Der Hunger nach Leben
Ich wünsche euch einen wunderschönen Sonntag, liebe Leser!
Meinen Filmvorschlägen vom letzten Donnerstag möchte ich heute den grandiosen Streifen „Die Hard 0.4“ hinzufügen! Bruce ist herrlich, Justin auch und in den Extras auf der DVD zitieren sie sogar „Brokeback Mountain“!!!
Sowieso und überhaupt habe ich beim Ansehen dieses Machwerkes mal wieder die Zeichen gesehen. Bruce hört Creedence, LAUT, sein Auto grollt gar fabelhaft, und natürlich hat er Angst vorm Fliegen. Erinnert euch das an irgendwen? Also mich schon.
Unbedingt gucken, kann ich da nur sagen!
Und jetzt hinein ins Lesevergnügen!
Dean atmete ganz bewusst ein und wieder aus und starrte auf seine verkrampften Hände am Lenkrad des Impalas.
Er war sich darüber im Klaren, dass seine Reaktion möglicherweise übertrieben war, dass es vernünftiger wäre, ruhig zu bleiben – aber das eben?
So etwas erwartete man nicht, nicht einmal in ihrem Beruf.
„Dean?“
Er spürte Sams Hand auf seiner Schulter, spürte den warmen, sanften Druck seiner Finger durch den Stoff seines Anzugs, und das Gefühl von Übelkeit in ihm ließ ein wenig nach.
Er brauchte keinen Seelenklempner, um zu begreifen, wie wichtig Sam für sein geistiges Wohlbefinden war – vom körperlichen mal ganz abgesehen.
Dean schloss für einen Moment seine Augen und gestand sich zögerlich ein, dass er vermutlich nie abgehärtet genug sein würde, um mit diesem Mist allein umgehen zu können.
„Dean?“
Das Mädchen war erst sieben Jahre alt!
Hannah war sieben Jahre alt.
Dean spürte Sams Daumen über seine Schulter streichen, und er schlug die Augen wieder auf und sah ihn an.
„Ich denke, diese Angelegenheit fällt in unser Metier.“
Wenn ein siebenjähriges Mädchen ihren Hund mit einem Brieföffner aufschlitzte, nur um das bei ihren Eltern zu wiederholen, als die dazwischen gingen und das arme Tier zu retten versuchten, dann fiel das ganz eindeutig in ihr Metier.
Sam nickte, ließ seinen Blick behutsam suchend über Deans Züge gleiten, und der schlug automatisch die Augen nieder.
„Ich bin ok.“
Hatten sie das nicht erst kürzlich mit umgekehrter Rollenverteilung gehabt?
Sams Augen verengten sich zu Schlitzen, und er erhöhte den Druck seiner Finger auf Deans Schulter.
„Du bist nicht ok.“
Dean schnaubte ungeduldig.
„Du hast Recht, ich bin nicht ok. Ich werde es aber sein, wenn wir das, was für diesen Mist verantwortlich ist, gefunden und vernichtet haben.“
Sam lächelte gezwungen.
„Ok. Das klingt vernünftig.“
Dean fing wieder an, sich auf seine Atmung zu konzentrieren, und Sam fuhr damit fort, mit dem Daumen über seine Schulter zu reiben.
Sam wusste, dass Kinder Deans Schwachpunkt waren, dass Dean demzufolge einen Moment brauchte, um sich zu beruhigen und den Bericht, den Kathy Springer, die sechzehnjährige Schwester des „Opfers“ ihnen abgegeben hatte, zu verdauen.
Sie war das einzige Mitglied der Familie, das nicht mit dem Brieföffner attackiert worden war, und lebte nun vorübergehend allein unter der sporadischen Aufsicht ihrer Großeltern in dem großen Einfamilienhaus, besuchte abwechselnd ihre Schwester in der geschlossenen Abteilung des Krankenhauses und ihre Eltern auf der Intensivstation.
„Soll ich fahren?“ fragte Sam leise, als Dean auch nach fünf Minuten noch keine Anstalten machte, den Impala von der Stelle zu bewegen, und Dean nickte und stieg aus.
