Zum Inhalt der Seite

The Resurrection of Hyperion

Final Fantasy Ⅷ –
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

The Resurrection of Hyperion

Als sie die galbadianische Hauptstadt erreicht hatten, gab Cifer Ellione ein Zeichen, ihn allein zu lassen. Sie verstand und trennte sich von ihm in Richtung der Einkaufsmeile, während er unbeirrt auf das Villenviertel zuhielt. Er machte sich keine Gedanken darum, dass es außer einer einzigen Wache nichts und niemanden gab, das oder der ihn davon abhalten wollte, das Anwesen mit der hell beleuchteten Front zu betreten. Im Inneren desselben war es finster, als hätte lange niemand mehr einen Schritt in die nobel eingerichteten Korridore gesetzt. Mühelos fand er den Empfangsraum für die Gäste. Der Geruch dort ließ ihn innehalten. Ihr Geruch. Schlicht und doch einprägend wie die zartrosa Blüten eines Kirschbaums, der nicht lange seine Pracht zur Schau stellt, ehe er sein Kleid ganz dem Wind überlässt. Was die Menschen als wunderschön anzusehen empfinden, ist in Wirklichkeit das Sterben und Verlorengehen dieser hilflos ausgelieferten Blätter.

Er wandte sich um. Leise öffnete sich die Tür. Zwei schwarze, unglaubende Augen musterten ihn. Sie starrten ihn an wie ein wildes Monster, vor dem man weglaufen sollte, wenn die Beine es zulassen. Die Türklinge umfassend wie den Schaft eines zu schweren Schwertes, mit einem Körper, der ihm weder abgewandt noch entgegengerichtet war, dauerte es eine ganze Weile, bis sie endlich akzeptierte, dass er hier war. „Cifer“, hauchte sie kraftlos, als wäre er ein ins Leben zurückgekehrter Verstorbener.

Er wollte es sich nicht eingestehen, aber es schmerzte, sie so mit ihm reden zu hören.

Endlich ließ ihre Hand von der Tür ab, sodass diese ungehindert in ihren Rahmen fallen konnte. Während des Geräuschs ihres Zuschlagens standen sie sich stumm gegenüber.

„Was tust du hier?“, fragte sie schließlich, die Stimme durchwirkt von vielen, unschlüssigen Gefühlen. Nur ihre Augen drückten einstimmig ein Empfinden aus: Hass. Die Angst, welche sie verspürte, kannte er bereits, seitdem er sie der Hexe Adell vorgeworfen hatte. Aber Hass? Er hatte sie nie aus Hass mit ihm sprechen gehört. Angst? Ja. Mitleid? Ja. Freundschaft? Ja. Liebe? Vielleicht sogar eine, die auf Gegenseitigkeit beruht hatte. Aber Hass?

Niemals.

Die mühselig errichteten Mauern um sein tiefstes Inneres hielten nicht lange. Standhaft wie die Felsen in der Brandung hatten sie jedem emotionalen Angriff getrotzt, hatten nichts an ihn herankommen lassen – und jetzt, wo er Rinoa von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, stürzten sie zusammen wie eine Burg aus Triple Triad-Karten.

Sie hatte sich sehr verändert. Sie sah erwachsener und stärker aus. Die schweren Kämpfe der Vergangenheit spiegelten sich in ihrem Antlitz wider. Die Unschuld und der jugendliche Mut waren verschwommen; stattdessen las er trüben Ernst und eine immerwährende Vorsicht. Ein anderer hätte diesen massiven Unterschied vielleicht nicht wahrgenommen. Aber er kannte die [echte Rinoa]. Die freche Rebellin, das unverblümte Großmaul. Wenn er jetzt in ihre Augen schaute, dann sah er keine Widerstandskämpferin mehr, sondern eine SEED, eine Hexe. Er sah Squall in ihr.

„Ich schließe mit meiner Vergangenheit ab“, antwortete er und rutschte dabei von seinem geplanten Tonfall ab. „Und beginne mit der Zukunft.“

Rinoas Missfallen über sein egozentrisches Selbstbewusstsein war deutlich zu erkennen. Früher war es genau dieser Charakterzug gewesen, der sie fasziniert hatte, weil sie schwach gewesen war und jemanden gebraucht hatte, zu dem sie aufsehen konnte, aber heute hatte sie nicht mehr dafür übrig als ein knappes „Verstehe“.

