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Death on Vacation

A Death's Tale
von

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Titel: Death on Vacation

Kapitel: 1/8

Genre: zu viel...

Autor : kei_no_chi

Email: kei_no_chi@hotmail.de

Disclaimer: Nun, diesmal gehört zur Abwechslung wirklich alles mir, bis auf eine einzige Person, die gehört glücklicherweise sich selbst und ich habe auch keinerlei Rechte an ihr^^

Anmerkung: Nun, mal wieder einmal eine neue Fanfiction von mir, auch wenn sie doch sehr von den anderen differiert. Sie ist das Weihnachtsgeschenk für eine Freundin von mir, an dem ich recht lange dran gearbeitet habe (nicht zuletzt in einigen Nachtschichten xD)Das ist auch der Grund, weswegen ich meine bisher noch nicht abgeschlossene letzte Fanfic "Schlimmer geht's immer" im Moment noch nicht vervollständigen konnte. Aber ich gelobe Besserung und werde hart an mir arbeiten auch sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen^^ Ich hoffe aber, dass euch fürs erste diese hier zumindest etwas zusagt^^
 

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„Sie..... Sie haben mir das Leben gerettet!“
 

Am ganzen Körper zitternd sah der junge Mann auf, die weitaufgerissenen Augen stachen beinahe grotesk aus dem ansonsten recht hübschen Gesicht hervor, während das volle, schwarze Haar einen markanten Gegensatz zur kalkweißen Haut bildete. Der Schreck über den beinahe unvermeidlichen Tod hatte ihm jegliches Blut aus den Adern gesogen.
 

„Bild dir nicht zu viel darauf ein...“
 

Schroff wandte sich der Gegenüber ab, verbarg das Gesicht in seiner schwarzen Kapuze des langen Mantels und deutete eine Geste des Abschieds an. Für ihn war das Thema erledigt, es machte keinen Unterschied sich noch länger mit dem jungen Mann zu unterhalten, denn in nur wenigen Augenblicken würde er sich eh nicht mehr daran erinnern.
 

„Warten Sie bitte! Bitte... Lassen Sie sich mich erkenntlich zeigen.“
 

Die Gestalt blieb stehen. Für einen Augenblick lang sah es so aus, als zögerte sie, würde die Echtheit der Worte ergründen wollen um die Tragweite ihrer Bedeutung zu erfassen, dann drehte sie sich langsam um. Die Bewegung war geschmeidig und fließend, und doch war es dem jungen Mann, als würde er sie in völliger Zeitlupe betrachten. Wie gebannt starrte er auf die Erscheinung, welche im schwachen Licht der Straßenlampe kaum von der Schwärze der Nacht zu unterscheiden war.
 

„Tatsächlich? Dann gehe ich also recht in der Annahme, dass du beinahe jeden Preis bezahlen würdest um deine Schuld zu begleichen?“
 

Der junge Mann schluckte. Irgendetwas im Tonfall des Anderen ließ ihn erschaudern, schläferte ihn ein und legte einen feinen Nebel über seinen Geist, auf dass es beinahe unmöglich war, noch einen klaren Gedanken zu fassen. Die Stimme war zweifellos weiblich, so lieblich und klar, wie er sie selten einmal vernommen hatte, doch lag auch eine gewisse Schärfe in ihr, ein Hohn, der nur einem Mann gehören konnte. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als zaghaft zu nicken.
 

„Würdest du mir auch freiwillig dein Leben überlassen, wenn ich danach verlange?“
 

Der junge Mann riss die Augen auf und wagte nicht zu atmen. Es schien, als sei die Nacht um ihn herum noch um einige Grade kälter geworden, obwohl es mitten im Hochsommer war. Erst nach und nach sickerte die Bedeutung der letzten Worte zu ihm hindurch, und dem jungen Mann gefror das Blut in den Adern. Sterben? Nachdem diese Person – diese Frau, wenn er richtig lag – ihm doch erst kurz zuvor das Leben gerettet hatte? War dies etwa das Resultat eines äußerst schlecht gelungenen Scherzes?
 

„Wie ich sehe nicht.... Schade, ich habe geglaubt, ich hätte endlich den Richtigen gefunden. Nun denn, ich wünsche eine angenehme Nacht.“
 

Abermals wendete sich die Person um, doch dieses Mal reagierte der schwarzhaarige Mann sofort und griff nach des anderen Handgelenk, doch kaum hatte er unter dem schweren Stoff auch nur einen kleinen Fleck Haut erhascht, da schreckte er auch schon zurück. Es war als hätte er geradewegs auf eine Eisplatte gefasst, denn die Haut war dermaßen kühl, als hätte die Person sich stundenlang im Schnee herumgetrieben. Erschreckt starrte er die Frau an, während sie ihn ruhig musterte. Zumindest dachte er, dass sie ihn musterte, denn das Gesicht war unter der Kapuze nicht zu erkennen.
 

„Wer sind Sie? Und wieso haben Sie mir das Leben gerettet, Sie kennen mich doch gar nicht.“
 

„Oh, ich kenne dich vielleicht besser, als du dich selbst. Und ich habe dich gerettet, weil es nicht für dich bestimmt war, durch ein Auto zu sterben. Außerdem...“
 

Die Frau machte eine wegwerfende Handbewegung.
 

„WER ich bin, ist nicht von Bedeutung. Doch ich könnte dir erzählen, WAS ich bin. Lässt du dich darauf ein oder erwartet dich zuhause jemand?“
 

Traurig ließ der junge Mann die Schultern hängen. Nein, ihn erwartete niemand. Er hatte keine Familie, die wenigen Freunde, die er besaß vergnügten sich gerade mit ihren Lebensabschnittgefährtinnen. Warum nicht auf das Angebot dieser eigentümlichen Frau eingehen? Was sollte er schon großartig dabei verlieren?
 

„Sie wollen mir also ihre Lebensgeschichte erzählen? Jetzt, mitten in der Nacht?“
 

„Nun, es ist ein sehr langes Leben, falls man es überhaupt so nennen kann. Und wüsstest du eine bessere Atmosphäre als die Schwärze der Nacht im Nacken? Zumal ich tagsüber leider anderweitigen Terminen nachgehen muss, so wie du ganz zweifellos auch.“
 

Der junge Mann konnte einfach nicht anders, aber er musste zugeben, dass die Frau ihn faszinierte. Irgendetwas lag in ihrer Art, die ihn anzog, sodass er gar nicht anders konnte als zuzustimmen. Ja, er würde sich ihre Geschichte anhören. Es würde eine nette Art sein den anstrengenden Tag ausklingen zu lassen und morgen würde er seinen Freunden vielleicht davon erzählen. Vielleicht, wenn die anderen es nicht wieder für wichtiger hielten mit ihren Frauengeschichten zu prahlen.
 

„Wo sollen wir hin? Hier draußen könnte es nach einiger Zeit recht ungemütlich werden.“
 

Langsam wandte die Frau den Kopf und sah sich um, als sei ihr erst jetzt aufgefallen, dass eine belebte Hautverkehrstraße in der Tat nicht der beste Ort sei um eine Lebensgeschichte zu schildern. Schließlich bedeutete sie dem jungen Mann ihr zu folgen.
 

In einem kleinen, heruntergekommenen Appartement machte sie Halt und ließ sich katzengleich auf einem der beiden Stühle in der Mitte des Raumes nieder. Mit einer Handbewegung bot sie dem jungen Mann den anderen Stuhl neben einem kargen Holztisch an. Es waren neben einem verkalktem Waschbecken, in dem das Wasser stand, die einzigen Möbelstücke im Raum. Von der Decke baumelte eine einzelne nackte Glühbirne, die noch nicht einmal brannte, sodass es im Zimmer sogar beinahe noch dunkler war als draußen auf der Straße.
 

„Ist das hier... Ihre Wohnung?“
 

Er versuchte höflich zu sein, doch die Frau beachtete es nicht. Sie wandte noch nicht einmal den Blick.
 

„Nein. Es ist irgendein Zimmer.“
 

„Verstehe.“
 

Stille breitete sich im Raum aus, doch der junge Mann traute sich nicht sie zu durchbrechen. Zumindest die Kapuze hätte sie ausziehen können, dachte er, denn obwohl er in einem Waisenhaus aufgewachsen war, so hatte man ihm doch trotzdem Anstand beigebracht. Was man bei dieser Frau anscheinend vergessen hatte.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, hob die Frau langsam die Hände und strich sich mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung die Kapuze zurück, doch wegen des spärlichen Lichtes konnte man trotzdem nicht mehr erkennen, als dass es sich in der Tat um eine Frau handelte. Ihre Haut war so blass, dass sie selbst in der Dunkelheit zu leuchten schien, als hätte der Mond sie angestrahlt, während ihre Augen wie zwei schwarze Käfer ihn durchdringend musterten. Es fiel ihm schwer den Blick abzuwenden, auch wenn ihm ein wenig Licht durchaus willkommen gewesen wäre. Doch wenn sie es als Unterstreichung für ihre Erzählung benötigte, würde er sich fügen.
 

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nun, das war dann wohl das erste Kapitel und es werden noch sieben weitere folgen, die allerdings in ihrem Umfang nicht immer einheitlich sein werden, da sie immer einen wichtigen Abschnitt thematisieren. Der nächste Teil wird also mit der Erzählung der Frau beginnen, und ich hoffe, euch hat dieser hier zumindest schon einmal gefallen^^
 

Also dann, wir lesen uns (wenn ihr wollt ^^°)
 

P.S: Kommentare sind wie immer geschätzt und geliebt, ich freue mich über jeden noch so kurzen^^ Und ein kleines Feedback nimmt bei weitem nicht so viel Zeit in Anspruch wie ich für dieses Kapitel investiert habe^^
 

P.P.S: Ich wünsche allen ein Frohes Weihnachtsfest^^

Titel: Death on Vacation

Kapitel: 2/8

Genre: zu viel...

Autor : kei_no_chi

Email: kei_no_chi@hotmail.de

Disclaimer: Nun, diesmal gehört zur Abwechslung wirklich alles mir, bis auf eine einzige Person, die gehört glücklicherweise sich selbst und ich habe auch keinerlei Rechte an ihr^^

Anmerkung: Nun, mal wieder einmal eine neue Fanfiction von mir, auch wenn sie doch sehr von den anderen differiert. Sie ist das Weihnachtsgeschenk für eine Freundin von mir, an dem ich recht lange dran gearbeitet habe (nicht zuletzt in einigen Nachtschichten xD)Das ist auch der Grund, weswegen ich meine bisher noch nicht abgeschlossene letzte Fanfic "Schlimmer geht's immer" im Moment noch nicht vervollständigen konnte. Aber ich gelobe Besserung und werde hart an mir arbeiten auch sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen^^ Ich hoffe aber, dass euch fürs erste diese hier zumindest etwas zusagt^^
 

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„Nun, dann werde ich wohl beginnen, wenn du es wünschst. Sitzt du bequem? Gut, dann lass mich anfangen. Ich sehe an deinem Blick, dass du dir die ganze Zeit schon Gedanken machst wer, oder viel mehr WAS ich bin. Um es einfach zu machen – denn mit den Jahren habe ich erkannt, dass die Menschen alle Dinge so knapp wie möglich beschrieben haben möchten – ich bin das, was man im Allgemeinen den Tod nennt.“
 

Die Frau stockte in ihrer Erzählung, obwohl sie doch gerade erst angefangen hatte und blickte in das völlig verwirrte Gesicht des jungen Mannes. Einige Zeit herrschte Stille, in der die Gedanken des Mannes rasten um dieser Absurdität jegliche Logik zu entnehmen, ehe schallendes Lachen den Raum erfüllte.
 

„Sie glauben also wirklich... Sie wollen mir wirklich erzählen, dass Sie der Tod sein wollen? Ich bitte um Verzeihung, gute Frau, aber ist das nicht ein wenig zu weit her geholt? Wo ist dann bitte Ihre Kutte und die Sense?“
 

Die Frau lächelte. Beinahe amüsiert blickte sie den jungen Mann an, als wolle sie sich jede Einzelheit seines Erscheinungsbildes einprägen. Abermals hatte ihre Haut diesen eigentümlich weißen Schimmer, der wohl kaum als natürlich bezeichnet werden konnte, während die braunen Iriden mit jeder Minute mehr in Richtung Bernstein zu gleiten schienen.
 

„Ich habe mir gedacht, dass du dich wundern würdest. Die Zeiten haben sich geändert, in denen noch Achtung vor dem Übernatürlichen bestand. Dennoch möchte ich dich daran erinnern, dass ich von der Allgemeinheit sprach, zudem ist das heutige Bild des typischen Sensenmannes, wie es sich die meisten Menschen vorstellen, etwas verzerrt und basiert auf purem Aberglauben und ausschweifender Fantasie. Aber könnten wir vielleicht fortfahren? Ich danke dir. Nun, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, der Tod. Ich muss zugeben, dass dies nicht die einzige Bezeichnung für mich ist, im Laufe der Jahrhunderte gab man mir viele Namen. Manche davon waren allerdings recht wenig schmeichelhaft, während einige der Schönsten solch herrliche Betitelungen wie >Königin der Verdammten<, >Gevatter Tod< und >Vampir< tragen. Du schaust so bestürzt drein, ist etwas nicht in Ordnung?“
 

Der junge Mann schreckte zusammen. War es nur die Erwähnung des Begriffes „Vampir“ gewesen, oder hatte er gerade wirklich jene unheilvollen Zähne unter den beinahe bleichen Lippen seines Gegenübers ausmachen können? Nein, er musste sich irren. Wer glaubte heutzutage schon an eine solche Mähr, wo doch selbst schon Kleinkinder wussten, dass es weder Fabelwesen noch Gott gab?

Schnell räusperte er sich um seine aufkeimende Verunsicherung vor der Frau zu verbergen, dann machte er eine schnelle Handbewegung um sie zum Weitersprechen aufzufordern.
 

„Gut, ich verstehe. Du glaubst mir nicht. Du denkst ich wäre irgendeine hirnverbrannte Spinnerin, die dir Lügen erzählt, nur um dich ganz zum Schluss hinterlistig abzustechen. Aber ohne Vertrauen als Grundlage brauchen wir diese Unterhaltung gar nicht erst weiter fortzuführen. Es wird Zeit, dass ich einige kleinere Details ändere.“
 

Die Frau erhob sich anmutig und trat einige Schritte beiseite, ehe mit einem Mal der Raum in gleißendes Licht getaucht wurde, ohne dass sie sich bewegt hatte. Und doch, als der junge Mann seine Augen wieder wegen der Blendung öffnete, sah er sie am anderen Ende des Raumes stehen, die Hand noch immer am Lichtschalter. Harsch sog er die Luft ein und rutsche wie aus Reflex einen halben Meter mit seinem Stuhl beiseite.
 

„Wie... wie haben Sie das gemacht?!“
 

„So wie auch du das Licht anmachst. Durch eine Verkettung von Bewegungen, nur waren die meinen zu schnell für deine Wahrnehmung.“
 

Mit langsamen Bewegungen trat die Frau zurück an ihren Stuhl, als mit einem Mal der Schein der Glühbirne auf ihr Gesicht fiel. Es war erstaunlich, als dem jungen Mann bewusst wurde, dass er es bisher noch kaum vollständig gesehen hatte, doch diese neue Offenbarung raubte ihm geradewegs die Luft zum Atmen. Zu sagen, die Frau wäre lediglich schön, wäre eine schamlose Untertreibung gewesen. Würde er an Engel glauben, der Mann wäre der festen Überzeugung jener Bote des Herrn stünde vor ihm. Die Frau konnte kaum älter als Anfang Zwanzig sein, doch obwohl ihr Gesicht jugendlich wirkte, so sah man doch ebenso, dass hinter dieser Fassade ein weit aus älterer Kern stecken musste. Ihre Haare waren von einem Blond, welches auf Erden wohl niemand zuvor besessen haben konnte, denn mit jeder Bewegung wurde es im Scheine des Lichtes von einem sanften Goldschimmer überzogen. Die halblangen Haare fielen völlig glatt über die Schultern und rahmten das zierliche Gesicht mit den stechend blauen Augen und dem wohlgeformten, kleinen Mund perfekt ein.

Doch mit einem Mal runzelte der junge Mann die Stirn. Waren die Augen nicht vor kurzem noch braun gewesen? Er musste sich getäuscht haben, denn kein Mensch kann innerhalb weniger Sekunden seine Augenfarbe ohne farbige Kontaktlinsen verändern.
 

„War dies genug der Demonstration? Oder bedarfst du es einer Zaubervorführung à la David Copperfield?“
 

Beinahe herausfordernd blickte die Schönheit ihn wissend lächelnd an, ohne dabei allerdings einen Blick auf ihre Zähne zu gewähren. Waren sie wirklich spitz gewesen? Oder hatten dem jungen Mann seine angespannten Nerven nur einen üblen Streich gespielt? Fasziniert starrte er vor sich hin und beobachtete wie die Frau langsam nach der Glühbirne griff und sie beinahe liebevoll in der Hand drehte. Allerdings ohne sich dabei zu verbrennen.
 

„Sie haben gesagt, man nennt Sie einen Vampir? Ich dachte, Vampire mögen kein Licht.“
 

„Ganz im Gegenteil. Ich liebe es, wenn es auch nur so hell wie nur irgend möglich ist.“
 

„Und Knoblauch? Oder Kruzifixe? Was passiert, wenn Sie in einen Spiegel sehen? Können Sie sich dann erkennen?“
 

Die Frau lachte auf. Noch einige Male drehte sie die Lampe in der hohlen Hand hin und her, ehe sie sich langsam zurückgleiten ließ.
 

„Das sind recht viele Fragen auf einmal. Fängst du langsam an mir Glauben zu schenken? Oder möchtest du einfach nur austesten wie wahnsinnig ich in Wirklichkeit bin? Aber gut. Lass uns fortfahren. Ich habe nichts gegen Knoblauch und ich sehe mir auch ausgesprochen gerne Kruzifixe an. Was ich allerdings bekennen muss, ist, dass ich mich in der Tat nicht im Spiegel sehen kann, doch hat das einen anderen Grund als du vermuten magst. Anstatt dieser Gestalt hier erkenne ich einfach nur eine rote Energiequelle, doch werde ich darauf noch später zurückkommen.“
 

Als sei der Ehrgeiz des jungen Mannes mit einem Mal erweckt, setzte er sich aufrechter auf seinen Stuhl und presste die Hände zu Fäusten.
 

„Und was hat es mit Särgen auf sich? Sind auch sie reiner Irrsinn?“
 

Es dauerte einige Zeit, ehe die Frau erkennen ließ, dass sie die Frage vernommen hatte, denn auf der bislang makellosen Stirn zeigte sich eine kaum sichtbare Falte, als sie die Augenbrauen leicht zusammenzog.
 

„Särge... Särge sind – wie ich es recht gerne benenne – ein notwendiges Übel. In dieser Hinsicht trügt der Aberglaube den Menschen nicht. Auch wenn ich nun schon so viele Jahrhunderte – ja sogar Jahrtausende – dazu verdammt bin auf Erden umher zu wandeln, so bin ich doch noch immer auf den Schutz meines samtenen Gefängnisses angewiesen.“
 

„Wo wir eh schon einmal beim Thema wären... Gibt es noch mehr von Ihnen? Ich meine, gibt es noch mehr Vampire auf der Welt, oder solche, die sich wie Sie <der Tod> nennen?“
 

„Nun... jemanden wie mich wirst du wohl niemals finden, da ich – und das darf ich wohl ohne jeglichen Hochmut verkünden – die einzige meiner Art bin. Es gibt jedoch Kreaturen auf diesem Planeten für welche die Bezeichnung Vampir nach Kriterien des heutigen Mystizismus ein treffenderer wäre. Und bevor du fragen möchtest: Nein, es gibt Graf Dracula nicht. Es ist nichts weiter als die fantastische Erfindung eines schizophrenen Russen.“
 

Nun schwieg der junge Mann. Diese Frau, deren Namen er noch nicht einmal kannte, war bisher die wohl weitbeste Schauspielerin, die er jemals gesehen hatte. Es hatte beinahe den Anschein, als würde sie ihre eigene Geschichte glauben. Als sie auf ihn zukam, schreckte er jedoch zurück und blickte sie argwöhnisch von der Seite her an, doch schien es sie nicht einmal zu interessieren, denn mit eben jener geschmeidigen Bewegung, mit der sie vorhin aufgestanden war, setzte sie sich wieder und schlug die Beine übereinander.
 

„Wir sollten fortfahren, findest du nicht? Immerhin habe ich nicht unbegrenzt Zeit, so wie ihr Sterblichen. Nur wo war ich noch einmal stehen geblieben? Ach ja, bei den mehr oder weniger schmeichelhaften Betitelungen meiner Person. Wie dir wahrscheinlich aufgefallen ist, differieren die Bezeichnungen was genau ich denn nun bin, deswegen wäre es vielleicht einfacher meine Geschichte damit zu beginnen, was meine Funktion im Kreislauf darstellt, denn diese ist überraschend einfach. Meine einzige Aufgabe ist es, völlig neutral zu sein, um im äußersten Notfall in einer Streitigkeit zwischen den beiden Großen einzugreifen. Das ist alles. Diese Nichtigkeit, die dir vielleicht wie eine Maßnahme zwischen zwei Kleinkindern erscheint, ist allerdings dermaßen von Bedeutung, dass ich allein über Gedeih und Verderb einer ganzen Dimension entscheiden kann.

Meine Geburt – meine <Entstehung> – liegt viele tausend Jahre zurück, noch weit bevor es überhaupt eine Zeitrechnung gab, denn jene, die von der Bibel vorgegeben wird, ist falsch. Überhaupt weist die Heilige Schrift einige geringere Fehler auf, doch werde ich die letzte sein, die darüber richten würde. Ich wurde nicht geboren, sondern erschaffen und zwar aus einer Allianz der beiden Großen, Jehova und Asmodeus, die–“
 

„Jehova? Etwa dieser Knaller von den Zeugen Jehovas?“
 

Beinahe barsch wurde die Frau unterbrochen, doch war es nicht allein diese Tatsache, die sie unwillig die Augen verengen ließ, sondern der abfällige Ton des Anderen. Denn wenn sie etwas nicht leiden konnte, dann waren es Unhöflichkeit und Schmähungen. Aus diesem Grund besaß ihre Stimme nun auch einen leicht scharfen Zug, als sie weitersprach.
 

„Ich möchte dich doch bitten verächtliche Bemerkung gegenüber einer dir unbekannten Person zu unterlassen, denn dann könnte dich sein Zorn schneller auslöschen, als dass du überhaupt weißt, was der Grund dafür ist. Aber nichtsdestotrotz liegst du mit deiner Vermutung richtig, wir sprechen in der Tat über ein und die selbe Erscheinung. <Jehova> ist der alte und eigentliche Name desjenigen, der fälschlicherweise von den Menschen <Gott> genannt wird, ebenso wie <Asmodeus> den Teufel symbolisiert.

Diese beiden bilden die mächtigsten Kräfte des Dies- und Jenseits, sie allein haben die Aufgabe die Zukunft der Erde und ihrer Bewohner im Gleichgewicht zu halten. Zu Anfang lief auch noch alles in verhältnismäßig geordneten Bahnen, ehe Streit aufkam. Jehova, der die Welt und ihre Atmosphäre erschaffen hatte, neidete Asmodeus, welcher ohne dessen Einverständnis Lebewesen auf Jehovas neuer Schöpfung angesiedelt hatte. Es waren nur winzige Kreaturen, die Vorläufer der Fischwesen, aus denen eines Tages einmal Dinosaurier werden sollten, doch allein die Tatsache, dass sich jemand in seine Schöpfung eingemischt hatte, verärgerte Jehova und es entbrannte eine Fehde, welche bis heute nicht beendet ist.

Jehova würde am liebsten alle Menschen auf der Erde auslöschen, damit die Welt wieder in ihren Ursprungszustand zurückkehren und die Reform anstreben kann, während Asmodeus es einfach nicht übers Herz bringt Unschuldige zu vernichten.“
 

Die Frau stockte, denn längst war ihr aufgefallen wie der junge Mann begonnen hatte unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. Die Unverständnis stand ihm ins Gesicht geschrieben, obgleich er sich bemühte sie weitestgehend zu verbergen.
 

„Moment, noch mal für Doofe und ganz langsam. Wollen Sie mir gerade etwa erzählen, dass Satan gar nicht böse ist und Gott allein die Menschheit vernichten will?!“
 

„Nein.“
 

Ein triumphierendes Grinsen glitt auf das Gesicht des jungen Mannes. Er hatte sich eine solche Antwort gedacht. Immerhin konnte es ja auch gar nicht sein, dass jahrhundertealte Überlieferungen der Bibel komplett falsch sein sollten.
 

