite, bevor Hyperion ihn zweiteilen konnte. Es gab ein markerschütterndes Geräusch, als sie stattdessen durch den Lack des Daches schliff.

Xell fluchte. So würde er seinen Rivalen niemals besiegen können!

Ein immenses Rumpeln. Cifer ging in die Knie, um nicht zu stürzen; Xell hingegen verlor das Gleichgewicht, tanzte und ruderte hilflos herum, fand allerdings keinen Halt, sodass er schreiend über den Rand fiel.

Der Gun-Blader amüsierte sich herrlich. Von unten vernahm er ein schwer verständliches „’Tschuldigung!“ von Wedge, während er beobachtete, wie Quistis hart bremste und zügig in der Ferne kleiner wurde. Sie hatten sie abgehängt. Ob der naive Hasenfuß tatsächlich geglaubt hatte, ihm das Wasser reichen zu können?

Und ob!

Da Cifer sich dem Rand näherte, nahm er sonderbare Geräusche wahr. Er blickte hinab.

„Wenn… du denkst… das… war’s schon… dann… muss ich… dich ent…täuschen!“

Mit aller Kraft krallte sich Xell an der Rückstange des Lasters fest und ließ dabei zu, dass er bei dieser Geschwindigkeit über den rauen Boden geschleift wurde wie ein Stein, der keine Gefühle empfindet. Die Prellungen, die Schürfwunden, die Schmerzen schienen ihm nichts auszumachen. Er lächelte sogar noch!

Cifer war nicht klar, was er von diesem Anblick halten sollte. War das mutig oder schlichtweg verrückt, was der Hasenfuß da leistete? „Lass los!“, gebot er ihm bar jeden Mitleids. „Das hat doch keinen Sinn!“

„Ich… höre… nicht mehr… auf das… was… du sagst!“, hielt ihm der andere mühevoll entgegen.

Da veränderte sich der Ausdruck des Überlegenen schlagartig. Er sah eine Möglichkeit, wie er diese Situation zur persönlichen Unterhaltung nutzen konnte. Xell lief es bereits bei diesem Anblick kalt über den Rücken. Cifer war keinesfalls zu unterschätzen. Er erinnerte sich noch lebhaft daran, wie er Squall damals ohne Gnade gefoltert hatte. Gelacht hatte er, indessen der Strom durch den gefesselten Leib des Schulsprechers zischte wie Gift.

„Gib Gas, Wedge!“, befahl Cifer nach hinten. Obzwar der Angesprochene nur bemerkt hatte, dass es über ihm nicht mehr polterte und rummste, sonst aber keinen Schimmer hatte, was dort vor sich ging, drückte er fester auf das Pedal. Der Wagen raste.

Xell verkrampfte sich, um die Schreie zu unterdrücken. Die harten, spitzen Steine rissen seine Kleidung, sein Fleisch auf. Die Qual war höllisch; Cifers erniedrigende Kommentare streuten Salz in die frischen Wunden. Er hörte ihn widerwärtig lachen.

„Na, Hasenfuß, wie gefällt dir die Ganzkörpermassage?“

„Sch…eiße… Mann…!“

„Vielleicht ist das besser?“

Er hob die Gun-Blade zum finalen Angriff. Xell sah sie im Sonnenlicht blitzen. Ihm wurde übel.
 

„STOPP!“
 

Alles, was er sah, war der lange, dunkle Stoff ihres Kleides, das sich weit über das Parkett erstreckte. Ein penetranter, verführender Duft drängte sich in seine Nase. In seinem Griff spürte er die Hyperion neben sich liegen, eisern umklammert, als wäre sie der letzte Halt vor dem Absturz in eine sehr tiefe und finstere Schlucht. Der Raum schien kein Ende zu kennen. Der Boden endete in einem schwarzen Nichts. Ein Schlund, der alles verhungernd in sich aufsog, was sich ihm näherte, und nie wieder freigab.

Wie war er hergekommen?

Schmerz durchzuckte ihn. Er keuchte auf; einzelne Schweißperlen tropften hinab und schienen sogleich zu verdampfen.

„Konzentration!“, donnerte es von oben auf ihn nieder.

Er hasste diese Peitsche. Noch mehr hasste er die tiefe Demütigung, die sie ihm mit jedem Biss erteilte, indem sie ihn wieder und wieder auf die Knie zwang.

Zwei lange Beine, die er nicht sehen, aber vermuten konnte, regten sich: Eines legte sich geschmeidig über das andere. Er hörte die Seide rauschen.

„Wiederhole.“ Die Stimme, dominant und kalt, hallte wie aus dem Nichts auf ihn zu.

„Wie… oft denn noch?“, presste er genervt hervor.

Wieder ein Schlag. Er zuckte zusammen.

„Wiederhole.“

„Soldaten… Sie haben sie… haben sie…“ Seine Stimme zitterte. „…getötet.“

„Wer?“

„Soldaten…“

„Sicher?“

„J-ja, verdammt…!“

Der folgende Schlag ließ ihm schwarz vor Augen werden. Ja… Die befreiende Ohnmacht…

„Du sagst nicht die Wahrheit. Du warst es. Du hast sie getötet. Wer hat sie getötet?“

„Ich…“

„Was?“

„Ich… habe sie getötet.“

„Wiederhole.“

„Ich habe sie getötet.“

„Wen?“

„Meine… Eltern.“

„Sehr brav. Was geschah dann?“

„Ich weiß es nicht…“

„Was geschah dann?“

Er dachte kurz nach. Zu lang. Wieder biss die Schlange zu. Springt eine Hexe so mit ihrem Ritter um?

„Ich sagte es dir! Man hat dich zu mir gebracht! In meinem Waisenhaus bist du aufgewachsen! Ich habe dich genährt, dich erzogen! Um einen Mörder habe ich mich gesorgt!“

Er antwortete nicht. Im nächsten Moment nahm er wahr, wie sie aufstand und ihm seinen Mantel hinwarf.

„Die SEEDs… Ich wusste, sie würden herkommen, würden sich erinnern. Ja… Dort, meine Kinder, seid ihr aufgewachsen. Dort, im Haus am Meer. Doch bevor ihr in eurer wunderschönen Vergangenheit schwelgt, lasst eure euch liebende Mutter euch in ihre Arme schließen.“

Sie drehte sich zu ihm um. „Bereite die Truppen für den Angriff vor. Wir werden mit dem feindlichen Garden kollidieren. Dann sollen sie zum direkten Angriff übergehen. Hast du verstanden?“

Squall… Er würde dort sein. Rinoa… Der Direktor… Er wollte sich rächen…

Mit Mühe richtete er sich auf und zog den Mantel über. „Ja. Verstanden.“

„Gut…“ Lange Spinnenfinger berührten sein Gesicht regelrecht liebkosend, als wollten sie die soeben zugefügten Schmerzen gutmachen. „Dann lass mich dir etwas zeigen.“

Widerstandslos folgte er ihr. Er konnte nicht anders. Die Oberin würde ihn sicher leiten. Nach dem Hall ihrer Schritte urteilte er, dass der verfinsterte Raum, in dem sie zum Stehen kamen, sehr groß war. Der hiesige Geruch war ihm nicht fremd, und dennoch entwickelte sich in ihm das Bedürfnis, auf der Stelle kehrt zu machen und wegzulaufen. Edeas Hand um die seine machte das unmöglich. Er fügte sich ihr. Die Oberin würde ihn sicher leiten.

Das Licht ging an.

Mit einem Schlag schien der Sauerstoff nicht mehr in seine Lungen zu gelangen; er atmete schwer und keuchte und konnte nicht glauben, was seine Augen ihm gerade präsentierten. So etwas in dem Garden, in welchem sie die ganze Zeit über unterwegs waren?

„Du wirst bleich…?“, fragte Edea mit einer Spur von Erstaunen.

„Wer war das?!“, schleuderte er ihr entgegen. „Wer hat das hier angestellt?!“

Es brachte sie nicht aus der Ruhe. Als sie leise lachte, verstand er nichts mehr. „Das, mein lieber Junge, warst du.“

Er wusste nicht, ob es die vorangegangene Folter, dieser Anblick oder ihr Satz war, der seine Beine plötzlich einknicken ließ.

Blut.

„Nein…“

Von Panik und Pein verzerrte Fratzen.

„Ich…“

Was mussten sie durchgemacht haben? Was hatten sie gefühlt?

„Ich war das nicht…“

Was war das für ein Empfinden? Warum war es so zufriedenstellend? Er begann sofort, es zu hassen, aber zu behaupten, er würde es nicht unbedingt spüren wollen, wäre eine schlichte Lüge. Hitze und Kälte. Schauer und Wohltat. Abscheu und Genuss. Cifer hasste es und hasste sich selbst dafür.

ICH WAR DAS NICHT!“
 

Xell mobilisierte seine letzten Kräfte, zog sich von der Rückstange auf den Laster hin und verpasste Cifer einen Schlag ins Gesicht, worauf dieser hart auf das Dach aufschlug. Der Faustkämpfer spuckte aus und beobachtete grinsend, wie sein Kontrahent sich hastig zurück in den Stand kämpfte.

„Nicht aufgepasst?“, stachelte er ihn an.

„Nur ein kleiner Aussetzer.“ Cifer schniefte und funkelte das Gegenüber verdrossen an, während er sich den Blutbart fortwischte. Dann holte er zum Gegenangriff aus.

„Herr Almasy? Wir sind daahaaa~!“

Beide blickten in die Fahrtrichtung. Und tatsächlich: Dort lag die Raketenbasis. Der Wagen verlor an Tempo und kam schließlich zum Halten. Die Duellanten sprangen vom Dach, landeten nebeneinander und fixierten sich argwöhnisch. Jeder dachte wohl dasselbe…

Vorne stieg der Galbadia-Soldat aus und knallte die Tür unachtsam zu. „Woooow! Die steht ja doch noch! Sollte sie nicht zerstört sein?“

Er eilte voraus. Cifer und Xell folgten ihm. Wenn schon nicht sie, dann sollte nicht er der Erste sein, der die Basis betreten würde!

Doch während Cifer weiterlief, fiel Xell etwas – oder jemand – ins Auge.

Er bremste, änderte die Richtung und rannte über den Wüstensand hin zu Selphie, die ihm den Rücken zugewandt hatte und anscheinend weinte. Der größere Schock jedoch erwartete ihn, als er Irvine und dessen verheerende Wunde entdeckte. Er schreckte zurück. „Verdammt, Selphie… Ist er tot?“

Ein vages Kopfschütteln der ansonsten so lebensfreudigen Person. „Nein. Er ist bewusstlos. Aber wenn wir ihn nicht bald versorgen…“

Der strohblonde SEED kniete sich zu ihnen hinab. Irvine sah wirklich übel aus. Er hatte die Zeit vergessen, daher konnte er nicht sagen, wie viel davon seit dem warnenden Funkgespräch vergangen war, aber allein dem Anblick nach zu urteilen befand sich sein Kumpel in höchster Gefahr. Noch dazu die ganzen äußeren Umstände: Die Hitze, der Wassermangel, Cifer.

Cifer!

Xell schaute zur Raketenbasis, in die Cifer und dieser Wedge verschwunden waren. Dummerweise konnte er ihnen nicht folgen, weil er es für unverantwortlich hielt, Selphie und Irvine noch länger allein zu lassen. Das arme Mädchen stand unter Schock. Besonnen legte er eine Hand auf seine Schulter. „Squall wird bald hier sein. Ich bleibe solange bei euch, okay?“

Selphie nickte nur schwach. „Danke…“
 

Die Tür war nicht verschlossen, aber das wunderte Wedge gar nicht. Er dachte auch nicht einen Moment darüber nach, dass es sich um eine Falle handeln könnte. Er stürmte einfach ins Innere und kreischte enthusiastisch den Namen seines Ex-Kollegen, woher auch immer er mit Sicherheit wissen wollte, dass dieser hier wäre. Cifer, der das Massaker auf der Alclad-Ebene im Kopf hatte, rechnete hingegen fest mit einer unschönen Überraschung. Als tatsächlich etwas im Dunkel des Korridors aufblitzte, reagierte er sofort: „Wedge, Halt!“

Schlitternd kam der zum Stehen.

Sie starrten unmittelbar in den Lauf einer feuerbereiten Schusswaffe.

Cifer spannte den Arm an, der die Gun-Blade hielt. Wenn sie zuerst Wedge umballern würden, war das seine Chance. Es war wohl das erste Mal, dass er froh war, ihn mitgenommen zu haben. Als lebendes Schild und Ablenkungsmanöver könnte er durchaus nützlich sein.

Doch unvermittelt preschte Wedge los. Selbst Cifer entglitten da sämtliche Gesichtszüge vor so unfassbar viel Leichtsinn. War der Kerl jetzt völlig durchgeknallt? Wollte er jetzt sterben?

Er öffnete den Mund, um ihn zurückzurufen, streckte mahnend eine Hand nach ihm aus. Doch es war zu spät: Schüsse fielen… und der galbadianische Soldat ging zu Boden.

Alone

Wortlos begutachtete Cifer die rauchenden Löcher in der Wand. Die Metallplatten, die sie umgaben, glühten noch und zischten leise. Hinter sich hörte er den aufgeregten Wedge Jubelschreie ausstoßen, in die Biggs bald einstimmte. Zwischen ihnen lag das Gewehr, welches dieser auf sie gerichtet hatte, weil er glaubte, es mit Feinden zu tun zu haben. Als jedoch Wedge ihn erkannt hatte, voller Energie auf ihn gesprungen war und ihn mit sich selbst zu Boden gerissen hatte, hatte Biggs vor Schreck Schüsse ausgelöst, welche knapp an den Eindringlingen vorbei in die Wand gedonnert waren, auf die Cifer nun starrte, gelehnt auf die Klinge seiner Gun-Blade und die beachtliche Durchschlagskraft anerkennend.

Was ihn allerdings mehr beschäftigte, war die riskante Unkenntnis, weswegen der galbadianische Präsident hier so frei herumlaufen durfte. Wo waren die Entführer? Er drehte sich herum und sah die beiden Chaoten, die zusammen das ultimative Chaotendoppelpack bildeten, ernst an.

„Mann, Wedge! Was in Hynes Namen machst du hier?!“, wollte Biggs überglücklich wissen.

„Ich hab’ dich überall gesucht! Sie sagten, man hätte dich vielleicht entführt!“

Entführt?“ Der Größere lachte auf. „Das ist doch albern!“

„Aber wieso bist du dann hier?“, fragte Wedge perplex, der in der Gegenwart seines Kameraden noch viel hagerer wirkte, als er sowieso schon war.

„Weil ich nach dir gesucht habe!“

„Ehrlich?“ Offenbar berührten ihn diese Worte sehr.

„Ich habe eingesehen, dass ich Fehler gemacht hab’. Ich hätte dich besser behandeln und auf dich hören sollen, dann wäre es nie so weit gekommen.“

Er schüttelte versöhnlich den Kopf. „Wir beide haben Fehler gemacht. Lass sie uns hier und jetzt vergraben.“

Biggs nickte. „Ertränken wir sie im Bier, sobald wir in Dollet sind. Vorausgesetzt, du hast nichts dagegen, dich mit einem Präsidenten unter den Tisch zu saufen!“

Augenzwinkernd schaute Wedge zu Cifer hinüber. „Ich bin zwar nur ein Unstaubwedel, aber… es wäre mir eine Ehre!“

„Pah! Unterfeldwebel! Von heute an bist du Gouverneur!“

„Ist das dein Ernst?“

„Ja! Schluss mit den Degradierungen! Es ist an der Zeit, dass wir endlich mal Stellen beziehen, die unseren besonderen Talenten gerecht werden!“

„Au jaaaaa!“

Cifer betrachtete die vom Schicksal ausgebeuteten Komödianten. Würden alle Streithähne ihre Fehden so schnell und kompromisslos niederlegen wie die beiden, gäbe es wesentlich weniger Probleme auf der Welt. Andererseits würde eine Regierung, bestehend aus einem Präsidenten Biggs und einem Gouverneur Wedge, die Welt vermutlich ins Chaos stürzen. Ganz ohne Zeitkomprimierung.

„Wo ist Ellione?“, fragte er an Biggs gewandt, nachdem die beiden sich eingekriegt hatten.

„Boahhh! Wedge, wen hast du da mitgebracht? Kommandant Almasy!“

Cifer hatte keine Lust, den Überwältigten zu korrigieren.

„Wieso wollen Sie das wissen?“ Die Stimme des Mannes mit dem nahezu quadratischen Gesicht klang jetzt sehr ernst.

Wedge lächelte. „Er ist den ganzen Weg hergekommen, um sie zu finden. Wir…“

„Ruhe!“, herrschte Cifer ihn an. „Ich kann für mich selbst sprechen.“

Er hatte nicht den ganzen Tag Zeit. Sobald Squall Leonhart hier auftauchen würde, wollte er weg sein. Zuvor musste er mit Ellione sprechen. Etwas in ihm verlangte es. Er wollte die Wahrheit erfahren.

„Ich glaube nicht, dass sie jetzt Besuch empfangen möchte.“

„Interessiert’s mich, was sie will oder nicht?“

„Nein, ich kenne Sie ja. Aber ich habe ihr versprochen, sie in Sicherheit zu bringen.“

„In Sicherheit vor wem?“, fragte Cifer, doch als er keine Antwort erhielt, machte er sich selbstständig auf die Suche. An jeder Tür blieb er stehen, öffnete sie, sah hinein. Nichts. Weiter. Er kannte den Komplex, auch wenn es hier mittlerweile etwas anders aussah als damals. Die Decken hingen tief, Schutt versperrte einige Wege und die Beleuchtung war spartanisch. Die Notlampen surrten. Die Luft war stickig und roch nach Metall. Es irritierte ihn, was der Präsident und Loires Göre miteinander zu tun hatten. Wenn er an die übel zugerichteten Monster auf Balamb dachte, stellte er sich unter den Entführern etwas anderes vor als… Biggs. Der hätte ihn doch nicht einmal unbemerkt niederschlagen können.

Er eilte Treppen hinauf. Dass Squall bereits auf dem Weg hierher war, bezweifelte er nicht. Sicherlich hatten es seine Freunde nicht verpennt, ihm Bescheid zu geben. Tür auf – nichts – Tür zu. Weiter. Auf eine erneute Konfrontation mit den SEEDs konnte er herzlich verzichten.

Dann fand er sie endlich.

Allein ihre Präsenz erfüllte ihn mit plötzlicher Ruhe; die Erleichterung über das Finden entspannte seine Lungen unmittelbar, sodass er die Eile wie einen unsichtbaren Umhang abwerfen und achtlos auf den Boden gleiten lassen konnte, während er sich mit gemächlichen Schritten seinem Ziel näherte.

Ihr Gesicht war in den Handflächen vergraben, und braune Strähnen hingen darüber hinab wie ein Seidenvorhang. Elegant wand sich ein grüner Schleier um ihre zerbrechlich wirkenden Arme, schmiegte sich der weiße Rock um ihre hellen Beine. Eine Frau, in die man sich auf den ersten Blick verlieben könnte.

Wenn man nicht Cifer Almasy heißt.

Der erreichte sie, riss ihr die Hand vom Gesicht, beugte sich vor und starrte sie durchdringend an. Erschrocken schnappte sie nach Luft und erwiderte den Blick. Sie schien nicht geweint zu haben, aber ihre Züge verbargen ihren elendigen Zustand keineswegs. Wenn man nicht Cifer Almasy heißt, würde man sie nun trösten wollen.

„Du bist gekommen“, stellte sie fest, als hätte sie Zweifel daran gehegt.

„Ist ja mein Job, dich zu beschützen“, meinte er simpel. „Ich habe einige Fragen an dich. Es scheint, dass du mich als Subjekt missbrauchst.“

„Subjekt?“

„Testobjekt, Versuchskaninchen – nenn es, wie du willst.“

„Nein, ich meine: Inwiefern sollte ich dich ausnutzen?“

„Seit du weg bist, erlebe ich immer wieder Dinge aus meiner Vergangenheit.“

Sie wandte den Kopf ab. „Das kommt vor… dass man sich an Vergangenes erinnert.“

„Spar dir den Sarkasmus!“, bellte er sie an. „Ich erlebe sie, als sei ich wirklich dort! Du schickst meine Gedanken zurück, nicht wahr? Und das geht mir langsam auf den Keks!“

„Bist du nur deswegen hier?“

Er verschränkte die Arme. „Nein. Aus mehreren Gründen. Aber keiner davon hat was mit dir persönlich zu tun, falls du dir das erhofft hast.“

„Ich verstehe schon. Du bist hier, um die Aufgabe, die ich dir gab, zu Ende zu bringen.“ Ein Lächeln zuckte an ihren Mundwinkeln. „Vielleicht ist das etwas, worüber man sich freuen kann.“

„Wo sind deine Entführer?“, wollte er wissen, ohne darauf einzugehen.

„Cifer… Es gab keine Entführer.“

Skeptisch senkte er die Brauen über die Augen. „Dann bist du von dir aus geflohen?“

Sie schaute ihn an. Keine Antwort, nicht einmal in der Form einer Geste.

„Warum?“

Aaaaaahhhhhhhh!“

Beider Aufmerksamkeit schlug auf die Tür um, die geschlossen war. Cifers Finger umfassten die Pistole. Er konnte Elliones Anspannung spüren. Niemand machte Anstalten, die Flucht zu ergreifen. Wenn es Squall war, würde er hier auf ihn warten, bis er die schwere Tür öffnete. Und ihn dann niederschlagen.

„Weeeeeedge, Meeeeeensch!“

Getrampel.

„Pass doch mit den verdammten Nudeln auf! Die sind wahnsinnig heiß! Und sieh dir diese Sauerei an – nein!“

Sie entspannten sich.

„’Tschuldigung! Ich mach’s sofort weg!“

„Will ich für dich hoffen, verflucht! Und dann schaffst du mir gleich ein Kühlkissen für meine Füße her!“

„Jawohl!“

Eilige Schritte.

Cifer richtete sich wieder an Ellione. „Die Monster. Wer hat sie getötet?“

„Monster?“, wiederholte sie ahnungslos. „Als ich gegangen bin, waren keine dort.“

„Das kann nicht sein!“ Ihn überkam der Verdacht, dass sie ihn an der Nase herumführen wollte. „Sie waren da, als ich aufgewacht bin! Irgendjemand muss einen Grund dafür gehabt haben, sie umzulegen! Rede! Was verschweigst du mir? Und weshalb?“

Elliones Miene drückte abweisende Sturheit aus.

Träge ließ sich Cifer auf einen Stuhl nieder und legte den Arm auf das nahe Steuerpult, von welchem aus einst das Ende dieser Basis besiegelt worden war. Die Lampen tauchten den Raum in ein dämmriges Orangebraun. Die Minuten verstrichen. Es war still. Nur die Glühbirnen summten und knisterten manchmal.

„Es interessiert dich nicht. Ich sehe keinen Grund, dir irgendetwas zu erzählen.“

„Stimmt. Es interessiert mich nicht“, bestätigte er anteilnahmslos. „Aber bevor du nicht von mir ablässt, will ich wissen, was und warum in Balamb passiert ist.“

Du bist es, der nicht ablässt“, hielt sie überzeugt dagegen, ohne es auszuführen.

Lässig hob er die Arme. „Sag mir die Wahrheit und ich bin weg.“

Ihr Blick blieb ernst. „Weißt du, Cifer? Wir beide haben ein ähnliches Problem.“

Er starrte Löcher in die Luft.

„Wer wir sind, ist unwichtig. Es zählt nur, wofür wir gut sind. So bin ich nicht Ellione, sondern das Mädchen mit der Kraft, Gedanken in die Vergangenheit zu schicken. Adell, Esthar, Squall… Manchmal frage ich mich, welche Rolle ich in diesem Abenteuer gespielt hätte, wenn ich nicht über eine solch außergewöhnliche Fähigkeit verfügen würde.“

Sie ließ ihm Zeit zum Kommentieren, doch er nutzte sie nicht.

„Nun, wo der Verwendungszweck meiner Gabe verwirkt ist, fühle ich mich ungebraucht und verlassen. Mir ist, als würden sich meine Freunde allmählich von mir entfernen. Als würden sie älter werden… während ich in der Zeit stecken bleibe. Xell… Quistie… Selphie… Irvy… und selbst Onkel Laguna.“

Heul doch, dachte Cifer desinteressiert. Er empfand sein Problem für weitaus ernster. Er hatte kein Ziel mehr. Keinen Sinn, morgens aufzuwachen.

„Ich sehne mich nach einer Art der Aufmerksamkeit, die Laguna mir nicht geben kann. Squall. Ja, ich denke an Squall. Ich sehe, wie Rinoa ihn zum Lachen bringt und bin eifersüchtig.“

Rinoa… Auf ihre typische Weise herumtänzelnd und den chronischen Muffel charmant dazu auffordernd, die Mundwinkel zu erheben. Wie er sie kannte, würde sie es schaffen. Es bereitete ihm ein unbehagliches Gefühl, daran zu denken. Die Widerstandskämpferin war in ihn verliebt gewesen – das wusste er und das war offensichtlich gewesen – doch mit der Zeit musste die Schwärmerei für ihn von der Liebe zu Squall völlig verdrängt worden sein.

„Ich möchte das nicht, aber ich kann es nicht ändern. Ich neide ihr das Glück.“

Glaubte sie, es war besser, auf Squall eifersüchtig sein zu müssen?

„Wir beide trauern einer unerfüllten Sehnsucht nach. Wer weiß, ob es Liebe ist? Suchen wir nicht doch nur nach einer Hand, die uns aus der Einsamkeit führt? Jemanden, der uns durch seine Zuneigung verspricht, dass wir doch noch etwas wert sind? Dass unser Weg einem Ziel entgegensehen kann? Wir suchen ihn in der glücklichsten Beziehung, die wir kennen.“

Er hörte Schritte. Als er aufsah, stand sie vor ihm wie jemand, der im Begriff ist, ein großes Tabu zu brechen.

„Lass uns gemeinsam trauern. Nur einmal. Damit wir nicht mehr allein sein müssen.“

In diesem Moment veränderte sich etwas.

Cifer las das ehrliche, ihm geltende Verlangen in ihren Augen und entwickelte ein ehrliches, intensives Verlangen gegenüber Ellione.

Langsam neigte sie sich hinab, und ihr Zeigefinger zeichnete behutsam die Narbe auf seiner Stirn nach, wie eine ähnliche auch Squalls Stirn markierte.

Er konnte sich nicht erklären, weshalb.

Sie berührte ihn.

Kann die Verzweiflung einen Menschen wirklich zu derartigen Taten bewegen?

Statthalter für jemand anderen zu küren, zu sein?

Warum nicht?

Sie wussten beide nicht, wie [es] war. Wieso also die Chance nicht nutzen, wenn sie sich ihnen so bereitwillig bot? Wer sah jetzt schon hin, wenn sie schwach wurden angesichts der Verführung durch das attraktive und doch nie gewollte Gegenüber?

Cifer senkte die Lider. Ein Schwindel ließ seinen Kopf schwer werden. Wie ein Magnet zog es ihn dem anderen Pol entgegen. Er wollte nicht denken, nicht jetzt.

Vorsichtig berührten sich ihre Lippen.

Aber es war anders, als er es sich vorgestellt hatte. Es war nichts Besonderes. Es geschah einfach. Es war so aufregend wie Brot essen. Kein Anlass für Euphorieausbrüche, jedoch irgendwie notwendig, weil es außer diesem Brot nichts anderes gibt. Ehe sie sich versahen, fanden sie sich auf dem Untergrund wieder, Cifer über ihr wie über einer ausgelieferten Beute, auf jede ihm erdenkliche Weise fordernd nach der Erfüllung, die er sich von dem Kuss erhofft hatte.

Er gehrte nach ihr.

Sie gehrte nach ihm.

Weil irgendetwas in ihr für ihn plötzlich von existenzieller Wichtigkeit zu sein schien.

