Schritt für Schritt
Sooo, diesmal präsentiere ich euch das neue Kapitel ohne lange Vorrede, dafür aber mit einem extra lieben Gruß an Zoso und die anderen Kommischreiber!
Ich bin nach wie vor ganz begeistert, wie viele treue Leser ich doch habe, und muss euch doch jetzt mal gestehen, dass ich ohne euch schon längst aufgehört hätte, an dieser Endlosgeschichte weiter zu schreiben.
Ihr seid fabelhaft, alle miteinander!
moko-chan
Dean starrte blicklos an die gegenüberliegende Wand und versuchte, sich zu konzentrieren, versuchte, sich daran zu erinnern, was genau Bobby ihm über böse Zwillinge erzählt hatte, wo zum Henker der Fehler in seiner Vorgehensweise lag.
Er hatte Sam einen Spiegel vorgehalten, hatte ihn bei seinem Namen genannt – allzu viel konnte man da doch eigentlich nicht falsch machen.
Dean hörte Sam leise lachen und musste sich doch schwer zusammenreißen, ihm keine zu verpassen.
„Sei still!“ brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und ließ beinahe den Spiegel fallen, als Sam einen energischen, wenn auch erfolglosen Versuch unternahm, ihn zu treten.
Der Stuhl knarrte hilflos unter Sams gewalttätiger Attacke, hielt ihr jedoch grimmig stand, und Dean atmete auf.
Welch ein Glück, dass er daran gedacht hatte, Sams enorm lange Beine genau so an den Stuhl zu fesseln wie seine Arme und Hände.
„Was auch immer du vorhast“, Sams Stimme klang weniger amüsiert als herablassend, „wird nicht funktionieren. Ich bin weder besessen noch sonst irgendwas, Dean. Gott, ich hätte wissen sollen, dass du überreagieren würdest, bloß weil ich mich nicht mehr wie ein verdammter Hund von dir herumkommandieren lasse!“
Dean machte sich nicht die Mühe, Sam daran zu erinnern, dass er keineswegs überreagierte – Sam hatte ihn verdammt noch mal gewürgt – aber er hatte die dunkle Ahnung, dass Arschloch-Sam selbst dafür irgendeine abstruse Erklärung finden würde.
Er durfte sich nicht von ihm ablenken lassen.
Böse Zwillinge … Spiegel … bei ihrem Namen nennen …
Deans Kopf rauchte.
Es war kein Zufall, dass Sammy für gewöhnlich für die Denkaufgaben zuständig war.
Und dann stand Sam plötzlich vor ihm – über ihm, weil er so viel größer war – und verdammt, warum hatte er nicht daran gedacht, Sam nach Messern zu durchsuchen?
Es war doch vollkommen selbstverständlich, dass auch Sams böser Zwilling wusste, wie man sich in einer Notsituation von seinen Fesseln befreite, ohne die Aufmerksamkeit des Gegners auf sich zu lenken.
Der Spiegel fiel aus seinen Händen zu Boden, zerbarst in Dutzende von Scherben, und Dean taumelte ganz automatisch – wenn auch reichlich unelegant – rückwärts, um sich nicht zu schneiden, während Sam in eindeutig bedrohlicher Haltung auf ihn zu kam und das Knirschen der Scherben unter seinen Füßen nicht einmal peripher wahrzunehmen schien.
Dean unterdrückte ein gequältes Stöhnen.
Er war müde, alles tat ihm weh, und … und er wollte seinen Sammy wieder haben.
Wieso musste er sich denn jetzt schon wieder mit ihm prügeln?
Hatte er in der letzten Zeit irgendwas gemacht, um die rachelüsterne Irre mit dem Laptop zu verstimmen?
Der Gedanke verflüchtigte sich, wurde gleichsam aus Dean herausgeschlagen, als Sams Faust sein Kinn traf und er mit dem Rücken an die Badezimmertür knallte.
Wie oft denn noch?