„Ich fürchte, du hast mich falsch verstanden. Nicht <Gott> will die Menschheit von diesem Planeten ausradieren, sondern Jehova. Es gibt keinen Gott in der Art, wie du ihn dir vorstellst und es hat ihn auch nie gegeben. Jene übernatürliche Kraft, welche in deinen Gedanken herumschwebt, ist nichts weiter als eine Illusion der Menschheit um Dinge erklären zu können, die sie selbst nicht begreifen kann. Außerdem gibt es kein Gut und Böse, für das es meistens verkauft wird. Jehovas Aufgabe ist es lediglich auf das Wohl der Planeten zu achten, während Asmodeus für seine Bevölkerung arbeitet. Aber das sagte ich ja bereits. Die einzige Tatsache, die vielleicht noch erwähnenswert wäre ist, dass Jehova von Natur aus sehr reizbar ist und nur allzu schnell in Raserei verfällt, dessen Zerstörungswut selbst der friedfertige Asmodeus nur mit Mühe unterdrücken kann. Oder was denkst du, wer die Sintflut geschickt hat? Die Vernichtung von Sodom und Gomorra? Oder sowohl der erste als auch der zweite Weltkrieg? All dies sind Katastrophen, die Jehova inszeniert hat und die nur deswegen keine Früchte getragen haben, da Asmodeus und ich rechtzeitig eingegriffen haben. Ist deine Frage hiermit beantwortet?“
 

Ein zögerliches Nicken deutete sich an, während der junge Mann mit aller Macht seine Gedankengänge zu ordnen versuchte. Die ganze Angelegenheit wurde für ihn zunehmend suspekter, doch er würde sich hüten auch nur einen Ton des Unmutes laut werden zu lassen. Dafür interessierte ihn die Geschichte der jungen Frau mittlerweile viel zu sehr, so absonderlich sie auch sein sollte.
 

„Gut denn, dann fahre ich fort. Eines Tages hatte Jehova abermals einen dermaßen Wutanfall, dass er all seinen Zorn auf einen Planeten namens Zidhwa niedergehen ließ und ihn somit unwiederbringlich auslöschte. Denn eigentlich gab es neben Mars, Uranus, Merkur, Pluto und all den anderen großen Sternen noch einen zehnten, welcher beinahe die selbe Beschaffenheit aufweisen konnte, wie die Erde, mit dem einzigen Unterschied, dass er beinahe dreimal so groß war. Asmodeus tobte als er von seiner Vernichtung erfuhr und griff seinerseits sein Gegenstück an.

<Ich habe es satt, Jehova!>, schrie er. <Ständig deine Launen und deine Unzurechnungsfähigkeit! Mir reicht es endgültig, lange genug habe ich mir das mit ansehen müssen. Du weißt ganz genau, was passiert, wenn du einfach so Planeten vernichtest: Du zerstörst das Gleichgewicht des Universums und es interessiert dich noch nicht einmal. Oh, ich würde dich umbringen, wenn du denn sterben könntest!>

Und so hielt er sich dran. Er, der normalerweise der ruhende Pol der beiden ist, ereiferte sich derart, dass er beinahe unbeabsichtigt einen weiteren Planeten zerstört hätte, ehe er letztendlich zur Besinnung kam. Danach war klar, dass sie nicht so weitermachen konnten wie bisher, sondern dass irgendetwas passieren musste, dass zusätzlich jemand auf das Gleichgewicht der Kräfte achten sollte. Und ab hier komme ich ins Spiel. Jehova und Asmodeus rauften sich ein letztes Mal zusammen um etwas nie zuvor da gewesenes zu erschaffen. Es sollte stärker sein, als der stärkste von beiden, allerdings nicht zu sehr, sodass man es unter Umständen wieder gemeinsam vernichten konnte, sollte dieses Pilotprojekt scheitern. Zudem musste es vollkommen neutral eingestellt sein und objektiv handeln, damit nicht letzten Ende doch einer von beiden einen Vorteil herausschlagen könnte. Also vereinigten sie sich zum ersten und wahrscheinlich auch einzigen Mal in ihrem Leben um aus ihrer gemeinsam Energie etwas völlig neues zu erschaffen.

Doch Jehova betrog seinen Partner. Anstatt sich genau an die vorherigen Absprachen zu halten, änderte er unbemerkt einige kleinere Details ab, damit ich ihm nicht in die Quere kommen und seinen Plan von der Vernichtung allen Lebens auf der Erde vereiteln konnte.

<In einem samtenen Sarkophag sollst du liegen, vom Licht und allem Existenten abgeschirmt, auf dass du bis zum festgesetzten Tage in der Dunkelheit verharren musst, ehe du deinem finsteren Gefängnis entsteigen kannst. Vom Blute der Geschöpfe sollst du dich nähren und deine Kräfte laben, bis dass die Welt von allem Bösen gereinigt ist. Deine Kräfte sollen die ihren bei weitem übersteigen, auf dass dir nichts etwas anhaben kann, mit Ausnahme des Lichtes. Ohne jegliche Gefühle wirst du töten, ehe du nach Beendigung deiner Tat deine samtene Ruhestätte wieder aufsuchen wirst.>

Es waren nur kleinere Änderungen, die eingestreut wurden, doch hätten sie ausgereicht, allem Existenten den Untergang zu bescheren. Ich wäre ein Monster geworden, eine Tötungsmaschine, welche ohne jegliche Gefühle sämtliche Generationen dahingerafft hätte. Doch glücklicherweise – und ich bin mir sicher, dass du dies meinen Worten bereits entnommen hast – bemerkte Asmodeus den Verrat noch gerade rechtzeitig, bevor es zu spät gewesen wäre und mit letzter Kraft schaffte er es zumindest einige Kleinigkeiten zu entkräften. Er konnte sie nicht aufheben oder in irgendeiner Weise ungeschehen machen, aber er konnte sie in so weit ein wenig abändern, dass zumindest ein Teil des Schadens, den Jehova angerichtet hatte, eingedämmt werden konnte.

Anstatt völlig rücksichtslos jede Lebensform auf Erden auszulöschen wie es mir beliebt, sollte ich von nun an diejenigen töten, deren es nötig war und deren Tod zur Verbesserung der allgemeinen Zustände beitragen sollte. Denn immerhin sollte ich völlig neutral sein, weder gut noch schlecht kennen, sondern nur Notwendigkeiten. Ich würde meinen Durst an den Lebenden stillen, aber niemals aus Spaß oder Vergnügen morden und ihre Kadaver unbenutzt liegen lassen.

Eigentlich war es vorgesehen gewesen, dass ich rund um die Uhr auf die Veränderungen meiner Umgebung achten sollte, doch fesselt mich Jehovas Betrug tagsüber in die Dunkelheit, in der ich ausharren muss. Auch Asmodeus konnte daran nichts ändern, doch erwirkte er einen Zusatz, in dem meine wachsenden Kräfte mir erlauben sollten, mich ab einer bestimmten Machtgröße den Strahlen der Sonne zumindest bis zu einem gewissen Grade zu widersetzen. Jedoch sollten mehr als hunderttausend Jahre ins Land ziehen ehe ich auch nur den Anblick der Morgenröte ertragen konnte, geschweige denn die der Sonne überhaupt.

Und so wurde ich erschaffen und meinem Schicksal, meiner eigenen Kraft und meinem Willen überlassen. Nach ihrem Werk waren die beiden Großen am Ende ihrer Kräfte, nicht fähig ihre Schöpfung auch nur anzusehen. Das einzige, was sie über meine Erschaffung hin taten, war, dass sie mir ein eisernes Gefäß zur Verfügung stellten und eine eigene Dimension für mich erschufen. Denn du musst wissen, dass sowohl Asmodeus als auch Jehova über eine eigene dieser Art verfügt. Es ist eine Art Parallelwelt, die sich ganz nach den Wünschen ihres Bewohners richtet. Ich denke nach christlichem Glauben entspräche das Himmel und Hölle, doch wirst du sicher verstehen, dass die Dimensionen der beiden absolut nicht mit den Vorstellungen der Menschheit übereinstimmen. Doch dazu werde ich dir später näheres erzählen.

Es ist schwer für mich dir zu schildern, wie ich die Welt wahrnahm, als ich erschaffen wurde, denn all meine Fähigkeiten liegen außerhalb deiner Vorstellungskraft, auch wenn sie in jenen Augenblicken verglichen zu heute noch relativ bescheiden ausfielen. Man hatte mich der Welt überlassen ohne mir vorher erklärt zu haben, weswegen ich überhaupt existierte. Ich wusste noch nicht einmal, dass es andere Existenzen außer der meinen gab, denn ich war in meiner Finsternis gefangen, ohne dass ich Mauern erkennen konnte. Ich war frei in all meinem Handeln und doch blieb mir so vieles verwehrt. Im Gegensatz zu Jehova und Asmodeus, die allwissend sind und auf jede Frage ihres Geistes eine Antwort wissen, noch bevor sie diese stellen, wusste ich nichts. Ich wusste nicht einmal, was ich war.

Ich schwebte umher, eine Energiequelle, dem Licht eines Glühwürmchens gleich. Ich hatte keine Augen, mit denen ich wie ein Mensch sehen konnte und doch sah ich besser als irgendjemand sonst. Ich sah die Finsternis um mich herum, die alles zu verschlucken schien, während sie gleichzeitig so gleißend hell war, dass ich mich abwenden musste. Damals hatte ich noch keine Formen oder Gegenstände in meinem Reich, mit Ausnahme jenes Gefäßes, dass für mich das einzige Heil vor dem Licht darstellen sollte. Ohne diese Dinge konnte ich demnach auch weder etwas an Formen ausmachen, noch konnte ich Geräusche vernehmen, die von etwas anderes herrührten, als dem leisen Zischen und Surren meiner eigenen Energie, ähnlich einem Menschen, der sein Blut in den Adern rauschen hört, wenn es still ist.

Und es war still. Ich wusste noch nicht einmal was Geräusche waren, ich dachte dies, was sich mir präsentierte, wäre alles, was es gäbe. Oh, was war ich schockiert, als ich das erste Mal ein winziges Tier sah. Eine Maus, doch das wusste ich damals noch nicht. Einer der Großen musste sie mir wohl überlassen haben, als ich kurz davor stand zu sterben. Denn da ich weder eine Ahnung hatte, was ich denn nun war, noch weswegen ich überhaupt existierte, so wusste ich natürlich auch nicht, wie ich überleben sollte.

Ich verspürte Hunger. Alles in mir verkrampfte sich und ließ meine Gedanken rasen, in der Hoffnung einen Ausweg aus meiner Misere zu finden, und doch konnte ich ihr nicht entfliehen. Als die Nacht sich dem Ende zuneigte und es nur noch wenige Minuten dauern würde, ehe die Sonne ihre ersten wärmenden Strahlen schicken würde, hatte ich immer noch nichts gegessen. Die unbändige Kraft, welche ich ganz zu Beginn der Nacht verspürt hatte, war beinahe gänzlich verschwunden und stattdessen fühlte ich mich merkwürdig leer und ausgelaugt. Und ich verspürte eine Müdigkeit, die ich noch nie zuvor gekannt hatte. Ich wusste nicht, dass dies die Auswirkungen von Jehovas Fluch waren, welcher mich zwang mich vor Sonnenaufgang schlafen zu legen.

Instinktiv bewegte ich mich zu dem Gefäß, welches Asmodeus mir überlassen hatte, auch wenn es eigentlich nichts großartigeres war als eine einfache Blechdose, welche völlig lichtundurchlässig war. Und sobald sich der Deckel geschlossen hatte, fiel ich in einen tiefen Schlaf.

Und genauso vergingen auch die folgenden Tage, ohne dass sich auch nur irgendetwas änderte. Ich erwachte, wenn die Sonne unterging, wanderte auf der Suche nach Nahrung, die ich eh nicht finden würde, umher, ehe ich mich wieder völlig entkräftet zur Ruhe bettete. Zusehends wurde ich schwächer, denn aufgrund der ausbleibenden Verköstigung nahm auch meine Kraft ab, bis ich nach der zweiten Woche – ob es tatsächlich zwei waren, weiß ich nicht, aber ich nehme es an, denn länger als diese Zeit hätte ich damals wohl kaum überleben können – noch nicht einmal mehr fähig war, mich zu erheben.

Das Rauschen meiner Energie hatte abgenommen und flackerte nur noch ab und an ein wenig auf, was die Stille um mich herum nur noch erdrückender machte. Doch mit einem Mal veränderte sich etwas. Ich spürte den Umschlag der Luft um mich herum, noch bevor ich ein Geräusch ausmachen konnte, und voller Erregung lag ich einfach nur da und ließ die neuen Eindrücke auf mich einströmen.“
 

Ein Lächeln hatte sich auf das Gesicht der Frau geschlichen, ganz so als schwelge sie in Erinnerungen. Neugierig wurde sie von dem jungen Mann beobachtet, welchem schon seit geraumer Zeit zahlreiche Fragen auf der Zunge gebrannt hatten, die er allerdings nicht auszusprechen gewagt hatte, aus Angst er könne die Erzählung der Frau stören. Doch nun war er so aufgeregt wie noch nie zuvor, denn obgleich er sich auch bemühte, alles Gesagte zu begreifen, so verstand er doch nur die Hälfte.
 

„Aber... wenn Sie keine Ohren oder Augen hatten... Wie konnten Sie dann diese Dinge wahrnehmen? Was hatten Sie denn dann für eine Gestalt, wenn nicht diese? Ist das hier... nicht Ihr richtiger Körper?“
 

Endlich war es heraus. So lange hatte er darüber sinniert und nachgedacht, aber nun, als die Worte endlich im Raum standen, kam er sich lächerlich vor. Doch anstatt ihn auszulachen oder sonstig zu verspotten, sah die Frau den jungen Mann nur einige Zeit nachdenklich an, ehe sie den Kopf von einer Seite auf die andere legte, sodass ihre blonden Haare im Licht der Glühbirne abermals golden schimmerten.
 

„Es ist gut, dass du fragst, denn für mich sind diese Dinge nur allzu selbstverständlich, dass ich leider des öfteren vergesse, dass ihr Sterblichen nichts von all dem wisst. Dieser Körper, den du vor dir siehst, ist nichts weiter als eine leblose Hülle, eine äußere Fassade, die ich mir erschaffen habe, um ohne großes Aufsehen zu erregen auf Erden zu wandeln. Ich hab weder einen Körper, noch ein Geschlecht. Meine Gestalt manifestiert sich in reiner Energie, nichts weiter. Ebenso wie meine Erschaffer Asmodeus und Jehova bestehe ich aus einer einfachen Energiekugel, deren Beschaffenheit zu komplex ist um sie zu erläutern. Außerdem würdest du ihre Zusammensetzungen sowieso nicht verstehen.

Jedoch muss ich zugeben, dass jene Energie eine Farbe aufweisen kann, und zwar die eines satten Dunkelrots, dessen Intensität je nach meiner körperlichen Verfassung und der Menge meiner Nahrung variiert. Meine Farbe ist Rot. Die von Jehova ist ein finsteres Blauschwarz und Asmodeus trägt ein silbrig-weißes Gewand, welches jeden Sterblichen auf der Stelle erblinden lassen würde.

Des weiteren wurde mir die Fähigkeit verliehen meine Gestalt je nach Verlangen zu verändern, jedoch ist es eine sehr anstrengende und schmerzhafte Prozedur, auf die ich nur in den aller seltensten Fällen zurückgreife. Diesen Körper hier besitze ich nun schon seit annähernd dreihundert Jahren und es hat bisher noch keinen Grund gegeben etwas an meiner Erscheinung zu ändern. Falls es dich interessieren sollte, davor hatte ich die Gestalt einer Katze, eines sehr jungen Mädchens und die eines Greises. Aber auch darauf werde ich später zurückkommen, wenn du gestattest.

Ich glaube im Augenblick sprach ich davon, wie ich zum ersten Mal in meiner erbärmlichen Existenz auf eine andere Lebensform außer der meinen traf. Bist du einverstanden?“
 

Dem jungen Mann blieb nichts anderes übrig als zu nicken, obgleich ihn die Offenbarung seines anscheinend geschlechtslosen Gegenübers doch reichlich mitgenommen hatte.
 

„Nun denn. Wie ich bereits erwähnte, war ich zu schwach um mich rühren zu können, also lag ich einfach nur starr da und horchte auf die Geräusche, die auf mich einströmten. Du musst wissen, dass meine Sinne um ein vielfaches entwickelter sind, als die eines Sterblichen, denn ich hörte jeden noch so leisen Ton winziger Füße so dröhnend laut wie einen heutigen Presslufthammer. Ich bin in der Lage noch so unscheinbare Geräusche aus einer riesigen Masse herauszufiltrieren und auf den Millimeter genau ihre Herkunft anzugeben.

Ich konnte das Scharren winziger Füße vernehmen, vier an der Zahl, hörte das leise Schnüffeln einer zwergenhaften Nase und lauschte gebannt auf das Rauschen des Blutes und das gleichmäßige Schlagen eines viel zu kleinen Herzens. Die Geräusche entfernten sich und kamen wieder näher, ehe sie meinem zinnenen Gefängnis so nah waren, dass mir von ihrem Geruch, welchen ich schon Minuten zuvor empfangen hatte, beinahe die Sinne schwanden.

Ich verspürte stärkeren Hunger als jemals zuvor, auch wenn ich nicht wusste, dass das, was sich da in meine Nähe verirrt hatte, tatsächlich Nahrung darstellte. Der Deckel meiner metallenen Dose wurde aufgestoßen und zum ersten Mal SAH ich, was ich vor mir hatte. Es war eine Maus, doch kannte ich derartiges Getier damals noch nicht. Es war das hässlichste Geschöpf, was ich jemals gesehen hatte und doch war es dermaßen schön und vollkommen, dass ich es einfach nur betrachten musste. Ich wollte es beobachten, anfassen und spüren, wobei ich gleichzeitig Abscheu dagegen verspürte.

Doch letztendlich besiegte mich die Neugier und mit letzter Kraft rappelte ich mich auf um dieses Wesen näher in Augenschein zu nehmen. Zunächst noch aus sicherer Entfernung, dann aber näherte ich mich dem Tier immer weiter, was anscheinend nichts von meiner Anwesenheit bemerkt hatte, oder es interessierte es einfach nicht, da ich wohl nicht als potentielle Gefahr in Frage kam. Immer weiter stahl ich mich heran, bis das graue Fell zum greifen nah war, doch plötzlich geschah etwas, was mich erschreckt einen halben Meter nach hinten springen ließ.

Eine rote Flüssigkeit spritze in dem Augenblick, in dem ich das Geschöpf letztendlich doch berührte, nach allen Seiten davon und ein markerschüttertes Quieken zeriss die Stille um mich herum. Meine eigene Energie hatte den winzigen Körper bersten lassen, ohne dass es meine Absicht gewesen war und wie gebannt starrte ich auf die dickflüssige Substanz, die auch mich beinahe gänzlich bedeckte. Instinktiv leckte ich danach und sog das Blut in mich auf, und genau in diesem Moment durchfuhr es mich, wie als wenn ein Blitz eingeschlagen hätte.

Es war das berauschendste Gefühl, was ich jemals in meiner ganzen Existenz gespürt habe, als unbändige Kraft meinen Körper durchflutete und jede Faser zumindest zeitweilig mit Leben füllte.

Wie in Raserei hetzte ich dem verwundeten Tier nach, was mittlerweile sein Heil in der Flucht gesucht hatte und sich vor Schmerzen wand und krümmte, und entzog ihm mit aller Kraft seinen letzten Lebenswillen, der bei Mäusen und niederem Getier im Allgemeinen nicht besonders ausgereift ist. Das Blut erregte mich und lud meinen Geist statisch auf, während ich immer noch nach mehr lechzte, als ich das Herz des Tieres stakkatoartig und panisch trommeln hörte. Es war wie das Dröhnen einer Pauke, mit dem man eine Bestie wie auf Treibjagden durch die Wälder hetzt, das Geräusch immer weiter beschleunigend, bis es so schnell war, dass es sich zu überschlagen drohte, es vollständig erstarb und der Körper restlos leer liegen blieb.

Zum ersten Mal seit meiner Entstehung fühlte ich mich so satt und wohlig wie nie zuvor, wenn auch das frische Blut in meinem Inneren rumorte und wie schäumende Lava zu kochen begann. Ich hatte zu schnell und zu gierig getrunken, mit dem Resultat, dass ich mich geradewegs vor mir wieder erbrach. Der Augenblick des Mystischen und der völligen Zufriedenheit war schlagartig vorbei. Qualvoll schaffte ich es letztendlich mich zurück in mein eisernes Gefäß zu schleppen, in dem ich für die nächsten Tage und auch einige Nächste schlafen sollte.

Dies war der erste Mord, den ich begangen hatte und es sollten noch viele, unendlich viele folgen. Das Erlebnis hatte mich gleichzeitig traumatisiert als auch wachgerüttelt, obwohl ich nicht zu sagen vermochte, auf welche Weise die Veränderung zu Stande gekommen war. Ich nehme an, Asmodeus hatte mir die Maus geschickt, als er es nicht mehr länger mit ansehen konnte, wie ich langsam vor mich hinvegetierte und im Begriff war zu verhungern. Doch sicher bin ich mir bis heute nicht. Während meiner ganzen Anfangszeit hat mir nie jemand von den Großen geholfen, immer musste ich selbst meinen Weg finden, ich habe nur ein oder zweimal einen leichten Fingerzeig von ihnen erhalten, deswegen kann es auch gut möglich sein, dass ich durch schiere Willenskraft und Wunschdenken die Maus eigenständig herbeigeholt hatte. Wie gesagt, ich weiß es nicht.“
 

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Dies war dann wohl also auch Kapitel 2 ^^ Ich hoffe, es hat euch gefallen, immerhin ist dieses ein wenig länger als sein Vorgänger (aber ich sagte ja bereits, dass die Länge der Kapitel immer stark variieren wird) und die Frau beginnt endlich ihre Erzählung. Aber kann man ihr Glauben schenken? Und was wird ihre Geschichte noch alles zutage befördern?
 

Also dann, wir lesen uns (wenn ihr wollt ^^°)
 

P.S: Kommentare sind wie immer geschätzt und geliebt, ich freue mich über jeden noch so kurzen^^ Und ein kleines Feedback nimmt bei weitem nicht so viel Zeit in Anspruch wie ich für dieses Kapitel investiert habe^^

Titel: Death on Vacation

Kapitel: 3/8

Genre: zu viel...

Autor : kei_no_chi

Email: kei_no_chi@hotmail.de

Disclaimer: Nun, diesmal gehört zur Abwechslung wirklich alles mir, bis auf eine einzige Person, die gehört glücklicherweise sich selbst und ich habe auch keinerlei Rechte an ihr^^

Anmerkung: Nun, mal wieder einmal eine neue Fanfiction von mir, auch wenn sie doch sehr von den anderen differiert. Sie ist das Weihnachtsgeschenk für eine Freundin von mir, an dem ich recht lange dran gearbeitet habe (nicht zuletzt in einigen Nachtschichten xD) Das ist auch der Grund, weswegen ich meine bisher noch nicht abgeschlossene letzte Fanfic "Schlimmer geht's immer" im Moment noch nicht vervollständigen konnte. Aber ich gelobe Besserung und werde hart an mir arbeiten auch sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen^^ Ich hoffe aber, dass euch fürs erste diese hier zumindest etwas zusagt^^
 

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Dem jungen Mann kam es vor, als schwindelte ihm, als er sich das Bild vom Tod der Maus vorzustellen wagte. Er war kalkweiß im Gesicht, während seine Nase einen zarten Grün-Ton angenommen hatte und augenblicklich versuchte er das Szenario, welches sich momentan in seinem Kopf abspielte, zu vertreiben. Er war kein Freund des Tötens und bereute es schon beinahe sich überhaupt auf die Erzählung eingelassen zu haben, denn es sollte nicht bei der einzigen Erwähnung eines Mordes bleiben, da war er sich sicher.
 

„Ja, aber warum haben Gott und – ich meine Jehova und Asmodeus Ihnen nicht geholfen oder Ihnen gesagt, wieso Sie existieren? Ich bitte um Entschuldigung, aber...“
 

Er stockte und wandte peinlich berührt den Blick ab. Es galt als anmaßend derartige Fragen zu stellen, auch wenn sie sich mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert befanden. Doch anstatt gekränkt zu sein, ließ die Frau wie schon so oft zuvor ein leises Lachen verlauten, ganz so, wie es Erwachsene immer tun, wenn kleine Kinder höchst schwachsinnige Fragen stellen.
 