Weil irgendetwas in ihm sie sich plötzlich wieder geschätzt und gebraucht fühlen ließ.

Willig gewährte sie ihm Zugang, ohne Angst zu haben vor jemandem, der in dieser Sache ebenso unerfahren war wie sie. Die Routine kam von selbst – ohne dass sie wussten, was zu tun war, taten sie es genau so, wie es richtig ist. Aber letztlich galt jede Berührung, jeder Kuss, jeder Gedanke doch nur dem eigenen Körper. Rücksichtslos streckte die abartige Sehnsucht endlich ihre trockenen Arme aus dem Moor der verzehrenden Einsamkeit, bekam die der anderen dürstenden Sehnsucht zu fassen und bohrte verzweifelt ihre Zähne in sie, saugte ihr gierig jeden restlichen Tropfen aus.

Die Barriere brach, und alles Übrige wurde ihnen egal.

Ob Squall.

Ob die Widerwärtigkeit der unvorstellbar schönen Selbstbefriedigung.

Oder das Ende des Orbits.

Um nichts wollten sie den anderen jemals wieder gehen lassen. Bevor sie nicht gefunden hatten, wonach sie suchten, würden sie ansonsten in diesem nie gekannten Land, in das sie sich gewagt hatten, für immer verloren gehen.

„Hör nicht auf“, bat sie, ihn durch ihr zufriedenes Seufzen immer wieder neu inspirierend. „Lass uns wenigstens für ein paar Minuten vergessen, dass wir keine Liebe füreinander empfinden.“

Sein Verstand sagte Nein, sein Körper Ja – es war wie damals, als sich die Hexe vor seinen Augen entblößt hatte. Er war ein Junge gewesen und hatte nicht hingesehen.

Heute war er ein Mann.

Ein Mann, der einer Frau das höchste Glück bescheren konnte.

Mutig zwang Ellione ihn, sich einem weiteren Kuss hinzugeben.

Das Zeitgefühl war längst abgewiesen.

Ob Minuten.

Oder Stunden.

Für sie zählte nur noch das [Jetzt].

Ein endlos wirkender Augenblick; ein Traum, für den man lieber tot sein möchte, als aus ihm erwachen zu müssen, obwohl oder gerade weil er eine Illusion ist; ein Moment, der niemals wieder kommen wird.

So abstrus, so falsch, so unecht und so erlogen.

Und sobald der Augenblick, der Traum dann doch vorüber war, würden sie es wieder sein.

Allein.
 

„Ich bin nicht allein.“

Er sah seine beiden Begleiter wie durch einen dichten, weißen Schleier, ehe er sich von ihnen abwandte.

„Noch nicht“, versetzte Rai-Jin. „Aber wenn ich mal ehrlich bin, dann weiß ich mal nicht, wie lange wir das noch mitmachen, Cifer.“

„Zu weit“, begründete Fu-Jin ihren Bruder.

Hinter ihnen krachte der imposante Galbadia-Garden in den Wald. Sein „[Sie] ist bei mir“ ging in der ohrenbetäubenden Geräuschkakophonie unter.

„Bleiben!“

„Wo willst du überhaupt mal hin?“

„Galbadia“, antwortete er lakonisch. „Deling City. Neue Anweisungen geben.“

„Meinst du, die Armee hört mal noch auf dich?“

„Sie muss. Artemisia befiehlt es. Sie wird der Hexe weiterhin dienen.“

„Und was willst du mal tun?“, rief Rai-Jin ihm mit zunehmendem Verdruss nach.

„[Lunatic Pandora]. Muss sie bergen.“

Er spürte, wie Fu-Jin vor Überraschung eine Hand an ihre Brust schnellen ließ. „Groß!“

„Ist das mal nicht das Ding, das im Ozean versenkt worden sein soll? Hast du mal noch alle Namen auf der Liste, Cifer? Wie willst du das mal anstellen?“

„[Levidega].“

„Cifer!“

In seinem Augenwinkel bemerkte er die große Hand des Braunhäutigen, die sich auf seine Schulter legen wollte. Doch noch ehe sie ihn berührte, schleuderte etwas den Hünen weit davon. Rai-Jin kam auf den kahlen Boden auf, wirbelte einige Male herum und blieb schließlich stöhnend liegen.
 

„Hey! Wer… wer ist da?“
 

„Sie haben mich rufen lassen, Sir?“

„Wie kommt die Aushebung der Pandora voran, Oberst?“ Er quittierte den missmutigen Seitenblick des Hereintretenden auf die angebrochene Weinflasche mit einem lässigen Grinsen.

„Ähm… Sie entspricht den Berechnungen, Sir.“

„Juckt Ihnen der Arsch oder warum sind Sie so angespannt, hm? Reden Sie frei!“

Erneut ein diesmal deutlicher Blick auf die Flaschen.

„Setzen Sie sich.“

Der Oberst stierte ihn an, als ob er ihm soeben verkündet hätte, er würde ihn nun umbringen.

„Bitte.“

Umbringen…

„Bedienen Sie sich.“

Ein entschiedenes Kopfschütteln.

Er seufzte. „Also, was ist?“

„Sir. Ich meine, wir sollten über das Angelegentliche sprechen.“

„Angelegentliche?“ Er lehnte sich vor.

„Die Steinsäule, Sir.“

Seine Faust donnerte auf die gläserne Tischplatte, die erzitterte. „Die Lunatic Pandora interessiert mich nicht!“

Dem Offizier schien es auf einmal unangenehm eng in der Uniform zu werden. Das „Was dann?“ rutschte ihm leise und rasch über die Lippen, war aber dennoch zu verstehen.

Stille.

Als wäre das Leben schlagartig gestoppt worden, saßen sie da.

Töte…

„Was?“

Töte ihn.

„Was interessiert Sie dann?“, wiederholte der Oberst sich, Mut fassend durch die offensichtliche Verwirrung seines jungen Vorgesetzten. „Welches Ziel verfolgen Sie?“

„Welches Ziel ich…?“

Töte ihn.

Er stand auf. „Sie reden von einer Hexe Artemisia, wann immer Sie uns Befehle erteilen. Aber ich sehe niemanden. Ich sehe nur einen Jungen… Keine Hexe mehr. Nur einen Jungen… Haben Sie Träume, Cifer?“

„Töte ihn!“

„Verschwinden Sie!“

Ein paar Flaschen gingen zu Bruch. Sofort sog der Teppich die aromatische Flüssigkeit in sich auf.

Sofort!“

Erleichtert atmete er aus, während er sah, wie der Oberst kehrt machte und mit tiefen Schultern auf die Tür zusteuerte. Müde bettete sich seine Hand auf die Klinke, drückte sie hinunter. Der Flügel öffnete sich. Schatten krochen vom Flur in das Dämmerlicht des Zimmers. Er hob den rechten Fuß zum ersten Schritt nach draußen.

Töte ihn.

„Oberst?“

Nein.

„Wissen Sie, wie es ist, wenn man trinkt und trinkt und trinkt und…“

Nein.

„…doch immer noch durstig ist?“

Ein Satz genügte, um ihn zu erreichen. Nein. Er konnte ihn nicht gehen lassen. Lächelnd schlitzte Hyperion ihm die Kehle durch. Das Blut sprudelte aus seinem Hals wie ein Wasserfall.

So.“

Als er später in der Lunatic Pandora stand, sie über die Großstadt Esthar flog, beim Tears Point stoppen ließ und sich der Mond blutrot färbte, verlor er plötzlich das Bewusstsein und fiel wie eine Marionette, deren Stränge abgetrennt wurden.
 

„Mist! Die Verbindung bricht ab!“
 

„Ich weiß es jetzt.“

Seine Worte klangen wie die Lösung für jedes beschissene Problem auf dieser verdammten Welt. Hinter dem Fenster des Kontrollraums der Pandora hing ein schwerer, roter Himmel über dem Kontinent Esthar. Die geballten Schreie der mit der Mondträne auf die Erde geworfenen Monsterbrut drangen bis in das Innere der Steinsäule. Und die Hexe Adell harrte in deren Herzen auf die endliche Befreiung aus ihrem Sarg.

„Sie hat mich die ganze Zeit benutzt!“ Ein kräftiger Schlag gegen kaltes Metall begleitete dieses Wort, welches in der Beziehung von ihm und der Hexe Artemisia er zuvor einfach nicht hatte wahrhaben wollen. Sie war da gewesen, die ganze Zeit über. Und auf einmal war sie fort, als hätte sie urplötzlich jedes Interesse – nein – jeden Verwendungszweck für ihn verloren.

Fu-Jin und Rai-Jin standen da, als versuchten sie gerade, mit der Wand zu verschmelzen.

„Ihre Worte… Ihre Berührungen… Nichts als süße Lügen.“

Eine eigenartige Ironie durchwirkte seine Sprache, ein unangebracht pathetischer Ton, wie ein Schauspieler, der sein Publikum noch dann zu unterhalten sucht, wenn um ihn her die Bühne Feuer speit und in sich zusammenbricht.

„Es ist nicht die Tatsache, dass sie mich benutzt hat, die mich so erregt“, erklärte er seinen zwei Zuhörern nahezu sanft. „Nein. Das hätte ich ertragen. Was mich wirklich wütend macht, ist die Tatsache, dass sie mich einfach fallen lässt!“

Keiner der beiden brachte einen Laut hervor, obwohl sie es waren, die von Anfang an Recht gehabt hatten.

„Sie will gar keinen Hexen-Ritter! Sie will Cifer Almasy nicht! Aber sie wird ihn trotzdem kriegen! Denn Cifer Almasy lässt sich nicht einfach abschieben!“

Als er sich zu ihnen wandte, sah er in Rai-Jins Augen einen Funken Hoffnung aufblitzen, und in Fu-Jins Augen wandelte sich der Sturm der Sorge in einen Orkan der Angst.

„Das heißt, du wirst dich mal gegen sie stellen?“, wollte Rai-Jin wissen, und aus seiner Ohnmacht erwachender Optimismus spülte seine fremd gewordene Stimme ein wenig klarer. „Du willst dich mal Squalls Unternehmen anschließen?“

Er starrte ihn an wie einen Superhelden, und obgleich in Cifer die Flammen der Wut auf den leicht entzündlichen Überresten seines Egos provozierend loderten, schien ein Teil seiner naiven Vergangenheit für einen Augenblick zurückzukehren, um sich im Glanz dieses Ansehens zu baden. Er lächelte kühl. „Ich werde die verfluchte Hexe stürzen und diese Sache auf meine Art zu Ende bringen!“

„Wie?“, verlangte Fu-Jin zu erfahren, ohne ihre Skepsis zu verhehlen.

„Ganz einfach: Indem wir das Grab über sie zuschütten, das sie gerade selbst schaufelt.“ Auf einmal fühlte er sich stark. Unaufhaltbar. Übermächtig. Unsterblich. „Wenn Squall kommt, wird er gegen die Hexe Adell kämpfen und sie schlagen. Artemisia wird dann in Rinoa eindringen. Und sobald das passiert ist, lassen wir Rinoas und den Geist der Hexe von Ellione in die Vergangenheit bringen, so wie sie es plant. Womit sie nicht rechnet, ist, dass Ellione Rinoa sofort wieder zurückholt. Artemisia bleibt in der Vergangenheit stecken. Denn ohne eine Hexe der Gegenwart kann sie die Zeitkomprimierung nicht bewirken.“

„Zu riskant!“

„Echt mal“, pflichtete der Bruder seiner Schwester bei. „Cifer, das… das ist mal nicht der Hasenfuß. Das ist mal die Hexe, die ist mal klug! Lass uns… lass uns mal lieber abhauen!“

„Das geht nicht“, widersprach er strikt. „Dafür stecken wir schon viel zu tief in der Scheiße drin, kapiert ihr das nicht? Fliehen – und dann? Setzt ihr eure Hoffnungen lieber in Squall und seine Gun-Blade? Glaubt ihr ernsthaft, dass die Hexe vor den SEEDs zurückschreckt?“

Er vernahm keine Antwort.

„Los jetzt! Bringt mir Ellione! Und sobald Squall hier auftaucht, schnappt ihr euch seine heißgeliebte Freundin!“
 

„Ob er …ich hören ka…?“
 

„Cifer! Hör auf!“

Sein Kopf explodierte gleich. Stimmen. Stimmen! Es war vorauszusehen gewesen, dass Artemisia an ihm appellieren, aber dass es so hart werden würde, hatte er nicht erwartet.

„Es ist genug!“

Ihr Hämmern gegen das Innere seines Schädels, in dem er sie eingesperrt hatte, ließ seinen Verstand, der sich den Platz nun mit ihr teilen musste, ihm strafende Streiche spielen.

„Du bist doch in Wirklichkeit nicht so!“

Die schwarze Flut einer herannahenden Bewusstlosigkeit verschlang mehr und mehr Küste der kleinen Insel seines Sichtfeldes. Er blinzelte, und abstrakte Muster in allen Farben tanzten vor seinen Augen wie zu einem skurrilen Opferritual, dessen Darbietung vermutlich er selbst sein sollte. Nur seine Füße trugen ihn noch unbeirrbar seinem Ziel entgegen.

„Ich kann nicht mehr zurück! Ich kann nirgendwo mehr hin!“

Drohte sein hervorragender Plan gerade zu scheitern? Drohte er selbst zu scheitern? Keines Spiegels Glas würde die Reflektion seines Gesichts jemals wieder erdulden. Sie würden kreischend explodieren, wie sein Kopf, und ihre Splitter würden ihn rachsüchtig zerschneiden.

„…Armer Cifer.“

Artemisia sprach wieder zu dem Jungen; darin war sie gut. Und alles, was Cifer in sich fand, um es ihr entgegenzustellen, war erbärmlicherweise Zorn. Ein Zorn, der seine Augen zu schmelzen schien, seine Organe zu zerquetschen und bald auch sein Herz, zu dem nicht die Hexe, aber Rinoa sprach.

Rinoa?

„Lass uns aufhören, okay?“

Rinoa.

Es war wie eine Umarmung. Hyperion und er umarmten Rinoa. Und obwohl er die Umarmung um Rinoa festigen wollte, ließ sein Griff um sie locker. Ihr Haar duftete nach einem Regenschauer im Sommer – so kurz und schüchtern, dass man ihn manchmal erst zur Kenntnis nimmt, wenn er schon wieder vorüber ist. Ihre Augen, die er nicht sah – braun und groß und zu ihm aufschauend. Ihre Hände, deren Weiche durch das starre Materials seines Mantels reichte. In seiner Brust pulsierte, was er im Begriff war, für immer zu verlieren, und er drängte sich dicht an Rinoa, statt von ihr zu weichen, damit Rinoa es schreien spürte. Schreien nach ihr. Artemisia war plötzlich still geworden. Und sein grandioser Plan vergessen.

„Rinoa…“

Er wusste nicht, ob er gegen Rinoa resignierte oder gegen Artemisia – auf jeden Fall resignierte er in diesem Moment, gab sich selbst restlos auf. Die Kraft wich aus seinem Körper wie aus einem löchrigen Spielball, und seine Züge, der Anstrengung müde, verloren die Spannungen des Hasses. Seine behandschuhten Finger glitten förmlich liebevoll über Rinoas Schultern. Er ließ alles los, ließ sich fallen. Es war wie… einschlafen. Wie zu wissen, dass es zu Ende ist. Endlich.

„Cifer! Hör auf!“

Mit einem Donnerschlag kehrte der Hexen-Ritter zurück. Der Wahn umschloss Cifer wie eine Zwangsjacke, und dessen oder Artemisias Spinnenhände zogen seine Mundwinkel weit hinauf zu einem triumphierenden Grinsen voller Schmerz. Squall! Seine Nemesis würde niemals zulassen, dass er Rinoa dieser mächtigen Gefahr aussetzte, um die Hexe der Zukunft auszuschalten. Er musste seine Mission zu Ende bringen! Er musste den letzten Schritt tun, bevor Squall auftauchte! Er musste sie alle retten! Artemisia… lächelt! Lacht höhnisch! Genug davon!

„Rinoa und Adell! Die Hexen werden eins! Schau genau hin, Squall!“
 

„V…! Pa… auf! …ie He…! …ie ist hi… …n dir! V…!“
 

Rinoa schrie – zumindest formte sich ihr Mund zu einem Schrei, aber es drang kein Laut über ihre Lippen. Wie die bedrohliche Wolkenmauer eines kommenden Gewitters fuhr Adells hünenhafter Körper auf sie zu, doch es war die Hexe Artemisia, die ihren Hunger nach Ellione stillen wollte. Sie glitt über die hilflose Rinoa hinweg, ohne sie eines weiteren Blickes aus den roten, leeren Augen zu würdigen, und starrte nun ihn an! Cifer wollte zurückweichen, doch seine Glieder waren starr. Artemisias Krallen streckten sich nach ihm aus; sie küsste ihn. Endlos lange Arme umschlangen ihn, drückten seinen widerstandslosen Leib an den ihren. Wie lange hatte er darauf gewartet, und wie stark war nun der Wunsch, dass es vorbei war? Ihr Kuss saugte ihn aus, und zugleich hatte er ihm etwas eingeflößt. Sie schmeckte Ellione an ihm und versuchte augenblicklich, diese sich anzueignen, wenn er jetzt nichts unternahm.

Mit einem einzigen, konzentrierten Stoß der Gedanken warf er seine Herrin von sich.

„Cifer!“ Erschrocken starrte Ellione ihn an. „Was ist los?“

Der Angesprochene nahm tiefe Luftzüge, während er sich orientierte. Der Schatten von Elliones Lippen ruhte noch verführerisch auf den seinen, aber es war so falsch. Er durfte sich diesem Gefühl auf keinen Fall weiter hingeben.

Entschieden stand er auf und zog sie nach sich. Auch sie kehrte da in die Wirklichkeit zurück. Die feinen Hände ineinander verschränkt, war sie nicht länger in der Lage, ihm ins Gesicht zu schauen. Ihre Wangen röteten sich auffällig und machten sie auf einmal merkwürdig greifbar.

„Vergessen wir das am besten“, flüsterte sie.

Er schenkte ihr keine helfende Erwiderung.

In dieser Sekunde drang Biggs’ aufgebrachte Stimme in den Raum: „Squall Leonhart ist im Anmarsch! Ellione!“

Selbige sog scharf die Luft ein. „Wenn er mich findet, bringt er mich sofort zurück. Ich weiß, dass sie es alle gut meinen, aber… ich möchte das nicht.“

Cifer wollte es auch nicht. Denn wenn Squall ihn entdecken würde, erwartete er keine Gnade. Sein Erzrivale würde ihn teuer büßen lassen für alles, was er getan hatte. Was er Rinoa angetan hatte…

Die Tür schlug auf.

Reflexartig schnellte die Hand des ehemaligen Hexen-Ritters auf den Griff seiner Waffe, doch es waren bloß Biggs und Wedge, die sie atemlos anstarrten.

„Worauf wartet ihr noch?“, keuchte der Präsident. „Kommt mit uns!“

„Wohin?“, fragte Ellione wenig zuversichtlich.

„Es gibt einen unterirdischen Weg, der von hier zum Gefängnistrakt D führt. Die galbadianische Armee hielt ihn für sinnvoll, falls die Estharianer die Raketenbasis angreifen würden. Das Gefängnis ist gut gebunkert, da wären die Soldaten vor Esthar absolut sicher gewesen.“

„Und vielleicht sind wir’s jetzt auch vor Squall Leonhart“, fügte Wedge hinzu. „Dieser SEED sieht echt sauer aus.“

„Weshalb fliehen Sie?“, wollte Cifer wissen, an das Oberhaupt Galbadias gewandt.

„Man soll nicht erfahren, dass ich mich aus freien Stücken ins Exil begeben habe“, gestand dieses mit kratziger Stimme. „Ich lasse es später besser nach einer unbedeutenden Entführung aussehen.“

Damit machten die beiden Ex-Soldaten auf der Stelle kehrt. Cifer langte nach Elliones Arm und folgte ihnen. Sie drangen tiefer in das Gebäude vor, bis in den Keller, der früher durch eine komplexe Sicherheitsvorkehrung lediglich für die wenigsten Angestellten der Basis zugänglich gewesen war. Das verborgene Gewölbe kam Cifer größer und wichtiger vor als alles, was über ihm lag. Zudem schien es, als hätte die Explosion es kaum in Mitleidenschaft gezogen. Ein breiter Schacht bot sich ihnen hier dar, der weit in die Finsternis führte.

„Zu Fuß würden wir viel zu lange brauchen“, ließ Biggs sie wissen. „Lasst uns überprüfen, ob die Fahrzeuge noch intakt sind.“

Sämtliche Augenpaare folgten seinem Zeigefinger, welcher auf eine Reihe vergessener Transporter ausgerichtet war.

„Ich hab’ keinen Schlüssel, aber vielleicht können wir einen kurzschließen.“

Sie machten sich an die Arbeit, denn alle vier waren sich in dem Wunsch einig, keine Zeit zu verlieren. Wegde schließlich gelang es, einen der Wagen in Gang zu setzen. „Los, Leute! Steigt ein!“

Während Biggs mit unverständlichen Worten der Klage in das Fahrzeug stieg, drehte sich Ellione noch einmal zu Cifer um und bedachte ihn mit einem traurigen Blick. „Unsere [Abmachung] steht doch noch, oder?“

Er griff nach dem Geländer der kleinen Treppe und stieg auf die erste Stufe, ohne den Kontakt ihrer Augen zu lösen. „Ich bin kein SEED. Aber ich bringe meine Aufträge trotzdem immer zu Ende.“

Seit Langem hatte es nichts mehr gegeben, auf das sie so ohne jeden Zweifel vertrauen konnte wie in diesem Augenblick.

The Guardian

Xell verlagerte sein Gewicht auf ein Bein und stemmte eine Hand gegen seine Flanke, während er den Blick durch den verschatteten Raum schweifen ließ. Entfernt summte eine alte Glühbirne.

„So friedlich“, murmelte er misstrauisch.

„Sie werden sich vor uns verstecken“, vermutete Quistis mit ziemlicher Überzeugung, wofür Squall lediglich ein bezweifelndes Schnauben übrig hatte.

„Es ist nicht seine Art, sich zu verstecken. Wenn er weiß, dass ich hier bin, wird er kommen und gegen mich kämpfen. Eine Auseinandersetzung ist unausweichlich.“

Rinoa hörte eine starke Abneigung aus der Stimme ihres Freundes. Duelle mit Cifer waren für ihn kein heimliches Vergnügen mehr – er stufte den Ex-Ritter nun genauso ein wie jene, die dieser beschützt hatte. Ihr gefiel diese Entwicklung nicht.

Sie entspannten ihre Haltungen.

„Ich frage mich, wie er mit der ganzen Sache zusammenhängt“, äußerte Quistis Trepe ihre Gedanken und verschränkte die Arme.

„Bestimmt führt er nichts Gutes im Schilde!“, schoss es aus Xell wie aus einem von Irvines Gewehren. „Der will sich doch nur an Squall rächen!“

„Ist mir eigentlich egal, was er vorhat“, sprach ihr Anführer in den Raum zwischen den beiden. „Wichtig ist, dass er Ell und den galbadianischen Präsidenten in seiner Gewalt hat. Lasst uns sie suchen. Und… seid wachsam.“

Squall wusste nicht, wie weit Cifer dieses Mal zu gehen bereit war. Ob er einen von ihnen töten würde, wenn er die Chance dafür erhielt. Stand er auch nicht mehr unter dem Einfluss der Hexe, so war er doch von Natur aus schon ein der Gewalt ziemlich zugeneigter Kämpfer gewesen. Und nun, wo er weder sein Quartier im Balamb-Garden noch Rinoa zu verlieren hatte – was würde ihn noch zügeln?

Er brachte es nicht über sich, Rinoa allein gehen zu lassen, als sie sich aufteilten, und auch nicht, sie in der Begleitung von Quistis oder Xell zu wissen, wie sehr er den beiden auch vertraute. Er wollte nicht klammern – nicht wieder – aber Rinoa in die hungrige Finsternis dieser fremden Räume tauchen zu sehen, war ein unerträglicher Gedanke – und blieb einer.

„Hey, Squall! Ich hab’ was gefunden!“

Es dauerte nicht lange, bis sich alle bei ihnen eingefunden hatten. Der Weg, den die einstmalige Widerstandskämpferin entdeckt hatte, führte sie in die Tiefe. Unten angekommen, sahen sie sich einem riesigen Tunnel gegenüber, der ins Unbekannte führte. Links standen ein paar Fahrzeuge.

„Ich rieche den Motor noch“, ließ Squall die anderen wissen. „Sie müssen diesen Weg genommen haben.“

„Die Autos funktionieren nicht mehr!“, rief Xell ihnen zu, der sich bereits den Transportern zugewandt hatte.

Rinoa legte die Finger um ihren linken Arm, während sie ratlos in die Schwärze des Tunnels blickte. „Ich will nicht laufen.“

„Ich auch nicht“, sagte Xell, und der winzige Hauch einer Bitte schwang darin mit.

Squall nickte. „Gehen wir wieder nach oben. Ich glaube, ich weiß, wohin dieser Weg führt. Rinoa? Du kehrst zurück zum Garden und erstattest dem Direktor Bericht.“

„Was? Wieso ich?“, fragte sie ihn mit einer Mischung aus Unglauben und Vorwurf.

Allein aus seinem Schweigen erschloss sie die Antwort.

„Nur weil ich kein SEED bin?“, wollte sie wissen und war nun regelrecht empört.

Nach einigen Sekunden nickte er.

„Wenn ich kein SEED bin, kannst du mir auch keine Befehle erteilen!“, konterte sie beleidigt und so laut, dass Quistis und Xell sich abwandten und den kühlen Metalltunnel auf einmal ganz interessant fanden. Squall verstand und schickte die beiden schon einmal nach oben. Als sie allein waren, konnte er es endlich über die Lippen bringen: „Ich mache mir nur Sorgen um dich. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.“

„Aha!“ Nahezu begeistert über diese Antwort stützte Rinoa sich auf ihre Knie und betrachtete sein Gesicht eingehend. „Der Ritter hat Angst um seine Hexe!“

„Cifer und ich werden wieder kämpfen müssen. Deshalb solltest du fern bleiben.“

„Aber Squall… Glaubst du etwa, dass ich ihn noch immer liebe? Er bedeutet mir längst nichts mehr.“

„Das weiß ich, aber beruht es auch auf Gegenseitigkeit? Er hat dich einmal in große Schwierigkeiten gebracht. Ich lasse nicht zu, dass es ein weiteres Mal passiert.“

Sie richtete sich wieder auf und lächelte. „Das ist süß von dir.“

„Süß?“ Er legte eine Hand an die Narbe auf seiner Stirn. „Das würde ich auch für jeden anderen tun. Es ist meine Pflicht als Anführer.“

„Trotzdem…“

„Bitte geh jetzt, Rinoa. Quistis, Xell und ich kommen später nach. Das verspreche ich dir.“

Zu seiner Verwunderung nickte sie nun. „Okay. Passt auf euch auf.“

Er musste schmunzeln, als sie ihm auf völlig überzeichnende Weise den SEED-Gruß präsentierte.
 

Cifer, Ellione, Biggs und Wedge ahnten nichts von den Plänen der SEEDs. Der Transporter raste ohne Tempolimit durch den Tunnel, bis er jedoch durch irgendetwas aus seiner Bahn geworfen wurde. Ohne Kontrolle herumschlitternd, krachte er schließlich gegen die Wand. Die Insassen wurden kräftig durchgeschüttelt. Wedge stöhnte. Cifer kam rasch auf die Beine, musste aber erst die Orientierung zurückgewinnen. Ellione traute sich nur langsam aus ihrer schützenden Haltung.

„Ist jemand verletzt?“, rief Biggs vom Fahrersitz aus nach hinten.

„I-ich“, krächzte Wedge.

