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Tearsong

von

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Grasland/Freunde/Krankheit

Gugliemo war glücklich. Eigentlich war Gugliemo immer glücklich, aber heute war er besonders froh. Er hatte wieder einen Schatz gefunden, und diesmal war es ein ganz besonderer Schatz. Die Alten würden stolz auf ihn sein, wenn er ihnen seinen schönen neuen Schatz zeigte. Schön war dieser Schatz wirklich, schöner als alles, was er bisher gefunden hatte. Naja, vielleicht war der Kristall, den er im letzten Sommer gefunden hatte schöner, aber dieser neue Schatz atmete sogar, er lebte. Das war viel wichtiger als das Funkeln eines Kristalls in der Sonne. Gugliemo hatte großes Glück gehabt, daß er diesen Schatz noch lebendig hatte mitnehmen, hatte retten können. Schlinggras tötet zwar nicht immer schnell, aber sicher. Wenn die Verdauung schon eingesetzt hätte, wäre sein schöner Schatz verloren gewesen. Aber so hatte er ihn retten können, seinen schönen Schatz. Gugliemo sah zur Sonne auf. Sie stand schon sehr hoch, er würde sein Dorf also frühestens bei Sonnenuntergang erreichen. Hoffentlich hielt sein Schatz solange durch. Nur sein Stamm war immun gegen das Gift der Schlinggraspflanze, nur für die Grastänzer war dieses lästige Unkraut keine Gefahr. Gugliemo mußte sich einen Moment ausruhen, sein Schatz war zwar wunderschön, aber auch schwer. Er ließ sich vorsichtig im hohen Gras nieder und bettete seinen Schatz behutsam mit dem Kopf auf den Beutel, den er auch gefunden hatte. Den merkwürdigen Stock, der Musik machte, wenn man ihn schwang, legte er beinahe ehrfurchtsvoll neben sie. Dieser Stock mußte starke Magie besitzen, denn er hatte seinen Besitzer geschützt, indem er ihn, Gugliemo, gerufen hatte, um den Schatz zu retten. Natürlich konnte es auch Zufall gewesen sein, daß der hübsche Stock sich so in der Pflanze verhakt hatte, daß er fast ständig in Bewegung war und deshalb klagende Töne von sich gab. Aber für Gugliemo war es Magie.

Er nutzte seine Rast, um sich seinen schonen Schatz noch einmal genauer anzusehen. Sein Schatz hätte fast eine Elfe sein können, wenn er nicht so groß gewesen wäre. Gugliemo schätzte, daß er seinem Schatz etwa bis zur Brust reichen würde, wenn dieser aufrecht stand. Vielleicht war sein neuer Schatz eines dieser "großen Wesen", von denen die Alten manchmal am Lagerfeuer erzählten. Aber dann hätte der Schatz fünf Finger an jeder Hand haben müssen, nicht nur vier wie er, wie alle Elfen. Außerdem waren die Ohren nicht rund, wie es die Alten erzählt hatten, sondern spitz, wie die seinen. Aber das Wesen konnte keine Elfe sein, denn seine Haut war weiß wie Ziegenmilch, und nicht vom Grün des Grases. Alle Elfen waren Grastänzer, und alle Grastänzer hatten grüne Haut, um sich im Gras ihrer Heimat verbergen zu können. Also konnte dieses weißhäutige Wesen keine Elfe sein.

Irgendwie hatte Gugliemo das Gefühl, daß in seiner Logik ein Fehler lag. Schulterzuckend nahm er seinen schönen Schatz wieder auf die Arme, um seinen Weg fortzusetzen. Grastänzerlogik war nicht immer logisch, aber sie das einzige, was er je kennengelernt hatte.