„Natürlich, ich vergaß, dass du das nicht wissen kannst. Ich befürchte sowieso, dass ich dich nicht genügend Fragen stellen lasse. Weißt du, bei allen übernatürlichen Wesen herrscht das ungeschriebene Gesetz, dass jeder uneingeschränkt für sich selbst verantwortlich ist und absolut von niemandem Hilfe zu erwarten hat. Man muss sich so gut es geht selbst behelfen, und wenn man das nicht kann oder nicht dazu bereit ist, kann man gehen. Was ich damit sagen will ist, dass sobald du anfängst auch nur von irgendjemandem irgendetwas zu erwarten wirst du sterben. Das ist auch der Grund weswegen sich die beiden Großen einen feuchten Kehricht um mein Wissen scherten. Sollte ich sterben hätte ich eben versagt und wäre des Existierens nicht wert gewesen, so einfach ist das. Natürlich hätte es mir viele Unannehmlichkeiten erspart, hätte ich um meine Aufgaben und mein Dasein Bescheid gewusst, aber so ist nun einmal der Lauf der Dinge und deshalb beschwere ich mich nicht. Ich weiß nur, dass ich es eventuell anders gemacht hätte, hätte ich ein Wesen erschaffen, das die Waagschale über Bestehen und Verderben im Gleichgewicht halten soll.“
 

„Aber... Wie haben Sie dennoch ihren Zweck herausgefunden? Wer hat es Ihnen erzählt? Und woher wussten Sie eigentlich um ihre Entstehung, so wie Sie sie mir vorhin berichtet haben?“
 

„So gern ich es auch täte, aber ich kann es dir nicht erklären. Es ist tief in einem Wesen wie mir verankert und kommt nach und nach zum Vorschein, ganz so wie ein Amnesiepatient sich nach einiger Zeit wieder an sein Leben erinnert, nur dass ich es nie erlebt habe. Vielleicht kannst du es mit einer Form der Allwissenheit vergleichen, wenn es dir so leichter fällt, auch wenn es im Prinzip nichts damit zu tun hat. Wie ein Regen von Konfetti setzen sich Bruchstücke in meinem Geist zusammen und ergeben nach langer Zeit ein Ganzes, auch wenn sehr viele Jahre vergehen mussten, ehe ich alles wusste.

Allerdings darf ich natürlich nicht verschweigen, dass ich später einen Lehrmeister hatte, welcher mich in meinen Fertigkeiten unterwies, doch auch dazu komme ich zu einem angemessenen Zeitpunkt. Ich bitte in dieser Hinsicht nur noch um ein wenig Geduld.“
 

Ein zögerliches Nicken war die Antwort, denn obwohl der junge Mann nur wenige Bruchstücke des Gesagten verstanden hatte, so würde er sich dennoch mit der eben genannten Antwort zufrieden geben müssen. Nachdenklich kaute er auf seiner Lippe herum und beugte sich leicht vor, noch immer von dem Verlangen besessen die Reißzähne seines Gegenübers zu sehen, sollte die Frau denn tatsächlich welche besitzen.
 

„Nun, wie du dir vorstellen kannst, sollte es nicht bei dem einen Mord an jener Maus bleiben. Gesättigt und zufrieden war ich fürs erste beseelt, allerdings hielt dieser Zustand nicht sehr lange vor. Schon in der darauffolgenden Nacht befiel mich abermals quälender Hunger, der – da ich jetzt schon die Freuden des Blutes kannte – nur noch erdrückender war. Da ich nicht wusste, wie die Maus in meine Dimension gelangt war, hatte ich dementsprechend auch nicht die leiseste Ahnung wie ich dieses Phänomen erneut herbeirufen sollte, weswegen ich rastlos umher wanderte. Es gab Zeiten, da verließ ich auch lauter Frust noch nicht einmal meine schützende Kassette. Abermals zog die Zeit nur so dahin, bis ich zum wiederholten Male zu schwach war um mich zu bewegen. Ich bin mir sicher, dass es nur noch wenige Stunden gedauert hätte, ehe ich vollends verhungert wäre, doch genau im rettenden Moment bemerkte ich abermals die ersehnte Veränderung der Luft.

Dieses Mal reagierte ich augenblicklich und stürzte mich mit letzter Kraft auf mein Opfer, suhlte mich in der Ekstase, als ich sein Blut trank und langsam wieder das Leben in mir pulsieren spürte. Aus dem Fehler meines letzten Mordes gelernt, ließ ich allerdings von der Maus ab, ehe sie die Schwelle des Todes überschritten hatte und betrachtete sie die letzten Augenblicke, ehe sie ihr restliches Leben ausgehaucht hatte.

Die Jahre vergingen auf diese Weise ohne dass ich Notiz von ihnen nahm oder mich weiter um meine Existenz scherte, ich lebte und doch tat ich es auch wieder nicht, immer an der Grenze vor Hunger zu krepieren. In dieser Zeit bemerkte ich Jehovas und Asmodeus’ Streitereien zum ersten Mal, doch in einer Weise, die mich nicht sonderlich kümmerte. Es war vielmehr ein Vibrieren der Luft, ein weit entferntes Dröhnen eines Gewitters, was zu weit entfernt ist, als dass man sich dessen Gedanken macht. Ich hatte gerade gegessen und lauschte voller Verzückung auf das Donnern in der Ferne. Ich wollte es berühren und einfangen, doch zugleich hoffte ich dass es aufhörte, denn es ermüdete mich und trieb mich zur Raserei. Ohne dass ich wusste weshalb, schwante mir, dass ich es beenden musste, koste es was es wolle.

Also nahm ich all meinen Geist zusammen und konzentrierte mich auf dieses Geräusch, ließ es in meinen eigenen Gedanken von neuem aufleben und erstärken, ehe ich mich neu sammelte und einen Schwall der Energie in die vermutete Richtung schickte. Es war nicht viel, und doch reichte es das Dröhnen augenblicklich ersterben zu lassen. Ich wusste indes nicht, dass ich Jehova mit meiner Aktion um ein Haar umgebracht hätte, da ich meine Energien noch nicht einmal ansatzweise unter Kontrolle hatte. Zufrieden über meine Leistung und dankbar wegen der nun wieder eingetretenen Stille wanderte ich erneut umher, versuchte dieses und jenes zu bewirken und scheiterte kläglich. Aus reinem Frust schleuderte ich neue Energieschübe umher und versuchte meine metallene Dose damit hin und her zu schießen, auch wenn ich von beinahe zehntausend Versuchen nur knapp zweimal traf. Wie gesagt, meine Kräfte waren damals noch reichlich bescheiden.

Die Jahre vergingen und aus den von den Fischwesen abstammenden Dinosauriern wurden neue Lebewesen: Mammuts, Säbelzahntiger, Vögel und – Menschen. Mittlerweile lebte ich nun wohl schon seit einigen tausend Jahren, ohne dass ich mir dessen großartig bewusst war, denn meine einzige Tätigkeit damals bestand darin zu essen, zu ruhen und ab und an dem Unheil verkündenden Dröhnen einen Schlag zu versetzen. Meine Kräfte allerdings entwickelten sich weiter, meine Sinne schärften sich und auch meine Energieschübe wurden kontrollierter. Mittlerweile schaffte ich es sogar mir selbstständig irgendwelches Getier herbeizuholen, von dem ich mich nährte. Und ich verstand es sogar mit meinen Opfern zu spielen, ihren Tod so lange wie möglich herauszuzögern ohne sie dabei allerdings zu quälen.

Es war die Zeit des neuen Menschen, diejenige Form, welche man <Homo sapiens sapiens> nannte. Sie waren sesshaft geworden und lebten in Dörfern, benutzen eine einheitliche Sprache und waren das, was ansatzweise als kultiviert bezeichnet werden konnte. Es war die Zeit von Sodom und Gomorra.

Ich existierte nun schon seit vielen tausend Jahren und hatte mich damit abgefunden ein spartanisches Leben zu fristen, obwohl ich mir mittlerweile einigen Luxus leisten konnte, wie zum Beispiel nach Bedarf niederes Getier herholen, damit ich mich daran laben konnte. Doch eines Tages packte mich ein unerklärliches Gefühl, eine ruhelose Umtriebenheit, die mich zum Handeln zwang. Rastlos wanderte ich durch meine Dimension, holte mir aus lauter Überdruss durch bloße Gedanken einige Mäuse her – die einzigen Tiere, von deren Existenz ich wusste – und tötete sie kurz und schmerzlos. Doch bei der siebenten Maus geschah etwas eigenartiges. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, als könnte ich einen dumpfen Schimmer in ihren Augen ausmachen, eine leichte Erinnerung im Angesicht des Sterbens, die mich vollständig vor den Kopf stieß. Ich hatte geglaubt diese völlig in Schwarz getauchte Welt wäre alles und es existierte nichts weiter, aber nun geriet mein Weltbild ins Wanken.

Ich hatte eine Welt gesehen, die fernab meiner Vorstellungskraft lag, denn zum ersten Mal sah ich Farben, Formen und – Licht. Ich war gefangen von diesem neuen Kosmos, von dem ich nur Millisekunden lang hatte kosten können. Mit neuem Antrieb beseelt holte ich mir Scharen von Mäusen her und tötete sie eine nach der anderen, immer auf der Suche nach eben jenem Augenblick, doch sosehr ich mich auch bemühte, es blieb mir verwehrt.

Ich war frustriert. Mit aller Kraft wünschte ich mir diesen Ort und doch konnte ich ihn nicht erreichen. Ich war dermaßen in Rage, dass ich versehentlich eine der Ratten in Brand steckte. Oh, was habe ich mich damals erschrocken. Ich weiß noch ganz genau wie ein Schwall Energie aus mir herausschoss und das Fell des Tieres in Flammen aufgehen ließ, während ich dem Spektakel einfach nur völlig fasziniert beiwohnte. Feuer, so stellte ich fest, schien eine Naturgewalt zu sein, über die ich nach Belieben verfügen konnte, sobald ich es denn schaffen würde sie unter meine Kontrolle zu bringen. Mit neuem Eifer stürzte ich mich in meine neue Leidenschaft, doch tief in meinem Herzen bohrte noch immer die Vision der Neuen Welt in meinem Fleisch, ganz so wie ein giftiger Splitter.

Es stellte sich heraus, dass das Element Feuer bei weitem schwerer zu bezwingen war, als ich gedacht hatte, und doch liebte ich diese Herausforderung, die mich die ganze Nacht in ihren Bann schlagen konnte. Selbstverständlich war Feuer eine der wenigen Sachen, die mir schaden konnten, aber vielleicht war es gerade dieser Reiz der ständigen Gefahr, der es mich immer wieder probieren ließ, bis ich es schließlich fertig gebracht hatte, meine neue Macht zumindest ansatzweise zu beherrschen. Von nun an ließ ich keine Gelegenheit aus zumindest einen kleinen Funken auf eines meiner neuerdings immer zahlreicheren Opfer zu schicken, auf dass die gepeinigt quiekend das Weite suchen wollten.

Aber bitte halte mich nicht für sadistisch, oder dass ich auch nur in irgendeiner Weise Gefallen am Töten und Quälen finde. Diese kleinen Spielereien waren lediglich dazu gedacht meine Fähigkeiten zu vervollkommnen und immerhin suchte ich nach wie vor jene Stätte aus meiner Vision. Diese Zustände hielten so lange an, ehe mir ein weiteres Mal aus lauter Frust wegen meiner eigenen Unfähigkeit der Kragen platzte. Mit aller Macht, die ich aufbringen konnte, wünschte ich mir diesen Ort zu sehen, seine Gerüche in mich aufzunehmen und seine Geräusche meine Sinne durchfluten zu lassen. Ich stellte mir vor, wie ich im gleißenden Licht der Sonne baden würde und welch Dinge meinen Speiseplan so unendlich erweitern würden. Denn obwohl ich neutral bin, so bin ich doch auch eine Jägerin.

Was dann geschah lässt sich nur schwer beschreiben, denn mit einem Mal spürte ich ein gewaltiges Ziehen in jeder Faser meines Körpers und ein Rauschen ließ mein Trommelfell beinahe bersten. Die vertraute Finsternis um mich herum nahm zu und drohte mich zu ersticken, während ich das Gefühl hatte in Eiswasser geworfen zu werden, dessen Oberfläche beinahe augenblicklich versiegelt wurde, auf dass ein Entkommen sinnlos wurde. Ich hatte keine Angst. Ich besitze keine Gefühle dieser Art, also schüchterten mich die Geschehnisse auch nicht ein, vielmehr verharrte ich in unbezwingbarer Neugier auf Dinge, welche mich zweifellos erwarten würden.
 

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Ich weiß, dass dieses Kapitel wieder etwas kurz geraten ist, aber wie gesagt, ich teile die Kapitel so ein, wie sie etwas besonderes im Leben der Frau beschreiben ^^ Vielleicht hat es euch ja trotzdem gefallen. Das nächste ist auch wieder länger xD
 

Also dann, wir lesen uns (wenn ihr wollt ^^°)
 

P.S: Kommentare sind wie immer geschätzt und geliebt, ich freue mich über jeden noch so kurzen^^ Und ein kleines Feedback nimmt bei weitem nicht so viel Zeit in Anspruch wie ich für dieses Kapitel investiert habe^^

Titel: Death on Vacation

Kapitel: 4/8

Genre: zu viel...

Autor : kei_no_chi

Email: kei_no_chi@hotmail.de

Disclaimer: Nun, diesmal gehört zur Abwechslung wirklich alles mir, bis auf eine einzige Person, die gehört glücklicherweise sich selbst und ich habe auch keinerlei Rechte an ihr^^

Anmerkung: Nun, mal wieder einmal eine neue Fanfiction von mir, auch wenn sie doch sehr von den anderen differiert. Sie ist das Weihnachtsgeschenk für eine Freundin von mir, an dem ich recht lange dran gearbeitet habe (nicht zuletzt in einigen Nachtschichten xD) Das ist auch der Grund, weswegen ich meine bisher noch nicht abgeschlossene letzte Fanfic "Schlimmer geht's immer" im Moment noch nicht vervollständigen konnte. Aber ich gelobe Besserung und werde hart an mir arbeiten auch sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen^^ Ich hoffe aber, dass euch fürs erste diese hier zumindest etwas zusagt^^
 

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Als die Kälte und das Dröhnen um mich herum abnahmen, war es noch immer finster, doch merkwürdigerweise auch erschreckend hell. Alles hatte sich verändert und im Bruchteil einer Sekunde erkannte ich, dass ich mich nicht mehr in meiner mir vertrauten Umgebung befand, sondern dass das, wo ich mich nun befand, etwas völlig neues darstellte. Ich konnte mich nicht bewegen, als hunderte Eindrücke meine Sinne überfluteten und mich vollends überforderten. Du musst wissen, meine Sinne unterscheiden sich weitaus mehr von den deinen, als du bisher angenommen hast. Ich hörte eine Vielzahl mir unbekannter Geräusche, die von überall her auf mich einströmten, mich verschreckten und zugleich erregten. Das Rascheln zahlreicher Blätter im Wind dröhnte mir in den Ohren als hätte man mich angeschrieen und das Lachen eines Betrunkenen ließ mich fast wahnsinnig werden, obgleich es mehr als zehn Kilometer entfernt sein musste.

Meine Augen begannen schon nach kürzester Zeit von der Reizüberflutung zu schmerzen, denn trotzdem, dass es beinahe Mitternacht war, sah ich alles so hell erleuchtet als liefe man mit einem Scheinwerfer der heutigen Zeit neben mir her. Und das, obwohl gerade einmal einige vereinzelte Sterne leuchteten, denn es war Neumond, also spendete selbst er kein Licht. Doch außer der Nachtsicht, waren meine Fähigkeiten im Bereich des Sehens noch weiter ausgeprägt, denn ich hätte bei Londoner Nebel auf vier Kilometer Entfernung in einer Zeitung das Kleingedruckte lesen können, ebenso wie ich bei näherer Betrachtung eines Blattes jedes einzelne Chloroplast erkennen konnte.

Nicht weit von mir befand sich ein Grab mit einem marmornen Engel darauf, welcher mit bekreuzigten Armen stumm steinerne Tränen weinte. Dies war zumindest das Bild, welches ein Sterblicher sehen würde, und welches ein eben solcher geschaffen hatte, doch mich schlug es vollständig in seinen Bann. Die Statue schien sich zu bewegen und doch stand sie still, sie sah mich an, doch im selben Moment schlug sie demütig die Augen nieder. Ich sah nicht nur das fertige Produkt, sondern jeden Arbeitsschritt des Meisters, konnte das getrocknete Blut erkennen, welches vom Bearbeiten des Steines herrührte und jeder noch so kleine Makel brannte sich in meine Netzhaut ein, während das Werk dennoch absolut vollkommen war.

Und ich sah den Zerfall in meiner Umgebung, den Alterungsprozess, der eines Tages jeden heimsuchen würde. Jeden, nur mich nicht.

Ich sah mir die Welt an und ich weinte über die Schönheit der Dinge. Als eine Eule langsam an mir vorbeiflog sah ich jede Anspannung ihrer Muskeln, sah wo sie in wenigen Sekunden sein würde, obwohl sie die Strecke noch nicht einmal halb hinter sich gebracht hatte, lauschte auf das Schlagen ihres Herzens und sog den Duft ihres Blutes ein.

Aaaah, die Gerüche. Die wohl schönste Sinneswahrnehmung, die es nach dem Geschmack geben kann. Der Duft des Blutes der Eule war so ganz anders als der von all den Mäusen, die ich bisher verköstigt hatte, denn er roch beinahe lieblich, doch nichts konnte den Geruch des Menschenblutes übertrumpfen, der mir von weit her entgegen wehte. Ich kannte keine Menschen und doch wusste ich im Bruchteil einer Sekunde alles über sie. Ich wusste um ihre Schwächen, ihre Ängste und Sorgen, aber auch waren mir ihre Freuden, Gelüste und Träume bekannt.

Der Geruch ihres Blutes hob sich deutlich vom Gestank der Stadt ab, der mich schwindeln ließ. Damals gab es noch keine Abgase, weder Autos noch Fabriken, doch der damalige Gestank war beinahe genauso schlimm. Es roch nach Feuer, Krankheit und Exkrementen, verbunden mit der von Wollust getränkten Luft beinahe unerträglich, und das, obwohl die Stadt, die ich vor mir hatte, am Meer lag. Von weit entfernt konnte ich das sanfte Schlagen der Wellen hören, während mir der unnatürlich starke Salzgeruch des Wassers das Atmen erschwerte.

Ah, wo wir gerade bei Wasser sind: Du siehst aus als hättest du Durst, allerdings kann ich dir leider nichts anbieten, so gern ich es auch wollte, denn ich glaube, dass wir nicht den gleichen Geschmack haben, was Getränke angeht.“
 

Die Frau lächelte entschuldigend, auch wenn es nicht allzu ernst gemeint sein konnte, da der Spott in ihren Worten kaum zu überhören war. Dem jungen Mann allerdings lief bei den Worten ein eisiger Schauer über den Rücken, als eine Szene sich seines Geistes bemächtigte, welche fernab jener Ethik lag. So schluckte er nur trocken und biss sich auf die Lippen, ehe er der Frau ein kaum merkliches Zeichen gab fortzufahren. Ein gewinnendes Lächeln umspielte nun die Lippen der Frau, als sie nach einiger Stille mit ihrer Erzählung fortfuhr.
 

„Nun, wie gesagt, ich befand mich damals in Sodom, eine Stadt dem Toten Meer gelegen. Ich weiß, was die Bibel heutzutage über diese Stadt schreibt und dieses Mal hat sie vom Kern her Recht. In dieser Stätte wimmelte es nur so von Betrügern, Dieben und Vergewaltigern. Sie kannten keine Regeln der Gesellschaft und hielten sich nur an ein Gesetz: Jeder ist sich selbst der Nächste. Für ein Wesen meiner Spezies, welches töten muss um selbst zu überleben, kam es einem Paradies gleich.

Vorsichtig bewegte ich mich in die Richtung aus der all diese verlockenden Gerüche herrührten, während ich die Schönheit der Welt beweinte. Als ich letztendlich die Stadt erreichte, hatte ich mich längst in diese neue Umgebung verliebt. Ich war geblendet von ihren Formen, gelähmt durch ihre Veränderungen, die an mir vorbei rauschten und ich wurde beinahe taub von all den lärmenden Geräuschen, die – obwohl sie mir das Trommelfell zu zerreißen drohten – doch so lieblich klangen.

Doch plötzlich schreckte ich zusammen, als ein Wesen in mein Blickfeld trat, das meine gesamte Aufmerksamkeit forderte. Es bewegte sich auf zwei Beinen in geschmeidigen Bewegungen fort, während Eigentümliches seinen Körper umhüllte und lange Haare im Wind wehten. Fasziniert betrachtete ich den ersten Menschen in meinem Leben und beobachtete, wie diese Frau mit einem Korb unter ihren dünnen Armen zum Meer schlenderte um dort Muscheln zu sammeln. Erinnere dich bitte mit mir, dass es zu diesem Zeitpunkt noch immer tiefste Nacht war und es beinahe Wahnsinn glich, sich zu dieser Stunde und in solch unsicheren Zeiten allein davon zu stehlen, doch ein Fetzen ihrer Gedanken verriet mir, dass sie nur kurz zuvor die mühselige Sammlung ihrer Frau Mutter unwillentlich zerstört hatte und nun geradezu dazu gezwungen wurde den Schaden zu beheben, bevor das Missgeschick bemerkt werden würde. Wie dumm für dieses Mädchen, dass sie das heimische Elternhaus wohl niemals wieder erreichen würde.

Immer näher schlich ich mich an sie heran um sie zu beobachten und jede ihrer Bewegungen genauestens zu studieren, doch je genauer ich sie betrachtete, umso stärker hatte ich eine bedrückende Erkenntnis. Ich wollte dieses Mädchen, welches nicht einmal älter sein konnte als knappe neunzehn Jahre, nicht besitzen, oder es töten – nein, ich wollte SEIN wie sie! Ich verzehrte mich danach ihre langen, schwarzen Haare zu besitzen, ihr engelsgleiches Antlitz und die sonnengebräunte Haut. Ich begehrte diese junge Frau in einem solchen Maße, dass ich beinahe zu bersten drohte.

Aber als ich nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt stand, wandte das Mädchen sich auf einmal um und erschrak. Doch anstatt verschreckt vor mir davon zu laufen, zierte alsbald ein warmes Lächeln ihr Gesicht und versonnen streckte sie mit unverhohlener Neugierde eine Hand aus um vorsichtig einen meiner pulsierenden Energieströme zu berühren. Schnell wich ich zurück, wusste ich doch bereits von früher was passieren konnte, wenn man jemandem wie mir zu nahe kommen würde. Der Fairness halber muss ich jedoch gestehen, dass ich wenige Augenblicke zögerte, denn tief in mir wollte ich, dass sie mich berührte, denn nur so konnte ich auch meine eigene Neugier ihr bezüglich stillen.

Es kam, wie es kommen musste, kaum hatte gerade einmal eine ihrer Fingerspitzen den äußeren Rand meiner Selbst berührt, da war sie auch schon hinüber. Beinahe paralysiert starrte ich auf die Reste ihres sterblichen Körpers, beobachtete wie sich das schwarze Wasser langsam mit ihrem Blut vermischte, ehe ich mich schlussendlich auf ihr noch immer außergewöhnlich hübsches Gesicht fixierte. Der beinahe einzige Teil, der noch in halbwegs ganzen Stücken verblieben war.

Versteh mich nicht falsch, ich trauerte nicht um diese Frau, doch hatte ich trotzdem noch soviel Achtung vor dem Leben, dass ich nicht einfach so ihr Blut trank, auch wenn jede Zelle meiner Erscheinung förmlich vor Hunger schrie. Also verharrte ich einfach nur stundenlang bei ihrer Leiche und rief mir noch einmal ihre ganze Erscheinung ins Gedächtnis. Und noch einmal wurde der Wunsch so zu sein wie sie beinahe unerträglich.

Aber mit einem Mal durchzuckte mich ein kochend heißer Strahl, ganz so, als hätte man mich geradewegs mit einem brennenden Schürhaken malträtiert. Eine immense Hitze breitete sich in mir aus, sodass ich das Gefühl hatte zu schmelzen, während ein ohrenbetäubendes Dröhnen in meinem Geiste erklang. Es klang wie Paukenschläge, nur viel bedrohlicher, und der Bass übte einen solchen Druck auf mich aus, dass ich es beinahe nicht mehr ertragen konnte. Ich schrie, doch waren die Töne, die ich von mir gab, zu hoch, als dass sie von irgendeinem sterblichen Wesen hätten vernommen werden können.