Biggs erstarrte für einen Moment, da er seinen Kameraden ins Auge fasste. „Bei Hyne! Wedge!“ Neben ihm ließ er sich fallen, machtlos auf ihn hinunterschauend. Eine der Metallplatten, die das Innere des Wagens auskleideten, hatte sich gelöst und in Wedges Bein gebohrt. Biggs wagte es nicht, sie auch nur anzutasten. „Es wird alles wieder gut! Es wird alles wieder gut“, wiederholte er den Satz wie einen Zauberspruch, derweil seine Stimme stetig schwächer wurde.

Dann wurden sie erneut durchgeschüttelt. Die Stahlummantelung des Transporters schützte sie zwar vor dem, was draußen vor sich ging, erlaubte allerdings keinerlei Fenster, die sie es auch sehen ließen.

„Ich gehe nach draußen“, verkündete Cifer den anderen kurzentschlossen und zog in weiser Vorausahnung die Gun-Blade.

„Ich komme mit“, schloss sich Ellione ihm an.

„Warte hier, Wedge.“ Damit stand auch Biggs auf. „Wir kommen gleich zu dir zurück und kümmern uns um dich.“

„Lasst mich nicht allein!“, klagte der Verwundete und streckte einen zitternden Arm nach ihnen aus.

„Wir werden nicht ohne dich weitergehen“, versprach Ellione ihm und kniete sich zu ihm hinab. Ihre Stimme und schließlich ihre Hand auf seinem Kopf wussten ihn mehr zu besänftigen als jeder Heilzauber. „Hab Vertrauen.“

Abermals ein kräftiges Beben. Nur knapp verfehlte eine weitere Metallplatte Biggs’ Schulter.

Cifer sprang aus dem Wagen, wo die drei bereits erwartet wurden. Während Biggs sein Gewehr lud, sprach Ellione ein Analyse aus. Daraufhin erschienen ihr Informationen vor dem inneren Auge.

„Ein Ölspucker“, teilte sie ihren Gefährten mit. „Er greift vorzugsweise mit ölhaltigen Attacken an und könnte uns mit diversen Zustandsveränderungen belegen. Wasser wird nicht viel bewirken – Feuer dagegen wäre äußerst effektiv.“

Cifer wusste sofort, was zu tun war: In Gedanken rief er seine G.F. an und befahl ihr, seinen Feuga-Vorrat mit der Hyperion zu koppeln. Schon spürte er, wie eine anregende Hitze von Griff und Klinge ausging. Er machte sich bereit. „Pusten wir ihn aus unserem Weg.“

Sogleich setzte der Gun-Blader nach vorne, betätigte kurz vor dem weißen Tentakel-Ungetüm den Abzug und schlug zu. Feuerzungen sprangen von der Schneide auf das Monster und glitten siedend heiß über dessen breiten Rücken. Biggs schoss mit Flammenmunition. Ellione ließ Cifer den Vortritt. Als der jedoch zur nächsten Attacke ansetzen wollte, spritzte Öl aus dem weichen Körper mit solcher Plötzlichkeit, dass es Ellione umgeworfen hätte, wäre sie nicht noch ausgewichen! Sich rächen wollend führte Cifer seinen Angriff aus; Feuerwellen erleuchteten den brüllenden Ölspucker. Mit einem Stahlschuss drang Biggs sogar durch die dicke Hautschicht ihres Gegners! Ellione unterstützte ihre Offensive mit einem Flare-Stein; der mächtige Zauber hüllte das Monster knisternd ein, richtete zwar keinen großen Schaden an, ließ Cifer aber annehmen, er könnte geschwind einen starken Hieb folgen lassen. Falsch gedacht! Noch aus dem Rauch der Explosion schoss ein Ölteppich, der den Angreifenden streifte – wo die heiße Flüssigkeit ihn traf, zeichneten sich dunkle Flecken auf seinem Mantel ab. Und damit nicht genug: Das Öl spritzte in seine Augen!

„Cifer!“, hörte er Elliones erschrockene Stimme. „Alles okay?“

Es brannte verheerend. Er hatte Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten. Doch wenn das Monster glaubte, er würde es dadurch verfehlen, dann irrte es sich! Er und Hyperion waren ein viel zu routiniertes Team, als dass sie nicht treffen würden. Er sprang, schlug zu – es heulte auf!

Biggs schoss, dann ließ der Spucker eine ganze Ölwelle auf sie zuschwappen. „Heeeeeeiß!“, jaulte Biggs, während sich Ellione und Cifer rechtzeitig zur Seite retteten. Lagunas Ziehtochter warf sich rasch herum und führte ihre Handflächen zueinander. „Medica!“

Es entfernte Cifers Blindheit restlos. Wieder stürmte er auf den Feind zu. Der Präsident war erst einmal mit sich selbst beschäftigt: Er schluckte hastig eine Potion, um das Schlimmste wieder gutzumachen. Statt Öl setzte das Monster jetzt seine Körpermasse ein, preschte auf sie zu und riss alle drei von den Beinen. Das war Biggs zu viel. Zu versehrt durch die Ölwelle verlor er das Bewusstsein – da half auch keine Hi-Potion mehr. Cifer gelangte zurück in den Stand und ließ den Blick umherfahren. Er fand Ellione an eine Wand gepresst vor – der Ölspucker unweit von ihr und seine ganze Aufmerksamkeit ihr zuwendend. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er jetzt eingreifen musste, wollte er verhindern, dass ihr etwas nicht rückgängig zu Machendes widerfuhr. Ohne noch zu zögern, stieß er sich mit angriffsbereiter Klinge vom Boden ab.

„Hältst du das wirklich für klug?“

Er stockte, während sein Bein sich noch erhob.

„Es wird dir nicht gelingen, sie rechtzeitig zu erreichen.“

Das Szenario schien wie festgefroren. Er sah sich mitten im Spurt, ohne dass sich etwas bewegte – weder er selbst noch das auf Ellione zustürmende Monstrum. Fenris war ein Meister der Zeitzauber.

„Halt die Klappe! Ich brauch’ dich nicht!“, gab er bissig zurück.

„Du solltest uns G.F. mehr Vertrauen entgegenbringen.“

„Ich vertraue nur mir und meiner Gun-Blade!“

„Es geht dieses Mal nicht um dich allein. Du möchtest sie beschützen. Nicht wahr?“

Ehe er der G.F. antworten konnte, hob sich der Stopp-Zustand auf, und als würde ein pausierter Film weiterlaufen, setzte sich alles wieder in Bewegung. Cifer rannte dem Olspucker entgegen, welcher wiederum geradewegs auf Ellione zusteuerte, die ihren Mund zu einem Schrei öffnete. Ihre Augen jedoch suchten und fanden Cifer – und da erinnerte er sich.

Rinoa. Adell. Squall. Der Zorn.

Es war Zeit, dass er seine Entscheidungen selbst in die Hand nahm. Weder Artemisia noch ein falscher Stolz sollten ihm jemals wieder den Abgrund verführerischer machen als den unerschlossenen Weg unmittelbar vor ihm. Denn ja! Er wollte sie doch beschützen!

Ohne seinen Lauf zu unterbrechen, konzentrierte er sich auf diesen anderen Geist in seinem Inneren. Die sagenhafte Gestalt eines Wolfes materialisierte sich, rannte neben ihm her. Gut, dass Fenris nicht nachtragend war. Der junge Mann merkte, wie er an Geschwindigkeit gewann, während sich die G.F. annäherte, um schließlich vollends in ihn überzugehen.

„Ich wusste doch, dass du durchaus vernünftig sein kannst“, vernahm er die neckende Stimme des Wolfes.

Er schlug mit der Hyperion aus, die von dem bekannten Aura-Schein umschlossen wurde, der eines von Cifers berüchtigten Limits ebenso ankündigte wie das Feuga, welches er nun dem Olspucker schickte. Diesem folgte nicht gleich die Spezialattacke – stattdessen ließ Cifer mit der Unterstützung durch die Guardian Force eine Reihe von blitzschnellen Schlägen auf ihn niederhageln, dass selbst Ellione nicht in der Lage gewesen wäre zu sagen, wann und woher die einzelnen Hiebe kamen. Am Ende dieser Kette landete der Gun-Blader fest auf dem Boden und setzte zum Finale an: „Teufelsklinge!“ Noch immer im Rausch des Hast-Zustands, wirbelte er erst seine Waffe herum, bis er sich dadurch selbst um die eigene Achse drehte, sodass sich ein förmlicher Tornado um ihn auftürmte, der von solcher Stärke war, dass er sogar den schwerfälligen Ölspucker in die Luft erhob, wo Cifer erneut dutzende Male auf ihn einschlitzte. Als das Monster auf den Boden knallte, war es unter dem aus all seinen Wunden rinnenden Öl kaum mehr zu erkennen. Diese Attackenkombination hätte problemlos einen ganzen Haufen Monster vernichten können.

Die Hitze ließ sich Zeit, abzuflauen, und mit ihr schwand auch der Hast-Zustand. Atemlos stützte sich Cifer an dem Transporter ab. Fenris und er hatten ausgemacht, dass er die G.F. nicht wie jede andere beschwören, sondern dass sie mit ihm verschmelzen würde, um ihm ihre Kräfte für eine kurze Spanne zu verleihen. Der Nachteil dabei war, dass es ihm jedes Mal sehr viel Energie und Beherrschung abverlangte, den göttlichen Geist in seinem menschlichen Körper zu halten und diesen dann auch noch zu kontrollieren. Es war, als drückte ein mächtiges Vakuum von innen gegen seine Knochen, seine Muskeln, das keinen Raum mehr für etwas anderes ließ. Nichtsdestotrotz hatte er seit jeher auf diese ungewöhnliche Art der Kopplung bestanden. Es machte ihn stolz, wann immer er sich erneut beweisen konnte, dass er selbst diese Herausforderung meisterte.

Er fuhr sich durch das Haar.

Als Ellione und der angeschlagene Biggs an ihm vorbeigingen, blieb Erstere kurz stehen und schenkte ihm ein erleichtertes Lächeln. „Danke.“

Damit stieg sie in den Wagen. Wedge wollte sofort wissen, was vorgefallen war. Er bombardierte die Zurückkehrenden mit Fragen. Seine Schmerzen schien er dabei gänzlich vergessen zu haben. Oder er war – entgegen einiger Meinungen – so diszipliniert, dass er sie offen zu zeigen unterdrücken konnte – jedenfalls solange, bis Cifer vorbeikam und ihm wie zufällig das Metallstück aus dem Bein riss.

„AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!!!“

Ellione kümmerte sich sofort um ihn.

Mit einem erschöpften Seufzen ließ sich der Ex-Kadett auf die Bank nieder. „Fahr weiter“, forderte er Biggs auf, der sich sofort an das Steuer begab.
 

Im Auto fanden sich zwei Galbadia-Uniformen. Da man nach ihnen beiden suchte, schlüpften Biggs und Ellione in sie, um ohne ein Erwecken von Aufmerksamkeit aus dem bewachten Wüstengefängnis zu gelangen. Cifer und Wedge, dessen Wunde bis dahin zumindest versorgt war, führten sie wie zwei Gefangene ab. Sie orderten ein Fahrzeug, um sicher durch die Wüste zu kommen.

Kaum dass sie außer Sichtweite des Gefängnisses waren und sich die beiden angeblichen Soldaten von den muffigen Uniformen befreit hatten, standen alle vier mit ernsten Mienen beieinander. Sie wussten, dass es nun an der Zeit war, Abschied zu nehmen.

Cifer beendete gerade ein Telefonat. Als er sich ihnen wieder zuwandte, meinten sie, dass er anders aussah. Anders auf… positive Weise.

„Ich gehe nach Deling City“, verriet er ihnen mit einer befremdlich ruhigen Stimme, von der sie sich alle einig waren, dass sie sie sehr gerne vernahmen.

Es war Zeit für ihn, die Tragödie zu beenden. Nach langer Lethargie hatte er endlich zu sich zurückgefunden, hatte wie ein wahrer Hexen-Ritter jemanden beschützt und sogar mit Fenris die Meinung geteilt. Er hatte sich in dem Umfeld von Menschen aufgehalten, die er früher als unwürdig erachtet hatte, und Fu-Jin und Rai-Jin angerufen. Er hatte jemanden küssen wollen und es getan. Was jetzt noch fehlte, war das Abschließen mit der dunklen Vergangenheit. Die Unfähigkeit, SEED zu werden. Der Verrat gegenüber dem Mann, der ihn aufgezogen hatte, und dem Garden, in dem er aufgewachsen war. Die Sehnsucht nach einer unerfüllten Liebe. Und Artemisia.

Er wollte die Hexen-Ritter-Oper ein- für allemal abschließen und stattdessen ein neues Libretto beginnen. Mit neuen Schauplätzen, neuen Darstellern, neuen Melodien. Es war keine dieser Wandlungen, die aus einem Dämonen einen Engel machen. Nein – Cifer dachte nicht einmal daran, sich selbst zu verändern! Ganz im Gegenteil: Er wollte wieder [er selbst] sein. Der Ordnungsdienstführer, der ewige SEED-Anwärter. Mit wem er abrechnen wollte, war die fiktive Figur, welche er unter der Hexenherrschaft gespielt hatte. Und um dies zu können, musste er sich mit seiner Vergangenheit penibel auseinandersetzen. Ein letztes, ein allerletztes Mal wollte er sich alle Schwächen, alle Fehler vor Augen führen, um danach wie Phönix aus der Asche neu geboren zu werden und Cifer Almasy zurück in diese Welt kehren zu lassen. Und weil Deling City der Ursprung vieler Fehler und Schwächen war, würde er genau dort anfangen.

„Wenn das so ist, werde ich Sie nicht länger begleiten“, teilte Biggs ihm entschieden mit. „Es wäre ausgesprochen dumm von mir, in die Stadt zu gehen, wo man mich sofort wiedererkennt. Ich denke, ich werde Winhill aufsuchen, wo man nicht so sehr an dem Weltgeschehen interessiert ist und Wedge in Ruhe genesen kann.“

Besagter, der von seinem langjährigen Freund gestützt wurde, nickte müde und lächelte schlaff.

„Was ist mit dir, Ellione?“, fragte der Präsident die Präsidententochter. Es lag eine Vertrautheit zwischen ihnen in der Luft, als würden sie sich schon ewig kennen. Niemand der anderen beiden wusste, was sie gemeinsam durchgemacht hatten, aber offensichtlich hatte es sie sehr zusammengeschweißt.

„Ich gehe mit Cifer“, antwortete sie. „Ich glaube, auch für mich ist es an der Zeit, mich meinen Problemen zu stellen, anstatt wieder vor ihnen davonzulaufen. Ich war ungerecht gegenüber den Menschen, die ich liebe. Deshalb werde ich mit Onkel Laguna über meine Gefühle sprechen. Er wird es verstehen. Ist das in Ordnung?“ Sie blickte den Blonden fragend an, der nur nickte. Er wollte sie ohnehin noch beschützen – zumindest, bis er seine Sache geklärt hatte.

„Dann hast du wohl endlich etwas gefunden, nach dem du gesucht hast“, vermutete Biggs mit einem nicht zu überhörenden Lächeln in der Stimme.

Ellione wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, doch die ihre Mundwinkel nach oben zwingende Verlegenheit machte eine Antwort unnötig. „Du hast viel für mich getan, Biggs“, entgegnete sie anschließend. „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“

„Das werden wir. Ganz bestimmt.“

„Da-da-dann können wir u-uns vielleicht mal zu-zusammen v-volllaufen lassen“, brachte Wedge mit sichtbarer Mühe, aber ebenso sichtlich zufrieden hervor.

Ellione lachte sanft. „Ich bin dabei, wenn ich nur mit euch beiden zusammen sein kann. Wedge… Gute Besserung.“

Der Abschied fiel dreien von vier besonders schwer. Ellione umarmte die ehemaligen Galbadia-Soldaten herzlich, und als Wedge sogar Tränen über die blassen Wangen rannen, begannen auch ihre Augen verräterisch zu schimmern.

Als sie und Cifer die beiden an dem Fahrzeug hinter sich ließen, wurden sie doch noch einmal aufgehalten: „K-Kommandant Almasy!“

Cifer stöhnte genervt. Hatte der dämliche Trottel von einem Wedge etwa immer noch nicht begriffen, dass er nicht mehr sein Truppenführer war? Er drehte den Kopf nach ihm um. In diesem Augenblick salutierten Biggs und Wedge aus der Ferne vor ihm, wie es in der galbadianischen Armee üblich war.

„Sir! Gute Reise, Sir!“, mimte Biggs sein altes Soldaten-Ich.

„Sir! Auch Sie sind natürlich herzlich zum Saufen eingeladen, Sir!“, fügte Wedge hinzu.

Ein wenig irritierte Cifer dieser Spaß, den sie sich mit ihm erlaubten. Doch dann wandte er sich ganz in ihre Richtung, hob den Arm, führte die Hand an sein Gesicht und schickte ihnen einen Gruß zurück zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Und zum Abschied.

Returning

„WUUUUHUUUUUUU~!“

Gerade sauste Xell Dincht auf seinem T-Bike über einen Hügel hinweg, flog Meter durch die Luft, bis er staubaufwirbelnd auf dem Boden landete.

Quistis hatte mehrere Versuche unternommen, den Leistungssportler zu ermahnen. Obzwar sie alle vergeblich waren, gab sie doch nicht auf, ihm über das Knurren und Tosen der Motoren hinweg zuzurufen, was Xell entweder nicht hörte oder nicht hören wollte. In von scharfen Kurven gezeichneten Schlangenlinien raste er über das Grasland, als würde die Erde ihm ein einziger, gigantischer Spielplatz sein, auf dem er sich nach Lust und Laune austoben, das Kind aus sich lassen konnte.

Natürlich ließ sich das Schicksal diese gedankenlose Chance nicht entgehen.

„Xell! Vorsicht!“, warnte seine frühere Ausbilderin ihn noch, obwohl der Schock sie selbst bereits eisig ergriffen hatte. Augenblicklich wurde Xell sich der Realität gewahr und erkannte, worauf Quistis ihn aufmerksam machen wollte. Es schien ihm schon zu spät. Die Panik entriss ihm die Kontrolle über das Gefährt; kreischend und hilflos klammerte er sich an seinen wild herumwirbelnden Untersatz.

Squall und Quistis bremsten scharf.

„Was sollen wir tun?“, fragte sie ihren Anführer mit höchster Anspannung. Angst und Ärger teilten sich ihren Verstand. Sie hatte geahnt, dass so etwas passieren würde.

Squall Leonhart fackelte nicht lange: Er presste die Fingerkuppen gegen seine sich in Falten legende Stirn, schloss die Augen und sammelte sich. „Protes!“

Ein magisches Schild materialisierte sich vor den beiden Personen, die drohten, von dem durchdrehenden T-Bike überfahren zu werden – in letzter Sekunde! Ein schallender Klang ertönte, Xells Motorrad prallte ab, stürzte und überschlug sich mehrmals, ehe es mit einem Zischen zum Liegen kam.

Quistis warf den Kopf herum. „Wo ist Xell?“

Just tauchte Besagter hinter der blonden SEED auf und warf sich um ihren Hals. „Das war haarscharf!“, lachte er, deutlich erleichtert.

Sie konnte seine merkwürdige Freude nicht so recht teilen. „Allerdings! Du hättest jetzt genauso gut tot sein können, Xell, ist dir das klar?“

Sein Lachen versiegte, und er rückte von ihr ab. „Ist doch alles gut gegangen…“

„Hört auf“, mischte sich Squall konsequent zwischen sie. „Lasst uns schauen, ob die beiden Leute in Ordnung sind.“

„Du hast Recht“, lenkte Quistis pflichtbewusst ein.

Sie beeilten sich, zu den zwei vom Protes Beschützten zu gelangen. Die lagen auf dem nach Feuer und Rauch riechenden Boden, versuchten aber gerade, sich aufzurichten. Offenbar war ihnen noch gar nicht richtig bewusst, was soeben geschehen war. Squall, Quistis und Xell erlebten eine Überraschung.

Ihr?“, stieß Letzterer erstaunt aus.
 

Sie wanderten den ganzen Tag lang durch die Wüste und schließlich über die weiten, grünbewachsenen Ebenen. Die Monster waren nicht mehr als Desserts für Cifers hungrige Hyperion, sodass der dauernde Fußmarsch im Grunde beschwerlicher war als die Kämpfe. Hin und wieder bestand Ellione auf Pausen, obwohl sich Cifer sicher war, dass sie gar keine brauchte. Dann setzte sie sich nieder und betrachtete ihn, als würde sie darauf warten, dass er etwas sagte. Er sagte aber nichts. Ihr Mund formte ein kaum sichtbares Lächeln, sie stand auf, und sie setzten die Reise fort. Erst am Abend, da sich die Sonne nach der langen Wanderung in ihr rot strahlendes Bett am Rand des Horizonts legte, erblickten sie Deling City. Cifer setzte sich in Bewegung.

„Warte.“

Er blieb stehen.

Ellione trat an seine Seite und schaute mit dem Interesse einer ehrgeizigen Studentin auf den angeschwärzten Ärmel seines grauen Mantels. „Lass mich das ansehen.“

Sanft hieß sie ihn an, sich niederzusetzen. Ohne ein sträubendes Wort sank er auf das Gras. Sie kniete sich neben ihn und machte sich daran, seinen Arm von dem durchaus schweren Mantel zu befreien. Der Stoff klebte an der Haut, wo das heiße Öl des Tunnelmonsters ihn erwischt hatte, doch sie ging sehr behutsam vor. Ein resignierendes Seufzen war in ihren Augen zu lesen, da sie die beachtliche Brandwunde, welche sich unter dem grauen Material vor ihrem vorwurfsvollen Blick verborgen hatte, nun entdeckte.

„Und damit bist du die ganze Zeit herumgelaufen.“

Er antwortete nicht. Über Verletzungen zu klagen, die diese Bezeichnungen kaum verdienen, wenn man SEED werden will, war eher Xell-Style.

Ellione führte eine Hand unmittelbar über die lädierte Schulter und sprach einen leichten Eis-Zauber aus. Cifer wollte ihr nicht die Genugtuung bereiten, vor Entspannung zu seufzen, doch er schloss die Augen und genoss die Wirkung der Kühle in der Annahme, sie würde es nicht zur Kenntnis nehmen.

Im nächsten Moment zischte er unüberhörbar auf, als Ellione ohne jede Vorwarnung ihre kleine Faust auf die Blessur fahren ließ. Seine Augen schlugen auf und visierten sie mit leidenschaftlicher Wut. „Verdammtes Miststück!“

Ihr Blick hatte etwas ungewohnt Triumphierendes, während er dem seinen unerschrocken standhielt. „Es tut also doch weh. Warum müsst ihr Kämpfer immer auf stark und unantastbar machen?“

Sie zog sich das frühlingsgrüne Tuch von den Armen und hielt es ihm auffordernd entgegen. Mit der Hand des anderen Arms zog er die Hyperion einen Spalt weit aus der Scheide. Sacht ließ Ellione den Schleier über die fast schwarze Klinge gleiten; der Stoff umhüllte sie für wenige Sekunden, ehe sie ihn sauber in zwei Teile trennte. Cifer löste den Griff um die Pistole, und die Gun-Blade rutschte zurück in ihre Hülle.

„Es reicht ja, wenn ihr Mädchen rumflennt“, konterte er lustlos.

„Manchmal seid ihr aber auch einfach nur zum Heulen“, gab seine Gefährtin mit einem leisen Glucksen zurück.

Sie verband die Verletzung. Er beobachtete, wie sie den schimmernden Stoff rasch und fest um seinen Oberarm wickelte. Eine Böe streifte knapp über die Gräser hinweg, als fahre ein Vater seinem Spross lobend durch das Haar.

„Was ist eigentlich passiert“, setzte Cifer an, „als wir uns auf Balamb verloren haben?“

Sie hielt inne. Da wusste er, dass sie ihm etwas verschwieg, worauf zu erfahren er ein Recht hatte.

„Antworte“, forderte er sie mit erwachender Spannung auf. „Du weißt etwas über dieses Monstermassaker, hab’ ich Recht?“

Ihre Augen blieben auf die Wunde geheftet.

Antworte!“

Noch konnte er nicht ahnen, dass sie nicht deswegen nachgab, weil sein militärischer Ton sie erschreckte. Manchmal – das sollte er lernen – sei es besser, etwas nicht dem Schutz des Vergessenen entreißen zu wollen.

„Hey, Kopplungsmaschine! Antworte mir gefälligst!“

„Moment“, sagte sie endlich. Ihre Stimme gab sich besonnen, doch sie merkte sich selbst an, dass es nur eine Rolle war, die zu spielen sie nicht lange befähigt sein würde. „Lass es mich dir zeigen.“

Cifer begriff schnell. „Wieder eine deiner Traumreisen? Vergiss es, Mädchen! Ich will das nicht!“

Aber Ellione achtete nicht darauf, was er jetzt wollte und was nicht. Eben noch hatte er darauf bestanden, die Wahrheit zu erfahren, und das sollte er nun. Bevor er das nächste Mal zwinkerte, hatten sich ihre Gedanken bereits von ihren Körpern gelöst und reisten durch Raum und Zeit.
 

„Andererseits machte ich hin und wieder von der Möglichkeit Gebrauch, den Menschen diese unverfälschte, selbst zu erlebende Wahrheit vor Augen zu führen, damit sie verstehen. Oft sind es Missverständnisse, die zu Auseinandersetzungen führen. Wenn ich versuche, ihnen diese zu verdeutlichen, indem ich nichts anderes unternehme als es ihnen zu zeigen, und auf diese Weise große oder kleine Kriege verhindern kann, ist es dann falsch?“

Er vermied es, sie anzuschauen. „Fragst du mich, was falsch ist? In euren Augen bin ich doch der bedauernswerte Idiot, der sich von der Hexe hat über den Tisch ziehen lassen. Quistis lässt sicher keine Gelegenheit aus, jedem feierlich zu verkünden, wie furchtbar schlecht ich bin.“

Sie lächelte. „Es gibt vieles, das du missverstanden hast. Du lässt nicht los. Das ist der Grund, aus dem du noch hier bist. Wann wirst du aufwachen, Cifer? Wann?“
 

„Wach auf!“
 

„Was redest du da?“ Er schwang herum, doch gerade, als er sich ihr zugewandt hatte, verloren seine Füße den Halt. Er fiel auf die Knie. Ellione warf sich an seine Seite, besorgt. Rief nach ihm.
 

„Ich bitte dich! Bitte! Wach endlich auf!“
 

Diese Stimme schon wieder.

Er schleuderte sie von sich. Kämpfte sich in den Stand und fasste nach seinem Kopf. Schier aus heiterem Himmel stürzten Scharen von Monstern auf sie ein. Irgendetwas – unvorstellbar in diesem Frieden auf der Alclad-Ebene – hatte sie aus der Fassung gebracht. Vollkommen durchgedreht, mit der Brutalität eines Archeodinos, gingen sie auf ihn los. Ellione schrie, schrie seinen Namen.
 

„Ich will dich… nicht verlieren…“
 

Unfähig zu begreifen, wurde Cifer Zeuge seinerselbst, wie er mit unerklärlichem Vergnügen an diesem verwirrenden Spektakel die Gun-Blade umherschwang, ein Monster nach dem anderen mit ihr zersägend. Sterbende Körper zerbrachen auf dem Grund, und bald schien der Boden selbst zu bluten. Ein Tanz mit den schon todgeweihten Monstern, ein Spiel mit ihrem wahnsinnigen Hass auf ihn. Und ein Gefühl, das so abstoßend und so anziehend zugleich ihm alles andere als neu war. Der rote Lebenssaft seiner Opfer spritzte an die Stämme der umliegenden Bäume, benetzte die Grashalme. Auch an seiner Gun-Blade, seinem Mantel hatte er gehaftet – daran erinnerte er sich. Wohin er blickte: Überall Blut, Blut, Blut und Monster. Tote Monster. Tot. Aufgeschlitzt. Aufgerissen. Entweidet.