Keine Frage danach, was er dann im Haus ihres Vaters suchte. Keine Frage danach, wie er sich diese Zukunft vorstellte. Gedanklich war sie schon wieder bei Squall. Ja: Das Einzige, was sie noch mit ihm in Verbindung setzte, was doch nur Squall Leonhart.

Just fand sich Cifer in einem Glaskasten wieder, den sein Stolz um ihn her errichtet hatte. Wie hart er auch auf die Scheiben einhämmerte und wie laut er auch nach ihr schrie: Rinoa konnte ihn nicht hören. „Das ist alles?!“, fuhr er sie an. „"Verstehe"? Das ist alles?!“

Und da riss die abwehrende Mantelung um sie, und die vorher mit Anstrengung zurückgehaltenen Emotionen brachen aus ihr wie durch einen nachgebenden Damm. „Was soll ich denn sonst sagen, Cifer?!“, schrie sie wütend und verletzt zurück. „Soll ich mich für dich freuen? Oder soll ich jetzt Angst haben? Sag es mir, Cifer, denn ich weiß es nicht! Was soll man für jemanden empfinden, von dem man nicht mehr weiß, ob er ein Freund ist oder ein Feind?!“

Auf einmal taumelte Cifer zurück, als hätte ihm der Satz einen Schlag ins Gesicht versetzt – nur war der seelische Schmerz weitaus gravierender, als es der körperliche je hätte sein können.

Sollte man überhaupt noch etwas für ihn empfinden?

Man empfindet keine Gefühle, wenn man ein Monster erlegt. Man empfindet bloß Gefühle, wenn man es mit einem Menschen zu tun hat. Rinoa schien nur noch das Monster zu sehen, nicht mehr den Menschen. Nur noch das Monster. Nicht den Menschen. Nur noch das Monster… nicht mehr den Menschen… Nur noch das Mon…

„Cifer!“

Ihre Pupillen zitterten. Ihre Lippen pressten sich aufeinander. Sie atmete etwas lauter. Als er hinabsah, blickte er auf zwei weiße, verkrampfte Hände. Wann war sie ihm so nahe gekommen, dass er ihren Atem spüren konnte?

„Wenn du wegen mir hier bist, dann geh jetzt und lass uns beide für immer vergessen, was jemals zwischen uns vorgefallen ist. Ich empfinde nichts mehr für dich.“

Er brauchte sie nur kurz zu betrachten, um es besser zu wissen: „Wenn das wirklich so wäre, würdest du nicht so zittern, Rinoa.“ Die Überzeugung, Recht zu haben, gab seiner Arroganz wieder Nährboden, nachdem sie ihm eben so unvorbereitet entrissen worden war.

„Ja… Vielleicht“, stimmte sie ihm bedrohlich leise zu, „vielleicht empfinde ich doch noch etwas für dich…“

Er schnaubte belustigt. „Wusste ich’s doch.“

Hass. Ich empfinde nichts als Hass für dich!“ Mit diesen Worten wollte sie die letzte Distanz zwischen ihnen überbrücken, hob die Hand und ließ sie auf ihn zuschnellen, doch Cifer reagierte sofort und fing sie ab.

Scheinbar unberührt erwartete er ihre nächste Aktion. Sie löste sich unsanft von ihm und trat ein paar Schritte zurück. Wie ein Kind, das einen Moment lang nicht nachdenkt und sich übermütig in eine große Maschine setzt, über die es keine Kontrolle haben wird, fühlte er sich, als er ihr gegenüberstand und einfach nicht los wurde, was er auf dem Herzen hatte.

Ich liebe dich, Rinoa. Bitte verzeih mir und das, was ich getan habe; ich will das nicht und ich weiß, dass es nicht auf Gegenseitigkeit beruht, aber ich liebe dich, Rinoa, und ich will nur, dass du es weißt. Ich will mich verändern, Rinoa; dir zuliebe; bitte verstehe das und hasse mich nicht mehr, damit ich gehen kann, und ich verspreche dir, du wirst mich niemals wieder sehen, wenn du das nicht willst. Ich will nur, dass du es weißt.

Was er nicht ahnte, war, dass Rinoa, deren Beziehung es erforderte, sich in sehr pedantischem Beobachten zu schulen, verstand, was er ihr mitteilen wollte, aber zu äußern nicht imstande war. Alles an ihm war gegenwärtig ganz der ungestüme Hexen-Ritter mit dem romantischen Traum vor Augen, doch eben diese – seine [Augen] nämlich – stellten die Fenster des Glaskastens dar, die Scheiben jener Maschine, durch welche er nicht nur hinaus in die freie Welt, sondern andere auch zu ihm in das enge Gefängnis spähen konnten. Und was Rinoa dort sah, vermochte sie kaum zu glauben, denn längst hatte sie den Glauben an die Existenz eines solchen Cifers aufgegeben, falls sie einen derartigen Glauben überhaupt jemals gehegt hatte.