Dean tauchte nach unten links ab, wich einem weiteren wuchtigen Schlag aus, und er war sich ziemlich sicher, dass Sams Faust eine Delle in der billigen Holzverkleidung der Tür hinterlassen hatte – zumindest wenn man dem dumpfen Knall und Sams verbissenem Grollen auch nur ein kleinwenig Vertrauen schenken durfte.
Dean nutzte den Moment, in dem Sam von dem pochenden Schmerz in seiner Hand abgelenkt war, duckte sich und rammte Sam mit seiner rechten Schulter in den Magen.
Sam keuchte, fiel hintenüber und Dean landete mit ihm mitten in den Scherben des zerbrochenen Spiegels.
Oh Gott, hoffentlich hatte Sam sich nicht ernsthaft verletzt.
Dean riss die Augen auf und hob den Kopf, starrte Sam ins Gesicht, um zu überprüfen, ob er bei Bewusstsein war, und Sam WAR bei Bewusstsein, starrte zurück und Dean schluckte trocken.
Er versuchte, sich aufzurichten, seine Handflächen kamen in Kontakt mit einigen der Spiegelscherben, die sich sofort in sein Fleisch bohrten, und er zuckte zusammen, dann legten sich Sams Hände um seinen Hals.
Schon wieder.
„Du hättest mich ausschalten sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest“, drang Sams eiskalte Stimme an sein Ohr, und Dean hätte jetzt nur zu gern einen unpassenden Scherz gemacht, aber erstens fiel ihm keiner ein, und zweitens glaubte er nicht, dass er auch nur einen Ton herausbringen hätte können, selbst wenn er es gewollt hätte.
Sams riesige Hände umspannten seinen Hals vollständig, und Deans Blick waberte für einen kurzen Augenblick von Sams Gesicht weg und zu den Spiegelscherben, die um dessen Kopf herum lagen.
Er erblickte sich selbst, seine Augen weit aufgerissen und blutunterlaufen, dann schlossen Sams Hände sich fester um seinen Hals, Dean gab einen erstickten Laut von sich, und endlich, endlich fiel ihm ein, was er falsch gemacht hatte.
Er musste den bösen Zwilling bei SEINEM Namen nennen – nicht bei Sams.
Zumindest hoffte er, dass es das gewesen war.
Seine rechte Hand schloss sich um eine etwas größere Scherbe, er ignorierte die Wärme seines Blutes, als sie durch seine Haut schnitt, und hob sie in die Höhe und vor Sams Augen.
Das Problem war jetzt nur, dass er nicht wirklich dazu in der Lage war, überhaupt irgendwas zu sagen, geschweige denn den Namen von … Arschloch-Sam.
Dean gurgelte leise, seine Lippen formten ein Wort, und Sam zog ihn tatsächlich dichter an sich heran und lockerte den Griff um seine Luftröhre.
„Ein paar letzte Worte?“
Dean verschwendete keine Zeit und sprudelte sofort das eine Wort heraus, von dem er glaubte, dass es seine Probleme lösen konnte: „Lemuas!“
Sam blinzelte verwirrt, und Dean korrigierte sich hastig: „Leumas!“
Sam zuckte zusammen, seine Hände fielen von Deans Hals und sein Blick war wie an sein Spiegelbild in der Scherbe in Deans Hand gefesselt.
„Leumas“, wiederholte Dean etwas sanfter und war dankbar über jedes Bisschen Luft, das zurück in seine Lungen strömte.
„Leumas.“
Er wiederholte den Namen immer und immer wieder, bis Sams Blick schließlich leer wurde, seine Pupillen sich weiteten, als sei er betrunken und sein Mund sich zu einem tonlosen „Oh“ öffnete.
„Dean?“
Ja, das klang wieder nach seinem Sammy.
„Hast du dir wehgetan?“ fragte er rau – seine Stimmbänder schmerzten – und Sam schüttelte den Kopf und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
„Was ist passiert?“
Dean erwiderte nichts, stand auf und reichte Sam eine helfende Hand, um ihn auf die Beine zu ziehen.