Unmöglich…

Ellione, mit vor höllischem Entsetzen starr geweiteten Augen, trat vorsichtig zurück – vibrierend, als würde der Boden unter ihr beben. Als sie sich weit genug von ihm entfernt hoffte, wirbelte sie herum und rannte davon.

Wie von dem Blitz eines angsteinflößenden Gewitters für die Dauer einer Sekunde erhellt, tauchte das Bild der zahllosen toten Soldaten auf, welche die Hexe Edea ihm vorgeführt hatte – damals im Galbadia-Garden.
 

„NEIN! DU LÜGST!“

Ohne Elliones Reaktion zu beachten, rammte er die Fäuste in die unerträglich friedvolle Wiese des schlafseligen Abends.

„So ist es gewesen“, sprach sie ruhig. „So… und nicht anders.“

Da seine Augen den ihren begegneten, strahlten die zornigen Flammen in seinem Blick eine intensivere Hitze aus als die untergehende Sonne. Das Angelegentliche an der Sache war nicht die Erkenntnis, dass er die ganzen Viecher abgeschlachtet hatte – sondern dass er sich überhaupt nicht daran erinnern konnte!

Ellione wollte eine Hand auf seine Schulter platzieren, doch ehe es dazu kam, schlug er sie rasend aus. „Lass mich!“

„Lass es nicht wieder so weit kommen“, ermahnte sie ihn. Ihr musste bewusst sein, dass es – was immer genau es war – jederzeit wieder passieren konnte. Nur würden dieses Mal keine Monster in der Nähe sein, die seine Aggression abfangen würden.

„Wieso weiß ich das nicht mehr? Was geht hier ab?“

„Das werden wir herausfinden“, versuchte sie ihn zu ermuntern. „Wir gehen der Sache…“

„ICH BIN NICHT VERRÜCKT!“, fuhr er sie an, dass selbst die gefasste Ellione sichtbar zusammenzuckte und einen Laut des Schreckens nicht vermeiden konnte.

„Das vermutet auch niemand“, hielt sie ihm entgegen, obwohl ihre Fassade wankte.

„Ich weiß, woran es liegt!“ Wutentbrannt sprang er auf. „Das liegt an den Scheißbildern, die du mich immer wieder sehen lässt, seit wir uns getroffen haben!“

Elliones Pupillen zitterten. Nicht aus Angst. Eher aus… Empörung. „Wovon sprichst du? Ich habe dein Bewusstsein nicht versendet! Bevor du darauf bestanden hast, zu erfahren, was in Balamb vorgefallen ist, habe ich keinen Gebrauch mehr von meiner Fähigkeit gemacht!“

„Vielleicht hast du’s selbst gar nicht mitgekriegt!“

„Ich bitte dich, Cifer! Sei vernünftig!“

Schwungvoll hob er den Arm und richtete ihn gegen sie, als wollte er den König der G.F. auf sie beschwören. „Mach mir nichts vor, du Schlampe! Du bist die Einzige, die dazu in der Lage ist!“

Seine Worte trafen sie tief, was Lagunas Adoptivtochter jedoch nicht davor zurückschrecken ließ, dem Rasenden Paroli zu bieten! „Du weißt, dass es mein Ziel ist, ein Leben ohne Verwendung dieser Fähigkeit zu führen! Warum sollte ich mir selbst Steine in den Weg legen? Und warum ausgerechnet für dich?“

„Weiß ich’s?!“, schmetterte er zurück. „Vielleicht willst du mich genauso manipulieren wie damals deinen Ziehpapa!“

Dir wäre selbst dadurch nicht mehr zu helfen, Cifer!“

„Was willst du damit andeuten?! Sprich dich aus! Los!“

„Dass du dir nur noch selbst helfen könntest! Wenn du das endlich einmal einsehen würdest! Aber du wartest immer noch darauf, dass dir jemand all deine Probleme nimmt – dass jemand sie einfach wegzaubert!“

„Alle Probleme, die sich mir in den Weg stellen, werden Opfer meiner Gun-Blade!“

Sie keuchte erbost. „Das redest du dir gerne ein! Doch tatsächlich schiebst du die Schuld für deine Probleme immer auf andere!“

„Nein!“, bellte er. „Ich stelle mich meinen Problemen immer selbst!“

„Das ist nicht wahr!“, rief sie ihm entgegen.

„Wann?“, verlangte er daraufhin zu wissen. „Wann habe ich sie jemals auf andere abgewälzt?!“

„Vor wenigen Minuten, Cifer!“

Sie schnauften sich gegenseitig an und registrierten jetzt, wie nahe sie dem anderen gekommen waren, als hätte ihr Streiten nicht bereits die schläfrigsten Cockatrices aus ihren Büschen gescheucht. Als der gegenwärtige Umstand und das, was diesem vorausgegangen war, gänzlich in ihr Bewusstsein gedrungen war, ließen sich beide zurückfallen und versuchten, sich in angespanntes Schweigen zu hüllen. Allmählich entspannten sich auch ihre Haltungen aus reiner Erschöpfung. Cifer wurde klar, dass er seine gerade erst genesende Würde wieder großer Gefahr ausgesetzt hatte, und dass sie in der Tat nicht ohne Schaden davongekommen war: Schon wieder hatte er sich verhalten wie ein ungezogenes Kind, das seinen Willen nicht durchsetzen kann.

Er sah Ellione innerlich mit ihren Gefühlen ringen, aber sie trösten oder sich entschuldigen wollte er nicht. Er hatte nie gelernt, wie man so etwas tut, von daher war er überzeugt, dass es – würde er es versuchen – nur affektiert und lächerlich wirken würde. Er winkelte die Beine an und legte die Arme lässig darauf ab.

„Kannst du das fertig machen?“, fragte er dann und nickte dem grünen Stoff zu, der ihm teils noch lose vom Arm hinabhing.

Selbst jetzt noch bemerkenswert elegant, glitt sie, ohne ihn einmal anzusehen, an seine Seite und wickelte den Verband fest, band eine Schlaufe hinein. So beschäftigt nahm sie nicht zur Notiz, dass Cifer sie eingehend musterte. Ihr so nahe, konnte er sich dem Duft ihres brünetten Haars, ihrer hellen Haut nicht entziehen. Ihre Haut war makellos – er entdeckte keinen einzigen Pigmentfleck, keine Unebenheit; wie eine Puppe; als wäre sie gar nicht real. Sanft wie Seide schimmerte ihr Gesicht in den goldenen Strahlen der späten Sonne. Unter dem Vorhang ihrer sich in der Erregung gelösten Frisur suchten sich zwei große, braune Augen vor ihm zu verbergen. Trotz ihrer seiner Wunde geltenden Aufmerksamkeit fuhren die Pupillen unsicher hin und her – doch darauf, dass sie aufschauten, wartete er erfolglos. Kaum merklich hob sich ihre Nase aus dem runden Antlitz, und ihre Lippen glänzten, als habe jemand Honig auf sie gestrichen. Sie war irgendwie…

Irgendwie…

Nicht schön – das war nicht das Wort, nach dem er suchte. Halt, Korrektur: Natürlich war sie schön, aber es war nicht das, was ihm gerade an ihr auffiel. Ungeachtet ihrer zweiundzwanzig Jahre war sie… wirkte sie…

[Schutzbedürftig]. Das war es. Sie wirkte schutzbedürftig. Einsam, ohne Heimat und fragil. Wie ein Schmetterling im Winter, der nicht weiß, wie er ihn überstehen soll. Ein Schmetterling, den man vor der drohenden Kälte bewahren muss, ohne ihm die Freiheit zu rauben; den man halten muss, bis der Winter vorbei ist und der erste Apfelbaum seine Blüten öffnet.

Langsam hob er seinen freien Arm, führte die Hand zu ihrem Kinn und hob es an. Endlich fixierten ihre Augen ihn, spiegelten den verwunderten Ausdruck der seinen. Er wollte, dass die Welt anhielt, und die Welt hielt an. Die Brise rührte sich nicht mehr, und die ersten Sterne hörten auf zu blinken. Das Gras schien in seinem jähen Schweigen zu sterben. Die Sonne versank nicht hinter dem Horizont. Einfach die ganze Welt hielt den Atem an, während er entschied, dass ihr Unrecht widerfahren und dass es an der Zeit war, ihre stille Geduld zu entlohnen, es zumindest zu versuchen, denn mehr als sich selbst konnte er ihr nicht hingeben, als er sie mit ungeahnter Achtung zu sich zog. Ihr Blick wechselte von Überraschung zu Erstaunen, schließlich zu Einverständnis, bevor sie die Augen in vollstem Vertrauen schloss. Zentimeter vor dem Erlebnis tat er es ihr gleich.
 

„Wo ist er?“

Acht Augen richteten sich auf den strohblonden Faustkämpfer.

„Wenn ihr hier seid, dann ist er nicht weit! Also: Wo versteckt er sich? Wo ist Cifer?“

„Mal nicht in der Nähe“, antwortete Rai-Jin nüchtern. „Wir suchen ihn mal auch.“

„Grund?“, fragte Fu-Jin mechanisch, und wie immer übersetzte ihr Bruder sie jenen, die sie nicht verstehen konnten: „Yo. Aus welchem Grund sucht ihr ihn mal?“

„Das können wir euch jetzt nicht sagen“, wies Squall ihn in höflicher Tonlage ab. Grundsätzlich hatte er nichts gegen die zwei. „Ihr werdet es später erfahren. Habt ihr eine Ahnung, wo er sein könnte?“

„Positiv“, antwortete Fu-Jin.

„Ja, allerdings!“, bestätigte sie der braune Hüne und fletschte die Zähne zu einem überheblichen Grinsen, bei welchem sich Squall sicher war, zu wissen, von wem er es hatte. „Aber wir werden euch mal nichts sagen.“

„Warum nicht?!“, wollte Xell wissen, der schon wieder auf 180 war, sodass der Truppenführer nach seiner Schulter griff, um ihn vor einer eventuellen, voreiligen Aktion zu bewahren.

„Weil wir mal nicht eure Informanten sind. Das ist mal ’ne Sache, die geht nur Cifer und uns was an. Mal nix mit SEED und so.“

„Falsch“, korrigierte Squall ihn. „Es geht uns sehr wohl was an. Er steht unter Verdacht, die Tochter des Präsidenten von Esthar entführt zu haben. Und er…“

Rai-Jin unterbrach ihn mit seinem schallenden Gelächter. „Das glaube ich mal nicht!“, brachte er zwischen den einzelnen Schüben hervor. „Wenn Cifer mal keinen Grund für so was hat, dann macht er das mal nicht!“

„Was macht euch dessen so sicher?“, hakte Quistis skeptisch nach. „Kennt ihr Cifer denn wirklich? Ich glaube, niemand kennt ihn gut genug, um zu wissen, was in seinem Kopf vorgeht.“

Der große Mann klopfte sich auf seinen stahlharten Oberkörper. „Eure eigenen Freunde nicht zu kennen, weil ihr einander nicht vertraut, das gibt es mal nur unter euch, die ihr keine Ahnung von echter Freundschaft habt. Cifer, Fu-Jin und ich, wir drei haben mal so viel zusammen erlebt, dass wir manchmal schon glauben, eine Einheit zu sein. Wir sind mal ein Team!“

„Ein Team?“, echote Xell.

„Team [Tombery]!“, posaunte Rai-Jin stolz.

Xells Kinnlade fiel hinunter wie eine Schale voller Steine. Niedergeschlagen drehte er sich zu seiner Kameradin um. „Woah! WOAH! Team Tombery…“

Die verschränkte die Arme und schloss die Augen vor diesem beschämenden Anblick. „Xell, ist ein Mogry wirklich so ein Problem für dich…?“

Squall quittierte das kleine Drama zwischen seinen Freunden mit einem nuanciert genervten Seufzen, ehe er sich wieder dem halben Ordnungsdienst hinwandte. „Ihr müsst uns unbedingt sagen, was ihr wisst. Es geht um Elliones Sicherheit.“

„Wir sagen mal Nein“, gab Rai-Jin leichtfertig zurück. „Uns ist Ellione mal egal. Wegen ihr werden wir mal nicht unseren Freund verraten.“

Da schreckte Xell auf und zeigte mit schwungvoller Geste auf sie, als hätte er soeben erst festgestellt, dass sie da waren. „Die wissen was, Squall!“

„Kampf?“, fragte Fu-Jin mit stürmischem Blick. Sie schien zu ahnen, dass Squall sich die Informationen, die er haben wollte, um jeden Preis holen würde.

„Wenn es sein muss?“, antwortete der SEED-Chef und zog das Löwenherz. „Stellt euch darauf ein, dass wir keine Gnade zeigen werden.“

Seine Mitstreiter pflichteten ihm durch das Demonstrieren ihrer Waffen bei. Doch auch von der anderen Seite war kein Rückzieher zu erwarten.
 

Mit ausgestreckten Gliedern lag Ellione im Gras und sah in den tintenblauen Himmel, aus dem die Nacht ihren Blick mit ihren abertausenden winzigen Augen erwiderte, welche sich in der Zwischenzeit geöffnet hatten. Sie empfand solche Entspannung, dass nicht einmal einem Lächeln die Möglichkeit gewährt wurde, ihre Lippen anzustrengen, wie zufrieden sie nun auch war. Kein Monster wagte es, das stumme Lied der Nacht zu stören, als hätten selbst die in dem Kampf ihren einzigen Lebensinhalt findenden Mondgeborenen sich einmal zur Ruhe gelegt. Heute – so war ihr – hatte das Schicksal – das unbestechliche, das niemals mit sich reden lässt – ausnahmsweise die Fenster in seinem unvorstellbar großen Labyrinth, in dem sich jeder Mensch, jedes Tier, jedes Monster zeit seines Daseins zurechtfinden muss, geöffnet, sodass von den streng determinierten Wegen abzuweichen war, und Ellione meinte, diese Chance genutzt zu haben. Ausgefüllt, mit sich selbst im völligen Einklang, dem Leben freudig entgegensehend, drehte sie ihr Haupt müde zur Seite.

Cifer stand auf einer kleinen Anhöhe, nicht weit von ihr, und wandte ihr gerade den Rücken zu. Der erquickende Wind trug sogar seinen schweren, grauen Mantel, fuhr durch sein platinblondes Haar. Sie wusste, dass er auf Deling City schaute. Sie wusste auch, dass er in diesem Augenblick eine Menge Erinnerungen durch sich ziehen ließ. Es war bestimmt nicht einfach. Aber es musste sein, wenn er sein Ziel erreichen, wieder zu sich zurückkehren wollte. Dieses Mal war es an ihm, aufrichtige Stärke und wahren Mut zu beweisen – an ihm allein. Ellione glaubte fest daran, dass es ihm gelingen würde. Sie wünschte es ihm, dem verlorenen Sohn, dem ewigen Anwärter. Dem Rebellen, dem Begleiter, dem Beschützer.
 

Dem [Hexen-Ritter].

We're the Posse!

„Seid ihr echt bereit, für ihn draufzugehen?“

Xell kratzte sich am Hinterkopf und blickte abwartend auf die beiden Geschwister, welche am Ende ihrer vereinten Kräfte waren.

„Rückt endlich raus mit der Antwort, sonst mache ich meine Drohung wahr“, warnte Squall sie und wischte sich das Blut vom Kinn.

„…Du verstehst das mal nicht“, kam es endlich aus der Richtung von Rai-Jins gesenktem Haupt. „Du verstehst das mal echt nicht, oder?“

„Was soll man da noch groß verstehen?“, erwiderte der kühle SEED ungeduldig.

„Eine Entführung… Ärger stiften aus Langeweile… Das ist mal nicht Cifer. Ihr sucht mal nach dem Falschen.“

„Wir wissen definitiv, dass er auf der Suche nach Ellione ist“, ließ Quistis sie wissen, womit für sie feststand, dass Cifer Ellione entführen wollte.

Nur Xell erinnerte sich an seine Worte: Sie hat mich als Eskorte beordert. Und dem Job leiste ich nur Folge. Ob da etwas Wahres dran war? „Hey, Leute“, begann er vorsichtig, um seinen Freunden die Vermutung mitzuteilen, aber wie immer, wenn Xell einen klugen Schluss gezogen hatte, schenkte man ihm kein Gehör.

„Und?“ Rai-Jin zuckte die breiten Schultern ob der Aussage jener Lehrerin, die er ohnehin nie wirklich hatte leiden können. „Nur weil es mal Cifer ist, der nach jemandem sucht, ist es gleich ein Verbrechen. Was ist mal mit euch? Ihr sucht sie doch auch mal, oder nicht?“

„Das ist etwas anderes!“, erwiderte Quistis sofort. „Cifer ist anders!“

„Gut so!“, meinte Fu-Jin.

„Ja“, pflichtete Rai-Jin ihr bei. „Wäre mal schlimm, wenn er mal so wäre wie ihr.“

„Anders auf negative Weise!“, versetzte Quistis sauer.

Da richtete sich Rai-Jin zu voller Größe auf. „RUHE!“

Odins finstere Ankündigung "Eisenschneider" hätte nicht furchteinflößender klingen können. Jedenfalls fand Xell das, der ein paar Schritte zurückstolperte. Auch Quistis war verstummt und ihr Gesicht ein wenig blasser geworden. Nur Squall stand noch felsenfest auf seinem Platz, dass Xell sich fragte, wie er das wohl machte.

„Ihr seid mal versessen darauf, in ihm einen schlechten Kerl zu sehen“, brummte Rai-Jin nun etwas beherrschter, was allerdings keine Garantie dafür gab, dass er nicht erneut vor Wut explodieren würde. „Cifer hier, Cifer dort. Wenn es mal ein Problem gibt, dann ist immer mal er der, der es verursacht hat. Mag sein, dass er in der Vergangenheit mal nicht ganz korrekt gewesen ist, aber das ist jetzt vorbei. Das könnt ihr mir mal glauben. Ist doch so, Fu-Jin?“

„Positiv“, bestätigte die silberhaarige Dame roboterhaft.

„Wir sind nur auf alles vorbereitet“, erklärte ihnen der Anführer der Söldnertruppe und stemmte eine Hand gegen seine Hüfte. „Egal, was – Cifer hat etwas mit dieser Sache zu tun. Und im Hinblick auf seine bisherigen Verfehlungen müssen wir davon ausgehen, dass er wieder etwas anstellt.“

„Du redest mal über ihn, als sei er ein Kind“, stellte der stämmige Braune, auf Squall hinunterschauend, mit Missfallen fest.

„Er ist eines!“, warf Quistis ein. „Und ich bezweifle, dass er jemals erwachsen wird.“

„Ihr lasst ihm ja mal keine Zeit dazu“, entgegnete Rai-Jin. „Ihr jagt ihn mal wie ein Monster.“

„Jetzt mal Butter bei die Focarols, Leute!“, mischte sich nun Xell ein und richtete die Gedanken der Freunde wieder auf das Wesentliche. „Wir haben Besseres zu tun, als hier rumzustehen. Wenn die nicht reden wollen, müssen wir eben Tacheles machen!“

Squall hob das Löwenherz zum Kampf an. „Es tut mir Leid, aber ihr habt keine Wahl. Wir müssen Cifer so oder so finden, weil Ellione in seiner Nähe ist. Vielleicht werden wir kämpfen. Ich kann euch nicht versprechen, dass ich ihn schonen werde. Macht euch also besser keine Hoffnungen in die Richtung. Nehmt es einfach hin.“

Die Geschwister antworteten in lautlosen Gesten, die keiner der drei SEEDs einzuordnen vermochte.

„Das können wir mal nicht“, sagte Rai-Jin schließlich. Er wirkte ratlos. „Cifer ist unser Freund.“

„Manchmal sucht man sich eben die falschen Freunde aus“, spielte Squall bitter auf Rinoas Beziehung mit dem Möchtegern-Ritter an.

„Wir haben uns ihn mal nicht ausgesucht. Er hat uns mal gefunden. Und seitdem folgen wir ihm.“

„Wieso?“ Das war etwas, das Xell sich schon lange und oft gefragt hatte. „Was hat er für euch getan, dass ihr für ihn sogar draufgehen würdet?“

Eine merkwürdige, fast friedliche Ruhe nistete sich ein. Squall, der ihr keineswegs Vertrauen schenkte, hielt seinen Blick fest auf das Geschwisterpaar geheftet und schien nicht einmal zu blinzeln. Längst hatte er sich dieses menschlichen Habits entledigt, beherrschte er sein Mienenspiel mit solcher Diamantenhärte wie seine meisterhaft geführte Waffe. So registrierte er auch – ehe es für die Augen der anderen bemerkbar wurde – dass sich Rai-Jins Mundwinkel veränderten. Nahezu sanft glitten sie nach oben. Er lächelte! Innerlich war Squall darüber sehr erstaunt. Er konnte sich nicht daran erinnern, den Kraftprotz jemals lächeln gesehen zu haben! Er kannte Rai-Jins zähnezeigendes, triumphales Grinsen, das wie eine überspitzte Karikatur dessen seines Vorgesetzten wirkte, und das donnertrommelnde Gelächter, das durch den ganzen Garden hallte, würde er auch nicht vergessen. Aber dass der Hüne lächeln konnte, war ihm völlig fremd.

Allmählich wurden sich auch Quistis und Xell dieses Wunders gewahr. Ihre Augen und Münder dehnten sich langsam aus.

„Squall!“, rief Rai-Jin. „Du kennst die Geschichte gar nicht, wie wir in den Garden und zum Ordnungsdienst gekommen sind, nicht wahr?“

Nein. Eigentlich nicht. Sie waren einfach da gewesen. Aber es hatte ihn auch nie interessiert. „Geht mich nichts an“, antwortete er.

„Gut erkannt“, stimmte ihm der Große fast freundlich zu. „Und doch will ich sie dir jetzt mal erzählen.“

„Und wenn wir sie nicht hören wollen?“, wollte Xell ihn provozieren und trat mit geschwellter Brust an ihn heran, offenbar vergessen habend, dass er derjenige war, der danach gefragt hatte. Doch bevor er den sicheren Stand erlangte, stellte Fu-Jin ihm kurzerhand das Bein und beförderte ihn prompt auf den von Ifrit im Gefecht verkohlten Boden.

„Die zweite SEED-Prüfung von Cifer?“, fragte Rai-Jin.

„Ein Auftrag von Galbadia“, kam es von Squall wie auf Befehl. „Sie brauchten Aushilfskräfte für den Ausbau der Soldatenbasis in der Kashukbaar-Wüste auf dem südlichen Kontinent. Es sollte unsere erste gemeinsame Prüfung werden, aber ich wurde krank und konnte deswegen nicht mit.“

Von wegen krank! Verletzt wurde er, und zwar von niemand anderem als Cifer Almasy persönlich, der sich ironischerweise auf die Teamarbeit gefreut hatte. Das jedenfalls hatte er ständig großspurig herausposaunt, dabei immer ein amüsiertes Lächeln aufgesetzt, als meinte er es dann doch nicht ernst. Er war oft – ob seiner offenen und nicht zu ignorierenden Art – kaum zu durchschauen gewesen – so wusste Squall bis heute nicht, ob die damalige Verwundung im Training versehentlich oder vielleicht beabsichtigt war, um ihn aus der praktischen Prüfung zu schließen. Im Nachhinein war er Cifer deshalb aber nicht besonders böse gewesen, denn Galbadia hatte die SEED-Kadetten zu mager bezahlten Gehilfen herabgestuft, deren ruhmreichste Aufgabe darin bestand, ein paar Kaktoren und Abyss-Würmer von der noch wenig resistenten Basis fernzuhalten, die als Stützpunkt dienen sollte, von dem aus Galbadia eine militärische Nähe zum feindlichen Nachbarstaat Esthar hätte errichten können, wäre da nicht…

Ja, wäre da nicht Cifer gewesen.

Squall wusste es vom Direktor und den buchstäblich sagenhaften Wiedergaben mitteilungsbedürftiger Schüler. Sein Rivale hatte es unnachahmlich verstanden, durch die aberwitzigsten und ungewöhnlichsten Aktionen immer wieder neu aufzufallen und eine eigenartige Berühmtheit zu erlangen.

„Genau“, versicherte Rai-Jin seine Erinnerung. „Aber Cifer war mal unter den Anwärtern. Die Aufgaben in der Basis haben ihn mal nicht lange gefesselt, also nahm er sich frei von der Arbeit, und da haben wir uns mal auf dem Hof getroffen. Ich mochte ihn nicht und habe ihm deswegen mal eine runtergehauen, aber das hat ihn mal gar nicht eingeschüchtert.“

„Und so seid ihr plötzlich Freunde geworden oder was?“, fragte Xell skeptisch.

Er winkte ab. „Nee. So schnell geht das mal nicht, bei echter Freundschaft. Hört zu, ich erklär’s euch mal…“
 

Missbilligend rieb sich der Blonde über die schmerzende Wange und funkelte ihn an. „Suchst du Streit?“

„Deine Fresse stört“, grinste Rai-Jin mit gegen die Hüfte gestemmten Armen. „Ich dachte, ich tu’ der Welt ’n Gefallen, wenn ich ma’ kräftig reinschlage!“

„Und? Geht’s der Welt jetzt besser?“

Statt zu antworten, stieß der braunhäutige Hüne ein gekonnt bösartiges Gelächter aus.

„Ich sag’ dir was: Ich habe hier Aufsicht, und solche Typen wie dich werde ich auf diesem Gelände nicht dulden“, mahnte Cifer ihn angeschwärzt. „Wenn du dich also nicht vom Acker machst, werde ich dir Manieren beibringen. In meinem Stil.“

„Alles klar! Dann lass doch ma’ was sehen, Blondie!“

Das musste er kein zweites Mal hören. Er setzte auf den Rüpel zu und ließ die Gun-Blade in seine Richtung fahren, aber Rai-Jin reagierte schnell, packte die flachen Seiten der schwarzen Klinge zwischen die riesigen Hände und verbot seinem Kontrahenten so, sie zurückziehen zu können. Dann sammelte er sich, riss die gefangene Waffe nach oben und warf sie samt ihrem Halter über seine Schultern hinweg nach hinten. Weil er annahm, dass sich die Sache damit erledigt hatte, bemerkte er nicht, wie Cifer den Fall unter Kontrolle bekam, sicher auf den Füßen landete und sich unmittelbar erneut auf ihn stürzte, ihn in den Schwitzkasten nahm und die Schneide der Hyperion gefährlich nahe an seine Kehle stellte. Der Riese versuchte sich zu befreien, doch der Griff des Söldnerkadetten mit dem scharfen Blick war viel zu fest.

Rai-Jin war darüber äußerst überrascht und machte seinem Empfinden auch gleich Luft: „ICH BRING’ DICH SO UM!“

„Nur mit der Ruhe.“ Cifer lächelte kühl, amüsierte sich offensichtlich königlich. „Sag mir, was du hier zu suchen hast.“

„GEHT DICH ’N SCHEIßDRECK AN!“

„Wenn du hier weiter so herumbrüllst, hören dich die Soldaten. Die handeln nicht mit dir; die fertigen dich gleich ab.“

„HANDELN?!“, echote Rai-Jin stutzig.

„Handeln“, bestätigte der Kleinere. „Ich bin bereit, einen kleinen Deal mit dir einzugehen, Schokoladenherkules.“

„Worum geht’s?“, wollte besagter Halbgott aus Kakaobohnen wissen und wurde sogar ein wenig leiser, ohne dass seine gewaltige Stimme nicht trotzdem einen tiefen Hall erzeugte, der an über die Wolken rollendes Donnergrollen erinnerte.

„Du nennst mir das Anliegen deines Hierseins, ich lasse dich los und wir kümmern uns dann gemeinsam um dein Problem.“

„ICH WILL DEINE HILFE NICHT, ARSCHLOCH!“

„Du solltest aber nicht auf sie verzichten, falls du vorhast, die Basis hier zu überfallen oder so. Allein schaffst du keine Soldatentruppe.“

„HÄLTST’E MICH ETWA FÜR SCHWACH?!“

„Ich bin nur realistisch.“

„UND GLEICH SOWAS VON TOT, MISSGEBURT!“

Ein Funke der Wut blitzte in Cifers Augen auf; eine Augenbraue zuckte verdächtig. Langsam, aber sicher hatte er dieses Geschrei satt, ging ihm der Typ auf die Nerven, würde er sein freundliches Angebot überdenken. Er hatte es nicht nötig, sich mit einem Idioten einzulassen. Aber es war hier so verdammt langweilig.