Diese stummen Klagerufe waren es, die das fallende Blatt wendeten.

Denn Rinoa, der im Laufe der vergangenen Ereignisse immer mehr Zweifel an der Vernunft ihres Ex-Freundes gekommen waren, fand durch seinen unbewusst ausgesandten Blick zu einem festen Seil, welches sie verlässlich durch das Labyrinth seiner trügerischen Mauern leiten würde. Wie ein durch den Wald irrendes Kind, das Lieder singt, um sich selbst und die wilden Tiere zu beruhigen, versuchte sie, Zugang zu ihm zu erhaschen: „Du liebst mich nicht“, meinte sie bestimmend. „Du glaubst, mich zu lieben, aber in Wahrheit suchst du nur Anerkennung und Zuneigung, nicht wahr?“

Sie sah, dass er momentlang verwirrt war. „Was soll diese Psycho-Scheiße jetzt? Du bist es doch, die von einem Mann zum nächsten hüpft, bloß weil der erste gerade mal nicht zu deiner Verfügung steht! Wie ist Squall denn so? Kann dir dieser Gefühlsspastiker überhaupt die Menge an Liebe bieten, die du brauchst, Rinoa?“

Während sie sich in der Vorstellung weiter an ihn herantastete, drehte sie sich in der Realität strikt um, ging ein paar Schritte und ließ sich dann auf den Boden nieder. „Ach, Cifer… Armer, armer Cifer.“

Sie ließ die Füße nach vorne gleiten, bis ihre Beine fast zur Gänze ausgestreckt waren, und legte die Arme um ihre Knie.

„Es ist niemand hier, dem du etwas beweisen musst. Niemand. Weder Squall noch sonst wer. Sei einfach ganz du selbst.“

Es sollte eine kleine Hilfe sein, damit er die nur von innen zu öffnende Tür fand, über seinen Schatten sprang mit dem Wissen, dass ihn auf der anderen Seite jemand auffangen würde.

„Du musst verstehen, dass wir zusammen keine Zukunft haben. Die Vergangenheit ist alles, was dich an mich bindet. Weil du glaubst, in mir den Halt zu finden, den ich dir während dieses Sommers gegeben habe, möchtest du mich besitzen. Aber du liebst mich nicht. Und ich liebe dich nicht mehr.“ Weshalb taten ihr diese Worte selbst dermaßen weh?

Rinoa legte den Kopf auf die Knie. Ohne es sehen zu können, spürte sie, wie auch Cifer unter der langsam einsickernden Erkenntnis litt.

Dass es vorbei war.

Er verkrampfte die Hände, ließ die Schultern und den Kopf hängen. Einige dünne Strähnen fielen über seine fest verschlossenen Augen, er biss die Zähne aufeinander und konnte der Wahrheit nicht länger davonlaufen, weil sie ihn ihr ausgeliefert hatte.

Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie ihn endlich gefunden hatte. Mit jedem Schritt lockerte sich die Spannung des Seils ein bisschen.

Im Zimmer war es still. Es gab nichts mehr auszusprechen. Sie hatte seine Botschaft erhalten und hoffte nun, dass er die ihre ebenfalls empfangen würde. Greif nach dem Seil, bat sie ihn. Lass uns den letzten Schritt gemeinsam tun. Aber dann besann sie sich: Du wirst es allein nicht schaffen, habe ich Recht?

Sie hob ihr Gesicht und wandte es ihm zu. Tatsächlich stand er noch dort, versteift und verbittert. Seine Augen, die sie zuvor noch angefleht hatten, waren erkaltet.

Es tat ihr weh, ihn so leiden zu sehen.

Und auf einmal stand sie gleichsam entschlossen wie verzweifelt auf und rannte auf ihn zu. Sie stieß ihn versehentlich gegen den Tisch, der hinter ihm stand, presste ihre Hände auf sein Haar und zog ihn zu sich herunter, um ihm einen Kuss auf die Stirn hauchen zu können – genau dort, wo die Narbe sein Antlitz zierte.