„Du erinnerst dich nicht?“ fragte er schließlich, trat hinter Sam, um seinen Rücken auf Schnittverletzungen zu inspizieren und war erleichtert, davon nur wenige zu entdecken.
Sam drehte sich zu ihm um, sein Gesichtsausdruck ein Ebenbild höchster Verwirrung, und Dean fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
Jetzt war keine Zeit für große Erklärungen.
Sie mussten zu diesem verdammten Jahrmarkt fahren, das Spiegelkabinett zerstören und herausfinden, wer für diese ganze Misere verantwortlich war.
Dean trommelte mit den Fingern rhythmisch aufs Lenkrad des Impalas, konzentrierte sich verbissen auf die Klänge von Blue Öyster Cult’s „Psychic Wars“ und nicht etwa auf den pochenden Schmerz, der von seinen zerschnittenen Handflächen ausging – oder auf Sams fragenden Hundeblick, der sich seit mindestens zehn Minuten beständig in seine rechte Gesichtshälfte fräste.
„Was … was ist das da an deinem Hals?“ wagte Sam schließlich zu fragen, und Dean schluckte unbehaglich und biss die Zähne zusammen.
„Fingerabdrücke“, antwortete er leise und fasste das Lenkrad des Impalas noch ein wenig fester, was dumm war, wirklich dumm. Blöde Schnittwunden.
„Hab – hab ich das getan?“
Sams Stimme war tonlos, und Dean konnte nicht wirklich sagen, was in ihm vor sich ging, dann BEFAHL Sam ihm plötzlich, sofort anzuhalten.
Dean drehte ihm den Kopf zu, starrte ihn an, und Sam starrte ernst zurück, und wiederholte den Befehl. „Halt sofort an!“
Dean war zu perplex, um sich zu widersetzen, fuhr rechts ran und brachte den Motor des Wagens zum Stillstand.
„Was ist denn los?“ fragte er ungeduldig, und japste überrascht, als Sam seine Arme um ihn schlang und ihn an sich zog.
„Es tut mir so leid … so leid …“
Diesmal war Sams Stimme alles Andere als tonlos, sie war belegt und tränenerstickt und Dean musste einmal tief durchatmen, als er den Beweis dafür, dass Sam tatsächlich weinte, an seiner Halsbeuge spürte.
Er hob die Hand, um Sam beruhigend im Nacken zu kraulen und erwiderte nichts, wusste nicht, wie er Sam trösten sollte.
Dabei war es doch gar nicht Sams Schuld.
Dean schlang seinen freien Arm um Sams Rücken und hielt ihn fest, während er sein Gesicht in Sams Haar vergrub.
„Es ist ok, Sam. Es geht mir gut“, brachte er schließlich mit überraschend fester Stimme heraus, und Sam schüttelte den Kopf und presste sich enger an ihn.
„Ich hab dir wehgetan …“
Dean blinzelte krampfhaft. Das hier erinnerte ihn viel zu sehr an die Nacht, in der er besessen gewesen war, an die Nacht in der er Sam wehgetan hatte.
„Dann sind wir jetzt wohl quitt“, versuchte er zu scherzen, und Sam hob den Kopf und blickte ihn aus tränenverhangenen Augen an. „Was?“
„Dann sind wir jetzt quitt“, wiederholte Dean leise und strich Sam eine Träne aus dem Augenwinkel. „Mach dich deswegen nicht so fertig, Sammy.“
„Aber … aber ich …“
Sam weitete seine feuchten Augen ein wenig, als Dean ihn mit einem Kuss zum Schweigen brachte und dann höchst überflüssiger Weise „Halt die Klappe, Sammy“ hinzufügte.
„Entweder wir tragen Beide die Schuld an diesem … Vorfall – oder keiner von uns. Hast du mich verstanden?“
Sam nickte perplex, und Dean drückte ihm befriedigt einen weiteren sanften Kuss auf.
„Gut. Können wir dann weiter fahren? Ich verspüre das dringende Bedürfnis, ein paar enorm große Spiegel kaputt zu machen. … Wie viele Jahre Pech das wohl nach sich ziehen wird?“
Sam blieb, wo er war – nämlich quasi auf Deans Schoß – und schmiegte sich an ihn.