Er erreichte das Dorf der Grastänzer in jener magischen Zeit des Tages, in der sich die Sonne und die zwei Monde den Himmel noch teilten, im Zwielicht der Abenddämmerung. Ihm war, als höre er von fern eine Art Musik, ein Lied, aber es war kein Lied, wie die Grastänzer es kannten, und dennoch kam es ihm vertraut vor. Aber er hatte keine Zeit, nach dem Ursprung dieser Musik zu suchen, denn seinem Schatz ging es jetzt sehr schlecht. Zum ersten Mal in seinem jungen Leben hatte Gugliemo Angst, einen seiner Schätze nicht an andere Stammesmitglieder, sondern an den Tod zu verlieren. Gugliemo kümmerte sich nicht um die neugierig zusammengelaufenen Menge, die ihn umringte, als er heimkam. Er ging geradewegs zum Herbadoms, zur Grashütte, des Heilers. Dabei bewegten sich seine Lippen in einem stummen Gebet zu den Grasgöttern, seinen Schatz nicht sterben zu lassen.
 

Tearsong träumte:

Sie schritt durch eine leere Ebene, aber die Ebene war nicht leer, sondern bevölkert von Erinnerungen. Und es waren keine Erinnerungen wie Bilder, sondern es waren Lieder, einzelne Themen, die aber alle zu einer Melodie zu gehören schienen. Sie hörte Blackfeather Seelenlied, aber als sie zur Antwort das ihre singen wollte, schien es nicht zu passen. Es paßte nicht, weil es nicht mehr Blackfeathers Seelenlied war, was sie hörte, sondern eine Melodie voller Gewalt, voller Schmerz. Es war Shadoweyes Lied, das Lied, das sie von ihm am Abend nach Blackfeathers Tod gehört hatte. Ein Lied voller Besitzgier war es gewesen, kein Anbieten von Trost, keine Bitte um Zärtlichkeit, sondern ein verlangendes Eindringen in ihre Trauer, eine erzwungene Berührung ihres Geistes, die SCHMERZ verursacht hatte, eine gewaltsame Berührung ihres Körpers, die sie völlig gelähmt hatte, nie zuvor hatte ein Zwielichtsänger einen anderen ohne dessen Willen berührt, nicht in dieser Weise, und in Shadoweyes Geist hatte sie gelesen, was wirklich geschehen war, hatte sie eine noch schmerzhaftere Entdeckung gemacht. Es war kein Unfall gewesen, Blackfeather war nicht gestürzt, er war gestoßen worden, von Shadoweye! Schreckliches Wissen, das aber ihre Rettung gewesen war, es riß sie aus ihrer Erstarrung, sie konnte ihren T`ahuk greifen, konnte genug Abstand zwischen sich und den Angreifer bringen, um zuzuschlagen, aber der Ton war so klagend gewesen, und dann war da ein Lied vomTodundBlutBlutsovielBlutundShadoweyewarnichtmehraufgewacht ...

Tearsong wollte sich abwenden von diesen Bilder, diesen Liedern, diesen Bilderlieder, aber sie konnte nicht, alle Wege schienen versperrt bis auf einen, und dieser Weg sang von Frieden, von Vergessen, aber es war ein Lied ohne Wiederkehr, ein Weg, der nur in eine Richtung führte, und sie wollte nicht gehen, wenn keine Möglichkeit zur Umkehr bestand, nicht diesen Weg, aber sie wollte sich nicht wieder ihren Erinnerungen stellen, sie wollte vergessen können, Frieden finden. Aber dann schien etwas die Mauer von Tönen, von Erinnerungsfetzen zu durchdringen, eine neue Melodie, die sie bat zu bleiben, nicht zu gehen (Aber ich wollte doch nirgendwo hingehen, dachte sie), ein Lied, daß Sie traurig machte, aber nicht um ihrer selbst willen, denn dieses Lied sagte: Bleib, wir brauchen dich, wir lieben dich, es täte uns weh, wenn du gehst, komm zu uns zurück. Aber wie soll ich denn zurückkommen, wollte sie fragen, wohin soll ich denn kommen? Aber dieser Gesang, den sie als Gesang der Heilung erkannte (Wieso Heilung, fragte sie sich, ich bin doch nicht krank?), war so kraftvoll, so voller Hoffnung, daß sie ihm einfach Folge leisten mußte. Und die Erinnerungen verblaßten, die düsteren Melodien verklangen, und ihre Seele, ihr Gesang war wieder frei, und sie fiel in einen tiefen Schlaf, aber diesmal war es der Schlaf der Heilung, der ihren Geist umfing.
 