„Ich liebe dich nicht mehr, aber einst habe ich es getan“, gab sie zu, während ihre Finger die Kontur seines Gesichts hinabglitten, aus dem sie zwei graugrüne Augen mit Unglauben fixierten. „Und ich möchte, dass du das weißt. Denn ich bereue keine Sekunde, die ich jemals an deiner Seite verbracht habe. Aber… du musst endlich einsehen, dass wir uns nicht an alten Erinnerungen festklammern sollten. Jetzt liebe ich jemand anderen. Und ich wünschte, mein alter Freund Cifer würde das verstehen.“

Sie ließ den Worten und deren Wirkung ein wenig Zeit, sich zu entfalten.

„Müssen wir unseren Kindheitserinnerungen ewig nachtrauern oder uns sogar für sie schämen?“

Nun wollte sie sich von ihm lösen, doch er griff nach ihrem Arm, sodass sie ihm erneut in die Augen schaute. Sie bemerkte, dass er Angst hatte. Angst, sie gehen zu lassen, als würde sie – kaum außerhalb seiner Sichtweite – sterben müssen.

„Na gut“, gab sie nach, mit einem traurigen Lächeln. „Ein winziger Moment noch, aber dann musst du mir versprechen, dass wir beide unsere eigenen Wege gehen, okay?“

Ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten, ließ sie sich auf seine Bitte, sie an sich halten zu dürfen, ein und legte die Arme um seinen Rücken.

Cifer wollte sich ja trennen. Er wollte Schluss mit seiner Vergangenheit machen, und Rinoa Heartilly war ein wichtiger Teil davon. Und obwohl sein Verstand dagegen war, sich dieser letzten Umarmung hinzugeben, machte sein Körper doch erneut, was er wollte.

Zu spät registrierte er, dass es nicht das gewöhnliche, jedem jungen Mann innewohnende Interesse war, ein hübsches Mädchen, das er liebt, in den Armen zu halten, welches es ihm schier unmöglich machte, es wieder freizugeben. Dort war jemand, der langte nach jeder Gelegenheit und würde nicht eher ruhen, bevor er erreicht hatte, wonach es ihn gehrte.

Rinoa! Er wollte sie warnen, sie von sich stoßen, als er bereits feststellen musste, nicht länger Herr über seine Motorik zu sein. Längst hatte er die scharf Luft einziehende Obersttochter grob an ihren Armen gepackt.

„Cifer! Was tust du?“

Allmählich strömte das durstige Blut der Herrin wie schwarze Galle auch durch seinen Verstand, sodass er mehr und mehr nur das tun konnte, was sie ihm befahl.

Das tun, was sie ihm befahl… Eine Herrin… Die ganzen Visionen… Die Stimmen, die er hörte…

Konnte das sein?

„Lass mich los, Cifer! Bitte!“, schrie Rinoa ihn an, denn natürlich wusste sie nicht, was gerade in ihm vorging. Er wollte nicht, dass sie ihn für denjenigen hielt, der ihr das antat. Aber wie sollte er ihr das verständlich machen? Er war es nicht! Es war [sie].

Artemisia.

Die Hexe lebte… in ihm. Er erinnerte sich.

Es hatte im Galbadia-Garden angefangen, nachdem er im Kampf gegen Squall und seine Freunde das Bewusstsein verloren hatte. Er hatte sich schwach gefühlt – durch die Worte der Oberin, durch sein nicht abzuweisendes Versagen… Doch dann… auf einmal… Rinoa Heartilly. Er hatte zum ersten Mal diese Stimme vernommen…
 

„Die Hexe lebt. Die Hexe befiehlt dir.“
 

Unendlich sanft hatten sich ihre Lippen berührt. Es war kein Kuss gewesen, eher eine Art Beatmung, durch welche sie einen Teil ihres Geistes in ihn hineingeblasen hatte, während der andere in Rinoas Körper verweilte, wie schon Hyne seine Seele gespalten hatte.

Dann Squall Leonharts vermeintlicher Sieg über Artemisia, doch mehr als eine ihrer zahlreichen Hüllen hatte er nicht zerstört. Die Herrin war eine Meisterin im Umgang mit ihren Marionetten und ebenso geschickt darin, sich in einer von ihnen zu verstecken. Cifer hatte gespürt, wie der fremde Geist in ihm plötzlich begonnen hatte zu wirken. Wie ein Parasit in seiner Embryoform hatte die Hexe sich anfangs damit begnügt, an der Lebenskraft ihres Wirts zu saugen. Nur manchmal – das wusste er jetzt – kam sie zum Vorschein. Wenn sie es oder etwas wollte. So wie jetzt. So wie Ellione. So etwas wie Rache.