Nach einer beinahe endlosen Ewigkeit nahmen die Schmerzen schließlich ab und schweratmend ließ ich mich mit dem Gesicht voran in die Kühle des Sandes fallen, während ich Hände und Zehen ebenfalls im eisigen Boden vergrub um weiteren Verbrennungen zu entgehen.“
 

Die Frau erhob eine Hand und betrachtete sie, ganz so als wolle sie sich davon überzeugen, dass auch wirklich keine Brandnarben von diesem Erlebnis übergeblieben waren, doch erstrahlten ihre Glieder nach wie vor in einem beinahe unnatürlichen Glanz, welcher die Makellosigkeit der Frau nur noch zu betonen schien.

Wieder herrschte eine eigenartig unheimliche Stille, in welche der junge Mann es nicht wagte, das Wort zu erheben. Eine Gänsehaut hatte sich auf seinen Armen während der Erzählung gebildet und seit der letzten Schilderung saß ein unangenehmer Kloß in seinem Hals, der ihm die Luft zum Atmen nahm. Zum ersten Mal seit Beginn des Gespräches bereute er es, diese Unterhaltung überhaupt begonnen zu haben.
 

„Du sagst ja gar nichts mehr. Hast du etwa Angst vor mir bekommen?“
 

Beinahe provozierend lächelnd blickte die Frau den jungen Mann an, als sie sich zufrieden in ihrem Stuhl zurücklehnte. Der junge Mann indes schreckte betreten zusammen, beeilte sich allerdings schnell mit dem Kopf zu schütteln. Diese Blöße wollte er sich nicht geben.
 

„So so, also nicht. Na schön, nun denn... Wie dir hoffentlich aufgefallen sein sollte, sprach ich vorhin von Händen und Zehen, wo doch eigentlich bekannt sein sollte, dass ich nichts derlei zu dieser Zeit besaß. In der Tat fiel es mir selbst nicht auf, war ich doch fürs erste froh, dass die Qualen nachgelassen hatten. Lange Zeit lag ich also da am Strand und versuchte meine Gedanken zu ordnen, hatte ich doch keine Ahnung welche Veränderung ich durchgemacht hatte.

Ich hatte noch Zeit bis Morgengrauen, das wusste ich. Ich spürte es an der Wärme des Windes, am Kribbeln an meiner Haut und der noch immer andauernden Vitalität, die erst beim Aufgang der Sonne abnimmt. Und doch verschätzte ich mich mit der Zeit, denn ich schlief ein, ohne dass ich es beabsichtigte. Ich träumte einen wirren Traum voll von grellen Farben, unnatürlichen Formen und ohrenbetäubendem Lärm.

Ich sah stählerne Vögel am Himmel. Riesige Kästen, in denen sich Menschen fortbewegten, doch waren sie eingeschlossen in ihren metallenen Kassetten. Eine Gruppe Menschen, die einen Greis mit Knüppeln und brennenden Stöcken bedrohen und in einer mir unverständlichen Sprache auf ihn einschimpfen. Zwei Energiekugeln in schwarz und blendend weiß, wie sie eine dritte, Scharlachrote hervorbringen.

All diese Bilder rasten in Bruchteilen an mir vorbei, ohne dass ich Herr über sie werden konnte. Ich wusste nicht, was sie bedeuteten, und auch nicht, dass sie Bilder der Vergangenheit und Zukunft verkörperten.

Ein weiterer Laut mischte sich unter mein bisheriges Denken und verwirrte mich gleichermaßen wie er mich beruhigte. Ich fühlte, wie ich geschüttelt wurde und langsam erwachte ich aus meinen Träumereien. Unsanft wurde ich zurück in die Realität geholt und wie benommen öffnete ich meine Augen. Und genau im gleichen Augenblick als ich dies tat, traf mich eine weitere Erkenntnis wie ein Schlag. Irgendetwas hatte sich verändert. Bloß was?

Als ich aufblickte, erkannte ich den Greis aus meinen Träumen, auf einen Stock gestützt und mit ergrautem Haar. Er muss wohl Mitte Vierzig gewesen sein. Deinem Gesicht nach kann ich sehen, dass du dich über dieses Alter in Verbindung mit dem Wort Greis wundern magst, steht man doch heutzutage in diesem Alter im guten Mittelfeld. Doch wir sprechen hier über eine Zeit von vor über sechstausend Jahren. Die Menschen starben damals nun einmal schon mit fünfzig.

Mühsam richtete ich mich auf, wobei jede einzelne Bewegung schmerzte als würden tausend Nadeln in meinem Körper stecken. In meinem Schädel dröhnte es und reflexartig fasste ich an meine Schläfen, ehe ich mit einem Mal meine Augen aufriss. Du hast es dir vielleicht schon gedacht, doch ich erkannte erst in diesem Augenblick, welche Veränderung ich durchgemacht hatte. Ich verkörperte nicht länger die rote Energiekugel, die ich einst gewesen war, sondern besaß nun Arme und Beine; einen richtigen Körper! Ohne dass ich wusste wie, hatte ich mich in ein menschliches Wesen verwandelt.

Entsetzt starrte ich auf gebräunte Hände und ein Schrei formte sich in meiner Kehle als ich fassungslos mein Gesicht betastete. Den Greis an meiner Seite hatte ich völlig vergessen. Ich versuchte mich aufzurichten, doch da ich nicht daran gewöhnt war auf Beinen zu gehen, stolperte ich immer und immer wieder, bis ich es schließlich aufgab. Unter größter Anstrengung schaffte ich es schließlich bis zum Wasser des Toten Meeres vorzurobben und starrte vorsichtig in die schwarzen Wellen. Oh, ich weiß noch genau wie ich erschrak, als das Gesicht der jungen Frau mir entgegen blickte, die ich vor nur allzu kurzer Zeit versehentlich getötet hatte.

Ich konnte es nicht begreifen. Was war nur geschehen? Hatte die Kraft meiner Gedanken und mein Verlangen nach ihr dies bewirkt? Meine Gedanken rasten, ehe mir wieder bewusst wurde wo ich mich eigentlich befand. Misstrauisch drehte ich mich zu dem Greis um und betrachtete ihn, wie er mich betrachtete. Verwunderung spiegelte sich in seinem Gesicht, und Neugier, doch es gab keinerlei Anzeichen von Furcht, die doch angesichts der Blutlache vor seinen Füßen nur allzu verständlich gewesen wäre.

<Miss?> Seine Stimme zerriss die Stille um uns herum und sofort verengte ich die Augen zu Schlitzen um mich möglichst angriffsbereit zu machen. <Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Miss? Kann ich Ihnen helfen?> Lange Zeit betrachtete ich diesen seltsamen Mann einfach nur ohne ihn weiter zu beachten oder auf seine Frage einzugehen. Seine Stimme hatte einen warmen Klang und war völlig ruhig, während sie sehr tief vom Rauch einer mittlerweile ausgestorbenen Pflanze geworden war, ähnlich dem heutigen Marihuana. Obwohl er auf einen alten, knorrigen Stock gestützt war, strotzte sein Körper nur so vor Kraft. Er war ein Magier, einer der letzten richtigen dieser Art. In einer Vision hatte er gesehen, was mit mir geschehen würde.“
 

„Moment. Er war ein Zauberer? Aber es gibt doch überhaupt keine echten.“
 

Ein Muskel zuckte im Gesicht der Frau. Das einzige Zeichen, das verlauten ließ, wie sehr sie von dieser Frage hielt. Nämlich nichts.
 

„Du meinst diese Männer, die Kaninchen aus ihren Hüten hervorbringen oder Elefanten verschwinden lassen? Du hast recht, diese Leute sind nichts weiter als Schwindler. Ihr ganzer Zauber besteht aus Täuschungen und Illusionen. Mit reiner Magie hat das rein gar nichts zu tun. Aber wir sprechen hier über eine Zeit, in der die Welt noch jung war und in der die Erde voll war von Wundern und Mysterien. Jener Greis war ein Magier, er verstand sich darauf aus Kräutern Medizin zu brauen, aus Sternen und der Erde in die Zukunft zu sehen und er beherrschte die Elemente. Oder denkst du etwa, dass es auch diese Männer niemals gegeben hat? So wie auch ich nicht existieren kann?“
 

Der junge Mann schwieg betroffen, ehe er schnell den Kopf schüttelte. Er hatte erkannt, dass man bei diesem Gesprächspartner jedes Wort auf die Goldwaage legen musste.
 

„Nun, wie ich sehe kann ich mir den Vorspann bezüglich des Greises nun sparen, denn wenn du nicht an ihn glaubst, wieso sollte ich dich dann vom Gegenteil überzeugen wollen?“
 

„Nein, bitte, so war es nicht gemeint! Bitte, erzählen sie weiter!“
 

Ein flehender Ausdruck war auf dem Gesicht des jungen Mannes aufgetaucht, und ohne, dass er es bemerkt hatte, hatte er seinen Körper eindringlich nach vorne gebeugt, während sich seine Hände im Sitz seines Stuhles verkrallten, dass die Fingerknöchel seiner Hand weiß hervor traten.

Erst als der stechende Blick der Frau sanfter wurde, entspannte er sich wieder und erlaubte es seinen Händen sich wieder mit Blut zu füllen.
 

„Also schön, dann fahre ich fort, auch wenn ich die Erzählung nun leicht kürzen werde. Ich glaube vor der Unterbrechung sprach ich gerade von der Entdeckung meiner neuen Erscheinung. Nun, ich muss zugeben, dass ich zu benommen von meinem neuen Äußeren war, dass ich die ungeheure Macht, welche der Greis auszusenden schien, nicht spürte. Ich achtete nicht einmal darauf.

Meine Haut fühlte sich an wie brennendes Wachs, welches man über einen gefrorenen Bottich gegossen hatte, auf dass es sich verfestigte, obwohl es stockdunkel war und ich in keinster Weise Gefahr lief zu verbrennen. Doch plötzlich fühlte ich eine angenehm kühle Hand an meiner Stirn, als mir einige nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht gestrichen wurden, die der Schweiß blutrot gefärbt hatte. Die Berührung ließ mich zusammenfahren, war ich doch Nähe jeglicher Art nicht gewöhnt, denn das Resultat war ausnahmslos immer der Tod meines Gegenübers.

Ich fühlte mein neu geschaffenes Herz hektisch schlagen, das pulsierende, kochendheiße Blut in meinen Adern ließ mir die Sinne schwinden. Der Greis faszinierte mich und ohne, dass ich näher darauf achtete, hob er mich auf seine Arme und trug mich schweigend den Strand entlang, bis zu einer heruntergekommenen Hütte, die leicht versteckt am Rande eines dunklen Waldes lag. Sie stellte wohl so etwas wie seine Behausung dar. Die Krücke, auf die er vorhin noch gestützt gewesen war, blieb vergessen am Strand zurück.“
 

#+#
 

„An dieser Stelle wird meine Erinnerung zu meinem Leidwesen ein wenig bruchstückhaft, denn es dauerte bis ich mich an meinen neuen Körper gewöhnt hatte und alle seine Funktionen ohne unangenehme Zwischenfälle ordnungsgemäß arbeiteten. Der Greis wurde mein Lehrer, ein warmherziger Mentor, der mir zwar jeden Wunsch von den Augen ablas, mich aber auch unbarmherzig zu den von ihm ausgewählten Lektionen zwang.

Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass ich für ihn eine Tochter darstellte, die er vor etlichen Jahren einmal verloren hatte. Mit meinen langen, schwarzen Haaren, dem Körper, den Bewegungen und der Mentalität einer Zigeunerin muss ich ihr zum Verwechseln ähnlich gewesen sein. Vielleicht hat es dem alten Mann sogar das Herz gebrochen mich jede Nacht aufs Neue in dieser Erscheinung sehen zu müssen.

Zum Schutz vor der Sonne hatte er mir einen hinreißenden Sarg aus Mahagoni anfertigen lassen, dessen kostbare Wände mit hinreichend Ornamenten und Symbolen verziert war, um meinem neuen Körper gerecht zu werden. Er sollte mich vor allem Bösen der Welt bewahren. In einer Metalldose konnte ich verständlicherweise nicht mehr schlafen, auch wenn ich – was dich wohl amüsieren wird – beim aller ersten Morgengrauen versucht habe mich in seine Schnupftabakdose zu zwängen.

Ebenso bekam ich zum ersten Mal seit meiner erbärmlichen Existenz einen Namen. Aber ich spreche hier von einem richtigen Namen, nicht von irgendeiner grauenvollen Betitelung, die mir die Menschen im Laufe der Jahre - sei es aus Ehrerbietung, sei es aus Furcht – immer wieder gaben. Er nannte mich <Mireya>, eine weitere Verbindung zu seiner verstorbenen Tochter, denn einst hatte sie diesen Namen tragen dürfen.

Ich fühlte mich gänzlich wohl in diesem neuen Leben, denn von meinem Meister lernte ich mit der Zeit alles, was zum Leben notwendig war. Ich erfuhr wie ich meine Kräfte und vor allem diesen mir noch immer obskuren Körper zu beherrschen hatte, denn nicht nur einmal habe ich die erbärmliche Hütte, in der wir hausten, aus Versehen in Brand gesteckt. Kein Wunder, denn sie bestand beinahe gänzlich aus Blätterwerk, welches mit reichlich Lehm in Form gehalten wurde. Sie bestand nur aus einem einzigen Raum, der mit seiner integrierten Feuerstelle sowohl Küche, Aufenthaltsraum als auch Schlafzimmer darstellte. Die Toilette hingegen bestand aus einem einfachen Loch im Wald, das ständig seine Stelle wechselte und nach Verrichtung der Not einfach wieder zugeschüttet wurde, nachdem man es erst kurz zuvor mit drückender Blase gegraben hatte.

Aber vor allem lernte ich, dass Menschenblut bei weitem besser schmeckt, als Ratten oder anderes Getier. Es bleibt länger warm. Für gewöhnlich trank ich zwei bis dreimal in einer Nacht, meist zu Beginn eine Jungfrau, was in Anbetracht der Tatsache, dass halb Gomorra nur aus Huren zu bestehen schien, recht schwer zu beschaffen war, später zu vorangegangener Stunde bevorzugte ich einen blond gelockten Jüngling, ehe ich das Menü mit einem Kleinkind ausklingen ließ. Und in der damaligen Zeit, in der man alle paar Schritte auf Mord und Betrug stieß, war es ein Leichtes für mich zu jagen.
 

<Doch Mireya, denke daran“, beschwor mich der Greis, den ich mir angewöhnt hatte Vater zu nennen, immer wieder. <Denke daran, dass du niemals einen Unschuldigen töten darfst. Niemals darfst du reines Blut vergießen, setze deine Macht mit Bedacht ein und lasse auch die Schlechten unter keinen Umständen leiden. Du kamst zwar als der Tod nach Gomorra, doch öffne den Menschen deine Arme in Güte und Wärme.>
 

Oh, ich habe Vater geliebt für seine Weisheit und seine nie enden wollene Gnade und Zuversicht. Ich tat mein bestes ihm eine gute Tochter zu sein und ihm sein noch verbleibendes Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Denn obwohl er nur so vor Vitalität sprühte und mir in vielen Dingen noch weit voraus war, so begann doch dennoch mit den Jahren der Zahn der Zeit an ihm zu nagen.

Mit Argwohn beobachtet ich die sich häufenden Schwächeanfälle, das kaum merkliche Zittern der Hände und das immer öftere Ausbleiben der Magie. Doch selbst in diesem erbärmlichen Zustand war er noch immer in der Lage mir dabei zu helfen meine Fähigkeiten zu vervollkommnen.

In seiner Lehre verzieh er keine Schwäche und bei nur dem kleinsten Fehler musste ich solange üben, bis ich diesen neuen Zweig der Magie bis zur Perfektion beherrschte. Ich weiß bis heute nicht, wieso er einem Monster wie mir auch noch dazu verhalf meine Kräfte annähernd zu verzehnfachen, doch er tat es ohne auch nur ein einziges Mal nach meiner Herkunft zu fragen, und so unterließ ich es tunlichst die Sprache darauf zu wenden.

Schon allein nach gerade einmal fünf Jahren hatte ich nicht nur die Fähigkeit meine Materie beliebig zu verändern (plötzliches Verschwinden, sowie unangekündigte Verdopplungen wurden mit der Zeit einige meiner Lieblingsfreizeitbeschäftigungen) und das Beherrschen der Kommunikation erworben (wozu nicht nur sämtliche Sprachen der Welt und die der Tiere gehört, sondern auch das Sprechen von Geist zu Geist und die Manipulation der Handlung anderer durch bloße Gedanken), sondern auch das Beherrschen der vier Grundelemente.
 

Doch so sehr ich auch übte meinen eigenen Geist vor Fremdeinflüssen zu verschließen, tagsüber wurde ich nach wie vor von unheilvollen Träumen heimgesucht. Fast immer zeigten sie mir vom Leid gebeutelte Menschen, Wesen, die der Tod sich nach meist geringem Widerstand dennoch einverleibte. Ich erzählte Vater davon, verschwieg allerdings wohlwissend die immerwiederkehrende Vision vom Mord an ihm selbst. Vielleicht, dachte ich oft, hätte ich es damals tun sollen. Vielleicht hätte ich ihm davon berichten müssen.

<Mireya, meine Kleine>, begann er jedes Mal, wenn ich wieder einmal zitternd den Deckel meines Sarges aufgestoßen hatte, nicht etwa weil ich mich fürchtete, sondern weil bei jeder neuen Vision sich eine immense Kälte in mir ausbreitete, und das obwohl ich ausgenommen von Feuer keinerlei Temperaturunterschiede fühlen kann. <Vielleicht bist du von den Göttern dazu ausersehen worden, diese Dinge zu sehen. Sie zu verhindern. Schon als ich dich zum ersten Mal traf, wusste ich, dass du zu etwas größerem bestimmt bist. Die Götter selbst haben dich auf diese Welt geschickt um ihren Kreaturen beizustehen und sie zu führen.>

Wie Recht er in gewisser Weise damals doch hatte, und wie weit er ebenso daneben lag. Lange Zeit betrachtete ich ihn, wohl wissend, dass er ebenso wenig wie ich an den heutigen Gott der Christen glaubte, sondern eine Vielzahl an Naturgeistern verehrte. Behutsam versuchte ich ihm jedoch meine eigenen Ansichten bezüglich einer höheren Macht klar zu machen: <Vater, es gibt keine Götter. Es gibt nur jemanden selbst, der für sein eigenes Schicksal verantwortlich ist.>

<Wenn dem so ist... hätte ich dich dann damals vor sechs Jahren diesem Schicksal

überlassen sollen, auf dass du jämmerlich von der Sonne verbrannt worden

wärst?>

<Es waren fünf Jahre, Vater...>

Bald schon hatte ich erkannt, dass Zukunftsträume das einzige Thema war, das Vater Unbehagen bereitete, und so hielt ich mich fern davon, es noch ein weiteres Mal anzusprechen. Denn abgesehen von diesen wenigen Aussetzern verlief unser Zusammenleben weitestgehend harmonisch. Bis zu jenem schicksalhaften Tag...“
 

„Ich befand mich nun schon seit annähernd sieben Jahren auf der Erde, doch für ein Wesen wie mich, das unsterblich ist, bedeutet diese Spanne nichts. Ganz im Gegensatz dazu Vater, der schon seit Monaten an einem Augenleiden litt, das bis vor wenigen Tagen zu seiner völligen Erblindung geführt hatte. Wie immer streifte ich durch die unbefestigten Straßen Gomorras, ehe ich mein neuestes Opfer ausgemacht hatte: Einen Dieb, der nur darauf wartete einer scheinbar schwachen Frau die Kehle durch zu schneiden und sie auszurauben. Ich beobachtete ihn, wie er mich beobachtete, und wie immer durchflutete mich die altbekannte Erregung, die ich immer kurz vor dem Speisen empfand.

Mit den Jahren hatte ich gelernt mit meinen Opfern zu spielen und auch dieses Mal konnte ich es mir nicht verkneifen ein wenig Schindluder mit der armen Seele zu treiben, die leider das Pech hatte mich in dieser Nacht überfallen zu wollen. Ich war dermaßen in mein Tun versunken, dass ich die Frau übersah, die sich in einem Hauseingang verborgen hielt und auf die bestmöglichste Gelegenheit wartete ihrerseits einem armen Taugenichts um sein Vermögen und wahrscheinlich auch um sein Leben zu bringen.

Nichts ahnend versenkte ich deswegen meine scharfen Reißzähne in den zuvor nicht unbedingt gepflegten, aber dennoch äußerst delikaten Hals meines Gegenübers. Er schrie kurz auf und machte einen kläglichen Versuch sich zu wehren, doch es war bereits geschehen. Kraftlos fiel er auf die ungepflasterte Straße und rührte sich nicht mehr.

Der Frau hingegen entfuhr ein markerschütternder Schrei und so schnell sie ihre kurzen Stummelbeine tragen konnten, rannte sie nach Hause. Ich wusste wer sie war. Es war die Frau des Schmieds. Entgegen besseren Wissens widerstand ich der Versuchung ihr hinterher zu eilen und ihr das Genick zu brechen, denn trotz alledem war sie noch immer eine Unschuldige und diesen Wesen füge ich soweit es sich vermeiden lässt kein Leid zu. So wanderte ich unverändert durch die Schönheit der Nacht und erfreute mich an ihrem Antlitz und den Geräuschen. Erst in den frühen Morgenstunden kehrte ich zu unserer Hütte zurück.

Ich war gesättigt und zufrieden, und so waren meine Wangen rosig und der normalerweise leichenkalte Körper strahlte eine angenehme Wärme aus. Mit beschwingten Schritten durchquerte ich die Nacht, doch plötzlich hielt ich inne. Die Luft hatte sich kaum merklich verändert. Ohne, dass ich näher darauf achtete, begann ich zu rennen, bis der Boden unter meinen Füßen verschwand. Keines der verbliebenen Tiere auf den Weiden bemerkte mich, denn meine Bewegungen waren zu schnell für ihre Sinneszellen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und meine Lippen bebten.

Mein Weg führte mich von der freien Ebene in einen tiefen Wald, der an unser Haus angrenzte. Bis aufs äußerste konzentriert schlängelte ich mich an den massiven Baumstämmen vorbei, wohl wissend, dass es sich nur noch um wenige Augenblicke handeln konnte, ehe ich den Wald hinter mir lassen würde und ich mein Ziel erreicht hätte. Doch noch bevor das letzte Blätterwerk aus meinem Blickfeld verschwand, stockte ich in meiner Bewegung. Ein eigentümliches Geräusch verbunden mit dem unverwechselbaren Geruch von Fackeln und Blut hatte meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Eine Zeit lang verharrte ich regungslos zwischen den Stämmen einiger Ebereschen, ehe ich die Augen schloss, langsam mit der Umgebung verschmolz und gänzlich unsichtbar wurde.

Langsam wanderte ich nun über den Waldrand hinaus auf unsere Hütte zu, wobei der Geruch und die Geräusche, all solche unverwechselbaren Kennzeichen der Gewalt, immer intensiver wurden. Und endlich sah ich sie. Es waren Männer aus Gomorra, die mit Pechfackeln, Rechen und Mistgabeln aussahen, als würden sie in eine Schlacht ziehen. Mit grimmigen Gesichtszügen scharten sie sich um unsere Hütte und erst jetzt fiel mir der gebrechliche Mann in ihrer Mitte auf, der mit blutender Lippe vor einem besonders gefährlich aussehenden Hünen kniete. Sein rechter Arm war nach hinten gebogen, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte, wohingegen sein linkes Bein in einem beinahe unnatürlichen Winkel abgespreizt war. Es war gebrochen.

Mit mir unerklärlicher Ruhe betrachtete ich diese groteske Szene, ließ den Blick über jeden von ihnen schweifen und kennzeichnete sie mit den Augen um niemandes Gesicht von ihnen zu vergessen. Ich würde sie bezahlen lassen, für das, was sie Vater angetan hatten.

Die Minuten verstrichen wie Stunden und mit jeder weiteren Stunde wurden die Dorfleute ungehaltener. Wie hungrige Wölfe streiften sie umher, umrundeten ihr Opfer und warfen alle paar Augenblicke einen hektischen Blick über die Schulter als fürchteten sie einen Überfall.
 

Mit langsamen Schritten näherte ich mich der Szenerie, bis ich direkt vor Vater stand. Da ich meine Materie aufgelöst hatte, konnte man mich weder sehen, noch fühlen, und nicht nur einmal ist einer der Bewohner von Gomorra geradewegs durch mich hindurch gelaufen. Doch ich bin sicher, dass Vater den kalten Luftzug um sich herum gespürt hat, als ich ihm eine Hand auf die Schulter legte. <Vater>, rief ich ihn in Gedanken. <Vater, ich bin hier. Fürchte dich nicht länger.> Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht und trotz Schmerzen versuchte er, sich halbwegs gerade hinzusetzen.