„WAS GLOTZT’E SO, HUR…?!“

„SCHNAUZE!“

Für nicht länger als eine Sekunde nahmen die Pupillen des Größeren überrumpelte, fast verängstigte Maße an.

„Ein letztes Mal“, versetzte Cifer genervt. „WAS – WILLST – DU?“

Da funkte es. Nicht zwischen ihnen, sondern in Rai-Jins Gehirn. Er schaltete es ein. Eine Glühbirne leuchtete auf, als der Strom durch die ergrauten Zellen floss. Er hatte einen Einfall. Und er glaubte, dass der gar nicht mal so dumm war.

„Ich muss ma’ einen finden“, gab er unerwartet nach und wirkte auf einen Schlag ganz anders. „Einen, den ich gut kenne.“

Cifer machte keinen Hehl aus seinem Argwohn: „Du? Eine Visite? Willst du mich verarschen?“

„Nicht doch“, sagte Rai-Jin. „Ich will nur einen finden.“

„Und warum dann dieser ganze Aufstand?“

„Das ist nicht einfach ma’ so’n Besuch. Der, den ich suche, ist nicht freiwillig hier.“

„Ein Gefangener also?“

„Nicht so, wie du denkst. Derjenige muss gegen seinen Willen hier arbeiten. Als Offizier.“

„Wie kann man gegen seinen Willen Offizier sein?“, wunderte sich Cifer grinsend. „Und – was mich noch mehr interessiert – wieso sollte man nicht Offizier sein wollen?“

Die Antwort aus dem Mund des großgewachsenen Stockkämpfers traf den Gun-Blader absolut unerwartet: „Weil man [den Kampf meiden] möchte.“

Er blickte ihn regelrecht fassungslos an. Kam das gerade wirklich von diesem Muskelpaket?

Rai-Jin schnaubte. „Hilfst’e mir nun ma’ oder nicht?“

Endlich besann er sich. „Hab’ ich doch gesagt.“

Der bemantelte Mann ließ das Schwert unter dem grauen Kleidungsstück verschwinden. Leichtfertig, als wäre nichts jemals in der Lage, ihn aufzuhalten, spazierte er auf den Eingang der Basis zu und zeigte ihm dabei den Rücken. Wenn er wollte, könnte Rai-Jin ihn jetzt dem Erdboden gleich machen. „Hey.“

„Was?“

„Mich würde ma’ interessieren, wieso du das jetzt einfach so machst? Ich mein’: Eben warst’e doch noch voll auf Wache und so.“

„Wache halten ist langweilig“, erklärte er wie selbstverständlich. „Und diese ganze Aktion hier ist sowieso für’n Arsch. Ich kann Galbadia nicht ab. Wenn du willst, können wir die ganze Basis auch gerne in die Luft jagen. Hab’ ich nichts gegen.“

Vollidiot, dachte Rai-Jin.

Aber er würde ihn gut gebrauchen können, um sich der Soldaten zu entledigen und bis zum Offizier vorzudringen. Er würde ihm ein hervorragendes Schild bieten. Ihn könnte er opfern, ohne dass es ihm Gewissensbisse verursachen würde. Außerdem kannte der sich hier aus.

Rai-Jin folgte dem großmäuligen Kadetten grinsend, als dieser abrupt stehen blieb. „Da fällt mir ein: Ich muss noch etwas erledigen. Warte hier, Herk. Dauert nicht lange. Lass die Party bloß nicht ohne mich steigen.“

Na gut…?
 

„Und da seid ihr dann Freunde geworden oder wie?“, fragte Xell durcheinander und musterte den braunen Giganten aus sehr skeptischen Augenschlitzen.

„Ich bin mal noch nicht fertig!“, machte Rai-Jin ihn an, ließ sich jedoch nicht lange von seiner Geschichte ablenken: „Nachdem er zurück war, stießen wir mal mehr oder weniger gemeinsam in den Komplex vor. Und dann fanden wir ihn mal endlich.“

„Wen?“, hakte Xell nach und schien zu Quistis’ Leidwesen ernsthaft interessiert an der Story zu sein.
 

Ein Peitschenschlag. Ein Mann stürzte zu Boden.

„Disziplin!“

Eine Stimme, die die stehende Luft mit Eiseskälte spaltete. Sie hätte die Wände schneiden, Papier sauber trennen können. Cifer erinnerte sich nicht daran, jemals zuvor einen solch eisig-scharfen Ton vernommen zu haben – nicht einmal vom alten Yamazaki. Diese Stimme ließ selbst die Landschaft Trabias wie eine dürre Wüste dastehen, und jede Mesmerize-Klinge war im Vergleich ein lahmer Bumerang.

An der Seite seines neuen Gefährten lugte er in einen eindrucksvollen Trainingssaal. Es stank nach starker Ausdünstung, der Sauerstoffgehalt war schwindend und ließ selbst jenen, die nicht trainieren, aber atmen mussten, schwindelig werden. Wohin man sah, übten sich Männer am Ende all ihrer Kräfte in Liegestützen, Sit-Ups und Marathons, als hinge ihr Leben davon ab, dass sie in Bewegung blieben. Zwischen ihrem Japsen und Keuchen, Stöhnen und Röcheln mit zuverlässiger Regelmäßigkeit der Schall der Peitsche, auf den folgend wieder jemand zu Boden ging und nicht mehr aufstand. Seltener, aber wenn, dann unvergesslich, die Stimme, die „Aufstehen!“, „Disziplin!“, „Schwächling!“ oder „Strafe!“ rief – Worte, die wie Eiszacken durch den Raum schossen.

Cifer, den die Neugier gepackt hatte, reckte den Kopf und verengte die Augen, konzentrierte sie auf diese steif aufrechte, schmale Gestalt, die in der Mitte des Saales stand und von den umgekippten Soldaten umsäumt wurde. Es sah aus, als küssten sie ihr die Füße.

„Moment“, flüsterte er. „Ist das etwa ’ne Frau?“

„Das ist eine“, antwortete Rai-Jin ihm, ohne den Blick von dem Offizier zu lösen. „Fu-Jin, meine Schwester.“

„Nicht möglich“, erwiderte Cifer belustigt. „Ich weiß nicht, was mich mehr fasziniert: Die Tatsache, dass die Kleine für ’ne harte Ausbilderin viel zu schmächtig ist oder die, dass ihr beide Geschwister seid.“

„Wir sind keine richtigen Geschwister!“, stellte Rai-Jin aufbrausend klar. „Wir sind nur wie welche aufgewachsen. Seit ich denken kann, sind wir unzertrennlich gewesen. Bis diese ganze Scheiße hier ma’ angefangen hat!“

„Seit du denken kannst?“, betonte der angehende SEED die Aussage des Hünen, führte es jedoch nicht weiter aus.

„Außerdem täuscht ihr zartes Aussehen über ihre innere Härte hinweg!“

„Unübersehbar. Die haben es echt nicht leicht“, meinte Cifer schadenfroh.

„Sie gibt nur das weiter, was sie selbst ma’ erfahren hat“, klärte Rai-Jin ihn auf, der auf einmal frappierend ernst geworden war. Die Adern, welche sich deutlich von seiner Stirn, seinen muskulösen Armen abzeichneten, zeugten von seinem Kampf mit wieder emporsteigenden, starken Emotionen. „Sie kennt keine Liebe oder Freude. Sie kennt nur das hier. Nicht einma’ ich bedeute ihr noch was. Vielleicht erkennt sie mich auch gar nicht mehr. Ohne Pause hält sie sich hier auf und trainiert diese Arschlöcher, die sie festhalten. Sie hat keinen Freigang.“

„Hast du mal mit ihr gesprochen?“

Er nickte eifrig. „Ich hab’ schon oft versucht, ma’ mit ihr zu reden, aber irgendwie…“

Cifer führte sein Augenmerk zurück vom Bruder auf die Schwester und verstand. Diese unmenschliche Ausdruckslosigkeit in dem weißen, unnatürlich verhärteten Gesicht der Silberhaarigen mit der Augenklappe erzählte – wie viel sie auch zu verbergen suchte – eine klare Geschichte. Womöglich hatte sie ihre Existenz als Trainingsroboter und Hyne weiß was alles schlichtweg hingenommen, weil sie die Hoffnung auf Veränderung aufgegeben hatte.

„Das kotzt mich echt an.“

„Was?“

Ehe Cifer darauf hätte antworten können, registrierten sie in der schlagartig eingesetzten Stille den Blick der hellen Schönheit, welcher zweifellos auf sie gerichtet war. Blutrote Augen visierten sie tödlich.

„SCHEIßE!“, brüllte Rai-Jin sofort. „SIE HAT UNS ENTDECKT!“

Statt wie er in Panik oder Wut oder was immer das für eine Gefühlsregung darstellen sollte, die ihn derart laut werden ließ, auszubrechen, erhob Cifer sich, trat furchtlos aus seinem Versteck und näherte sich der ihn analysierenden Person mit gelassenen Schritten.

„Unbefugt. Betreten verboten“, stellte sie ihm zugewandt klar und schickte die Männer fort, welche sie trainiert hatte.

„Du bist die Schwester dieses… von Rai-Jin“, wollte er eine Unterhaltung beginnen. Ihre Augen schienen aufzuglimmen, als sie diesen Namen vernahm, und auch wenn sich sonst nichts an ihrer Haltung veränderte, so konnte er auf den Ausdruck ihrer Augen bauen, denn Augen lügen nicht. Niemals.

„Warnung. Betreten verboten“, wiederholte sie sich.

„Ich bin befugt. Ich arbeite hier, könnte man sagen.“

„Negativ. Identifikation fehlgeschlagen. Unbefugt.“

„Jaaa~“, räumte er mit gespielter Naivität ein. „Vielleicht hab’ ich irgendwo eine Tür verwechselt, aber…“

„Ruhe!“, herrschte sie ihn an und vollführte eine ausschweifende Geste mit der Hand.

„Du willst das hier doch gar nicht“, kam er nun zur Sache.

„Sektor verlassen.“

„Ich kann jetzt nicht gehen. Ich muss hier grad’ noch was zurechtrücken.“

In der nächsten Sekunde stieß Metall gegen Metall. Von irgendwoher hatte sie eine silberne Scheibe gezogen, aus der scharfe Klingen gefahren waren – ein Shuriken. „Beseitigung der Störung“, knirschte sie, bevor sich ihre Waffen voneinander entfernten.

Cifer presste die Finger um den Griff der Hyperion und fühlte, wie ihm zugleich warm und kalt wurde, als er Fenris’ gekoppelte Macht und seine eigene Kampfeslust wahrnahm. Es war jedes Mal auf’s Neue ein Empfinden, das zu beschreiben ihm nicht im Bereich des Möglichen zu liegen schien; ein Empfinden, so intensiv und intim, dass er meinte, niemand sonst hätte je auch nur etwas annähernd Ausfüllendes verspürt und als wäre dieses allein sein Besitz; etwas, das ihm niemand nehmen konnte. „Na von mir aus. Klären wir das Problem.“

Schon zischte Fu-Jin wie ein Pfeil durch den Saal. Schier schwerelos flog sie von Gerüst zu Gerüst und schleuderte ihr Shuriken diagonal auf ihren Gegner hinab, der anfangs erhebliche Schwierigkeiten damit hatte, das rotierende Geschoss abzuwehren. Er warf ihr einen Feuer-Zauber nach, doch sie parierte ihn geschickt mit einem Eis und rannte auf der Wand entlang, als hätte sie Saugnäpfe an den Sohlen, sprang endlich ab und mit einem gellenden Schrei auf ihn zu. Er wich aus, wirbelte die Gun-Blade herum und stieß sie gegen die Schneiden ihrer Waffe, dass es Funken regnete. „STIRB!“, schrie sie, befreite den Wurfstern aus der ringenden Umarmung und attackierte sogleich wieder, nur um erneut auf das fremde Eisen zu treffen, wie sie ein solches vorher noch nie erlebt hatte.

„Nun mal langsam!“, kam es amüsiert von dessen Besitzer, der jedem ihrer auf ihn einhagelnden Streiche verteidigend begegnete, selbst aber nicht zuschlug. Nun, wo er ein Gefühl für ihren Takt entwickelt hatte, war es ihm ein Leichtes, mit der Offizierin mitzuhalten.

Und da wusste sie, dass er einer dieser SEED-Anwärter war.

Sie hielt nichts von der Entscheidung ihrer Vorgesetzten, den Söldnerkadetten aus Balamb Zutritt in diese Basis zu gewähren. Die jungen Leute sollten hier nicht frei herumwandeln dürfen – geschweige denn an den Geräten pfuschen und schon gar nicht mit den Angestellten kokettieren, und das würde sie den Befehlsgebern auf ihre Art jetzt auch mitteilen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Menschen auslöschte.

Stahl rauchte, schnellte durch die Luft, silberne Schweife beschreibend. Als er zurückfiel, konnte Cifer die Hitze an der Klinge riechen. Durch den kaum sichtbaren Dampf hinweg ließ er seine Kontrahentin nicht aus den Augen. Sie keuchte. Er selbst auch.

Aber nur einer von ihnen sank letztlich vor Erschöpfung zu Boden.

Tick, tack. Tick, tack. Er wusste, dass irgendwo eine digitale Anzeige das Verstreichen einer halben Stunde anzeigte. Tick, tack. Tick, tack. Genau… jetzt.

Rai-Jins Mund stand sperrangelweit offen; seine Augen waren dem Beispiel gefolgt. Die gewaltigen Arme zu beiden Seiten gestreckt, leicht nach vorne gebeugt, als setzte er zu einem Flug an, stand er abseits der verebbenden Action und wirkte wie eingefroren. Wenn er das, was er sah, kommentieren wollte, so fand er jedenfalls keine Worte. Nicht die passenden, sollte man korrigieren, denn für ein langatmiges „Scheiße“ reichte es schließlich doch noch.

„In mir findest du deinen Meister“, sprach Cifer erhaben. „Nicht in Galbadia. Und ich verlange von dir, dass du dein Leben von nun an selbst bestimmst. Geh mit deinem Bruder und mach, was immer du machen willst.“

„Unmöglich“, erwiderte die junge Frau, doch es verfügte nicht einmal über die Hälfte ihrer vorhergehenden, frostigen Überzeugung. Es war, als hätte Cifer durch seinen Sieg einen bösen Geist aus ihr exorziert. Das schien auch Rai-Jin zu erkennen, denn endlich traute er sich aus seinem Versteck. „FU-JIN!“, brüllte er unglaubend.

„Rai-Jin“, gab sie zurück, und sie klang so neutral, dass der Hüne sich nicht länger halten konnte. Er stürmte los und schleuderte seine Arme um ihren zarten Leib, die doch mehr konnten als zuschlagen. Cifer glaubte, ihn sogar schluchzen zu hören – jedenfalls gab er ein äußerst merkwürdiges Grunzen von sich, das irgendwie beschämt klang. Er wollte die Wiederhabensfreude seines riesigen Freundes, welche so berührend, dass sie schon wieder lächerlich war, ungerne schmälern, aber seit dem Verstreichen der halben Stunde hatte er nicht aufgehört, die Ticks zu zählen. „Lasst uns jetzt schnell von hier verschwinden.“

Rai-Jin wirbelte ihm sein nichts kapierendes Gesicht zu. „Wieso?“

„Weil uns hier gleich alles um die Ohren saust.“

Nun ließ er Fu-Jin los und seinen Körper dem Gesicht folgen, breitete seine Extremitäten aus, dass er da stand wie ein Wild Hook mit der Miene eines Gespers. „WAAAAAS?!“

„Nun dreh nicht gleich durch.“ Der Balamb-Student steckte seine Gun-Blade ein. „Wir sollten es noch bis zum Helikopter schaffen.“

„WOVON ZUR HÖLLE FASELST’E DA EIGENTLICH?!“

Cifer antwortete ihm mit einem amüsierten, selbstgefälligen Grinsen – eines, das in seinem Garden einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hatte. Man – wie Rai-Jin noch feststellen würde – fürchtete es förmlich. Schon jetzt wusste er, warum. Ein schrilles Ringen wie von einem sehr aufdringlichen Wecker dröhnte durch die Räumlichkeiten.

„DER ALARM?!“

„Sprengstoff“, erklärte Cifer, stolz wie ein kleiner Junge. „Ich habe überall welchen angebracht und gezündet. In ein paar Minuten wird man uns nicht mehr vom Wüstensand unterscheiden können!“

Das also hatte er während seiner kurzen Abwesenheit getan!

„WARUM?!“, brüllte Rai-Jin, dass allein sein Atem die falbe Frisur des Kleineren durcheinanderbrachte.

„Hab’ ich dir doch erzählt: Galbadia kotzt mich einfach an.“

Obwohl die Antwort seine Irritation keineswegs beseitigt hatte, langte Rai-Jin nach der Hand seiner Schwester und folgte dem unglaublichen SEED-Anwärter. Auch wenn er ihn nicht ausstehen konnte: Jetzt musste er auf ihn vertrauen. Trotz dieses krassen Manövers schien er zu wissen, was er tat. Überhaupt drehte dieser Almasy wohl sein eigenes Ding, denn dass die Sprengung irgendwie im Sinne seiner Auftraggeber oder des Gardens war, daran glaubte Rai-Jin nicht für die Dauer eines Lidschlags.

„Die beiden fliegen mit.“

Unter ihnen zerbarst die galbadianische Basis mit einem augen- und ohrenbetäubenden Knall. Es rumpelte stark. Zischende Metallteile schrammten rachsüchtig über die Haut des Hubschraubers, und die zahllosen Kleinteile des Gebäudes wirkten auf den dunkelhäutigen Stockkämpfer wie ein in die spiegelverkehrte Richtung prasselnder Regen. Der Himmel färbte sich rot, grau, schwarz. Ihm war, als wäre die Welt gerade dabei, unterzugehen. Die totale Apokalypse.

„Ich hab’ Hunger“, offenbarte Cifer gelangweilt in die schreckerstarrte Runde, ehe er auf die beiden Plätze neben dem seinen wies. „Setzt euch doch.“

Die beiden ungleichen Geschwister landeten in einer ihnen völlig fremden Welt.

Das prächtige Gebäude des Gardens thronte vor malerischen Bergen, deren weiße Gipfel unter einer friedlichen Sonne blendend leuchteten, und bis weit über das Ende des Sichtfeldes hinaus erstreckten sich paradiesische Grasebenen.

„Wie willst’e das ma’ deinen Bossen erklären?“, wandte sich Rai-Jin an den jungen Mann.

Der zuckte bloß mit den Schultern. „Gar nicht. Selbst wenn der Garden davon erfährt: Ich bin ein bisschen Aufruhr gewöhnt. Kommt ihr mit?“

Fu-Jin musterte ihn und war wohl einverstanden.

„Ich nicht“, lehnte Rai-Jin entschieden ab. „Ich hab’ keinen Bock auf die Scheiße.“

„Okay?“, kommentierte er ihn sparsam und sah zu, wie der Muskelprotz auf den Hof des Gardens zusteuerte. „Heute Abend Vorstellung beim Direktor, Herkules, kapiert?“, rief er ihm noch nach. Mit seiner kräftigen Hand winkte Rai-Jin ab.

Als er weg war, regte sich Fu-Jin. Sie wandte ihm ihre gesamte Front zu, steif und bereit, jemanden umzulegen. Wann hatte sie eigentlich damit angefangen, ihn als eine Art Oberbefehlshaber anzusehen? „Bitte um Spracherlaubnis.“

„Erlaubnis erteilt.“

„Ziel unklar. Mission?“

Cifer verschränkte die Arme und fragte sich, ob sie es jemals begreifen würde. „Keine Mission. Mission Ende.“

„Suspension?“

„Ja. Schicht im Schacht.“

Die Offizierin entspannte sich, was bei ihr bedeutete, in der Steifheit beweglich zu werden, und ließ das Haupt sinken. Er sah auf sie hinab und verstand, dass sie Furcht entwickelte. Furcht davor, nicht zu wissen, was sie tun sollte.

Nachdem Rai-Jin sein Heimweh überwunden hatte, indem sich zumindest seine Faust einige der fremden Gesichter eingeprägt hatte – oder eher einige der fremden Gesichter seine Faust – kehrte er rechtzeitig zurück und wirkte deutlich erleichterter. Auf die dumpfen Geräusche seiner Schritte folgten die Wucht einer aufsprengenden Tür sowie sein gewaltiges Stimmorgan: „FU-JIN!“

„Rai-Jin“, begrüßte sie ihn knapp. Ein Ritual, welches Cifer noch einige Male zu hören bekommen sollte, bis es ihn zu stören begann.

„BLONDIE!“, brüllte Rai-Jin noch einmal.

„Rai-Jin“, wiederholte der Gemeinte den seltsamen Brauch mit geringem Interesse.

„Der fette King vom Garden erwartet uns ma’, richtig?“

„Sein Name ist [Direktor Cid Kramer]. Schreib dir das hinter die Löffel, sonst fliegst du schneller als du fluchen kannst.“

„WAS WILLST DU?!“, fing das Ideal-Exempel der "Muskel statt Hirn"-Theorie schon wieder an und drohte ihm mit der Faust. Cifer hatte nicht vergessen, dass Rai-Jin ihn durchaus töten würde, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Rai-Jin“, ermahnte seine Schwester ihn schließlich, und er wurde still.

Die Beziehung der beiden war wie sie selbst eine suspekte Angelegenheit, die man persönlich erlebt haben muss, um sie zu glauben. Und doch oder gerade deshalb konnte Cifer Almasy ein motivierendes Interesse an dem Maschinenmädchen und dem gewalttätigen Brüllaffen nicht verleugnen. Sein vorübergehender Ausflug in die Berufswelt eines Sprengstoffexperten hatte ihm Abwechslung geboten, aber die verdiente Erhebung seines Ichs, das Gefühl des zufriedenen Stolzes bereitete ihm allein die Tatsache, diese Menschen gerettet zu haben. Er brüstete sich mit ihnen, während sie sich auf den Weg zum Direktorat begaben, wie mit zwei lebendigen Abzeichen, und schritt gleich einem legendären Kriegsveteranen den Rundgang der großen Halle entlang, vorbei an all den Musterstudenten, die sich seit jeher von ihm fernhielten wie von einer Tretmine. Er genoss die verwirrten Blicke, die sich an das unbekannte Dreiergespann hefteten, und ihm war, als wäre es niemals anders gewesen – als marschierte er schon von Anfang an so durch den Balamb-Garden, flankiert von Fu-Jin und Rai-Jin, von nun an tätig als…

„…ORDNUNGSDIENST?!“, fragte Rai-Jin nach und brachte den Fahrstuhl zum Vibrieren, dessen Tür sich gerade hinter ihnen geschlossen hatte.

„Korrekt“, bestätigte Cifer, selbst erstaunt über die Entscheidung des Direktors, dem berüchtigten Troublemaker die Leitung ausgerechnet dieses Komitees anzuvertrauen. „Wir sind jetzt für die Ordnung des Gardens zuständig.“

„Hört sich verdammt scheiße an!“, regte Rai-Jin sich auf und ließ die Fäuste knirschen. „Ich HASSE Ordnung! Ich halt’ mich ma’ nicht an so’n Scheiß!“

Und die beiden… Dass der alte Kramer bereits so viel Vertrauen in sie steckte, verwunderte Cifer. Sicher: Die Übernahme und Ausführung dieser Pflichten stellte die Gegenleistung für seine Bitte dar und war durchaus mit einiger Arbeit verbunden. Andererseits war allgemein bekannt, dass der Ordnungsdienst eine nicht zu unterschätzende Macht besaß und großen Einfluss innerhalb des Gardens ausübte. Er erhielt ein geringes Budget; zudem standen ihm sämtliche Schlüsselkarten zur Verfügung. Diese Garde brauchte Verantwortungsbewusstsein, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und einen unerschöpflichen Schatz an Geduld – alles Dinge, die sie nicht aufweisen konnten. Was verfolgte der Direktor also für ein Ziel?

„Aber das heißt, dass wir bleiben dürfen“, sah Rai-Jin plötzlich ein und wirkte bewegt. Er mochte sich noch so grob und bösartig geben: Die Erkenntnis, dass seiner Schwester nun ein Ort des Rückzugs und der Sicherheit gegeben war, ließ seine Fassade weich werden.

Das Trio stieg aus und steuerte auf die Quartiere im Norden des Gebäudes zu.

„Unter der Bedingung, dass ihr euch angemessen verhaltet“, mahnte Cifer die Geschwister. „Das hier ist ein Garden, keine Gummizelle. Das bedeutet, dass hier nicht einfach mal herumgeprügelt wird, klar?“

Rai-Jin, der sich dadurch in seiner Freiheit erheblich eingeschränkt meinte, brodelte. „ICH LASS’ MIR NI…!“

„Rai-Jin!“, unterbrach ihn die abkühlende Stimme seiner Schwester, ehe diese sich an ihren neuen Chef wandte: „Verstanden.“

„Ihr werdet beide an euch arbeiten müssen“, erklärte der ihnen ernst. „Nicht nur an eurer Art. Auch an eurer Sprache und eurem Auftreten – an allem eben. Zuerst mal braucht ihr etwas Neues zum Anziehen…“

„Ich will ma’ was Protziges!“, fiel Rai-Jin ihm da in den Satz.

„Uniform“, stellte auch Fu-Jin gleich klar.

Der Blick der hellgrünen Augen wandte sich an den Älteren.

„WAS IST, HACKFRESSE?!“, keifte der den Besitzer an.

„Du scheinst das Wort [mal] sehr zu mögen“, grübelte Cifer mit einem schmalen Lächeln.

„UND WENN SCHON: NA UND?!“

„Wie wär’s, wenn du versuchst, immer ein mal zu verwenden, wenn du laut werden oder Ausdrücke benutzen willst?“

Rai-Jin war überzeugt, dass der Typ ihn auf den Arm nehmen wollte, und sicherlich hatte er da nicht ganz Unrecht. Er wollte seine Antwort ihm seine Gun-Blade fressen lassen, allerdings stand Fu-Jin unmittelbar neben ihm und starrte ihn abwartend an. „Naaaaa… guuut…“, würgte er hervor.

Fu-Jin stieß ihm die äußerst brutale Spitze ihres mit Metallkappen versehenen Stiefels gegen das Schienbein. Er jaulte laut auf.

„WOFÜR WAR DAS?!“

Sie legte eine Hand auf die Mitte ihrer Brust. „Kontrolle. Bei Fehlverhalten: Strafe.“

Cifer lachte.
 

Rai-Jin blies ein langes Seufzen der Resignation und Entkräftung aus.

„Das glaube ich nicht“, sagte Quistis, schwankend zwischen Erstaunen und Skepsis. „Das soll er für euch getan haben? Er?“

Xell hingegen schien keine Probleme damit zu haben, alles, was er soeben erfahren hatte, bar eines schlechten Gewissens anzuerkennen. „Wow!“, machte er, durchaus beeindruckt. „[That’s almasing].“

„Nichtsdestotrotz“, begann Squall, den die Geschichte augenscheinlich in gar keine Richtung bewegt hatte, „müssen wir ihm nach. Er muss für seine Verbrechen geradestehen. Wenn ihr wirklich seine Freunde seid, dann lasst uns gehen.“

„Aber…!“, protestierte Rai-Jin schwach.