Die Lustlosigkeit. Die Leere. Die Visionen. Die Stimmen. Das Massaker. Das Verlangen. Ellione.

Wie viel hatte er mit all dem zu tun? War es letztendlich alles allein auf Artemisias Motivation hin geschehen? Hatte sie das alles bewirkt?

Hatte er irgendetwas davon getan? Hatte er irgendetwas davon gefühlt?

Keine Gefühle…

Ein Monster hat keine Gefühle.

„Cifer…“ Besorgt versuchte Rinoa, Kontakt zu ihm herzustellen, doch ihr Gesicht lugte durch das Ende eines Tunnels, in den er nicht passte.

Zorn loderte in seinen Augen auf. Zorn auf die Hexen. Rinoa war momentan die einzige, die zur Verfügung stand. Er musste sich abreagieren, einen Sündenbock bestimmen, nach dessen Vernichtung er sich getrost einreden konnte, dass alles sich nun wieder normalisieren würde.

Ehe das irritierte Mädchen wusste, wie ihm geschah, hatte er nach seiner Gun-Blade gegriffen und schlug ihm deren Klinge entgegen. Haarscharf entkam es der Attacke, rollte sich auf die Füße und schenkte ihm einen letzten, fassungslosen Blick, bevor es aufsprang und die Flucht ergriff. Cifer jagte die ehemalige Freundin durch den Korridor. Teures Porzellan ging zu Bruch; in die Flügeltür zog sich ein tiefer Schnitt. Holzsplitter begleiteten Rinoas fliegenden Weg nach draußen. Als Artemisias Ritter ihr folgen wollte, stellte sich Squall Leonhart zwischen sie und parierte Cifers Angriff mit dem Löwenherz. Quistis fing die keuchende Rinoa auf.

„Bin ich froh“, japste sie, „dass ihr hier seid! Ich weiß nicht, was über ihn gekommen ist! Er war so zahm und plötzlich… plötzlich ist er vollkommen durchgedreht!“

„Bei ihm kannst du nie wissen, was vor sich geht“, meinte Xell ernst. „Immer wenn du denkst, dass er ja eigentlich total cool ist, macht er etwas absolut Blödes.“

„Das ist nicht einfach nur "blöd"“, wies Quistis ihn zurecht, während ihr Augenmerk dem beginnenden Duell der beiden Gun-Blader galt, „das ist wahnsinnig! Seht nur, wie aggressiv er kämpft! Cifer ist nicht mehr er selbst! Er ist verrückt!“

In der Tat war dem ehemaligen Hexen-Ritter sämtliches Taktgefühl für den Kampf entglitten. Gesteuert von einem primitiven Wunsch, dem Drang zu vergessen, schlug er wieder und wieder auf Squalls blockende Klinge ein. So, wie er seine Deckung vernachlässigte, hätte der ihn mühelos niederschlagen können, jedoch war dies nicht die Intention des SEEDs, der sich an die Worte des Direktors erinnerte, an die Mienen von Fu-Jin und Rai-Jin.

Cifer erfasste nicht, was sein Rivale vorhatte. Die Wege jeglicher Warnsignale seines sich völlig verausgabenden Körpers zum Gehirn schnitt seine grenzenlose Wut rechtzeitig ab. Der Druck in seiner Brust presste ihm die letzte Luft aus der Kehle; die Arme wurden so schwer, als wäre die Erdanziehungskraft unbarmherzig angestiegen. Sein Sichtfeld wandelte sich in eine zunehmend kleiner werdende Vignette, und die Brandwunde begann schmerzhaft zu pulsieren. Er ignorierte es, schlug weiter auf diesen Menschen, der sich ihm entgegengestellt hatte, ein, schaltete alles andere aus.

Squall musste sich eingestehen, verblüfft zu sein über die Unmenge an Energie, welche dieser Körper trotz allem immer noch aufzubringen in der Lage war. Cifers Stand verlor an Sicherheit, seine Arme jedoch keineswegs an Kraft. Es war ein sonderbares Gefühl selbst für ihn, den früheren Mitschüler so psychisch am Ende zu erleben.

Ein Kreis von Schaulustigen bildete sich um die beiden. Mit offenen Mündern verfolgten sie die den einseitigen Kampf anführenden Bewegungen des Blonden.