<Mireya, mein Kind. Sorge dich nicht um mich. Ich bin ein alter Mann. Es ist gut so wie es ist.>

<Sei doch kein Narr! Ich kann dich innerhalb weniger Augenblicke hier herausholen. Immerhin ist es meine Schuld. Ich hätte mich nicht beobachten lassen dürfen.>

<Und was ist, wenn du mich befreist? Willst du ganz Gomorra auslöschen? Und Sodom noch dazu? Nein, es ist gut so, wie es ist. Die Götter wünschen es so.>

Mit Mühe biss ich mir auf die Lippen um nicht wieder einen Streit über die Existenz einer höheren Macht vom Zaune abzubrechen. So hielt ich mich still und schwieg.

<Mireya? Bist du noch da, mein Kind?>

Sanft drückte ich seine Hand. <Natürlich, Vater.> Augenblicklich entspannte er sich wieder.

<Du musst mir eine letzte Ehre erweisen. Du warst mir immer eine gute Tochter. Ich liebe dich wie eine eigene. Also, bitte zeige, dass auch ich dir etwas bedeute. Trage es diesen Menschen nicht nach. Sie fürchten sich, und so ist der Lauf der Welt. Die Schmiedsfrau sah dich und berichtete es ihrem Mann. Hätte sie dich nicht gesehen, wäre es morgen Nacht vielleicht die Frau vom Bäcker gewesen.>

Das Reden strengte ihn an. Ihn fühlte es an seinem veränderten Rhythmus des Herzens. Zudem machte mich das hervorgequollene Blut fast wahnsinnig, obgleich ich erst vor kurzen gegessen hatte. Ich wusste worauf Vater hinauswollte, doch wehrte ich mich nach Leibeskräften danach, seinem Wunsch nachzugeben. Ich würde ihn nicht töten. Er war alles, was ich auf dieser Welt besaß.

<Tu es. Zwing mich nicht dazu im Zorn aus dieser Welt zu scheiden!>

Lange blickte ich ihn an. Noch einmal ließ ich unsere miteinander verbrachten Jahre Revue passieren und erinnerte mich an jeden einzelnen Augenblick. Dann schloss ich langsam die Augen.

<Lebe wohl, Vater. Grüß deine Götter von mir.>
 

Ich konnte nicht hinsehen, als ich mit einem Fingerschnippen sein sowieso schon altersschwaches Herz für immer zum Stillstand brachte. Mein geliebter Mentor war tot, noch ehe er auf dem Boden aufschlug.“
 


 

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Wie versprochen ist dieser Teil der Geschichte wieder ein wenig länger^^ Und endlich zeigen sich die Fähigkeiten der Frau ein wenig mehr, auch wenn die ein oder andere vielleicht nicht gerade begehrenswert ist (ich für meinen Teil würde es zum Beispiel nicht wollen, ständig das Schicksal von irgendwelchen Leuten sehen zu müssen xD)
 

Also dann, wir lesen uns (wenn ihr wollt ^^°)
 

P.S: Kommentare sind wie immer geschätzt und geliebt, ich freue mich über jeden noch so kurzen^^ Und ein kleines Feedback nimmt bei weitem nicht so viel Zeit in Anspruch wie ich für dieses Kapitel investiert habe^^

Titel: Death on Vacation

Kapitel: 5/8

Genre: zu viel...

Autor : kei_no_chi

Email: kei_no_chi@hotmail.de

Disclaimer: Nun, diesmal gehört zur Abwechslung wirklich alles mir, bis auf eine einzige Person, die gehört glücklicherweise sich selbst und ich habe auch keinerlei Rechte an ihr^^

Anmerkung: Nun, mal wieder einmal eine neue Fanfiction von mir, auch wenn sie doch sehr von den anderen differiert. Sie ist das Weihnachtsgeschenk für eine Freundin von mir, an dem ich recht lange dran gearbeitet habe (nicht zuletzt in einigen Nachtschichten xD) Das ist auch der Grund, weswegen ich meine bisher noch nicht abgeschlossene letzte Fanfic "Schlimmer geht's immer" im Moment noch nicht vervollständigen konnte. Aber ich gelobe Besserung und werde hart an mir arbeiten auch sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen^^ Ich hoffe aber, dass euch fürs erste diese hier zumindest etwas zusagt^^
 

#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+
 

Entgegen ihrer traurigen Worte offenbarte sich keinerlei Gefühlsregung im Gesicht der Frau, abgesehen von einem winzigen, zuckenden Nerv links oberhalb ihres rechten Auges. Die Atmung des jungen Mannes hingegen ging stakkatoartig.
 

„Er.. starb?“
 

„Natürlich! Niemand lebt ewiglich. Nun, abgesehen von mir vielleicht.“
 

Ein glockenhelles, jedoch reichlich freudloses Lachen ertönte. Und mit einem Schlag erkannte der junge Mann, dass die Unsterblichkeit vielleicht sogar mehr Leid mit sich bringen könnte als der Tod.
 

„Wie du dir sicherlich vorstellen kannst, brach heilloses Chaos unter den Männern aus und so schnell sie ihre Beine tragen konnten, stoben sie in alle Himmelsrichtungen davon. Doch ich war rasend vor Zorn. Ohne weiter darüber nachzudenken hastete ich den Männern hinterher, die solch großes Leid über mich gebracht hatten. Ich denke, du kennst die Geschichte über die Vernichtung von Sodom und Gomorra?“
 

„Ich.... ich wusste nicht, dass die Menschen durch einen Vampir ums Leben kamen... Die Kirche erzählt von einem Feuer, welches vom Himmel kam und die Städte auslöschte, die Menschen verkohlte...“
 

„Und wieder einmal erzählt die Kirche nur die halbe Wahrheit. Das Feuer, welches die Menschen aus Nachbarstädten gesehen haben wollen, war nichts weiter als ein feuerroter Energieball, der von weit her wegen seiner hohen Geschwindigkeit aussah wie ein Schwarm von Kometen. Natürlich, ich hatte mich bisher noch nie an Unschuldigen vergriffen, doch in meinen Augen waren diese Menschen nichts weiter als Betrüger und Mörder. In meinem Zorn verwandelte ich mich wieder zurück in meine eigentliche Gestalt und ruhte erst, als der Morgen anbrach und ich mich in meinen weichen Mahagonisarg zurückziehen musste. Ich glaube nicht, dass einer von den Dorfbewohnern meinen Rachefeldzug überlebt hat.

Als sich die Nacht wieder über diesen Unglücksort legte, nahm ich aus Respekt vor diesem alten Mann die Gestalt eines Greises an, verbrannte seine Leiche wie es damals Sitte war und verstreute seine Asche im Wind, damit seine Seele Ruhe finden konnte. Erst dann verließ ich Gomorra ohne mich noch einmal umzublicken. Ich denke, so ist auch die Geschichte über Lot und die Salzsäule in die Bibel gekommen.

Ich war wie das Waisenkind, das lernt neu zu leben. Völlig auf mich allein gestellt und ohne, dass ich noch irgendjemandem Rechenschaft abgeben musste, wandelte ich durch die Zeiten. Ich bereiste die Kontinente, sah Königreiche aufsteigen und fallen und ergötzte mich an der Weltmacht Roms. Lass mich dir dazu eines sagen: Das Schönheitsideal von Kleopatra, das wir seit Liz Taylor kennen, existiert nicht! In Wahrheit war sie magersüchtig und hatte eine riesige, krumme Hakennase. Cäsar verliebte sich nur aus dem einen Grund in sie, weil sie mächtig und reich war. Doch dieses törichte Weib schenkte ihm aufrichtig ihr Herz. Ich denke nicht, dass ich noch groß erwähnen muss, dass ich selbst an den Iden des März meine Hand im Spiel hatte. Kleopatra war mir eine liebe Freundin geworden, denn in meiner jetzigen Gestalt – einer Katze – wurde ich in Ägypten als Göttin verehrt. Von den zahlreichen Mäusen und Vögeln, welche mir die Menschen als Opfer brachten, konnte ich manchmal nächtelang speisen. Von Menschen ernährte ich mich in dieser Zeit nicht. Ich war bedrückt als Kleopatra den Freitod durch eine Kobra wählte, doch mit den Jahrhunderten, in denen ich nun schon auf Erden wandelte, hatte ich erkannt, dass man sich in das Leben und Sterben der Menschen nicht einmischen darf.
 

Meine Visionen häuften sich nun und es dauerte ehe ich erkannte, dass es unter Umständen meine Bestimmung war, nach ihren Vorgaben zu handeln. Wie damals, als Vater starb, hatte ich auch lange vorher davon geträumt, dass er starb und ihn im Endeffekt doch selbst getötet. So kam ich also auf gewisse Weise doch unwissentlich der Bestimmung nach, die Jehova mir zugedacht hatte.

Mit den Jahrhunderten lernte ich auch immer mehr über meine Schöpfer. Für einen Sterblichen wie dich, ist das wohl nicht zu begreifen, aber ohne, dass man mir davon erzählte, kannte ich langsam die ganze Geschichte, als hätte ich sie selbst erlebt. Das ein oder andere Mal traf ich sogar auf einen der Großen, doch sind diese Begegnungen zu unbedeutend um dir davon zu erzählen. Sie dauerten selten länger als wenige Wimpernschläge.
 

Im Winter des Jahres 1670 erreichte ich Frankreich. Als <Marquise Colette de la Rochelle> ließ ich mich in einem Vorort von Paris nieder, wobei das Präfix <Marquise> mir als Repräsentantin eines – zwar nicht vorhandenen, aber dennoch einflussreichen, alteingesessenen – Adelsgeschlechts mir gewisse Annehmlichkeiten gestattete. So verfügte ich binnen kürzester Zeit über eine ganze Legion an Dienstboten und erwarb ein recht hübsches Anwesen auf den Lande.

Sicher wirst du dich fragen, wie ich mir all diesen Luxus leisten konnte, wo ich doch bei meiner Seele in Wahrheit aus keinem Adelstitel stamme und auch in naher Zukunft nicht den leisesten Wunsch danach hegte zu arbeiten. Aber lass es mich so formulieren: Es hat schon seine Vorteile, wenn man jede beliebige Materie in etwas komplett anderes verwandeln kann, wie zum Beispiel den Stickstoff der Luft in pures Gold. Wie gesagt, äußerst nützlich um sich ein angenehmes Leben zu finanzieren.

Wie dir sicherlich aufgefallen ist, habe ich in den vergangenen Jahrhunderten des öfteren meine äußere Erscheinung verändert, doch lass mich dir sagen, dass dies ein äußerst schmerzhafter Prozess ist – um genau zu sein jener, den ich dir beim ersten Mal beschrieben habe – deswegen hat sich seit mehr als dreihundert Jahren nichts mehr an meinem Äußeren getan. Im Augenblick ist dieses Antlitz, welches du vor dir siehst, die langen blonden Haare und blauen Augen, eben jene, die ich auch damals aufzuweisen wusste, allerdings wurde meine Haarpracht damals nach Pariser Mode frisiert.

Doch es bieten sich nicht nur Vorteile, wenn man als Adelige durch die Welt streift. Natürlich liebte ich den Luxus und die ehrwürdigen Blicke, mit denen mich die einfachen Bauern bedachten, doch genauso hasste ich es in der Öffentlichkeit zu stehen. Nicht nur einmal wurde ich zu Feierlichkeiten des Königs eingeladen, die ich <schweren Herzens aufgrund einer äußerst lästigen Tropenkrankheit> ausschlagen musste. Denn selbstverständlich blieb es nicht verborgen, dass ich es pflegte bei Nacht meinen Geschäften nachzugehen. Ganz zweifelsohne um meine von Krankheit geschwächten Augen vor dem Sonnenlicht zu schützen. Auch Kerzen verbot ich in meiner Gegenwart, nicht weil ich Licht verabscheue – ganz im Gegenteil, ich liebe es – sondern da ich sonst Gefahr liefe meine phosphorisierend schimmernde Haut und die silbrigen Fingernägel zu offenbaren. Ein weiterer Grund weswegen ich mir lichtundurchlässige Kleidung und Handschuhe anfertigen ließ.

Aber das eigentliche Problem am Adelsdasein war, dass gewöhnliche Bauern an meine Pforten klopften und um Alimente baten. Der Winter sei dieses Jahr besonders hart gewesen, hieß es. <Mein Mann ist an der Pest gestorben, Herrin>, klagte ein schon etwas ergrautes Weib. <Wie soll ich denn nun nur meine fünf Kinder ernähren?> Mich wiederum kümmerten die Sorgen des einfachen Volkes wenig. ICH hatte niemals Hunger zu leiden. Nacht für Nacht konnte ich an einer reich gedeckten Tafel speisen.

Doch ist es natürlich nicht so, dass ich diese bettelnden und zu Tode erschöpften Menschen einfach so ohne jegliche Spur von Mitleid von meiner Schwelle verstieß. Nun gut, zugegeben ich hatte tatsächlich kein Mitgefühl mit ihnen, aber in meinen Visionen sah ich einige von ihnen, die für die Entwicklung der Welt von Wichtigkeit waren. Immerhin habe ich an einem besonders kalten Wintermorgen den Vorfahren der Jungfrau von Orleans ihr klägliches Leben gerettet. Auch wenn besagte Jungfrau schon mit vierzehn Jahren nicht mehr ganz so jungfräulich war, wie sie gerne vorgab zu sein.

Innerhalb der nächsten zwanzig Jahre klopften regelmäßig diese erbärmlichen Bauern an meine Tore, auf dass ich ihnen helfe. Alle, bis auf eine Familie. Einer meiner Diener, ein slowakischer Bursche namens Dimitrij, machte mich auf diese Menschen aufmerksam, die weiter entfernt von meinem Gut ihr hartes Leben fristeten. Als fromme Christen bestellten die gebrechlich aussehenden Alten gemeinsam mit ihren sechs Kindern ihr winziges Stück Land, ohne auch nur jemals von jemand anderem als Gott Hilfe zu erwarten. Und als wenn <Gott> ihnen jemals geholfen hätte. Jehova hätte es sogar mit Freuden begrüßt, wenn einer nach dem anderen von ihnen das Zeitliche gesegnet hätte. Aber ich schweife ab.

Mit den Jahren begann mich diese Familie mehr und mehr zu faszinieren und bald kannte ich sie besser als sie sich selbst. Als ihre älteste Tochter Damia heiratete – irgendeinen daher gelaufenen Burschen aus der Auvergne – freute ich mich derartig für sie, dass ich Dimitrij spontan eine Gehaltserhöhung zudachte. Ich freute mich für sie, wenn es ihnen gut ging und genauso litt ich, wenn sie Schicksalsschläge einzustecken hatten. Ich bewunderte sie für ihre nie enden wollende Courage, ihre Unbeirrtheit und die Unabhängigkeit. Aber am meisten faszinierte mich ihr starker Wille sich von nichts und niemandem unterkriegen zu lassen.
 

Die Pest brach aus und raffte den Großteil der Bevölkerung hin, zuzüglich drei der sechs Kinder meiner Lieblingsfranzosen plus der Mutter. Aber ich habe sie niemals wehklagen gehört. Es schien, als hätten sie sich vollends mit ihrem schrecklichen Schicksal abgefunden Nur wenn sie schliefen habe ich das ein oder andere Mal eine verräterische Träne in ihren Augenwinkeln gesehen.

Nacht für Nacht schlich ich mich nun auf ihre Felder hinaus, beobachtete sie, wie sie in ihren Betten schliefen und half ihnen mit einem Fingerzeig ihr Feld zu bestellen, indem ich den Pflug von selbst durch ihre Äcker wandern ließ. Ich wusste nicht, wieso ich gerade dieser Familie half, wo doch hunderte andere schon beim Hungertod auf der Schippe standen, doch es war, als kämen sie mir von irgendwoher bekannt vor. Tief in meinem Herzen verspürte ich eine starke Verbundenheit, vor allem zu ihrem jüngsten Sohn. Wirklich beunruhigen tat es mich nicht, denn in den siebzehnhundert Jahren, in denen ich nun schon auf der Erde wandelte, habe ich sicherlich eine ganze Reihe an Menschen kennen gelernt. Irgendeiner von ihnen sah der Familie wohl ähnlich.

Was mich allerdings alarmierte war, dass ich von dem jüngsten Sprössling der Familie Rigot, Kain, einfach nicht die Augen lassen konnte. Stundenlang saß ich auf dem spartanischen Holzschemel in seinem winzigen Zimmer und betrachtete, wie sich seine Brust im regelmäßigen Rhythmus der Atmung hob und senkte.

Als jüngster und schwächster von ihnen musste es eine Qual sein, tagein tagaus auf dem Felde zu arbeiten – eine Knochenarbeit verglichen zu heute, wo Maschinen beinahe die komplette Arbeit erledigen – denn sein ohnehin schon sehr zierlicher Körper sah dadurch noch abgemagerter aus, als er ohnehin schon war. Das schwarze Haar war nach Sitte eines französischen Gentil-Homme im Nacken mit einem weißen Band zusammengefasst, doch beinahe immer hatten sich Lehmklumpen in einzelnen Strähnen verfangen. Auch seine löchrige, abgetragene Kleidung stand nur so vor Schmutz. Für mich wiederum machten ihn diese Umstände allerdings nur noch schöner. Seine Haut war von der erbarmungslosen Sonne braun gebrannt, während die meine auch ohne des vorgeschriebenen weißen Adelspuders eine Farbe von Mehl aufweisen konnte.

Ich sah ihn und seine Familie heranwachsen. Wachte voller Furcht unsichtbar an seinem Krankenbett als ihn ein schwerer Husten heimsuchte. Als er vierzehn wurde verstarb auch der Vater, sodass Kain mit seinen zwei älteren Schwestern nun ganz auf sich allein gestellt war. Von Zeit zu Zeit versteckte ich demnach regelmäßig ein wenig Gold auf ihrem Feld, sodass sie sich zumindest ernähren konnten. Sicherlich wunderten sie sich über ihren geheimnisvollen Gönner, doch falls dem wirklich so war, so ließen sie es sich zumindest nicht anmerken.

Doch ein weiterer Umstand hielt mich in jener Zeit wach. Einmal erwachte ich, ohne dass ich mir erklären konnte, woran es liegen könnte, denn der Atmosphäre der Luft nach zu schließen, war die Sonne noch nicht untergegangen. Voller Furcht verharrte ich in meinem Sarg, der sich im Keller meines Anwesens verbarg, und traute mich nicht den Deckel zu heben. Ich verstand es nicht. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, weswegen mein Instinkt mich trügen sollte. Bisher war ich noch immer zur rechten Zeit – und das war stets nach Sonnenuntergang – aufgewacht.

Doch seit dieser Nacht erwachte ich nun immer zu früh und voller Angst verharrte ich in der Dunkelheit, ehe die Sonne ganz untergegangen war. Erst nach annähernd drei Jahren traute ich mich, den Deckel zurückzustoßen. Mit pochendem Herzen trat ich zurück in die Abenddämmerung und sah zum ersten Mal seit meiner Entstehung die Sonne, wie sie golden hinter einem Hügel verschwand.

Es war der schönste Anblick meines Lebens, denn mit meinen übernatürlichen Augen war ich in der Lage jede einzelne Farbnuance genauestens zu erkennen. Einen Moment lang fürchtete ich zu verbrennen oder zumindest geblendet zu werden, wie es eigentlich der Fall gewesen sein müsste, doch es passierte nichts. Anscheinend waren meine Kräfte dermaßen angewachsen, dass ich bis zu einem gewissen Maße der Sonne trotzen konnte. Vielleicht, so dachte ich, werde ich eines Tages sogar in der Mittagszeit umher wandern können. Doch fürs erste würde ich mich noch mit den wenigen Minuten vor Sonnenuntergang begnügen müssen.
 

Also rannte ich eines Abends voller Vorfreude zur Hütte der Rigots. Dieses Mal allerdings wollte ich mich nicht unsichtbar anschleichen – zumal das Verfügen über übernatürliche Kräfte bei Tageslicht um ein Vielfaches schwerer ist, als bei Nacht – sondern ein einziges Mal Kain von Angesicht zu Angesicht gegenüber treten.

Es war der Sommer 1704. Zur Tarnung hatte ich mir ein zerschlissenes Kleid aus Sackleinen meiner Köchin Madeleine angezogen, mir im Feld ein wenig Lehm ins Gesicht und auf die Hände geschmiert – nicht zuletzt um die Blässe und die auch bei Tageslicht leuchtenden Nägel zu verbergen – und machte mich auf den Weg.

Es fiel mir schwer im gleißenden Gold-Rot der Abendsonne auf den unebenen Weg zu achten, denn noch immer hatten sich meine empfindlichen Augen nicht ganz an das neue Licht gewöhnt. Die Rigots waren noch auf dem Feld und versuchten mit Bitten und Betteln ihren altersschwachen Ochsen dazu zu bewegen den Pflug bis zum Ende des Ackers zu ziehen. Bei Licht sahen die drei Geschwister noch hübscher aus als in der Nacht, denn nun schimmerte das rote Haar der Mädchen kupfern in der Sonne. Kain war von jeher der einzige mit schwarzen Haaren in der Familie gewesen.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend verbarg ich mich in einer Mulde nahe dem Feld und schickte dem Ochsen eine stumme Botschaft. Meinem Ruf folgend bewegte sich nun das Tier und lief lammfromm in seinen Stall zurück, als hätte es nie etwas anderes im Sinne gehabt.

Erschöpft vom Tage machten sich letztendlich auch die Geschwister auf den Weg, doch kurz bevor sie das Haus erreichten, wandte Kain sich noch einmal um. Schnell duckte ich mich tiefer in die Erde und betete, dass er mich nicht gesehen haben möge. Lange starrte der nun mittlerweile achtzehnjährige Bursche auf jenen Fleck, an dem noch vor kurzem mein Kopf gewesen war, dann schüttelte er langsam den seinen und folgte seinen Schwestern ins Haus.
 

Auch in der folgenden Woche versteckte ich mich Abend für Abend im Feld und beobachtete voll Freuden jede Bewegung der Geschwister. Und wenn wieder einmal einer von ihnen vor Erschöpfung zusammen zu brechen drohte, half ich demjenigen mit einer raschen Handbewegung wieder auf die Beine. Ich wusste, dass es gegen die Regeln des Universums ging sich in das Leben der Sterblichen einzumischen, aber verstieß ich nicht schon seit Hunderten von Jahren gegen dieses Gesetz, indem ich je nach meinen Visionen entweder Leben rettete oder teilweise sogar ganze Familien auslöschte?

Gerade noch rechtzeitig stieß ich Gwendolyn, die jüngere der zwei Schwestern, mit einem Fingerschnipsen zur Seite, denn ansonsten wäre sie von einem morschen, herunterfallenden Balken im Schuppen erschlagen worden. Nun wollte ich ihr helfen sich wieder aufzurichten, als –

<Aha, da hab ich dich ja!> Eine mir nur allzu gut bekannte Stimme ertönte plötzlich hinter mir, während starke Arme nach meinem Handgelenk griffen und es mir auf den Rücken bogen. Ich war so perplex, dass ich in der ersten Sekunde nicht reagieren konnte. So starrte ich meinen Angreifer einfach nur an und sagte nichts. Wenn ich gewollt hätte, so hätte ich ihn mit einem Augenblinzeln zurückstoßen oder in Flammen aufgehen lassen können, doch erstens hätte ich mich dann als Hexe schuldig gemacht – was im Zeitalter der Hexenverbrennungen nicht unbedingt von Vorteil wäre – und zweitens wäre es das letzte gewesen, was ich gewollt hätte.

<Los, sprich!>, dröhnte die Stimme neben meinem Ohr wieder und verdrehte den Arm noch ein bisschen weiter. <Was hast du hier zu suchen? Bist du eine räudige Diebin, die uns sogar noch den letzten Laib Brot stehlen will?> Anstatt zu antworten entfuhr mir ein amüsiertes Lachen. <Euch? Etwas stehlen? Was sollte man Euch denn stehlen, mein Herr? Die Luft aus Eurer Speisekammer? Die Mäuse, die Euch sogar noch des Restes Eures wenigen Kornes berauben? Wo nichts ist, kann man auch nichts stehlen, Herr.>

Wieso ich Kain Rigot damals eigentlich <Herr> nannte und ihn dermaßen ehrerbietig ansprach, weiß ich bis heute nicht. Es muss wohl eine Spontanentscheidung gewesen sein, auch wenn sie sein Misstrauen nicht gerade milderte. Sofort wurde sein Griff noch fester.