Sam war sehr, sehr besorgt.
Er ließ sich das jedoch nicht anmerken, stieg ebenfalls aus dem Wagen und umkreiste ihn um die Motorhaube herum, während Dean den Weg um das Heck angetreten hatte.
Sie ließen sich gleichseitig wieder in die Sitze sinken, schlugen die Türen hinter sich zu, Sam legte seine Hände ans Lenkrad und zögerte.
Das letzte Mal, als er gefahren war, hatte er sie … Moment, das stimmte ja gar nicht.
Das letzte Mal, hatte er den Impala am Tag der Hochzeit gefahren, um ihn zu parken. Es machte also keinerlei Sinn, jetzt irgendwelche Zweifel an seiner Befähigung, den Wagen von A nach B zu bewegen, zu entwickeln.
Sam startete den Motor und ließ langsam die Kupplung kommen, hoffte, dass das sanfte Grollen des Impalas die düstere Aura, die Dean vom Beifahrersitz aus verströmte, zerstreuen würde, dann brachte er einen angemessenen Abstand zwischen den Wagen und den Bürgersteig und fuhr langsam davon.
Dean neben ihm schwieg verbissen, hatte sogar die Arme vor der Brust verschränkt, um auch optisch deutlich zu machen, was Sam schon allein dem Gespür für Deans Präsenz entnahm – dass Dean ungesund tief in unangenehme Gedanken versunken war, und er ihm um Himmels Willen bloß nicht ansprechen sollte.
Sam zog zunächst nervös die Oberlippe hoch, um sich anschließend auf die Unterlippe zu beißen, und sie verbissen schweigend zu ihrem Motel zu fahren.
Er hielt es für ausgemacht, dass sie heute kein weiteres Recherche-Gespräch mehr führen würden – nicht auf die eminente Gefahr hin, dass Deans Stimmung sich noch weiter verschlechterte.
Das Radio war aus, Dean schwieg, Sam schwieg, die Stille war alles Andere als angenehm, dann seufzte Dean leise und Sam spürte, wie die unerträgliche Anspannung in ihm ein wenig nachließ.
Scheinbar hatte Deans grenzenloser Optimismus doch noch die Oberhand über seinen Missmut gewonnen und Deans ohnmächtigen Zorn über das Schicksal des unschuldigen siebenjährigen Mädchens mit dem Brieföffner vorübergehend in die Knie gezwungen.
„Hast du Hunger?“ erkundigte Sam sich leise bei ihm, und als Dean etwa zehn Sekunden lang nicht antwortete, wollte Sam schon beginnen, sich wieder Sorgen um ihn zu machen.
„Ja“, sagte Dean dann, „tierisch“, und Sam konnte sich wieder entspannen.
„Da vorne ist ein Chinese.“
Dean deutete nicht etwa auf einen Menschen aus dem Land der aufgehenden Sonne, nein, er deutete auf ein Schild, das auf ein Schnellrestaurant der gleichen Nationalität aufmerksam machte, und Sam nahm die nächste Abfahrt.
Sam ließ das leise Rascheln, das Dean im Hintergrund mit der Pappverpackung seiner Ente süßsauer veranstaltete, beruhigend auf sein Nervenkostüm wirken, und klappte seinen Laptop auf.
„Dude, du kannst unmöglich schon satt sein“, ließ sich Dean vernehmen, und Sam hätte jetzt argumentieren können, dass ihr aktueller Fall ihm den Appetit verdorben habe, das wäre jedoch ein wenig taktlos gewesen, also schwieg er und setzte das Gerät in Betrieb.
„Willst du die letzte Frühlingsrolle?“
Dean tauchte an Sams rechtem Ellenbogen auf und hielt ihm die entsprechende Pappverpackung unter die Nase.
„Nein danke“, lehnte Sam höflich ab und zuckte zusammen, als Dean ihm völlig unvorhergesehen in die Seite zwickte.
„Dude, du musst mehr essen. Nimm gefälligst die letzte Frühlingsrolle.“
Dean klang, als empfinde er es als eine persönliche Beleidigung, dass Sam sein großzügiges Angebot ausgeschlagen hatte, aber Sam hatte erstens keinen Hunger und war zweitens nicht in der Stimmung, auf diesen Tonfall einzugehen.