Als Tearsong wieder zu sich kam, fand sie sich in einer Hütte wieder, an der sie noch schwach den Gesang des Grases hören konnte, mit dem seine Mauern erbaut worden waren. Aber als sie sich weiter umsah, glaubte sie, noch zu schlafen und zu träumen, denn sie blickte zwar in die Gesichter von Elfen, zweifellos, aber diese Gesichter waren grün, nicht vom makellosen weiß der Zwielichtsänger. Vielleicht gab es so etwas wie Grasblindheit, dachte sie, vielleicht sehe ich statt andere Farben nur noch grün. Aber diese Wesen strahlten nicht den Gesang der Zwielichtsänger aus, es war eine andere, einfachere Melodie, nichtsdestoweniger schön und voller Leben. Es war ein Lied dieser Art gewesen, das sie gehört hatte, bevor... Bevor was eigentlich? Hatte die Verweigerung von Nahrung jeglicher Art in dieser Form bemerkbar gemacht, hatte sie einfach das Bewußtsein verloren? Aber nein, etwas anderes mußte der Grund gewesen sein, denn ihre Beine, die unter sauberen Verbänden (von grüner Farbe) verborgen lagen, fühlten sich noch merkwürdig taub an. In jedem Fall schuldete sie diesen Leuten Dank, denn sie hatten ihr offensichtlich geholfen. Sie wollte gerade ein Dankeslied anstimmen, als ihr bewußt wurde, daß diese Wesen scheinbar die ganze Zeit über auf sie eingeredet hatten. Sie versuchte, etwas von dem Gesagten zu verstehen, aber für jemanden, der nur Gesang und Melodien als Sprache kannte, war das zwar rhythmische, aber beinahe völlig unmelodische auf und ab der gesprochenen Sprache ungewohnt und deshalb erst einmal unverständlich.

Aber die ältere der beiden Personen schien ihre Not zu bemerken und gebot dem Jüngeren, dessen Lied höchsten zwölfmal zum Jahresfest gesungen sein konnte, mit energischen Worten zu schweigen. In der nun entstandenen Stille fühlte sich Tearsong jedoch noch unbehaglicher, also hob sie erneut an, um ihr Dankeslied zu singen.

Von allen Ecken und Enden des Dorfes kamen die Grastänzer, um zu sehen, wer da so wunderbar sang, oder um einfach nur diesen herrlichem Gesang aus der Nähe hören zu können. Und der Älteste des Stammes, von seinem jüngsten Enkel getragen, erinnerte sich glücklich an die Zeit, als er diesen Gesang das letzte Mal gehört hatte, als seine Urgroßmutter ihm Lieder wie dieses gesungen hatte, um ihm Geschichten des schönen Volkes der Berghöhlen zu erzählen.
 

Gugliemos Angst war vorbei, jetzt konnte er wieder fröhlich sein, denn der Zwielichtsängerin, denn das war sie, das hatte Tamaro der Heiler ihm erzählt, ging es wieder gut. Und sie sang so wunderbar, daß er beinahe wünschte, sie würde nie wieder damit aufhören. Als er zu Tamaro sah, entdeckte er Tränen in den Augen des Heilers, aber es waren Tränen der Freude und der Rührung, und auch Gugliemo spürte, wie der feste Kloß in seiner Kehle sich zu lösen begann.
 