<Lüg mich nicht an! Wie heißt du? In wessen Diensten stehst du?>

Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet gewesen. Schnell senkte ich den Blick, denn ich fürchtete, meine phosphorisierenden Augen könnten meine Abartigkeit verraten. Erst nach Sekunden des Schweigens antwortete ich langsam und mit wohlüberlegten Worten.

<Mein Name ist... Nicole. Ich bin... Dienstmädchen im Hause der Marquise.>

Name und Herkunft verfehlten ihre Wirkung nicht, denn schon vor Wochen hatte ich eine gewisse Furcht gegenüber meiner Person als Marquise unter den Bauern gespürt. Sie fürchteten mich, weil ich nur nach Abenddämmerung das Haus verließ, meine Stimme wenn ich nicht aufpasste Glas zum bersten brachte und ich in den fünfunddreißig Jahren, in denen ich nun schon in Paris wohnte, nicht um einen Tag gealtert zu sein schien. Mit jemandem wie mir wollte sich niemand anlegen, und wenn man Dienstmädchen unter meinem Namen angriff, bedeutete das ebenso eine Beleidigung, wie wenn man es persönlich getan hätte.

<Nun, was macht denn dann das Dienstmädchen der Marquise auf meinem Grundstück? Ich sollte dich zurückbringen, mal sehen was deine Herrin dann dazu sagen wird.>

Er wollte mich einschüchtern. Austesten, in wie weit er mich beeinflussen könnte und nachforschen, ob ich tatsächlich Dreck am Stecken hatte. <Sie würde sagen, dass Ihr gefälligst wieder zurück an die Arbeit gehen solltet und Eure Steuern noch nicht bezahlt habt.> Als sich seine Augenbrauen zusammen zogen, fügte ich noch schnell ein <Herr> hinzu, denn für einen Moment fürchtete ich anmaßend gewesen zu sein.

<Du besitzt ein recht kesses Mundwerk... Nicole.>, bemerkte er nach einigem Zögern, wobei er meinen Namen mit besonderem Nachdruck und herausfordernder Betonung aussprach. Es war offensichtlich, dass er mir nicht glaubte. Ich glaube er ahnte etwas, denn immerhin wies der Name Nicole eine doch recht starke Verwandtschaft zu Colette auf, doch es war der erste Name, der wir mir eingefallen war. <Wie kommt es, dass ein solch forsches Ding, wie du eines bist, noch immer eine Anstellung findet?>

<Na ja... sagen wir mal so... mir scheint es irgendwie im... Blut... zu liegen.>
 

An den nächsten Abenden sahen wir uns regelmäßig. Ich glaube immer noch nicht, dass Kain mir übermäßig vertraute, aber zumindest empfand er es wohl als ungefährlich sich mit mir zu treffen. Nun ja, so ungefährlich es eben ist, wenn man mit dem Tod hausieren geht. Unsere Freundschaft wurde von Kains Schwestern mit Argwohn beobachtet. Vielleicht weil sie es nicht mochten, dass ich jüngster Bruder mit jemandem wie mir ‚herumhing’, vielleicht weil sie ihn einfach nicht loslassen wollten. Natürlich hätte ich sie derart manipulieren können, dass sie mich mit Freuden in der Familie aufgenommen hätten, doch gerade bei ihnen wollte ich es nicht. Ich empfand es in gewisser Weise als Verrat.

Um der Versuchung Kains vorzubeugen zu meinem Herrenhaus zu kommen und nach einem Dienstmädchen namens Nicole zu fragen – das ja noch nicht einmal existierte – bemühte ich mich immer so gut es ging zuerst zu unseren Treffpunkten zu erscheinen. Nur tagsüber hatte ich die Schwierigkeit ihn abzuwimmeln, da ich ja nicht selbst in Erscheinung treten konnte, also befahl ich meinen Angestellten, allen voran meiner treuen Köchin Madeleine, ihn soweit es ginge mit Ausreden hinzuhalten. Natürlich würde es nicht auf Ewigkeiten gut gehen, aber für eine bestimmte Zeit wollte ich doch noch träumen.

Innerhalb eines Monats begehrte ich Kain mehr denn je. Es war nicht diese alberne Verliebtheit der Menschen – wegen ihrem dummen Geschwätz von Schmetterlingen im Bauch wird mir noch heute schlecht – es war vielmehr so, dass ich ihn mit jeder Faser meines Körper WOLLTE. Aber so etwas wirst du wahrscheinlich nicht verstehen. Nichts gegen die Spezies Mensch, aber...
 

Eine weitere Sache in eurem verquerten Gefühlsleben ist diese Sache mit dem Küssen. Ich verstehe bis heute nicht, was so toll daran sein soll die Zungen aneinander zu reiben. Aber scheinbar steht ich ja auf diesen Mist. Ich weiß noch, wie Kain es das erste Mal bei mir versucht hat und ich ihn vor lauter Schreck beinahe in die Luft gejagt hätte. Ich glaube, das hat er mir nie wirklich verziehen. Ich liebte die Art, wie er sein Feld pflügte, wie er sich den Schweiß aus dem Gesicht wischte und mit seinen Schwestern lachte. Ich liebte es, wie er dabei den Kopf in den Nacken warf und sein dunkles Haar über die Schultern zurückfiel, während sein schallendes Gelächter weit über das Land hinaus wehte.

Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, ehe Kain herausfinden würde, wer ich wirklich war. Oder vielmehr WAS ich war. Selbstverständlich wusste er weder über meine richtige Natur, noch über die genauen Umstände meiner Entstehung bescheid, doch ganz sicher ahnte er etwas. Ich spürte es gleich beim ersten Mal als wir uns erneut trafen, denn statt dieses üblichen, lächerlichen Begrüßungskusses, bekreuzigte er sich. Mit hochgezogener Augenbraue beobachtete ich ihn dabei, doch als er fertig war, sprach ich ihn nicht darauf an. Auch in der folgenden Zeit bemerkte ich leichte Veränderungen an ihm, wie etwa der forsche Blick, die sorgfältig gewählten Worte. Als ich ihn letztendlich doch darauf ansprach, wich er mir aus. <Es ist der Stress, Nicole, mach dir keine Gedanken. Die Ernte war dieses Jahr nicht so gut.>

Eine Zeit lang versuchte ich seine merkwürdigen Allüren zu ignorieren, doch als eines Nachts in der Nähe seiner Hütte ein kleines Feuer ausbrach und er mich unerklärlicherweise dafür verantwortlich machte, reichte es mir und ich stellte ihn zur Rede: <Sag mal, was ist eigentlich dein Problem? Ich habe mit diesem verdammten Feuer nichts zu tun! Ich war noch nicht einmal in der Nähe eures Hauses und du weißt, dass wir uns auch immer erst nach Sonnenuntergang treffen.>

<Das ist ja gerade der Punkt>, wetterte er beinahe augenblicklich. <Immer erst nach Sonnenuntergang, möglichst nicht zu viel Licht, wenn wir uns lieben. Denkst du denn ich habe deine helle Haut nicht bemerkt? Die leuchtenden Nägel, die unnatürlich blauen Augen? Selbst deine Bewegungen sind nicht von dieser Welt, ganz zu schweigen davon, dass um dich herum ständig merkwürdige Dinge passieren. Gib auf, Nicole, endlich habe ich erkannt, was du in Wirklichkeit bist!>

Erschrocken starrte ich ihn an. Dass er all diese Merkmale an mir erkannt hatte, beunruhigte mich. Was wenn dann auch andere.... Doch innerlich zwang ich mich zur Ruhe. Er konnte nicht alles wissen. Das war unmöglich. <So>, sagte ich deswegen mit leiser Stimme, den Blick irgendwo unter seinem Kinn fixiert. <So>, sagte ich noch einmal und spürte wie Kain ungeduldig wurde. <Wenn du denkst, dass du so genau Bescheid über mich weißt, was bin ich denn deiner Meinung nach?>

<Du bist eine Hexe.>

Mit beinahe schon lächerlich kühler Gelassenheit sprach er diese Worte, als hätte er ebenso gut gesagt, es würde in den nächsten Minuten anfangen zu regnen. Oh, was habe ich gelacht. Tränen der Erleichterung rannen über mein Gesicht und ich musste mich schon bald zügeln, sonst hätte mein übernatürliches Gelächter Kains Trommelfell zerrissen. Er aber starrte mich nur verständnislos an.

<Bist du von Sinnen? Weißt du, was es heutzutage bedeuten kann, als Hexe bezeichnet zu werden? Du wirst auf dem Scheiterhaufen landen!> So erregt hatte ich ihn noch nie erlebt, und so ließ ich mich zu einer wahnwitzigen Bemerkung hinreißen: <Nur, wenn du mich nicht verrätst.>
 

Ich glaube im Nachhinein, dass Kain nicht einmal im Traum daran gedacht hatte, mich jemals zu verraten. Wahrscheinlich wollte er einfach nur austesten, ob ich wirklich eine Hexe sei, denn mit einer liiert zu sein, glaubte er, barg nicht nur Nachteile. Ich denke, er war allerdings enttäuscht, als ich verkündete, dass ‚Hexen’ niemals sich und andere bereichern würden, sondern dass ihr einziges Ziel schlichtweg darin bestand, Kranke zu heilen. Es war eine Lüge und wahrscheinlich wusste er das sogar, aber es würde helfen ihn vor den Fragen der Heiligen Inquisition zu bewahren, wenn sie feststellen sollten, dass es auf seinen Hof nicht mit rechten Dingen zuging. Und dabei hatte ich der Familie Rigot schon beinahe zu oft magisch unter die Arme gegriffen.

Doch auf jeden Fall schweißte uns seine Entdeckung über meine unsterbliche Natur noch weiter zusammen. Ich hatte sogar das Gefühl, dass uns nichts mehr trennen könnte. Irgendwann einmal würde ich ihm vielleicht die wahre Geschichte über meine Verbindung zu Jehova und Asmodeus erzählen, nur den Aspekt des Tötens um selber zu überleben, würde ich ihm auf ewig verschweigen.

Ja, das Töten... So langsam wurde es wirklich eine Last. Nicht nur, weil mir die Heilige Inquisition im Nacken saß, auch wurden die Menschen kriminaltechnisch immer gewiefter. Schon längst waren sie in der Lage scheinbar unlösbare Fälle erfolgreich aufzudecken, sodass es mir immer schwerer gemacht wurde im Verborgenen zu agieren. Nach und nach war ich gezwungen das Speisen von Menschen einzustellen und beschränkte mich wieder auf das Jagen von Vögeln und Mäusen, wobei ich allerdings die wahren Beweggründe meines Handelns gekonnt ignorierte.

Ich hatte mit der Zeit ein schlechtes Gewissen bekommen. Nach über hunderttausend Jahren – die siebentausend auf der Erde eingerechnet – , in denen ich Nacht für Nacht ohne die geringste Reue an einer reich gedeckten Tafel gesessen hatte, schaffte es ein einziger Mensch mir diese Sünden ohne Worte vor Augen zu führen.

Mit der Zeit wurde ich schwächer. Da ich auf Blutentzug war, erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich voller Gier meine Bediensteten im Cadeau de la Rochelle beobachtete und wie ich mich danach verzehrte meine Reißzähne in ihre Hälse zu schlagen. Doch sobald es mir auffiel, schämte ich mich.

Manchmal aß ich sogar nächtelang nichts, bis ich nur noch ein Schatten meiner Selbst war. Sogar meine Kräfte hatten abgenommen und es wurde immer schwerer die Gestalt der Marquise Colette de la Rochelle aufrecht zu erhalten und nicht wieder in meine eigentliche Form, die rote Energiekugel, zurückzufallen.

Als Kain mich darauf ansprach, wimmelte ich ihn ab. Ich wollte nicht, dass er herausfand, welche Dinge ich schon getan hatte, oder dass er sich in irgendeiner Weise Sorgen machte. Natürlich konnte es generell nicht lange gut gehen, doch ich hatte keine Ahnung, dass SIE sich einmischen würden.“
 

Die Frau stockte in ihrer Erzählung und starrte voller Wut auf ihre langen, schimmernden Fingernägel, die sich seit ihren letzten Worten nun in einer Faust verborgen hielten. Mit vor Ärger zusammengezogenen Augenbrauen starrte sie nach unten, sodass der junge Mann es nicht wagte zu fragen, wer mit ‚SIE’ gemeint waren.
 

„Ich wusste nicht, dass ich schon seit Wochen beobachtet worden war, dass jede meiner Bewegungen genauestens inspiziert und meine Gefühlswelt kritisch beäugt worden war. Und genauso wenig wusste ich, dass ich die Prüfung nicht bestanden hatte. Am 12.10.1705 sollte ich allerdings die Quittung für das bekommen, was mich nach Meinung der beiden Großen in Ungnade hatte fallen lassen. Schon in der Nacht davor fühlte ich mich eigenartig. Die Atmosphäre des Planeten Erde war kaum merklich drückend geworden und trotz der Dunkelheit um mich herum, fühlte ich mich schläfrig.

Als Gerüchte über eine bevorstehende Hexenverbrennung an mein Ohr drangen, beachtete ich sie nicht weiter, auch wenn ich mir früher unbedingt noch immer die Beschuldigten hatte ansehen wollen, um zu sehen, ob sie dieses Mal wirklich eine echte Hexe gefunden hatten, denn in den meisten Fällen wurde eine unschuldige Sterbliche verbrannt. Auch als es hieß dieses Mal würden es drei Geschwister sein, eines davon ein junger Mann, denen vorgeworfen wurde mit dem Teufel im Bunde zu sein, ließ ich mich nicht beunruhigen.

Eher als sonst verließ ich daher Kain um mich schon in den frühen Morgenstunden wieder zur Ruhe zu betten. Hätte ich jedoch damals gewusst, was nur wenige Minuten nachdem ich meinen Sargdeckel geschlossen hatte, passieren würde....

Nun, aber geschehen ist geschehen, deswegen werde ich in meiner Geschichte fortfahren. Es liegt schon so lange zurück. Und ändern kann es sowieso niemand mehr. Was kurz nach meinem Fortgang geschah, wurde mir von den klügsten und allwissendsten Wesen auf der Welt berichtet, doch dazu komme ich später.

Als ich das nächste Mal erwachte, traute ich meinen Sinnen kaum. Es musste heller Tag sein, denn gerade schlug irgendeine entfernte Uhr die zwölfte Stunde. Und doch... ganz zweifellos musste die Sonne schon recht hoch stehen, jedoch waren die Stallungen meines Anwesens, des Cadeau de la Rochelle, in Dunkelheit getaucht. Ich fühlte mich erschöpft und schläfrig, und doch dermaßen elektrisiert, dass es mich aus meinem Sarg getrieben hätte, wenn ich nicht zu schwach gewesen wäre, den Deckel zu heben. Und so blieb ich.

Von weit her hörte ich das Sammeln einer großen Menschenmenge, fühlte ihre aufgewühlten Gemüter und roch den Harz des für den Scheiterhaufen aufgestapelten Holzes. Ich wusste was in wenigen Minuten passieren würde, und so schloss ich die Augen, als würde es irgendetwas daran ändern. Als der Rauch, die Schreie und der Geruch von verbranntem Fleisch zu mir herüber wehten, wurde mir übel.

Ich hasste Hexenverbrennungen, denn Feuer ist auch bei mir das einzige, was mir Schaden zufügen kann. Dann plötzlich verstummten die Schreie und die nun eingetretene Stille war beinahe noch unerträglicher. Ich dachte an Kain. Ob er jemals bei einer Hinrichtung dabei gewesen war? Er war ein gläubiger Christ, das stimmte, und dennoch verriet er mich – die er mich ja für eine Hexe hielt – nicht an die Obrigkeit. Nein, wahrscheinlich würde er wie immer auf dem Felde arbeiten und sich freuen, wenn ich heute Abend kommen würde. Gegen halb drei – ich wusste es wegen der Turmuhr von vorhin – ließ das elektrisierende Gefühl nach und mir fielen die Augen zu.

Wie es sich gehörte war es Nacht, als sich meine Lieder erneut hoben. Der Geruch von verbranntem Fleisch lag noch immer in der Luft und mit einem mulmigen Gefühl erhob ich mich. Ich hatte etwas Seltsames geträumt, war aber nicht mehr in der Lage mich an die genauen Bilder zu erinnern. Alles um mich herum war merkwürdig still, selbst bei Kains Hütte brannte kein Licht. Ich klopfte an die Tür, doch niemand antwortete. Ich rief die Namen der Geschwister, doch sie verhallten im Wind und blieben ungehört.

Und plötzlich beschlich mich Angst. Wie kalter Nebel umhüllte sie mich und ließ mich frösteln. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, nicht zuletzt deswegen, weil ich seit mehren Wochen noch nicht einmal eine mickrige Ratte angerührt hatte. Ich glaubte durchzudrehen, als ich die Hintertür nur halb in den Angeln vorfand und auf dem Boden Schleifspuren entdeckte. Irgendetwas lief hier absolut falsch.

Aus lauter Verzweiflung lief ich hinunter ins Dorf, doch niemand war auf den Straßen zu sehen und Kains Aura konnte ich auch nicht ausmachen. Und normalerweise konnte ich seine Präsens immer spüren. Ganz Paris schien nahezu ausgestorben zu sein. Und mit einem Mal erstarrte ich. Kalte Furcht packte mich, als ich erkannte wo ich mich befand. Ich war auf dem Hexenplatz.

Grauenerfüllt starrte ich auf die verkohlten Überreste menschlicher Gebeine und schluckte schwer. Man hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die drei Schädel und die verbrannte Kleidung fortzuräumen. Langsam kniete ich mich nieder und berührte den mittleren Schädel von ihnen, als mich eine Vision wie ein Blitz durchfuhr.

Ich sah drei Menschen, zwei junge Frauen und einen Burschen auf einem Berg aus Flammen gefesselt, die sich vor Schmerzen die Seele aus dem Leibe schrieen. Es waren die Rigots...

Ich konnte mich vor Schmerz nicht mehr bewegen, aus lauter Trauer nicht denken, und der Hass auf die Menschen, die ihnen dies hier angetan hatten, ließ mich erblinden. Mein Herz hatte sich so krampfhaft zusammengezogen, dass ich befürchtete es könne zerspringen. Aber vielleicht, so dachte ich, wäre das sogar das Beste. Dann wäre ich zumindest mit ihnen vereint. Aber ich wusste genauso gut, dass ich nicht sterben konnte, also würde ich die geliebte Familie niemals wieder sehen.

Stundenlang kniete ich vor den verbrannten Überresten Kains, Gwendolyns und Gabrielles, liebkoste ihre Kleider und versuchte ihren Geruch zu erhaschen, der trotz allem noch leicht auf ihren Sachen lag. Selbst als die Sonne über den Hügeln auftauchte, wollte ich mich nicht fortbewegen. Niemals wieder wollte ich Kain verlassen, auf dass nicht noch einmal ein solches Unglück ihn ereilen konnte...“
 

Die Stimme der Frau versagte. In den noch bis vor kurzem vor Zorn trotzenden Augen schimmerte es nun verräterisch. Sprachlos starrte der junge Mann sie einfach nur an, unfähig etwas zu sagen, und musste hilflos mit ansehen, wie eine einzelne Träne über die bleichen Wangen seiner Gesprächspartnerin liefen. Es brach ihm fast das Herz. Beinahe konnte er bildlich zwei Gestalten links und rechts von sich sehen, bildete sich ein das Feuer langsam hochzüngeln zu spüren und glaubte drückender Rauch würde ihn schwindeln lassen. Aber er war noch immer hier in diesem Zimmer, fernab irgendwelcher Hexenverbrennungen. Hinrichtungen dieser Art hatte es seit über dreihundert Jahren nicht mehr gegeben.
 

„Also... können Vampire tatsächlich weinen?“
 

Die Frau zuckte zusammen, als die belegte Stimme des jungen Mannes sie aus ihren qualvollen Erinnerungen riss. Selbst derart gebrochen war sie noch wunderschön.
 

„Ja... Vielleicht zwei oder dreimal in ihrer ganzen erbärmlichen Existenz.“
 

Abermals brach ihre Stimme und die Frau starrte weiterhin starr geradeaus ins Leere, als sähe sie dort Dinge, die dem menschlichen Auge verwehrt blieben. Erst nach Minuten schien sie sich wieder zu sammeln, straffte ihre Schultern, wischte sich die eine verräterische Träne aus dem Gesicht und fuhr mit ihrer Geschichte fort.
 

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Entschuldigung, dass es mit diesem Kapitel so lange gedauert hat, aber eigentlich war ich der festen Überzeugung, dass ich diesen Teil bereits hochgeladen hatte... Wie es scheint habe ich mich geirrt... Aber ich hoffe, die Länge dieses Teiles entschädigt euch für die lange Wartezeit.
 

Also dann, wir lesen uns (wenn ihr wollt ^^°)
 

P.S: Kommentare sind wie immer geschätzt und geliebt, ich freue mich über jeden noch so kurzen^^ Und ein kleines Feedback nimmt bei weitem nicht so viel Zeit in Anspruch wie ich für dieses Kapitel investiert habe^^

Titel: Death on Vacation

Kapitel: 6/8

Genre: zu viel...

Autor : kei_no_chi

Email: kei_no_chi@hotmail.de

Disclaimer: Nun, diesmal gehört zur Abwechslung wirklich alles mir, bis auf eine einzige Person, die gehört glücklicherweise sich selbst und ich habe auch keinerlei Rechte an ihr^^

Anmerkung: Nun, mal wieder einmal eine neue Fanfiction von mir, auch wenn sie doch sehr von den anderen differiert. Sie ist das Weihnachtsgeschenk für eine Freundin von mir, an dem ich recht lange dran gearbeitet habe (nicht zuletzt in einigen Nachtschichten xD) Das ist auch der Grund, weswegen ich meine bisher noch nicht abgeschlossene letzte Fanfic "Schlimmer geht's immer" im Moment noch nicht vervollständigen konnte. Aber ich gelobe Besserung und werde hart an mir arbeiten auch sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen^^ Ich hoffe aber, dass euch fürs erste diese hier zumindest etwas zusagt^^
 

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„Mühselig schleppte ich mich in meinen Sarg zurück, während die bereits aufgegangene Sonne mir Hände und Gesicht verbrannte. Es war mir egal. Totengleich sank ich in die samtene Dunkelheit hinab und war zum ersten Mal dankbar dafür, dass der bleierne Schlaf mich augenblicklich nach Schließen des Deckels ereilte.

Noch immer konnte ich mir keinen Reim darauf machen, wie etwas derartiges passieren konnte. Für gewöhnlich zogen sich Verurteilungen und Hinrichtungen über Wochen hin, doch im Falle Rigot hatte man die Familie aus heiterem Himmel vernichtet. Es hatte keinen Prozess gegeben, keine wochenlange Haft in einem menschenunwürdigen Gefängnis, noch nicht einmal die Chance zum Widerrufen und Abschwören hatte man ihnen gegeben. Sang- und klanglos hatte man sie verbrannt, ohne auch nur die geringste Rechtfertigung dafür zu besitzen. Der einzige Frevel, den sie vielleicht begangen hatten war, dass sie sich mit dem Tod angefreundet hatten.
 

In der nächsten Nacht suchte ich nach Gründen für ihre Hinrichtung, doch alles was ich finden konnte war ihr zerstörtes Hab und Gut als sie gewaltsam aus ihrem Haus verschleppt worden waren. Auch die wenigen Dorfbewohner, die ich zu dieser späten Stunde als Marquise Colette de la Rochelle befragte, konnten mir nur insoweit Auskunft geben, dass die Rigots sich schuldig gemacht hatten, weil sie mit dem Teufel im Bund gewesen seien. Man hatte sie angeblich beim Hexensabbat beobachtet.

So langsam glaubte ich zu verzweifeln. Es war meine Schuld, dass sie verbrannt worden waren, ganz allein meine. Ich war der Teufel, von dem sie sprachen, ich hatte sie erst in diese Lage gebracht. Doch noch immer genügten mir die spärlichen Auskünfte nicht, die ich erhielt. Ich musste einfach die ganze Geschichte erfahren, sonst würde ich noch durchdrehen. Nun gab es nur noch eine Möglichkeit, die mir weiterhelfen konnte.

Wie zu meiner eigenen Hinrichtung wandelte ich mehr tot als lebendig durch die Nacht, ehe ich beinahe am Ende mit den Nerven mein Ziel erreichte. Ich spürte nicht die Kälte als ich langsam in das Wasser der Seine watete, obwohl die Temperatur sicherlich nicht höher als knapp drei Grad Celsius betragen musste, immerhin war es Mitte Oktober. Ich hatte gehofft das Wasser würde blau sein – neben Rot meine Lieblingsfarbe – doch es war Schwarz, wie alle Gewässer in der Nacht. Immer tiefer ließ ich mich ins Wasser gleiten, bis nur noch mein Körper oberhalb der Schultern herausragte. Ich benötigte meine ganze Konzentration, wenn mein Plan nicht scheitern sollte. Der kleinste Fehler und ich hätte mehr verloren, als nur ein paar Antworten.