Er konnte kaum noch erkennen, worauf er einschlug. Er konnte ja nicht einmal mehr denken. Die heiße Lava, zu der er Artemisias Blut hatte werden lassen, schmolz alles, was ihr auf ihrem Weg begegnete, und hinterließ einen Cifer Almasy, der vollkommen leer war.

Das Ende stand unausweichlich bevor.

Die Hyperion in seinen Händen zitterte unkontrolliert. Der harte Stahl des Löwenherz’ hatte ihre Schneide stumpf gemacht. Ein letztes Mal raffte sie sich in die Höhe. Glühte grün auf. „Blut…!“ Dann rutschte ihrem Führer der Pistolengriff aus den Fingern. Unehrenhaft, als wäre sie nie etwas anderes gewesen als ein einfaches Stück Metall, flog sie auf den Asphalt und blieb klirrend liegen.

Squall gab seine Deckung auf.

Wenige Sekunden lang schien Cifer wie erstarrt, bevor sein Geist in die Wirklichkeit zurückkehrte und einsehen musste, dass ein Finale nicht zwangsläufig mit einem imposanten, die Zuschauer auf ihren Plätzen zurückwerfenden Knall schließt. Der Rausch seiner Droge verebbte, und die Proteste seines ausgelaugten Körpers meldeten sich zurück. Er wankte, suchte nach Halt, taumelte, sah das Gesicht von Ellione in der Menge leuchten und stürzte nieder. Sofort bemühte er sich darum, wieder auf die Beine zu gelangen, aber sein Leib hatte brüskiert entschieden, keine Befehle mehr entgegenzunehmen.

Squall ließ die Waffe sinken und blickte auf seinen Kontrahenten hinab. Cifer fasste ihn ins Visier. Es hatte eine Zeit gegeben, in der der SEED nicht fähig gewesen war, diesem Blick standzuhalten, doch das lag so fern zurück, dass es ihm wie in einem anderen Leben vorgefallen schien. Heute erwiderte er ihn und erkannte an den feindlichen Pupillen, dass Cifer wieder bei sich war.

„Töte mich“, brachte er mit einem angestrengten Atemzug hervor. Die Kulisse der Umstehenden hielt die Luft an.

Selbst Squall entrückte die eisige Maske. Er hatte seit jeher damit gerechnet, eines Tages zu Cifers Mörder zu werden – nun allerdings, wo der Zeitpunkt gekommen war, fühlte er sich plötzlich nicht mehr dazu bereit, es tatsächlich zu tun.

Sie waren zusammen aufgewachsen.

Sie hatten gemeinsam in Dollet gekämpft.

Sie waren so etwas wie Kameraden gewesen.

Rinoa drückte sich aus der Menschenkette. Ihre Augen bannten die seinen für die Spanne eines Lidschlags und flehten ihn an, es nicht zu tun.

Ellione neigte den Kopf und hatte ihre Hände wie zu einem Gebet gefaltet.

„Ich kann nicht“, sagte Squall schlicht.

Cifers Augen weiteten sich. Jetzt, wo er zu Tode gedemütigt war, wo er nichts wollte als von dieser Welt gewischt zu werden, machte der Einzige, von dem er sich jemals würde töten lassen, einen feigen Rückzieher? Er hatte schon immer geahnt, dass Squall irgendwann einmal an seiner Fassade scheitern, zu einem richtigen Gefühlsmenschen mutieren würde, aber nicht, dass es ausgerechnet in ihrem letzten Duell passieren würde, welchem er jeden Tag entgegengefiebert hatte, wenngleich er die Möglichkeit einer Zukunft parallel dazu nicht für ganz abwegig erklärt hatte, wie am vergangenen Abend, als er sich elanvoll und mit einer ihn zweifellos liebenden Ellione im Rücken auf den Weg nach Deling City begeben hatte, um ein neues Leben zu beginnen.

„Mach… schon…!“

Squall schloss die Augen, um sich – frei von den Einflüssen durch seine Freunde und Familie – zu besinnen. Er verstand, wie Cifer sich fühlte. Irgendwann einmal hatte er sich selbst so gefühlt. Fragend ruhte das Löwenherz in seiner Hand und wartete auf seine Entscheidung. Das Publikum schien aufgehört haben zu atmen. Cifers Forderung drang bis hinter seine geschlossenen Lider: Ein Monster würdest du töten, Squall, aber mich lässt du leben?
 

„Bitte… Tu es nicht… [Großvater]…“
 

Zu spät, Cifer. Es ist zu viel geschehen, als dass ich jemals wieder nach deiner Pfeife tanzen werde.