„Ich liebe dich.“
Dean lächelte ein wenig, strich Sam eine Strähne braunen Haars aus der Stirn, zögerte einen Moment, dann drückte er seinen Mund auf Sams, schlang beide Arme um ihn und verlangte mit der Zungenspitze sanft Einlass zwischen Sams weiche Lippen.
Sam öffnete sofort den Mund für ihn und ließ sich küssen, war in der Tat so devot und willig, dass Dean ein kleinwenig wärmer wurde.
Er ließ seine Zunge um Sams gleiten, griff mit beiden Händen in Sams Hemd, um sich selbst davon abzuhalten, sie ihn tiefere Gefilde gleiten zu lassen, und Sam stöhnte leise in seinen Mund, legte beide Hände gegen seine Brust und fing an, ihn zu streicheln.
Dean war noch nie in kürzester Zeit so unglaublich heiß geworden.
Er löste seinen Mund mit einem leisen Schmatzen von Sams und stöhnte unterdrückt auf, als Sam ein unzufriedenes Wimmern von sich gab und versuchte, ihre Lippen wieder zueinander finden zu lassen.
„Sammy …“
Sams Augen flatterten offen, er blickte Dean verklärt an, und der musste sich räuspern.
„Jetzt nicht.“
Sam wurde ein wenig rot. „Aber … ich … ich will …“
Dean nickte. „Ich auch. Aber wir haben jetzt keine Zeit.“
Sams Blick wurde flehend. „Nur noch ein wenig?“
Deans Lippen fanden wieder die seinen, und Sam öffnete sofort den Mund für Deans Zunge.
Er brauchte diese Zärtlichkeiten als Beweis, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war, dass Dean ihn nicht allein lassen würde, dass er damit umgehen konnte, mit … mit jemand Anderem geschlafen zu haben.
Seine Hände fanden Deans Hüften, und er hielt sich an ihm fest, während Deans Zunge seine Mundhöhle in Besitz nahm und sie erforschte, als küssten sie sich zum allerersten Mal.
Sam spürte, wie sich eine Emotion in seiner Magengegend ansammelte, von der er nicht eindeutig sagen konnte, was sie war, aber sie trieb ihn dazu, Dean immer gieriger und doch vollkommen unterwürfig zu küssen.
Es war erst, als Deans Kehle ein unbeherrschtes Grollen entkam, dass Sam bemerkte, wie sehr er sich hatte gehen lassen.
Dean schob ihn erneut von sich, und wieder versuchte Sam, den Kontakt ihrer Lippen nicht abreißen zu lassen.
Seine Hände glitten von Deans Hüften auf seinen Hintern, er drückte eher flehend als sanft zu, und Dean verkrampfte sich und schüttelte unbewusst den Kopf. „Nein.“
Sam hatte das Gefühl, zu ersticken.
„Hör auf, Sammy. Hör sofort auf.“
Deans Stimme klang beherrscht – viel zu beherrscht – und Sam schluckte und zog nervös die Unterlippe hoch. „Entschuldige bitte.“
Dean kniff ihn in die Nase und ein Großteil von Sams Anspannung fiel von ihm ab.
„Schon gut. Aber jetzt rutsch rüber und lass mich weiter fahren. Wir haben einen Job zu erledigen. Die Knutscherei müssen wir – leider – auf später verschieben.“
Sam errötete erneut und nickte, und Dean wuschelte ihm verspielt durchs Haar.
„Na dann los.“
Dean wartete, bis Sam wieder auf seine Seite der Sitzbank gerutscht war, dann startete er den Motor des Impalas, drehte die Musik ein wenig lauter und fuhr weiter.
Äußerlich war er vollkommen ruhig, aber Sam hatte genug Übung darin, seine Präsenz zu spüren und zu lesen, um sich dadurch etwas vormachen zu lassen.
Die Dinge zwischen ihnen waren alles Andere als in Ordnung.