Als etwas Glitschiges mein Bein streifte, griff ich danach und sprang mit einem mächtigen Satz zurück ans Ufer, meine Beute mit mir ziehend. Ich konnte nur beten, dass es geklappt hatte, denn eine weitere Chance würde ich nicht kriegen. Doch es hatte funktioniert. Zu meiner Erleichterung hielt ich den Arm eines Menschen, dessen Haut derart schleimig war, dass meine Hände immer wieder abzurutschen drohten, als mein Fang sich verzweifelt meinem Griff zu entziehen versuchte.

Als ich wieder festen Boden unter den Füßen spürte packte ich abermals blitzschnell zu, legte meine Finger um die Kehle des anderen und zog ihn so ein Stück nach oben. Die Erscheinung, die sich mir offenbarte, ist dir wahrscheinlich bekannt und doch völlig entgegengesetzt. Ich hielt die Kehle eines jungen Mädchens umklammert, deren Haut im Mondlicht leicht grünlich funkelte, mit langen schwarzen Haaren, in denen sich allerlei Wasserpflanzen verfangen hatten und mandelförmigen Augen, wie sie sonst nur Asiaten aufzuweisen haben. Unter meinen Händen konnte ich Kiemen fühlen. Die Hände des Mädchens wiederum wiesen zwischen den einzelnen, unnatürlich langen Fingern hauchdünne Schwimmhäute auf, während an der Stelle, an der normalerweise der Unterleib eines Menschen anschließt, ein Fischschwanz von eisblauer Farbe befand. Ich hatte mir einen Fischmenschen geangelt.
 

Vielleicht sollte ich zum besseren Verständnis ein wenig über die Natur eines solchen Wesens erzählen, denn auch hier täuscht sich der Volksglaube im Gegensatz zur Realität. Fischmenschen, wie man sie vielleicht aus Erzählungen von Hans Christian Andersens <Die Kleine Meerjungfrau> kennt, weisen vielleicht eine geringe Ähnlichkeit auf, was das Aussehen betrifft, doch ist ihr Charakter ein gänzlich anderer. Fischmenschen sind mit die klügsten Geschöpfe der Welt, denn sie wissen über alles und jeden Bescheid und haben immer die neuesten Nachrichten darüber, was auf der Erde zugeht. Wenn sich auch nur irgendwo etwas ereignet, die Meermenschen wissen es. Doch meist zahlt man um das Erlangen dieses Wissens einen hohen Preis, denn wagt man sich in die Nähe ihrer Gewässer, so versuchen sie augenblicklich dich mit sich zu ziehen und dich zu ertränken. Ihre unnatürlich langen Finger, die ich gerade ansprach, benutzen sie meist dazu dich langsam unter Wasser zu erdrosseln. So hübsch sie auch anzusehen sind, und so lieb und unschuldig sie auch immer erscheinen mögen, so besitzen sie doch eine garstige Seele und haben nicht nur einmal einen unschuldigen Menschen mit ihrem Gesang in ihre Mitte gelockt und dann erbarmungslos den Fluten übergeben. Das war auch der Grund, weswegen ich mit größter Vorsicht ins Wasser gewatet war, um sie anzulocken.
 

Das Meermädchen fauchte mich an. Ich fauchte zurück. Immer mehr Wassermenschen tauchten auf, doch erhoben sie gerade einmal ihren Kopf soweit, dass noch so eben ihre Augen aus dem Wasser ragten und beobachteten mich stumm. Keiner von ihnen machte Anstalten ihrer Artgenossin zu helfen. Ich lockerte meinen Griff nicht, als ich meine Frage an das Meermädchen richtete. Ich musste wissen, was genau sich bei der Familie Rigot zugetragen hatte. Lange herrschte Stille, in der selbst das Wasser der Seine zu gefrieren schien, dann erst antwortete sie. Es war der merkwürdigste Ton, den ich jemals in meiner ganzen Existenz vernommen hatte, denn anstatt wohlklingender Worte, bestand ihre Stimme aus einem ohrenzerreißenden Kreischen, dass ich beinahe die Hand gelockert hätte.
 

<Du willst, dass wir dir sagen, was sich zugetragen hat? Wieso sollten wir das tun?>
 

<Weil ihr wahrscheinlich die einzigen seid, die darüber Bescheid wissen>
 

<Du kennst das Gesetz. Niemand ist niemandem verpflichtet. Wenn du etwas wissen möchtest, musst du es selbst herausfinden, denn kein Geschöpf wird dir niemals etwas erzählen.>
 

<Ich kann dir ja jede deiner Kiemen einzeln ausreißen, mal schauen, wie gut das deine Zunge lösen wird!>
 

So langsam wurde ich wütend. Ich war bei Gott nicht in der Stimmung mich verarschen zu lassen. Wenn ich etwas wollte, dann wollte ich es jetzt und zwar ohne Kompromisse. Doch zu meinem Erstaunen verzog die Kreatur ihren Mund zu einem bösartigen Grinsen und stieß einen markdurchdringenden Schrei aus.
 

<Wie ich sehe verstehst du doch etwas von deinem Handwerk. Der Bauer wurde dem König übergeben, als Glanz und Schwärze zur festgesetzten Stunde an einem Tische saßen. Der rote Drache trug ihre Körper hinfort, wie es der Schwarze und der Weiße gewünscht und von lang her geplant hatten, auf dass das Verlorene Kind wieder dem rechten Wege folgen möge.>
 

Nun, deinem Gesicht nach zu schließen, hast du genauso wenig verstanden wie ich damals, als ich diese Worte zum ersten Mal hörte. Um es im Stile der Neuzeit zu sagen: Ich verstand nur Bahnhof. Meermenschen haben dummerweise die nervige Angewohnheit niemals klare Auskünfte zu geben, sondern sie geschickt zu verpacken, damit man hinterher noch weniger weiß als vorher. Aber ich würde mich nicht so leicht geschlagen geben. Immerhin hatte ich die ganze Ewigkeit um diesen Kreaturen eine befriedigende Antwort zu entlocken.
 

<Der Bauer... wurde dem König übergeben... Der Bauer und der König.>
 

Der Bauer musste für die Familie Rigot stehen, soviel war klar, immerhin gingen sie ja der Tätigkeit der Landwirtschaft nach, doch wer sich hinter dem König verbarg und warum zudem noch im Singular gesprochen wurde, wo es doch drei Geschwister waren, blieb mir weiterhin unklar. Obwohl mein erster Gedanke beim <König> dem zur damaligen Zeit amtierenden Sonnenkönigs Louis XIV galt, musste ich mir bald klar machen, dass die Meermenschen niemals dermaßen offensichtlich sprachen, zumal Louis momentan eine Reise nach Deutschland genoss. Er fiel also weg.

Es musste sich um eine hochgestellte Person handeln, vielleicht sogar DIE höchste Person, eine Person mit sehr viel Macht. Die Inquisition vielleicht? Aber nein, dachte ich mir, die höchste Person wäre der Kirche nach der Papst und der würde garantiert nicht seine kostbare Zeit damit vergeuden einer Hinrichtung beizuwohnen. Der Bauer wurde dem König übergeben... Der König. Der König der Welt... Natürlich! Der König der Welt war Gott, so glaubten diese frommen Christen, und wenn Kain, Gwendolyn und Gabrielle Gott – sprich: Jehova – überverantwortet worden waren, bedeutete das ganz zweifellos den Tod. Also sind die drei Geschwister gestorben <als Glanz und Schwärze zur festgesetzten Stunde an einem Tische saßen>.

Wieder stand ich vor einem Rätsel und war nahe davor das Meermädchen für diese Schmähung geradewegs zu erdrosseln, doch ich beherrschte mich. Ich würde es schaffen! Nun, zumindest war ein Teil klar, denn mit der festgesetzten Stunde war meist Mittag gemeint und Verurteilungen fanden immer um zwölf Uhr statt. Zudem war ich ja kurz aufgewacht, als es zwölfe schlug, also war der Teil schon einmal klar. Nur was mit Glanz und Schwärze gemeint sein sollte, darauf konnte ich mir keinen Reim machen. Ich wusste nicht, dass es eine Sonnenfinsternis gegeben hatte, auch wenn sie als totale Sonnenfinsternis über ganz Mitteleuropa in die Geschichte eingehen sollte. Sie hatte von 11Uhr55 bis 14Uhr28 gedauert, also genau der Zeitraum, in dem ich mich voller Unbehagen hin und her gewälzt hatte. Die Verfinsterung der Sonne hatte bewirkt, dass ich aus meinem todesähnlichen Schlaf zumindest zeitweilig erwacht war.

Lange grübelte ich über dieses Bild, und sollte erst zwei Stunden später auf seine Bedeutung kommen. Doch selbst nun beunruhigte es mich nicht. Sonnen- und Mondfinsternisse waren zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht mehr so geheimnisvoll wie noch im Altertum und zum Teil auch im Mittelalter. Sie waren berechenbar und damit erklärbar geworden. Es war bekannt, dass sich bei einer Sonnenfinsternis die Mondscheibe vor die Sonne schiebt und dass bei einer Mondfinsternis der Schatten der Erde über die Mondscheibe wandert. Sonnenfinsternisse finden immer bei Neumond und Mondfinsternisse nahe Vollmond statt. Ich dachte mir nichts dabei und nahm es einfach als zufälligen Umstand hin.

Der nächste Teil des Rätsels war leicht, denn immerhin waren Kain und seine Schwestern verbrannt worden, sodass der <Rote Drache> durchaus Sinn machte. Nicht umsonst stand dieses Reptil für Feuer. Ebenso war es denkbar, dass man sich mit dem Drachen zeitgleich wieder auf die Sonnenfinsternis bezog, denn ein solcher Schnittpunkt wird auch Drachenpunkt genannt, wahrscheinlich weil in der Chinesischen Mythologie bei einer Sonnenfinsternis ein Drache die Sonne fressen würde.

Noch einmal sprach ich den ganzen Spruch leise in Gedanken vor mich hin, als ob es mir in irgendeiner Weise so einen Hinweis bieten konnte.
 

<Der Bauer wurde dem König übergeben, als Glanz und Schwärze zur festgesetzten Stunde an einem Tische saßen. Der rote Drache trug ihre Körper hinfort, wie es der Schwarze und der Weiße gewünscht und von lang her geplant hatten, auf dass das Verlorene Kind wieder dem rechten Wege folgen möge.>
 

Und mit einem Mal schwindelte mir. Es war geplant gewesen. Die Hinrichtung war ein abgekartetes Spiel! Und mit einem Mal verstand ich alles. Ich glaubte nicht mehr atmen zu können, als mit einem Schlag die Wahrheit schrecklicher denn je über mich hereinbrach. Es war meine Schuld, dass die Rigots verbrannt worden waren, nicht etwa, weil ich meine Zeit mit ihnen verbracht hatte – nein, weil sie es unwissentlich geschafft hatten mich vom Töten abzubringen! Ich war das Verlorene Kind, das seine Bestimmung vergessen hatte, die <der Schwarze und der Weiße> mir zugedacht hatten, als sie mich erschufen.

Ich hatte dir schon zu Beginn meiner Erzählung gesagt, dass Jehova, Asmodeus und ich eine einzige wahre Gestalt haben, und zwar die einer farbigen Energiekugel. Erinnerst du dich noch daran, welche Farbe wem zugedacht war? Die Jehovas ist pechschwarz, Asmodeus’ besitzt die Farbe Weiß. Ich weiß noch, wie ich taumelte und für einen Augenblick den Griff um den Hals des Meermädchens lockerte, das sofort die Gelegenheit ergriff und mit ihren Gefährten so lautlos wieder in der Seine verschwand, wie sie gekommen waren. Sie hatten ihren Soll erfüllt.

Ich allerdings stand vor den Trümmern meiner Existenz. Ich hatte Kain beschützen wollen, indem ich nicht mehr trank, doch gerade durch dieses Verhalten hatte ich seinen Tod herbei geführt. Tiefe Trauer schien mich zu überwältigen, doch mit der Zeit mischte sich noch ein anderes Gefühl in mein Unterbewusstsein. Es war wie rasende Wut, nur viel stärker. Sie half mir einen klaren Kopf zu behalten. Anstatt ganz Paris auszulöschen, wie ich es damals bei Sodom und Gomorra getan hatte, suchte ich nun mit Bedacht nach den wenigen Menschen, die den Tod meiner geliebten Freunde zu verantworten hatten, indem sie das Feuer entzündet hattet und tat mich an ihrem Blut gütlich.

Oh, es war ein berauschendes Gefühl, als das frische Lebenselixier durch meine ausgedorrten Adern rann und mir neue Kraft schenkte. Ich fühlte mich so stark und lebendig wie noch nie seit meiner Entstehung. Ich würde meinen Schöpfern den Kampf ansagen.“
 

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Und wieder hat es zu meinem Leidwesen ein wenig länger gedauert als beabsichtigt, bis ich dieses Kapitel hochgeladen habe. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur sagen, dass ich eine Woche auf Sizilien an einem Schüleraustausch teilgenommen habe und ich mich in den Ferien kaum dazu durchringen konnte, irgendetwas anderes zu tun, als zu schlafen xD (Aber ich glaube, das interessiert hier die Wenigsten ^^°)
 

Also dann, wir lesen uns (wenn ihr wollt ^^°)
 

P.S: Kommentare sind wie immer geschätzt und geliebt, ich freue mich über jeden noch so kurzen^^ Und ein kleines Feedback nimmt bei weitem nicht so viel Zeit in Anspruch wie ich für dieses Kapitel investiert habe^^

Titel: Death on Vacation

Kapitel: 7/8

Genre: zu viel...

Autor : kei_no_chi

Email: kei_no_chi@hotmail.de

Disclaimer: Nun, diesmal gehört zur Abwechslung wirklich alles mir, bis auf eine einzige Person, die gehört glücklicherweise sich selbst und ich habe auch keinerlei Rechte an ihr^^

Anmerkung: Nun, mal wieder einmal eine neue Fanfiction von mir, auch wenn sie doch sehr von den anderen differiert. Sie ist das Weihnachtsgeschenk für eine Freundin von mir, an dem ich recht lange dran gearbeitet habe (nicht zuletzt in einigen Nachtschichten xD) Das ist auch der Grund, weswegen ich meine bisher noch nicht abgeschlossene letzte Fanfic "Schlimmer geht's immer" im Moment noch nicht vervollständigen konnte. Aber ich gelobe Besserung und werde hart an mir arbeiten auch sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen^^ Ich hoffe aber, dass euch fürs erste diese hier zumindest etwas zusagt^^
 

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„Also... Haben wirklich Jehova und Asmodeus diese jungen Menschen getötet? Aber wie hätten sie das anstellen sollen?“
 

Verwirrt starrte der junge Mann die Frau an. Seit der Erwähnung der Meermenschen sah er reichlich mitgenommen aus.
 

„Nun, vielleicht sollte ich anstandshalber erwähnen, dass hauptsächlich Jehova für ihren Tod verantwortlich war, denn er war es, der es nicht ertragen konnte, dass ich langsam menschliche Gefühle wie <Liebe> entwickelte. Asmodeus hatte sich für mein Glück gefreut, sah jedoch ein, dass es in der Tat besser wäre, wenn ich mich wieder auf meine wahre Berufung zurückführen würde. Also ließ er sich dazu überreden etwas zu unternehmen. Er war zuständig für die Sonnenfinsternis, damit ich auch ja bei Bewusstsein sein würde, wenn Kain verbrennen würde. Nur so würde garantiert werden, dass mein Zorn groß genug sein würde, wieder Menschen zu töten. Jehova wiederum manipulierte die Gedanken der Menschen, auf dass sie der festen Überzeugung seien wirkliche Hexen vor sich zu haben. Ferner pflanzte er ihnen den Glauben ein, dass ein Prozess schon vor Wochen stattgefunden hatte, sodass es durchaus recht und billig war, diese armen Geschöpfe zu verbrennen. Ich habe es den beiden niemals verziehen.“
 

Wieder schwieg die Frau. Mit ihrer Hand ließ sie nun kleine Flammen aufsteigen und drückte sie wenig später wieder aus, nur um den Vorgang zu wiederholen. Es sah hübsch aus, doch gleichzeitig hatte es etwas beängstigendes an sich, wenn man bedachte in welcher Gefühlsverfassung sie sich im Augenblick befinden musste.
 

„Haben Sie die beiden zur Rede gestellt? Haben Sie versucht ihnen klar zu machen, dass sie nicht richtig gehandelt haben?“
 

Die Frau lachte hell auf und die letzten Flammen verschwanden.
 

„Nein, das habe ich nicht. <Jemanden zur Rede stellen>, wie du es nennst, ist nur etwas für Menschen. Bei uns Unsterblichen wird das ganze ein wenig anders gehandhabt: Wir versuchen uns zu vernichten, ohne auch nur mit dem anderen ein Wort darüber zu verlieren. Wir nutzen es aus, dass wir nicht sterben können, deswegen zerstören wir uns, bis uns die Ewigkeit wie eine Strafe vorkommt. So haben die beiden Großen es auch bei mir getan, als sie mir das Liebste auf der Welt nahmen. So etwas wie Gnade fehlt im Wortschatz des Übernatürlichen.“
 

„Aber haben Sie es denn geschafft? Ich meine, Sie sitzen ja vor mir und erzählen mir Ihre Geschichte, also können Sie nicht verloren haben, oder?“
 

„Eine sehr gute Frage.“ Die Frau schien gegen ihren Willen beeindruckt. „Allerdings bezweifle ich, dass du die Antwort verstehen wirst – du bist nur ein Mensch – also lass mich normal weiter erzählen, ich verspreche dir, ich werde mein Bestes tun um deinem Fragen gerecht zu werden.

Ich gab also die Existenz der Marquise Colette de la Rochelle auf, vermachte meinen Dienstboten eine gehörige Summe Gold und verließ die Erde. Ich ging zurück in meine eigene Dimension, die ich vor etwa siebentausend Jahren verlassen hatte, indem ich nach Gomorra ging. Ich erkannte sie beinahe nicht mehr wieder.

Du musst wissen, eine derartige Zentralebene richtet sich immer nach den Wünschen und Gefühlen ihres Bewohners. Als ich gerade erschaffen worden war und noch nichts von anderem Leben wusste, hatte ich keine Begehren außer der wohltuenden Schwärze um mich herum, die mich vor der Hitze des Lichtes bewahren würde, deshalb bestand dieser Lebensraum damals nur aus Dunkelheit.

Doch nun, da ich die Vorzüge des Planeten Erde kennen gelernt hatte – Vater, Kleopatra und die Familie Rigot kennen gelernt hatte – da sah schlagartig alles anders aus. Ich stand auf einem der Hügel der Pariser Bauernfelder. Anstatt der üblichen Nacht war alles in die unvergleichliche Wärme der Sonne getaucht, die schien, ohne mich zu verbrennen. In der Ferne konnte ich gerade noch die Ufer der Seine und die kleine Hütte der Rigots erkennen. Dies war der Anblick, nach dem ich mich seit dem Tod der Familie immer wieder gesehnt hatte, auch wenn ich ihn gleichzeitig vor Kummer und Schmerz kaum noch ertragen konnte.

In den folgenden Jahrhunderten widmete ich mich ganz meinem Rachefeldzug gegen Jehova und Asmodeus, während ich gleichzeitig wieder meiner vorherigen Tätigkeit nachging: Indem ich Menschenleben auslöschte und rettete, je nachdem welches Bild mir meine Visionen zeigten. Mit kalter Präzision erfühlte ich die Präsenz der beiden Großen und schickte ihnen Energieströme entgegen, die sie zweifellos verletzen würden, während ich gleichzeitig versuchte ihren Angriffen auszuweichen. Natürlich war es ein Spiel mit dem Feuer, denn bei Tage war ich hilflos ihren Vergeltungsschlägen ausgesetzt, auch wenn ich der Sonne nun immer länger standhalten konnte. Hatte ich genug getrunken, so schaffte ich es manchmal sogar einige Stunden nach Sonnenaufgang noch meinen nächsten Schritt gegen meine Schöpfer zu planen, ehe mich die sengende Hitze wieder zurück in meinen sicheren Sarg trieb. Natürlich habe ich mir nicht nur einmal einen schweren Brand zugezogen.
 

So langsam entartete der Kampf zwischen mir und den beiden Großen und entwickelte sich zu einem regelrechten Krieg, bei dem beide Seiten große Verluste zu verkraften hatten. Auf der Erde konnte man dieses Schauspiel anhand der zahlreichen Vulkanausbrüche, Flutwellen und Kometen beobachten. Aber dir die ganze Bandbreite und Auswirkungen unserer Schlachten zu schildern, würde glaube ich zu weit führen. Wichtig ist nur, dass, nachdem wir gegenseitig beinahe das halbe Universum in die Luft gesprengt hätten, wir uns auf einen Waffenstillstand einigten. Das war im Jahre 1999, das Jahr, welches von Nostradamus zum Untergang der Welt klassifiziert wurde. Beinahe amüsant, wenn man bedenkt, dass gerade in diesem Jahr die Gefahr dazu endgültig beseitigt wurde.
 

Knapp dreihundert Jahre hatte unser Krieg gedauert und dreihundert Jahre lang war ich nicht mehr auf der Erde gewesen. Ob sie sich sehr verändert hatte? Wenn ich Menschen gerettet oder getötet hatte, tat ich dies immer aus meiner Dimension heraus, hatte ich Hunger, holte ich sie mit einem Fingerzeig her. Ich hatte keine Ahnung, welche Wandlung die Welt durchgemacht hatte.

Von überall her quoll Lärm durch die Straßen, hervorgerufen durch Gebilde, welche die Menschen <Ghettoblaster> nennen, Abgase von eigenartigen Fortbewegungsmitteln namens <Motorrädern> und <Autos> raubten mir den Atem und der neue Stand der Technik verwirrte mich vollkommen. Ich war mit dieser neuen Zeit absolut überfordert. Es dauerte Monate bis ich nicht mehr vor den Sirenen eines Polizeiautos floh oder den Kopf schützend in den Händen verbarg, wenn das Licht eines Hubschraubers mich blendete, sodass ich glaubte zu verbrennen.

Das einzige, was mich nicht sofort verschreckte war manche Kleidung der jungen Frauen. Ah, die Frauen waren phantastisch! Halbnackt in der Frühjahrssonne wie zu Zeiten der ägyptischen Pharaonen, hatten sie nur kurze Röcke und enge Tops an, oder sie trugen einfach nur Männerhosen und Hemden, die sich hauteng um ihre kurvenreichen Körper schmiegten. Sie malten sich an und behingen sich mit Gold und Silber, selbst wenn sie nur zum Gemüsehändler gingen. Sie hatten Wuschelkopffrisuren wie Marie Antoinette oder ließen ihr Haar frei im Wind flattern.

Wie von Sinnen starrte ich auf die Schaufensterauslagen, auf Computer und Telefone, deren Form und Farbgebung den exotischsten Muscheln in nichts nachstanden. Durch die Gassen des French Quartier glitten Limousinen wie riesige, unangreifbare Meeresungeheuer. Leuchtende Bürotürme stachen über den gedrungenen Ziegelbauten wie ägyptische Obelisken in die Nacht. Unzählige Fernsehprogramme strahlten in allen Hotelzimmern einen nie versiegenden Bilderstrom aus.

Ab und zu bekam ich es freilich mit der Angst zu tun. Der Gestank von Chemikalien und Auspuffgasen schlug mir auf den Magen, und meine Ohren schmerzten von dem Gedröhne der Klimaanlagen und Flugzeuge.

Und meine Kondition? Besser den je. Ich konnte von der Straße auf die Dächer fünfstöckiger Gebäude springen. Ich konnte Eisengitter von den Fenstern reißen. Ich konnte Kupfermünzen zwischen zwei Fingern zerknicken. Ich konnte kilometerweit menschliche Stimmen und Gedanken aufnehmen, wenn mir danach war.

Auch schien alle Vergänglichkeit wie magisch aufgehoben zu sein. Altes wurde nicht mehr routineartig durch neues ersetzt und die Umgangssprache etwa hatte sich kaum verändert. Sogar alte Ausdrücke wie <Du hast Dreck am Stecken> oder <Er nimmt kein Blatt vor den Mund> waren noch geläufig. Andererseits waren neue Redewendungen in aller Munde, wie <Sie haben dich einer Gehirnwäsche unterzogen> oder <Kann ich nix mit anfangen>.
 