„Ich verspreche, dass ihm nichts passieren wird. Er wird einer Strafe wahrscheinlich nicht entgehen, aber ich werde versuchen, zu erwirken, dass sie so gering wie möglich ausfällt. Ihr habt mein Wort darauf.“

„Squall“, sprach ihm seine ehemalige Ausbilderin vorsichtig zu. „Glaubst du wirklich, dass das richtig ist? Cifer wird das merken und sich denken: "Egal, was ich tue: Ich komme ja sowieso wieder glimpflich davon". So wird er seine Lektion niemals lernen.“

„Möglich“, gab der SEED-Anführer zu. „Auf der anderen Seite kann ihm diese Lektion auch niemand anderes beibringen als er selbst. Wenn er nicht bereit ist, zu begreifen, dann können wir ihn auch mit allen Strafen dieser Welt nicht zur Besinnung bringen. Cifers größte Vergeltung für seine Taten ist er selbst. Ich glaube nicht, dass er wirklich zufrieden mit seiner gegenwärtigen Situation ist.“

„Was passiert, wenn er es mal nicht begreift?“, fragte Rai-Jin.

„Dann wird er ewig weitermachen. Er wird bis an sein Ende der Rebell bleiben, der er jetzt ist, und kämpfen.“

„Negativ!“ Fu-Jin machte eine wegwischende Geste.

„Genau!“, fasste ihr Bruder wieder Mut und Tatendrang. „Wir werden mal dafür sorgen, dass es nicht dazu kommt!“

„Und wie wollt ihr das anstellen?“, interessierte es Quistis, und obzwar ihr Tonfall sich nicht von der alles, was mit Cifer zu tun hatte, betreffenden Missgunst befreien konnte, interessierte es sie ehrlich.

„Darüber…“, zog Rai-Jin seine Antwort in die Länge, „müssen wir uns erst mal noch beratschlagauaaaaa~!“ Er packte seinen malträtierten Fußknöchel mit beiden Händen und hüpfte auf dem anderen Bein herum.

„SEED! Geh!“, rief Fu-Jin stattdessen resolut und hob den Arm in Richtung Deling City. Es klang wie ein Befehl, aber Squall wusste, dass es eine Bitte war. Rette Cifer… Lass nicht zu, dass er sich keine Ruhe finden lässt… Er konnte sie förmlich aus ihren Augen lesen. Er nickte. „Wir brechen auf.“

Quistis sprach nicht ein. Nachdem Squall zielstrebig vorausgegangen war, folgte sie ihm mit kleinem Abstand.

„Brauchst’e mal ’ne Goldnadel?“, fragte Rai-Jin Xell sarkastisch, welcher noch immer in seinen Gedanken versunken schien. „Oder warum stehst du hier mal noch rum?“

Das direkte Ansprechen wirkte auf den versteinerten Hobbyboxer wie ein Wecker auf einen Schlafenden… oder eben wie eine Goldnadel.

„Was?! Ähhh, ja… Wie? Squall? Ah, Scheiße! Ich muss los! Tschüss, Leute!“

Mit fliegenden Schritten schloss er zu seiner Gruppe auf, die an den übrigen zwei T-Bikes auf ihn wartete. Nachdem sie aufgestiegen und in der Ferne komprimiert waren, ließen sich die beiden Geschwister, schwer wie zwei Säcke voll Gil, auf den Boden fallen. Ihre Waffen klirrten, als sie den Grund berührten.

„War das mal okay“, atmete der Hüne geschafft, „dass wir ihnen unsere Geschichte mal erzählt haben?“

„Zu spät.“

„Hast ja Recht. Aber… es überkam mich mal einfach, und…“

„Ruhe!“

Er zuckte zusammen. Rai-Jin war stolz darauf, dass es kaum etwas gab, vor dem er Angst hatte, aber die eisige Stimme Fu-Jins ängstigte ihn wie am ersten Tag, als sie damit angefangen hatte.

„Erklärung unnötig“, sagte seine Schwester sanft. „Vollstes Verständnis…“

The Resurrection of Hyperion

Als sie die galbadianische Hauptstadt erreicht hatten, gab Cifer Ellione ein Zeichen, ihn allein zu lassen. Sie verstand und trennte sich von ihm in Richtung der Einkaufsmeile, während er unbeirrt auf das Villenviertel zuhielt. Er machte sich keine Gedanken darum, dass es außer einer einzigen Wache nichts und niemanden gab, das oder der ihn davon abhalten wollte, das Anwesen mit der hell beleuchteten Front zu betreten. Im Inneren desselben war es finster, als hätte lange niemand mehr einen Schritt in die nobel eingerichteten Korridore gesetzt. Mühelos fand er den Empfangsraum für die Gäste. Der Geruch dort ließ ihn innehalten. Ihr Geruch. Schlicht und doch einprägend wie die zartrosa Blüten eines Kirschbaums, der nicht lange seine Pracht zur Schau stellt, ehe er sein Kleid ganz dem Wind überlässt. Was die Menschen als wunderschön anzusehen empfinden, ist in Wirklichkeit das Sterben und Verlorengehen dieser hilflos ausgelieferten Blätter.

Er wandte sich um. Leise öffnete sich die Tür. Zwei schwarze, unglaubende Augen musterten ihn. Sie starrten ihn an wie ein wildes Monster, vor dem man weglaufen sollte, wenn die Beine es zulassen. Die Türklinge umfassend wie den Schaft eines zu schweren Schwertes, mit einem Körper, der ihm weder abgewandt noch entgegengerichtet war, dauerte es eine ganze Weile, bis sie endlich akzeptierte, dass er hier war. „Cifer“, hauchte sie kraftlos, als wäre er ein ins Leben zurückgekehrter Verstorbener.

Er wollte es sich nicht eingestehen, aber es schmerzte, sie so mit ihm reden zu hören.

Endlich ließ ihre Hand von der Tür ab, sodass diese ungehindert in ihren Rahmen fallen konnte. Während des Geräuschs ihres Zuschlagens standen sie sich stumm gegenüber.

„Was tust du hier?“, fragte sie schließlich, die Stimme durchwirkt von vielen, unschlüssigen Gefühlen. Nur ihre Augen drückten einstimmig ein Empfinden aus: Hass. Die Angst, welche sie verspürte, kannte er bereits, seitdem er sie der Hexe Adell vorgeworfen hatte. Aber Hass? Er hatte sie nie aus Hass mit ihm sprechen gehört. Angst? Ja. Mitleid? Ja. Freundschaft? Ja. Liebe? Vielleicht sogar eine, die auf Gegenseitigkeit beruht hatte. Aber Hass?

Niemals.

Die mühselig errichteten Mauern um sein tiefstes Inneres hielten nicht lange. Standhaft wie die Felsen in der Brandung hatten sie jedem emotionalen Angriff getrotzt, hatten nichts an ihn herankommen lassen – und jetzt, wo er Rinoa von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, stürzten sie zusammen wie eine Burg aus Triple Triad-Karten.

Sie hatte sich sehr verändert. Sie sah erwachsener und stärker aus. Die schweren Kämpfe der Vergangenheit spiegelten sich in ihrem Antlitz wider. Die Unschuld und der jugendliche Mut waren verschwommen; stattdessen las er trüben Ernst und eine immerwährende Vorsicht. Ein anderer hätte diesen massiven Unterschied vielleicht nicht wahrgenommen. Aber er kannte die [echte Rinoa]. Die freche Rebellin, das unverblümte Großmaul. Wenn er jetzt in ihre Augen schaute, dann sah er keine Widerstandskämpferin mehr, sondern eine SEED, eine Hexe. Er sah Squall in ihr.

„Ich schließe mit meiner Vergangenheit ab“, antwortete er und rutschte dabei von seinem geplanten Tonfall ab. „Und beginne mit der Zukunft.“

Rinoas Missfallen über sein egozentrisches Selbstbewusstsein war deutlich zu erkennen. Früher war es genau dieser Charakterzug gewesen, der sie fasziniert hatte, weil sie schwach gewesen war und jemanden gebraucht hatte, zu dem sie aufsehen konnte, aber heute hatte sie nicht mehr dafür übrig als ein knappes „Verstehe“.

Keine Frage danach, was er dann im Haus ihres Vaters suchte. Keine Frage danach, wie er sich diese Zukunft vorstellte. Gedanklich war sie schon wieder bei Squall. Ja: Das Einzige, was sie noch mit ihm in Verbindung setzte, was doch nur Squall Leonhart.

Just fand sich Cifer in einem Glaskasten wieder, den sein Stolz um ihn her errichtet hatte. Wie hart er auch auf die Scheiben einhämmerte und wie laut er auch nach ihr schrie: Rinoa konnte ihn nicht hören. „Das ist alles?!“, fuhr er sie an. „"Verstehe"? Das ist alles?!“

Und da riss die abwehrende Mantelung um sie, und die vorher mit Anstrengung zurückgehaltenen Emotionen brachen aus ihr wie durch einen nachgebenden Damm. „Was soll ich denn sonst sagen, Cifer?!“, schrie sie wütend und verletzt zurück. „Soll ich mich für dich freuen? Oder soll ich jetzt Angst haben? Sag es mir, Cifer, denn ich weiß es nicht! Was soll man für jemanden empfinden, von dem man nicht mehr weiß, ob er ein Freund ist oder ein Feind?!“

Auf einmal taumelte Cifer zurück, als hätte ihm der Satz einen Schlag ins Gesicht versetzt – nur war der seelische Schmerz weitaus gravierender, als es der körperliche je hätte sein können.

Sollte man überhaupt noch etwas für ihn empfinden?

Man empfindet keine Gefühle, wenn man ein Monster erlegt. Man empfindet bloß Gefühle, wenn man es mit einem Menschen zu tun hat. Rinoa schien nur noch das Monster zu sehen, nicht mehr den Menschen. Nur noch das Monster. Nicht den Menschen. Nur noch das Monster… nicht mehr den Menschen… Nur noch das Mon…

„Cifer!“

Ihre Pupillen zitterten. Ihre Lippen pressten sich aufeinander. Sie atmete etwas lauter. Als er hinabsah, blickte er auf zwei weiße, verkrampfte Hände. Wann war sie ihm so nahe gekommen, dass er ihren Atem spüren konnte?

„Wenn du wegen mir hier bist, dann geh jetzt und lass uns beide für immer vergessen, was jemals zwischen uns vorgefallen ist. Ich empfinde nichts mehr für dich.“

Er brauchte sie nur kurz zu betrachten, um es besser zu wissen: „Wenn das wirklich so wäre, würdest du nicht so zittern, Rinoa.“ Die Überzeugung, Recht zu haben, gab seiner Arroganz wieder Nährboden, nachdem sie ihm eben so unvorbereitet entrissen worden war.

„Ja… Vielleicht“, stimmte sie ihm bedrohlich leise zu, „vielleicht empfinde ich doch noch etwas für dich…“

Er schnaubte belustigt. „Wusste ich’s doch.“

Hass. Ich empfinde nichts als Hass für dich!“ Mit diesen Worten wollte sie die letzte Distanz zwischen ihnen überbrücken, hob die Hand und ließ sie auf ihn zuschnellen, doch Cifer reagierte sofort und fing sie ab.

Scheinbar unberührt erwartete er ihre nächste Aktion. Sie löste sich unsanft von ihm und trat ein paar Schritte zurück. Wie ein Kind, das einen Moment lang nicht nachdenkt und sich übermütig in eine große Maschine setzt, über die es keine Kontrolle haben wird, fühlte er sich, als er ihr gegenüberstand und einfach nicht los wurde, was er auf dem Herzen hatte.

Ich liebe dich, Rinoa. Bitte verzeih mir und das, was ich getan habe; ich will das nicht und ich weiß, dass es nicht auf Gegenseitigkeit beruht, aber ich liebe dich, Rinoa, und ich will nur, dass du es weißt. Ich will mich verändern, Rinoa; dir zuliebe; bitte verstehe das und hasse mich nicht mehr, damit ich gehen kann, und ich verspreche dir, du wirst mich niemals wieder sehen, wenn du das nicht willst. Ich will nur, dass du es weißt.

Was er nicht ahnte, war, dass Rinoa, deren Beziehung es erforderte, sich in sehr pedantischem Beobachten zu schulen, verstand, was er ihr mitteilen wollte, aber zu äußern nicht imstande war. Alles an ihm war gegenwärtig ganz der ungestüme Hexen-Ritter mit dem romantischen Traum vor Augen, doch eben diese – seine [Augen] nämlich – stellten die Fenster des Glaskastens dar, die Scheiben jener Maschine, durch welche er nicht nur hinaus in die freie Welt, sondern andere auch zu ihm in das enge Gefängnis spähen konnten. Und was Rinoa dort sah, vermochte sie kaum zu glauben, denn längst hatte sie den Glauben an die Existenz eines solchen Cifers aufgegeben, falls sie einen derartigen Glauben überhaupt jemals gehegt hatte.

Diese stummen Klagerufe waren es, die das fallende Blatt wendeten.

Denn Rinoa, der im Laufe der vergangenen Ereignisse immer mehr Zweifel an der Vernunft ihres Ex-Freundes gekommen waren, fand durch seinen unbewusst ausgesandten Blick zu einem festen Seil, welches sie verlässlich durch das Labyrinth seiner trügerischen Mauern leiten würde. Wie ein durch den Wald irrendes Kind, das Lieder singt, um sich selbst und die wilden Tiere zu beruhigen, versuchte sie, Zugang zu ihm zu erhaschen: „Du liebst mich nicht“, meinte sie bestimmend. „Du glaubst, mich zu lieben, aber in Wahrheit suchst du nur Anerkennung und Zuneigung, nicht wahr?“

Sie sah, dass er momentlang verwirrt war. „Was soll diese Psycho-Scheiße jetzt? Du bist es doch, die von einem Mann zum nächsten hüpft, bloß weil der erste gerade mal nicht zu deiner Verfügung steht! Wie ist Squall denn so? Kann dir dieser Gefühlsspastiker überhaupt die Menge an Liebe bieten, die du brauchst, Rinoa?“

Während sie sich in der Vorstellung weiter an ihn herantastete, drehte sie sich in der Realität strikt um, ging ein paar Schritte und ließ sich dann auf den Boden nieder. „Ach, Cifer… Armer, armer Cifer.“

Sie ließ die Füße nach vorne gleiten, bis ihre Beine fast zur Gänze ausgestreckt waren, und legte die Arme um ihre Knie.

„Es ist niemand hier, dem du etwas beweisen musst. Niemand. Weder Squall noch sonst wer. Sei einfach ganz du selbst.“

Es sollte eine kleine Hilfe sein, damit er die nur von innen zu öffnende Tür fand, über seinen Schatten sprang mit dem Wissen, dass ihn auf der anderen Seite jemand auffangen würde.

„Du musst verstehen, dass wir zusammen keine Zukunft haben. Die Vergangenheit ist alles, was dich an mich bindet. Weil du glaubst, in mir den Halt zu finden, den ich dir während dieses Sommers gegeben habe, möchtest du mich besitzen. Aber du liebst mich nicht. Und ich liebe dich nicht mehr.“ Weshalb taten ihr diese Worte selbst dermaßen weh?

Rinoa legte den Kopf auf die Knie. Ohne es sehen zu können, spürte sie, wie auch Cifer unter der langsam einsickernden Erkenntnis litt.

Dass es vorbei war.

Er verkrampfte die Hände, ließ die Schultern und den Kopf hängen. Einige dünne Strähnen fielen über seine fest verschlossenen Augen, er biss die Zähne aufeinander und konnte der Wahrheit nicht länger davonlaufen, weil sie ihn ihr ausgeliefert hatte.

Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie ihn endlich gefunden hatte. Mit jedem Schritt lockerte sich die Spannung des Seils ein bisschen.

Im Zimmer war es still. Es gab nichts mehr auszusprechen. Sie hatte seine Botschaft erhalten und hoffte nun, dass er die ihre ebenfalls empfangen würde. Greif nach dem Seil, bat sie ihn. Lass uns den letzten Schritt gemeinsam tun. Aber dann besann sie sich: Du wirst es allein nicht schaffen, habe ich Recht?

Sie hob ihr Gesicht und wandte es ihm zu. Tatsächlich stand er noch dort, versteift und verbittert. Seine Augen, die sie zuvor noch angefleht hatten, waren erkaltet.

Es tat ihr weh, ihn so leiden zu sehen.

Und auf einmal stand sie gleichsam entschlossen wie verzweifelt auf und rannte auf ihn zu. Sie stieß ihn versehentlich gegen den Tisch, der hinter ihm stand, presste ihre Hände auf sein Haar und zog ihn zu sich herunter, um ihm einen Kuss auf die Stirn hauchen zu können – genau dort, wo die Narbe sein Antlitz zierte.

„Ich liebe dich nicht mehr, aber einst habe ich es getan“, gab sie zu, während ihre Finger die Kontur seines Gesichts hinabglitten, aus dem sie zwei graugrüne Augen mit Unglauben fixierten. „Und ich möchte, dass du das weißt. Denn ich bereue keine Sekunde, die ich jemals an deiner Seite verbracht habe. Aber… du musst endlich einsehen, dass wir uns nicht an alten Erinnerungen festklammern sollten. Jetzt liebe ich jemand anderen. Und ich wünschte, mein alter Freund Cifer würde das verstehen.“

Sie ließ den Worten und deren Wirkung ein wenig Zeit, sich zu entfalten.

„Müssen wir unseren Kindheitserinnerungen ewig nachtrauern oder uns sogar für sie schämen?“

Nun wollte sie sich von ihm lösen, doch er griff nach ihrem Arm, sodass sie ihm erneut in die Augen schaute. Sie bemerkte, dass er Angst hatte. Angst, sie gehen zu lassen, als würde sie – kaum außerhalb seiner Sichtweite – sterben müssen.

„Na gut“, gab sie nach, mit einem traurigen Lächeln. „Ein winziger Moment noch, aber dann musst du mir versprechen, dass wir beide unsere eigenen Wege gehen, okay?“

Ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten, ließ sie sich auf seine Bitte, sie an sich halten zu dürfen, ein und legte die Arme um seinen Rücken.

Cifer wollte sich ja trennen. Er wollte Schluss mit seiner Vergangenheit machen, und Rinoa Heartilly war ein wichtiger Teil davon. Und obwohl sein Verstand dagegen war, sich dieser letzten Umarmung hinzugeben, machte sein Körper doch erneut, was er wollte.

Zu spät registrierte er, dass es nicht das gewöhnliche, jedem jungen Mann innewohnende Interesse war, ein hübsches Mädchen, das er liebt, in den Armen zu halten, welches es ihm schier unmöglich machte, es wieder freizugeben. Dort war jemand, der langte nach jeder Gelegenheit und würde nicht eher ruhen, bevor er erreicht hatte, wonach es ihn gehrte.

Rinoa! Er wollte sie warnen, sie von sich stoßen, als er bereits feststellen musste, nicht länger Herr über seine Motorik zu sein. Längst hatte er die scharf Luft einziehende Obersttochter grob an ihren Armen gepackt.

„Cifer! Was tust du?“

Allmählich strömte das durstige Blut der Herrin wie schwarze Galle auch durch seinen Verstand, sodass er mehr und mehr nur das tun konnte, was sie ihm befahl.

Das tun, was sie ihm befahl… Eine Herrin… Die ganzen Visionen… Die Stimmen, die er hörte…

Konnte das sein?

„Lass mich los, Cifer! Bitte!“, schrie Rinoa ihn an, denn natürlich wusste sie nicht, was gerade in ihm vorging. Er wollte nicht, dass sie ihn für denjenigen hielt, der ihr das antat. Aber wie sollte er ihr das verständlich machen? Er war es nicht! Es war [sie].

Artemisia.

Die Hexe lebte… in ihm. Er erinnerte sich.

Es hatte im Galbadia-Garden angefangen, nachdem er im Kampf gegen Squall und seine Freunde das Bewusstsein verloren hatte. Er hatte sich schwach gefühlt – durch die Worte der Oberin, durch sein nicht abzuweisendes Versagen… Doch dann… auf einmal… Rinoa Heartilly. Er hatte zum ersten Mal diese Stimme vernommen…
 

„Die Hexe lebt. Die Hexe befiehlt dir.“
 

Unendlich sanft hatten sich ihre Lippen berührt. Es war kein Kuss gewesen, eher eine Art Beatmung, durch welche sie einen Teil ihres Geistes in ihn hineingeblasen hatte, während der andere in Rinoas Körper verweilte, wie schon Hyne seine Seele gespalten hatte.

Dann Squall Leonharts vermeintlicher Sieg über Artemisia, doch mehr als eine ihrer zahlreichen Hüllen hatte er nicht zerstört. Die Herrin war eine Meisterin im Umgang mit ihren Marionetten und ebenso geschickt darin, sich in einer von ihnen zu verstecken. Cifer hatte gespürt, wie der fremde Geist in ihm plötzlich begonnen hatte zu wirken. Wie ein Parasit in seiner Embryoform hatte die Hexe sich anfangs damit begnügt, an der Lebenskraft ihres Wirts zu saugen. Nur manchmal – das wusste er jetzt – kam sie zum Vorschein. Wenn sie es oder etwas wollte. So wie jetzt. So wie Ellione. So etwas wie Rache.

Die Lustlosigkeit. Die Leere. Die Visionen. Die Stimmen. Das Massaker. Das Verlangen. Ellione.

Wie viel hatte er mit all dem zu tun? War es letztendlich alles allein auf Artemisias Motivation hin geschehen? Hatte sie das alles bewirkt?

Hatte er irgendetwas davon getan? Hatte er irgendetwas davon gefühlt?

Keine Gefühle…

Ein Monster hat keine Gefühle.

„Cifer…“ Besorgt versuchte Rinoa, Kontakt zu ihm herzustellen, doch ihr Gesicht lugte durch das Ende eines Tunnels, in den er nicht passte.

Zorn loderte in seinen Augen auf. Zorn auf die Hexen. Rinoa war momentan die einzige, die zur Verfügung stand. Er musste sich abreagieren, einen Sündenbock bestimmen, nach dessen Vernichtung er sich getrost einreden konnte, dass alles sich nun wieder normalisieren würde.

Ehe das irritierte Mädchen wusste, wie ihm geschah, hatte er nach seiner Gun-Blade gegriffen und schlug ihm deren Klinge entgegen. Haarscharf entkam es der Attacke, rollte sich auf die Füße und schenkte ihm einen letzten, fassungslosen Blick, bevor es aufsprang und die Flucht ergriff. Cifer jagte die ehemalige Freundin durch den Korridor. Teures Porzellan ging zu Bruch; in die Flügeltür zog sich ein tiefer Schnitt. Holzsplitter begleiteten Rinoas fliegenden Weg nach draußen. Als Artemisias Ritter ihr folgen wollte, stellte sich Squall Leonhart zwischen sie und parierte Cifers Angriff mit dem Löwenherz. Quistis fing die keuchende Rinoa auf.

„Bin ich froh“, japste sie, „dass ihr hier seid! Ich weiß nicht, was über ihn gekommen ist! Er war so zahm und plötzlich… plötzlich ist er vollkommen durchgedreht!“

„Bei ihm kannst du nie wissen, was vor sich geht“, meinte Xell ernst. „Immer wenn du denkst, dass er ja eigentlich total cool ist, macht er etwas absolut Blödes.“

„Das ist nicht einfach nur "blöd"“, wies Quistis ihn zurecht, während ihr Augenmerk dem beginnenden Duell der beiden Gun-Blader galt, „das ist wahnsinnig! Seht nur, wie aggressiv er kämpft! Cifer ist nicht mehr er selbst! Er ist verrückt!“

In der Tat war dem ehemaligen Hexen-Ritter sämtliches Taktgefühl für den Kampf entglitten. Gesteuert von einem primitiven Wunsch, dem Drang zu vergessen, schlug er wieder und wieder auf Squalls blockende Klinge ein. So, wie er seine Deckung vernachlässigte, hätte der ihn mühelos niederschlagen können, jedoch war dies nicht die Intention des SEEDs, der sich an die Worte des Direktors erinnerte, an die Mienen von Fu-Jin und Rai-Jin.

Cifer erfasste nicht, was sein Rivale vorhatte. Die Wege jeglicher Warnsignale seines sich völlig verausgabenden Körpers zum Gehirn schnitt seine grenzenlose Wut rechtzeitig ab. Der Druck in seiner Brust presste ihm die letzte Luft aus der Kehle; die Arme wurden so schwer, als wäre die Erdanziehungskraft unbarmherzig angestiegen. Sein Sichtfeld wandelte sich in eine zunehmend kleiner werdende Vignette, und die Brandwunde begann schmerzhaft zu pulsieren. Er ignorierte es, schlug weiter auf diesen Menschen, der sich ihm entgegengestellt hatte, ein, schaltete alles andere aus.

Squall musste sich eingestehen, verblüfft zu sein über die Unmenge an Energie, welche dieser Körper trotz allem immer noch aufzubringen in der Lage war. Cifers Stand verlor an Sicherheit, seine Arme jedoch keineswegs an Kraft. Es war ein sonderbares Gefühl selbst für ihn, den früheren Mitschüler so psychisch am Ende zu erleben.

Ein Kreis von Schaulustigen bildete sich um die beiden. Mit offenen Mündern verfolgten sie die den einseitigen Kampf anführenden Bewegungen des Blonden.

Er konnte kaum noch erkennen, worauf er einschlug. Er konnte ja nicht einmal mehr denken. Die heiße Lava, zu der er Artemisias Blut hatte werden lassen, schmolz alles, was ihr auf ihrem Weg begegnete, und hinterließ einen Cifer Almasy, der vollkommen leer war.

Das Ende stand unausweichlich bevor.

Die Hyperion in seinen Händen zitterte unkontrolliert. Der harte Stahl des Löwenherz’ hatte ihre Schneide stumpf gemacht. Ein letztes Mal raffte sie sich in die Höhe. Glühte grün auf. „Blut…!“ Dann rutschte ihrem Führer der Pistolengriff aus den Fingern. Unehrenhaft, als wäre sie nie etwas anderes gewesen als ein einfaches Stück Metall, flog sie auf den Asphalt und blieb klirrend liegen.

Squall gab seine Deckung auf.

Wenige Sekunden lang schien Cifer wie erstarrt, bevor sein Geist in die Wirklichkeit zurückkehrte und einsehen musste, dass ein Finale nicht zwangsläufig mit einem imposanten, die Zuschauer auf ihren Plätzen zurückwerfenden Knall schließt. Der Rausch seiner Droge verebbte, und die Proteste seines ausgelaugten Körpers meldeten sich zurück. Er wankte, suchte nach Halt, taumelte, sah das Gesicht von Ellione in der Menge leuchten und stürzte nieder. Sofort bemühte er sich darum, wieder auf die Beine zu gelangen, aber sein Leib hatte brüskiert entschieden, keine Befehle mehr entgegenzunehmen.

Squall ließ die Waffe sinken und blickte auf seinen Kontrahenten hinab. Cifer fasste ihn ins Visier. Es hatte eine Zeit gegeben, in der der SEED nicht fähig gewesen war, diesem Blick standzuhalten, doch das lag so fern zurück, dass es ihm wie in einem anderen Leben vorgefallen schien. Heute erwiderte er ihn und erkannte an den feindlichen Pupillen, dass Cifer wieder bei sich war.

„Töte mich“, brachte er mit einem angestrengten Atemzug hervor. Die Kulisse der Umstehenden hielt die Luft an.

Selbst Squall entrückte die eisige Maske. Er hatte seit jeher damit gerechnet, eines Tages zu Cifers Mörder zu werden – nun allerdings, wo der Zeitpunkt gekommen war, fühlte er sich plötzlich nicht mehr dazu bereit, es tatsächlich zu tun.

Sie waren zusammen aufgewachsen.

Sie hatten gemeinsam in Dollet gekämpft.

Sie waren so etwas wie Kameraden gewesen.

Rinoa drückte sich aus der Menschenkette. Ihre Augen bannten die seinen für die Spanne eines Lidschlags und flehten ihn an, es nicht zu tun.

Ellione neigte den Kopf und hatte ihre Hände wie zu einem Gebet gefaltet.

„Ich kann nicht“, sagte Squall schlicht.