Als Tearsong ihr Lied beendet hatte, sah sie sich neugierig um, denn es war völlig still geworden, und sie sah Tränen in den Auge einiger, die gekommen waren, ihr zuzuhören. Auch über die Wangen des Älteren, der offensichtlich an ihrer Heilung beteiligt gewesen war, hatten Tränen ihre silbrigen Spuren gezogen. Er seufzte kurz, beinahe sehnsuchtsvoll. Angst stieg in Tearsong auf, hatten die Älteren ihres Stammes doch erzählt, daß der Gesang der Zwielichtsänger anderen Verderben bringen konnte, indem er eine Sehnsucht in ihnen weckte, die durch nichts zu stillen war. Aber dazu gab es Verteidigungsgesänge, die nur die Krieger lernen durften, um im Notfall ihren Stamm zu verteidigen. Aber der ältere Grüngesichgtige begann wieder, zu ihr zu sprechen, diesmal langsam und sehr darauf bedacht, sich deutlich zu artikulieren. Zwielichtsänger lernten schnell, und so konnte Tearsong bereits nach wenigen Augenblicken einen Sinn in dem Gesagten erkennen.

"Willkommen im Dorf der Grastänzer, Kind der Berghöhlen." Diesen Satz hatte Tamaro so oft wiederholt, bis er sicher war, daß die bleiche Fremde ihn verstanden hatte. Sie nickte, um ihm zu zeigen, daß sie dem `Sprechen` jetzt folgen konnte. Aber als sie versuchte zu antworten, fiel es ihr sichtlich schwer, Worte ohne eine Melodie hervorzubringen. Tearsong versuchte sich der Worte zu erinnern, mit denen Darkstar sich mit Händlern und anderen Fremden verständigt hatte. Sie versuchte, einen bestimmten Rhythmus zu verfolgen, ohne ihm jedoch Melodieverläufe zu geben. Aber eine leichte Melodie steckte auch in dieser gesprochenen Sprache, und so konnte Tearsong diese bald erkennen und benutzen. Trotzdem klang ihr Sprechen immer noch wesentlich melodischer als alles, was die Grastänzer je gehört hatten.

"Ich danke euch für eure Gastfreundschaft." Sie hielt kurz inne, ärgerlich, weil sie selbst diesem kurzen Satz schon wieder eine Melodie gegeben hatte, die ihm im Gesprochenen nicht zustand.

Aber es war so schwer, sich ohne Melodien, ohne Gesang zu verständigen! Sie blickte den älteren Grastänzer verzweifelt an und wünschte, er könne ihre Gedanken verstehen.

**Aber das kann ich doch, wenn du sie mir sendest.**

Tearsong fuhr erschrocken zurück, woraufhin der jüngere Grastänzer ihr beruhigend seine Hand auf ihren Arm legte. Er sah den Älteren dabei fast böse an, weil dieser sie so erschreckt hatte.
 

Gugliemo sah fragend und beinahe etwas entrüstet zu Tamaro auf. "Womit hast du sie so geängstigt?"

Tamaro hob beschwichtigend die Hände, um die beiden jüngeren zu beruhigen. "Deine kleine Freundin hier scheint das Senden nicht zu kennen, obwohl sie es durchaus kann."

"Aber jeder kennt doch das Senden, Tamaro!" Gugliemo erinnerte sich selbst noch sehr gut an seine erste Erfahrung mit der Gedankenübertragung. Dabei hatte er auf recht eindrucksvolle Art und Weise gelernt, daß man niemals versuchen solle, eines der älteren Stammesmitglieder anzulügen.

"Wie heißt sie, Tamaro, frag sie bitte nach ihrem Namen!" Gugliemo war sichtlich aufgeregt darüber, daß er so einen wertvollen `Schatz` gefunden hatte.

Tamaro der Heiler lächelte nachsichtig über diesen Ungestüm der Jugend.

**Ich bin Tamaro, der Heiler dieses Dorfes, mein Kind. Und dieser junge Grassproß hier ist Gugliemo, er hat dich gefunden und hierher gebracht**

Als die weißhäutige Elfe ihn nur hilfesuchend ansah, erklärte er ihr: **Du mußt dich nur auf die Person konzentrieren, der du deine Gedanken senden möchtest. Hab keine Angst, das ist ganz normal.**

**Meister, halte mich nicht für undankbar, wenn ich an deinen Worten zweifle, aber wie konnte dieser**

Sie schien einen Moment nachzudenken, wie sie Gugliemo betiteln konnte, ohne dabei beleidigend zu wirken. **Wie konnte mich dieses Kind hierher bringen? Er zählt höchstens zwölf Sommer, und außerdem scheint er mir kleiner zu sein als ich selbst.**