„Nein danke“, wiederholte er also bestimmt, und versuchte zu ignorieren, dass Dean neben seinem Stuhl in die Hocke ging und beunruhigt zu ihm aufsah.
„Ist dir schlecht oder so?“
Also, das war doch …
Sam schob seinen Computer beiseite, drehte sich auf dem Stuhl zu Dean um und sah ihm ernst in die Augen.
„Was wird das hier? Du hast dich doch noch nie für meine Ernährung interessiert und jetzt machst du plötzlich ein Gewese darum, als ob -“
Sam hielt inne und sah Dean scharf an.
„Das hat doch jetzt nichts mit unserem Fall zu tun, oder? Damit, was Kathy Springer uns erzählt hat? Dass sie der Kleinen so wenig Beachtung geschenkt hat, dass sie jetzt nicht einmal sagen könnte, was das Lieblingsessen ihrer Schwester ist?“
Deans Augen nahmen einen verletzten Ausdruck an, und Sam riss ihm die Pappverpackung aus der Hand.
„Gib her, du Idiot.“
Sam stopfte sich die Frühlingsrolle in den Mund, und kaute gründlich, während er die Verpackung auf den Tisch neben seinen Laptop stellte.
Er ließ Dean keine Sekunde aus den Augen, und war einigermaßen erleichtert, als dessen Gesichtsausdruck wieder in Richtung neutral ging.
Wenn es um kleine Kinder oder Geschwisterbeziehungen ging, tendierte Dean ganz eindeutig zu Übertreibungen.
Die Frühlingsrolle war schließlich vernichtet, und Sam begann zu überlegen, wie er Dean am Besten aus seiner Depression herausdiskutieren sollte.
„Dean“, fing er also an, und Dean stand prompt wieder auf.
„Komm mir nicht mit ‚Dean’.“
Sam blinzelte irritiert.
„Aber so heißt du doch!“
Dem konnte Dean jetzt wohl kaum widersprechen.
„Es geht um deinen Tonfall, Sammy – ich hasse es, wenn du meinen Namen aussprichst, als hätte ich nicht mehr alle Zacken in der Krone. Ich hab dir doch gesagt, dass ich ok bin.“
„Du hast für mich auf die letzte Frühlingsrolle verzichtet!“ platzte es aus Sam heraus, als sei das gleichbedeutend mit einer Naturkatastrophe mittleren Ausmaßes – was es ja auch irgendwie war, „Also versuch gefälligst nicht, mir einzureden, dass mit dir alles in Ordnung ist, das ist es nämlich NICHT.
Deine Präsenz fühlt sich momentan an, als seiest du im Begriff, dich in Wohlgefallen aufzulösen! Hast du eine Ahnung, wie es für mich ist, wenn du so bist?“
Dean starrte Sam aus großen Augen an, und dem fiel auf, dass er ein kleinwenig laut geworden war.
„Entschuldige“, sagte Dean dann leise, und er hätte Sam auch genauso gut für den Hunger auf der Welt verantwortlich machen können, die Wirkung wäre in etwa die Selbe gewesen.
Sam fühlte sich schuldig, weil Dean verdammt noch mal geklungen hatte, als sei er völlig am Ende; wegen des Falles, weil er Sam Sorgen machte, und weil Dean sowieso immer meinte, dass alles seine Schuld sei.
Sam stand von seinem Stuhl auf, machte einen hastigen Schritt auf Dean zu und nahm ihn in die Arme, und Dean blinzelte über seine Schulter hinweg, unternahm jedoch keinen Versuch, sich von Sam loszumachen.
„Entschuldige dich nicht. So hab ich das nicht gemeint“, sagte Sam leise und drückte Dean fest an sich, „Entschuldige dich nicht …“
Dean hielt eine Weile still, dann schnaufte er und drückte Sam ein Stücken von sich, um zu ihm aufsehen zu können.