Damit sah der SEED auf, direkt in zahllose neugierige Gesichter. Rinoas Bitte war intensiver, verzweifelter geworden, als zöge sie in Betracht, dass ihr Freund dem Drängen seines Feindes eventuell nicht widerstehen könnte.

„Cifer Almasy“, begann Squall laut und deutlich, sodass selbst die Leute auf den hintersten Plätzen ihn verstehen konnten. „Als Freund werde ich Gnade walten und dich am Leben lassen. Jedoch haben persönliche Motive keine Bedeutung in der beruflichen Welt eines SEEDs.“

Cifers Pupillen im Zentrum ihrer blassen Iriden wurden kleiner, als er die Gun-Blade in deren Scheide sinken ließ. Gleichzeitig vernahm er Rinoas erleichtertes Seufzen.

„Deshalb werde ich – Squall Leonhart, SEED vom Balamb-Garden – dich an die galbadianische Justiz übergeben, welche dich deiner Vergehen wegen anklagen und dir hoffentlich die Strafe auferlegen wird, die deinem Handeln angemessen ist.“ Als er fortfuhr, senkte er seine Stimme und sprach persönlicher: „Lerne endlich aus deinen Fehlern und fang an zu begreifen, dass ein einziger Rebell sich niemals gegen die Mehrheit durchsetzen wird. Du stehst nur allein, weil die Überzeugung, für die du kämpfst, falsch ist. Mach deine Augen auf, Cifer.“

Squall schenkte Fu-Jin und Rai-Jin, Cid und Edea Kramer, Rinoa und Ellione einen Gedanken.

„Es gibt immer noch Menschen, die hinter dir stehen, auch wenn du sie nicht siehst oder nicht sehen willst. Schau nicht nur nach vorne. Noch sind sie da. Schwach zu sein, Almasy, ist keine Schande, aber nach den Händen zu beißen, die dich füttern – das ist eine.“

Als er davon ausging, dass Cifer ausreichend Kraft zum Stehen gesammelt hatte, hielt er ihm eine Hand hin, um ihm auf die Füße zu helfen, doch die Einladung blieb ignoriert. Der Blonde ächzte, rutschte mit den Händen herum. Als sie dabei über den Griff der Hyperion fuhren, war Squall sofort alarmiert – allerdings konnte er sich gleich darauf wieder entspannen, denn Cifer hatte nicht beabsichtigt, die Waffe erneut gegen ihn zu erheben.

„Squall!“

In diesem Moment trat Ellione mit festen Schritten zwischen sie und blickte ihren Ziehbruder bestimmend an.

„Cifer ist nicht schuld an meinem Verschwinden! Ich bin es. Ich bin aus freien Stücken gegangen und habe ihn lediglich darum gebeten, mich zu begleiten. Bitte verurteile ihn nicht.“

Der Schulsprecher des Balamb-Gardens legte eine Hand auf den Ellenbogen der jungen Frau und erwiderte ihren Blick sanft. „Es liegt nicht an mir, über ihn zu richten. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Solange er noch jemanden an seiner Seite hat, ist er nicht verloren. Cifer kann stark sein, wenn er will. Jetzt kämpft er gegen die Hexe, aber er muss nicht mehr allein kämpfen. Er wird es schaffen.“
 

„…Danke.“
 

Bevor die Polizisten ihn abführten, bat Ellione Squall noch einmal darum, mit Cifer unter vier Augen sprechen zu dürfen. Sie trat in den Laster und sah ihn auf einer Bank sitzen. Er begegnete ihren Augen. Ellione drehte sich um, um die Tür bis auf einen kleinen Spalt heranzuziehen, dann wirbelte sie wieder herum, überbrückte die winzige Distanz resolut und warf sich an seine Schulter. „Du bist so dumm, Cifer!“

Nachdem sie sich gelöst hatten, reichte Ellione ihm fünf Geldkarten. „5000 Gil, wie abgemacht. Dein Lohn für meine sichere Überführung.“

Er machte keine Anstalten, sie entgegenzunehmen. Unsicher zog sie ihre Arme wieder an sich. Auf ihren fragenden Blick hin lächelte er auf seine typische und ihr doch fremde Weise und zuckte mit den Schultern. „Ich habe meinen Lohn bereits erhalten.“

Sie verstand, was er meinte.

Er nickte dem Ausgang zu. „Geh jetzt.“

Ellione gab sich einverstanden. Mit gemächlicher Grazie erhob sie sich und schritt auf die Türen zu. Sie schaffte es nicht, ohne sich doch noch einmal umzudrehen.