Tamaro schmunzelte und hoffte, daß das Mädchen seine Gedanken nicht auch auf Gugliemo projiziert hatte. **Mädchen, unterschätze nie einen Grastänzer Wir mögen dir klein und schwach vorkommen, aber auch eine Ameise ist klein, und sie trägt oft das zehnfachen ihres Körpergewichtes.**

Tearsong sah das amüsierte Glitzern in den Augen des älteren Graswanderers. Ihr wurde bewußt, daß sie noch eine Menge zu lernen hatte. Wütend über sich selbst kam ihr zu Bewußtsein, das sie in ihrer Aufregung die simpelsten Regeln der Höflichkeit mißachtete.

**Verzeih mir, Heiler. Mein Name ist Tearsong, und ich schulde dir und deinem jungen Gefährten großen Dank. Bitte sag ihm das.**

**Warum tust du das nicht selbst, Tearsong?** Tamaro überlegte, was der jungen Elfe einen so traurigen Namen eingebracht haben könnte.

Tearsong blickte Gugliemo an, der einen Moment glaubte, in ihren blauen Augen versinken zu müssen. Noch nie hatte er eine Elfe mit blauen Augen gesehen, die Augenfarbe der Grastänzer reichte nur vom Grün des Grases über seine Abstufungen bis hin zu tiefen Bernsteintönen.

**Ich danke dir, Gugliemo. Du hast mein Leben gerettet. Das kann ich nicht wieder gutmachen, ich stehe tief in deiner Schuld.**

Gugliemo errötete, was für Tearsong durch das noch helle Grün seiner Haut fast nicht zu erkennen war. Er war entzückt, das dieses schöne Wesen seine Gedanken berührte, und selbst, wenn sie Worte sendete, konnte er eine Melodie in diesen hören.

**Du schuldest mir nichts, Schöne der Berghöhlen. Deine Anwesenheit ehrt mich sowie unser ganze Dorf.** Obwohl er nur die höflichen Worte wiederholte, die er von den Älteren bei Erzählungen über die Besuche von Händlern in alter Zeit aufgeschnappt hatte, meinte er sie doch ernst.

"Ich möchte eurem Stamm nicht zur Last fallen." Schüchtern senkte Tearsong den Blick. Auch wenn ihre Worte noch immer melodisch klangen, schien sie das Sprechen sehr schnell erlernt zu haben. Tamaro zog erstaunt eine seiner dunkelgrünen Augenbrauen hoch. "Aber Kind, du fällst uns doch nicht zur Last!" Wie um die Worte des Heilers zu bekräftigen, nickte Gugliemo heftig. "Selbst mein junger Freund hier weiß mit seinen vierzehn Planetenumläufen schon, daß es großes Glück bedeutet, den Gesang der Zwielichtsänger zu hören. Du mußt wissen, daß dein Volk zu einer Art von Legende für uns geworden ist, seit die Handelsbeziehungen abbrachen."

"Ich habe nie geahnt, daß es noch andere Elfenstämme geben könnte." Tearsong setzte sich auf. "Woher wußtet ihr, daß mein Volk noch existiert, und warum haben wir nie einen von euch gesehen?"

Sie schwankte kurz und spürte, wie sie plötzlich eine bleierne Müdigkeit befiel.

Tamaro drückte sie sanft auf das Lager zurück. "Ruh dich aus, meine Tochter. Das Gift der Schlinggraspflanze kreist noch in deinem Blut, und das schwächt dich. Keine Frage ist so wichtig, daß sie nicht warten kann, bis du dich erholt hast."

Meine Tochter. So hatte Darkstar, ihr Vater und Häuptling, sie oft angesprochen. Zum ersten mal, seit sie ihre Heimat verlassen mußte, fühlte Tearsong sich sicher und geborgen.
 