Und in dieser neuen Zeit widmete ich mich einem gänzlich neuen Ziel. Vor einigen Monaten war mir etwas zu Ohren gekommen, das auch schon in den Jahrtausenden, in denen ich auf Erden gewandelt war, zum alten Volksglauben gehörte. Dass Seelen selbst den Tod überdauerten und sich einfach nur einen neuen Körper suchten, wenn ihnen der alte gewaltsam genommen war.

An diese Dinge dachte ich, als ich mit meiner neuesten Errungenschaft – einem Handy – durch die Straßen Spaniens ging. Es war fünf Uhr nachmittags und eine starke Sonnenbrille schütze meine Augen – viel mehr schützte sie die Menschen davor von diesem Anblick geblendet zu werden, denn wie du weißt haben meine Augen eine etwas andere Ausstrahlung als die der Menschen. Ich musste nun auch nur noch für etwa sechs Stunden um die Mittagszeit in meinen Sarg flüchten – an heißen Sommertagen leider immer noch beinahe den ganzen Tag – solange ich ansonsten meine Haut mit Sonnenschutzfaktor 75 und lichtundurchlässiger Kleidung schützte. Ein Hoch auf die Zukunft!

Die nächsten Jahre verbrachte ich damit, mich näher über Wiedergeburten und Reinkarnationen zu informieren, ehe ich bald genug Wissen angesammelt hatte und mich auch die Suche machte. Diese Fahndung wurde bald mein einziger Lebensinhalt und bewahrte mich oft vor der totalen Verzweiflung. Nacht für Nacht und noch am Morgen und Abend darauf suchte ich nach Menschen, die potentiell die Wiedergeburt von Kain sein konnten.

Doch je angestrengter ich auch suchte, umso weniger hatte ich das Gefühl, dass meine Arbeit jemals Früchte tragen würde. Immer, wenn ich das ein oder andere Mal glaubte am Ziel zu sein, stellte sich doch wieder heraus, dass ich mich geirrt hatte. Es war zum verrückt werden. Manchmal war ich einfach versucht, alles hinzuschmeißen.

Ich bereiste die Welt auf der Suche nach Kains Geist, hinterließ verschlüsselte Nachrichten, von denen ich mir sicher war, dass er sie erkennen würde und befragte erneut die Meermenschen. Aber du weißt ja mittlerweile wie sie sind, nicht wirklich hilfsbereit oder deutlich in ihren Auskünften.“
 

Der junge Mann verstand nur zu gut. Lebhaft konnte er sich vorstellen, wie kräftezehrend die jahrelange Suche gewesen sein musste, wie entmutigend, wenn man wieder einen Fehlschlag zu verkraften hatte. Er fühlte aufrichtiges Mitleid mit dieser Frau, der das Schicksal so übel mitgespielt hatte.
 

„Und... Und hast du ihn gefunden?“
 

„Ja, das habe ich. Ich sah seinen Geist im Körper eines alten Mannes in Detroit des Jahres 2004. Doch bevor ich ihn ansprechen konnte, geriet er in eine dort so häufige Schießerei und wurde verwundet. Er war tot, als ich ihn endlich erreichte. Danach fiel ich in eines tiefes Loch. Abermals verweigerte ich die Nahrung und spielte sogar mit dem Gedanken mich freiwillig der Sonne zu übergeben, doch mittlerweile war ich schon so lange auf der Erde, dass mein Körper nicht mehr vollständig verbrennen würde, wie es bei jungen Vampiren der Fall ist. Ich bin jetzt hunderttausend Jahre alt, mein Körper ist zeitweilig wie Stein. Sonnenlicht würde mich vollends zu einer Porzellanpuppe brennen, bei Bewusstsein zwar, doch nicht in der Lage mich noch zu bewegen.“
 

Bestürzt starrte der junge Mann auf seine Hände. Also war sie so nahe am Ziel gewesen und das Glück war ihr doch wieder wie Wasser aus einer hohlen Hand verronnen. Wenn er ihr doch nur helfen konnte. Er würde alles tun, um ihr ein wenig Last von den Schultern zu nehmen, denn obgleich ihrer schrecklichen Natur, hatte ihre Geschichte ihn unvorstellbar bewegt. Er hatte sich in diese starke, wunderhübsche und doch so einsame Frau verliebt. Für seine nächsten Worte nahm er all seinen Mut zusammen.
 

„Ich... wenn es irgendetwas gibt, wie ich dir helfen kann... Ganz gleich was es ist, sag es mir, ich tu alles. Du kannst mir vertrauen... Nicole.“
 

Beim Klang ihres Namens zuckte die Frau zusammen als hätte sie einen Peitschenschlag erfahren. So lange hatte sie ihn nicht mehr gehört, Jahrhunderte lang hatte ihn niemand mehr ausgesprochen, seit man ihr die Person, die ihn als einzige kannte und auf seine ganz spezielle Art ausgesprochen hatte, genommen hatte.

Drückende Stille legte sich über die beiden, bei der der junge Mann es beinahe bereute, den Namen überhaupt ausgesprochen zu haben und die Frau somit noch mehr mit ihrer Vergangenheit zu quälen. Doch dann stellte er erleichtert fest, dass die Frau lächelte. Und es war ein warmes, ehrliches Lächeln. Das erste dieser Art nach all den Stunden, in denen sie dem jungen Mann ihre Geschichte erzählt hatte.
 

„Ich danke dir. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Allerdings war ich nicht ganz ehrlich zu dir, muss ich gestehen. Oder vielmehr habe ich ein winziges Detail unerwähnt gelassen. Denn seit etwa einer Woche habe ich wieder einen Menschen gefunden, der unter Umständen die Seele Kains beherbergen könnte. So glaube ich zumindest.“
 

„Wirklich? Das freut mich sehr für dich“
 

Es war ernst gemeint. Und abermals lächelte die Frau.
 

„Du kennst die sogar. Du hat sie schon oft gesehen.“
 

„Wirklich?“
 

Nun war der junge Mann ehrlich überrascht.
 

„Ja. Du bist es.“
 

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Diesmal nur ein kurzer Kommentar zum Abschluss meinerseits ^^ Dies hier was das vorletzte Kapitel, nur noch eines, dann ist die Geschichte abgeschlossen. Ich hoffe euch hat dieses hier gefallen und ihr werdet den Schluss ebenso mögen ^^
 

Also dann, wir lesen uns (wenn ihr wollt ^^°)
 

P.S: Kommentare sind wie immer geschätzt und geliebt, ich freue mich über jeden noch so kurzen^^ Und ein kleines Feedback nimmt bei weitem nicht so viel Zeit in Anspruch wie ich für dieses Kapitel investiert habe^^

Titel: Death on Vacation

Kapitel: 8/8

Genre: zu viel...

Autor : kei_no_chi

Email: kei_no_chi@hotmail.de

Disclaimer: Nun, diesmal gehört zur Abwechslung wirklich alles mir, bis auf eine einzige Person, die gehört glücklicherweise sich selbst und ich habe auch keinerlei Rechte an ihr^^

Anmerkung: Nun, mal wieder einmal eine neue Fanfiction von mir, auch wenn sie doch sehr von den anderen differiert. Sie ist das Weihnachtsgeschenk für eine Freundin von mir, an dem ich recht lange dran gearbeitet habe (nicht zuletzt in einigen Nachtschichten xD) Das ist auch der Grund, weswegen ich meine bisher noch nicht abgeschlossene letzte Fanfic "Schlimmer geht's immer" im Moment noch nicht vervollständigen konnte. Aber ich gelobe Besserung und werde hart an mir arbeiten auch sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen^^ Ich hoffe aber, dass euch fürs erste diese hier zumindest etwas zusagt^^
 

#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+#+
 


 

Zu sagen der junge Mann wäre lediglich überrascht gewesen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Erschreckt riss er Augen und Mund auf und wich auf seinem Stuhl ein ganzes Stück zurück. Er musste sich verhört haben. Die Tatsache, dass er – ausgerechnet er – dieser Kain sein sollte war dermaßen absurd, dass es einfach nur ein schlechter Scherz sein konnte. Immerhin wusste er sehr wohl wer er war. Wäre er das Ergebnis einer Wiedergeburt, so müsste er es doch irgendwann einmal gefühlt haben, oder nicht?
 

„Bitte versteh mich nicht falsch, aber das kann einfach nicht sein.“
 

„Warum kann es nicht sein, Kain?“
 

Die Stimme der jungen Frau war vollkommen ruhig und selbstsicher, und die Art wie sie die Frage betonte legte den Gedanken nahe, dass sie noch immer ihre Geschichte erzählte und dem jungen Mann seien Zweifel ob der Richtigkeit eines historischen Faktes gekommen.
 

„Na ja, ich.. Müsste ich nicht spüren, wenn ich eine Reinkarnation oder so etwas wäre?“
 

„Natürlich würdest du das tun.“
 

Erleichterung machte sich breit. Nun war der junge Mann sich endgültig sicher einem Irrtum aufgesessen zu sein.
 

„Gott sei Dank. Ich habe nämlich noch nie irgendetwas derartiges gespürt. Du musst dich irren, Nicole.“
 

„Ach ja? Du bist dir also sicher? Interessant. Noch nie merkwürdige Träume einer längst vergessenen Zeit gehabt, nein? Noch nie das Gefühl gehabt, an bestimmten Orten schon einmal gewesen zu sein? Oder dass irgendetwas wichtiges in deinem Inneren fehlt, das Wissen es einst besessen, aber dann plötzlich verloren zu haben? Und deine Abneigung gegen Feuer kommt auch nur von ungefähr, nicht wahr? Ich habe dich seit einer Woche beobachtet. Ich weiß, dass es so ist.“
 

Abermals riss der junge Mann die Augen auf. Er wusste nicht was ihn mehr erschreckte, die Tatsache, dass der Tod ihn schon seit einer Woche beobachtete, ohne dass er es gemerkt hatte, oder dass diese Frau auch noch mit jedem ihrer Worte Recht hatte. Auch wenn er es nicht zugeben wollte, so gab es doch tatsächlich Augenblicke, in denen... Aber das war unmöglich. Absurd. Er konnte nicht Kain sein. Er war er. Und niemand könnte daran etwas ändern.
 

„Ich verstehe, wenn du noch immer Zweifel hast. Aber gib mir die Möglichkeit es dir zu beweisen. Schließ deine Augen. Es wird dir nichts geschehen. Vertrau mir, Kain. Ich würde dir niemals schaden wollen.“
 

Skeptisch blickte der junge Mann die Frau an, während seine Gedanken rasten. Es konnte einfach nicht stimmen, aber was wenn doch? Einfach mal angenommen, er wäre tatsächlich dieser Bursche, der 1705 verbrannt worden war. Könnte er es verantworten dieser Frau noch ihre letzte Hoffnung zu verwehren?
 

Beinahe ohne sein Zutun schloss er langsam die Augen und fast augenblicklich hatte er das Gefühl zu schweben. Vor seinem Inneren Auge tauchten Bilder auf, verschwommene Fetzen, die zwar fremdartig, aber dennoch merkwürdig vertraut waren. Er sah eine schäbige, heruntergekommene Hütte auf einem gerade gepflügten Acker, von dem gerade zwei junge Frauen mit langen roten Haaren, die in der Sonne kupfern schimmerten, übers ganze Gesicht lachend auf ihn zurannten. Mit weit ausgebreiteten Armen schlossen sie ihn in die ihren, strichen ihm über das Haar und küssten und drückten ihn, wie einen lange vermissten Heimkehrer. Und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich der junge Mann so geborgen, wie noch nie zuvor.

Als er sich Arm in Arm mit seinen Schwestern umdrehte, erkannte er, wie eine weitere Person sich langsam näherte. Erst von Nahem erkannte er, dass es eine junge Frau war, in einem Kleid aus schmuddeligen Sackleinen mit schmutzverschmiertem Gesicht, die Haut unnatürlich blass, mit stechend blauen Augen, die mit ihren blonden, beinahe schon goldenen Haaren atemberaubend schön aussah. Auch sie kam auf ihn zu und gab ihm einen Kuss, allerdings einen ‚richtigen’, nicht so wie sich normalerweise Geschwister oder Bekannte flüchtig küssen würden.

Vorsichtig legte der junge Mann ihr eine Hand in den Nacken, zog sie näher an sich und intensivierte den Kuss. Erst als sie beide kaum noch Luft bekamen, lösten sie sich wieder voneinander. Lange sahen sie sich einfach nur an und Kain glaubte in den blauen Augen zu versinken, die Nicole wie eine Elfe erscheinen ließen. Er glaubte zu platzen, vor Liebe zu ihr. Sanft spürte er ihre Lippen an seinem Ohr und das Gefühl ließ ihn erschaudern, als sie ihm leise ins Ohr flüsterte.
 

„Willkommen Zuhause, Kain.“
 

#+#
 

Mit einem Ruck löste sich das Bild vor seinen Augen auf und bevor er sich versah, saß der junge Mann wieder wohlbehalten auf seinem Stuhl. Sein Herz hämmerte immer noch von dem eben Gesehenen. Er schluckte schwer, als sein Blick wieder klar wurde und in das zufriedene Gesicht der Frau vor sich blickte. Sie lächelte warm und nickte dann kaum merklich.

Seine Stimme allerdings klang belegt als er zu sprechen anfing.
 

„Waren das... meine Schwestern?“
 

„Ja. Das waren Gwendolyn und Gabrielle.“
 

Der junge Mann nickte und wieder fühlte er einen schweren Kloß im Hals. Er hätte niemals gedacht, dass diese Fragen so schwer sein würden.
 

„Würdest du.. Kannst du... Ich meine, gibt es eine Möglichkeit, dass ich mein Gedächtnis an früher wieder zurückerlangen kann?“
 

„Ja.“
 

„Würdest du mir dabei helfen?“
 

Langsam richtete die Frau sich auf, ging um den einfachen Holztisch herum und legte ihre Arme von hinten um den jungen Mann. Als sie sanft ihre Wange an seine legte, begann er sich zu entspannen.
 

„Wenn du möchtest, nehme ich dich mit auf eine Reise durch die Jahrhunderte. Ich kann dir Plätze zeigen, die so viel Geschichte in sich tragen, wie du es noch nie erlebt hast. Wir beide würden ewig leben. Krankheit und Tod könnten dich niemals ereilen und du würdest Kräfte besitzen, von denen andere nur träumen können. Wir werden immer zusammen sein.“
 

„Wird es weh tun?“
 

„Nur, wenn du den Schmerz Macht über dich gewinnen lässt.“
 

„Werde ich Blut trinken müssen?“
 

„Ja. Aber ich habe eine nette kleine Metzgerei um die Ecke entdeckt, die liefern mir seit Wochen schon zuverlässig Blut Freihaus. Du wirst keine Menschen mehr töten müssen.“
 

„Dann will ich es tun.“
 

+#+
 

Wie in Trance nahm der junge Mann die Fangzähne der Frau an seinem Hals war, die erst liebkosend über die Haut strichen und sich dann beinahe zärtlich in sie versenkten. Eine Welle der Erregung durchflutete ihn, als er sein Herz im gleichen Rhythmus schlagen hörte, wie das ihre. Langsam wurde er schwächer. Es würde nur noch wenige Augenblicke dauern, ehe ihn der Tod ereilen würde, da war er sich sicher. Er würde bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken sein und dann langsam vor sich hin vertrocknen.

Er bemerkte es schon fast nicht mehr, als die Zähne sich wieder aus seinem Hals lösten. Eine Reihe Bilder tauchten vor seinem Hinterkopf auf und verschwanden wieder, Bilder von seinen Schwestern, von Menschen aus dem Dorf, von einem Mann aus Detroit der ihn – einen Greis – niederschoss. Er begann sich wieder zu erinnern. Er fühlte die Angst, als die Heilige Inquisition ihn und seine Schwestern aus dem Haus zerrten, spürte die Flammen überall auf seinem Körper, hörte das bedrohliche Knacken der verbrennenden Holzscheite und musste von dem dicken Qualm husten. Er bemerkte wie sich eine brennend heiße Kugel in seine Brust bohrte und ihn taumeln ließ. Und er sah Männer mit Pechfackeln, Rechen und Mistgabeln, die ihn umzingelten, während sein rechter Arm auf dem Rücken verdreht war und das linke Bein gebrochen zu sein schien. Er konnte sich nun wieder an alles erinnern.
 

Doch seine neu errungenen Erinnerungen wurden von etwas gänzlich anderem überschattet. Er fühlte Durst. Quälender Durst breitete sich in jeder Faser seines Leibes aus und ließ ihm die Sinne schwinden. Und dann schmeckte er es. Es war köstlicher als der delikateste Wein, besser als das vorzüglichste Steak und weitaus sättigender als das schmackhafteste Mahl, das er jemals gegessen hatte. Tropfen um Tropfen rann seine Kehle herab, er streckte die Hand aus um die Quelle zu finden und umklammerte das dargebotene Handgelenk; versenkte seinerseits die Zähne darin. Er spürte, wie die Lebensgeister zurückkehrten, das Blut durch seine Adern pulsierte und das Schlagen des Herzens zu einem Trommeln anschwoll. Es war wie Donner. Nur viel tiefer.

Dann plötzlich verschwand die Hand und auch wenn er sie festzuhalten versuchte, schaffte er es einfach nicht sie noch zu erhaschen. Erregt schlug er die Augen auf und erhob sich auf wackeligen Beinen.
 

„Sieh dich in Ruhe um“, ertönte Nicoles Stimme neben ihm. „Die Augen eines Vampirs sehen anders.“
 

Und Kain sah sich um. Er weinte über die Schönheit der Nacht und konnte sich an ihr beinahe nicht satt sehen. Doch schweren Herzens riss er sich los und blickte Nicole an. Ihre Blässe war verschwunden und war durch einen gesunden, braunen Hautton ersetzt worden. Sie sah hübscher aus als jemals zuvor. Liebevoll ergriff er ihre Hand und statt der eisigen Kälte war sie warm und weich geworden. Sie nickten gleichzeitig und mit völlig identischen, fließenden Bewegungen verließen sie das Appartement. Die Welt stand ihnen wieder offen. Nach über dreihundert Jahren würden sie wieder gemeinsam der Zukunft entgegen blicken können.
 

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Uuuuuund Endöö ^^

Also ganz ehrlich, aber ich liebe den Schluss irgendwie, wo die beiden gemeinsam das Appartement verlassen. Es hat etwas richtig befreiendes auch wenn ich es mehr als schade finde, dass die Fanfic hiermit abgeschlossen ist.

Ich hoffe sie hat auch genauso gefallen, wie sie mir Spaß gemacht hat sie zu schreiben.
 

Also dann, wir lesen uns in der nächsten Fanfic. (wenn ihr wollt ^^°)
 

P.S: Kommentare sind wie immer geschätzt und geliebt, ich freue mich über jeden noch so kurzen^^ Und ein kleines Feedback nimmt bei weitem nicht so viel Zeit in Anspruch wie ich für dieses Kapitel investiert habe^^



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von:  psycho-kissen
2009-07-24T10:33:39+00:00 24.07.2009 12:33
uuhh hab grad ma angefangen des zu lesn oo klingt spannend!
hast auch ne geile stimmung geschaffen i-wie xDD konnte mir gut vorstellen wie die da sou stehn und redn oo
werd ma sehn wann ich weiter lesn kann ^-^

kissen
Von:  Mi-Saki
2008-06-23T15:49:48+00:00 23.06.2008 17:49
sooo ^^-
endlich hab ich ne Lücke gefunden und habe das erste Kapitel ein weiteres mal gelesen *o* Und ich muss wieder einmal sagen das ich von deinem Schreibstil begeistert bin

Ich wusste bis dato zwar nicht das du die FF bei mexx hochlädst, aber jetzt weiß ich es ja und kann meinen "senf" dazugeben ^^-
Wobei ich mich echt frage wieso hier kaum einer ein Kommi hinterlässt v.v"

soo~
zu allererst muss ich sagen das ich es interessant finde wenn man als Leser mitten ins Geschehen platzt. oO
Auch wenn es anfangs etwas schwerer ist die Situation zu durchschauen aber ich denke mal darauf basiert der größte Teil der FF ^^- und für mich (und sicher sind da auch mehrere der ansicht) ist es auch okay da es einen hohen Spannungswert erzeugt *o*

ich bewundere den Charakter des "jungen Mannes", dass er ihr direkt folgt um sich ihre Story anzuhören X3 O__O aber sie scheint ja etwas unheimlich anziehendes auszustrahlen~

So wie du die Situationen, Umgebungen sowie Eindrücke beschreibst, kann man sich sehr gut in die Person und die Geschichte hineinversetzen, es ist so als säße man still und live dabei ^.- findet man auch nicht oft
*daumen hoch*

Wenn ich die FF nicht schon gelesen hätte würde ich glatt sagen ich bin gespannt auf das nächste Kapitel *o*
Und das werd ich auch so schnell wie möglich lesen
*knuddel*

Kritik?
Hab ich leider keine oO

Von:  Part-Time-Death_xD
2008-04-09T14:20:14+00:00 09.04.2008 16:20
wieda tollisch gewordn ^.^

ich find des meermädchn interessant, aba wenn die so "kreischn" (erinert mich mehr an todesfee oda furie) kann man dann übahaupt wörter verstehn? Oo des muss ja echt fies sein QQ

...mach schö weita ^^~
Von:  Part-Time-Death_xD
2008-03-06T15:04:42+00:00 06.03.2008 16:04
wow, des is toll geworden ^^
sorry dassich nich scho gestern oda vorgestern n komi geschrieb hab ^^°
ich muss ja selbst auc hschreibn v.v

aba des is ganz ganz toll geworden, wie bissu darauf gekomm??
des mit sodom un gomorra mag ich och ^^
aba wenn des in gomorra war was is mit sodom? Oo
egal, unwichtich
einfach schö weida machn nech
un sach mir wieda bescheid ^.~
Von:  Part-Time-Death_xD
2008-02-09T15:04:31+00:00 09.02.2008 16:04
jop, ein wenig länger......ein wenig mehr länger xDDD
ja nee, is interessant so, geimein och.....lso für sie/ihn....oda doch es...
ich weiß des nie xD

......ich will mich och unsichtbar machen könn :(

äh ja... is tollisch geworden (was anderes wirst du von mir net hören x"D)
freu mich aufs nächste kapi, sachst mir bestimmt wieder bescheid nech ^.^
Von: abgemeldet
2008-01-31T19:42:18+00:00 31.01.2008 20:42
mir hat das kapitel auch sehr gut gefallen <3
ich bin schon gespannt wie es weiter geht, vor allem weil ich bis jetz keine ahnung habe, was zum schluss der erzählung mit dem wesen und dem mann passiert..~
ich freu mich schon auf das nächste kapitel ^^
Von:  Part-Time-Death_xD
2008-01-29T18:52:25+00:00 29.01.2008 19:52
hier kommt ein geschätztes un geliebtes kommi xDD
un ein kurzes ^^°

ich finds wieder toll geworden un total interessant ^^
aba mehr fällt mir iwie net ein ^^°

naja, habs versucht un freu mich aufs nächste kapi ^.^
itterasshai ^.~
Von: abgemeldet
2008-01-21T22:26:46+00:00 21.01.2008 23:26
wie immer faszinierst du mich mit deinen fanfictions..
das ich deinen schreibstil liebe weißt du ja schon, aber die idee zu deiner neuen story ist wirklich gut.. endlich einmal etwas neues, den eine geschichte dieser art hab ich wirklich noch nicht gelesen..^^
und ich bin mir sicher dass du das thema auch weiterhin gut umsetzen wirst..
ich freu mich schon auf die nächsten kapitel <3

ich würde nur zu gern wissen, was meine religionslehrerin hierzu sagen würde xD
Von:  Part-Time-Death_xD
2008-01-04T20:11:26+00:00 04.01.2008 21:11
OO......wow, des ende is n bissel ekelhaft, aba insgesamt isses toll^^
un ich dacht scho ich denk wieder in die falsche richtung als ich nachm ersten kapi dachte sie/oda er oda auch nixvon beidem (xD) sei der tod ^^

ich find die art wie du schreibst so toll un ich freu mich aufs nächste kapi ^^

ps: würd mich noch mehr freun wenn du mir bescheid sachst ^^~
Von:  Part-Time-Death_xD
2007-12-26T16:28:28+00:00 26.12.2007 17:28
geil xD
ich kann mir die frau bildlich vorstellen obwohls da ja nich viel vorzustellen gibt ^^°

ich freu mich auf kapi 2 ^^~

ps: hätte aba kein problem damit wenn zuerst kapi 19 von schlimmer gehts immer kommt ^.~


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