„Sammy, das gibt 5 Punkte Abzug auf der Männlichkeitsskala.“
Sam zog eine genervte Grimasse und löste sich von ihm, um sich wieder ins Angesicht seines Laptops zu begeben, und er hatte soeben seine Suchmaschine in Gang gesetzt, da tauchte Dean wieder an seinem rechten Ellenbogen auf.
„Es ist noch Huhn da.“
„Das ist doch ein schlechter Witz, oder?“
Sam schluckte unbehaglich und schüttelte den Kopf.
„Ich fürchte, nein.“
Drei Tage waren seit ihrem Gespräch mit Kathy Springer vergangen, Sam hatte sich fast zu Tode recherchiert, und was er im Laufe seiner Recherche herausgefunden hatte, konnte einem die Haare zu Berge stehen lassen.
Dean fluchte und trat gegen das Tischbein, so dass der Laptop und Sams Kaffeebecher synchron erbebten.
Unter anderen Umständen hätte Sam sicherlich die dadurch entstandenen perfekten konzentrischen Kreise in seinem entkoffeinierten Heißgetränk bewundert, unter diesen Umständen bemerkte er sie jedoch nicht einmal.
„Siebenundachtzig Menschen? Seit zehn Jahren? Bist du sicher?“
Sam hätte nur zu gerne verneint, aber da er ein ehrlicher Mensch war, konnte er nur nicken.
„Das kann kein Dämon sein …“
Dean klang, als sei er nicht länger sicher, ob er darüber glücklich sein sollte.
„Und das sind nur die, die auffällig geworden sind“, murmelte Sam bedrückt, „Wenn wir davon ausgehen, dass es ein schleichendes Phänomen ist, können noch weitaus mehr Menschen betroffen sein.“
Dean trat erneut das unschuldige Tischbein, und Sam ließ ihn stillschweigend gewähren. Er hätte jetzt auch gern jemanden getreten.
„Hast du diesmal irgendwelche Gemeinsamkeiten feststellen können?“ erkundigte sich Dean mit einem Hauch von unterdrückter Hoffnung in der Stimme, und als Sam erneut mit dem Kopf schüttelte, und Dean seinem hilflosen Zorn durch einen weiteren, festen Tritt gegen das Tischbein Luft machte, ertönte ein verdächtiges Knacken.
„Ich glaube, jetzt hast du den Tisch kaputt gemacht“, stellte Sam gleichgültig fest, und Dean zuckte lediglich mit den Schultern, dann begann er, im Zimmer auf und ab zu laufen.
„Wir müssen etwas übersehen haben … irgendeine Gemeinsamkeit … vielleicht ein Ort, an dem sich alle aufgehalten haben … ein Restaurant … oder ein verdammter Frisörsalon … oder … oder …“
„Ein Jahrmarkt.“
Dean hatte selten diesen Unterton von Abscheu in Sams Stimme vernommen, er blieb stehen, wandte sich zu ihm um und meinte, eine Veränderung in Sams Gesichtsausdruck feststellen zu können.
„Was gefunden?“
Sam nickte geistesabwesend, starrte konzentriert auf den Bildschirm vor sich, und die Art, wie sich das Leuchten des Monitors in seinen Augen spiegelte, konnte als unheimlich bezeichnet werden.
Dean setzte sich in Bewegung und postierte sich hinter Sam, legte ihm die Hand auf die dazu einladende rechte Schulter, beugte sich über die Linke und las, was ihm der Laptopbildschirm anbot.
„So langsam“, murmelte er, „bin ich versucht zu glauben, dass Vergnügungseinrichtungen jeglicher Art das Böse entweder anziehen, oder aber der Ursprung allen Übels sind.“
Sam, der in seinem Onlineartikel soeben über das Bild eines Clowns gestolpert war, tendierte eher dazu, an Letzteres zu glauben.
„Kathy hat erzählt, dass sie Lindseys siebten Geburtstag dort gefeiert haben“, brummte Dean bemüht gleichgültig, und Sam sah ernst zu ihm auf.
„Dann sollten wir herausfinden, ob die anderen Opfer auch dort waren. Es ist der einzige Anhaltspunkt, den wir bisher haben.“