 

Aber selbst die größte Geborgenheit konnte Tearsong nicht vor dem Fieber bewahren, das zwei Tage später in ihrem Körper zu wüten begann. Ängstlich wachten Tamaro und Gugliemo abwechselnd an ihrem Lager, wenn sie sich, von Fieberphantasien gequält, wild umherwarf oder von Zeit zu Zeit mit gellenden Schreien aus fürchterlichen Fieberträumen aufschreckte, nur um kurz darauf wieder in einen totenähnlichen Schlaf zu fallen. Gugliemo war ängstlich darauf bedacht, immer in ihrer Nähe zu bleiben, selbst wenn er sich einmal für kurze Zeit dem Schlaf der Erschöpfung überließ. Am schlimmsten war es in der dritten Nacht. Ausgelaugt von seiner langen Wache am Lager der schönen Zwielichtsängerin war er im Sitzen eingenickt. Wenig später weckte ihn ein wunderschöner Gesang, aber der Anblick, der sich ihm bot, war erschreckend: Im fahlen Licht des Mondes stand Tearsong am Ausgang des Herbadoms, die Arme ausgebreitet, wie um einen lange vermißten Freund oder Geliebten Willkommen zu heißen. Ihr Blick war auf einen entfernten Punkt konzentriert, ihre Pupillen aufgeregt geweitet, und sie sang voller Inbrunst, was ihrem ohnehin geschwächten Körper die letzen Kraftreserven abzuverlangen schien, denn schon einen Moment später begann sie vor Schwäche und Kälte zu zittern. Trotzdem wandte sie den Blick nicht ab, aber was auch immer sie sehen mochte blieb Gugliemos Blick verborgen. Er hörte jedoch ihren Gesang, der ihn plötzlich mit der Wucht einer heftigen Sturmböe zu treffen schien. Und auf einmal wußte er, was sie sah, denn für einen kurzen Moment war er ihrem Geist nahe genug, um ihren Gesang wirklich zu verstehen. Und was er verstand, machte ihm Angst, denn Tearsong streckte ihre Arme nach einem jungen Krieger aus, der ihr in Schönheit an nichts nachzustehen schien. Gugliemo wußte, das dies ihr toter Geliebter Blackfeather sein mußte von dem sie ihm erzählt hatte. Aber der Moment verging, und plötzlich war Tearsongs Gesang wieder unverständlich für Gugliemo. Nur die Angst blieb, denn er wußte, wenn ein Fieberkranker die Toten sah, hörte oder sogar mit ihnen sprach, war er ihnen gefährlich nahe. Hastig wandte er sich um und machte sich daran, den schlafenden Tamaro zu wecken. Irgendwie gelang es ihnen, Tearsong von der Notwendigkeit des Schlafes zu überzeugen, später wußte keiner mehr, wie. Aber sie wußten, daß die schöne Zwielichtsängerin in dem Moment, in dem sie sich wieder auf ihr Lager hatte führen lassen, stumme Tränen geweint hatte.

Nach dieser Nacht jedoch begann ihr Fieber zu sinken, und sie erholte sich zusehends. Weil sie noch immer sehr geschwächt war, wollte Tamaro ihr zuerst verbieten, das Herbadoms zu verlassen, aber sie meinte, sie hielte es in der engen, schwülen Kammer nicht mehr aus. Sie lächelte jedoch, um ihren Worten den ärgsten Stachel zu nehmen, denn um nichts in der Welt wollte sie diese Leute, die sie so aufopfernd gepflegt hatten, verletzen.
 

Als Tearsong zum ersten Mal nach dem Fieber wieder die Hütte verließ, war die Sonne gerade dabei, in einem Tanz aus blutigroten Schleiern den Himmel zu verlassen, um den beiden Monden Platz zu machen..

Ihren T´ahuk in der Hand und von Gugliemo gestützt, wagte sie sich sogar ein gutes Stück von der Grashütte des Heilers fort. Als sie einen Platz gefunden hatte, der ihr für ihr Vorhaben passend schien, löste sie sich vorsichtig von Gugliemo. Dieser blieb jedoch stets an ihrer Seite, besorgt, daß ihre Kräfte sie verlassen und sie stürzen könnte.