Cifer sah sie an, als hätte er tatsächlich nicht damit gerechnet, dass sich ihre Augen noch einmal treffen würden.

„Wirst du wiederkommen?“, fragte sie ihn, hoffnungsvoll und furchtsam zugleich. „Wirst du irgendwann zu uns zurückkehren?“

Minuten zogen dahin.

Als Squall sie bat, den Wagen zu verlassen, fiel ihr auf der Schwelle der Türen eine Feder ins Auge, schwarz wie…

Nicht wie das Böse.

Sondern schwarz wie die Nacht, in die sich so mancher auf’s Sehnlichste wünscht, wenn er nach Geborgenheit und einem vertrauensvollen Beschützer sucht.
 

„Wenn du auf mich wartest, wenn du mir einen Grund zur Rückkehr gibst, dann werden wir uns wiedersehen. Vertrau mir.“
 

„Das hat er gesaaaagt?“ Neugierig beugte Selphie sich vor.

Ellione lächelte verträumt, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein.“

Ihre Zuhörerin sank in sich zusammen und stöhnte enttäuscht. „Und waaarum erzählst du mir das daaaann?“

„Weil er… Weil ich…“ Sie suchte nach Worten.

„Hmmmm~?“

Quietschfidel wippte Selphie auf dem Bett herum, in welchem sich Irvine Kinneas aufgrund dieser gnadenlosen Störung genervt auf die andere Seite drehte.

„Saaag schoooooon!“

„Ich… ich habe es in seinen Augen gelesen“, brachte sie endlich hervor und wirkte dabei überaus beschämt.

„Wie romaaaaaantisch!“, quiekte Selphie freudenfeurig und hüpfte vor Aufregung noch stärker auf der Schlafstätte des sich nach Ruhe sehnenden Scharfschützen.

Auch Ellione wurde der Enthusiasmus ihrer Ziehschwester und Freundin wohl langsam zu viel, denn sie wandte sich voller Verlegenheit ab. „Aber das darfst du niemandem erzählen!“

„Ich schweige wieeeeee ein Graaaab!“

„Kein Wort auf deiner Homepage!“

Erwischt! Die SEED setzte ihren Moomba-Blick auf. „Kein einziges, klitzeklatzekleines Wörtchen?“

Doch sie blieb standhaft: „Auch kein "klitzeklatzekleines" Wörtchen.“

„Oh Maaaaaaaaaann…“

Ellione musste lachen, als sie Selphies Gesichtsausdruck sah. „Bitte entschuldigt mich jetzt“, sagte sie anschließend. „Onkel Laguna wartet sicherlich schon auf mich. Du weißt doch: Er kriegt das mit dem Brief an Präsident Biggs sonst wieder nicht hin, wenn ich ihm nicht unter die Arme greife.“

Das brünette Mädchen beobachtete, wie sich die Präsidententochter von dem Stuhl erhob, welchen sie sich ans Bett gerückt hatte. Aber eine Frage brannte ihm noch auf: „Und, Ell? Wirst du warten?“

Die Angesprochene, die sich gerade ihre Tasche umgehängt hatte, ließ ihre Augen sehnsuchtsvoll durch das Fenster schweifen, hinauf in den Himmel. Er war friedvoll blau; Vögel zogen ihre Kreise unter seinem Schirm und einige zarte Federwolken streiften schläfrig an ihm entlang. Es erinnerte sie an eine wunderschöne Reise. „Ja. Ich werde warten.“
 

[Warten]…
 

Er hasste dieses Wort.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2008-09-07T10:53:22+00:00 07.09.2008 12:53
grässlich, genial, verwirrend, klärend
mir wird schummmrig,
oh gott armer cifer stelll nichts an, bitte.
Ne ich schreibe auch kommis bloodhound
Von:  Bloodhound
2008-04-27T09:00:13+00:00 27.04.2008 11:00
Mann, hab ich mich gefreut, dass doch noch ein neues Kapitel kam. Schreib doch nicht immer Ende drunter..das macht mich ganz kirre :-D
Also das Kapitel war...krass. ichtig grausam... aber genial! Schreibstil war super. So konfus, aber doch erklärend. Ich frag mich wies weiter geht. Freu mich schon aufs Nächste. Spannend!!!!!!!!!!!!!!
(bin ich eigtl. die einzige die hier Kommentare schreibt??? oO)



Zurück