Cifers Augen weiteten sich. Jetzt, wo er zu Tode gedemütigt war, wo er nichts wollte als von dieser Welt gewischt zu werden, machte der Einzige, von dem er sich jemals würde töten lassen, einen feigen Rückzieher? Er hatte schon immer geahnt, dass Squall irgendwann einmal an seiner Fassade scheitern, zu einem richtigen Gefühlsmenschen mutieren würde, aber nicht, dass es ausgerechnet in ihrem letzten Duell passieren würde, welchem er jeden Tag entgegengefiebert hatte, wenngleich er die Möglichkeit einer Zukunft parallel dazu nicht für ganz abwegig erklärt hatte, wie am vergangenen Abend, als er sich elanvoll und mit einer ihn zweifellos liebenden Ellione im Rücken auf den Weg nach Deling City begeben hatte, um ein neues Leben zu beginnen.

„Mach… schon…!“

Squall schloss die Augen, um sich – frei von den Einflüssen durch seine Freunde und Familie – zu besinnen. Er verstand, wie Cifer sich fühlte. Irgendwann einmal hatte er sich selbst so gefühlt. Fragend ruhte das Löwenherz in seiner Hand und wartete auf seine Entscheidung. Das Publikum schien aufgehört haben zu atmen. Cifers Forderung drang bis hinter seine geschlossenen Lider: Ein Monster würdest du töten, Squall, aber mich lässt du leben?
 

„Bitte… Tu es nicht… [Großvater]…“
 

Zu spät, Cifer. Es ist zu viel geschehen, als dass ich jemals wieder nach deiner Pfeife tanzen werde.

Damit sah der SEED auf, direkt in zahllose neugierige Gesichter. Rinoas Bitte war intensiver, verzweifelter geworden, als zöge sie in Betracht, dass ihr Freund dem Drängen seines Feindes eventuell nicht widerstehen könnte.

„Cifer Almasy“, begann Squall laut und deutlich, sodass selbst die Leute auf den hintersten Plätzen ihn verstehen konnten. „Als Freund werde ich Gnade walten und dich am Leben lassen. Jedoch haben persönliche Motive keine Bedeutung in der beruflichen Welt eines SEEDs.“

Cifers Pupillen im Zentrum ihrer blassen Iriden wurden kleiner, als er die Gun-Blade in deren Scheide sinken ließ. Gleichzeitig vernahm er Rinoas erleichtertes Seufzen.

„Deshalb werde ich – Squall Leonhart, SEED vom Balamb-Garden – dich an die galbadianische Justiz übergeben, welche dich deiner Vergehen wegen anklagen und dir hoffentlich die Strafe auferlegen wird, die deinem Handeln angemessen ist.“ Als er fortfuhr, senkte er seine Stimme und sprach persönlicher: „Lerne endlich aus deinen Fehlern und fang an zu begreifen, dass ein einziger Rebell sich niemals gegen die Mehrheit durchsetzen wird. Du stehst nur allein, weil die Überzeugung, für die du kämpfst, falsch ist. Mach deine Augen auf, Cifer.“

Squall schenkte Fu-Jin und Rai-Jin, Cid und Edea Kramer, Rinoa und Ellione einen Gedanken.

„Es gibt immer noch Menschen, die hinter dir stehen, auch wenn du sie nicht siehst oder nicht sehen willst. Schau nicht nur nach vorne. Noch sind sie da. Schwach zu sein, Almasy, ist keine Schande, aber nach den Händen zu beißen, die dich füttern – das ist eine.“

Als er davon ausging, dass Cifer ausreichend Kraft zum Stehen gesammelt hatte, hielt er ihm eine Hand hin, um ihm auf die Füße zu helfen, doch die Einladung blieb ignoriert. Der Blonde ächzte, rutschte mit den Händen herum. Als sie dabei über den Griff der Hyperion fuhren, war Squall sofort alarmiert – allerdings konnte er sich gleich darauf wieder entspannen, denn Cifer hatte nicht beabsichtigt, die Waffe erneut gegen ihn zu erheben.

„Squall!“

In diesem Moment trat Ellione mit festen Schritten zwischen sie und blickte ihren Ziehbruder bestimmend an.

„Cifer ist nicht schuld an meinem Verschwinden! Ich bin es. Ich bin aus freien Stücken gegangen und habe ihn lediglich darum gebeten, mich zu begleiten. Bitte verurteile ihn nicht.“

Der Schulsprecher des Balamb-Gardens legte eine Hand auf den Ellenbogen der jungen Frau und erwiderte ihren Blick sanft. „Es liegt nicht an mir, über ihn zu richten. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Solange er noch jemanden an seiner Seite hat, ist er nicht verloren. Cifer kann stark sein, wenn er will. Jetzt kämpft er gegen die Hexe, aber er muss nicht mehr allein kämpfen. Er wird es schaffen.“
 

„…Danke.“
 

Bevor die Polizisten ihn abführten, bat Ellione Squall noch einmal darum, mit Cifer unter vier Augen sprechen zu dürfen. Sie trat in den Laster und sah ihn auf einer Bank sitzen. Er begegnete ihren Augen. Ellione drehte sich um, um die Tür bis auf einen kleinen Spalt heranzuziehen, dann wirbelte sie wieder herum, überbrückte die winzige Distanz resolut und warf sich an seine Schulter. „Du bist so dumm, Cifer!“

Nachdem sie sich gelöst hatten, reichte Ellione ihm fünf Geldkarten. „5000 Gil, wie abgemacht. Dein Lohn für meine sichere Überführung.“

Er machte keine Anstalten, sie entgegenzunehmen. Unsicher zog sie ihre Arme wieder an sich. Auf ihren fragenden Blick hin lächelte er auf seine typische und ihr doch fremde Weise und zuckte mit den Schultern. „Ich habe meinen Lohn bereits erhalten.“

Sie verstand, was er meinte.

Er nickte dem Ausgang zu. „Geh jetzt.“

Ellione gab sich einverstanden. Mit gemächlicher Grazie erhob sie sich und schritt auf die Türen zu. Sie schaffte es nicht, ohne sich doch noch einmal umzudrehen.

Cifer sah sie an, als hätte er tatsächlich nicht damit gerechnet, dass sich ihre Augen noch einmal treffen würden.

„Wirst du wiederkommen?“, fragte sie ihn, hoffnungsvoll und furchtsam zugleich. „Wirst du irgendwann zu uns zurückkehren?“

Minuten zogen dahin.

Als Squall sie bat, den Wagen zu verlassen, fiel ihr auf der Schwelle der Türen eine Feder ins Auge, schwarz wie…

Nicht wie das Böse.

Sondern schwarz wie die Nacht, in die sich so mancher auf’s Sehnlichste wünscht, wenn er nach Geborgenheit und einem vertrauensvollen Beschützer sucht.
 

„Wenn du auf mich wartest, wenn du mir einen Grund zur Rückkehr gibst, dann werden wir uns wiedersehen. Vertrau mir.“
 

„Das hat er gesaaaagt?“ Neugierig beugte Selphie sich vor.

Ellione lächelte verträumt, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein.“

Ihre Zuhörerin sank in sich zusammen und stöhnte enttäuscht. „Und waaarum erzählst du mir das daaaann?“

„Weil er… Weil ich…“ Sie suchte nach Worten.

„Hmmmm~?“

Quietschfidel wippte Selphie auf dem Bett herum, in welchem sich Irvine Kinneas aufgrund dieser gnadenlosen Störung genervt auf die andere Seite drehte.

„Saaag schoooooon!“

„Ich… ich habe es in seinen Augen gelesen“, brachte sie endlich hervor und wirkte dabei überaus beschämt.

„Wie romaaaaaantisch!“, quiekte Selphie freudenfeurig und hüpfte vor Aufregung noch stärker auf der Schlafstätte des sich nach Ruhe sehnenden Scharfschützen.

Auch Ellione wurde der Enthusiasmus ihrer Ziehschwester und Freundin wohl langsam zu viel, denn sie wandte sich voller Verlegenheit ab. „Aber das darfst du niemandem erzählen!“

„Ich schweige wieeeeee ein Graaaab!“

„Kein Wort auf deiner Homepage!“

Erwischt! Die SEED setzte ihren Moomba-Blick auf. „Kein einziges, klitzeklatzekleines Wörtchen?“

Doch sie blieb standhaft: „Auch kein "klitzeklatzekleines" Wörtchen.“

„Oh Maaaaaaaaaann…“

Ellione musste lachen, als sie Selphies Gesichtsausdruck sah. „Bitte entschuldigt mich jetzt“, sagte sie anschließend. „Onkel Laguna wartet sicherlich schon auf mich. Du weißt doch: Er kriegt das mit dem Brief an Präsident Biggs sonst wieder nicht hin, wenn ich ihm nicht unter die Arme greife.“

Das brünette Mädchen beobachtete, wie sich die Präsidententochter von dem Stuhl erhob, welchen sie sich ans Bett gerückt hatte. Aber eine Frage brannte ihm noch auf: „Und, Ell? Wirst du warten?“

Die Angesprochene, die sich gerade ihre Tasche umgehängt hatte, ließ ihre Augen sehnsuchtsvoll durch das Fenster schweifen, hinauf in den Himmel. Er war friedvoll blau; Vögel zogen ihre Kreise unter seinem Schirm und einige zarte Federwolken streiften schläfrig an ihm entlang. Es erinnerte sie an eine wunderschöne Reise. „Ja. Ich werde warten.“
 

[Warten]…
 

Er hasste dieses Wort.

Exorcism

Sein Atem ging flach, aber ruhig.

Mit geschlossenen Augen versuchte Cifer, sich ganz auf seinen ausgezehrten Körper zu konzentrieren, um die letzten Reserven in ihm auszumachen und zu aktivieren. Zwar war ihm mittlerweile bewusst gewesen, dass die Hexe Artemisia ihm nicht nur die von ihr geliehene Kraft, sondern auch seine eigene entzogen hatte; trotzdem hatte er sich wieder überschätzt.

Man hatte seine Wunden grob versorgt und spritzte ihm auf die Anweisung dieses verrückten Odynes hin regelmäßig irgendein Zeug in die Venen, das wohl seinem Lebenserhalt dienen sollte. Dennoch fühlte er sich schlaff, wie ausgepresst. Die Überstrapaze seines Körpers im Duell mit Squall hatte sich vierundzwanzig Stunden später erst richtig bemerkbar gemacht. Und jetzt, da er in einem dieser hochmodernen estharianischen Krankenhäuser lag, die eher an die futuristischen Laboratorien von Aliens erinnerten, fragte er sich, was eigentlich über ihn gekommen war. Selbst der Gerichtsverhandlung wegen der angeblichen Entführung der Präsidententochter (die genau genommen gar nicht die Tochter, sondern die Nichte, und genauer genommen nicht einmal das war), der Störung des öffentlichen Friedens in Deling City, der Bedrohung dieses Wärters der Präsidentenvilla sowie dem Angriff auf den des Oberstanwesens und nicht zuletzt wegen der mutwilligen Zerstörung der galbadianischen Kashukbaar-Basis – waren sie also doch noch dahinter gekommen – hatte er, durch die Schmerzen wie gelähmt, nur teilweise bewusst beiwohnen können, und wenn Rai-Jin ihn nicht noch aufgefangen und wach geschüttelt hätte, wäre er vermutlich mittendrin ohnmächtig geworden. Squall war auch dagewesen, daran erinnerte er sich relativ scharf – er und die beiden Kramers. In Anbetracht seiner vorausgegangenen Straftaten war er schon wieder erstaunlich schonend davongekommen, aber er war sich nicht sicher, ob dies etwas war, über das er froh sein sollte. Denn verdiente Strafen sind da, um zur Besinnung zu bringen. Um zu lehren und aus ihnen zu lernen. Sie sind eine Warnung und eine Vorbeugung; ein Beweis dafür, dass sich der Strafende um den zu Strafenden sorgt. Vielleicht hatte Cifer sich deswegen neunzehn Jahre lang aufgelehnt. Vielleicht hatte er deshalb stets genau wider den Regeln und Moralvorstellungen der anderen gehandelt. Um bestraft zu werden. Um zu erfahren, dass sich jemand Sorgen um ihn machte.

Seine "Strafe" allerdings beschränkte sich dieses Mal darauf, im Krankenhaus von Esthar zu genesen, und diese Auflage amüsierte Cifer auf’s Äußerste.

Von wegen "genesen"!

Wenn die glaubten, er hätte ihr Vorhaben nicht schon längst durchschaut, dann sollten sie womöglich eher einmal ihre Gehirnströme messen statt seiner! Die Hexe war es doch, auf die sie aus waren! Die Hexe, die in ihm lebte! Professor Odynes Anwesenheit während der Untersuchungen, die komischen, undefinierten Medikamente, welche man ihm verabreichte… Man konnte ihm viel erzählen, aber täuschen konnte man ihn nicht! Wie sie die Hexe aus ihm kriegen wollten, konnte er sich nicht vorstellen und wollte das auch gar nicht erst, aber – verdammt! Er wollte hier raus!

Überall zog und stach es, als er sich von der unangenehmen Liege erhob und die Enden der Kabel wie unersättliche Blutegel aus seinem Körper riss. Sofort ertönte ein Warnsignal, das die Ärzte über seine Flucht in Kenntnis setzen würde, doch bis dahin würde er längst über alle Berge sein. Mit einer Bewegung glitt er in seinen Mantel, der auf der Lehne eines Stuhls drapiert war, und fasste nach der Hyperion, die auf dem Tisch daneben ruhte. Mit ihrem Griff schlug er eines der Fenster in Scherben und sprang ohne weiteres Überlegen ins Freie, rollte sich auf der neonblauen Straße ab und stand schnell wieder auf den Beinen, um davonzulaufen. Die seltsam gekleideten Bewohner der Stadt ließen Geräusche von Erschrecken verlauten. Sie sahen ihm nach, als hätten sie noch nie jemanden rennen sehen. Hier schien alles so anders zu sein als zu Hause.

Ein Chor von Schritten.

Es war schwer, sich in Esthar zu orientieren. Er war zuvor niemals in dieser Stadt aus Glas unterwegs gewesen, außerdem sah hier alles gleich aus: Die Straßen, die Gebäude, die Fahrzeuge, die Menschen. Überall konnte man durchschauen, als wären den Augen keine Grenzen mehr gesetzt. Es würde leicht für sie sein, ihn zu finden.

Stimmen.

Hatte diese Scheißstadt überhaupt einen Ausgang? Eine Flüssigkeit, so warm, dass sie ihn in dieser kalten Umgebung irritierte, tränkte den Verband an seinem Arm, während er nicht aufgab, zu laufen. Elliones Verband. Sie wollten ihn ersetzen, doch er hatte es nicht zugelassen. Sie konnten ihm nicht alles nehmen, was ihn an Zuhause erinnerte.

[Zuhause]…

War es das, was Ellione mit [Zurückkehren] gemeint hatte?

Griffe.

Er versuchte, sich loszureißen. Geduldig rieten ihm die Stimmen, zur Ruhe zu kommen. Zur Ruhe kommen hieß, sich wieder einsperren zu lassen und darauf zu warten, dass Professor Odyne einen obduzierte. Nein, er würde sich nicht beruhigen; er würde…!

Auf einmal ging alles ganz schnell.

Hart traf er auf den Boden. Schritte. Rai-Jin war der Erste, den er wiedererkannte. Rai-Jin? Er wusste nicht, dass sie hier waren. Es besänftigte ihn ein wenig. Auch wenn er die Worte, die sein Freund an ihn richtete, nicht verstand: Wenn sie hier waren, dann würde ihm nichts geschehen. Irgendwie wusste er das. Es war eines der wenigen Dinge, auf das er vertrauen konnte.

Aber Cifer wäre nicht Cifer, wenn er nur auf andere vertrauen würde!

Bereit, Seite an Seite mit seinen Freunden zu kämpfen, wälzte er sich herum, sodass die Kuttenträger, die ihn hielten, Probleme hatten, ihn nicht loszulassen. Er hätte fast lachen können, als er die überforderten Schreie dieser weißen Muttersöhnchen vernahm. So viel zur Aura der Besonnenheit, die man den Estharianern im Westen nachsagte! Sie rangen mit ihm; ein ganz Kurzer brachte eine Spritze zum Vorschein und rammte sie ihm durch das Fleisch, wo Handschuh und Ärmel es zuließen. Das Beruhigungsmittel strömte seine Adernzweige entlang, doch Cifer war entschlossen, zu kämpfen, bis sie ihm den letzten Funken Stolz ausgeprügelt hätten. Diese Menschen achteten ihn nicht. Diese Menschen sprangen mit ihm um wie mit einem Monster. Warum also sollte er sich nicht zur Wehr setzen?

Entfernt hörte er die Stimme Rai-Jins, die ihn bat, sich doch wieder hinzulegen, aber er wollte nicht wieder nur herumliegen. Diese Phase war eindeutig Vergangenheit.

„Es ist mal nur zu deinem Besten, Cifer.“

Plötzlich hielt er inne.

Irgendetwas war hier falsch.

Als er den Kopf zu jener Seite wandte, auf der die beiden Geschwister standen und nichts unternahmen, wurde sein übermütiges Vertrauen tief verletzend belehrt. Ihre Mienen zeugten von Angst, Unwissen und Resignation. Selbst Fu-Jin – die Sture und Unnachgiebige – verschränkte die langen Finger vor ihrem Schoß nervös ineinander und hatte den Kopf gesenkt wie ein Hund, der seine Rüge erwartet. Rai-Jin – der hünenhafte und mächtige Rai-Jin – ließ sich von einem dürren, gar fragilen Mann in Kutte zurückhalten.

Und dann wurde es schwarz.
 

Als er erwachte, fand er sich im Krankenhaus wieder. Die Geräte, die an ihn geschlossen waren, piepsten, und die bekannten Medikamente flossen durch seine Venen. Ein Arzt, der seine Patientenakte auf den neuen Stand brachte, verkündete ihm Besuch. Cifer ging davon aus, dass es Fu-Jin und Rai-Jin waren, aber sie waren es nicht.

Stattdessen kam, nachdem der Professor ihn verlassen hatte, Ellione ins Zimmer.

Schwerfällig hob Cifer den Kopf. Er konnte kaum fassen, dass sie hier war – die Möglichkeit ihrer tatsächlichen Präsenz schien ihm so fern, dass er sie fast nicht erkannt hätte. Sie sah alt aus für ihre zweiundzwanzig Jahre, als wäre ihre Zeit der seinen weit vorausgeeilt. Schattige Fältchen umrahmten ihre Züge, denen die Jugend geraubt worden war, und ihre Augen sahen aus, als hätte sie Minuten zuvor heftig geweint. Ihr Haar war dünner geworden und schien ihm ein wenig länger zu sein. Sie war immer noch schön.

Die brünette Frau ließ sich auf den Stuhl nahe seinem Bett nieder, legte ihre Hände in den Schoß und lächelte. „Endlich sehen wir uns wieder.“

„Was machst du hier?“, fragte er nur. Er konnte sich nicht freuen, sie zu sehen. Sie war hier nicht sicher.

„Ich habe dir nicht die ganze Wahrheit gesagt“, gab sie zu.

Verständnislos schaute er sie mit gerümpfter Nase und schmalen Augen an.

„Die Wahrheit über meine Fähigkeit meine ich.“

Er schnaubte. „Denkbar mieser Zeitpunkt. Deine Fähigkeit ist mir im Augenblick scheißegal. Siehst du nicht, dass ich gerade andere Probleme habe?“

„Du wolltest doch erfahren, was es mit deinen Visionen und den Stimmen, die du hörst, auf sich hat.“

Da merkte er auf.

„Wusste ich’s doch.“ Sie schmunzelte keck, doch ihre Augen blieben traurig.

„Fang schon an“, drängte er sie. Er hatte keine Ahnung, wann die Medikamente ihn wieder in den Schlaf zwingen würden.

Ellione wandte den Blick von ihm ab, als sie begann: „Ich fasse mich kurz: Meine Fähigkeit, das Bewusstsein eines Menschen in einen Körper der Vergangenheit zu übertragen, erbte ich von meiner Mutter – einer Hexe.“

„Einer Hexe?“, wiederholte Cifer verblüfft, ohne zu ahnen, dass diese Erfahrung die kleinste Überraschung der anbrechenden Stunde sein würde.

Sie nickte. „Da ich mit gerade einmal drei Jahren in eine Welt geriet, die Hexen und deren Kräfte verachtete, lernte ich nie, die mir innewohnende Magie über diese Fähigkeit hinaus zu verwenden. Aber ja: Ich bin eine Hexe, eine Hexe der Zeit.“

Der einstmalige Hexen-Ritter war sich ungewiss, ob das, was die kleine Ellione ihm gerade auftischte, vielleicht nur eine weitere Halluzination war, ausgelöst durch das ganze Zeug in seinem Blut.

„Als ich dir sagte, nicht verantwortlich für deine Visionen zu sein, habe ich dir die Wahrheit gesagt“, erklärte sie dann. „Der Beweis dafür ist die Stimme: Es war nicht die Stimme einer Frau, richtig? Es war nicht meine Stimme, die du gehört hast, oder?“

„Nein“, bestätigte Cifer sie mit argwöhnischer Vorsicht. „Es war die Stimme eines Mannes.“

„[Helios].“

„Wer?“

„[Helios]. Mein Sohn.“

„Dein…?!“

„In der Zukunft eurer Gegenwart“, fuhr sie fort. „In meiner Gegenwart, einer anderen Zukunft, existiert er nicht, weil sein Vater und ich uns dort nie kennenlernen konnten.“

„Und was will er?“

„Den Tod seines Vaters verhindern. So wie ich einst den Tod von Raine Loire verhindern wollte. Mach dir keine Gedanken um ihn. So wie ich wird auch er einsehen, dass er das nicht kann.“

Ihre Antworten klärten seine immense Verwirrung kein bisschen auf. Gerade war seine Auffassungsgabe auch nicht wirklich zu gebrauchen. Er entschied, zu einem Thema zurückzukehren, mit dem er aus eigener Erfahrung etwas mehr anfangen konnte: „Du sagtest, deine Mutter sei eine Hexe.“

Ellione nahm einen tiefen Atemzug. „Artemisia“, verriet sie dann. „Meine Mutter ist Artemisia.“

Augenblicklich verrückte ihm die Mimik. „Wie bitte?!“

Die Mutter des Mädchens, das er geküsst hatte, war dieses alte Schrapnell, von dem er gegenwärtig besessen war? Dieser Parasit war so etwas wie seine Schwiegermutter? Diese die Welt fast ins Chaos stürzende Hexe war die Erzeugerin Elliones?

„Das ist ein krasses Ding“, murmelte er mit kreisenden Gedanken. „Wirklich sehr krass.“

„Als ich drei Jahre alt war“, zwang Ellione sich, weiterzusprechen, „starb mein Vater. Meine Mutter konnte das nie akzeptieren. In ihrem Wahn versuchte sie, seinen Tod durch meine Fähigkeit zu widerrufen, was es auch kostete. Ich hielt es nicht lange aus. Aber mir gelang es, in eine andere Zeit zu flüchten – in eure Vergangenheit von vor bald zwei Jahrzehnten. Dennoch blieb Artemisia das, was Professor Odyne heute als [Kopplungsmaschine ELLIONE] bezeichnet: Mein dreijähriger, seelenloser Körper. Sie muss ihn an sich gekoppelt haben – wie Adell damals Rinoa. Doch die unausgebildeten Kräfte meines Kinderkörpers konnten ihrem Flehen nicht entsprechen. Daher übernahm sie die Kontrolle von den Hexen eurer Vergangenheit und Gegenwart, um an mich zu gelangen und die Bedingungen für eine alles neutralisierende Zeitkompression zu erfüllen.“

Too much information.

Cifers Blick kehrte sich nach innen. Schweigen nahm das Krankenzimmer ein, in dem nur noch die Apparate piepsten. Wer war diese Frau, die neben ihm saß und ihre abgedrehte Vergangenheit nach außen stülpte? Sprach sie wirklich die Wahrheit?

„[Ellione]…“, brach sie nach einer Weile gedankenversunken die Stille. „Meine Eltern benannten mich nach einem mächtigen Fabelwesen: Einem [Löwen]. Meine Mutter sagte, ein Löwe habe sie ab einem bestimmten Punkt in ihrem Leben immer beschützt. Auch ihre G.F. – Griever – ähnelt einem Löwen.“

Wieder verfielen sie in die Wortlosigkeit des Sinnierens. Das nächste Mal war es an Cifer, sie zu stören: „Artemisia“, sagte er, „Artemisia ist in mir.“

„Ich weiß“, erwiderte Ellione unberührt. „Ich wusste, als Squall und die anderen sie geschlagen hatten, dass sie irgendwo auf ihre nächste Gelegenheit lauert.“

Er musterte sie. „Heißt das, du hast nie daran geglaubt, dass ihr sie endgültig losgeworden seid?“

„Artemisia kann nicht ausgelöscht werden“, stellte die Tochter der Hexe ihm klar. „Denn sie ist der Ursprung ihres Untergangs. Würde sie nicht mehr existieren, gelänge Squall nicht mehr in die Vergangenheit, um Edea Kramer zum Garden zu inspirieren, der die SEEDs ausbildet. Und ohne SEEDs gäbe es niemanden, der Artemisia vernichtet. Im Gegensatz zu den SEEDs existiert Artemisia in der [endgültigen Zukunft]. Sie ist das [Urwesen] aus der Zukunft, das uns voraushat, zumindest theoretisch auf alle Zeiten zugreifen zu können. Wir mögen die gegenwärtige Zukunft vor ihr bewahren, aber das garantiert uns nicht, dass sie nicht von einer anderen Zukunft aus in unsere Gegenwart eingreift, so wie auch die Kopplungsmaschine ELLIONE von euch aus gesehen ein Gegenstand aus einer anderen Zukunft ist, da ich in der Zukunft dieser Gegenwart meiner Mutter nicht mehr als willenlose Dreijährige zur Verfügung stehen werde.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte Cifer nach, der mehr und mehr Mühe hatte, ihr zu folgen. „Welches Ereignis "unserer" Gegenwart soll verhindern, dass Artemisia dich zur Welt bringt?“

Endlich sah Ellione ihn wieder an. „Ich. Ich werde das nicht zulassen.“

Er bohrte nicht nach, wie sie plante, ihre Geburt zu verhindern. „Aber ist das nicht sinnlos?“, fragte er stattdessen, bezogen auf ihre eigene Erklärung.

„Es mag sein“, gab sie zu. „Ich habe gelernt, dass man die Vergangenheit nicht beeinflussen kann. Aber man kann die Zukunft beeinflussen. Für das Mädchen, das auf dich wartet, wie es dir das versprochen hat, ist seine Vergangenheit zu seiner Zukunft geworden. Damit hat es das Recht erworben, diese auch verändern zu dürfen. Auch wenn es Artemisia nicht vernichten wird: Ihr dürft niemals aufhören, gegen sie zu kämpfen. Dafür seid ihr SEEDs.“

Cifer schüttelte den Kopf. „Ich bin kein SEED.“

Aber Ellione fand zu ihrem Lächeln zurück. „Nicht das [Warum] macht einen SEED aus, Cifer. Sondern die Bereitschaft, in den Kampf gegen die Hexe zu ziehen. Und weil jemand auf dich wartet, wirst du gegen sie kämpfen, nicht wahr?“

„Irgendwo muss es doch einen Anfang gegeben haben“, kam er noch einmal auf das vergangene Thema zurück.

Sie ließ sich darauf ein: „Das ist das Rätselhafte an einer Zeitschleife. Es gab ganz bestimmt irgendwo einen Anfang, aber er geht sozusagen… verloren.“

Damit stand sie auf und schob den Stuhl unter die Platte des Tisches. Obwohl er sie eingangs so schnell wie möglich von hier fort wissen wollte, fiel es ihm nun und zu seiner eigenen Verwunderung schwer, sie gehen zu lassen, was sie offensichtlich vorhatte. „Ellione… Artemisias Ziel ist es, in irgendeiner Vergangenheit deiner habhaft zu werden, weil die Kräfte der Maschine nicht ausreichen.“

Ellione sah ihn aufmerksam an.