**Mein Freund, du mußt mir schon ein wenig Platz lassen.** Tearsong lächelte Gugliemo nachsichtig an. **Ich werde nicht umkippen, ich kann meine Kräfte ganz gut einschätzen.**

Widerwillig trat Gugliemo ein Stück zur Seite. **Was hast du vor?** **Siehe und staune!** Tearsong machte sich einen Spaß daraus, den jungen Grastänzer, den sie inzwischen wie einen jüngeren Bruder liebte, immer aufs neue zu verwirren. Sie richtete sich auf und hob den Kopf, um tief Luft zu holen. Wie lange war es her, daß sie das alte Ritual des Mondengrußes durchgeführt hatte? Zu lange. Sie konnte regelrecht spüren, wie die erwachenden Monde ihr Kraft gab, ihren geschwächten Körper mit neuer Energie zu durchströmen schienen. Sie hob ihren T`ahuk über den Kopf und lauschte auf den Stimmton, den diese Bewegung ihr vorgab. Sie nahm diesen Ton auf und begann mit langsamen, fließenden Bewegungen sich selbst und ihren T´ahuk zu bewegen, auf die Töne zu lauschen und ihnen mit Stimme und Bewegung zu folgen. Sie spürte, wie ihr Geist Flügel bekam, wie ihr Lied sich zum Himmel erhob und eine Brücke zwischen ihr, den Monden und der Erde zu spannen schien. Sie selbst verband nun Himmel und Erde, leitete die Schwingungen der Monde weiter, gab ihre Melodie an die Umstehenden weiter, leitete sie durch ihren Körper, behielt aber nur einen Teil davon ein, gab den Rest nach außen ab, lauschte auf alle anderen Melodien. Sie war das Gras, das sanft unter ihren tanzenden Füßen wogte, sie war ihr T`ahuk, der singenden ihren tanzenden Körper umkreiste, sie war die Melodie, die zum Himmel aufstieg, sie war die sinkende Sonne, sie war leuchtendes Mondlicht.

Sie war frei.
 


 

Gugliemo war in Sorge gewesen, daß Tearsong sich überanstrengen konnte. Als sie ihren merkwürdigen Tanz begonnen hatte, waren ihre Bewegungen zunächst auch zögernd gewesen, hatten aber mit jedem Ton, den ihr Stab zu summen schien, mit jedem Ton, den sie selbst scheinbar als Antwort hervorbrachte, an Sicherheit und Eleganz gewonnen. Ihre Bewegungen erinnerten ihn an einen uralten Schwerttanz, den der alte Ado ihm vor ein paar Planetenumläufen gezeigt hatte, und waren doch völlig anders. Sie schien sich in ihrem Tanz zu verlieren, und die langsamen Bewegungen, die ihn an das Fließen eines Flusses erinnerten, schienen nicht länger die Bahnen ihres Stabes zu bestimmen, sondern viel eher von ihm geleitet zu werden. Auch jetzt verstand er die Worte ihres Gesanges nicht, wußte aber trotzdem, daß er mit der Energie der Monde zu tun hatte. Eigentlich war ihm das egal, solange er Tearsong nur zuhören konnte, um seinen Geist von ihren Melodien tragen zu lassen. Ein merkwürdiges Gefühl überkam Gugliemo, fast wie ein Schwindelanfall, der ihn mit einem merkwürdig leichten Gefühl im Kopf zurückließ. Er sah, daß es anderen Grastänzern genauso wie ihm gehen mußte, denn viele schüttelten entweder benommen den Kopf oder hatten einen beinahe entrückten Ausdruck auf ihren Gesichtern. Siehe und Staune, hatte Tearsong gesagt, und er staunte wirklich. Dieses Mädchen schien voller Wunder zu stecken, die sie ihm brockenweise zuwarf. Und er schwor sich bei den Hohen, zumindest einen Teil ihrer Geheimnisse zu ergründen.
 

Als Tearsong ihren Mondtanz beendet hatte, war die Sonne völlig vom Himmel verschwunden und hatte einen sternklaren Himmel über den entzückten Grastänzern zurückgelassen. Als ihr Gesang sich langsam in den Weiten dieses Himmels verlor, fühlten einige der Grastänzer einen beinahe körperlichen Schmerz. **Verzeiht mir.** Ein offenes Senden der vor Aufregung strahlenden Tearsong. **Ich wollte euch nur eine Freude machen, indem ich euch zeige, wie mein Volk die vollen Monde grüßt**

Die Antwort war vielfach und ebenso offen. **Es gibt nichts zu verzeihen. Wir danken dir.**
 

"Ich danke euch allen, daß ihr mich so freundlich in eurem Dorf aufgenommen habt." Tearsong schwieg einen Moment, um sich nach dem Mondgesang wieder auf das Sprechen zu besinnen. "Ihr alle habt mir das Gefühl gegeben, nicht länger allein und ausgestoßen zu sein, sondern wieder Teil eines Stammes, einer größeren Melodie."

Sie bemerkte ein Lächeln auf den Gesichtern vieler der Grastänzer, als sie sie mit einer ihrer Melodien verglich. Sie hatte diese merkwürdigen, grünhäutigen Elfen liebgewonnen, aber es gab einen, dem sie sich besonders verbunden fühlte.

"Ihr alle habt mich mit offenen Armen und ohne Mißtrauen empfangen; dafür danke ich euch. Aber es gibt einen unter euch, dem mein besonderer Dank gebührt, denn dieser rettete mein Leben." Nun war es an ihr zu lächeln, als sie Gugliemos erstaunten Gesichtsausdruck sah, als sie zu ihm trat und seine Hand ergriff, um ihn in die Mitte des Kreises zu führen, den die Grastänzer um sie gebildet hatten.

"Dafür möchte ich Gugliemo danken, indem ich ihm zur Feier der vollen Monde ein Geschenk mache." Atemlos lauschten ihr die Grastänzer, neugierig, um was für eine Art von Geschenk es sich wohl handeln könnte.

Tearsong war sich nicht bewußt, daß sie wieder mehr sang als zu sprechen. "Gugliemo, ich möchte Dir die höchste Auszeichnung geben, die mein Volk zu verleihen hat: Ich möchte dir ein Lied schenken."
 

Gugliemo hatte geglaubt zu träumen, als Tearsong seine Hand ergriffen und ihn zu sich gezogen hatte. Als sie so rühmend von ihm sprach, hatte er sich verlegen von ihr lösen wollen, fand sich aber dazu nicht in der Lage, nachdem er den Fehler begangen hatte, dem Blick ihrer blauen Augen zu begegnen. Sie hatte ihn bewegungsunfähig gemacht wie ein Schlange ein Kaninchen, aber dabei hatte er sich so wohl und sicher gefühlt, daß er diesen Vergleich energisch aus seinen Gedanken verbannte. Aber wie wollte sie ihm ein Lied schenken? Sie konnte für ihn singen, das wäre ihm Geschenk genug, aber wie konnte man ein Lied verschenken? Als er jedoch ihre klare Stimme vernahm, die sich erneut zum Himmel erhob, hatte er verstanden. Denn diese Melodie verband ihre Seelen, mit diesem Lied schenkte sie ihm ein Stück ihrer selbst, eröffnete seinem Geist Weiten, von denen er nicht zu träumen gewagt hätte. Dieser Gesang war wirklich nur für ihn, denn keiner außer ihm würde sich jemals die komplizierten und doch so einfachen Verläufe dieser Melodie einprägen, dessen war er sich sicher. Denn dieses Lied gehörte nur ihm, mit diesem Lied zeigte Tearsong ihre Gefühle für ihn, und nur er verstand diesen stummen Austausch innerhalb dieses erhebenden Gesanges.

Er hatte nicht bemerkt, daß Tearsong ihren Gesang schon beendet hatte, aber immer noch seine Hände hielt, um ihm diese Gefühle noch ein wenig länger zu bewahren. Er hatte auch nicht bemerkt, daß Tränen des Glücks über seine Wangen flossen.



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