„Was würde geschehen, wenn du in dieser… in unserer Zeit einfach… nicht mehr existieren würdest?“

Cifer sollte nie herausfinden, ob ihr die Antwort auf diese Frage nicht bekannt war oder ob sie sie ihm schlichtweg verschwieg.

„Gehst du?“

Ihr war abzulesen, dass sie es genauso wenig wollte wie er. „Ich kann nicht bei dir bleiben. Ich würde es gerne, doch wie ich dich damals schon wissen ließ, darf und sollte man das, was bereits geschehen ist, nicht verändern wollen. Auch wenn die Versuchung, es doch zu tun, manchmal übermächtig scheint…“

Abrupt drehte sie sich Richtung Tür.

„In deiner Gegenwart gehe ich nicht fort. Ich bin immer noch da und warte auf dich. Es gibt keine Chance, dass ich dich wiedersehe, aber bitte enttäusche sie nicht – kämpfe und kehre zu ihr zurück. …Leb wohl, Cifer.“

Er hielt sie nicht auf. Als hätte sie irgendeinen Zauber über ihn verhängt, fühlte er die schwere Müdigkeit zurückkehren. Er legte sich nieder und rang mit seinen Lidern, die sich schließen wollten.

„Ellione?!“

„Opa Laguna…“

Wenige Sekunden später beugte sich Zephir über sein Bett und sah ihn fest an. Seine ausdrucksstarken Augen ketteten die seinen an sich und halfen ihnen, offen zu bleiben. Seine schwarze Strähne kitzelte ihn.

„Lass dich nicht unterkriegen, Junge! Ich hol’ dich hier raus; halt nur noch ein bisschen durch, verstanden?“

Auch Zephir war alt geworden. Cifer bewunderte seine Stärke.
 

„Herr Almasy? Herr Almasy!“

Als er das nächste Mal seine Augen öffnete, dröhnte ihm der Kopf so sehr, dass er glaubte, er würde jeden Moment platzen. Unter leisem Stöhnen drehte er ihn von einer Seite auf die andere, als würde das den scheußlichen Druck lindern können, doch die Marter war zu keinem Kompromiss bereit. Aus einem Reflex hob er die Hand, um sich die Schläfe zu massieren, aber irgendetwas hielt sie zurück.

Schnallen um seine Handgelenke. Er war gefesselt.

Etwas Großes war im Begriff, zu passieren. Dies wurde ihm erst recht klar, als er Professor Odyne an seiner Seite stehen sah.

„Was… soll das?“, bemühte er sich um eine verständliche Sprache. Es war entsetzend, wie viel Kraftaufwand es bedurfte, einigermaßen normal reden zu können.

„Der Zeitpunkt der [Extraktion] sei gekommen, oder?“, antwortete ihm der kleinwüchsige Professor mit der großen Halskrause. „Weil der Präsident beginne, sich in das Projekt einzumischen, müssen wir es zwangsläufig vorziehen, oder?“

Extraktion?

Extrahieren. Ein Extrakt. Herauslösen. -Ziehen. Sein Verstand schien zehnmal langsamer zu arbeiten. Er hätte mit seinen Gedanken einen Tee trinken können. „Was… bedeutet… das?“

„Man werde die Hexe Artemisia [aus seinem Körper herausziehen]. Es werde mit Schmerzen verbunden sein, aber nicht lange dauern, oder?“

Das Piepen des EKGs beschleunigte sich. „Ich… will… nicht…“

„Es werde nicht gefährlich sein, oder? Er müsse nicht um sein Leben bangen, od…?“

„HALT’S MAUL!“ Cifer versuchte, sich aufzurichten. Er zerrte an den Fesseln, bis deren Kanten in seine Handgelenke schnitten. Professor Odyne sah interessiert zu. Er verabreichte ihm die Spritze erst, als er Flüche ausstoßend seine Machtlosigkeit einsehen musste und zurück auf das Lager fiel.

Bunte Erscheinungen tanzten vor seinen Augen, als die neue Droge sich ausbreitete. Sein Kopf sank zur Seite. Mit Gedanken, die sich mehr und mehr von ihrer irdischen Hülle zu entfernen schienen, starrte Cifer auf das verschmierte Blut an dem kühlen Metall unter seiner Hand. „Drecksbastard…“

„Sooo~. Ich werde dann beginnen, oder?“, kündigte der Professor an. In seinen kleinen Augen blitzte Vorfreude auf. Er setzte sich sogleich in Bewegung.

Cifer mochte Hunde, aber er sah ihm nicht nach. „Warum… verpassen Sie mir… nich’ einfach ’ne Narkose…?“

Bekuttete Männer umkreisten ihn. Wo ihre Gesichter hätten sein sollen, war nur jeweils ein großer Fleck aus Schatten zu sehen.

„Artemisias Wirt müsse bei Bewusstsein bleiben, oder?“, erklärte die mickrige Stimme des Professors, welche nun von überall her zu kommen schien. „Sei er es nicht, könne die Hexe nicht ausfindig gemacht werden. Die Hexe schlafe, oder? Schlafe nun auch der Wirt, so sei es schwierig, die beiden voneinander zu unterscheiden, oder?

Ruhm ist oft nur eine Frage des rechtzeitigen Sterbens, hatte jemand einmal gesagt, und dass man sich Karrieren aus den Brettern zimmert, die andere vor dem Kopf haben. Bunte Muster, als hätte er zu lange ins Licht gesehen.

Kopf in seinem Nebel.

Er spürte ihre Hände. Ein dünner, endlos langer Wurm schob sich durch seine Nase, doch die Mittel zwangen ihn mit einem listigen Lächeln, sich zu entspannen. Wow! Er ist fast schon ein SEED! Er konnte einen Fluss sehen. Jede Sorge, jeder Ärger wurde hinweggespült. Er selbst trieb mit ihm. Seine Atmung beruhigte sich, seine Lider sanken. Moment, Watts. Er war bei den SEEDs. Er ist von dort weggegangen, und jetzt ist er bei uns, aber er schlief nicht.
 

«PROGRAMM WIRD INITIALISIERT.»
 

Der Fluss trug auch ihre Stimmen mit sich fort. Der Druck ihrer Hände verblasste. Sein Blick wandte sich nach innen. Er erkannte nun mehr als Muster. Er erkannte jetzt Bilder – bewegte Bilder, groß und fast grau, wie aus einem alten Kinofilm.

…Cifer.
 

«EXTRAKTION WIRD GESTARTET.»
 

Eine Frau, deren dunkles Haar ihr schimmernd über die Schultern strich. Ihr warmes Lächeln versiegte, tauchte in die Finsternis ab, aus der eine Schlange schnellte. Sie biss zu, wieder und wieder.

Hexen und Ritter, übermenschlich groß.

Eine Brille. Diskussion. Ein Punkt. Ein Haus am Meer. Kinder lachten. Ein Punkt.

Hatten sie ihm die Wahrheit nie verraten? Was war das für ein Punkt?

Sie war nicht seine Mutter? Wer war seine Mutter?

Sie war tot.

Tot. Und sein Vater?

Tot. Warum?

Weil er sie getötet hatte.
 

«EXTRAKTION BEI… 25 PROZENT.»
 

Dollet. Ein Hund. Er hören Sie mich? Schauen Sie auf den Punkt in der Mitte! Lassen Sie sich nicht ablenken war ihm zugelaufen, während der SEED-Prüfung.

Nein…

Früher.

Fynn… Er erinnerte sich. Fynn.

Ein Versprechen.

Fynn…rir. Fenrir. [Fenris].

Ein hellbrauner Berg in der Mitte eines roten Sees.

Da war dieses Versprechen gewesen.

Hand drauf. Pfote drauf.

PENG!

Nie alleinlassen.

Ende.
 

«EXTRAKTION BEI… 50 PROZENT.»
 

Er selbst. Wie alt ich bitte Sie! Reißen Sie sich zusammen war er gewesen, als es geschah?

Niemand war dar Punkt war weg! Wo war er – wo?! Er gab ihm irgendwie Halt, und jetzt? Er war gib mir den Scheißpunkt wieder allein, umgeben von Schwärze, aus der eine unidentifizierbare Körperhälfte ragte.

Er riss sich doch zusammen. Er riss sich doch zusammen.

Er war wach bleiben! Wach bleiben! Die Bastarde ließen natürlich nicht zu, dass er ein verfluchtes Kind!

Den Direktor verarschen? Den Garden verklagen?

Schlitz! Ratsch!

Hatte er geweint? Vielleicht. Yamazaki hätte es gesehen.

Er war nämlich dagewesen.

Er war dagewesen.

Er war fünfzehn.
 

«EXTRAKTION BEI… 75 PROZENT.»
 

„Na, Squall? Lust auf einen Kampf?“

„Sorry, Cifer. Ich muss noch zur Feuer-Grotte. Zur Feuer-Grotte.“

Kampf.

Kampf.

Kämpfe gegen Sie dürfen jetzt nicht aufgeben! Sehen sie!

„Dafür hast du noch den ganzen Tag hast du dafür noch Zeit.“

Wenn er durch den Garden streifte, halten Sie ein, Professor! Nein, nicht ging es ihnen doch nicht um ihn. Es ging ihnen allein um Artemisia. Wenn er durch den Garden streifte…

„Na, Squall? Lust auf einen…?“

„Sorry, Cifer.“

Wenn er durch… Wenn er…

„Es ist gut. Sie brauchen nicht mehr zu kämpfen.“

Er. Er. Er… Professor! Nein, nicht jetzt! Es seien nur noch ein paar Prozentchen, oder? Wir mögen weitermachen, oder?

Ja ja. Macht nur weiter.

„Ich… kann noch nicht… sterben.“

„Lust auf einen Kampf, Squall?“

Ich werde nicht sterben; ich werde wiedergeboren; ich werde…

„Eine Hexe kann nicht sterben, ohne ihre Kräfte zu vererben.“

„Sorry, Cifer.“

Das Experiment sei vollkommen ungefährlich, oder? Vollkommen ungefährlich, oder?

„Sorry.“

Artemis war eh unsterblich.
 

«EXTRAKTION BEI… 100 PROZENT.»
 

Schmerz. Bestialischer Schmerz. Er konnte nicht einmal mehr schreien.
 

«EXTRAKTION ABGESCHLOSSEN. UPLOAD WIRD GESTARTET. ERGEBNIS WIRD ERMITT…»
 

„Ich hatte schon immer vor, etwas Gigantisches anzustellen!“
 

Stille.



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Kommentare zu dieser Fanfic (26)
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Von:  Phantom
2014-11-18T20:33:19+00:00 18.11.2014 21:33
"onyx" schrieb am 15.10.2012 auf FanFiktion.de:

WHAT A STORY!

Als Spätzünder möchte ich mich zunächst einmal dafür entschuldigen, dass ich, obwohl bereits seit 2 Jahren auf fanfiction.de unterwegs, dennoch nicht in die Rubrik Final Fantasy VIII und besonders in deine Geschichte reingeschaut zu haben.
Besonders muss ich mich schämen, da Cifer mein Lieblingscharakter aus FF VIII ist.

Wollen wir nun vom zu Kreuze kriechen Abstand nehmen und uns dem eigentlichen Grund dieser Review zuwenden.

Nachdem ich diese Geschichte durchgelesen habe muss ich respektvoll und zutiefst beeindruckt mein Haupt vor deinem Werk neigen, wenn es mich auch zu Beginn schockiert hat. Denn, und das ist der größte Kritikpunkt den ich finden konnte, ich bin erschüttert über deinen Cifer den du am Anfang zeichnest. Resignierend, sich hängen lassend, aufgegeben, sich mit der Situation abfindend, dem Alkohol verfallen (!!!) und noch schlimmer, WARTEND?!!! Das hätte ich nicht erwartet. Zugegeben, hat er viel wenn nicht fast alles verloren. Aber ich muss immer wieder an sein Gesicht denken das er in der Endsequenz zeigte. Wie er in Balamb am Steg sitzt und angelt, mit Fu und Rai. Wie er sich ärgert, dass er nichts fängt, lacht als Rai von Fu ins Wasser geschupst wird und mit einem eigentlich zufriedenen Lächeln (!) dem an ihnen vorbeischwebenden Garden nachsieht.
So wie ich ihn während des Spielens von FF VIII gesehen bzw. erlebt habe, hätte ich nie an sowas gedacht. Deine Charakterisierung von Cifer nach den Ereignissen mit der Hexe sind nachvollziehbar, völlig, aber für mich eben unerwartet. Doch das ist meine persönliche Meinung und sollte keines Falls als Angriff auf deine Person gesehen werden. Weil (!) wie du dieses Szenario geschrieben und beschrieben hast ist echt gut.

Mir persönlich gefallen die "Kleinigkeiten" besonders gut. Diese scheinbar beiläufig eingebrachten, abgewandelten Redewendungen oder Vergleiche mit Monstern zum Beispiel. Jener der beleibten Dame mit einem auf dem Rücken liegenden Adaman Taimai. Oder das "Butter bei den Focarol", um nur zwei zu nennen. Am besten hat mir aber der Vergleich von Selphie und einem Chocobo gefallen. Es ist nicht nur das gelbe Kleid, es ist auch der immer fröhliche Charakter. Deine Spitzfindigkeiten in diese Richtung sind bemerkenswert.
Da mir lustige Dinge immer am ehesten im Gedächtnis bleiben mache ich damit gleich weiter. Die Idee, Biggs zum Präsidenten, des zum Ende des Spiels, führungslosen Galbadia zu ernennen. Wow! Galbadia muss verzweifelt gewesen sein. Aber auf der anderen Seite, warum nicht? Vor allem der Übergang der beiden Unglücksraben aus dem Spiel zu den beiden Scherzkeksen in deiner Geschichte ist wundervoll amüsant! Wedge als tollpatschige Frohnatur kann einem echt ans Herz wachsen.
Doch auch andere Textstellen haben es mir angetan. Ich muss immer noch an Kapitel 3 denken, als du das schwarze Seidenkleid zu ihren Füßen als verdorbene Rose bezeichnet hast. Man sagt ja eigentlich wie eine verwelkte Rose, doch ich muss gestehen, dass in diesem Zusammenhang die allgemein gebräuchliche Redensart nicht passen würde. Auch hier sind deine Fähigkeiten im Umgang mit Worten beeindruckend. Ein Vorbild für mich.
Zu guter Letzt noch die Charakterisierung der Figuren. Sie sind alle gut getroffen. Am Besten gefällt mir aber Xell. Er legt sich mit Cifer an. Kann aber dennoch das ein oder andere gute Haar an ihm lassen. Wird übergangen und findet trotzdem einen Weg wieder oben auf zu sein. Etwas schwierig wird es bei Edea. Ich hätte von ihr... irgendwie mehr erwartet. Und zwar mehr nachdem Artemisia sie verlassen hat. Ihre Darstellung während der vergangenen Ereignisse ist gelungen, aber es fehlte einfach etwas als sie in Cifers Quartier mit ihrem ehemaligen Hexenritter zusammenstieß. Ich eine dabei eben nicht die Beziehung zwischen "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer", sondern zwischen "Mutter" und "Sohn". Es ist klar, dass sie nichts von dem ungeschehen machen kann was passiert ist. Aber ein wenig mehr Mutterinstinkt hätte ich ihr zugestanden. Besonders gegenüber Cifer, der von Artemisia durch sie ausgenutzt wurde. Natürlich distanziert sich Edea im Spiel wähend der Reise nach Esthar von ihren ehemaligen Schützlingen. Aber auch hier muss ich an die Endsequenz denken, bei der sie zwar von Cid ermutigt, trotzdem schüchtern auf Irvine und die Umstehenden zugeht.

Noch etwas Positives zum Schluss. Dein Einfallsreichtum im Bezug auf die vom Spiel gelassenen Lücken sind super. Nicht nur was du dir hast einfallen lassen wegen der Begegnung mit Fu und Rai und ihre Beziehung zum Ordnungsdienst. Auch wie sich das wiederum mit den fehlenden drei verpatzten Prüfungen von Cifer verknüpft. Gleiches gilt für das erste Treffen des SeeD-Anwärters mit Rinoa. Oder der Punkt mit dem Film. Hier muss ich gestehen, ich kann nicht sagen wie viel davon frei erfunden ist und wie viel aus dem Spiel hervorgeht. Es ist schon zu lange her, dass ich den Controller in der Hand hatte...

Nachdem wir nun die Schönen Dinge abgehandelt haben, hätte ich doch noch etwas Kritik.
Zum einen Fenris. Diese G.F. gibt es meines Wissens nach nicht in FF VIII. (Bestia und Erscheinen bzw. Beziehung mit dem Charakter erinnert mich sowieso eher an Final Fantasy VII Advent Children.) Das ist an sich nichts schlimmes. Freiheit des Autors. Es ist WIE du ihn eingebracht hast. Wo hat Cifer die G.F. her? Wie lange hat er sie schon? Wie gut kennen sie sich oder um es mit der Sprache von FFVIII zu sagen, wie hoch ist der Freundschaftswert? Und das beiseite lassend, warum verwendet er dann keine anderen? Soweit mir bekannt ist verwendet Cifer gerne Feuerzauber. Wo bleibt also Ifrit?
Er rühmt sich in einem Kapitel doch damit, eine spezielle Art der Kopplung zu benutzen. Es gibt aber eben nur diesen einen kurzen Abschnitt darüber in deiner Geschichte. Ich hätte gerne mehr erfahren. Es ist etwas, bei dem ich sagen würde, es steht in direkter Verbindung mit Cifers Charakterzügen, zeigt uns, warum er sich immer für besser gehalten hat oder so von sich überzeugt war.
Ein weiterer Punkt ist der Kampf zwischen Cifer und Xell auf dem Dach des Kleinlasters. Warum sollte Xell ihm da unterlegen sein? Zugegeben. Einem Schwert möchte man selber nicht unbewaffnet gegenüberstehen. Doch die Gunblade ist, wie bekannt, eine schwer zu führende Waffe. Zum anderen ist Xell ein excellenter Faustkämpfer der, nicht nur wie es Cifer aufzieherisch meinte, Fliegen fangen kann. (Und ich glaube, wenn er sich anstrengt kann er das mit den Fliegen wirklich.) Auf einem Dach ist nicht viel Platz. Cifer bräuchte zu lange um ordentliche Schwünge vollführen zu können. Xell hingegen, der auf Grund seiner Kampftechnik dicht an seinen Gegner rann muss, ist im Vorteil. Sowas wie das Knie in den Magen vo Cifer hätte ich eher von Xell erwartet.
Im selben Zug muss ich sagen, dass ich auch von Wedge etwas mehr Einsatz hätte sehen wollen. Er war schließlich bei der Armee. Auch, wenn er jetzt nicht der Beste seines Regiments sein mochte.
Des Weitern frage ich mich immer noch, warum Xell unbedingt auf Squall warten wollte, als Irvine doch so dringend Hilfe benötigte, wenn doch Qistis mit dem Auto sicherlich gleich bei der Raketenbasis ankömmen würde und ihr Truppenführer noch so weit entfernt ist. Außerdem, was soll Squall besser machen können als Qistis? Sie war -und ist bei dir wieder- Ausbilderin. Bei einem Verletzten Erste Hilfe leisten zu können sollte doch SeeD-Grundausbildung für Xell und für Qistis eine Alltäglichkeit im Lehrplan sein.
Und wieder Xell. Wenn es Wedge geschafft hat, einen der Laster im unterirdischen Tunnel (der mich an Final Fantasy VII erinnert) in Gang zu bringen, wieso sollte er es nicht können? Hier denke ich an die Sidequest mit der schwimmenden Forschungsinsel. Wenn man Xell dabei hat, verrät er einem beim Betreten der Insel nicht nur eine ganze Menge über sie, er hilft auch beim Öffnen der letzten Tür im untersten Stockwerk. Soweit ich mich zurückerinnern kann, konnte man sogar im Garden erfahren (ganz am Anfang des Spiels), dass Xell sich in der dortigen Bibliothek ein Buch über Mechanik ausgeliehen hat. Soviel Wissenswertes über Elektronik sollte da doch dabei gewesen sein um einen LKW kurzschließen zu können.

Abschließend möchte ich dennoch ausdrücklich betonen, dass mir deine FanFiction sehr gut gefallen hat. Von der Idee über Umsetzung bis hin zur Sprache.
Vielen Dank für diese tolle Geschichte über den mir liebsten Charakter aus meinem lieblings-Final Fantasy Teil VIII!
Von:  Phantom
2014-11-18T20:25:09+00:00 18.11.2014 21:25
Rahir schrieb am 02.05.2008 auf FanFiktion.de:

„Now we have come to the end…“

Nun ist es soweit: deine Geschichte ist zu Ende, zumindest nehme ich das an, nachdem du nicht mehr updatest, auch wenn noch nicht ‚fertig gestellt‘ dabei steht. Nun, was soll ich sagen?
Dass du großes Talent hast? Unnötig, das noch extra zu erwähnen.
Dass deine Geschichte eine Achterbahnfahrt der Emotionen und Stimmungen war? Das sollte jeder, der dieses Review hier mitliest, selbst heraus finden.
Dass du die Geschichte des Cifer Almasy auf beeindruckende und ergreifende Weise ausgebreitet und letztendlich vervollständigt hast, besser als es die Mannen bei Square konnten oder könnten? Das ist nur meine persönliche Meinung.
Dass dein Schreibstil mich inspiriert hat und bei zukünftigen Werken mein Tun noch bereichern wird? Wird vielleicht nie jemanden auffallen.
Wie auch immer… Der Ausklang war sehr versöhnlich nach den zerrüttenden Ereignissen der letzten Kapitel. Erinnerte mich ziemlich an die Kamerasequenz vom Ende von FF8. Das war ergreifend, ehrlich. Vor allem die letzten vier Sätze sind der Inbegriff Cifers letztendlicher Aussöhnung mit seiner Welt. Die einzigen Schwachpunkte, nämlich die Kampfszenen und willkürlich auftauchende Handlungselemente, haben wir ja schon besprochen ;-) Ansonsten war dies ein Lehrbeispiel anschaulicher und glaubwürdiger Charakterentwicklung, und darum ging es ja dir in erster Linie. Und so schließe ich mit einem ‚Danke‘ für diese Geschichte, die ihre Zeit zum Lesen mehr als wert war und die mir trotz ihrer Länge kurz vorkam.
Von:  Phantom
2014-11-18T20:22:00+00:00 18.11.2014 21:22
Rahir schrieb am 24.04.2008 auf FanFiktion.de:

Ich bin’s, dein Literaturpapst XD

„Das ist ja Fastfood-Literatur“, näselte einst Marcel Reich-Ranicky abwertend, doch dein Werk kann er nicht gemeint haben, denn

a) Hat er es höchstwahrscheinlich nie gelesen
b) Trifft es auch in keinster Weise zu

Denn im Gegensatz zu so mancher Populärliteratur hinterlässt die Lektüre deines Schaffens keinen schalen Nachgeschmack, sondern ein wohliges, mentales Sättigungsgefühl. Eines ist mir aber aufgefallen, und zwar der Satz:

„Er steht unter Verdacht, die Tochter des galbadianischen Präsidenten entführt zu haben“

Sollte da nicht eher Laguna gemeint sein…? Wie auch immer. Endlich existiert eine Vorgeschichte zu Fu-jin und Rai-jin. das wurde ja in der Vorlage völlig ausgespart. Du hast sehr gut geschildert, wie drei Personen, die überall anecken, durch diese Gemeinsamkeit zusammengeschweißt wurden. Die Kampfszene war übrigens ganz gut, ein Fortschritt zu den bisherigen. Da habe ich übrigens einen Tip für dich, was das angeht.
Musik: was bedeutet sie, was kann sie? Grundsätzlich ist sie nichts außer Schwingung, modulierte Frequenz, die Hammer, Amboß und Steigbügel in unserem Innenohr in Bewegung versetzen, wodurch wiederum Nervenenden reagieren und Synapsen mit elektrischen Impulsen versorgen… doch was ist sie WIRKLICH? Sie ist pure Energie, sobald sie unsere Seele, unseren Geist erreicht! Dort kann sie gewaltige Energieschübe auslösen, ja dort ENTSTEHT sie erst! WIR erfüllen sie mit Leben, den sonst hat sie keines. WIR verleihen ihr die Bedeutung, wir sind der Stein, der durch einen kleinen Auslöser ins Rollen gerät. Genauso, wie der Mond nicht am Himmel hängt, wenn niemand hinschaut, so entfaltet Musik ihre Wirkung erst durch den aufnahmebereiten Zuhörer. Ich schreibe immer mit Musik, und sie hat nie ihre Wirkung verfehlt. Speziell für Kampfszenen wie auch für jedes andere Thema habe ich eigene Playlisten, aber ein Stück wirkt immer: ‚Divinity‘ aus dem Advent Children Soundtrack. Ich kann dir das nur ans Herz legen. Dreh diese Musik richtig laut auf, und die spektakulären Szenen werden nur so aus der Tastatur fließen. Bei mir zumindest ist es so… :-)
Von:  Lexion
2010-05-04T20:49:41+00:00 04.05.2010 22:49
Sooo jetzt habe ich die ganze Fanfic gelsen und schreibe mal am Ende den Kommentar zu allem!
Erstmal: Tolle Fanfic! Stellenweise etwas verwirrend aber ich fand es toll wie diese Wirren zum Schluss zu einem tollen Bild geworden sind. Aber bei dem Ende check ich es leider auch nicht ganz (was ich im übrigen nicht zu kurz finde)..träumt er? Nirvanavostellungen? Aber andererseits hast du damit einen tollen Effekt erzeugt..man ist neugierig und diese Fanfic geht einem bestimmt nicht so schnell aus dem Kopf! (aber ne Fortsetzung wäre wirklich toll^^°)
LG Lex
Von: abgemeldet
2010-01-26T23:16:22+00:00 27.01.2010 00:16
Hey die Geschichte ist echt gut,auch der Schreibstil ist toll^^

ich wünschte ich wär auch so'n guter Autor xD
P:S
Irvine + Selphie Traumpaar4Life♥
Von: abgemeldet
2008-09-07T12:22:54+00:00 07.09.2008 14:22
hmmm
zu kurz, aber fast gut. nur eben zu freidlich. es wäre besser gewesen, wenn die letzte szene zeigt, wie er arbeitet. mit fu und rai in die armee geht, sowas in der art.
Von: abgemeldet
2008-09-07T11:02:01+00:00 07.09.2008 13:02
zu kurz
und so seltsam, mm ich glaube der träumt
gehts weiteR?
Von: abgemeldet
2008-09-07T10:53:22+00:00 07.09.2008 12:53
grässlich, genial, verwirrend, klärend
mir wird schummmrig,
oh gott armer cifer stelll nichts an, bitte.
Ne ich schreibe auch kommis bloodhound
Von: abgemeldet
2008-09-07T10:01:18+00:00 07.09.2008 12:01
Cool, super gesichte
arme fujin, armer rajin, ach der gute cifer,
manchmal tut er ja was rechtes^^
wunderschön erzählt, echt
"Seit ihr echt bereit für ihn drauf zu gehen?"
Das konnte Xelll ja nicht verstehen

Da richtete sich Rai-Jin zu voller Größe auf. „Hört endlich auf damit!
Odins finstere Ankündigung „Eisenschneider“ hätte nicht furchteinflößender klingen können.
Cooler Vergleich zusammmen mit Unterstaubwedel die besten Wortdingse der Welt^^
Von: abgemeldet
2008-09-07T09:29:50+00:00 07.09.2008 11:29
mm, eigentlich weiß ich nicht ob ich ellione und cifer zusammmen mag...
aber das ist nicht wichtig,
raijin und fujin sind echt loyal, ein team, und echte freunde
da stossen squalll und co mal auf gegener nicht?


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